
Die Obdachlosen von Paris
Am 31. Januar 2022 wurden bei der „Nuit de la solidarité“ 3552 obdachlose Menschen auf den Straßen von Paris gezählt.
Autorin Evke Freya von Ahlefeldt
Bei der jährlich stattfindenden „Nuit de la solidarité“ in Paris zwischen Januar und Februar, sind Ehrenamtliche für eine Nacht im Großraum Paris unterwegs, um obdachlose Personen zu zählen und so weit wie möglich die Obdachlosen zu ihrer Lebenssituation zu befragen. Organisiert wird dies von APUR (Atelier Parisien d’Urbanisme), einem Pariser Verein für Urbanistik, der1967 gegründet wurde. Der Verein hat mittlerweile 29 Partnerorganisationen. Von APUR werden zukunftsorientierter und maßstabsübergreifender Studien erstellt, welche auch mit Behörden, Institutionen und Organisationen abgesprochen werden.
Durch die Dokumentationen und Analysen von APUR konnten bereits viele
städtebauliche und gesellschaftliche Projekte in den 20 Arrondissement und Großraum Paris entwickelt werden.

Nuit de la solidarité
Die „Nuit de la solidarité“ wurde 2018 ins Leben gerufen und erstellt die wichtigsten Referenzen über die Obdachlosigkeit in der französischen Hauptstadt. Neben der Zählung wird auch die Bedürfnisse und Hintergründe der Betroffenen dokumentiert, sowie deren Unterkünfte geografisch festzulegen.
Nach der neuesten Zählung von APUR hat die „Nuit de la solidarité“ eine Zahl von 3641 Obdachlosen ergeben. Dabei wurden nicht nur Personen gezählt die auf der Straße übernachten, sondern auch Orte wie Bahnstationen und Parks einbezogen.
Zu den drei Parks gehörten: der Bois de Boulogne im Westen, der Bois de Vincennes im Osten und die „Colline“ im Norden von Paris.

Die Zahlen sind leider nicht definitiv, da die Zählung nur an einem Tag stattfindet. Die Ergebnisse können deshalb variieren und entsprechen nicht der absoluten Zahl obdachloser Menschen in Paris. Vor allem aber konnte nur an zugänglichen Orten gezählt werden. Gebiete der Petite Ceinture, kleinere Parkanlagen, Parkhäuser, Ruinen von Industrieanlagen oder leerstehenden Häuser sind somit nicht inbegriffen. Ebenfalls fallen aus den Zahlen heraus, alle Personen welche „Couchsurfen“ und durch solidarische Netzwerke, wie zum Beispiel kirchliche Obdachlosenheime, beherbergt werden.

Außerdem ist zu beachten, dass von den 3641 Gezählten nur etwa 1200 den Fragen der Helfer vollständige oder teilweise beantworten wollte oder konnten.

Der Obdachlosigkeit auf den Grund gehen
Die Studie stellt in erster Linie Geschlecht, Altersspannen und ob die Person einzeln oder in einer Gruppe angetroffen wurde.
Auch werden Punkte wie hin Schwangerschaft, Familienstand, Kindern und tierische Begleiter dokumentiert.
Bei den Befragten wurden auch die Hintergründe der Obdachlosigkeit dokumentiert, um die Lebenssituation der Menschen zu verstehen.
Gründe für die Obdachlosigkeit sei für die Befragten die Ankunft in der Hauptstadt ohne entsprechende Unterkunft. Auch Schicksalsschläge, wie zum Beispiel Trennungen und Räumungen.der Wohnungen bzw. Häuser.

Von den Befragten Obdachlosen waren
14% Frauen, wobei diese am stärksten in den Altersklassen unter 25 Jahren sowie über 55 Jahre vertreten sind. Sie sind es auch, welche in Gruppen übernachten, sowie öfters Schlafplätze wechseln und für welche es am gefährlichsten auf der Straße ist.
Insgesamt sind dabei 36 % der erfassten Personen seit weniger als einem Jahr obdachlos. Mit einem Anteil von 10 % an der Gesamtanzahl gehören Jugendliche >25 Jahren zu einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe. Es sind zugleich diejenigen die die Leistungen der Sozialdienste (Notunterkünfte, Sozialleistungen, Begleitung oder Betreuung durch Sozialarbeiter) am wenigsten kennen, sowie ohne eine Unterkunft in Paris ankamen.

Nach der Auswertung der Fragebögen und Dokumentation ist eine temporäre Obdachlosigkeit im 18. Arrondissement mit den meisten Jugendliche zuverzeichnen. Sie gehören auch zu denjenigen, die tendenziell keine Gewohnheits-Schlafplätze haben. Im Gegensatz zu denen, welche seit Längerem auf der Straße leben.

Eine starke Konzentrierung im Nordosten
Außer von dem 15. Arrondissement
im Südwesten, fällt beim Blick auf die geografischen Verteilung der Obdachlosen Konzentrierung der Obdachlosigkeit auf den Nordosten auf. Am stärksten betroffen ist der 18. Arrondissement mit 507 Personen welche auf der Straße angetroffen worden sind, davon 105 Bewohner auf der „Colline, einem berüchtigten Hügel am Autobahnverteiler und bekanntes humanitäres Problem. Das Zeltdorf an der Porte de la Chapelle, wo Flüchtlinge und Crack-Abhängige konzentriert auf den Braunstreifen neben der Schnellstraße in Zelten hausen, wird regelmäßig geräumt. Zwecks fehlender Maßnahmen in Form einer Unterkunft und Perspektiven siedeln sich jedoch immer wieder neue Personen an. Die Auflösung des Camps der Crack-Süchtigen Obdachlosen im Herbst 2019 hatte zur Folge, dass es eine weitere Verteilung auf einem größeren Bereich gegeben hat.
So sind viele Obdachlose in den Norden wie den Canal de l’Ourcq oder den Jardin d’Éole, im 19.Arrondissement abgewandert, was zu Spannungen mit den dort lebenden „sesshaften“ Obdachlosen zu extreme Spannungen und Gewalt geführt hatte.

2017 / 2018 existierte außerdem ein riesiges Zeltlager, welches vom Kanal am Quai Valmy bis in die Vororte von Saint Denis reichte, sowie ein Sinti und Roma Camp auf der Petite Ceinture zwischen der Porte Clignancourt und Porte de la Chapelle. Diese beiden räumlichen Besetzungen wurden zwischenzeitlich geräumt und führte möglicherweise zu einer Umverteilung auf den Pariser Norden sowie die angrenzenden Vororte wie Bobigny, Pantin und La Courneuve.

Die Verteilung der Obdachlosen
Im Süden an den 18. (Montmartre) Arrondissement angrenzend befinden sich das 9. (Opéra) und 10. (Entrepôt) Arrondissement mit einer Zählung von 110 sowie 359 Personen. Im 19. (Buttes-Chaumont) Arrondissement sind es 466 Personen. Im 11.(Popincourt) Arrondissement 176, im 20. (Ménilmontant) Arrondissement 156 und endet mit dem 12. (Reuilly) Arrondissement, wo 369 Personen auf der Straße leben. Letzteres weist dabei 167 zusätzliche Obdachlose auf, die im Wald von Vincennes ihre Unterkünfte aufgeschlagen haben. Die Konzentration eines großen Teils der Obdachlosigkeit korreliert dabei mit den sogenannten populären Vierteln, welche eine hohe kulturelle Diversität aufweisen, aber auch einen hohen Teil an Sozialwohnungen und Armut. Im Vergleich zum Vorjahr ist eine Abwanderung aus den 9. und 10. Arrondissement in den Norden zu beobachten.

So nahmen in diesen Vierteln die gezählten Obdachlosen ab, während im 18. und 19. (Buttes-Chaumont) Arrondissement ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen ist. In diesem Bereich wurden vermehrt Jugendliche Gruppen gezählt, welche in den beiden Gebieten am stärksten repräsentiert sind.
Über das Zentrum zum Südwesten nimmt die Masse obdachloser Menschen ab und weist ein gemischtes Personenprofil auf.
Das 16. (Passy) Arrondissement, welches als ein sehr bourgeoiser Bezirk gilt und an den ebenfalls reichen Vorort Boulogne angrenzt. So wurden einige Obdachlose in dem Wald von Boulogne gezählt, wobei diese verglichen zur „Colline“ oder dem Wald von Vincennes jedoch bei weitem geringer ist. Letzterer befindet sich im Osten und grenzt an das 13. (Gobelins) Arrondissement an, welches ebenfalls eine kleinere Zahl an Obdachlosen aufweist.

Die Nord-Süd Achse zum Westen und dem Gürtel im Zentrum vom 2.(Bourse, seit 2020 hat dieses Arrondissement keine eigene Verwaltung mehr, sondern bildet zusammen mit dem 1., 3. und 4. Arrondissement den Sektor Paris Centre.) und dem 8. (Élysée) Arrondissement fallen dabei durch eine geringe Obdachlosenzahl auf. Diese sind auch die sogenannte „Beaux Quartiers“ – die Nobel Arrondissements von Paris.
Evke Freya von Ahlefeldt, Mitglied bei Samusocial de Paris, Paris, 28. April 2022