Eine Odyssee der Liebe

Alles läuft aus dem Ruder
Eine Odyssee der Liebe

Kabul, Montag, 24. September 2007

Seit Monaten wurde das Hotel immer voller. Viele Journalisten, Mitarbeiter von internationalen Firmen und mehrere Team an Sicherheitsleute bewohnten für ein paar Tage oder Wochen das Haus. Im Hotel war sehr viel Arbeit um dem Schutz all dieser Leute gerecht zu werden. Viele Einsätze fahren, planen und koordinieren. Der Arbeitstag von Hannes hatte oft 18 Stunden. Ständig musste er erreichbar sein. Es war schon eine sehr große Aufgabe sich um bis zu 150 Menschen für deren tägliche Sicherheit zu sorgen. Marcel, Oliver und Samuel waren für ihn eine sehr große Hilfe, wenn sie sich jede vierte Nacht das Notfalltelefon teilten. In den zwei Büros von Hannes arbeiteten bis zu 12 Personen täglich, um die neusten Sicherheitslagen, Bombenfunde oder Terroraktivitäten zu analysieren und um den Forderungen der Redaktionen von Medienanstalten aus aller Welt gerecht zu werden oder auch denen mal ganz klar zu sagen, dass Fahrten in jene oder welche Gebiete zur Zeit nicht möglich waren. Die Ignoranz von sehr vielen Redakteuren oder Journalisten konnte Hannes oft nicht mehr verstehen.
Die Teamleiter mussten in dieser hektischen Zeit auch darauf achten, dass ihre Personenschützer nicht „verheizt“ wurden, so fuhr Hannes bei einigen Einsätze selbst mit. Kleinere Fahrten mit Mitarbeiter von irgendwelchen Firmen mal kurz in Kabul oder dessen Randgebiet zu fahren, war für ihn eine Abwechslung und so konnte er für ein paar Stunden nur Personenschützer sein und musste nicht ständig alles an Bürokratie und Sicherheit im Blick haben. Es waren für ihn ein paar Stunden ohne Zeitdruck und ohne ständig zu telefonieren, Mails von Botschaften lesen, die mal wieder eine Terrorwarnung für den Süden, Norden oder Osten aus dem Land schickten.
Alles wurde in den letzten Monaten hektischer. Jetzt, sofort und gleich. Nachrichten mussten immer schneller gesendet werden und Journalisten so schnell wie möglich in die Stadt oder Provinz gebracht werden, wo mal wieder über Anschläge und Tote berichtet werden konnte. Die drei P-750 Flugzeuge flogen fast täglich am Limit, trotzdem verbot Hannes das nach Sonnenuntergang noch geflogen wurde. Er hatte seine Prioritäten und die waren nicht verhandelbar.

Terroranschlag im Distrikt Kartey Sakhi

Es gab wieder ein Anschlag in der Nähe vom Zentrum in Kabul, sofort sollten Journalisten an diesen Ort, um mal wieder über Terror in Afghanistan zu berichten. Ein gutes Dutzend von Journalisten mit der fast dreifachen Anzahl von Personenschützer, waren schon mit den anderen Fahrzeugen dort hin unterwegs. Hannes mochte es gar nicht, dass immer gleich so viel Journalisten auf einem Platz aufschlugen. Immer öfter kam es vor, dass nach dem ersten Anschlag ein zweiter folgte. Terror wollte mehr Aufmerksamkeit und mehr Tote.
Ein Fernsehteam aus Mexiko musste noch an den Anschlagsort gefahren werden. Hannes machte seinen Range Rover Armored klar. Die drei Fernsehleute nahmen mit ihren Taschen auf dem Rücksitz platz. Ein Bodyguard Namens, Louis Contreras aus Kolumbien fuhr mit. Hannes kannte ihn nicht. Contreras war in einem Team welches erst seit kurzem bei der Firma angestellt war.
Wird schon alles gut gehen, sind genügend andere Bodyguards vor Ort, dachte er, als der Armored aus den Tor in der Darulaman Road Richtung des Stadtteils
Kartey Sakhi fuhr.

Hannes fuhr schnell durch die Straßen von Kabul. Überall hörte er die Sirenen der Krankenwagen, Polizei und Feuerwehren
„Noch drei Straßen und dann zwei Querstraßen“ sagte er auf englisch zu den Mitfahrer.
Der Verkehr und Getümmel wurde, wie zu erwarten, immer Chaotischer. In dem Distrikt Kartey Sakhi gab es kaum noch ein vorwärts kommen. Er musste mit den Journalisten näher ran. Vom jetzigen Standpunkt aus war der Weg ohne Fahrzeug zu weit und nicht sicher. Die drei Fernsehleute wurden immer nervöser, je langsamer es voran ging.
„Immer diese Sensationspresse“ sagte er auf deutsch und schaute in den Rückspiegel.
Er sehnte sich nach Dokumentationen mit Gregory Flinn zurück. Ruhige und sachliche Reportagen. Man konnte im Team reden wie der nächste Tag geplant wurde. Heute mussten es Bilder von Tod und Zerstörung sein die gezeigt werden müssen. Keine Bilder von Kinder die sich über Teddybären freuen oder wie Soldaten Dächer abdichteten. Diese Menschlichkeit wird im Fernsehen kaum gezeigt, die Abgründe und Perversion dieser täglich.
„Noch zwei Querstraße.“ „Stop it. Stop it here. We have not time. Pleace stop here“ sagte der eine Mexikaner.
„No! The way is to long. Not safety“ gab Hannes mit energischen Worten zurück.

Es ging nur noch zäh voran, Krankenwagen und Autos standen auf der Straße die auch nicht weiter kamen oder einfach abgestellt wurden. Der Mexikaner hinten links, öffnete die Tür vom Armored und war im Begriff aus dem Auto zu steigen.
„NO! Outside is not safety! Das glaubt man nicht, macht der Penner die Tür auf!“ Brüllte Hannes.
Der Mann in der Mitte der Rückbank drückte seinen Kollegen aus den Auto. Gleichzeitig öffnete der andere Mexikaner auf der rechten Seite die Tür und sprang aus dem Auto.
Hannes brüllte Contreras an „What’s wrong with you? The situation is out of control! Close the door, close the door!“
Hannes sprang sogleich aus dem Auto, trat mit dem rechten Fuß die hintere Tür zu und zog sofort seine Waffe aus seiner Gürteltasche.
„Close the door! Mann, was bist du für ein Vollidiot“ brüllte er Contreras an.
Die drei Mexikaner liefen in die Richtung, wo sie den Tatort vermuteten und von wo die meisten Menschen weg liefen.
„STOP! The Area is not safety“ schrie Hannes ihnen hinterher.
Viele Menschen waren auf der Straße und liefen zu dem Tatort, oder von dort weg. Es herrschte das blankes Chaos. Autos standen quer und überall Menschen die in Panik rannten und schrien.
Hannes drückt während er lief und brüllte, die Schnellwahltaste am Handy um Marco zu erreichen. Nach zwei Sekunden war Marco am Telefon.
„Hörst du mich…?“ Brüllte er ins Headset. „Ja, ja! Ich höre dich. Was ist los?“ „Die Mexikaner sind aus dem Auto raus. Ich bin zwei Querstraßen, wahrscheinlich 800 Meter, von dem Tatort weg. Schau auf den GPS wo das Auto steht, ich laufe nach Westen. Verdammt, die Situation ist außer Kontrolle.“
Im Lauf drehte er sich um und suchte Contreras. 8 Meter rechts hinter ihm sah er ihn laufen.
„Marco, hier ist das blanke Chaos, Leute schreien und kommen uns entgegen gelaufen … Ich habe die Mexikaner verloren… Ein Motorrad kommt aus einer Querstraßen von links auf mich zu… Schnell!…15 Meter. Zwei Personen auf dem Motorrad… Wo zum Teufel ist dieser Contreras?… Sehe ihn, 6 Meter hinter mir. Motorrad noch 10 Meter Entfernt… Verdammt die haben eine Kalaschnikow!“
Der Sozius richtete die Kalaschnikow in Richtung von Hannes. Schüsse fielen.
„Ich brauche Unterstützung! Habe keinen Feuerschutz! Weiß nicht wo Contreras ist… Muss schießen! Kein freies Schussfeld… DOWN, DOWN“ brüllte er die Leute vor ihm auf der Straße an.
Die Patronen der AK47 schlugen links in ein Auto ein. Vor im brach eine Frau zusammen.
„FREE!“ In der Sekunde als die Frau zu Boden sackte, schoss Hannes zweimal auf den Sozius. Dieser kippte nach hinten rechts weg. Unkontrolliert schlugen die Patronen der AK47 links und rechts neben ihm ein. Glas von den Autos kam ihm entgegen geflogen. Er ließ sich sofort neben einem Auto auf den Boden fallen. Rechts von ihm fielen zwei Personen tot auf die Straße. Sofort war Hannes auf den Knie und zielte erneut auf das Motorrad. Zwei Schüsse feuerte er auf den Fahrer. Das Motorrad prallt gegen einen Pkw. Menschen liefen in Panik kreuz und quer über die Kreuzung.
„Marco, ich brauche Unterstützung!… 4 Meter links vom mir liegt der Typ mit der AK47… Shit! Er bewegt sich noch! … Neutralisiert!“ Hannes sah wie das Blut von dem Mann gegen die Hauswand spritzte. „Der eine ist neutralisiert. Wo ist der andere?… Mehrere Polizisten und Soldaten kommen aus Westen gelaufen… STOP! AREA NOT SAFETY. NO CLEAR! Verdammt, wo ist der andere? Ich habe kein Feuerschutz! Hier ist das blanke Chaos!“
Die Menschen um ihn wussten nicht in welche Richtung sie laufen sollten und Hannes sah dadurch den andren Terroristen nicht mehr.
„Marco, ich hab den Typ aus den Augen verloren. BACK… BACK“ Brüllte Hannes die Leute an, er musste den Mann suchen. „Hab den Fahrer von dem Motorrad gefunden… Bin noch 2 Meter von ihm entfernt… Sehe keine Waffe.“
Hannes ging langsam mit seiner Waffe auf den Mann am Boden zu. Der Mann zuckte. Hannes blieb sofort stehen und zielte auf dessen Genick. Dann bewegte sich der Mann nicht mehr.
„Ok. Der Fahrer ist tot. Ich gehe weiter auf das Motorrad zu. Eineinhalb Metern… Rucksack! Ich sehe einen Rucksack unter ihm! RUN RUN RUN THE AREA IS NOT SAFETY. RUN!“ Brüllte Hannes erneut die Leute an, die um ihn herum waren.
„Verdammt, Marco ich muss hier weg! Finde die Mexikaner nicht… Contreras ist verschwunden! Ich brauch ein Sprengstoff-Kommando hier! Beile dich!… Habe einen der Mexikaner gefunden… Er ist Verletzt… Schussverletzung an rechten Oberarm und rechtes Bein. Ziehe ihn zwischen zwei Autos in Sicherheit der Häuser… Contreras sehe ich auf der anderen Straßenseite liegen.“
Eine Gruppe junger Männer kam auf ihn zu gelaufen. Hannes richtete sich sofort auf im lauf zu Contreras richtete er seine Waffe auf die Gruppe. Sofort blieben die fünf Männer stehen und streckte ihre Hände hoch.
„BACK… AREA NOT SAFETY“ schrie er die Männer an.
Hannes rannte auf den am Boden liegenden Contreras zu, stolperte über etwas auf dem Boden. Er taumelte. Rollte sich während des fallens ab und schlug sich den rechten Ellenbogen auf dem Beton auf. Seine Glock fiel ihm aus seiner linken Hand und rutschte über den Gehweg. Er streckte sich nach seiner Waffe. Stützen sich dabei mit der rechten Hand ab und spürte wie Kieselsteine sich in seine Handfläche bohrten. „Fuck! Tut das weh. Marco?“ „Bin da.“ „Contreras blutet stark am Kopf und hat einen Durchschuss am linken Oberarm… Er ist Bewusstlos… Ich höre Sirenen, sind die für mich?“ „Ja, ja alles kommt zu dir! Gib mir Status!“ „Gleich.“
Hannes riss das Hemd von Contreras auf und macht sofort einen Druckverband.
„Ok, Marco, Status, jetzt! Contreras ist auf der rechte Straßenseite. Liegt an einer Hauswand. Er ist Bewusstlos und hat eine Platzwunde rechte oberhalb der Schläfe. Wahrscheinlich durch den Aufschlag auf den Boden. … Eine tote Frau auf dem Gehweg. 2 Meter von mir entfernt. … Zwei weitere Personen tot auf der Straße.“
Hanns stand auf und ging weiter nach Westen „Ein Mann verletzt. Hat einen Bauchschuss, sieht nicht gut aus… Sehe Sanitäter von Osten kommen… ONE PERSON LEFT SIDE NEAR HOUSE. ONE PERSON RIGHT SIDE BY THE BLUE CAR. A MALE SERIOUSLY INJURED PERSON ON THE RIGHT SIDE OF THE STREET. SHOT IN THE STOMACH. PICK UP AND BACK. AREA IS NOT SAFETY“ rief er den Sanitäter zu.
Hannes sicherte seine Glock und steckte sie am Rücken in seinen Hosenbund.
„Weiter mit Status: Zwei Personen 3 Meter links in Querstraße … Beide tot. Gehe zurück zur Hauptstraße. Person mit Kalaschnikow neutralisiert durch Kopfschuss. Der Schuss kam von mir.“
Eine Gruppe Polizisten und Militärs kamen aus Westen mit Gewehren auf ihn zu gelaufen und Hannes hob die Arme hoch.
„DANGER! MAN WITH BACKPACK ON WHITE CAR. PERSON DEAD. BACKPACK ON FRONT SIDE FROM THE MAN“ rief er der Gruppe zu.
„Weiter mit Status: Suche nun nach Westen die zwei Mexikaner. Noch eine männliche Person tot. Verdammt, wo sind die hin?“
Immer noch liefen Menschen schreiend und weinend an ihm vorbei. Zwei Männer knieten links an der Straßenseite bei zwei Personen und versorgen deren Wunden.
„Okay Marco, neuer Status: Mann und Kind verletzt, bluten beide. Um sie wird sich gekümmert. Sind soweit safe. Habe die Mexikaner gefunden rechte Seite Hauseingang 20 Meter von der Kreuzung entfernt.“
Hannes ging auf die beiden Mexikaner zu und sprach weiter in sein Headset „Sehe keine Verletzungen bei den Mexikaner.“
Hannes kniete sich zu den beiden auf den Boden und sprach mit den Männer „Are you ok?“
Die beiden Mexikaner sahen ihn an und konnten nicht reden.
„Are you ok?“ Wiederholte er seine Frage. Einer nickte Geistesabwesend. Hannes packte den anderen am rechten Oberarm und schüttelte ihn fest. Er sah zu Hannes. „Are you ok?“
Er nickte langsam.
„Marco?“ „Ich bin da.“ „Beide haben einen Schock. Sonst keine Verletzungen zu sehen. Sieh zu das endlich das Sprengstoff-Kommando kommt. Over and Standby.“

Ein Polizei Hauptmann kam auf Hannes zu gelaufen „Are you okay? Are you okay? Are you hurt?“ „I’m okay. I am not hurt. Thank you.“
Hannes gab gleichen Status der Lage dem Hauptmann weiter.
„Marco…?“„Ja.“ „Die Sanitäter wollte Contreras und den einen Mexikaner abtransportieren. Ich gab ihnen unsere Adresse in der Darulaman Road. Geb Emily den Status der beiden durch.“ „Wird sofort erledigt. Sieh du endlich zu, dass du dort weg kommst.“

In Begleitschutz von fünf Polizisten fuhr Hannes mit den beiden Mexikaner auf dem Polizei Pickup zurück, wo er das Auto abgestellt hatte. Hoffentlich war das Auto noch da. In all dem Stress hatte er nicht einmal Zeit gehabt das Auto abzuschließen.
Ein Pulk von Männer stand um den schwarzen Range Rover Armored als er mit den Polizisten vor fuhr. Als er von der Ladefläche des Pickup’s sprang, traten die Männer sofort vom Armored zurück.
Die Polizisten halfen den beiden Mexikaner von der Ladefläche und führte sie zu der gepanzerten Limousine. Hannes öffnete die linke Tür im Fond des Autos und ließ die Männer einsteigen. Der letzte saß noch nicht richtig, da schlug Hannes die gepanzerte Tür zu. Er drehte sich zu den Polizisten um, bedankte sich für deren Hilfe und verabschiedete sich von ihnen.

Die Mexikaner saßen auf der Rückbank wie geprügelte Hunde und schauten unter sich.
Hannes war kurz davor diese beiden Vollidioten anzubrüllen und mit dem Kopf gegen das Panzerglas zu schlagen.

In der Darulaman Road fuhren die zwei Krankenwagen weg, als er ankam.
Die beiden Verletzten waren bereits auf der Krankenstation. Sabine standen für die beiden anderen Mexikaner sofort zur Verfügung. „Hannes, ist alles in Ordnung?“ Fragte Sabine.
„Ja. Schaff mir die Pappnasen aus den Augen, bevor ich mich vergesse.“

Einsatznachbesprechung im Büro

Marco war im Büro von Hannes und saß auf dessen Platz. Andreas, Annemieke und Eliza waren auch da. Hannes knallte die Tür von seinem Büro so fest zu, dass diese fast aus der Wand fiel. Er sah kurz in die Runde seiner Mitarbeiter und dann zu Marco. Hannes brüllte das absolute unprofessionelle Verhalten der drei Mexikaner heraus. Wie Contreras getroffen wurde, konnte er nicht sagen. Ein solch amateurhaftes Verhalten von Contreras dulde er nicht in diesem Haus.
Annemieke stand regungslos an der Wand, an der die Karten für die Terrorpunkte hingen. So in rage hatte sie ihren Chef noch nie erlebt.
Als seine Wut weniger wurde, sagte er zu Marco „Ich habe eine Sekunde zu lange gewartet.“ „Was du uns eben mit 120 Dezibel in die Ohren gebrüllt hast, dafür kannst du dir keine Schuld geben. Dein Anruf ist aufgezeichnet. Sei froh das du noch lebst! Du bist ohne Feuerschutz in die Richtung von dem Motorrad gelaufen. Bist du völlig irre? Du hattest bis zum Schluss keinen Status über den Rucksack gehabt. Hannes, was ist los mir dir?!“ „Ich war die meiste Zeit im Schutz hinter den Autos.“
Marco riss die Augen auf, stand auf und sah in die Runde im Büro „Ich war die meiste Zeit im Schutz hinter den Autos?!“ Wiederholte er die Worte von Hannes. Er trat auf ihn zu und wurde auch lauter „Bist du völlig bescheuert? Nach den örtlichen Gegebenheiten und deinem Status brauchts du hier in dem Raum niemanden den Wirkungsradius einer Bombe zu erklären. Hannes du warst in Lebensgefahr, weil dein Bodyguard seinen Job nicht richtig gemacht hat und weil die drei Mexikaner geil auf Sensationspresse sind!“ „Ja. Ja Marco dies weiß jeder hier im Raum. Es ändert aber nichts mehr daran. Von uns ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen und wir alle leben noch. Ich habe das getan, was ich gelernt habe und was meine Prioritäten sind: Verletzte versorgen, Status objektiv einschätzen und bewerten, Menschen in Sicherheit schaffen und Hilfe koordinieren. Ich denke, dass ich meine eigene Arbeitsanweisung recht gut umgesetzt habe.“
Seine drei Mitarbeiter sahen ihn wortlos an. Marco nickte Hannes zu. Er wusste, dass er dem Chef in diesen Punkten nicht mehr widersprechen konnte.
„Okay Hannes, ziehen wir hier einen Schlussstrich. Ich werde nachher mit den drei Mexikaner unabhängige voneinander reden. Auch wird heute noch deren Arbeitgeber über diesen Vorfall informiert. Ich habe auch schon bei der Polizei und den zuständigen ISAF Einheiten angerufen und deren Einsatzberichte angefordert. Unsere Sicherheitsanweisungen sind allen Medienanstalten und Mitarbeiter bekannt, die unseren Service buchen und diese müssen auch befolgt werden! Dieser Einsatz wird bis in kleinste Protokolliert. Soll Sabine gleich zu dir kommen?“ „Nee, lass sie erst mit diesen Vollidioten reden. Ich denke die brauchen neue Unterwäsche.“ Marco grinste „Hannes, wir kennen uns schon sehr lange und niemand stellt sich bei diesem Vorfall zwischen dich und mein Wort!“ „Ich dank dir, mein Freund. Ich bin in meinem Zimmer, wenn etwas sein sollte.“ Hannes drehte sich um und ging zur Tür.
„Hannes? Ich hätte noch eine Frage. Hattest du einen Schutzhelm auf?“ Beim öffnen der Tür sagte er ohne sich zu Marco umzudrehen „Keine Zeit gehabt.“

Gespräche unter Freunden

Hannes lag auf seinem Bett und war müde. Er wollte schlafen und an nichts mehr denken, aber es ging nicht. Tausende Gedanken schossen ihm durch den Kopf und immer wieder sah er Patricia vor sich stehen oder neben ihm im Bett liegen.
„An was denkst du immer unermüdlichen, mon chérie?“ „An dich mein Engel.“
Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Seit Patricia nicht mehr bei ihm war, hatte das Leben keinen Sinn mehr. Hätte mich vorhin doch nur eine Kugel getroffen oder eine Bombe zerfetzt, dachte er und wischte sich die Tränen weg.

Es klopfte an seiner Tür und Marcel trat ein. Er hatte zwei Dosen Bier in der Hand und reichte Hannes eine Dose. Marcel zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich.
„Merci beaucoup, mein Freund. Habe ich geschlafen?“ Hannes setzte sich mit dem Rücken an die Wand.
„Ja, hast du. Ich war vor einer Stunde schon bei dir, ließ dich aber schlafen. Im Büro habe ich die Aufzeichnung gehört. Vom GPS Standpunkt und der Karte, bist du ohne Feuerschutz von Contreras in das Mündungsfeuer gelaufen. War das so?“
Hannes sah seinen Freund tief in die Augen und nickte dann „Oui, Marcel, dass war so. Du warst nicht da. Bei dir hätte ich keine Sekunde gezögert. Du bist der beste Scharfschütze auf diesem Planeten und du weißt, dass ich dir blind vertraue.Tu es mon ami.“ „Ja, ich bin dein Freund, du hättest tot sein können! An die Situation mit dem Rucksack will ich gar nicht denken. Noch haben wir keine Bestätigung von einer Bombe.“ „Und wenn schon…“ Marcel riss die Augen auf und packte ihn hart am Oberarm „Hannes, ich weiß wie sehr es dich schmerzt, dass Patricia tot ist. Machte es die Aktion von vorhin dadurch besser? Hätte Patricia dies gewollt?“ Marcel schaute in einen leere Blick mit Tränen in den Augen.
„Ich hatte den Überblick verloren. Ich wusste nicht wo die drei Mexikaner waren. Dies wäre dir nicht passiert. Vier Verletzte und sieben Tote. Toller Einsatz.“ „Hast du sie nicht mehr alle?! Die Terroristen hätten das zehnfache an Menschen umbringen können! Du hast so reagiert, wie es immer wieder trainiert wurde. Contreras hat dich ohne Feuerschutz gelassen. Das war ein grober Fehler. So etwas darf nicht passieren! Wenn Malcolm oder Hattie dies erfahren, brennt hier der Baum! Du bist kein Scharfschütze oder Bodyguard. Das ist nicht deine Aufgabe! Und eine Sekunde schneller hätte bei dieser Situation nichts geändert. Die hätten dich durchlöchern und zerfetzten können! Hannes – die Welt braucht mehr Menschen wie dich und nicht weniger! Das Leben geht weiter. Auch wenn es verdammt weh tut. Du hast heute durch deinen Einsatz Menschen gerettet. Das ist es doch was du willst. Es leben mehr, als tot sind!“ Die Worte von seinem Freund trafen mal wieder den Punkt.
„Ja, du hast recht. Alles was du sagst, ist richtig. Es tut immer noch verdammt weh im Herz.“
Marcel nahm ihn in die Arme „Wir sind Freunde. Heute hätte ich einen der besten Menschen verloren. Da bin ich einmal nicht da, um auf dich aufzupassen und du riskierst so dein Leben!“

Das Bier war fast getrunken und lange sagte niemand ein Wort.
„Ich bin stolz auf dich.“
Hannes schaute Marcel fragend an.
„Na ja, immerhin hast du die zwei Typen auf dem Motorrad erwischt. Du bist nicht gerade der beste Schütze. Siehst du, nun lachst du wieder.“
Hannes zog die Schultern hoch „Für heute hat es gereicht.“
Marcel wuschelte ihm die Haare „Diese Welt braucht dich noch, mein Freund.“

Der Abend nach einem Alptraum

Am Abend ging Hannes in die Krankenstation zu Emily. Er wollte den Zustand von den zwei Verletzten wissen. „Der Mexikaner hat Streifschüsse. Hätte schlimmer sein können. Contreras hat einen glatten Durchschuss. Ohne deinen Druckverband wäre er verblutet.“ Emily nahm ihn in die Arme „Du hast alles richtig gemacht. Mehr ging nicht. Die beiden verdanken dir ihr Leben! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?“
Was sollte er seiner Freundin sagen? „Emily, ich werde zu alt für den Scheiß. Ich denke mir geht es gut.“
Mit diesen Worten drückte er sie fest und gab ihr einen Kuss auf die Stirn und streichelte ihr schönes Gesicht.

In seinem Büro waren Annemieke, Marco und Tamina. Der Bericht von der Polizei und dem ISAF Stützpunkt in Kabul war mittlerweile angekommen. Marco und Tamina übersetzten den Bericht der Polizei von paschu in englisch.
„Nun ist es offiziell. In dem Rucksack war eine Splitterbombe. Der Zünder war noch nicht aktiviert. Ohne dich wären viele weitere Menschen an diesem Tag gestorben. Das du in all dem Chaos noch so gut reagiert hast, wird in den Berichten mehrmals hervorgehoben. Du hast die Polizisten und Soldaten auf die Gefahrenlage aufmerksam gemacht. Keiner wusste zu diesem Zeitpunkt die Lage einzuschätzen. Du hast völlig richtig gehandelt. Auch, dass du die Sanitäter auf die Gefahr und den Status der Verletzten informiert hast, wird in dem Polizeibericht erwähnt.“ Tamina stand auf und umarmte ihn „Hannes, du hättest sterben können!“
Annemieke sagte, dass Hattie angerufen hatte und er sie bitte dringend zurück rufen sollte.
An seinem Schreibtisch starrte er die Telefone an. Er rauchte eine Zigarette und nahm den Telefonhörer in der Hand und schaute seine Mitarbeiter und Freunde im Büro an. Er legte den Hörer wieder auf das Telefon.
Nach fünf Minuten zog er erneut eine Zigarette aus der Schachtel und zog den Rauch tief ein. Jeder im Raum sah ihn an, als er dem Rauch der Zigarette nach sah. Keiner von seinem Team im Büro sagte etwas, sie wussten, wann es besser war zu schweigen. Erneut nahm er den Hörer in die Hand und drückte auf die Speichertaste ihrer Nummer. Nach dem zweiten Freizeichen hörte er ihre Stimme. „Hannes. Gott sei dank! Ich habe die Aufzeichnung gehört… ich bin auf dem Weg nach Kabul.“ „Hattie, alles ist gut. Ich lebe noch. Du musst nicht kommen.“ „Zu spät. Ich sitze bereits im Flugzeug. Es muss einiges geklärt werden. Einen solchen Vorfall, darf es nie wieder geben. Morgen bin ich bei dir.“

Time to say goodbye

Die ganze Nacht saß er mit dem Rücken an der Wand auf seinem Bett. Die Glock 17C hatte er in seiner linken Hand. Er wollte und konnte nicht mehr. Krieg, Terror und Tod sah er nun fast jeden Tag. Wofür dies alles?

Der Morgen brachte die ersten Sonnenstrahlen nach Kabul. Da waren keine tausend Farben mehr. Es war nur noch grau, was an Licht in sein Zimmer fiel. Das Telefon auf dem kleinen Schreibtisch in seinem Zimmer klingelte. Er sah es an und zielte mit der Waffe darauf. Es verstummte. Wenige Minuten später klingelte es nochmals. Es hörte nicht aus zu klingeln. Er zielte auf das Telefon und bewegte den Finger am Abzug der Glock. Das Telefon verstummte.
„Feigling“ sagte er zu dem Telefon.

Sabine öffnete die Tür ohne anzuklopfen. „Na? Und nun? Ist die Waffe die Lösung der Probleme?“
Sabine kam langsam auf ihn zu und setzte sich auf sein Bett „Hannes…, jeder versteht was du durchgemacht hast. Jeder hat vor dir, deiner Arbeit und deinem Umgang mit Menschen den allergrößten Respekt. Du bist intelligent genug um zu wissen, dass Suizid nicht die Lösung ist.“ „Wer spricht von Suizid? Das Telefon klingelt und ich zielte auf das blöde Ding.“ „Ach so. Normalerweise nimmt man den Hörer in die Hand. Müsstest auch du wissen. Oder hast die Waffe in der Hand um auf Mücken zu schießen. Bei Samuel und Marcel würde ich dies sofort glauben.“ „Allewelt hält mich für einen schlechten Schützen.“ „Für das, dass du dies nicht bist, bist du verdammt gut! Du bist kein Schütze. Du bist ein Leader und da gibt es keinen, der dir das Wasser reichen kann! Ich weiß wie du fühlst und denkst. Der Tod von Patricia tut dir weh. Du fühlst dich für alles und jeden verantwortlich. Du denkst permanent an Sicherheit für Menschen. In jeder Situation hast du die Verantwortung für andere. Ich habe mit mir schon genug zu tun. Das Afghanistan so ist, wusste ich nicht. Ich bin wirklich froh, wenn der Einsatz in zwei Wochen vorbei ist. In den letzten Monaten habe ich mehr gelernt, als manche in ihrem ganzen Leben jemals lernen werden. Wie du im Januar bereits gesagt hattest, ist dies hier ein super Team – dies ist es auch! Ich kann mein Leben blind anderen anvertrauen. Ich habe bei dir Teamarbeit kennengelernt, die es so niemals mehr geben wird. Du führst und gibst die Richtung vor. Dies alles tust du ohne Arroganz. Zwar immer bestimmend – aber menschlich.“
Hannes sah die blonde Frau aus Magdeburg an, die Patricia so verdammt ähnlich sah „Sabine, ich werde zu alt für diesen Job. Er zehrt an mir und macht mich fertig! Ich bin gestern ohne Feuerschutz in Salven von einer Kalaschnikow gelaufen. Ich war und bin, die Sicherheit von unserem Team gewöhnt. Ich bin von dem was ich einst war, schon viel zu weit weg. Menschen zu erschießen hat nichts mit Bildung für Kinder zu tun.“ „Hannes, dies stimmt nicht!Du hast hier in diesem Land großes getan. Was du für Nila, Amira und die Mädchen im Frauenhaus getan hast, kann mit nichts auf dieser Erde ausgeglichen werden! Für die Rettung und Unterbringung von 32 Mädchen und Frauen hast du ein Vermögen aufs Spiel gesetzt. In Istanbul hast du eine Hilfsorganisation aus dem Boden gestampft, die beispiellos ist. Du bist von deinem Traum nicht weit entfernt – du siehst es nur nicht mehr. Komm mit zu Erik in die Niederlande. Da sind Kinder die dich bräuchten.“
Sabine nahm die Waffe aus seiner Hand und legte sie auf den Boden. Sie nahm seine Hände und hielt sie fest „Ich habe den besten, gütigsten und liebevollsten Menschen kennengelernt, dem ich so viel zu verdanken habe. Hannes, die Welt wäre eine bessere, gäbe es mehr von dir.“
Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Sabine streichelte ihm über den rechten Arm „Weine ruhig. Das ist gut. Du bist unglaublich stark. Du brauchst aber auch die Zeit, in der du nicht stark sein musst.“ Sie umarmte ihn und streichelte ihm über den Rücken. Ihr Kopf war dicht an seinem „Was ich eben gesehen habe, bleibt zwischen dir und mir. Ich werde dich in diesem Leben niemals kompromittieren. Niemals!“

Hattie’s Standpauke

Hannes saß immer noch mit dem Rücken an der Wand auf seinem Bett und sein Blick war immer noch leer. Er war leer und ausgebrannt. Sein Hirn konnte nicht mehr zusammenhängend denken.
Es klopfte zweimal an der Tür. Hattie kam ins Zimmer, ohne das er ein Wort sagte. „Hallo Hannes, ich bin da! Ich habe gesagt das ich komme. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“
Er zog die Schultern hoch ohne sie anzusehen.
„Gut. Die Frage nach dem trinken, essen und duschen erspare ich mir. Das gleiche Bild habe ich noch vor Augen, nur war es damals in Thailand in eurem Haus.“
Er hob den Kopf und sah seine Chefin, die Gebietsleiterin für Südostasien, diese wunderschöne afroasiatische Frau an „Hattie, ich bin zu alt für diesen Job.“
Hattie nahm Tief Luft „Zu alt…? Zu leichtsinnig! Du rennst ohne Feuerschutz auf ein Maschinengewehr zu! Du bist der beste Leader in unsere Firma – hast du gestern wieder bewiesen, auch wenn es dein Leben gekostet hätte! Was sollte dieses Selbstmordkommando?“ „Nun mach mal einen Punkt! Ich habe das getan, womit Malcolm sein Geld verdient: Menschen zu beschützen! Dafür bin ich in diesem gottverdammten Land. Erzähl du mir nichts von Selbstmordkommando.“
Hannes sah den zornigen Blick in Hattie’s Augen und wusste, dass er seine Karten verspielt hatte.
„Ich wurde in Kenntnis gesetzt, dass du und Contreras keine ausreichende Sicherheitsausrüstung hattet. Ich hätte dafür gerne eine Erklärung.“ „I didn’t have time at that moment. Ist dies erklärt genug für dich?“

Eine Anspannung lag im Zimmer, die in diesem Moment nicht sonderlich angebracht war und Hattie kam schließlich nicht zum streiten und anbrüllen nach Kabul geflogen. Sie setzte sich zu ihm auf sein Bett und ihr kamen die Tränen. Sie legte ihren linken Arm um ihn und drückte ihn fast an sich „All dein Kummer verstehe ich. Dadurch wird Patricia nicht mehr lebendig. Du hast 1989 gewusst… dass…. dass…“ sie schloss die Augen und brauchte Zeit, um weiter reden zu können „Das dieser Tag irgendwann kommen wird. Du hast deiner Frau 10 Jahre die Welt zu Füßen gelegt und ihr täglich deine Liebe gezeigt. Es ist an der Zeit, dass du anfängst zu leben. Du kannst die Vergangenheit nicht mehr ändern, deine Zukunft schon! Du bist unermüdlich im Einsatz, nur um nicht an Patricia zu denken.“ „Ist dies so offensichtlich?“ „Eine einfache Antwort? Ja! Seit Patricia’s Tod, bist du ruhelos. Du merkst es gar nicht mehr. Mach eine Pause. Erhole dich. Komm wieder zu dir zurück!“ „Es gibt auf diesem Planeten keinen Ort, an dem ich nicht an Patricia denken würde.“
Hattie drückte ihn fester an sich „Wenn es einen Himmel gibt, wie wir ihn uns vorstellen, dann schaut Tricia auf dich. Sie ist stolz auf dich! Du hättest gestern sterben können und du lebst noch. Patricia ist bei dir, wie auch bei mir. Ich habe durch ihren Tod meine beste Freundin verloren. Hannes, es tut auch mir immer noch weh. Erinnere dich doch an all die schönen Jahre die wir zusammen hatten.“ „Hattie, die Erinnerungen sind der Grund warum ich noch lebe.“
Er weinte in ihren Armen und Hattie hielt ihn fest an sich gedrückt. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte er „Der Sicherheitschef für Afghanistan weint in den Armen einer Frau. Was bin ich für ein Chef?“ „Der Beste! Du bist immer menschlich geblieben. Dein Rückgrat und Charakter sind unvergleichlich. Hannes, komm mit mir nach Fort Lee. Malcolm möchte dich gerne als Co-Direktor in der Firma haben.“ „Oh Süße, fang doch nicht schon wieder mit dieser Nummer an.“
Hattie gab ihm einen Kuss in den Nacken und löste sich von ihm „Geh duschen. Ich muss noch einiges klären. Wenn du später bei diesem Meeting nicht dabei sein willst, verstehe ich dies sehr gut. Wenn doch, wirst du meine – wie auch Malcolms, volle und uneingeschränkte Haltung dir gegenüber wissen.“

Eine Schocknachricht

Duschen war eine gute Idee. Wie lange er nun schon wach war, konnte er gar nicht mehr sagen. Sein Kopf tat weh, die Augen waren übermüdet und sein Hirn lief nur noch auf Standby Modus.
Er suchte am Schrank nach neuen Kleider, als die Tür aufging und Sabine ins Zimmer trat.
„Ups. Na ja, wenigstens sitzt du nicht mehr an der Wand. Zieh dich bitte an, du hast Besuch.“ „Hallo Sabine, schön das du mir dies mitteilst. Komm doch bitte herein. Ich zieh mich gerade an.“
Sie kam an den Schrank und knuffte ihm gegen den Arm „Sorry Chef. Wie schon gesagt, du hast Besuch. Eine Frau Schayani möch…“ Hannes fuhr wie vom Blitz getroffen herum und schaute Sabine fassungslos an. Hörbar nach Luft schnappend sagte er „Sag… sag das noch einmal!“ „Äh, eine Frau Schayani wartet unten in der Lobby auf dich. Hannes? Was ist los?“

Hannes schwankte vor seinem Schrank und musste das gehörte von Sabine irgendwie verarbeiten. Er suchte nach Worte und wusste nicht, was er zuerst sagen sollte „Iranerin. Groß, lange pechschwarze Haare und eine Figur von einem Model?“
Sabine nickte langsam „Mit Engelsgesicht und die schönste Frau die ich je gesehen habe! Die Frau aus dem Fernsehen… jep… Genau die.“ „Großer Gott im Himmel!“
Sabine packte ihn am Oberarm und sah ihm fest in die Augen „Was ist mit dieser Frau?“ „Lange Geschichte.“
Sabine griff in seinen Schrank und gab ihm Kleider, die er anziehen sollte. Er war völlig neben der Spur und kaum fähig sich selbst anzuziehen.
„Hannes?… Was ist los? Du siehst aus als ob du einen Schock hast. Du kannst dich noch nicht einmal anziehen!“

Mit Sabine ging er die zwei Stockwerke zur Lobby herunter. Auf halben Weg blieb sie stehen und hielt ihn am Arm fest. Er schaute sie an.
„Hannes – die Frau sagte vorhin etwas zu mir.“ Sabine machte eine Pause und sah ihm in die Augen „Wenn du dich nicht an ihren Namen erinnern könntest,… soll,.. sollte… ich dir ausrichten… dass du ihr vor vielen Jahren eine Ohrfeige geben wolltest…“
Er nickte stumm und Sabine sah ihn völlig fassungslos an.

Beiden gingen die letzten Stufen zur Lobby und Hannes sah sie schon.
„Mein Gott, was für eine Schönheit. Der Engel aus dem Orient“ sagte er leise zu Sabine ohne diese anzuschauen.
Tamina und Emily saßen bei ihr. Cosima stand aus dem Sessel auf. Hannes stockte in seinem Schritt. Sabine hörte seinen Atem und wusste nicht was los war. Der Herzschlag von Hannes war an der Belastungsgrenze. Noch 6 Meter trennten ihn von diesem personifizierte Super Model. Sein Atem ging immer schneller.
3 Meter.
Sie kam langsam auf ihn zu.
Eineinhalb Meter.
Cosima liefen Tränen über die Wangen. Noch einen Schritt.
Er nahm Cosima in die Arme und brach zusammen.

Sabine war sofort bei ihm. Tamina und Emily kamen in schnellen Schritten auf ihn zu gelaufen. Aus seinem Büro kamen Marcel und Marco gelaufen. Er hörte seinen Namen wie durch Watte. Alles war verschwommen. Er sah Gesichter und Hände. Worte die er nicht hörte. Er nahm nur Laute wahr und wusste nicht ob er stand, saß oder lag. Es wurde an ihm gezerrt und gedrückt. Emily war über ihm und sagte etwas. Ihre Worte hallten in seinen Ohren, als ob er in einer Bergschlucht am Königssee stand. Bruchstücke ihrer Worte konnte sein Hirn verstehen.
Hell. Es war hell. Schatten. Worte. Licht. Gesichter. Blackout!

Irgendwann kam Hannes zu sich und wusste nicht wo er war. Er sah mehrere Kabel an sich und hörte Geräte piepen.
Emily stand links neben ihm und hielt seine Hand. „Er ist wach“ hörte er sie sagen. Hannes wusste nicht mit wem sie redete. Er drehte den Kopf nach rechts und sah Cosima am Bett sitzen. Sabine stand links neben ihr. Hattie stand an der Wand und hatte Tränen in den Augen.
„Was… was… ist los? Ich kann mich an nicht mehr erinnern.“
Cosima drückte seine rechte Hand und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.
„Salut Cosima, comment vas-tu? Ravi de vous voir. Ich sah dich im Fernsehen.“ „Salut Hannes,… mir… mir… geht es gut. Schön auch dich wieder zu sehen. Ja, ich arbeite in Paris beim Fernsehen.“
Es pikste an seinem linken Arm und er sah zu Emily. „Alles gut Ich helfe dir.“
Er sah wieder zu  Cosima und sah sie fragend an „Cosima… was… was machst du hier? Warum…?“ Er sah wieder zu Emily „Wo bin ich?“ „Auf der Krankenstation. Es ist alles gut. Ich bin bei dir.“ Er nickte Emily zu und sah wieder zu Cosima, die weiter seine rechte Hand fest hielt und streichelte.
„Ich,… ich bin dir gefolgt. Ich habe drei Jahre nach dir gesucht“ sagte sie und schluckte ihre Tränen herunter.
Sabine stand dicht bei ihr und hatte ihre Arme um sie liegen.
„Vier Jahre nach dem Tod von Patricia habe ich dich auf der halben Welt gesucht. Ich war in Kambodscha gewesen. Ich sah eure Projekte. Eure Schulen. Du warst nicht mehr da… Ich war in Thionville bei Franziska und Bernhard gewesen. Auch sie wussten nicht, wo du bist. Ein Stab an Volontäre und Redakteure im Sender suchten permanent nach dir.“ Tränen liefen über ihr wunderschönes Gesicht. Emily fragte, ob alles in Ordnung sei oder ob sie etwas zur Beruhigung bräuchte. Cosima schüttelte den Kopf.
„Ich war mit einem Team im… im Sudan, Burkina Faso und Ghana auf der Suche nach dir. In Accra haben wir deine Spur verloren.“ Cosima weinte immer mehr und konnte kaum noch sprechen.
„Cosima, warum? Ich verstehe nicht.“
Sie nickte und schluckte ihre Tränen herunter „Wie schon gesagt, eine Heerschar von Menschen hat dich auf der ganzen Welt gesucht. In den USA tauchte vor einer Woche ein Video auf…“ Cosima schluckte wieder die Tränen herunter und das sprechen fiel ihr wieder schwer. Sabine streichelte ihr über die Schultern.
„In… in dem Video… sah ich dich…. du… du saßt auf einem… einem… blauen Plastikstuhl. Sabine stand neben dir.“ Cosima liefen die Tränen nur so übers Gesicht und ihr ganzer Körper zitterte.
Hannes nickte „Khost. Das war in Khost. Wir waren im März an einem Frauenhaus. Cosima, was ist los? Warum suchst du mich auf der halben Welt?“
Sie wollte sprechen aber es kamen keine Worte über ihre Lippen. Nach dem dritten Versuch sagte sie „Ich liebe dich! Hannes,… ich liebe dich!“ Nun weinte sie bitterlich. Emily ging zu ihr „Cosima, sag Bescheid, wenn es nicht mehr geht. Okay?“ Sie nickte.
Ihre Hand zitterte immer mehr und so drückte sie die Hand von Hannes fester „Wir… wir fanden… heraus das dieses… Video aus Afghanistan stammt. … Ich flog vor drei Tagen in Paris ab um nach Kabul zu kommen. Durch die Redaktion weiß ich von diesem Haus hier. Als ich gestern beim Empfang…“ Cosima rang nach Luft „deinen… Namen sagte und… und… mir bestätigt wurde, dass du hier bist, schlug es bei mir wie ein Kometenschlag ein.“
Vor weinen und zittern konnte sie nur abgehakt reden „Emily und Sabine … wurden… sofort gerufen. Ich… ich sprach mit ihnen. Sie erzählten von dem… dem Terroranschlag am Montag. Ich… war kurz vorm Ziel und…“
Emily gab ihr jetzt eine Spritze. Cosima bebte und zitterte vor weinen und rang ständig nach Luft. Sabine drückte sie fest an sich. Auch ihr kamen die Tränen. „Ich… ich… war kurz vorm Ziel… und hätte dich… verloren…“
Sie ließ sich fallen. Ihr Kopf lag auf seiner Brust. Sie weinte so sehr, dass sein T-Shirt nass wurde und er ihre Tränen auf seiner Haut spürte. Hannes weinte und sah vor lauter Tränen nichts mehr aus den Augen. Emily wischte ihm mit einem feuchten Tuch übers Gesicht.

„Bist du ein Engel?“

Hannes spürte Wärme neben sich. Da war jemand neben ihm. Er öffnete langsam die Augen und sah, dass er in seinem Zimmer war. Er drehte den Kopf langsam nach rechts und sah in die kastanienbraunen Augen von Cosima „Bist du ein Engel? Ist dies ein Traum?“
Seine Worte hörten sich weit weg an.
„Nein! Kein Traum. Hannes, es ist kein Traum! Ich bin real. Ich bin bei dir. Weiß du… wer… wer ich bin?“ Sie weinte.
„Bien sûr, Madame. Cosima Schayani. Der Engel aus dem Orient und die Schulfreundin von Patricia.“
Sie küsste ihn und ihre Tränen tropften auf seine Wange „Oui, c’est moi. Ich stehe jetzt auf… und gehe zum Telefon. Ich rufe Emily und Sabine an… ist dies okay für dich? Ich bleibe bei dir.“ „Okay. Gut. Vielleicht bekommt mein Hirn dann endlich Klarheit. Ich habe Hunger.“

Emily war zeitgleich mit Sabine, in noch nicht einmal zwei Minuten, bei ihm im Zimmer.
Emily hatte ihren Notfallkoffer und ein tragbares EKG Gerät dabei. Sie sagte Hannes, dass sie bei der folgenden Unterhaltung gerne eine Elektrokardiografie machen möchte. Als sie die 12 Saugknöpfe unter seinem T-Shirt befestigt hatte, steckte sie ihm noch einen Pulsoximeter an den rechten Zeigefinger und stellte die Monitore auf die Fensterbank.
Hannes sah zu Emily „Mein blonder Engel, so viele Kabel für etwas Klarheit zu bekommen?“
Emily nickte stumm.

Emily und Sabine saßen ihm an dem kleinen Tisch in seinem Zimmer gegenüber. Cosima saß rechts von ihm und hielt seine Hand fest.
Sabine fing an zu reden „Hannes, an was kannst du dich als letztes erinnern? Mach langsam. Wenn du nicht weiter weißt, ist dies kein Problem. Wenn du nicht mehr reden willst – oder kannst, ist dies auch in Ordnung. Darf ich ein Tonband mitlaufen lassen?“
Er nickte Sabine zu, ohne zu wissen warum sie ihm diese Frage stellte.

Es klopfte an der Zimmertür. Sabine stand auf und ging zur Tür. Mercan kam mit einem Servierwagen ins Zimmer. Sie hatte so ziemlich alles auf dem Wagen, was es an Frühstück in diesem Haus gab. Natürlich auch zwei große Kannen Tee.
Sie stellte alles auf den Tisch und sah Hannes mit Tränen in den Augen an „Schön, dass du noch lebst.“
Sabine begleitete Mercan zur Tür und Hannes hörte, was sie ihr sagte.
„Ab jetzt darf niemand mehr stören. Auch habe ich das Telefon zu dem Zimmer abgestellt. Marco weiß Bescheid. Emily und ich sind nun nicht mehr erreichbar.“ Mercan nickte und schloss die Tür.

Sabine setzte sich wieder an den Tisch „Okay. Bist du bereit? Du kannst gerne etwas essen. Wenn es dir schwindelig oder kalt wird, sag sofort Bescheid. Emily hat alles an Medikamente dabei, was du brauchst. Wir sind ein Team und stehen dies jetzt gemeinsam durch. Ich schalte jetzt das Aufnahmegerät ein.“
„Okay. Ich bin bereit. Wie weit soll ich zurück gehen?“ „Ich sag mal so, was ich noch nicht wusste, habe ich die letzten 16 Jahre mit Hilfe von Cosima und Hattie aufgearbeitet. Es wäre toll, wenn du die letzten 72 Stunden zusammen bekommst.“
Hannes sah Sabine, Emily und Cosima fragend an „Wie lange war ich weg?“ „Eineinhalb Tage“ sagte Sabine.
Hannes sah mit offenem Mund in die kleine Runde am Tisch „Wow! Ich erinnere mich, dass ich mit drei Männer aus Mexiko und dem Personenschützer Louis Contreras auf dem Weg zu einem Terroranschlag im Distrikt Kartey Sakhi war. Ich musste ständig stehen bleiben, wegen dem Chaos auf den Straßen. In dem Distrikt war die Hölle los. Ungefähr 800 Meter vor dem Tatort eskalierte die Situation bei mir im Auto. Einer der Mitfahrer öffnete plötzlich die hintere Autotür. Die drei Mexikaner sind aus dem Auto gesprungen. Ich bin aus dem Wagen und hatte meine Waffe sofort schussbereit. Für den Schutzhelm aufzusetzen blieb keine Zeit, so hatte ich nur die Schutzweste an. Ich rannte Richtung Westen, den Mexikaner hinterher. Über das Headset war ich mit Marco in Kontakt. In dem ganzen durcheinander von Menschen und Autos habe ich die drei Mexikaner verloren. Ich suchte im lauf nach Contreras. Er war 8 Meter rechts hinter mir. Ich hörte in all dem Chaos ein Motorrad von links aus einer Querstraße kommen und sah die Kalaschnikow des Sozius zu spät. Der Sozius schoss in meine Richtung. Ich rannte auf das Motorrad zu. Zu dieser Zeit hatte ich kein freies Schussfeld. Zu viel Leute kamen von links und rechts auf mich zu gelaufen. Vor mir brach eine Frau durch die Schüsse aus der Kalaschnikow zusammen. In dem Moment als sie zu Boden sackte, schoss ich zweimal auf den Mann mit der Kalaschnikow.“
Cosima weinte und drückte seine Hand immer fester.
„Unkontrolliert schlugen plötzlich überall die Patronen aus der AK47 ein. Ich ließ mich auf den Boden fallen und suchte noch im fallen nach Contreras. Ich brauchte schließlich Feuerschutz. Dann kniete ich und feuerte zweimal auf den Fahrer von den Motorrad. Ich stand wieder auf und rannte die wenigen Meter auf den Mann mit der AK47 zu. Ich sah dass er sich bewegte, im lauf, suchend nach den Mexikaner und Contreras, schoss ich dem Terrorist instinktiv in den Kopf.“
Alle drei Frauen am Tisch stockte der Atem.
„Polizisten liefen auf mich zu. Ich brüllte, „Area not clear.“ Ich suchte den Fahrer von dem Motorrad. Ich wusste nicht, ob er eine Waffe oder Sprengstoff bei sich hatte oder ob er noch lebte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen Feuerschutz und wusste nicht wo Contreras war. Ich sah das Motorrad und den Mann gute 5 Meter vor mir rechts liegen. Er hatte einen schwarzen Rucksack unter sich. Er bewegte sich leicht und ich zielte sofort auf sein Genick. Er war aber tot. Wahrscheinlich waren es noch Reflexe der Muskeln. Ob er durch mich oder durch den Aufprall mit dem Fahrzeug starb, kann ich nicht sagen. Marco war immer noch in Kontakt mit mir. Ich fand schließlich einen Mexikaner mit Schussverletzung. Warum er hinter mir war erklärt sich mir nicht. Wahrscheinlich hatte er Panik bekommen und ist zurück gelaufen. Contreras fand ich zwischen zwei Autos auf der rechten Straßenseite mit einer Schussverletzung liegen. Er hatte einen Durchschuss am Oberarm und blutete am Kopf. Wahrscheinlich durch den Sturz. Ich machte sofort einen Druckverband bei ihm. Zu diesem Zeitpunkt war die Lage auf der Kreuzung immer noch nicht sicher. Dann hörte ich Sirenen. Marco bestätigte mir, dass sie alle zu diesem Tatort gerufen wurden. Die Sanitäter waren schnell vor Ort. Ich gab ihnen den aktuellen Status an dem Tatort und sie kümmerten sich sofort um Contreras und den einen Mexikaner. Ich suchte die zwei Kollegen von ihm, er konnte mir nicht sagen wo sie waren. Fand sie circa 20 Meter weiter in einem Hauseingang liegen. Beide waren unverletzt.“ „Okay. Super. Das ist genau nach Protokoll“ sagte Sabine.

Hannes zündete sich eine Zigarette an und goss sich Tee in sein Glas. Er zog an der Zigarette und trank zwei Schluck Tee.
„Als die Lage etwas übersichtlicher wurde, gab ich den aktuellen Status an einen Polizei Hauptmann weiter. Marco sagte ich, dass er Emily über die beiden Verletzten informieren sollte. Dann fuhr uns die Polizei zu meinem Auto. Im Hotel übergab ich die beiden Mexikaner an Sabine. Im Büro musste ich meiner Wut erst einmal Luft verschaffen.“ „Okay. Super. Sehr gut. Deine Aussage kann ich und wahrscheinlich alle im Hotel bestätigen, denn laut genug warst du.“
Hannes zog die Schultern hoch. Er nahm sich ein Stück Fladenbrot und bestrich dies mit Akazienhong.

„Ich bin irgendwann am Montagabend eingeschlafen. Marcel kam mit zwei Dosen Bier in mein Zimmer. Ich hatte mich noch über den Zustand der beiden Verletzten bei Emily informiert und war noch in meinem Büro und hatte mit Hattie telefoniert. Die ganze Nacht war ich wach in meinem Zimmer. Mein Hirn konnte nur noch Fetzen zusammen setzen. Sabine kam in mein Zimmer. Ich kann nicht sagen welche Uhrzeit und auch nicht den Tag.“ „Dienstag. Es war Dienstag, der 25. September um 9 Uhr“ sagte Sabine.
„Danke. Ich saß an der Wand auf meinem Bett und hatte eine duchgeladene und nicht gesicherte Waffe in der Hand.“ Cosima und Emily sahen ihn erschrocken an. Sabine machte ein Handzeichen und Hannes nickte ihr zu. Sie stoppt die Aufnahme.
„Hannes, bei allem Respekt, aber ich denke, dies sollte niemand etwas angehen.“
„Wieso? Ich zielte auf das Telefon.“
Sabine legte den Kopf zur Seite und sah ihn schweigend an.
Hannes nahm einen Schluck Tee und biss in sein Brot.
Die Blicke von Emily, Sabine und Hannes trafen sich.
„Hannes, Sabine hat recht. Was auch immer du eben erwähnt hast, könnte irgendwann negative Konsequenzen für dich haben. Wir sind Freunde und deine Worte bleiben auch bei uns und werden diesen Raum nicht verlassen.“
Hannes biss erneut in sein Brot und nickte.
Sabine spulte die Aufnahme zurück.
„…tember um 9 Uhr.“

Die drei Frauen bedienten sich an dem reichhaltigen Frühstück und nach einer kurzen Pause fragte Sabine, ob es weiter geht könnte. Hannes nickte ihr zu.
„Wow! Dienstag. Ich sprach mit Sabine über den Einsatz und dass ich von meinem Traum: Bildung für Kinder, schon zu weit weg bin. Sie sagte mir, dass ich mit in die Niederlande zu Dr. Erik de Joost gehen sollte. Dort wären Kinder, die mich bräuchten.“
Sabine und Emily nickte ihm zu und er machte ihnen ein Petzauge.
„Nach dem Gespräch mit Sabine kam Hattie zu mir. Uhrzeit kann ich nicht sagen.“ „Dienstag 14.30 Uhr.“ „Danke. Hattie brüllte mich an, warum ich keinen Schutzhelm trug. Ich gab ihr die passende Antwort.“
Sabine nickte „Die Unterhaltung mit Hattie habe ich bereits Protokolliert.“ „Sehr schön. Irgendwann kam Sabine wieder in mein Zimmer. Ich war nackt und im Begriff mich anzuziehen. Sabine sagte, dass ich Besuch hätte. Als sie den Namen von meinem Besuch sagte, zog es mit den Boden unter den Füßen weg. Ich war noch nicht einmal in der Lage mich selbst anzuziehen zu können. Mit Sabine ging ich die Treppe hinunter in die Lobby. Ich sah den Engel aus dem Orient vor mir. Mein Hirn konnte gar nicht mehr denken. Wie begegne ich dem personifizierte Super Model? Ich sah, dass Cosima weinte. Ich nahm sie in die Arm und in diesem Augenblick gaben meine Beine nach. Uhrzeit kann ich nicht sagen.“ „Kurz nach 16 Uhr am Dienstag.“ „Danke. Ab dann ist vieles verschwommen. Ich sah Gesichter, hörte Worte, die ich nicht wiederholen kann. Bin irgendwann aufgewacht und wusste nicht wo und wann.“
Emily gab darüber Auskunft „Du warst am Dienstag nach 16 Uhr völlig weggetreten. Du hattest einen Schock und den sehr heftig! Ich gehe davon aus, dass du von Montag auf Dienstag schon diesen Schock hattest und es ist niemand aufgefallen. Diesen Fehler habe ich mir zuzuschreiben. Du warst in einem lebensbedrohlichen Zustand! Du hattest eine schwere Kreislaufstörung. Kurz vor dem Treffen mit Cosima sollst du sehr schwer geatmet haben. Aussage von Sabine. Da bei einem solchen Schock die Blutzirkulation in den Kapillaren vermindert ist und als Folge eine Sauerstoffunterversorgung der Gewebe und in letzter Konsequenz ein Stoffwechselversagen eintritt, bist du zusammen gesackt. Daher warst du auf deinem Zimmer nicht in der Lage dich anzuziehen. Hannes, … du standst wahrscheinlich kurz vor einem Herzinfarkt oder Hirnversagen! Das du überhaupt noch aufrecht gehen konntest, ist mehr als ein Wunder! Ich hatte dir sofort 200 mg Noradrenalin gespritzt. Dein Zustand hat sich im Herzrhythmus nicht verbessert und so hatte ich dir zweimal 300 mg Erythrozytenkonzentrat gespritzt. Ich dachte du stirbst! Die folgende Nacht hatte ich ein EKG und eine Pulsoymetrie bei dir gemacht. Bonnie, Marcel, Cosima und Sabine waren die ganze Nacht bei dir. Das EKG war an eine Grenze gekommen, an der ich kurz davor war, dich zu defibrillieren.“
„Meine Güte! Was ist heute für ein Tag?“ „Donnerstag, 27. September. Wir führen auch jetzt dieses Gespräch, um eine Anamnese zu verhindern und um zu schauen wie weit dein Gehirn geschädigt wurde. Immerhin warst du 16 Stunden gar nicht ansprechbar. Die anderen 24 Stunden warst du zum Teil bei Bewusstsein, trotzdem gab ich oder Bonnie dir im Abstand von vier Stunden Medikamente um dein Herzkreislauf zu stabilisieren.“
Hannes schaute Cosima an und schüttelte den Kopf „Da soll mal jemand sagen, eine Kalaschnikow bringt einen um. Es reicht auch ein Schock.“
„Am Mittwoch um 14.48 Uhr bist du bei mir auf der Krankenstation wach geworden. Kannst du dich an das erinnern, was Cosima dir gesagt hatte?“
Er sah Cosima an „Oui. oui, Madame Schayani. Je peux me souvenir de ça! Ja, Emily, ich kann mich daran erinnern. Eine Frage hätte ich jetzt an Cosima.“
Sie sah ihn an und wartete auf seine Frage. „Bei unseren Gesprächen 1989 im Super Marché und auf der Beerdigung von Patricia, hattest du gelogen! Du hattest damals nicht den Mut gehabt mir zu sagen, dass du mich liebst. Ist dies korrekt?“
Cosima schloss ihre Augen und nickte langsam.
Sie sah zu Emily, Sabine und dann zu Hannes „Oui. Ich konnte es nicht sagen. Es war keine Eifersucht oder Hass gegen Patricia. Ich liebte dich. Ich gönnte es Patricia aber auch. Ehrlich! Ich kannte Patricia seit der 5. Klasse. Sie war schwer krank und niemand gab ihr Hoffnung, dass sie ihren 12. Geburtstag überlebt. Als sie dich 89 getroffen hatte, veränderte sie sich. Du hattest dieser Frau und meiner Freundin die schönste und beste Zeit ihres kurzen Leben gegeben.“
Emily und Sabine saßen regungslos auf ihren Stühlen.
„Im Super Marché hast du zu mir gesagt, dass meine Schönheit der Preis einer oberflächlicher Liebe sei. Ich hatte viereinhalb Jahre später deine Worte begriffen und seit dieser Zeit keinen Mann mehr an meiner Seite. Du hattest mit deinen Worten recht gehabt. Ich wurde wie eine Puppe vorgeführt. Diese Erkenntnis tat mir im Herz weh.“
Cosima fing an zu weinen.
Sabine drückte auf die STOPP Taste des Aufnahmegerätes.
„Alles weitere brauche ich nicht mehr aufzuzeichnen. Danke für deine Aussage.“

Emily entfernte die Saugknöpfe auf seiner Haut und gemeinsam fingen sie an zu frühstücken. Hannes bestellte noch eine neue Kanne Tee auf sein Zimmer.
„Frau Doktor med. Emily Collins, ist mein Hirn noch einigermaßen in Takt?“ „Deine Erinnerungen sind noch da. Ich kann hier keine Hirnströme messen, aber von der fachlichen Seite, sage ich – ja. Wie fühlst du dich jetzt? Sind deine Hände kalt, hast du Kopfschmerzen oder inneres zittern?“ „Nein. Emily, es ist alles in Ordnung – hoffe ich doch.“ „Lass uns später bitte noch ein EKG machen; okay?“ Hannes nickte ihr lächelnd zu.
„Frau Diplom Psychologin Sabine Wagner, wie beurteilst du mich? Es muss kein ausführlicher Bericht sein. Ne Kurzfassung reicht mir.“ „Hannes, du kommst wieder dort hin, wo du warst und wie jeder dich kennt. Was du in deinem Leben erlebt hast, kommt irgendwann zurück. Du arbeitest wie blöd und setzt dich permanent für andere Menschen ein. Gerade in Afghanistan ist es sehr schwierig die Sicherheitslage richtig einzuschätzen. Dies hast du in den letzten Monaten immer hundertprozentig gezeigt – und auch so gehandelt. Die Terroranschläge die du erlebt hast. Der beinahe Tod von Amira, die gebrochenen und geschundenen Seelen der Mädchen und Frauen in dem Frauenhaus, all dies ist in dir. Deine ewige Verzweiflung an dir und der Tod von Patricia. Du bist auch nur ein Mensch. Ich stelle jetzt eine These auf, die nicht fachlich, sondern menschlich ist.“
Sie schaute Hannes und Cosima lange an bevor Sie weiter sprach „Als du Cosima am Dienstag gesehen hast und sie in deinen Armen war, bist du zusammen gesackt. Du hast den Halt gesucht und gefunden und in dieser Sekunde gewusst, du bist nicht mehr alleine auf dieser Welt. Ich behaupte zu sagen: Cosima hat dir am Dienstag das Leben gerettet. Wie Emily schon sagte, war dein Zustand lebensbedrohlich.“
Er sah Cosima an und ihm schlug das Herz bis in den Hals. Dann sah er Emily und Sabine fragend an.
Sabine grinste breit „Ja, Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
Hannes sah dieses engelsgleiche Gesicht einer Iranerin vor sich und küsste diese wunderschöne Frau lange auf den Mund.
Er wollte sich nie mehr von dieser Schönheit lösen. Ihn überkam plötzlich eine Scham, wie bei einem kleinen Jungen, der von seinen Eltern entdeckt wurde, etwas falsches getan zu haben. Mit leicht rotem Kopf trennte er sich von Cosima und sah sogleich an Emily und Sabine vorbei.
Emily und Sabine klatschten sich ab und grinsten.
„Ja, Chef, du kommst wieder in die Spur“
„Ich danke euch. So wie es aussieht, habt ihr drei mir das Leben gerettet.“

Freitagmorgen 7.20 Uhr

Es war eine Nacht, nach der er sich sehr lange gesehnt hatte: ein Frau neben sich liegen zu haben. Es tat ihm gut jemand zu spüren, zu streicheln und fest zu halten. Cosima war mit ihren 37 Jahren eine Frau, wie es nur wenige auf dieser Welt gab. Groß, schlank und von einer atemberaubenden natürlicher Schönheit.
Sie war tatsächlich das personifizierte Super Model und hätte für die größten Modelabels dieser Welt deren Kollektionen auf den Laufstegen in New York, Mailand, Florenz, London und Paris tragen können.
Der Engel aus dem Orient, mit Iranischen Wurzeln, lag neben ihm im Bett. Vor vier Nächten saß er auf diesem Bett und wollte sein Leben beenden, nun lag die wohl schönste Frau aus Frankreich bei ihm. Er streichelte ihr Gesicht, sie öffnete ihre wunderschönen Augen.
„Désolé, je ne voulais pas te réveiller.“ „Du hast mich nicht geweckt. Ich bin schon lange wach. Ich habe dich atmen gehört. Ich habe Angst, dass du noch einen Herzinfarkt bekommst.“ „Das EKG gestern Abend war doch gut.“
Sie sah ihn mit ihren unglaublich schönen Augen an „Gut? Monsieur, gut ist etwas anderes.“ „Hmmm. Wenigstens mein Hirn funktioniert wieder, oder es sind am Dienstag eine Milliarde Gehirnzellen abgestorben und ich bin wieder der Klassenkasper von früher.“
Cosima nahm Tief Luft „Das ist nicht lustig! Du begreifen immer noch nicht, dass dein Leben an einem Seidenen Faden hing.“ Sie fing an zu weinen.
„Doch. Doch, Cosima, ich begreife. Vor vielen Jahren fragte mich in Fréjus ein alter Mann mit Baskenmütze, ob ich an Gott glaube. Ich sagte: Nein. Am Dienstag sah ich den Engel, den Gott mir geschickt hat. Als ich dich gestern gefragt habe, ob du ein Engel bist, wusste ich nicht auf welcher Ebene im Leben ich tatsächlich war. Ich wusste noch nicht einmal ob ich überhaupt noch Lebe.“
Sie küsste ihn und hielt in fest in ihren Armen „Du lebst! Du lebst noch. Hannes, ich habe die Aufzeichnung vom Montag gehört! Was du in diesen Minuten erlebt hast, kann sich kein Mensch auf dieser Welt auch nur annähernd vorstellen. Ich habe die Schüsse gehört. Habe gehört, wie du in Bruchteilen von Sekunden die Lage unter Kontrolle gebracht hast. Dir haben viele Menschen ihr Leben zu verdanken. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welchen Anblick du hattest, als die Frau vor dir tot auf den Boden fiel und du geschossen hast.“ „Es ist vorbei. Lass uns frühstücken gehen. Ich habe Hunger.“

Frühstück mit Freunden

In Konferenzraum neben seinem Büro wurde für sie gedeckt. Sein komplettes Team war da, auch Hattie, Marco, Tamina, Chris und Stacey.
Hannes stellte Cosima den Personen vor, die sie noch nicht kannte. Es war ein gutes Gefühl mit den Menschen zusammen zu sein, die ihm so viel bedeuteten. Er dankte seinen Mitarbeiter und Freunde für ihre Hilfe, Unterstützung und die Anteilnahme von seinem Schock.

Nach dem fürstlichen Frühstück nahm Cosima die Hand von Hannes und erzählte seinem Team von der Odyssee ihrer Liebe. „Als Hannes mit Patricia 1990 nach Kambodscha ging, habe ich angefangen Journalistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft zu studieren. Nach dem Studium war ich bei einer Lokalen Zeitung in Metz als Volontärin. Im Flur hingen einige Fotos die die Highlights der Zeitung zeigten. Natürlich hing auch die Liebeserklärung von Hannes, die Aktion mit der Feuerwehr Drehleiter an Patricia’s 19. Geburtstag dort. Täglich sah ich dieses Foto und täglich gab es mir einen Stich ins Herz. Ich habe mich in meinem Beruf unglaublich eingebracht und kam zu Télévision Française 1. Dort erst als Redakteurin, dann Moderatorin für Lokalnachrichten bis zu der Moderation von „Journal de 20 heures“. Dies ist die tägliche 20 Uhr Nachrichtensendung und gehörte zu den meistgesehenen Fernsehnachrichtensendungen in Europa.“ Am Tisch hörte jeder aufmerksam und mit großem Respekt der Vita von Cosima zu.
Sie streichelte Hannes und sagte weiter in die Runde „Dieser Mann hatte mir im Dezember 1989 klare und unmissverständliche Worte gesagt. Wochen zuvor wollte er mir eine Ohrfeige verpassen.“ Sie gab ihm einen Kuss und streichelte seine rechte Wange „Meine Schönheit sei der Preis von oberflächlicher Liebe. Hannes hatte recht! Ich wurde von meinen damaligen Freunde nur vorgeführt. Sie waren alle so stolz auf sich, eine so schöne Frau im Bett zu haben. Ich wurde regelrecht vergewaltigt, denn diese Männer scherten sich einen Dreck um mein persönliches Verlangen nach Liebe – ich meine nicht die körperliche Liebe.“
Mit zum Teil offenen Münder verfolgte die kleine Gruppe ihre direkte Offenheit.
„Nach dem Tod… von Patricia“ sie schluckte die Tränen herunter „wollte ich diesen Mann haben. Drei Jahre habe ich fast jede Nacht geweint. Ich weinte, weil ich nicht meinen Mut nehmen konnnte, um ihm meine Liebe zu gestehen. 2003 flog ich endlich nach Kambodscha. Ich reiste wochenlang durch dieses Land auf der Suche nach ihm. Ich fand seine Handschrift in Schulen und Infrastrukturen in ganzen Land, nur war ich zu spät.“
Den Frauen am Tisch liefen die ein oder andere Träne die Wangen herunter. Die Männer saßen wie versteinert am Tisch.
„Ich stand in tropischen Wälder vor der „Lefévre School“. Ein Denkmal an meine Freundin und die Frau von Hannes. Ich hatte Tränen in den Augen. Eine französische Lehrerin kam auf mich zu und war sehr besorgt um mich. Sie stellte sich als Clodette Léglise vor und nahm mich mit in die Schule. Ich sagte Clodette woher ich Patricia und Hannes kenne. Sie erzählte mir an diesem Nachmittag und den darauf folgenden vier Tage so vieles von den beiden, dass es mich mit Stolz erfüllt Patricia und Hannes als meine Freunde nennen zu können. Nach meinem Urlaub nahm ich all meinen Mut zusammen, um Hannes zu suchen. Wo sollte ich nach einem ruhelosen Mann suchen? Also fing ich an, den Menschen, denen ich im Sender vertraute, von meiner Liebe zu erzählen. Zwei Dutzend Volontäre und Redakteure suchten dreieinhalb Jahre auf der ganzen Welt nach ihm. Sie suchten nach Beiträgen, Meldungen und Nachrichten von Projekte, die nur er machten konnte.“
Hannes sah Cosima ungläubig an und schüttelte immer wieder den Kopf.
„Ein Sender aus Kenia berichtete von einem Schulprojekt im Sudan. Das war seine Handschrift! Ich hatte eine Spur von Hannes.“ Cosima wischte sich ein paar Tränen weg und zog die Nase hoch.
„In der Redaktion wurde endlich entschieden, darüber zu berichten. Ich konnte den Chefredakteur überzeugen, vor Ort eine Reportage zu machen. Bis dies alles genehmigt war, vergingen Wochen – denn es war nicht tagespolitisch brisant. Mit einem Kamera- und Tonmann machte ich mich auf den Weg nach Ost- und Westafrika. Nach zwei Wochen fanden wir die Schulen. Auf dieser Suche wurde… wurde auf mich geschossen.“
Emily setzte sich jetzt neben Cosima und fragte, ob sie etwas zur Beruhigung bräuchte, sie nickte und Emily gab ihr eine Tablette. Alle anderen im Raum trauten sich noch nicht einmal zu atmen, bei dem was Cosima erzählte.
„Vom Sudan ging es nach Burkina Faso, auch dort war er gewesen. Mittlerweile weiß ich auch, dass Marcel Chevalier bei ihm war. Marcel, danke, dass du auf ihn aufgepasst hast. Tu es une bonne personne.“
Marcel nickte Cosima zu „Hannes ist mein Freund.“ „Je sais que. Ich weiß. In Accra, in Ghana, hatten wir eure Spur verloren.“ Cosima schluckte die Tränen herunter. „Mein Gott, was für ein Trip“ sagte Hattie leise, aber so, dass es immer noch jeder am Tisch hören konnte.
„Ich musste wieder zurück nach Paris. Ich musste schließlich das „Journal de 20 heures“ moderieren. Ein gutes halbe Jahr später, fand ein Volontär einen Beitrag aus Australien über ein Frauenhaus in Afghanistan. Es war eine Spur – wenn auch nur eine kleine. Vor einer Woche tauchte ein Video in den USA auf. In diesem Video sah… sah ich Hannes in eben jenem Frauenhaus.“
„Dies ist die Urheberin von dem Video“ unterbrach Hannes sie und zeigte auf Stacey, die schräg gegenüber Cosima saß.
Cosima nickte ihr zu und sagte leise „Merci beaucoup, Stacey. Ich danke dir von ganzem Herzen für diese Bilder.“
Stacey wollte etwas sagen, ihr kamen aber keine Worte über die Lippen. Sie nickte Cosima zu.
Cosima wischte sich erneut ihre Tränen weg „Am … am… Sonntagnacht bin … ich dann endlich von… von… Paris nach Kabul geflogen. Durch den Sender weiß ich von … von… diesem Haus und wurde vom Flughafen direkt hier her gefahren.“ Das reden fiel ihr immer schwerer. Cosima nahm mehrmals Tief Luft „Als… als… ich hier ankam, wurde … ich von Tamina begrüßt. … Ich… ich… sagte wer ich bin, zeigte ihr meinen Presseausweis und … und… fragte nach Hannes. Als sie sagte, dass… dass… er hier… in… im… diesem… Haus sei… brach ich vor ihr zusammen. … Tamina rief sofort Emily. In… in… dem Gespräch mit ihr stellt sich heraus, dass … dass… Hannes ihr Chef ist und ich fing an zu weinen. Nun, … den Rest kennt ihr.“

Jeder am Tisch hatte Tränen in den Augen bei dem was Cosima ihnen erzählte hatte.
Die Worte von Cosima wirken nach. Lange sagte niemand etwas.
Hannes sah in die Runde seiner Freunde und Kollegen und dann sah er in die kastanienbraunen Augen von Cosima.
„Und ich dachte eine Feuerwehr Drehleiter sei groß. Cosima, dass war es noch nicht einmal im Ansatz.“

Gedanken über die Zukunft

Gegen Mittag saßen Cosima und Hannes im Park unter den Bäumen, das Wasser vom Springbrunnen im Hintergrund plätscherte leise. Sie hatte ihre langen Beine auf seinen liegen und hielt seine Hand fest. Sie sah ihn lange an und er sah in ihre wunderschönen iranischen Augen.
„Ich weiß wie sehr du Patricia geliebt hast. Gibt es in deinem Herz eine Chance für mich?“
Er sah sie an, sah weiter in ihre kastanienbraunen Augen.
„Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Hattie hatte am Dienstag zu mir gesagt, dass ich die Vergangenheit nicht mehr ändern kann, wohl aber meine Zukunft. Das du mich hier in Kabul gefunden hast, habe ich deiner Liebe zu verdanken. Das ich noch lebe – auch. Ich will und muss endlich nach vorne schauen. Ja, Cosima, in meinem Herz ist Platz für deine Liebe.“ Sie setzte sich auf seinen Schoß und sie küssten sich lange.

Fahim, Farahnaz und Sahar brachten Tee, Gebäck, dicke Kissen und Decken zu ihnen in den Park. Farahnaz breitet zwei großen Decken unter einer Pappel nahe der Buchsbaumhecke aus und Sahar legte vier schwere dicke rote Kissen drauf. Fahim stellte das große Tablett etwas schräg links oben auf die Decke.
„Hannes, Cosima, kommt. Genießt den schönen Tag unter dem Baum.“

„Madame Schayani, herzlich willkommen in Afghanistan. Lass uns Picknick machen.“ Hannes zog Cosima von ihrem Stuhl und Hand in Hand gingen sie die 10 Meter zu dem für sie eingerichteten Lager unter einer Pappel. Beide bedankten sich bei den drei Frauen für diese Aufmerksamkeit.

Cosima lag mit ihren Kopf auf seiner Brust uns aß Feigen. Hannes sah viele Bilder aus der Vergangenheit und wollte dies Cosima nicht sagen. Durfte er an Patricia denken, wenn er Cosima streichelte? Bei aller Romantik kamen auch wieder seine Zweifel hoch: konnte er sich jemals wieder in eine Frau verliebt ohne an Patricia zu denken?

Der Lärm von Kabul hörte man in diesem wunderschönen Park gedämpft und man konnte tatsächlich vergessen, dass man in einem der gefährlichsten Ländern der Welt war.
„Es ist wirklich schön hier. Man kann vergessen wo man ist“ sagte Cosima und reichte Hannes eine Dattel.
„Komisch, gleiches habe ich eben gedacht.“
Cosima drehte ihren Kopf nach links und sah Hannes an „Du berührst mich auf eine unbeschreibliche Art.“
Hannes nickte leicht und biss sich auf die Lippen.
„Was? Was hast du?“ Fragte Cosima. „Nichts. Alles gut.“
Cosima setzte sich auf und sah ihn fordernd an.
„Also gut. Was du eben gesagt hast, hatte auch Patricia oft gesagt. Tut mir leid. Ich wollte die Romantik mit dir nicht zerstören.“ „Oh Hannes, du hast nichts zerstört. Mir war klar, dass unsere Liebe nicht einfach werden wird. Immerhin liebe ich den Mann von meiner verstorbenen Freundin. Glaubst du mir fällt dies leicht? Ich habe oft mit Gott – und auch Psychologen gesprochen, ob es richtig ist was ich tue? Begehe ich mit meiner Liebe zu dir einen Verrat an Patricia? Ich hatte dich gefragt, ob in deinem Herz Platz für mich ist. Und du hast ja gesagt. Nun liegen wir hier unter einer Pappel und müssen mit dem klar kommen, was wir wollen.“
„Pourquoi l’amour doit-il être si compliqué?“ Sagte Hannes und streichelte Cosima’s Gesicht.
Sie lachte „Nun hast du ausgesprochen was ich gedacht habe. Ja, warum muss die Liebe so kompliziert sein? Wie geht es nun weiter mit uns? Wo willst du hin? Was willst du machen?“
Hannes zog die Schultern hoch „Ich weiß es nicht. Am Anfang von diesem Einsatz hat mir ein guter Journalist aus Australien, von dem der Beitrag über das Frauenhaus ist, einen Vorschlag gemacht, doch in die Medienindustrie zu wechseln. Nun – eine kluge und erfahrene Begleiterin hätte ich. Auch wenn ich ab nächster Woche in Thionville wohnen kann, meine Wurzeln sind nicht mehr dort. Ich bin in der Firma der Sicherheitschef für Afghanistan, ich mag kein Terror, Krieg und Tod mehr. Mein Traum ist und bleibt die Bildung für Kinder.“ „Komm mit mir nach Paris. Ich habe ein Haus in Montmartre. Dort fangen wir neu an – egal welche Startschwierigkeiten wir haben. Komm mit zu mir.“
Hannes nickte dieser schönen Frau aus dem Orient zu „Oui, Madame Schayani, c’est une bonne idée. Lass uns neu beginnen. Vorher müsste ich aber noch nach Korsika.“ „Korsika…?“ Sie sah in mit ihrem Engelsgesicht fragen an.
„Billard spielen…“
Es dauerte einen Moment bis Cosima es verstanden hatte und lachte „Du wirst dich niemals ändern.“ „Claude ist mein Freund.“
„Hast du noch Kontakt zu ihm?“ „Ja. Ist eine längere Geschichte.“
Cosima gab ihm einen Kuss „Na, dann. Auf nach Korsika. Monsieur Moreau wird aus allen Wolken fallen, wenn wir bei ihm vor der Tür stehen. Ich habe Claude zuletzt auf der Beerdigung gesehen. Weist du Hannes, du hast in all den Jahren einen großen Teil der Schulklasse von Patricia zusammengehalten.“ „Oui Madame, und dies sogar ohne Abitur.“
Hannes nahm den Engel aus dem Orient in seine Arme, roch diese unglaublich schöne Frau und küsste sie sehr lange.

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