Teil I 6 Das Vorstellungsgespräch

„Mein Anstand verbietet es, dir jetzt eine Ohrfeige zu geben.“

In der Nacht von Sonntag auf Montag hatte Hannes kaum geschlafen. Zum einen war es wieder ein wunderbarer Sex mit Patricia und zum anderen war er sehr aufgeregt wegen dem bevorstehenden Vorstellungsgespräch in Reims. Wie sollte er für eine französische Firma arbeiten, wenn sein Wortschatz nur für eine kleine Unterhaltung oder zum Brot kaufen reichte? Selbst mit aller Anstrengung würde er nicht so viel französisch lernen, dass dieses für ein Vorstellungsgespräch reichte. Franziska war für ihn eine gute Lehrerin und große Hilfe, sie half ihm Gedächtnisbrücken zu bauen wie etwas von deutsch auf französisch gesagt wurde oder wie es im Satzbau der Grammatik richtig war.

Er lag wach neben Patricia und konnte sich an ihrem Körper gar nicht satt sehen. Da er nun von den vielen Operationen wusste, sah er jetzt die noch schwachen Narben. Was dieser junge Mensch schon durchgemacht hatte, konnte er sich gar nicht vorstellen. Warum kann ein lieber Gott, so grausam sein? Gibt es überhaupt „Den lieben Gott“? Die Bibel zeigt oft ein anderes Bild. Das Leben zeigt oft ein anderes Bild. Er hatte sich nie Gedanken über Leukämie gemacht – davon gehört schon. Ihm kam nie in den Sinn, wie dieser Kampf geführt wird. Der Krebs oder Leukämie war so weit weg, nun lag diese Krankheit einen halben Meter nackt neben ihm. Wie wird dieses Leben weiter gehen? Er hatte sich entscheiden diesen Weg mit ihr zu gehen. Er hatte es ihrem Vater versprochen und seine Liebeserklärung an eine zwanzig Meter hohe Drehleiter hängen lassen. Wann werden sich der linke und rechte Fahrstreifen von der Autobahn trennen? Hannes war 19 Jahre alt und dachte über das Ende vom Leben nach. Kann man dies überhaupt? Darf man dies überhaupt? War man in diesem Alter überhaupt reif für solche Gedanken?
„Mon chérie, je t’aimerai toute ma vie“, sagte er leise und streichelte ihren nackten, zierlichen Körper.

Die Autobahn A4 von Thionville nach Reims fuhr sich gut. Als Hannes den Wegweiser nach Verdun sah, sagte er „Da war ich mit der Schulklasse. Die Soldatenfriedhöfe, das Beinhaus von Douaumont mit Überreste von hunderttausende Soldaten. Wir waren damals auch in den Bunkeranlagen gewesen. Diese Bilder sind heute immer noch im Kopf. Eine Sinnlose Schlacht wurde wegen Irrsinn und Größenwahn geführt. Mit Patricia habe ich schon viel über die Geschichte aus dem ersten Weltkrieg gelernt. Wir waren an vielen Orten der Maginot-Linie. Sahen Bunker, Wehranlagen und Friedhöfe. 1,3 Millionen Franzosen sind im Ersten Weltkrieg gefallen. Fast 10 Millionen in Europa. Wofür? Für Vaterland, Ruhm und Ehre?“ Bernhard und Patricia hörten ihm aufmerksam zu. „Der Zweite Weltkrieg ist nun 41 Jahre vorbei. Ein Krieg der genau so irrsinnig war und das fünffache an Gefallenen Soldaten und Zivilisten mit sich brachte. Heute sitze ich bei einem Franzosen im Auto, liebe eine Französin und lernt diese Sprache. Krieg kenne ich nur aus Büchern oder Fahrten mit der Schulklasse. Was Peter uns in Fréjus erzählt hatte, tat mir weh – war aber wichtig für mich. Mein Opa hatte nie vom Krieg und der Gefangenschaft in Russland gesprochen. Ich hätte es gerne gehört um zu verstehen was Krieg an Tod, Leid und Flucht bringt. Peter war für drei Tage mein Großvater. Drei Tage um so vieles zu verstehen und begreifen. Nie wieder darf es Krieg geben! Trotzdem lese ich im Stern oder Spiegel über Krieg irgendwo in Südamerika oder Zentralafrika. In der Tagesschau kommen Beiträge aus dem Sudan, Somalia, Palästina oder Israel. Täglich sterben Menschen für einen Irrsinn.“ Bernhard und Patricia nickten bei seinem Worten. „Vor etwas mehr als drei Jahren gab es in Tschernobyl einen radioaktiven Gau. Ich weiß es heute noch wo ich an diesem Tag war. Einen Tag nach dieser radioaktiven Kettenreaktion, am 27. April 86, war ein Sonntag und mein Vater hatte gegrillt. Es war ein warmer, sonniger Tag. Meine Schwestern waren auf der Wiese sich am sonnen. Das Radio am Grillhaus war eingeschaltet und ständig kamen Nachrichten über dieses Unglück irgendwo in Russland – die Ukraine war russisch; Punkt. Es gab Informationen von Fachleuten wie man sich in Westeuropa nun schützen sollte: Kein Salat von den Feldern essen, Obst und Gemüse gut waschen und so einiges mehr. Blöd nur, dass man einen radioaktiven Fallout nicht sieht und nicht spürt. Krieg? Wer braucht schon Krieg, es reicht wenn ein Atomreaktor explodiert. All diesen Tod mit Waffen, Panzer und Raketen braucht man doch gar nicht. Die Kühltürme von Cattenom sehe ich aus fast jeder Richtung, wenn ich hier her komme. Was ist, wenn dieses Ding auch mal explodiert? Jod Tabletten schlucken? Im Keller ein Loch graben und warten bis nach 30 Jahren die Halbwertzeit sich um was; verringert hat? Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24000 Jahre, so viel Ravioli Dosen kann kein Mensch in den Keller schleppen, um einen Atomaren Supergau zu überleben. Wer braucht schon Krieg?“ „Mein lieber Hannes, du machst dir viele Gedanken und diese natürlich zurecht. Wir hatten gegen Cattenom protestiert und trotzdem wurde der Reaktor gebaut.“ „Was bei euch Cattenom ist, ist bei uns der Hunsrück. Zwar haben wir kein AKW ums Eck stehen, dafür 96 Cruise-Missile’s. Wir leben in einer Atomaren Aufrüstung von Ost und West und diese reicht aus um den Planeten zigfach zu zerstören. Mit der 8. und 9. Schulklasse waren wir damals im Kino den Film „The day after“ schauen. Was bleibt uns nach einem Atomkrieg?“ Patricia saß auf der Rückbank und legte ihre Hand auf seine Schulter. „Frankreich ist auch eine Atommacht. Wo wollt ihr eure Atomraketen hin schießen? Als NATO Partner ist es sehr unwahrscheinlich auf Deutschland zu feuern. Bleibt nur der Osten. Der Feind kommt aus dem Osten. Warum? Nur weil die Weltpolitik dies so sagt? Ich wohne am Rand vom Hunsrück und noch keine 50 Kilometer weiter sind Mittelstreckenraketen stationiert. Ramstein ist die größte US Air Base außerhalb der USA. Alleine in Rheinland-Pfalz gibt es sechs US Flugplätze. Bei Morbach ist das größte Munitionslager in Europa. Eine Bombe reicht und Rheinland-Pfalz ist nicht mehr! Es gibt tausende Atomraketen, wie oft wollen wir damit diese Welt zerstören?“

Schweigen und nachdenkliche Blicke von Bernhard und Patricia. „Es passiert in der nächsten Zeit etwas. Ich weiß nur noch nicht was. Unser Außenminister, Genscher, fliegt nur noch nach Osten und Westen. Ist der Kalte Krieg vorbei oder stehen wir an einer neuen Stufe der Eskalation?“ „Schatz, du machst dir viele Gedanken über Dinge die du nicht ändern kannst.“ „Patricia, ich weiß. Ich möchte Bildung für Kinder und weiß das ich es nicht ändern kann, allen Menschen lesen und schreiben beizubringen. Ich glaube an das Gute im Menschen und für eine bessere Welt. Warum geht dein Vater in ferne Länder um dort eine Versorgung für Menschen zu verbessern? Warum fahren wir nach Reims? Weil wir an eine bessere Welt glauben.“ „Exactement, mon chérie.“

Bei ODHI in Reims

Bernhard steuerte das Auto durch Reims und Hannes wurde langsam nervöser. Was passiert wenn dies heute nicht klappt? Ist sein Traum dann vorbei?
„Wir sind da“ sagte Bernhard und parkte vor einem vierstöckigen Bürogebäude mit verglaster Front. Am Eingang war eine ganze Armada an Briefkästen mit bestimmt zwanzig Firmenlogos und Namen zu sehen.
Ein Pförtner betätigte den Türöffner und durch ein summen entriegelte die Tür. Sie grüßten den Mann hinter der halbrunden Theke.
Durch die in anthrazit geflieste Halle ging es nach links zu den Fahrstühlen. Hannes hielt die Hand von Patricia. „Tout ira bien“ sagte sie zu ihm und gab ihm einen Kuss. „Ich hoffe es.“

Im dritten Stockwerk öffnete der Fahrstuhl seine Tür. Bernhard ging nach rechts und beide folgten ihm. Am Ende des Flurs standen sie vor einer Milchglastür. Rechts neben der Tür stand auf einem Schild der Name der Organisation.

ODHI
Organisation de développement et de secours pour l’humanité et les infrastructures

Bernhard klingelte und ein Summer ertönte. Hannes schlug das Herz bis zu Hals.
Der Empfang war ein großer weißer Tresen, der dicke graue Teppich und die Holzvertäfelungen zeigen eine Eleganz in diesem Büro. Rechts am Fenster stand ein Monstrum von Palme. Bernhard grüßte die junge Frau am Empfang. „Ah oui. Vous êtes déjà attendu“ sagte die Anfang dreißig jährige Frau. Wir werden erwartet. Na dann.
Bernhard ging nach links an drei dunkelbraunen Türen vorbei und klopft an der vierten Tür und öffnet diese auch sogleich. Hannes hatte das Gefühl, als ob Patricia ihn in den Raum zerrte.

Ein großer Raum mit einem rechteckigen Tisch von zehn Quadratmeter im gleichen Farbton wie die Türen, stand in der Mitte. Auch hier war der graue schöne Teppichboden verlegt. Am Tisch standen vierzehn Stühle, wovon drei besetzt waren. Zwei Männer und eine Frau erhoben sich. Der erste Mann war Ende fünfzig, untersetzt und hatte einem Vollbart „Bonjour, je suis Jean Grizon. Je suis la directeur.“ „Salut, Nina Dupont. Ich bin für die Personalabteilung zuständig“ sagte sie in einen luxemburgischen Akzent. Nina konnte Mitte dreißig sein und war in Jeans und weißer Bluse gekleidet. Sie hatte fast gleiche Haarlänge und Farbe wie Patricia.
Der andere Mann stellte sich als Stephane Dilbert vor. Er konnte im gleichen Alter wie Nina Dupont sein. Stephane war unglaublich groß und sehr schlank. Mit seinen kurzen schwarzen Haaren und Dreitragebart machte er einen sehr gepflegten Eindruck. Auf seinen Jeans trug er ein schwarzes Sakko.

Hannes bemühte sich so viel französisch zu reden wie er konnte. Nina sagte, dass er auch deutsch reden könnte. Sie und Stephane würden ihn verstehen. Bernhard übersetzte die Fragen und Antworten von Monsieur Grizon ins französische, beziehungsweise ins deutsche.
Da am vergangenen Montag Bernhard und Patricia schon Vorgesprochen hatten, wussten die drei Personen schon einiges über und von Hannes. So brauchte er nicht noch einmal alles zu wiederholen. Die Fragen waren oft persönlicher Natur und Interesse. Stephane stellten die einzelnen Projekte vor, die ODHI auf zwei Kontinenten unterhielt und betreute. Da waren schon ganz schöne Projekte dabei. Kongo, Sudan, Nigeria und Kambodscha. Stephane zeigte Videos von einzelnen Projekte aus diesen Länder. Hannes war sprachlos bei solchen Bilder. Was für eine Armut und Elend es auf der Welt gab! 

„Du und Patricia wollt euch das wirklich antun?“ Fragte Stephane, als die Videos zu Ende waren. „Oui Monsieur. Sie kennen meine Einstellung.“ „Deine Einstellung kennen alle hier im Raum. Solche Mitarbeiter brauchen wir.“ Der Puls und Herzschlag von Hannes war kurz vor der Belastungsgrenze. „Bernhard arbeitet schon einige Jahre bei uns, von daher wäre der erste und beste Schritt, dass du in seinem Team anfängst.“ Patricia fiel Hannes um den Hals und ihm kamen die Tränen. „Ich sagte doch, alles wird gut, mon chérie.“

Im Büro von Nina wurde alles weitere besprochen, was Hannes noch besorgen sollte, welche Versicherung und bei welcher Krankenkasse er sich für die Auslandseinsätze versichern sollte. Die Policen sollte er dann einreichen, diese würde die Organisation bezahlen. Der Arbeitsvertrag war bereits vorbereitet, wie auch der Personalbogen. Als Hannes den Personalbogen las, sah er zu Patricia „Du hast diese doch schon alles gewusst.“ Patricia nickte „Bien sûr! Hast dich aber sehr gut geschlagen, mon chérie.“ „Du Biest.“ Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Letzte Woche waren beide hier gewesen. Patricia und Bernhard haben so viel von dir erzählt, dass es für uns keine Frage war, dich einzustellen. Hannes, wenn alle unserer Mitarbeiter dieses Engagement hätten, könnten wir noch viel mehr bewegen. Deine Angst wegen der Sprache ist berechtigt. Da wir aber ein internationales Team sind, wird viel in englisch gesprochen. Was deine Schule anbelangt, ist doch erst mal zweitrangig. Wir haben sehr viele Mitarbeiter die auch kein Abitur haben. Nur weil man in der humanitären Hilfe arbeitet oder arbeiten möchte, braucht man kein Abitur oder Studium. Eine Krankenschwester bei Ärzte ohne Grenzen braucht dies doch auch nicht. Es zählt die Fachkompetenz und der Wille dieser Person. Patricia sagte mir, dass du in der Schule kein französisch hattest.“ „Oui. C’est vrai, Mademoiselle.“ „Respekt. Dafür hast du das Vorstellungsgespräch sehr gut hin bekommen. Alles andere kommt mit der Zeit. Du hast eine gute Lehrerin an deiner Seite.“ Patricia gab ihm erneut einen Kuss auf die Wange.

Es klopfte an der Tür von Nina. Bernhard und Jean Grizon kamen ins Büro „Na, alles geklärt?“ Nina nickte. „Gut, dann können wir nun essen gehen“ sagte der Direktor von ODHI.

Das Restaurant war nur wenige hundert Meter vom Büro entfernt. Jean hatte vorab einen Tisch reservieren lassen. Die Gespräche am Tisch waren sehr angenehm. Stephane erzählte, wie er bei ODHI angefangen hatte, im welchen Ländern er schon war und er dies sehr vermisse. Seine Tochter sei nun vier Jahre alt und aus diesem Grund sei er in der Zentrale nach Reims gewechselt. Er wäre aber immer mal wieder in Westafrika oder Südostasien vor Ort. Es gäbe Mitarbeiter in der Firma, die ihre Familien in ihren Einsatzländer dabei hätten. Die Kinder seien dann auf einem Internat von Internationalen Schulen.
„Ihr werdet sehen, was für tolle Mitarbeiter wir haben. Ihr seid nicht alleine und werdet dies auch nie sein“ Stephane blickte Patricia und Hannes an „Niemand muss in einem Zelt schlafen oder Bohnensuppe aus einem Blecheimer vom Feuer essen. Es gibt Hotels, Appartements oder sogar Häuser für die Mitarbeiter. Wir haben Mitarbeiter, die alle Jahre in ein anderes Land wollen. Diese haben dann meist nur ein Appartement. Dann gibt es Mitarbeiter, die für Jahre in dem Land leben, wo sie im Einsatz sind und haben dort Häuser gekauft oder gemietet.“

Im Super Marché in Yutz

Am Dienstag war Hannes in Yutz im Super Marché einkaufen. Da er oft genug bei den Lefèvre’s war, kaufte er natürlich auch Getränke und Lebensmittel ein. Durch die Gänge schlendernd und mal hier und da etwas in den Einkaufswagen legend, hörte er auf einmal seinen Namen rufen. Durch die Aktion mit dem Feuerwehrauto am Geburtstag von Patricia wurde er in der Region zu einer kleinen Berühmtheit und so wurde er hier und da von völlig fremden Menschen gegrüßt. Hannes war mittlerweile beim Bäcker, Metzger oder auch im Super Marché bekannt. Er ging auch schon mal mit Maurice ins Feuerwehrhaus auf ein Bier oder zwei. Er lernen immer öfter neue Menschen kennen und fühlte sich immer mehr zu Hause. Mit Claude waren Patricia und er auch schon oft Billard spielen oder Bier trinken gewesen. Die Stimme die er jetzt hörte kam ihm sehr bekannt vor. Er drehte sich um und sah am Anfang von dem Regalgang Cosima stehen. Mit ihren Hüftlangen pechschwarzen Haare, Stretch Jeans und weißer Bluse, war sie die personifizierte Frau für jedes Modelabel. Sie küsste ihn links und rechts auf die Wange und fragte, ob er mit ihr einen Kaffee trinken möchte? Ungern, dachte er bei sich. „Volontiers. Gerne doch“ sagte er aus Anstand zu ihr. „Ich mache noch schnell den Einkauf fertig, dann können wir einen Kaffee trinken gehen.“ Cosima begleitete ihn durch die Regale und sie sprachen über belangloses.

In der kleinen Cafeteria nahmen sie an einem runden Tisch platz. „Dein Geschenk zu Patricia’s Geburtstag war der Knaller. Alle Welt hat deine Liebeserklärung gesehen.“ „Dankeschön. Beschränke es auf Lothringen.“ „Über dich wird hier sehr viel geredet – nur gutes! Ich hatte dich im Sommer am Bostalsee gar nicht so eingeschätzt.“ „Siehste mal. Der Clown den du gesehen hast, gibt es nicht mehr.“ „Non, du warst kein Clown. Du hattest nur eine verrückte Idee mit guten Gedanken. Du hattest auf einer Kuhweide von Romantik gesprochen. Ich bin ehrlich zu dir und dachte, es seien nur Texte. Heute weiß ich, dass es nichr so war.“ „Dankeschön. Jeder von euch hätte mitfahren können. Weißt du Cosima, die Jungs und Mädels aus der Clique wollen so viel und scheitern schon bei dem ersten Schritt. Patricia war die einzige die sofort zugesagt hatte, natürlich dachte ich in dem Moment, als ich ihr Elternhaus sah, sie wollte nur ein billiges Taxi haben um von der Kuhweide zu kommen.“ „Patricia hatte es dort überhaupt nicht gefallen. Sie wollte nach Hause.“ „Würde ich so nicht sagen. Sie wollte etwas erleben. Mal eine andere Frage: wie lange habt ihr dort noch gecampt?“ Cosima schüttelte den Kopf „Wir sind am Nachmittag abgereist.“ „War mir klar.“ Cosima sah ihn verwundert an. „Was hattet ihr erwartet? Campen ist wie ein Hotel?“ „Ja und nein.“ Hannes verzog die Augen „soll heißen?“ „Ja – soll heißen: dass offensichtlich Laura und Jasmin das Wort campen und den daraus resultierenden Mangel an sanitäre und elektrische Versorgungseinrichtungen nicht bewusst war.“ Hannes nickte „Ich hatte am Rande so etwas mitbekommen. Und nun machst du die beiden dafür verantwortlich?“ Dabei sah er Cosima mit geneigtem Kopf fragend an. „Deine Augen sagen mir, dass du mich auch zu dieser Kategorie zählst.“ Hannes nickte stumm. „Hannes, auch wenn du mich als den Engel aus dem Orient bezeichnest, der Engel kennt auch ein Leben ohne Strom und mit Plumsklo. Meinst du bei unseren Verwandten im Iran gibt es überall Wasserhähne aus Gold?“ Hannes nahm tief Luft und wusste nicht was er jetzt sagen sollte. „Wir sind jedes Jahr in den Iran in Urlaub geflogen und wie es sich für eine Familie gehört, haben wir natürlich auch bei den Verwandten geschlafen. Ich kenne durchgelegene Matratzen und muffige Räume. Somit ist nun auch das Nein beantwortet. Ich glaube Laura und Jasmin hatten eine völlig falsche Vorstellung von diesem Trip. Schöne Kerle am Lagerfeuer und jeden Abend mit einem anderen bumsen.“ Hannes zog die Augenbrauen hoch. „Glaubst du, dass Töcher von einem Bauunternehmer oder Zahnarzt brav sind? Hannes, in welcher Welt lebst du? Wenn ich mich so benehmen würde, wie die beiden, hätte ich Hausarrest bis zum Ende meines Studiums und da spielt die Volljährigkeit keine Rolle oder schlimmer noch: mein Vater könnte mich in den Iran zu seiner Schwester schicken. Nathalie, Patricia, Yvonne und ich sind das krasse Gegenteil von denen. Kannst du mir jetzt glauben oder nicht.“ Hannes verzog dem Mund. Was Cosima sagte stimmte schon. Mit Yvonne hatte er sich schon öfters unterhalten und fand sie auch sehr nett.
Hannes sah, dass Cosima am denken war und wartete auf das was sie sagen wollte.
„Du liebst Patricia sehr.“ Hannes nickte „Oui Mademoiselle. So sehr, dass es in den Zeitungen stand.“ Sie streichelte ihm am Arm „Hannes, du weißt schon das sie krank ist. Wie soll das mit euch weiter gehen? Der Krebs wird zurück kommen und dann hast du ein Pflegefall.“ Hannes fühlte sich in diesem Moment als ob ihm jemand den Boden unter den Füßen weg gezogen hatte. Er sah diese wunderschöne Frau an und musste sich beherrschen „Cosima, mein Anstand verbietet es, dir hier und jetzt eine Ohrfeige zu geben“ , sagte er noch sehr gefasst. Hannes erhob sich wortlos und ging aus der Cafeteria.

Freitag, 10. November 89

Der Tag war trotz der niedrigen Temperatur sehr schön. Patricia war dieses Wochenende bei Hannes im Nahetal. Eng umschlungen saßen sie auf einer Bank am Waldrand und schauten ins Tal. Der Herbst hatte die Blätter der Bäume in unzählige Farben verwandelt und die Sonne schien ihnen ins Gesicht.
„Mon chérie, ich bin Gott dankbar für jeden Tag mit dir. Deine Nähe tut mir so unendlich gut. Deine Liebe lässt so vieles vergessen. Bald sind wir täglich zusammen. Dann trennen uns keine 115 Kilometer mehr. Oh, chérie.“ „Oui, Madame. Je t’aime.“ „Dein französisch wird auch immer besser. Du warst und bist nicht dumm. Für mich warst du niemals ein Clown. Was du sagst, bringt andere zum Nachdenken. Deine Worte treffen immer auf den Punkt.“ „Wow! Merci beaucoup.“ „Dies meine ich. Du redest ohne darüber nachzudenken in französisch.“ „Komm Schatz, wir gehen noch einkaufen. Ich koche heute Abend für uns.“ „Apropos Einkauf: was war letzte Woche im Super Marché?“ „Wenn du die Unterhaltung mit Cosima meinst, hatte sie viel Glück das ich ihr keine gescheuert habe.“ „Wie? Ich hörte das du sie beleidigt hast.“ Hannes drehte sich wie vom Blitz getroffen zu ihr um und sah Patricia ungläubig an „Sag das noch einmal!“ „Yvonne rief mich gestern an und sagte, du hättest Cosima im Super Marché getroffen und sie zu einem Kaffee eingeladen. Du hättest sie angebaggert und sie dir einen Korb gegeben. Darauf hättest du sie mit nicht schönen Worten beleidigt.“ Was er von Patricia hörte, war nicht im Ansatz wahr. Er erzählte ihr wie es wirklich war und das er bei dem letzten Satz von Cosima noch die Beherrschung über sich hatte, grenzte an ein Wunder. „Cosima war schon immer eifersüchtig. Dies hätte ich ihr aber nie zugetraut. Ich dachte wir sind Freundinnen. Ich konnte auch nicht glauben, was Yvonne mir sagte.“ „Mir tut dies genauso weh. Ich hatte mich mit ihr vernünftig unterhalten und gefragt wie lange sie noch auf dem Campingplatz waren. Cosima sagte, dass sie am gleichen Tag abgereist sind.“ Patricia nickte „Stimmt. Es gab schon zwei Tage zuvor Zoff mit Laura und Jasmin. Die beiden können extrem zickig sein.“ „Dies hatte Cosima mir auch so gesagt und ich hatte dies auch bestätigt. Auch weiß ich von Claude so einiges über die Damen.“ „Behalte dies bitte für dich. Es wissen schon zu viele von deren Alkoholexzessen und Drogen auf Sexpartys.“ „Patricia, wenn ihr Freundinnen seid, solltet ihr es denen auch mal sagen und nicht schweigen.“
Patricia zog die Schultern hoch „Was sollen Cosima, Yvonne oder ich denen sagen? Wenn wir etwas gesagt hatten, war der Zoff da. Beide sind alt genug um zu wissen was sie tun – oder auch nicht. Ich hatte im Zelt von Laura ein paar bunte Pillen gefunden – und dies waren keine Antibabypillen. Aus diesem Grund wollte ich auch weg. Zum Glück. Im Grunde ist Laura für unsere Liebe verantwortlich.“

Im Nachbarort gingen sie im Supermarkt einkaufen. Hannes wollte „Schlabberkappes“, ein Spitzkohlgericht aus dem Hunsrück, kochen. Patricia hatte bei dem Wort „Schlabberkappes“ ihre Probleme mit der Aussprache.

Im Elternhaus von Hannes war Patricia gerne gesehen. Diese kleine quirlige Person aus Lothringen hatte eine liebenswert Art an sich, die seinem Vater sehr gut gefiel. Im Wohnzimmer redete sein Vater mit ihr und sagte, dass jener Teil von Rheinland-Pfalz nach dem Krieg Französisches Protektorat war. Er suchte sogar Fotos, auf denen man an den Autos französische Nummernschilder sah. Ja, auch französisch sprach sein Vater: Chaiselongue, Trottoir, Portmonee…. Hannes hätte brüllen können vor lachen, als er deren Unterhaltung im Wohnzimmer hörte.
Es war schön anzusehen, wie sein Vater Patricia ins Herz geschlossen hatte.
In der Anfangszeit ihrer Beziehung, erzählte Hannes von den Lefèvre’s und deren Haus. Es war schon anzumerken, dass seine Eltern, wie auch seine Geschwister der Meinung waren, dass dies nie gut gehen würde. Hannes dachte anfangs auch so. Das ein Haus oder Villa nichts über Menschen, deren Herz und Charakter aussagte, hatte sich längst bewiesen.

Nachdem Hannes den „Schlabberkappes“ gekocht und alle gegessen hatten, gingen er mit Patricia in das Highlight im Ort: „Die Grott“ – die Dorfdisco der 80er. Eigentlich hieß das Lokal „Blaue Grotte“ und war seit den 50er Jahren ein Ausflugs- und Tanzlokal. Die Eltern von Hannes waren früher auch dort gewesen. „Die Grott“, ein großer Saal der mit Pappmaché an Decke und Wänden verkleidet war, und wie die Blaue Grotte auf Capri aussehen sollte. Da auch Vorsprünge, Stalaktiten und Stalagmiten eingearbeitet waren, was dies eine Anlehnung an das Kupferbergwerk im Ort. Es war Kult am Wochenende in „Die Grott“ zu gehen. Ende der 70er kam der große Disco Boom auf und so wurden Lichtstrahler, Discokugel und DJ Pult eingebaut. Mitte der 80er Jahre war es in diesem Lokal so voll, dass man zeitweise hätte nicht umfallen können.
Wenn Patricia bei ihren Freunden von dieser Disco erzählte, hatte jeder große Augen gemacht. Natürlich war dies alles mal liebevoll eingebaut und hatte auch seinen Reiz – es blieb trotzdem eine Dorfdisco.

Da das Elternhaus von Hannes in einer Sackgasse stand und diese Straße auch noch etwas schmal war, mussten öfters Autos wie bei einem Bildschuppspuzzle hin und her gefahren werden. So war es völlig normal, dass im Esszimmer auf einer Ablage alle Schlüssel von den Autos lagen, die nicht in die zwei Garagen passten. Im Elternhaus von Hannes wohnten auch noch seine beiden Schwestern und deren Freund, bzw. Mann. Mit fünf Autos in einem Haus, wurde es auf der kleinen Straße mitunter recht eng. Wenn Patricia bei ihm war, kam ihr Auto noch hinzu.

Freitag, 24. November 89

Patricia weckte Hannes am frühen Sonntagmorgen und war völlig aufgelöst „Mein Auto wurde geklaut!“ „Ach Schatz, niemand klaut hier im Ort ein Auto.“ „Es steht nicht mehr auf der Straße!“ „Ja, dann ist es weg.“ Patricia hörte nicht auf sich Sorgen um ihr Auto zu machen, bis Hannes sich endlich anzog um das Auto zu suchen. In der Garage wurde er fündig. Sein Vater hatte „mal eben“ nach dem Auto geschaut. Zündkerzen, Keilriemen, Ölwechsel, Handbremsseil und die Vorderachse neue Bremsbeläge eingebaut. Ach ja, Scheibenwischer auch erneuert.
So war sein Vater. Nicht lange reden – machen. Da er von Beruf Maschinenschlosser war und an allen möglichen Baumaschinen auf seiner Arbeit schraubte und reparierte, war natürlich auch zu Hause alles an Autozubehör und Werkzeug in der Garage.

Hannes hatte seinen Job gekündigt und nahm noch seinem Resturlaub in Anspruch. Im neuen Jahr würde für ihn ein neuer Lebensabschnitt beginnen. In diesem Jahr hatte er noch etwas besonderes vor. Nur wusste er noch nicht, wie er es anstellen sollte. Hannes sortierte alle seine Papiere die er im nächsten Jahr brauchte. In einem Ordner waren Vollmachten für sein Vater für die Bank und Versicherung. Ob er sein Auto verkaufen oder nur abmelden wollte, wusste er noch nicht. Vorsorglich ließ er alles weiterlaufen wie gehabt, denn er wusste nicht ob die humanitäre Hilfe nicht zu einem Alptraum werden würde und er in drei Monaten zurück kommen würde. Von seiner Firma hatte er die Zusage bekommen, dass er jederzeit dort wieder anfangen könnte. Der zweite Chef der Firma, und sein Vorgesetzter, bedauerte seine Kündigung und war auf der anderen Seite stolz auf die Entscheidung von Hannes.
Zwischen all seinem Chaos an Papiere und Ordner fiel ihm ein kleiner Zettel in die Hand. Handschriftlich stand eine Adresse darauf geschrieben. Lange schaute er dieses kleine Zettelchen an. Danke Gott!

Es wurde Zeit auf widerstehen zu sagen. Auf widerstehen von zu Hause, von Freunde und der Heimat. Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt. Hannes fühlte sich in Lothringen wohl. Seit einem halben Jahr war er fast jedes Wochenende in Thionville. Er hatte dort Freunde gefunden, seine große Liebe und eine Familie, die ihn wie einen Sohn aufgenommen hatte.
Die letzten sechs Monate waren eine unglaubliche Zeit, wie er es sich niemals hätte vorstellen können. Aus einer spontane Idee oder Verrücktheit heraus, lernte er die unglaublichste Frau seines Lebens kennen.

In der kleinen Küche saß Hannes mit seiner Mutter beim Mittagessen. Er sah ihr an, dass sie traurig war. Er wollte nicht nochmals seinen Schritt erklären, es würde sich auch beim hundertstenmal an seiner Entscheidung nichts ändern.
Die Küchenuhr zeigte 13.37 Uhr. „Mama, ich muss fahren. Ich soll vor 14 Uhr noch zu Jürgen in die Praxis kommen. Ich bekomme heute meine letzte Impfung.“

Hannes stellte seinen Koffer und eine Reisetasche in den Kofferraum von seinem Auto und wurde wehmütig. Seine Mutter kam ans Auto „Hast du alles?“ Er sah sie an und zog die Schultern hoch „Materiell passt mein Leben in einen Koffer. Die Erinnerung an so vieles könnte ich gar nicht alle einpacken. Mama, ich stehe vor einem großen Schritt in ein neues Leben. Ob es mir gelingt weiß ich nicht. Vielleicht bringe ich in drei Monaten einen Koffer an schönen Erinnerung oder einen mit Alpträume zurück. Ich weiß es nicht.“ Seine Mutter sah ihn wortlos an. „Egal wie es wird und was auf mich zukommt, ich habe mich für diesen Schritt entschlossen und ich bin bereit diesen auch zu gehen. Mit Patricia würde ich an jeden Punkt dieser Welt gehen. Ich liebte diese Frau so sehr, dass ich mein Leben für sie geben würde. Natürlich habe ich mich typisieren gelassen. Es wäre ein Wunder gewesen wenn meine Stammzellen gepasst hätten. Die Menschen spalten Atome, haben Physik neubestimmt und fliegen in den Weltraum. Leukämie bekommen sie nicht in den Griff. Ist die Menschheit wirklich so schlau oder waren die großen Errungenschaften nur Zufälle?“

Um 13.55 Uhr klingelte Hannes an der Haustür von seinem Hausarzt. Über die Gegensprechanlage hörte er die Stimme von Gabi, der Frau vom Doktor „Komm hoch.“
Jürgen war in seinem Arbeitszimmer und stand an einem Bücherregal. Ohne sich umzudrehen sagte er „Ich habe noch zwei gute Bücher von meiner Doktorarbeit gefunden, die schenke ich dir.“ Jürgen drehte sich um und nickte ihm zu „Bist du bereit?“ „Ja, bin ich.“ „Deine neusten Blutwerte sind da. Es ist alles in Ordnung. Cholesterin ist etwas erhöht, aber in Asien geht dieser Wert schnell runter. Wenn irgend etwas sein sollte und du dich nicht gut fühlst oder Fieber bekommen solltest – ruf mich an.“

Die Fahrt von seinem Ort an der Nahe, wo er nun neunzehn Jahre gelebt hatte, nach Thionville war eine andere. Keine 125 Stunde oder 7500 Minuten bis zum Wochenende. Ab heute würde er mit Patricia täglich zusammen sein.

Gegen 16 Uhr war er in Thionville angekommen. Franziska war im Arbeitszimmer und bügelte, als er ins Haus kam. Sie sah ihn glücklich an „Hannes, schön das du da bist.“ Sie nahm ihn in die Arme. Franziska wurde wie eine Mutter für ihn. Er konnte mit ihr über sehr vieles reden, sie lernte mit ihm französisch, wäschte und bügelte seine Kleider. Er erzählte ihr, was er dieses Jahr noch vor hatte und ob sie dies für eine gute Idee hielt.
„Hannes! Das freut mich so. Du weißt wie sehr ich dich mag.“ „Wo ist Patricia überhaupt?“ „Sie ist vor zehn Minuten nach Hayange gefahren um Maurice abzuholen. Sein Moped macht mal wieder Stress.“ „Ich schau‘ mir das Ding mal wieder an. Soll ich noch einkaufen fahren?“ „Wäre schön, dann kann ich in Ruhe bügeln und das Abendessen vorbereiten.“ „Ich räume mein Auto noch aus, dann hab ich Platz für den Einkauf.“ „Quatsch, fahr mit meinem Auto. Der Schlüssel liegt im Flur auf dem Sideboard. Bring noch bitte Mineralwasser mit.“

Begegnung mit dem personifizierten Supermodel

Hannes fuhr die paar Kilometer nach Yutz zum Super Marché. In der Obst und Gemüseabteilung sah er die Silhouette von Cosima – dem personifizierten Supermodel. Sollte er sie erfolgreich ignorieren oder ansprechen? Er beließ es bei erfolgreich ignorieren. Drei Regalgänge weiter konnte er sie nicht mehr mit ignorieren, denn Cosima kam von links und er von rechts. Als Cosima ihn sah, wusste sie nicht wie sie reagieren sollte. „Salut Cosima“ „Salut Hannes“ „Cosima, wir sollten etwas klären!“ Sie schaute zu Boden, die Begegnung war ihr offensichtlich sehr peinlich. „Ich möchte kein Streit oder Hass. Es war nicht schön, was du Yvonne über mich erzählt hattest. Warum du dies getan hast, erklärt sich mir nicht.“ „Es tut mir sehr leid“ sagte sie leise. „Cosima, wir können über alles reden, nur mag ich nicht, wenn Lügen über mich verbreitet werden. Mittlerweile bin ich hier bekannt und habe auch Freunde aus der Umgebung.“ „Es tut mir leid.“ „Sagtest du bereits. Bringt uns aber nicht weiter.“ Sie sah ihn an und nahm tief Luft „Ich war eifersüchtig. Auf dich, auf Patricia, auf eigentlich alles. Du hast ihr eine Liebeserklärung gemacht, von der jede Frau nur träumen kann. Du kümmerst dich um sie und gehst sogar mit ihr nach Südostasien.“ „Soll vorkommen, wenn man sich liebt“ sagte er schnippisch. „Mir hat noch keiner so seine Liebe erklärt wie du es geta…“ „Cosima, STOP! Was hat dies mit deinen Lügen über mich zu tun? Ich kann doch nichts dafür, dass du dich nicht geliebt fühlst. Du bist in meinen Augen die schönste Frau in Frankreich. Du kannst alle Männer dieser Welt haben.“ Cosima sah ihn aufrichtig an „Schönes Kompliment, dankeschön. Ich habe gelogen, weil ich wollte das ihr euch trennt.“ Hannes war wie vor den Kopf geschlagen „Warum?“ „Weil ihr glücklich seid.“ „Weil, ….weil wir glücklich sind? Sag mal geht’s noch?! Der einzige der uns trennen kann, ist der Tod. Sei froh, dass du gesund bist.“ Sie sah ihn erschrocken an. „Wir wissen beide, dass Patricia krank ist und irgendwann …. der …. der Zeitpunkt kommt…, den wir versuchen täglich auszublenden. Glaub mir, leicht ist es nicht.“ „Hannes…“ hauchte sie und hatte Tränen in den Augen. „Ich habe mich für Patricia entschieden, als ich von ihrer Krankheit noch nichts wusste. Nun weiß ich es und bleibe trotz – oder wegen dem bei ihr.“ „Du hast eine solche Stärke in dir.“ „Danke. Cosima, ich mag dich. Ich hatte dich auch falsch eingeschätzt, dies gebe ich zu. Bei unserer letzten Unterhaltung hattest du mir ein Bild von dir gezeigt, dass ich nicht kannte. Patricia hatte mir dies bestätigt. Auch hat sie mir gleiches über Jasmin und Laura gesagt. Wie schon gesagt, ich mag dich und ich schätze deine Unterhaltung. Nur war das letzte Viertel der Unterhaltung gelogen und du hast mich schlecht gemacht.“ „Hannes, es tut mir leid. Bitte verzeih mir.“ Cosima hatte noch mehr Tränen in den Augen. Ihr tat es wirklich sehr leid und Hannes wollte nun auch nicht weiter auf diesem Fehler herum hacken. „Cosima, auch du wirst einen Mann finden, der dich von Herzen liebt. Eifersucht bringt dich aber nicht weiter. Es tut dir im Herz genau so weh, wie du anderen weh tust. Lass uns Freunde bleiben und alles was war vergessen.“ Sie sah ihn an und nickte „Danke, danke für deine Worte.“ Hannes nahm sie in die Arme und drücke sie an sich „Cosima, ich verstehe dich auch ein Stück weit. Du bist wunderschön, begehrenswert und klug. Die Männer die dich lieben, lieben deine Schönheit. Sie zeigen sich gerne mit dir und führen deine Schönheit anderen vor – nicht aber die Person Cosima Schayani. Liebe, tiefe – oder wahre Liebe, ist es nicht.“ Cosima nickte langsam „Oui. Tu as raison.“ „Ja, ich weiß, dass ich recht habe. Cosima, dies ist der Preis deiner Schönheit.“ Sie weinte und legten ihren Kopf an seinen. Hannes streichelte ihr über den Rücken und gab ihr einen Kuss. „Lass uns Freunde bleiben.“ „Oui. Du bist ein wunderbarer Mensch. Patricia hat dich mehr als verdient.“

Auf nach Fréjus

Nach dem Abendessen wollte Bernhard mit Hannes wieder Tischtennis spielen. Im dritten Stockwerk vom Haus war genügend Platz für so einiges an Freizeitaktivitäten. Bernhard war beim Tischtennis ein guter Gegner. Mit der Zeit wurde Hannes auch immer besser und so wurden die Partien der beiden immer sehr länger und anstrengender.
Nach dem Spiel saßen sie bei einem Bier auf der Rundcouch in dem Freizeitraum.
„Franziska hat mir erzählt, was du vor hast, finde ich gut – sehr gut sogar. Du kannst mein Auto haben.“ „Dankeschön.“ „Du bist wie ein Sohn für uns. Als Franziska mir im Sommer von dir erzählt hatte, konnte oder wollte ich vieles nicht glauben. In den letzten Wochen konnte ich mich jedes Wochenende davon überzeugen, was Franziska sagte. Mach dir mit Kambodscha nicht so viele Gedanken, es ist alles nicht so schlimm. Du lernst schnell und ich bin ja auch noch da. Mein Team wirst du noch kennenlernen. Sie sind alle in Ordnung, wirst du schon sehen. Wie Stephane schon gesagt hatte, ihr seid nie alleine. Wir lassen niemand im Regen stehen.“ „Im Oktober hatte ich mir in Idar-Oberstein in der Buchhandlung ein Wörterbuch und Reiseführer über Kambodscha gekauft. Ich möchte nicht ganz unvorbereitet nach Kambodscha gehen. Khgnom yul tedj,- ich verstehe nur ein wenig.“ „Très bien. Tu me surprend.“
„Merci beaucoup. Im überraschen bin ich gut.“

„Ach, kommt Monsieur auch mal wieder zu mir?“ Patricia lag auf der Couch in ihrem Zimmer und schaute Fernsehen. „Salut, Prinzessin. Ich hatte mit deinem Vater Tischtennis gespielt. Du hättest ja auch hoch kommen können.“ „Nein. Ich wollte euch alleine lassen. Hast du Bier getrunken?“ „Oui Madame.“ „Ich hätte Lust auf einen guten Wein.“ „Gut, ich geh eine Flasche in den Keller holen. Rosè?“ „Oui, s’il vous plaît.“
Zusammen kuschelten sie auf der Couch, schauten einen französischen Spielfilm und tranken Wein. „Bald ist Weihnachten. Ich habe keine Ahnung was ich euch schenken könnte. Immer diese Erwartungen von schenken. Ich schenke dir und du mir, ist doch eigentlich völliger Unsinn.“ „Ich weiß. Wir haben dieses hin und her beschenke seit langem nicht mehr. Als Kinder war es natürlich super und auch schön. Nun feiern wir Weihnachten eigentlich ganz ruhig. Mit Essen, Kerzen, Weihnachtsbaum und Gemütlichkeit. Also brauchst du dir über Geschenke keine Sorgen zu machen. Ich habe schon das größte Geschenk bekommen. Für mich ist täglich Weihnachten. Da du jetzt auch hier wohnst, noch viel viel mehr.“ „Ich wollte vor oder nach Weihnachten noch einmal nach Hause fahren. Oder sollen wir meine Eltern zu euch einladen?“ „Würden sie kommen?“
„Mein Vater sofort. Bei meiner Mutter bin ich mir nicht sicher. Sie meint ja immer noch, dass ihr etwas „besseres“ seid.“ „Oh mon chérie, nur weil ich Abi habe und in einer Villa wohne?“ „Ich weiß. Lass gut sein. Ich frage sie nochmal. Mehr kann ich nicht tun. Lass uns noch ein Glas Wein trinken.“

Zurück ans Meer

Hannes konnte sich an dieser Frau nicht satt sehen, Patricia lag mal wieder quer im Bett und hatte ein sehr verführerischen Negligee in traupe-rosé an. Behutsam streichelte er ihren zarten Körper. Er wollte sie schlafen lassen und trotzdem berühren.
„Es ist schön, deine Nähe zu spüren. Mach weiter.“ „Ich wollte dich nicht wecken.“ „Ich weiß. Du bist so fürsorglich zu mir. Das tut der Seele gut. Du tust mir gut.“ „Patricia, ich würde mein Leben für dich geben.“ „Ich weiß.“ Sie drehte sich zu ihm um, umarmte ihn ganz fest und fing an ihn mit ihren zarten Händen zu streicheln. Es war Erotik pur und der Beginn von einem wunderschönen Sex.

Langsam kam das Morgengrauen an diesem Dezembertag. Sie lagen eng und nackt im Bett.
„Patricia, bevor wir nach Kambodscha gehen, würde ich noch mit dir ans Meer fahren.“ „Ans Meer? Im Dezember? Welches Meer meinst du?“ „Du weißt genau welches Meer ich meine. Patricia, ich möchte nochmal zum Anfang zurück.“ „Oui. Lass uns ans Meer fahren.“

Bei Frühstück sagte Hannes, was sie vorhatten. Ganz überraschend tuend sagte Bernhard „Toll! Ihr könnt mit meinem Auto fahren. Eine so lange Strecke fährt sich mit einem guten Auto doch besser.“ „Papa, c’est très gentil de ta part“ sagte Patricia, sprang auf und umarmte ihren Vater. Er machte ein Augenzwinkern zu Hannes. Patricia rannte aus der Küche in ihr Zimmer und packte in Rekordzeit eine Reisetasche. Hannes hatte seinen Cappuccino noch nicht getrunken, da stand sie wieder in der Küche. „Allons-y. Venir. Komm. Los. Genug Kaffee getrunken.“ Das war seine Patricia. Alles sofort, jetzt und gleich. Keine fünf Minuten später fuhr Patricia mit dem BMW von ihren Vater aus der Garage.

„Du musst nicht so rasen. Das Meer läuft nicht weg.“ „Ich möchte gleich nach Fréjus. Wenn ich schneller fahre, sind wir früher da.“ „Nach der Physik und Berechnungsgrundlage von Geschwindigkeit mal Strecke geteilt durch…“ Sie boxte ihm gegen seinen linken Arm. „Du könntest aber noch schneller fahren, dann schaffen wir vielleicht das Raum-Zeit-Kontinuum zu überwinden und sind gestern schon da.“ Schon wieder bekam er eine geboxt. Sie nahm seine Hand und küsste sie „Sind wir verrückt, mon chérie?“ „Nein. Wir sind verliebt, jung und nicht so wie andere.“ „Meinst du, Peter lässt uns wieder bei sich wohnen?“ „Warum nicht? Du hattest mit der Auswahl von dem Saint-Émilion bei ihm einen guten Eindruck gemacht. Er hatte sich doch sehr gefreut, dass wir noch zwei Tage bei ihm blieben.“

In etwas über drei Stunden war Patricia schon bei Màcon, die Hälfte der Strecke. Essen wollte sie nichts. Patricia kauften an einer Tankstelle vier Croissants und zwei Dosen Coca-Cola. Nach dem tanken fuhr Hannes weiter. Er fuhr eine etwas höhere Geschwindigkeit als sie. Patricia wollte so schnell wie möglich nach Fréjus. Diesmal schlief sie nicht. Sie hatte ihren Kopf auf seiner rechten Schulter liegen und redete über dies und das. Erinnerungen von der ersten Fahrt kamen immer wieder hoch. Die Wegweiser mit den Entfernungen nach Marseille und Aix-en-Provence wurden immer weniger. Bald kamen schon Schilder mit der Aufschrift: Fréjus, Cannes, Nizza. Fréjus 35 Kilometer.

In sechs Stunden und elf Minuten sind sie fast 900 Kilometer „geflogen“. Hannes lenkte das Auto in die Nachbarstraße von Peter’s Haus. Patricia zog Hannes an der Hand um die zwei Häuserecken auf das Haus von Peter zu. Sie klingelte und wurde nach 5 Sekunden schon nervös und wollte wieder klingeln.
„Jetzt wartet doch mal. Er ist ein alter Mann.“ „Und wenn er nicht da ist?“ Fünf Sekunden später klingelte sie erneut. Im Haus hörte man geschimpfe auf französisch. Die Tür bewegte sich langsam und Patricia fiel Peter um den Hals.
„Natürlich. Ich kenne niemand der so viel Wind macht wie du. Hallo mein Kind, komm doch rein. Ach, du bist drin.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Hannes, mein Sohn. Schön dich zu sehen.“ Beide umarmten sich.

In der Küche bei einem Rotwein, der diesmal “nur“ 26 Jahre alt war, unterhielten sich die drei über die Ereignisse der letzten sechs Monate. „Ja, ich hatte die Liebeserklärung von Hannes gesehen“ sagte Peter. Beide sahen ihn ungläubig an. „Es kam im Fernsehen. Bei einem Boulevard Magazin auf France 1. Ihr beide seid Romeo und Julia aus Lothringen.“ Dies hatten beide nicht gewusst, dass seine Liebeserklärung in ganz Frankreich bekannt war.
Der Abend wurde mal wieder spät. Mit guten Gesprächen und noch einer Flasche Wein war es nach Mitternacht, bis alle im Bett waren.

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