
Sarajewo habe sie die Kamera beiseite gelegt, um Verletzte ins Krankenhaus zu fahren, weil sie über die Vereinten Nationen noch an Kraftstoff gekommen wären. Erst hinterher dachte sie: „Du hast ja gar keine Fotos.“
So schrieb der „Spiegel“ über sie in einem Interview.

Ein Nachruf an Anja Niedringhaus
Es muss im Jahr 2011 oder 12 gewesen sein, als ich in der Stadt Khost (oder Chost) eine Frau angerempelt hatte.
Sie kam von rechst aus einer kleinen Marksstraße raus und ich drehte mich in diesem Moment nach links und stieß mit einer Frau zusammen. Sofort entschuldige ich mich bei ihr „Endschuldigung,’s dud mir leid. I han sie gar ned gseha.“

Die Frau in Jeans und Hijab sah mich mit großen Augen an und stand regungslos vor mir. „Excuse me, I’m sorry. I didn’t see her at all“ , sagte ich nun auf englisch, denn offenbar verstand die Frau koi schwäbisch.
„Alles ist gut. Ich bin nur geschockt, hier jemand aus Deutschland zu treffen.“ Bei diesen Worten staunte ich nicht schlecht.
Fast zeitgleich kam die Frage: „was machen Sie hier?“ Wir lachten gleichzeitig, weil auch jeder die Frage der anderen beantworten wollte.
Wir luden uns auch gleichzeitig zu einem Tee ein.

In einem kleinen Restaurant unweit vom Busbahnhof saß ich dieser Frau gegenüber und sah ihre aufmerksamen Augen.
Sie stelle sich mir vor und ich muss zugeben, dass ich bis dato noch nichts von Anja Niedringhaus gehört – aber gesehen hatte.
Ich sah sie ahnungslos an und so sagte mir Anja, dass sie im September 2009 die Erste war, die Fotos nach dem ISAF-Raketenangriff bei Kundus machte. Dieser Luftangriff, bei dem über 90 Zivilisten uns Leben gekommen waren, wurde damals in Deutschland heftigst diskutiert.

Natürlich kannte ich dieses Fotos. Sie gingen schließlich wie ein Lauffeuer um die Welt. Ich hörte Anja aufmerksam und gebannt zu, was sie in Sarajevo, Belgrad oder Falludscha erlebte.

Eine Frau die die Realität von Krieg und Terror in Bilder festhält, erzählte mir von sinnlosen Kriegen und Opfer. Anja zeigte mir Fotos, von denen ich einige kannte. Nun kannte ich auch die Hintergründe zu diesen Fotos.
„Warum tust du dies? Warum bringst du dich so in Gefahr?“ Fragte ich sie.
„Warum tue ich dies? Um den Menschen begreiflich zu machen, wie böse diese Welt ist und das wir für den Frieden kämpfen müssen und nicht für den Krieg. Warum tust du dies?“ „Wir müssen für die Freiheit von Mädchen kämpfen und nicht für den Krieg“, war meine Antwort.

Anja war eine unerschrockene Frau, die für ihre Fotos aus dem Irak 2005 sogar mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde.
Sie fotografierte die Welt auf ihre bekannte Weise und Blick durch die Kamera.

Ein Junge wirft am Rande Kabuls einen Drachen in die Luft. (AP Photo/Anja Niedringhaus/dpa)
Anja starb am 4. April 2014 durch Kugeln aus einer AK47, die ein Afghanischer Polizei gezielt auf sie abfeuerte.
Anja wurde aus Dummheit und einem völlig falschen Glaube brutal ermordet.

Nila Khalil. 15. Oktober 2021
In einem Gespräch, veröffentlicht in „Bilderkrieger – Von jenen, die ausziehen, uns die Augen zu öffnen“ (2013) von Michael Kamber, sagt Anja Niedringhaus über Afghanistan: „Ich habe mich ein bisschen in das Land verliebt. Das sind wunderbare Menschen dort, diese Gastfreundschaft, diese Ehrlichkeit. Natürlich gibt es nicht nur das, aber ich habe so oft erlebt, wie diejenigen, die ganz wenig haben, trotzdem ganz viel geben. Es geht mir bei meiner Arbeit darum, die Geschichten der Menschen zu erzählen, die in Konfliktzonen wie in Afghanistan ihren Alltag meistern müssen. Ihre Stimmen werden oft vergessen oder ignoriert. Wenn man über sie berichtet, dann häufig nur in Beziehung zum Westen, ohne sie als diejenigen wahrzunehmen die sie sind. Mit meinen Bildern möchte ich dazu beitragen, dass wir ihr Leben und ihre Kultur besser verstehen lernen – und zwar nicht nur im Sinne von ` gut´ oder ` böse´ .“
In dem Gespräch bezeichnet sie selbst sich als „glücklich“ – es endet mit den Worten: „Eigentlich bin ich jetzt erst in den besten Jahren.“ Ihre Ermordung ist so tragisch und traurig wie die ganzen Ereignisse der letzten Zeit …
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Danke für diese Worte.
Genau so war Anja. Ich hatte einen Menschen getroffen, der einen Blick für die Menschen in dem Moment hatte.
Ich kenne mittlerweile sehr viele Fotos von ihr und jedes dieser Fotos zeigt die Seele von Anja.
Ich hatte einen solch ähnlichen Nachruf an sie vor zwei Jahren geschrieben. Da mein Facebook-Konto mehrmals gelöscht wurde, sind natürlich auch alle Texte gelöscht worden.
Da ich mich vor Tagen über eine Alea Horst und ihre Berichte über Afghanistan sehr geärgert habe, schrieb ich eben jenen Nachruf an Anja nochmals.
Frau Horst kann so viele Fotos machen, wie sie möchte, sie wird niemals an das Auge und die Seele von Anja herankommen.
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