Am Ende der Welt wird deutsch gesprochen
„Willst du die Welt verbessern?“ „Nesrin, ich nicht alleine. Aber vielleicht irgendwann mit deiner Hilfe!“
13. Februar 2007
Die ersten zwei Teams von Korrespondenten waren im Hotel angekommen. In den nächsten Woche würden weiter Fernseh- und Sicherheitsteams eintreffen. Das Haus war nun soweit in einem Sicherheitsrelevantenzustand. Der Arbeitsplatz von Hannes, der Koordinations- und Logistikraum war komplett eingerichtet und einsatzbereit.
Bald beginnt die hektische Zeit. Dann müssten bis zu einhundertfünfzig Personen geplant und koordiniert werden, denn die Journalisten wollten und brauchten Nachrichten und Sensationen.
Ein Team aus Australien und ein Team aus Deutschland kamen vor einem Tag in Kabul an. Das deutsche Team arbeitete für einen privaten Fernsehsender aus Köln und war nur auf Sensation aus. Der Teamleiter war ein arroganter Fatzke. Das Team aus Australien war sehr vernünftig, nett, zuvorkommend und auch nicht auf Sensationen aus.
Im Koordinationsraum saß das deutsche Team und wollte einen Beitrag über den wieder wachsenden Mohnanbau in Afghanistan machen. Dieser war im Süden von Afghanistan, in einem Gebiet in dem die Taliban am stärksten war und auch die Provinzen unter ihrer Kontrolle hatten. Hannes war wie vor den Kopf geschlagen, als es diesen Wunsch von Herr Fatzke hörte. „Sie wissen das wir in ein Taliban Gebiet fahren müssen“ , sagte Hannes bei der Besprechung. „Die meisten Bauern in Afghanistan beginnen wieder mit dem Drogenanbau, da dies ihre einzige Möglichkeit ist an Geld zu kommen. Afghanistan ist ein so armes Land und doch eine Wirtschaftsmacht und Exportweltmeister für Opium, das der Grundstoff für Heroin ist. Mehr als 90 Prozent der Weltproduktion stammen auf Afghanistan. Nicht Südamerika wie es in Filmen oft gezeigt wird. Im Jahr werden ungefähr 8000 Tonnen Opium in Afghanistan geerntet.Schätzungen der UN zufolge leben eineinhalb Millionen Afghanen von dem Opiumanbau, einige sogar sehr gut. Die Bauern und Drogenhändler verdienen 3,4 Milliarden Dollar im Jahr. Das ist ein Drittel des Bruttoinlandseinkommen von diesem Land. Afghanistan hat ca. 26 Millionen Einwohner, da können Sie sich sicher Vorstellen wir arm die übrigen Menschen sind. Das Opium bringt der Taliban bis zu 150 Millionen Euro im Jahr ein, mit denen sie ihren Krieg finanzieren. Einen Krieg, den wir vor Tagen 426 Meter weiter von hier erlebt haben.“ Sagte Hannes in einem zornigen Ton in die Runde zu den Journalisten. „Ich bin für die Sicherheit meines Teams, wie auch für die Ihre verantwortlich und werde einen solchen Trip nicht verantworten! Ich habe Ihnen eben gesagt, wie es mit dem Opium ist, also haben Sie alles an Informationen was Sie brauchen.“
Herr Fatzke sollte und würde dazu einen Beitrag machen, schließlich hätte seine Redaktion es recherchiert. Tief Luft holend hantierte Hannes an einem der vielen Rechner in seinem Koordinationsraum und zehn Sekunden später erschienen Fotos von Menschen denen der Kopf abgeschlagen wurde und bombardierte Fahrzeuge waren auf einer vier Quadratmeter großen Leinwand zu sehen. Ein großes Entsetzen ging durch den Raum. „Diese Fotos sind 12 Stunden alt! Nun wollen Sie mir erklären, dass Ihre Redaktion in Köln auf diesem gleichen aktuellen Stand ist wie ich?“
Es fing eine Diskussion an der Hannes nicht folgen wollte und konnte. Er ging in sein Büro zu einer Ablage in der wichtige Faxe von Polizei, PRT’s , Deutscher- oder anderer Länder Botschaft lagen. Er griff einige der Kopien, überflog diese beim zurück gehen in den Nebenraum und knallte sechs DIN A4 Blätter auf den Tisch. „Hier! Lesen Sie! Wenn Sie eine solche Reportage machen wollen, bitteschön. Aber nicht von diesem Haus und schon gar nicht mit meinen Leuten! Dies ist in dieser Sache mein letztes Wort und auch nicht verhandelbar!“
Hannes musste erst einmal eine rauchen gehen, sonst hätte er vermutlich Herrn Fatzke die Zähne einschlagen!
Zurück im Konferenzraum machte Hannes den Vorschlag in die 100 km entfernte Stadt Gardez zu fahren. Deutschland startete bereits im Jahr 1965 in Gardez ein Entwicklungsprojekt im Volumen von 2,5 Millionen DM. Im Rahmen dieses Projekts wurde die Straße von Kabul nach Gardez asphaltiert. In der Stadt wurden drei Schulen für Jungen, eine Schule für Mädchen, ein Krankenhaus, eine Ausbildungsstätte für Lehrer, zwei Hotels und eine Moschee gebaut. Von Herr Fatzke bekam Hannes nur die Antwort, was daran so Sensationell sein sollte?
Der Blutdruck von Hannes ging binnen Sekunden an die Belastungsgrenze. „So Sensationell, wie damals in Osttimor?“ Große Augen von den Anwesenden in dem Raum trafen Hannes. Fatzke wusste nicht was er meinte. „Vor einigen Jahren habe ich Sie in Osttimor in einem Hotel getroffen. Damals war die Sicherheitslage in dem Land sehr angespannt und dauernd sind Sie rein und raus aus der Lobby, immer auf der Suche nach einer Sensation. Abends saß ich mit einem Ihrer Berufskollegen von der ARD an der Bar und tranken gekühltes Bier. Als es auf einmal einen großer Knall gab sind Sie mit ihrem Kameramann aus der Lobby gestürmt, in der Hoffnung es sei ein Schuss gefallen. Dabei war es nur ein Taxifahrer der die Tür zu fest zugeschlagen hatte.“ Fatzke wurde rot und verließ den Raum. „Es macht keinen Sinn sich mit diesem arroganten Menschen noch weiter zu unterhalten“ , sagte Hannes. Marco fügte gleich noch hinzu „Es wird eine Lösung geben. Ich teile aber voll und ganz die Meinung von unserem Sicherheitschef.“ Fängt ja schon gut an, dachte Hannes und ging eine rauchen. Auf dem Weg durch die Halle sah er Gregory Flinn, der Chef von dem Team aus Australien, in der Runde seines Teams in der Lobby sitzen. Im schnellen Schritt blieb er abrupt stehen und ging auf die drei Männer zu. Er stelle ihnen sein Vorschlag von eben vor. „Hört sich gut an“ , sagte Gregory. „Lass uns etwas recherchieren. Morgen reden wir. Ich war früher auch wie der deutsche Kollege, immer nur Sensation. In meinem Alter kann ich mir heute aussuchen, was ich machen möchte und kann.“
Beim Frühstück kam Gregory zu Hannes an den Tisch und sie frühstückten gemeinsam. Hannes erzählte Gregory ein wenig von dem was er früher in Kambodscha gemacht hatte. Gregory schaute bei den Ausführungen über den Trockenfeldanbau in der Provinz Svay Rieng ihn mit großen Augen an. „Sag das noch einmal!“ „Was? Das ich anfing Wasserleitungen zu verlegen?“ „Nein, dass mit dem Trockenfeldanbau in der Provinz Svay Rieng.“ „Okay…“ Hannes war nicht klar, was daran nun so besonders sei. „Es fing ganz Harmlos mit einem von elf Projekten der UN an, ich war mit einer Organisation aus Frankreich dort. Wir bauten Wasserleitungen und Pumpen von Cău Strung Melch bis nach Tuông, also bis kurz an die Grenze zu Vietnam. Dies war schon ein großes Projekt. Eine Hauptleitung von über 200 Kilometer, dann die vielen Kilometer links und recht der Hauptleitung. In Bangkok war ich drei Jahre später in einer Buchhandlung und durch Zufall sah ich ein Buch über Trockenfeldanbau. In diesem Buch wurde über diese Technik in Italien, Spanien, Russland und Argentinien berichtet. Ich rief einen Freund in Frankreich an, der Geologie studierte und erklärte ihm die Struktur dieses Gebiets, die Beschaffenheit von dem Boden und gab ihm die ISBN Nummer von dem Buch. Eine Wochen später gab er mit Bescheid, dass dies umsetzbar sei. So hatte ich mit einem Schulfreund von meiner, mittlerweile verstorbenen Frau, einer Agraringenieurin aus Frankreich und einem Pulk von Menschen ein Projekt aufgebaut, welches in Südostasien einmalig war. Nichts was irgendwie den Zyklus der Welt beeinflusst hat. Auch wenn Agraringenieure aus vielen Ländern der Welt sich dies anschauen kamen.“ Gregory sah ihn lange an stumm an. „Was? Was ist so spektakulär an Trockenfeldanbau?“ Gregory schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich wollte es nur mal wissen. Wäre doch bestimmt eine super Sache für Australien. Ich dachte du bist der Sicherheitschef, ich wusste gar nicht das du solche Projekte gemacht hast.“ „Der Sicherheitschef. Ja, den wollte ich nie sein! Die heutige Gebietsleiterin für Südostasien kenne ich schon seit 1990. Ich war damals ein zwanzigjähriger Dorfjunge und stand in Phnom Penh vor der Tür der UN. Sie hatte auch erst angefangen dort zu arbeiten. Nach dem Tod von meiner Frau hat sie mich aus einem unglaublich tiefen Loch geholt und brachte mich zu der Firma. Jeden Auftrag, jeden Einsatz konnte ich mir aussuchen. Im Büro in Fort Lee, Vergina, war ich gewesen, aber Büroarbeit ist nicht meine Welt. Ich muss raus. Brauche handfeste Aufgaben und nicht am Rechner und Telefon sitzen und anderen Vorgaben machen ohne denen zu schreiben oder sagen, wie blöd die doch sind. Nun bin ich der Sicherheitschef für Afghanistan. Mir geht es auch darum, den ein oder anderen Kontakt zu einem PRT oder örtlichen Behörde herzustellen. Wenn man sich persönlich kennt geht vieles einfacher. Gregory, ich bin ehrlich zu dir. Waffen, Krieg, Terror und Tod ist nicht das was ich will und wollte – auch nichts was ich für mein Ego bräuchte. Mir ist Bildung für Kinder sehr wichtig. Nur hat mein jetziger Job nichts mehr damit zu tun.“ Gregory sah ihn lange an. „Ich habe gestern mit meinem Team über deinen Vorschlag nachgedacht. Wir würden mitfahren. Mal sehen, was sich an Material für eine Dokumentationen ergibt. Ich muss meinem Sender nichts liefern – ich kann.“ „Ich danke dir. Ich kläre mit Marco ab, wie wir dies nun koordinieren. Noch ist nichts los im Haus und ich kann hier ein paar Tage weg. Die paar Gäste planen die anderen im Handumdrehen.“
Tamina, die Frau von Marco, würde der Gruppe als Dolmetscherin zur Verfügung stehen. Marco möchte dass Marcel als Personenschützer mitfährt. Würde ich auch wollen bei einer so schönen und attraktiven Frau, dachte Hannes. Tamina hatte an diesem morgen eine Röhrenjeans, eine rot-grau karierte Bluse und Sneakers an und ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Um 10.30 Uhr ging es los nach Gardez.
Gardez ist die Provinzhauptstadt der Provinz Paktia im Osten Afghanistans, 60 Kilometer von Pakistan entfernt.
Oliver fuhr den Toyota Quantum. Marcel saß auf der Beifahrerseite, seine Glock 17C auf dem Armaturenträger des Kleinbusses und das FN SCAR 17S Gewehr griffbereit links neben sich. Wer Marcel kannte, wusste das er zusätzlich sein halbes Waffenarsenal mitschleppte. Stacey, Emily und das Fernsehteam aus Australien verteilt sich in dem großzügigen Sitzplatzangebot des Toyota Quantum Busses. Die Koffer mit Fernsehtechnik und Waffenausrüstungen waren im Kofferraum verstaut. Hannes fuhr den Rang Rover Armoured. Seine Glock 17C steckt durchgeladen an der Fahrertür. Über die Bordeigene Kameras konnte er auf dem Monitor die Umgebung verfolgen. Neben ihm saß Tamina. Sabine hat es sich hinten links bequem gemacht.
Von Kabul aus ging es auf den Kabul-Gardez-Highway Richtung Kalangar und Pol-e Alam. Dieser Highway fuhr sich recht gut und zügig. Der Highway führte an dem links von ihnen aufsteigenden Gebirge vorbei. Das einzige grün waren die Felder im Tal. Wo man auch hinsah, überall nur graubraune Berge. Es ging durch die Stadt Pol-e Alam. Wie überall war auch in dieser Stadt das gleiche Verkehrschaos und zerschossene Gebäude. Die Stadt lag in mitten einer saftig grünen Fläche. Das Gebirge über dies es gleich ging, war wahnsinnig hoch. Die Berge waren nur noch braun. Man sah eigentlich nichts mehr an Pflanzen. Nur noch kleinere Büsche wuchsen hier. Die Bergspitzen waren mit Schnee bedeckt. Die Straße wund sich den Pass hoch.
Gardez liegt auf etwa 2300 Meter über dem Meeresspiegel. Langsamfahrende Lkw aus Deutschland, dessen Baujahre Mitte der 80er und sogar noch älter waren, quälten sich den Pass hoch.
Am Nachmittag erreichte der kleine Konvoi die Stadt Gardez. Trostlos war der Anblick. Die meisten Gebäude wurden in dem Bürgerkrieg in den 1980er Jahren zerstört. Es war wie eine Zeitreise ins Mittelalter. Zwar wurde 2003 von der US Army die United States Agency for International Development, kurz USAID, gegründet und diese führte eine elektrische- und medizinische Versorgung, schulische Einrichtungen und Wasserversorgung in der Stadt und Region ein. Aber Bombenanschläge von Terrorgruppen machten viele Vorhaben immer wieder zunichte.
Tamina hatte für die nächsten Tage Zimmer in einem Haus bei Bekannte gebucht. Natürlich hätte die Gruppe in Gardez sich in einem Hotel einquartieren können. Hannes kannte das Hotel und die Umgebung nicht. Eine Gruppe Ausländer fiel in dieser Gegend auf wie ein Pinguin am Nordpol. Daher vertraute er auf die Diskretion von Tamina in einem privaten Haus.
Über den Gardez-Kabul-Highway fuhr er in die Stadt und am Kreisel links ab auf den Chamkani-Gardez-Highway. Nach 600 Meter bog er links in die Karmashy-Village-Road und an der Masjid Jame Karmashy Moschee vorbei. Danach war nach 300 Meter das Haus, welches die nächsten Tage ihre Herberge sein würde.
Das Zweieinhalbstöckige mit Flachdach gebaute Haus war von einer weißen Mauer von 2,5 Höhe umgeben. Auf der Mauer befand sich Stacheldraht. An einigen Stellen der Mauer blätterte die Farbe Großflächig ab. Das Haus macht von außen einen recht guten und soliden Eindruck. Es war weiß und hatte hellblaue Streifen an dem Dach und um die Fenster und an allen Stockwerken Balkon. Selbst der Dach sah begehbar aus.
Hannes blieb vor dem Tor stehen. Oliver parkte hinter ihm dem Bus. Marcel schaute mit dem Fernglas die Umgebung ab. „Safe“ kam die Ansage von Marcel über das Funkgerät. Hannes und Tamina stiegen aus und gingen an das Eingangstor. Auf der anderen Seite vom Tor hörte er Schritte, sie wurden schon erwartet. Das Tor klemmte etwas beim Ausmachen.
Tamina begrüßte einen älteren Mann, von vielleicht 60 Jahre. Er reicht Hannes die Hand und stellt sich als Ayden vor. Ayden winkte gleich die Fahrzeuge in den kleinen Innenhof. Hannes merkt, dass dem Mann das gehen schwer fiel.
In dem Haus war es, nach afghanischen Verhältnisse gut Eingerichtet. In Deutschland würden man karg sagen. Eine Frau in fast gleichen Alters wie Ayden, erhob sich schwerfällig von einem Sofa und stellt sich als Masal vor. Die Gruppe stellt sich anschließend den beiden vor.
Das Ehepaar bat um Entschuldigung das sie nicht gut bewirten könnten, ihre Enkelin würde sich aber alle Mühe geben. Das ganze Team bot sich gleich an zu helfen. Das Ehepaar entschuldigte sich, dass sie nicht so viel zu essen im Haus hätten, sie könnten seit Monaten nicht mehr richtig laufen und hätten auch nicht immer die Möglichkeit große Einkäufe zu machen. „Fahren wir Einkaufen“ kam es direkt von Oliver. Er hatte auch das Leid dieser zwei Personen gesehen, ging es Hannes durch den Kopf. Oliver und Tamina machen sich auf den Weg zu dem Auto von Hannes. Emily ging ihnen nach und bedeutete sie wolle mit fahren. Schnell wurde noch das Gepäck aus dem Armoured ausgeladen. Marcel und Hannes öffneten mit den Waffen in der Hand das Tor, damit Oliver mit dem Land Rover raus fahren konnte.
Hannes bedeutet dem Ehepaar, dass er gerne in die oben Stockwerke möchte um mit dem Fernglas sich die Umgebung anzuschauen. Marcel und er gingen kurze Zeit später in den zweiten Stock auf den Balkon. Es gab sogar eine Leiter um auf den Flachdach des Halbgeschosses zu kommen. Von dem Dach aus konnten beide nach Süden bis ins Stadtzentrum schauen. In alle Richtungen hatten sie gute Aussicht. Dies war ein sehr guter Vorteil. Ein Wagen kam vorgefahren und hielt an der Hausmauer an. Sofort griffen beide zu ihren Waffen. Eine junge Frau stieg aus dem Fahrzeug und ging auf das Tor zu. Sie macht mit einem Schlüssel das Tor auf, was auch ihr Mühe bereitete. „Dies wird wohl die Enkelin sein.“ Marcel nickte und steckte seine Waffen wieder in den Gürtelholster. Die beiden Männer gingen wieder ins Haus.
Samira, begrüßt die Gäste in einem sehr guten englisch. Sie war 26 Jahre alt, schwarz gelocktes Schulterlanges Haar, schmales Gesicht und tolle Figur. Sie arbeitete im Katawz Market als Verkäuferin. In wahrscheinlich diesem Markt, in dem Oliver, Tamina und Emily gerade zum Einkaufen waren. Samira wollte nun den Gästen ihr Zimmer zeigen. Also folgt der ganze Tross der Enkelin durch das Haus.
Aus Sicherheitsgründen wollte Marcel und Hannes die Zimmervergabe tauschen. Das Gepäck und Ausrüstung aus dem Toyota Bus wurde nach oben in die Zimmer gebracht.
Nach einer guten Stunde kam Oliver vorgefahren. Kisten und Tüten an Lebensmittel wurden in das Haus getragen. Masal und Ayden schauen mit großen Augen wie sich in ihrer Küche die Lebensmittel stapelten. Tamina und Samira begannen mit der Vorbereitung für das Essen. Marcel war auf dem Dach. Zwei Männer von dem Fernsehteam auch. Sie filmten die Umgebung solange es noch hell war. Hannes ging zu Emily und fragt sie, warum sie mit in die Stadt gefahren sei. „Ich habe gesehen das die Frau und der Mann Verletzungen haben, mal schauen was ich machen kann.“
15. Februar 2007
Am Morgen war es sehr frisch in Gardez. Immerhin liegt diese Stadt auf 2300 Meter. Hannes stand mit Marcel auf dem Dach in der Karmashy-Village-Road und schauten sich mit den Hochleistungs-Ferngläser die Umgebung an. Eine gute Tasse Tee und eine Zigarette in 2312 Meter morgens um 7.30 Uhr kam schon gut. 33.602959° Nord und 69.236531° Ost zeigte ihm der Ballistikrechner im LED-Display in einer Messzeit von 0,3 Sekunden in seinem Hochleistungs-Fernglas an. Die exakte Höhe war 2312,78 Meter über NN.
Am Vormittag machte sich die Gruppe auf den Weg um in der Stadt Gardez zu drehen. Es ging an vielen Häuser vorbei die noch oder wieder zerschossen waren. Sie sahen Häuser die mit Plastikplanen abgehängt, damit die Bewohner etwas Schutz gegen die Kälte hatten. Nach einer halben Stunden fahrt durch die Stadt hielten die Autos an einem Haus an, wo eine ältere Frau einen kleinen Karren mit Holz ablud. Tamina stelle die Gruppe vor und fragten, ob ein Fernsehteam drehen dürfe.
Mit der Kamera ist es immer ein dummes Gefühl, man filmt die Not anderer und lässt dann die Menschen in ihrem Schicksal zurück. Die Frau hatte Angst vor der Gruppe, da sie die Schutzausrüstung der Männer und auch das Gewehr von Marcel sah. Tamina erklärte der Frau, dass dies für den Schutz der Gruppe sei. Die Frau willigte ein und so konnte Stacey und John, der Kameramann aus Australien, filmen. Melvin zeichnete den Ton auf. Die Frau führte die Gruppe in ihr Haus.
Haus ist vielleicht etwas zu viel gesagt. Es war zwar aus Steinen gebaut, aber nur noch wenige Fenstern in den Mauern. Wo mal Fenster waren hingen nun Säcke oder Plastikplane. Die “Küche“ bestand aus einem Gaskocher und einem alten Topf. An den Wänden waren mal Tapeten. Davon zeugten noch ein paar Reste von diesen an den Wänden. In der Ecke neben dem Gaskocher lag eine alte Matratze die durchgelegen und sehr schmutzig war. Drei schmutzige Decken lagen auf der Matratze. Das war das Inventar von diesem Haus. Wasser oder Strom gab es seit Jahren nicht mehr. An der Wand hing nur ein vergilbtet Foto von einem jungen Mann, wahrscheinlich ihr Ehemann.
Hannes und Oliver gingen vor das Haus und sicherten die Umgebung. Sie sprachen über das was sie eben gesehen hatten. Nach einiger Zeit kam Tamina heraus und bat die beiden doch bitte in das Haus zu kommen. Beim eintreten sagte die Frau „Herzlich Willkommen in Gardez.“ Auf deutsch! Hannes und Oliver waren wie vom Blitz getroffen. Die Frau sprach auf deutsch weiter „ich war Lehrerin an der Mädchenschule hier in Gardez. Die Deutschen haben viel für uns getan. Ich stand auch schon an der Mauer in Berlin. Deutschland ist ein schönes Land, aber die Mauer ist nicht schön.“ Leise sagte Sabine „es gibt keine Mauer mehr.“ Die Frau setzte sich auf ihre alte Matratze. „Bitte erzählen Sie mir. Ich habe von 1970 bis 74 in Heidelberg studiert.“ Oliver setzte sich vor die alte Frau auf den Boden und erzählte ihr von Deutschland. Die Frau hörte aufmerksam zu und Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Was noch? Was ist noch anders als früher?“ Oliver erzählte ihr so vieles über Deutschland und Europa. Europa ist nicht mehr so wie es einmal war. Keine Grenzen mehr. Eine Einheit, eine Währung. Nach über zwei Stunden verließ die Gruppe die alte Dame. Zum Abschied gab sie Oliver und Hannes die Hand. „Ihr Deutsche seid gute Menschen.“
Was für ein Erlebnis am Ende der Welt, ging es Hannes durch den Kopf. Gregory, der Teamleiter von dem Fernsehteam, bedankte sich bei Oliver. So ein Interview hätte er noch nie vor der Kamera gehabt.
Hannes fuhr mit dem Armoured los ohne zu wissen wo hin. Die Gedanken waren noch bei der alten Frau und ihren Erinnerungen an Deutschland. „Links!“ Hörte er über den Funk die Stimme von Oliver. Da war der Haji Speen Market. Jeder wusste was er zu tun hatte. Nach einer dreiviertel Stunde standen die zwei Autos wieder vor dem Haus der alten Frau. Die komplette Gruppe hat sich bei dem Einkauf beteiligt. Isolierfolie für die Fenstern und Tür, eine neue Matratze, neue Decken, drei Stühle und Tisch aus Plastik, ein Karton mit Kerzen, ein Topf, Lebensmittel, Kleider und Schuhe wurde in das Haus getragen. Die alte Frau war glücklich und am weinen als sie all dies sah. Emily gab der Frau noch einige Schachteln Medikamente. Tamina erklärte der Frau für was welche Packung sei. Und wieder sagte sie, „Ihr Deutsche seid gute Menschen.“ „Nein…“, sagte Oliver „Wir sind Deutsche, Franzosen, Amerikaner und Australier.“
In der Karmashy-Village-Road musste jeder das Erlebte mit dieser Frau sacken lassen. Stacey, Gregory, John und Melvin bearbeiteten ihr Material zusammen. Sabine wurde sogar als Sprecherin rekrutiert. So sollte es sein, dachte Hannes, als er die fünf in einem Zimmer im zweiten Stock bei der Arbeit sah. Ein Team! Dies wäre mit Herr Fatzke nie möglich gewesen.
Auf dem Balkon stand Marcel und ging wieder seiner gewohnten Arbeit nach – dem Kontrollieren der Umgebung. Hannes tat ihm gleich. „Ihr Deutsche habt wirklich einen guten Ruf“ , sagte Marcel. „Dies hatte ich in Schwarzafrika oft erlebt. Immer die Deutschen. Nie die Franzosen. Die Amys schon gar nicht.“
Die Frauen machten das Abendessen für alle. Beim Essen erzählte Gregory was sie mit dem Material von heute gemacht haben und bedanke sich wieder bei Oliver. Hannes sagte zu Sabine „das ist der Grund warum ich vor vielen Jahren mit den Auslandseinsatz angefangen habe. Nicht das töten – das helfen liegt mir. Wir alle in diesem Team sind keine Killer. Wir sind Menschen mit Liebe im Herz.“ „Armen“ sagte Marcel.
Hannes redete mit Tamina und sagte ihr, was er beim Frühstück und auch schon gestern bei Aydem und Masal beobachtet hatte. Tamina fragte Aydem nach dem Grund. Man merkte ihm an, dass es ihm peinlich war. Da Ayden bei dem Essen mitbekommen hatte, was die Gruppe heute erlebte, und nicht über Krieg und Terror berichtet, sagte er an Stacey und Gregory gewandt, sie dürfen gerne wieder ihre Kameras benutzen. Tamina übersetzte das Gespräch vom dari ins englische.
Ayden erzählte von sich. Er hatte ein Schuhgeschäft im Westen der Stadt. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich unweit seines Ladens in die Luft, weil er eine Gruppe Soldaten töten wollte. Die Detonation zerstörte sein Laden völlig. Die Einrichtung und Ware war kaputt. Ayden verlor dabei seinen Sohn Navid, der Vater von Samira. Eine Wand stürzte ein und begrub Navid unter sich. Er und seine Frau wurden von den umherfliegenden Glassplitter so stark verletzt, dass diese heute noch in ihren Körper seien. Er zeigte der Gruppe die Wunden. Im Krankenhaus von Gardez wurden ihnen die Glassplitter aus dem Körper operiert. Die Operationen um alle Glassplitter zu entfernen würde ihn umgerechnet 15000 € kosten, diese Geld hätte er gar nicht, so wurde nur so viel Glas aus den Körper entfernt wie er eben Geld hatte. Ayden hatte in einer Sekunde alles verloren was er hatte: Seinen Sohn, Geschäft und alles an Geld. Nun stand er vor dem absoluten nichts. Nur dieses Haus sei ihm noch geblieben. Vieles an Möbel haben sie verkaufen müssen um die Operationen zu bezahlen! Er könnte das Haus verkaufen und sich und Masal operieren lassen, nur wären sie dann Obdachlos. Samira wurde Vollwaise. Ihre Mutter kam 2000 bei einem Bombenanschlag in Khost ums Leben. Nun arbeite sie mit einem Universitätsabschluss in einem Kaufhaus in Gardez. Ohne die Hilfe von der Enkelin könnten sie nicht Überleben! Natürlich hatte er Angst, dass Ausländer in seinem Haus wohnten. Dies gefällt der Taliban nicht. Aber er hätte nicht mehr zu verlieren.
Als Ayden geendet hatte war absolute Stille im Haus. Nur das leise Summen der Kameras war zu hören.
Die Männer machten noch einmal ihren Kontrollgang am Gebäude. Der Range Rover wurde so dicht an das Eingangstor gestellt, dass dieses nicht mehr zu öffnen war. Emily kam zu Hannes auf den Balkon und sagt sie möchte morgen in das Gardez Civilian Hospital. „Ich weiß was du willst, mein blonder Engel.“
Die Sonne kam langsam über die kahlen Berge von Gardez. Hannes stand auf dem Balkon im zweiten Stock und schaute mit dem Hochleistungs-Fernglas die Umgebung ab. Die Erdrotation fiel ihm wieder ein. Wir sehr vermisste er Patricia. Sabine kam zu ihm, er wischte sich die Tränen weg und sah sie an. „Was wir tun ist wie ein Regentropfen im Ozean.“ „Das stimmt nicht, jeder Wassertropfen füllt irgendwann ein Meer. Was gestern passierte, war groß. Nein sehr groß! Wir alle in dieser Gruppe haben gestern eine Menschlichkeit gezeigt, die über Grenzen, ja sogar über Kontinente hinaus ging! Oliver sprach so gute Worte zu diese Frau. Ich hatte in der Nacht immer noch geweint. Auch dir möchte ich danke sagen,
dass du mich in dieses Team geholt hast. Du hattest recht, was du in Kabul über dein Team gesagt hast. Es sind alles liebenswürdige Menschen. Danke das ich ein Teil von diesem Team sein darf.“ Hannes nahm Sabine in den Arm. „Ich habe lange Jahre Psychologie studiert. Ich war bis gestern der Meinung Marcel sei ein Herzloser Killer, gestern sah ich das Herz von Marcel.“ „Sabine, urteile nie zu schnell über einen Menschen! Marcel war zwei Jahre mein Schatten. Wo wir waren, war das blanke Chaos! Ohne Frage ist er der wohl beste Scharfschütze und Nahkampfkämpfer den ich kenne. Marcel wurde mit einem falschen Weltbild an Menschen erzogen, dies prägt ein Leben lang. Trotzdem ist er mein Freund.“ Emily kam zu ihnen. „Können wir?“
Das Fernsehteam und Stacey wollen in die Umliegenden Gebiete von Gardez fahren und noch einige Reportagen machen. Hannes war froh, dass die Australier so gut in dieses Team passten. Es tat so gut zu sehen, wie zehn Menschen so gut zusammen arbeiten konnten. Er mochte die drei Australier.
Mit dem Range Rover fuhr er, Emily und Tamina in das Gardez Civilian Hospital.
Das Gardez Civilian Hospital, war ein dreistöckiges Gebäude. In einem hellen grün gestrichen. Die Fenstern in den ersten Stockwerke waren vergittert. Durch die Eingangstür mit gerissenen Glasscheiben kam die kleine Gruppe an einen runden Informationsschalter in mitten der Halle. Tamina redet mit einem sehr grimmig dreinschauenden Wachmann mit verfilztem Bart. Er konnte nicht all zu viel weiter helfen. Also gut, irgend jemand wird ja schon mal weiter helfen können. Das Krankenhaus hatte eine Einrichtung die schon gute 40 Jahre zeigte. Die Wände waren in dem gleichen grün gestrichen wie außen. Trostlos, kalt und eine Atmosphäre wie im Schlachthaus. Einige Zimmertüren standen offen. Menschen lagen auf alten Betten an denen den Lack ab war. Vier Betten in einem Zimmer zwischen den Betten hing ein hellbrauner Vorhang. Es war kühl in dem Haus. In einem Seitenflügel von dem ersten Stockwerk fand Tamina endlich einen Mann der weiter helfen konnte. Dieser schickte die Gruppe ins Erdgeschoss in den rechten Seitenflügel. “Wir wandern, wir wandern, von einem Stock zum andern.“ Sagte Hannes leicht genervt.
Endlich war eine Person gefunden, die zuständig war. Tamina erklärte dem Mann, dass Emily auf der Suche nach Lokalanästhetika und einigem Operationsbesteck wie Skalpell oder Kauter sei. Dem Mann folgend, ging es am OP Bereich vorbei. Dieser hätte aber auch Schlachtraum sein können. Unter welchen Bedingung die Ärzte hier arbeiten müssen war schon unglaublich. Die Wände waren gefliest – in hellgrün! Tamina beteuerte dem Mann, dass diese Geräte in den nächsten Tagen wieder zurück gebracht würden. Mit einer Pappschachtel in der Hand, ging es auf den Weg zum Ausgang.
Zurück in die Karmashy-Village-Road angekommen, wollte Ayden den Gästen sein Geschäft zeigen. Ayden nahm vorne im Auto platz. Er hatte vorher noch nie ein solches Auto gesehen. Ängstlich schaut er sich in dem Fahrzeug um. Die Kameras, die vielen Knöpfe und Schalter, den Funk, Telefon, die Waffe. Tamina erklärt ihm was dies für ein Fahrzeug sei. Ayden klopft Hannes auf das Bein, „Okay, okay.“ Nach einigen Straßen kreuz und quer durch Gardez sagt Tamina „In den nächsten 100 Meter rechts anhalten.“
Da war es also, dass Geschäft von Ayden und Masal. Eine Ruine. Halb zerfallen und eingestürzt. Ayden kamen die Tränen als die kleine Gruppe vor der Ruine stand. Über Trümmerhaufen folgte die drei Ayden in das, was mal ein Haus war. Regale lagen umher oder unter Schutt begraben. Einige Schuhe lagen noch in dem Schutt. Ayden zeigte auf die rechte Seite der Ruine und Hannes sah gleich was er zeigen wollte. Dort war noch das Blut von seinem Sohn Navid. „Es reicht. Ayden ist völlig fertig. Komm wir fahren zurück. Ich denke wir haben genug gesehen“ , sagte Hannes. Welche Schicksale die Menschen erlebten tat weh im Herz. In Deutschland wird sich Gedanken gemacht wenn die Butter aus ist, ging es Hannes durch den Kopf. Diese Welt ist so brutal und ungerecht! Was hat Ayden und seine Frau Masal getan um so gestraft zu werden? Warum lässt Gott oder wie er auch immer genannt wird, so etwas zu?
Im Haus von Ayden angekommen sagt Tamina zu ihm, Emily sei Ärztin und möchte ihm und seiner Frau helfen die Glassplitter aus dem Körper zu operieren.
In Afghanistan ist es nicht üblich, dass eine Frau einen Mann untersucht oder operiert.
Er würde darüber Nachdenken.
Hannes stand auf der Ostseite des Hauses und sah den Wagen von Samira vorfahren. Ein alter weißer Mitsubishi Lancer der schon gute 15 Jahre auf dem Buckel haben konnte.
Nach einiger Zeit kam Samira durch die Tür auf den Balkon und fragte, ob sie sich mit ihm unterhalten dürfte. Sie hätte mit Tamina gesprochen und diese hat sie zu ihm geschickt. Sie wollte die Erfahrungen von Hannes über Afghanistan wissen, wann es in dem Land eine Normalität geben würde. „Wahrscheinlich nie mehr“, war seine Antwort. Er erklärte ihr viele Gründe warum Soldaten aus aller Welt in Afghanistan seien, warum die Nationale Sicherheit nicht gewährleistet sein kann und wird. Samira wollte wissen wie das Leben in Deutschland sei. Sie war eine aufmerksame Zuhörerin. Emily kam auf den Balkon und beide erklärten Samira was sie mit ihren Großeltern vor haben und das Samira doch mit ihnen reden sollte. Samira nickte und wollte sogleich mit ihren reden „Samira…?“ Sie drehte sich zu Hannes um „Emily ist die beste Ärztin die ich kenne. Im Sudan hat sie unter Feuerbeschuss einen Mann operiert und ihm so das Leben gerettet. Dies sollten deine Großeltern vielleicht wissen.“
Als es dunkel wurde kam der Rest der Gruppe mit dem Toyota Bus vorgefahren. Oliver fuhr den Bus Rückwärts auf den Hof und lud einiges an Werkzeug aus und machten sich an dem Eingangstor des Hauses zu schaffen. Hannes konnte sich schon denken was er dort machte. Wenn etwas nicht richtig funktionierte musste man nur Oliver rufen.
Nach dem Abendessen stand Gregory bei Hannes auf dem Balkon. Sie unterhielten sich über den heutigen Tag. Gregory bedankte sich für die Idee nach Gardez zu fahren. Er habe viele gute Aufnahmen und Gespräche führen können. Als Dolmetscher hätten sie einen Postbeamten rekrutiert. Hannes erzählte was er im Krankenhaus gesehen hatte und auch was Ayden ihnen zeigte. Gregory meinte zu ihm, er sollte doch in die Medienindustrie wechseln, denn er hätte ein Talent für gute Reportagen. Gregory war ein sehr angenehmer Mensch, nicht so wie sein deutscher arroganter Kollege, dieser Fatzke. „Hannes“ er sah Gregory an „Ich weiß nicht wo ich anfangen soll. …Es tut mir leid, dass deine Frau gestorben ist… als du über dieses Trockenfeldprojekt gesprochen hast…. und du sagtest, dass dies nicht den Zyklus der Welt bestimmt, …hast du dich getäuscht.“ „Ich kann dir nicht folgen was du mir sagen willst.“ „Vor zehn Jahren hatte ich eine Dokumentation über genau dieses Projekt gemacht. Diese Trockenfeldanbau Idee wurde in fast allen trockenen Provinzen von Kambodscha umgesetzt. Auch in Vietnam und im Osten von Thailand. Der thailändische König setzt sich sehr für Umweltschutz, Infrastruktur und Nachhaltigkeit ein. Dämme wurden gebaut um die Wasserversorgung im Norden und Osten vom Land zu stabilisieren.“ „Ja, dass weiß ich. Ich traf mal einen Beamten aus seinem Tross in Khon Kaen, irgendwie kamen wir auf meine Arbeit in Kambodscha zu sprechen. Ich weiß von den großen Staudamm Projekten in Chiang Rai, Chiang Mai, Phayao oder Uttaradit.“ „Deine Idee ging weiter als nur in Kambodscha.“ Hannes schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein, es war doch nur eine bescheuerte Idee von mir, Sylvie und dem Schulfreund von Patricia.“ Ihm kamen die Tränen wenn er an all dies zurück dachte. Gregory nahm ihn in den Arm. „Genau aus diesem Grund, wusste ich nicht wie ich es dir sagen kann, mein Freund.“
Hannes lag auf seinem Bett und sein Hirn fuhr mal wieder eine Achterbahnfahrt. Wie konnte eine Idee, die mit ein paar Freunden geplant wurde, so wichtig geworden sein, dass ein Fernsehteam aus Australien eine Dokumentation darüber machte und sogar zwei andere Staaten diese Idee umgesetzt haben? Wie sehnte er sich in diesem Moment nach dem zierlichen Körper von Patricia.
Es klopfte an seiner Tür. Gregory kam mit Sabine in sein Zimmer. „Hannes, ich mag dich sehr. Ich habe unglaublichen Respekt vor dir und von dem was du tust und auch getan hast! Ich sprach vorhin mit Sabine und finde es wichtig, dass sie jetzt bei diesem Gespräch dabei ist. Wenn du dies nicht möchtest, können wir auch alleine reden.“ „Ist schon in Ordnung. Sabine kann gerne dabei bleiben. Wer weiß, vielleicht brauche ich später noch die Hilfe von eine Diplom Psychologin.“
Da das Zimmer sehr spartanisch eingerichtet war, saßen sie auf dem Bett von ihm. Gregory hatte seinen Laptop dabei und schaltete das Gerät an. Hannes sah den Anfang einer Dokumentation über Trockenfeldanbau. Ein Geologie Professor erzählte über den Sinn und Nutzen von gespeichertem Regenwasser in Gebieten mit sehr geringem Niederschlag, die nahe der agronomischen Trockengrenze sind. Nun sah man in dem Beitrag die Anordnung der Felder in Schlangenlinien und wie Pflanzen und Sträucher um die Felder gepflanzt wurden, um diese vor starken Winderosion zu schützen. Kopfschüttelnd und mir Tränen in den Augen verfolgte Hannes diesen Beitrag. Sabine hielt seine Hand und streichelte ihm ab und an den linken Arm.
Viele Orte erkannte er. Die Straße 334 hatte sich auch nicht verändert. Nun sprachen noch irgend welche Experten von der Revolution in der Landwirtschaft in Südostasien. „Ich danke dir. Ich…danke…dir!“ Hannes schloss die Augen und fing an zu weinen. Nach einiger Zeit sagte Gregory „Es tut mir so leid. Ich habe nicht gedacht, dass dich diese Reportage so mitnimmt.“ „Es ist mehr als nur dieser Film. Gregory, es ist mehr! Am 19. Geburtstag von Patricia lernte ich diesen Geologen kennen, mit dem ich dieses Projekt umgesetzt hatte. Claude passte nicht in die High Society Schulklasse von Patricia. Seine Eltern waren nicht reich oder sonderlich gebildet. Er hatte ein schlechtes Elternhaus. Ich mochte ihn sofort. Er war wie ich. Wir gingen oft zusammen Billard spielen und ein Bier trinken, wir hatten uns in einer Cafeteria von einem Supermarkt besoffen an dem eigentlichen Weihnachtsgeschenk für sein Vater. Claude war immer für mich da! Er ist heute noch ein guter Freund von mir.“ Hannes wischte sich die Tränen ab. „In dieser Provinz wurde sogar eine Schule nach meiner Frau benannt. Sie hatte einige Schulen betreut und aufgebaut. Sie fuhr mit dem Auto in Ortschaften, die kaum ein Allrad SUV schaffte, um Kinder lesen und schreiben bei zu bringen. Heute bin ich von all dem Lichtjahre entfernt.“ „Wechsel in die Medienindustrie. Deine Ideen kannst du schließlich selbst dokumentieren und anderen in der Welt zeigen, wie es geht.“ Kopfschüttelnd sah er Gregory an „Ich bin der Mann im Hintergrund, nur einer von vielen, mit verrückten Ideen. Mag schon sein, dass Experten unsere Idee als “Revolution“ in Südostasien ansehen. Ich bin das nicht alleine! Ohne den verrückten Claude und viele Freunde, hätte ich in Kambodscha nur Wasserleitungen verlegt.“
Beim Frühstück sagte Hannes zu seinem Team, er möchte heute gerne die Projekte sehen, die die Bundesregierung Deutschland in den 60er Jahren baute – falls diese überhaupt noch stehen würden. Samira fragte ob sie mit fahren dürfte. Ayden sprach schon eine ganze Weile mit Tamina. Im Hof wurden die Fahrzeuge mit der Fernsehausrüstung und den Obligatorischen Waffen gepackt. Tamina kam zu Emily und redete mit ihr. Beide gingen in das Haus zurück. Jeder von dem Team bemerkte dies und alle hatten den gleichen Gedanken. Nach über 30 Minuten kam Emily in den Innenhof und sagte, dass sie heute noch im Krankenhaus oder Apotheke vorbei müsste.
Samira fuhr in dem Toyota Bus mit und lotste Oliver durch die Straßen von Gardez. Über Funk fragte Hannes ob Oliver noch den Weg zu der alten Frau wüsste. „Was hast du vor?“ Fragte Marcel über Funk zurück. „Die alte Frau war doch Lehrerin an der Mädchenschule. Wenn diese Dame mitfahren würde, wäre das eine super Reportage.“ Über Funk kam aus dem Hintergrund die Stimme von Gregory „Hannes überlege es dir!“ Fragende Blicke im Range Rover. Hannes erklärte was Gregory am Vorabend ihm auf dem Dach bezüglich dem Wechsel in die Medienindustrie sagte.
Die beiden Fahrzeuge hielten an der bewohnten Ruine der alten Frau an. Als die Frau die kleine Gruppe sah, lächelte sie. Sie sah anderst aus! Nicht mehr diesen grauen Blick in ihrem Gesicht. Hannes fragte die Frau, ob sie mit ihnen an ihre ehemalige Schule fahren könnte. Er würde selbst gerne die Projekte von Deutschland sehen und das Fernsehteam aus Australien könnte einen Bericht für das Fernsehen mache. Ein strahlen war in ihren Augen zu sehen. Gerne würde sie die Gruppe begleiten.
Nach 15 Minuten war die Mädchenschule von Gardez erreicht. Am Eingang zu der Schule standen zwei Wachhäuser die irgendwie nach DIXI Toiletten aussahen. Tamina stieg aus dem Land Rover und erklärt dem einen Wachmann, was das Anliegen der Gruppe sei.
Das Schulgebäude war niedrig, die Fenstern sahen Seelenlos aus. Überall an der Hauswand blättert die Farbe ab.
Aus Sicherheitsgründen parkten die zwei Fahrzeuge hinter dem Haus. Die Gruppe betrat das Gebäude und suchte die Schulleiterin. Tamina erklärt der jungen Frau, die in Jeans und roter Bluse in ihrem Büro an einem Schreibtisch saß, was der Besuch möchte. Auf paschtunischen
sagt die Schulleiterin etwas zu Tamina und an die Gruppe gewandt auf deutsch: „Herzlich Willkommen.“ Oliver sah Hannes mit offenem Mund. „Ja, ich habs auch gehört!“
Shabnam, die ältere Frau, umarmte die Schulleiterin und stelle sie der Gruppe als Nila Khalil vor und erzählt Nila auf deutsch, was ihr mit dieser Gruppe gutes widerfahren sei. „Solche Mensche hedd’s dahana in Gardez scho seid viela Jahra nemme geba“ , sagte Nila. Gleiche wäre Pause und danach dürfte sich die Gruppe in der Schule frei bewegen.
Die Kameras, Ton und Licht wurden aus dem Bus, in das Büro der Schulleiterin getragen. Oliver fragte Nila wo her sie so gut deutsch könne. Sie habe vierzehn Jahre in Stuttgart gelebt. Sabine wollte wissen, warum Nila nach Afghanistan zurück ging. Nilas Vater sei bei einem Terrorangriff vor zwei Jahren getötet worden und ihre Mutter daraufhin schwerst traumatisiert. So sei sie denn wieder zurück zu ihren Mutter nach Afghanistan geflogen. Sie wusste nicht was sie in Afghanistan machen sollte, Shabnam hätte sie an diese Schule gebracht, so wurde sie Lehrerin. „Es gibt doch auch heute noch jeden Tag Anschläge von Terroristen, sei es von Taliban, Al-Quaida oder Tehrik-i-Taliban aus Pakistan.“ Sagte Hannes. „Däsch isch richtig. Es isch heud g´nau so gefährlisch wi´d eigentlisch immer.“ Man hörte Nilas schwäbischen Akzent. Eine junge Frau mit langen dunklen Haaren, die bis zur Hälfte vom Rücken gingen, kastanienbraune Augen, einem Gesicht und Figur wie aus einem Modekatalog, redete schwäbisch in einer zerschossenen Provinzhauptstadt nahe der pakistanischen Grenze. Nila erzählt, dass sie 1990 als 10-jährige mit ihrer Verwandtschaft aus der Umgebung von Gardez vor der Taliban über den Iran, Türkei, Osteuropa zu Verwandten nach Stuttgart geflohen sei. Als junger Mensch hatte sie nur noch Angst in ihrem Land. Kinder wurden verschleppt und als Organhandel nach Indien oder die Westliche Welt verkauft. Durch den Krieg wurde das Leben immer gefährlicher.
Oliver und Hannes gingen eine rauchen und um auch zu sehen was Marcel machte oder ob er abgelöst werden möchte. Marcel sagte zu den beiden „Geht ihr in die Schule, ich denke es ist für euch eine große Bedeutung, dass ihr Menschen trefft, die in eurem Land waren. Ihr Deutsche.“ Er knuffte Hannes gegen den Arm.
Shabnam wollte den Ausländer gerne ihre ehemalige Schule zeigen.
Die Klassenräume waren spärlich eingerichtet. Eine alte Tafel, alte Tische und Stühle waren das Interieur von einigen Klassenräume. Es gab auch Klassen, wo die Kinder auf dem Boden saßen, weil keine Möbel da waren. An den Wänden hingen Bilder die die Kinder gemalt hatten. Oft sah man Trauer und Tot auf den Bilder. Viele Bilder waren in grau gehalten. Man musste kein Psychologe sein um diese Bilder deuten zu können! Es tat so weh, wenn man solche Bilder sah.
Die Mädchen die in den Klassen saßen, sahen verängstigt aus. Es waren andere Kinder als in Europa in den Schulen. Die Gesichter sprachen für sich. Diese Kinder hatten keine unbeschwerte Kindheit – verängstigt waren sie. Wie schwer werden sie es in ihrem Leben haben?
In einer Klasse der ältere Mädchen sprach Nila mit ihnen und erklärte den Grund von dem Besuch. Einige waren bereit zu reden.
Zohra war 15 Jahre alt. Sie hatte dreckige und kaputte Kleider an und ihre Augen sahen Leblos aus. Sie erzählte, dass sie in einem Haus wohnte, in dem es kalt sei. Die Heizung sei ein Blechfass und das sie mit ihrer Mutter und Bruder in einem Raum lebte. Der Rest vom Haus wäre kaputt. Eine Granate hat die Hälfte von den Haus einstürzen lassen. Die paar Möbel die noch zu gebrauchen sind, würden eben in dem einen Raum stehen. Ihr Vater wurde bei der Arbeit auf dem Feld vor drei Jahren von einer Mine getötet. Der neun Jahre alte Bruder würde seit diesem Tag nicht mehr reden und viel weinen. Ihre vier Jahre ältere Schwester ging vor vier Jahren auf den Markt und wollte Lebensmittel kaufen, sie kam nie mehr nach Hause! Niemand weiß wo sie ist. Seit dem geht Zohra nur noch in Begleitung von anderen in die Schule oder zum Einkaufen. Nachts habe sie Alpträume das eine Bombe explodiert oder das Männer kommen um sie und ihre Familie erschießen. Sie fürchtet sich jeden Tag, jede Nacht. Sie würde weglaufen, wenn sie könnte!
Zohra fragte, warum sie in Afghanistan seien. Tamina erklärte ihr und auch den anderen Mädchen in der Klasse, dass die Männer und Frauen zum helfen da sind und um Berichte für andere Menschen in der Welt zumachen, damit diese sehen wie schlimm es in Afghanistan ist. „Wem wollt ihr helfen und wo wollt ihr helfen?“ War die Frage von Zohra. Tamina antwortet „Mein Mann und ich wohnen in Kabul, wir haben seit vielen Jahren immer wieder Projekte für Kinder gemacht. Wir unterstützten Schulen und reden mit der Regierung um unsere Projekte nachhaltig zu betreuen.“ Zohra sagte „Es gibt sehr viele Soldaten in Afghanistan und trotzdem gibt es Terror, Bomben und viele Tote jeden Tag.“ Zohra wollte wissen wo der Besuch her kamen. „Deutschland, Frankreich, USA und Australien,“ sagte Tamina. Die meisten in der Schule wussten nicht einmal wo diese Länder lagen. „Die Deutschen haben diese Schule gebaut. Unsere Lehrerin ist deutsche.“ sagte Zohra und Hannes nickte. „Bist du auch aus Deutschland?“ „Ja. Zohra, ich komme aus Deutschland.“
Ein unauffälliges Mädchen in der dritten Reihe frage Hannes „Du hast eine Waffe bei dir. Du kannst dich schützen. Wir haben gar keinen Schutz.“ „Darf ich fragen wie du heißt?“ „Ich heiße Nesrin.“ „Hallo Nesrin, glaubst du das ich durch meine Waffe ein Held bin?“ „Ja, du kannst schießen.“ „Zum schießen muss ich kein Held sein.“ Nesrin sah ihn fragen an. „Vor vielen Jahren hatte meine Frau und ich, Kinder in einem anderen Land dieser Welt lesen und schreiben beigebracht. Da war ich ein Held.“ „Warum ist ein Lehrer ein Held?“ „Ein Lehrer möchte das beste für seine Schüler. Ein Lehrer möchte euch Wissen und Bildung beibringen, damit ihr später einen guten Beruf machen könnt oder ihr selbst bestimmen könnt über Rechte, Politik und euer Leben.“ „Willst du die Welt verbessern?“ „Nesrin, ich nicht alleine, aber vielleicht irgendwann mit deiner Hilfe.“ Sie sah ihn irritiert an. „Je mehr Menschen es auf dieser Welt gibt, die lesen und schreiben können, umso schneller werden wir alle Frieden haben. Kluge Menschen greifen nicht zu den Waffen. Kluge Menschen reden und lösen Probleme mit Wissen, Bildung und Intelligenz. Ich habe diese Waffe ständig bei mir, weil es Menschen gibt, die nicht wollen dass Kinder schlau sind. Sie wollen nicht dass wir helfen für Frieden, für eine bessere Welt oder um euch eine bessere Zukunft zu geben. Verstehst du was ich dir sagen will?“ Nesrin nickte. Nila beendete sehr gut und gekonnt diese Diskussion. Gott sei dank, dachte Hannes. Die Situation war sehr beklemmend für ihn.
Auf dem Weg zu Nilas Büro hielt sie ihn kurz am Arm fest. „Wie du eben mit Nesrin gesprochen hast, war sehr gut. Deine Worte sind so klug. Viellicht begreifen die Mädchen nun, wie wichtig es ist lesen und schreiben zu können.“ „Danke. Nila, wenn ich es schaffe, dass nur ein paar Kinder an das Glauben, was ich für diese Welt möchte, lebt meine Arbeit weiter. Es wird Zeit zum Aufbruch. Wir müssen noch im Krankenhaus vorbei.“
Nila gab ihm noch ihre Adresse und sie würde sich freuen, wenn er bei ihr vorbei kommen könnte.
Emily, Tamina und Hannes machten sich auf den Weg ins Krankenhaus. Als Emily eine Schachtel mit verschiedenen Flaschen, Salben, Mullbinden und Pflaster in der Hand hielt, gab sie dem Arzt einige Geldscheine.
Zurück in der Karmashy-Village-Road sprach jeder über diesen Tag. Jeder fühlte sich betroffen und jeder möchte auch irgendwie helfen. Nur wie? Wie können ein paar Männleins helfen? Bei so viel Leid! Welche Zukunft hat dieses Land? Hat Afghanistan überhaupt eine Zukunft?