Svay Rieng Agro-products Cooprrative
Samstag 10. Juli 1993
Eine Nacht voller Schmerzen war um 6.30 Uhr vorbei. Patricia half Hannes ins Badezimmer. Das heiße Wasser aus der Dusche tat ihm gut.
„Ma Chérie, wie willst du heute den Tag überstehen? Du kannst vor Schmerzen kaum laufen? Ich fahre jetzt in eine Apotheke und kaufe Schmerzmittel.“
Mit einer großen Tasse Kaffee und in Boxershorts gekleidet lag Hannes auf der Couch und ging in Gedanken den heutigen Tag durch. Es klopfte an der Tür. Er quälte sich zur Tür und sah Bonahathavuth vor sich stehen. „Salut Chef, tut mir leid, dass ich dich stören. Ich habe Salbe für dich.“ „Dankeschön Bonahathavuth. Patricia ist vorhin in eine Apotheke gefahren. Da du schon einmal da bist, kannst auch du mich verarzten. Komm rein. Möchtest du noch einen Kaffee haben?“ „Gerne.“
Hannes ging vor ihr zur Küche und Bonahathavuth sah seinen Rücken, Steißbein und Ellenbogen. „Meine Güte! Du hast dir aber richtig einen gegeben. Warum hast du gestern nichts gesagt?‘ Ich wäre am Abend noch Schmerzmittel und Salbe kaufen gefahren. Na komm, ich reibe dich ein.“ Bonahathavuth schmierte die mitgebrachte Salbe auf seinen Rücken und er dachte, er würde verbrennen. „Was ist das für ein Zeug?! Das brennt wie Feuer!“ „Diclofenac. Es hilft aber auch.“ „Bei was? Beim verbrennen der Haut?“ „Das ihr Männer immer so wehleidig sein müsst.“
Bonahathavuth war sechs Jahre älter als er und war eine der ersten Büroangestellte bei ODHI in Kambodscha. Er mochte sie, weil sie eine sehr mütterliche Art an sich hatte.
Beim Kaffee saßen beide im Wohnzimmer. „Chef, wie geht es dir? Ich meine jetzt nicht deine Schmerzen.“ „Was soll ich dir sagen? Du hast die Informationen, Notizen und Fotos von Chenda gesehen. Es beginnt alles wieder von vorne. Lassen wir uns überraschen was heute alles besprochen wird.“
Patricia kam ins Appartement und hatte eine Tüte mit Schmerzmittel dabei. Bonahathavuth sagte ihr, was sie schon an Salbe auf seinen Rücken geschmiert hat. „Danke Bonahathavuth. Dann nimm bitte noch zwei Schmerztabletten. Ich geh noch schnell duschen.“
Um 7.30 Uhr war Hannes in seinem Büro und heftete noch einige seiner Notizen und Karten an eine freie Tafel. Chenda hatte am Vorabend hervorragende Arbeit geleistet. Sie hatte Verbindung zu Notizen und Bildern farblich mit Schnüren markiert. Ihr Schema sollte eigentlich jedem Betrachter klar werden. Ratanaa kam in sein Büro und fragte nach den Namen der Teilnehmer. Sie sollte von Eliane Namensschilder schreiben. Hannes gab ihr die Namen, Organisation oder Stellung der einzelnen Personen.
In dem ehemaligen Hotelfoyer von dem heutigen Bürogebäude waren 8 Tische für das Frühstück aufgebaut. Das Foyer war sehr geschmackvoll mit Blumen und Palmen dekoriert. Im Büro sah es besser aus als in ihrem Hotel in Svay Rieng. Das dieses Gebäude einst ein Hotel war, war jetzt bei der Bewirtung von so vielen Leuten ein sehr großer Pluspunkt. Eliane hatte sogar zwei Köchinnen organisiert, die ein kleines Frühstücksbuffet aus asiatischer und europäischer Küche bot. Sovanni und Kom übernahmen sehr souverän die Bewirtung der Gäste.
Hannes saß am dritten Tisch und hatte von dort einen guten Blick auf den Eingang und den Flur an den Büros vorbei.
Chenda und Hudson kamen durch die Mitteltür der beiden Bauten Hand in Hand durch den Flur. Chenda bemerkte Hannes und zog sofort die Hand weg. Hannes musste grinsen.
Eliane kam zu ihm mit Kaffee und Reisbrei an den Tisch und grüßte in ihrem luxemburgischen Dialekt „Gudde Moien Hannes, wéi geet et de Moien?“ „Gudde Moien Eliane, Bonahathavuth hat mich mit irgendeinem Teufelszeug eingerieben, so langsam fängt es an zu wirken – brennt nur wie Feuer. Ihr habt diesen Raum sehr schön hergerichtet. Es könnte immer so bleiben.“ „Danke. Finde ich auch. Die Mädels haben sich sehr viel Mühe gegeben. Hannes – du siehst, jeder ist für dich da. Wir bekommen die zwei anderen Projekte von Chenda auch gestemmt.“ „Ich weiß. Wir sind schon ein gutes Team.“
Chenda und Hudson gingen auf das Buffet zu und grüßten im vorbeigehen Hannes und Eliane. Den beiden war es offensichtlich peinlich, dass er sie Hand in Hand gesehen hatte. Hannes lachte und Eliane sah ihn fragend an.
„Kinder! Ich bin gleich wieder da. Möchtest du noch einen Teller Reisbrei haben?“ Eliane nickte. Hannes ging schwerfällig zum Buffet und bestellte zwei Teller Reisbrei. Chenda stand verlegen neben ihm und wartete auch auf ihren Reisbrei.
„Chenda, ihr beide seid alt genug und um ehrlich zu sein, bin ich sogar froh für Hudson. Er braucht einen Halt und du kannst ihm diesen geben.“ Chenda lächelte ihn an.„Danke.“ „Wofür? Wir können nicht bestimmen wo die Liebe hinfällt.“
Mit den zwei Teller Reisbrei setzte er sich wieder zu Eliane an den Tisch. Chenda und Hudson saßen an dem Tisch ihm schräg gegenüber. Sie gab Hudson einen Kuss und lächelte Hannes an. „Ach, Eliane, ist die Liebe nicht schön?“ „Wéi kommt Dir elo dermat?“ „Naja, Chenda und Hudson. Bei den beiden hat es offensichtlich gefunkt.“ Eliane grinste. „Sehr schön. Ich freue mich für die beiden. Hudson hat sich die letzten Jahre gewaltig geändert und Chenda ist eine anständige und kluge junge Frau. Als mir damals Stephane die Bewerbung von Hudson schickte, dachte ich nichts gutes. Ein mehrfach Vorbestrafter wird uns sehr viel Ärger und Sorgen machen. Arthur hatte ihm damals sehr energisch klar gemacht, dass er ihm eine Chance gibt, aber nicht sein Bewährungshelfer sei. Im Grunde waren wir dies aber alle – irgendwie. Seit zwei Jahren ist er Teamleiter und macht seine Arbeit sehr gut.“ Hannes nickte ihr zu. „Absolut! Ich dachte vor drei Jahren auch so. Hudson hat sich sehr zu seinem Vorteil geändert. In England wäre er niemals aus seinem Milieu heraus gekommen.“
Der Frühstücksraum war schon fast mit allen Personen besetzt, als er Patricia, Sylvie und Maona durch den Flur kommen sah. Drei Frauen und eine schöner als die andere. Patricia hatte einen schwarzen Minirock und rotes T-Shirt an. Sylvie eine leichte Baumwollhose in mint und orangenes Top. Maona trug ein sehr feminines Elegantes grünes Kleid mit Dekolleté. Diese Frau hatte Charisma und ein Auftreten von einer Königin.
Als alle drei den Frühstücksraum betraten, ging schlagartig der Geräuschpegel runter. „Allein ihr Name ist ausreichend um die Partei durch die Decke zu schießen“ – nicht nur der Name, auch ihr Auftreten!
Alle drei setzen sich zu Eliane und Hannes an den Tisch und grüßen beide auf französisch. „Ich sehe, ihr versteht euch sehr gut“ sagte Hannes. Alle drei nickten und erkundigten sich über seinen Gesundheitszustand. Er sagte das gleiche wie zuvor Eliane.
Fiede kam an den Tisch und gab Eliane einen Kuss. Er grüßte alle am Tisch und meinte, dass eine solch schöne und große Runde bei einem Frühstück jeden Tag sein könnte. „Da hast du recht. Eine solche Runde hatten wir vor dreieinhalb Jahren in Svay Rieng. Wie vermisse ich diese Zeit und wie sehr genieße ich diesen Augenblick“, sagte Hannes mit sehr viel Wehmut in der Stimme.
Coady kam mit Melanie, Chris und Stacey in den Raum. Hannes winkte ihnen zu und Fiede rückte den Tisch links von ihnen zusammen. Hannes stellte die vier Neuankömmlinge Maona und Sylvie vor. „Weltbank?“ Sagte Maona leise und respektvoll zu Hannes, als er ihr Coady vorstelle.
„Sie sind also die Frau, warum unser Hannes solche Blessuren hat?“ „Ich merke, Sie sind gut informiert. Ich bin Maona.“ „Coady. Hallo Maona.“
Alle anderen stellten sich auch gleich mit Du vor. Coady wollte von Hannes und Sylvie Einzelheiten wissen, wie der Stand von dem Trockenfeldanbau-Projekt war. „Später Herr Dr. Levis. Später. Nun lass uns erst einmal frühstücken. Der Tag wird anstrengend genug.“ „Entschuldigung, du hast recht. Dann sag ich dir auch nicht dein Kontostand – bäh“, dabei machte Coady eine Grimasse.
Hannes sah auf die große Wanduhr, die oberhalb von der Empfangstheke hing. 8.47 Uhr zeigten die Zeiger. Er sah zu Patricia und sie nickte „The show must go on.“ „Oui Madame.“ Er stand auf und bat um Ruhe. „Guten Morgen. Freunde und Mitarbeiter von ODHI, euch allen ist bekannt warum wir uns heute hier treffen. Wir planen und organisieren heute drei Projekte. Das erste wird die Gründung eines Agrarkollektiv in Svay Rieng sein. Das zweite ist ein neues Wasserbau-Projekt in den Provinzen Kampot und Takeo. Das dritte ist ein Trockenfeldanbau- Projekt, welches es in dieser Größenordnung und Form bis jetzt auf der Welt noch nicht gibt. Projekt Nummer Eins wird in dem letzten Büro auf der linken Seite stattfinden. Ich habe im Vorfeld die Namen zu den einzelnen Projekten geschrieben. Ratanaa wird euch gleich die Listen mit Namen und Büros verteilen. Das zweite und dritte Projekt wird in meinem Büro stattfinden. Da an Projekt I und III einige Personen doppelt mitwirken, ist dieses Projekt für den Nachmittag geplant. Am Abend lade ich alle Anwesenden zum BBQ ein. Es gibt Grillfleisch aus meiner Heimat in Deutschland. Natürlich gibt es auch asiatisches Essen. So weit ich gesehen habe, gibt es für den Abend auch keinen Mangel an Getränke. Ich danke euch jetzt schon für eure Unterstützung. Auch möchte ich mich ganz herzlich bei euch aus dem Büro für die Organisation zu diesem Meeting bedanken. Das Mittagessen ist für 13 Uhr geplant. Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: was wir hier und heute beschließen schreibt Geschichte für Kambodscha. Ihr alle tragt einen Teil für die Zukunft dieses Landes bei. Gutes gelingen. Danke.“
Unter Applaus erhoben sich die Freunde und Mitarbeiter um sich zu den Büros zu begeben oder um ihrer Arbeit nachzugehen.
Hannes fragte Kom, ob sie noch schnell auf den Markt fahren könnte um noch 6 Kilo Schweinekamm, 8 Kilo Kartoffeln und Zwiebeln zukaufen. Es waren doch erheblich mehr Leute bei diesem Meeting als er plante. Aus der Erfahrung mit seinen thailändischen Nachbarn wusste er, dass sein Idar-Obersteiner Schwenkbaren großen anklagen finden wird.
Im Büro von Hannes stellte Chenda ihre Recherchen der letzten sechs Tage vor. Sovanni teilte sogleich den Anwesenden eine Mappe mit den gleichen Informationen aus, die Chenda ansprach. Coady sah bei der einstündigen Erläuterungen oft Fassungslos zu Hannes.
Fiede stellte die zusammengetragen Informationen rund um den Hochbau in 30 Minuten vor. Wie zu erwarten, war alles sehr Stümperhaft gebaut und der Großteil der Pumpen viel zu klein.
Hudson gab sich bei den beiden Firmen als Journalist aus. Er würde für ein englisches Wirtschaftsmagazin einen Fachartikel zu der Wasserversorgung in Kambodscha schreiben. Sehr großzügig waren die Vorarbeiter mit Plänen, Details und jetzigen Stand der Arbeiten. Hannes dachte er hört nicht richtig bei den Ausführungen von Hudson. Die Begleitmappe von Hudsons Vortrag umfasste 76 Seiten.
Als Hudson geendet hatte sah er zu Hannes. „Du sieht etwas geschockt aus.“ „Hudson! Geschockt? Das ist Werksspionage par excellence!“ „Warum Spionage? Es wird doch in einem Fachblatt abgedruckt. Ich habe sogar versprochen einige Ausgaben zu schicken.“ Alle im Raum lachten.
„Da fehlen mir die Worte! Trotzdem danke für diese wahnsinns Leistung. Du hast uns sehr viel Zeit und Arbeit abgenommen.“
Um 11 Uhr war dies so weit alles besprochen und der Notfallplan von Chenda und Hannes sollte spätestens vier Wochen nach dem GO der Weltbank greifen. Coady wollte eine Woche. Hannes konnte und wollte dies aus personellen Gründen nicht zusagen.
Da Fiede und sein Team anhand der Informationen von Chenda und Hudson auf einen bis dato gerechneten Betrugsschaden von 2,37 Millionen US-Dollar kamen, würde Coady am Montag das UN Hochkommissariat einschalten und den aktuellen Stand des Schadens auch so weiter geben. Alle Zahlungen seitens der Weltbank würden trotzdem vorerst weiter laufen, um keinen Verdacht zu erregen.
Rithisak sagte militärische Hilfe in beiden Provinzen mit bis zu je 150 Soldaten zu. Hannes notierte sich diese Zahl auf seiner Liste. Diese Zahl gefiel ihm sehr gut. So brauchte er weniger Mitarbeiter von ODHI. „Danke. Rithisak. Diese Zahlen erfreuen mich sehr. Wie sieht es mit Baumaschinen aus? Was könnte uns das Militär dort anbieten?“ „Vorab Unterstützung durch Lkw um den Müll zu entsorgen. Eventuell auch wieder ein oder zwei Grader. Bagger hat die Armee nicht so große wie du brauchst. Wäre aber möglich für die Abwasserentsorgung Baumaschinen und Soldaten abzustellen. Ich werde auch ein Trupp, also 30 Soldaten, aus Svay Rieng abstellen. Diese Soldaten waren zu Beginn in Kampang Rou dabei und sind auch schon Informiert worden. Wir werden anrücken, wenn Coady dir das GO gibt.“
„Hervorragend. Dankeschön.“
Hudson fügte noch die Baumaschinen vor Ort an und sei der Meinung, dass man mit 10 Bagger, 3 Kranbagger, 5 Mehrzweckgeräte, 4 Radlader und 4 Lkw bestens aufgestellt wäre. „Hudson, deine kleine Auflistung sind mal eben 2 Millionen US-Dollar. Schreibe diese Zahl bitte noch zu deiner Information. Danke“ sagte Hannes.
Melanie und Patricia kamen ins Büro. Patricia setzte sich zu Hannes und sagte leise, dass seine Bestellung an Fleisch soweit vorbereitet wäre. „Danke Prinzessin.“ Sie reichte ihm einige Blätter von der anderen Arbeitsgruppe. Hannes las den Titel auf dem Deckblatt:
Die Vorfinanzierung
„Ließ“ sagte sie leise.
Bong stelle nun die Berechnung der noch zu verlegenden Wasserleitungen vor. Hannes höre ihm mit einem Ohr zu, da er die Blätter las, die ihm Patricia gab.
• Die Vorfinanzierung wird eines der Grundlegende Kernstück von „Svay Rieng Agro-products Cooprrative“ sein. Sie eröffnet den Bauern den Zugang zu Betriebskapital so dass sie die notwendigen Anfangsinvestitionen tätigen können und über Geld verfügen für den Ankauf von Saatgut, Jungpflanzen und Geräten.
• Dank der Vorfinanzierung verschuldet sich die Bauern nicht am Anfang der Gründung und können ihren Anbau besser planen, da diese genau wissen welche Erzeugnisse sie verkaufen und verteilen werden: dies ist die Abnahmegarantie von „Svay Rieng Agro-products Cooprrative“
• Die Vorfinanzierung wird erst ab dem ersten Folgejahr im Zehnten Teil der Erzeugnisse / Gewinn in Raten über die
• Saison verteilt zu festen Zahlungen vereinbart.
• Die Vorfinanzierung wird anhand eines Vertrages materialisiert, oder aber durch ein anderes schriftliches Dokument, das belegt, dass eine Person (Landwirt) sich verpflichtet Mitglied von „Svay Rieng Agro-products Cooprrative“ zu werden. Der Vertrag ist die schriftliche Grundlage für die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen.
Ausarbeitung: Levi Flacks
Gezeichnet: Geschäftsführung
Maona Sokthat
Geschäftsleitung
Yupa Ngampho, Samnang Duong
Hannes sah Patricia an und wusste gar nicht was er ihr sagen sollte.
„Mehr an gerechtem Marxismus geht wohl nicht“ sagte Patricia leise. Hannes nickte wortlos.
„….Länge der Wasserleitungen sollen so mit eines der kleinsten Probleme für dieses Projekt sein“ sagte Bong am Ende seiner Vorstellung.
Hannes ging an die Tafeln und führte noch ein paar Kleinigkeiten an. Er bedankte sich für diese doch sehr schnelle Lösungen bei seinen Mitarbeiter und Übergabe offiziell Chenda Sompheap und Hudson Rhys die Projektleitung für die Provinzen Kampot und Takeo.
Im Foyer wurden schon die Vorbereitungen für das Mittagessen getroffen. Da im Büro von Hannes weiter über das Projekt gesprochen wurde und er nicht zugegen sein musste, saßen Coady, Hannes, Melanie, Patricia und Rithisak am ersten Tisch und besprachen die vor ihnen liegende Ausarbeitung von Levi.
„Levi ist ein äußerst kluger Kopf“ sagte Coady, als er die zwei Seiten gelesen hatte. Hannes hätte vor Stolz platzen könne. Ein ehemalige Obdachloser schreibt einen Vorfinanzierungsvertrag – wo selbst die Weltbank ins staunen kam. Es brannt ihm auf der Zunge die Vita von Levi dem Leiter der Weltbank in Kambodscha zu sagen. Er hatte vor dreieinhalb Jahren es zwar Levi versprochen, dass er seine Vita niemand sagen würde, aber ein Mann der mutmaßlich an der Bildungsreform in Kambodscha beteiligt ist und eine solche Ausarbeitung schreibt – musste er doch erzählen.
Als Hannes diesen unglaublichen Werdegang von Levi erzählte, sah er bei Coady und Melanie Fassungsloseblicke. „Ich hatte nie einen Zweifel, dass er unsere Gedanken zu dem Kollektiv so gut umsetzen kann. Wir hatten uns oft darüber unterhalten, wie wir die Bauern gleichstellen können. Diese Ausarbeitung ist das non plus ultra für den Beginn einer Zukunft für viele Menschen. Die Unterschriften zeigen mir, dass sehr kluge Menschen für den Garant dieses Agrarkollektivs stehen. Nun möchte ich doch gerne meinen Kontostand wissen.“
Coady nahm die Kopien der Ausfertigung von Levi und schrieb: 1.768.644 $ auf den rechten Rand.
Für einen Moment setzte bei Hannes der Herzschlag aus. „Inklusive dem Geld von der KfW Bank in Luxemburg. Hannes, deine Idee ist unglaublich viel Geld wert.“
Noch während der Mittagspause überreiche ihm Sovanni das Protokoll von der Sitzung der anderen Arbeitsgruppe. Da beim Mittagessen Sylvie und Maona bei ihnen am Tisch saßen, wusste Hannes schon einiges aus den Protokoll.
„Leute, ich bin Fassungslos über diese Geschwindigkeit. Ich hatte weit mehr an Zeit eingeplant. Dann können wir doch recht zügig zu dem dritten Projekt kommen.“ Sylvie und Maona grinsten. „Wir alle haben auch kräftig Vorarbeit geleistet. Ich hatte noch kurz ein Referat mit den Infos aus Kampang Rou gehalten. Die meisten kannten es ja schon. Levi hatte seine Gedanken auch schon vorgeschrieben und diese wurden auch einstimmig angenommen.“ Hannes nickte „Ich habe es gelesen. Besser geht es nicht mehr. Sylvie, wenn diese Ausarbeitung über die Vorfinanzierung Connar Lennhardt liest, wird dieser platzen. Schaut euch Coady an, er klebt Levi förmlich an den Lippen.“ Sylvie und Maona schaute schräg gegenüber an den Tisch, wo Ilaria, Paolo, Bourey, Samnang, Yupa und Coady zusammen saßen.
„Der Mann von der Weltbank scheint ein cooler Typ zu sein“ sagte Maona. Hannes nickte „Coady und ich hatten drei Jahre so einige Differenzen. Na ja – wir haben das Kriegsbeil begraben.“
Auf die fragende Blicke der beiden, erzählt Hannes von dem Wasserrad und der Party auf den „Europa Platz“.
Asger, Ilaria und Hannes waren in dessen Büro dabei, die Notizen und Karten für das Trockenfeldanbau-Projekt an drei weitere Tafeln aufzuhängen. Alleine für die Grundstücke brauchten sie schon eine Tafel.
Hannes saß auf seinem Bürostuhl und schaute sich das geordnete Chaos aus fünf Metern Entfernung an.
„Was wir in der kurzen Zeit zusammen getragen haben, ist schon beachtlich. Ilaria, ich danke dir für deine Arbeit. Ohne dich, wären wir nie soweit gekommen. Ich hätte nie den Druck auf Suoth ausüben können wie du.“ „Kein Problem, Hannes. Es muss in diesem Land endlich voran gehen und da braucht es schon mal ein Machtwort. Wenn Maona im nächsten Jahr die Wahl gewinnt, hast du freie Fahrt.“ „Wir können doch nicht von dem was wird ausgehen. Noch ist Phirun Suoth der Gouverneur.“ „Hast du ein Zweifel daran, dass Maona diese Wahl nicht gewinnt? Hannes, ich hatte gestern mit ihr gesprochen, als ich sie nach Hause fuhr. Diese Frau ist ein Vulkan! Was sie mir sagte, kann man durchaus glauben. Macht, Gier und Korruption haben ein hässliches Gesicht. Ob man diesen Unfall Phirun Suoth anhängen kann, ist sehr schwer zu sagen – möglich ist alles. Wir haben in Italien die Mafia und auch dort werden hin und wieder Menschen aus dem Verkehr gezogen.“ „Du hast ja recht. Hier in Kambodscha ist es immer noch die Rote Khmer und eben die gewaltige Korruption. Wer hier mit wem zusammen arbeitet oder sympathisiert ist auch nicht leicht zu durchschauen. Wir haben das große Glück, dass wir das Militär hinter uns haben und dieses auch sehr bewusst seine Präsenz auf unseren Baustellen zeigt. Asger, könntest du bitte die Personen rufen, die nun an dem dritten Projekt teilnehmen?“
Um 13.45 Uhr war das Büro von Hannes brechendvoll. 38 Personen drängen sich auf 30 Quadratmeter. Jeder wollte hören, was Trockenfeldanbau ist. Hannes stellte zu Beginn die Agraringenieurin Sylvie Morel vor und erwähnt auch, dass sie ihre Dissertation über jenes Projekt schreiben werde. Dann
erklärte er den Zuhörerinnen und Zuhörer seine Idee zu dem Trockenfeldanbau und auch den Grund für die Gründung der „Svay Rieng Agro-products Cooprrative“ und das diese beiden Projekte zusammen gehörten.
Sylvie erklärte in ihrem Referat die Bodennutzung auf den trockenen Flächen und was an Anbau an Gemüse noch geplant sei. Schließlich stellte Coady noch das Projekt anhand von Hannes seinem Dossier und der Finanzierung vor. Bei der Summe des Aktuellen Kontostands, sah jeder im Raum anerkennend zu Hannes. „Diese Summe ist ausschließlich der Unterstützung von Herrn Dr. Coady Levis und Frau Dipl.-Ing. Sylvie Morel zu verdanken“ sagte Hannes sogleich in die Runde. Zum Schluss sprach Ilaria noch die Grundbesitzverhältnisse an, ließ aber sehr viele Details weg. Sie sagte lediglich, dass dieses Projekt von UNTAC unterstützt werde.
Um 16 Uhr ging Hannes zur Tafel und sagte, dass in einer Woche sein Freund und Geologe aus Frankreich eintreffen werde und dann die Felder südlich von Svay Rieng in Richtung Kor An Doeuk vermessen würden. Da nun ein erheblicher Grundbesitz in das Eigentum der „Svay Rieng Agro-products Cooprrative“ einfließen werde, könnte man auch ganz anderst planen.
„Mit den neuen Karten werde ich ab Montag die Flächen schon abstecken, dann habt ihr diese Arbeit gespart“ sagte Asger. „Sehr gut. Dann lass uns morgen die Flächen markieren, die wir von vornherein ausschließen können. Da Sylvie noch Papaya Plantagen anlegen möchte, könnte man an diesen Flächen eventuell mit einer Kultivierung oder Rodung auf jeden Fall beginnen. Bourey, wie sieht es mit Unterstützung seitens des Militär aus, wenn wir für diese Felder und Arbeit eventuell mehr Leute bräuchten?“ „Kein Problem, Hannes. Ein Trupp könnte ich bereitstellen.“ „Dankeschön. Cees, könntest du dich um diese Felder kümmern und dann Bourey bescheid geben?“ Cees nickte. „Geht klar, Chef.“ „Da wir auch eine sehr große Erdbewegung haben werden und ich noch nicht weiß, wohin mit einer Million Kubikmeter Erde, geht diese Frage an alle, die sich um Svay Rieng auskennen, wo man Erde hinfahren könnte, um zum Beispiel Fischteiche anzulegen. In Basak haben wir schon ein Gelände vermessen, wo circa 10.000 Kubikmeter eingebaut werden könnte. Auch möchte ich noch einen Fischteich vor Kampang Rou in Richtung Wald anlegen. Asger oder Cees, ihr könntet dies nächste Woche auch schon einmessen. Wer also eine Idee hat, kann mich anrufen. Zum Schluss möchte ich euch noch gerne einen Neuzugang bei ODHI vorstellen. Paolo de Santis wird ab Oktober zum Team gehören. Paolo hat Finanzwirtschaft studiert und ist zur Zeit noch bei UNTAC. ODHI wird auch in Zukunft expandieren. Es ist ein Staudamm Projekt bei Kampong Chhnang geplant, dessen Umfang bei 100 Millionen US-Dollar liegt und wir dieses Projekt als Berater der europäischen Baufirmen begleiten möchten. Aus einer anfänglichen Hilfsorganisationen ist eine recht beachtliche Baufirma geworden und trotzdem werden wir die gesetzten Ziel von Jean Grizon: die Humanitären Hilfe, nicht aus den Augen verlieren. Wir sind die Nummer Eins in Kambodscha und werden dies auch bleiben. Vielen ist nicht bekannt, dass ODHI auch in drei Ländern von Westafrika vertreten ist. Zum Jahresende wird Jean Grizon offiziell als Direktor von ODHI zurücktreten. Stephane Dilbert ist seit dem 9. Juni der Direktor von ODHI, Nina Dupont die Co-Direktorin und Bernhard Lefévre der Projektleiter für Südostasien. Soweit die Informationen zu den Personellen Veränderungen in Frankreich. Ich suche noch eine Sekretärin für unser Büro in Svay Rieng. Da mein Wunsch, diesen Job Yupa Ngampho geben zu wollen, gescheitert ist. Wenn ihr jemanden kennt, der diesen Job machen möchte, könnte ihr Asger oder mir gerne bescheid geben. Ich denke, für heute haben wir alles geplant und soweit auch besprochen und sollten nun zum gemütlichen Teil des Tages kommen. Ihr alle seid herzlich zu dem Grillfest eingeladen. Ich danke euch allen für eure Gedanken, Ideen und Unterstützung.“