Transgender Day of Visibility

Heute, am 31. März ist der internationale Tag für die Sichtbarkeit von Menschen mit einer Transidentität.

Autorin: Naike Juchem

Schichtbar oder nicht, ist kein Grund zum feiern – eher zum weinen. In einer Gesellschaft, wo Menschen mit einer Transidentität immer noch als krank und unnormal angesehen werden, und sogar verfolgt und körperliches Leid angetan wird, muss sich endlich etwas ändern.
Kein Mensch kann seine eigene Biologie selbst bestimmen. Es gibt kurz- und weitsichtige Menschen. Genauso wie es dicke, dünne, große und kleine Menschen gibt. In diesem bunten Topf an Vielfältigkeit gibt auch „andere“ Menschen. Menschen welche eine „andere“ sexuelle Orientierung haben, genauso wie eben auch Menschen mit einer Transidentität oder Intergeschlechtlicheidentität.

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

So steht es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Auch der Artikel 21 des Kapitels „Gleichheit“ der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbietet die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung.

Die Diskriminierung für Menschen mit einer Transidentität fängt schon beim Staat an. Wenn man sich selbst bewusst geworden ist  eine Transidentität zu haben, muss einen nicht gerade einfachen Weg gehen. Die Transidentität muss von einem Psychologen bestätigt werden. Auch muss man für die nachfolgende Hormontherapie eine Bestätigung haben. Gleiches gilt für die Namens- und Personenstandsänderung. Die Kosten hierfür muss man natürlich selbst tragen.

Menschen mit einer Transisentität haben es zum Teil schwer in der Gesellschaft, weil es von staatlicher Seite kaum bis keine Unterstützung gibt. So bleibt vielen Menschen nur den Kontakt zu Selbsthilfegruppen oder Vereinen zu suchen, die sich diesem Thema angenommen haben.

Foto: Privat

Nun eine kleine Einordnung was Transgender oder Transsexualität ist.

Trans* , Transident, Transsexuelle, Intergeschlechtlich was tun?
Diese oder andere Begriffe sind den meisten schon einmal begegnet. Die genaue Bedeutung, und was diese geschlechtliche Identität mit sich bringt oder was diese bedeutet wissen Trans* Personen selbst am Besten. Den nur der Mensch selbst hat die Hoheit über die Definition seiner/ihrer geschlechtlichen Identität.

Alleine bei der Schreibweise kann man schon den Überblick verlieren. Mit *, mit _, mit -. Ich schreibe in diesem Artikel Transidentität, denn es wird anderen Trans* Menschen sowieso falsch sein.

In unserer Gesellschaft gibt es leider immer noch eine klare und sehr fundamentale Vorstellung von Mann und Frau. Ganz nach dem Motto „Bist du als Mädchen geboren, bist du dein Leben lang eine Frau!“
Jedoch stimmt die eigene Geschlechtsidentität, wie man sich fühlt, nicht immer mit dem biologischen Geschlecht überein. Es gibt innerhalb von Männlichkeit und Weiblichkeit sehr viel dazwischen.
Manche Menschen bezeichnen sich als „nicht-binär“, da sie sich weder in Mann noch Frau wiederfinden. Andere definieren sich als „agender“, da sie generell die Kategorisierung von Männlichkeit und Weiblichkeit als Geschlecht in Frage stellen. Wiederum gibt es andere, die sich als „gender-fluid“ bezeichnen, das bedeutet das die Geschlechtsidentität nicht festgelegt ist und sich aufgrund von Situation oder Empfinden verschieben kann. Um diese kleine Einordnung nicht in eine Enzyklopädie von hunderten an Seiten ausufern zu lassen, belasse ich es dabei. Die Welt von Menschen mit einer Transidentität ist schon schwierig genug und wird in Zeiten von “Genderwahn“ noch verstärkt.

Depressionen oder Leben

Sehr viele Menschen mit einer Transidentität trauen sich nicht an die Öffentlichkeit und leben ihre Gefühle im geheimen aus. Angst vor den Nachbarn, Angst vor der Gesellschaft, Angst vor dem Verlust der Arbeit oder der Existenz lässt diese Menschen in eine Welt abtauchen, in der sie sich selbst sein können. Dadurch kommt die Sozialevereinsammung und sehr schnell geht es in Depressionen bis hin zum Suizid.
Es gibt zum Glück in Deutschland viele Selbsthilfegruppen und Therapeuten für jene Menschen mit einer Transidentität. Nur braucht es auch den Mut diesen ersten Schritt zu gehen. Wer von selbst die Kraft für den ersten Schritt hat, steht am Anfang oft vor vielen verwunderten Blicken oder auch Fragen des Umfeld. Durch erklären, dass man bis zu diesem Zeitpunkt nur eine Rolle gespielt hat und um eben nicht in jene Depressionen hinein zu fallen, nun jener Schritt notwendig ist oder war. Nach dem Outig tritt ein völlig neues Lebensgefühl ein und ab dann fängt die eigentliche “Arbeit“ erst an.
Die Suche nach Therapeuten und Ärzten beginnt. Dies sind rechtliche Grundlagen um überhaupt mit einer Hormontherapie beginnen zu können. Menschen mit einer Transidentität müssen sich vor Krankenkassen, Therapeuten und Gutachter offenbaren um den nächsten Schritt gehen zu können. Personenstandsänderung oder auch geschlechtsangleichende Operationen dauern oft Jahre. Viele Kosten für all dies kommen dann auch noch hinzu und müssen selbst bezahlt werden.

Diskriminierung  durch Gesetze

Das deutsche Transsexuellengesetz (TSG) wurde im Jahre 1980 mit Wirkung ab 1. Januar 1981 unter dem Titel: Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen, verabschiedet und in den letzten Jahren auch immer wieder überarbeitet und angeglichen. Trotzdem sind in dem TSG sehr viele Defizite erkennbar.
Im August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, in dem es zum Ziel ist, Diskriminierungen aus ethnischen Gründen, Gründen der Religion oder Weltanschauung, aufgrund einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern und zu beseitigen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes arbeitet nach dem „horizontalen Ansatz“, das heißt, jeder Diskriminierungsgrund ist gleich wichtig. Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetz steht: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Soweit die Theorie. Die Praxis ist eine andere. Transgender sind der Willkür von Endokrinologen, Gutachter, Behörden und Krankenkassen ausgeliefert, obwohl es dafür die Gesetzliche Grundlagen gibt, diese aber in fast allen Fällen außer acht gelassen werden.

Viel besser sieht es in Dänemark, Malta, Irland und Norwegen aus, dort ist keine psychologische Begutachtung notwendig, wenn es um die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität in Form von Personenstands- und Namensänderungen geht.

Foto: Privat

Heute ist jeder Transgender

„Das Aufkommen von immer mehr Transgender ist eine Neuzeitliche Mode.“
Dieser Satz ist schon völlig falsch! In der Antike wird schon über Transgender berichtet. In der Bibel steht bei Paulus an die Korinther in 5,17 oder Galater 3,28 wie auch Epheser 4,23-24 schon etwas über Transgender.
Die Kirche war mit einer der Hauptgründe, warum Menschen mit einer Transidentität verpönt, geächtet und verfolgt wurden. Die Gesellschaft hat dies aufgegriffen und weiter geführt. Menschen mit einer Transidentität werden im 21. Jahrhundert immer noch verfolgt, beleidigt, bedroht und sogar ermordet. Schätzungen zufolge wurden in den letzten 11 Jahren weltweit über 3500 Menschen mit einer Transidentität ermordet. Menschen die nicht Gewalttätig, Krank oder Verrückt sind. Die Wissenschaft geht von 1% der Weltbevölkerung aus, die eine Transidentität haben und das Verhältnis von Frau zu Mann, wie auch umgekehrt ist 1:1.

Transgender sind krank

„Transgender sind krank.“ Nein!
Nach dieser Schlussfolgerung wären Linkshänder, Kurz- oder Weitsichtige, oder gar Gehörlose krank.
Kein Mensch kann seine eigene Biologie beeinflussen. Das es zu ungleichmäßigen Geschlechtschromosomen kommt, ist eine Laune der Natur. Es gibt auch Große, Kleine, Dicke, Dünne Menschen und eben auch welche die Transidentitär sind. Es ist kein Verbrechen, keine Phase und erst recht keine Modeerscheinung.

„Trans* sein ist eine sexuelle Orientierung.“ Auch dies ist einer der Vorurteile der Gesellschaft. Es geht um Identität und nicht darum was man liebt.

„Transgener leben am Rand der Gesellschaft.“ Diese Aussage stimmt auch nicht. Menschen mit einer Transidentität leben IN der Gesellschaft, nur fallen diese Menschen nicht auf, oder wollen auch gar nicht auffallen. Transgender spielen keine Rolle wie zum Beispiel Olivia Jones – sie ist eine Travestiekünstlerin.
Transidentitäre Menschen sind in der Politik, bei der Bundeswehr, Lehrer, Selbständige Handwerker, Ingenieure, Models, bei Film und Radio. Also, ganz normale Menschen die ihren Alltag gestalten.
Vielleicht war der nette Mann am Bankschalter vorher eine Frau, oder die freundliche Bedienung im Restaurant ein Mann? Wer weiß es? Es zählt der Mensch einem gegenüber und nicht das Geschlecht.

Welche Möglichkeiten haben Menschen mit einer Transidentität?

Viele Menschen mit einer Transidentität haben bereits aus ihrer Kindheit oder Jugend Erinnerungen daran, dass sie sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können. Dies kann zum Beispiel ein Mädchen sein, das nie mit „typischen“ Mädchendingen spielte oder Mädchenkleidung tragen wollte. Andere Menschen wiederum fühlen sich als etwas „Andersartiges“ oder „Falsches“, da das persönliche Empfinden von Geschlecht nicht mit dem körperlichen Empfinden übereinstimmt.
Ist das persönliche Umfeld nicht auf dieses Thema vorbereitet oder sanktioniert das Ausbrechen aus der vorgesehenen Geschlechterrolle, sprechen transidentitäre
Personen oft jahrelang nicht darüber oder schämen sich dafür. Der Mensch kann solche Gedanken und Gefühle bis zu einem gewissen Grad verdrängen. Erst wenn der Innere Druck so stark wird und es kaum noch ein zurück gibt und die Selbsterkenntnis eine Trans*Person zu sein, erfolgt dies meist über Schlüsselerlebnisse wie zum Beispiel der Kontakt mit geouteten Transgender, einem Film oder Dokumentation aus dem Fernsehen oder der Lektüre eines Buches zum Thema.
Der erste Schritt ist das innere outing, was bedeutet für sich persönlich festzustellen: „Ich bin trans*“ oder „Ich bin eine Frau, ein Mann oder definiere mich dazwischen“. Darauf folgt das äußere Outing, welches die öffentliche Mitteilung der Selbstdefinition im sozialen Umfeld, Schule oder Arbeitsplatz bedeutet sowie Veränderungen im Aussehen und/oder der Kleidung. Hierbei ist es hilfreich mit anderen Transgender ein solches Outing vorzubereiten oder Fachpersonal aus Beratungsstellen als Unterstützung einzubeziehen.

Das soziale Outen ist schließlich das „Ankommen“ und der komplette Wechsel in die gewünschte Identität. Je nachdem wie das soziale Umfeld auf das Thema reagiert oder bereits sensibel ist kann dieser Weg einfach oder auch mit kleinen Stolpersteinen verlaufen. Diese sind jedoch durch eine Vertrauensperson zu meistern und es lohnt sich diesen Weg zu gehen.
Beratungen für dieses Thema gibt es mittlerweile genügend. Queernet, dgti e.V., Bundesverband Trans*. In den ersten Gesprächen merken Betroffene schon, dass sie NICHT alleine sind und oft andere Transgender in der Nähe wohnen.

Naike Juchem, 31. März 2023

Rhyolith

Unsere Welt ist faszinierend und spannend. Wir können die Entstehung unseres Planeten täglich sehen und sogar begreifen. Was vor Millionen von Jahren noch eine glühende Masse war, formte sich langsam zu einem einzigartigen Planeten im Universum.
Die glühende Masse wurde langsam fester und eine Kruste – unsere Erdkruste entstand. Da diese Kruste noch nicht ganz ausgehärtet war, brach und bricht das flüssige Magma immer wieder aus. Die Folge sind Vulkane und eine unglaubliche Zahl an verschiedenen Gesteinen, Metallen und Gasen.

Trotz der Fülle an Gesteinen, spricht die Geologie von nur drei Gesteinesgruppen: die Magmatite – wie das Wort schon sagt, handelt es sich dabei um Tiefengestein – also Vulkan- oder Ergussgestein.
Die nächste Gruppe ist das Sedimentgestein – auch Ablagerungsgestein genannt. Dieses Gestein kann man an Bach- und Flussläufen sehr gut sehen. Elbsandsteingebirge oder das Müllerthal zwischen Luxemburg und Deutschland.
Dann gibt es noch das Umwandlungsgestein. Dieses Gestein entstand durch Metamorphose. Die Alpen mit ihrem Gneis sind ein solches Gestein. Wenn früh am Morgen oder spät am Abend die Sonne dieses Gestein anstrahlt, sieht man in wenigen Augenblicken ein Vielzahl an Farben.

Nun komme ich zu dem Magmagestein Rhyolith. Dieses Gestein entstand aus dem flüssigen Magma, welches noch heute unseren Erdkern bildet. Durch Vulkanausbrüche gelangte Magma aus dem Erdinneren langsam an die Oberfläche und erkaltet. Dies nennt man auch eine Peleanische Eruption.

Weltfrauentag

Vor 112 Jahren wurde der erste Weltfrauentag gefeiert. Nun, ich mag mir gerade vorstellen welch ausgelassene Stimmung auf den Straßen war, als Horden von Frauen für ihre Gleichberechtigung, Rechte und Anerkennung mit bunten Transparenten und Konfetti durch die Straßen zogen. Weg vom Herd – rein in die Gesellschaft. Gleiche Rechte wie Männer, gleiche Bezahlung wie Männer und gleiches Mitspracherecht in der Gestaltung von Demokratie.

Nun, es war offensichtlich nicht so, denn sonst würde weltweit nicht immer wieder auf eben jene Punkte hingewiesen werden.
Natürlich darf man in den letzten 112 Jahren die Erfolge für Frauen nicht vergessen, aber die negativen Tatsachen auf der anderen Seite der Waagschale sind um ein vielfaches höher.
Frauen erleiden weltweit heute noch Folter.
Gängelungen, Gewalt und Vergewaltigung.  Dies sind nur drei von unzähligen Formen der Folter in China, Nordkorea, Syrien, Türkei, Iran, Afghanistan, Kongo, Ruanda, Sudan, Nigeria, Venezuela, Belarus….
Gewalt an Frauen passiert aber auch in Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande, USA…. Natürlich ist dies eine andere Form der Gewalt – aber, Gewalt bleibt es so oder so!
Der Mann nimmt sich das Recht heraus, eine Frau als sein Besitz oder Lustobjekt anzusehen. Die Macht über das „schwache“ Geschlecht auszuüben bringt Genugtuung, Befriedigung und Orgasmus. Dieses Denken der Macht geht bis weit in die Antike zurück.
Doch zurück ins 21. Jahrhundert.
Frauen sind immer noch schlechter Bezahlt als Männer. Frauen gibt man öfter keine Vollwertigen Jobs. Frauen kämpfen für ihre Karriere um ein vielfaches mehr als Männer. Eine deutsche Partei hatte vor nicht all zu langer Zeit den Rückkehr zum Herd auf ihren Wahlplakten gefordert.  Das jene Partei sich im eine längst abgeschlossene Epoche zurücksehnt ist allgemein bekannt. Das jene Partei ein nicht gerade positives Bild von Frauen hat, zeigt doch schon deren Gedanken zurück zum Herd und Familie.

Frauen leisten in alle  Kulturen und Religionen unglaubliches und es wird kaum wahrgenommen: Kinder bekommen und erziehen, Haushalt managen und noch den Beruf unterbringen. Frauen kämpfen immer noch für ihre Gleichberechtigung im Job. Frauen engagieren sich in der Gesellschaft, Kirche, Kultur und Politik. Frauen gestalten.

Frauen in der Religion

Frauen erfahren unsägliches Leid in und durch den „Glauben“ von Religionen. Natürlich wird sofort auf den Islam gezeigt. In der katholischen Kirche sind  Frauen heute noch weit von einer Gleichberechtigung entfernt.
Unter Berufung auf die kirchliche Tradition lehnen die römisch-katholische Kirche – die im Übrigen darauf verweist, dass der Priester bei der Heiligen Messe in persona Christi handele und daher männlich sein müsse und dass Frauen daher auch nicht die Homilie der Heiligen Messe halten könnten – die orthodoxe Kirche und die selbständig evangelisch-lutherische Kirche sowie die meisten evangelikalen Gemeinden die Frauenordination ab. Als wesentlicher Grund für die Ablehnung wird der fehlende Auftrag Jesu Christi genannt. Die katholische Kirche sehe sich daher und weder aus der Praxis Jesu noch aus der kirchlichen Tradition heraus ermächtigt, Frauen zum Priesteramt zuzulassen. Sie weist auch darauf hin, dass ihr der Grund, weshalb Jesus keine der Frauen, die ihm nachfolgten und dienten, zu Apostelinnen machte.

Frauen im Isalm

Vor Gott gleichberechtigt, doch der Mann erbt mehr

Männer und Frauen sind vor Gott beide gleich und deshalb auch gleichberechtigt, sagt der Koran. Darin sind sich Islamwissenschaftler einig.

Doch weil Mann und Frau sich körperlich unterscheiden und deshalb verschiedene Stärken und Schwächen haben, hat Gott ihnen laut Koran unterschiedliche Aufgaben zugeteilt. Die Rechte des einen ergeben daher nach der Lehre des Korans auch die Pflichten des anderen und umgekehrt.

Der Mann etwa ist im Islam verpflichtet, allein für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen. Er muss sich vor Gott dafür verantworten, dass es seiner Familie gut geht. Wenn eine Frau dagegen durch ihre Arbeit eigenes Geld verdient, braucht sie davon nichts an die Familie abzugeben.

Deshalb werden Männer und Frauen bei der Erbfolge auch unterschiedlich berücksichtigt: Frauen erben nur die Hälfte des Vermögens, das einem Mann zustehen würde, weil er davon auch seine Angehörigen mitversorgen muss.

Die Frau dagegen trägt die Hauptverantwortung für das Wohl der Kinder. Gerade in den ersten Jahren ist sie die wichtigste Person im Leben ihrer Kinder.

Dass eine Mutter ihr Baby stillen soll, wenn sie dazu in der Lage ist, steht ausdrücklich im Koran – und auch, dass sie dafür bei einer Scheidung sogar eine finanzielle Entschädigung von ihrem Exmann einfordern darf (Sure 65:6).

Ein Mann darf laut Koran mehrere Frauen heiraten, muss sie dann aber sowohl finanziell als auch emotional gerecht und gleich behandeln. Frauen dürfen nicht mehrere Männer gleichzeitig haben, aber sie dürfen selbst entscheiden, wann und wen sie heiraten. Und sie haben das Recht, ihren Mann per Ehevertrag davon abzuhalten, weitere Frauen zu heiraten.

Das steht in den Überlieferungen des Propheten Mohammed. Auch eine Scheidung ist erlaubt und darf laut Sure 2:227 von beiden Seiten ausgehen.

Doch im Koran gibt es auch einige Passagen, die manchmal als Beweis der Überlegenheit von Männern gegenüber Frauen ausgelegt werden. Sure 4 spricht zum Beispiel davon, dass die Männer „über den Frauen stehen“, was viele Gelehrte so verstehen, dass die Männer über die Frauen bestimmen dürfen. Und in der gleichen Sure wird den Männern auch erlaubt, „widerspenstige Frauen“ zu ermahnen, sie im Ehebett zu meiden und auch zu schlagen.

Der Alltag von muslimischen Gläubigen wird – wie der von Christen auch – nicht nur von religiösen Texten, sondern auch von jahrhundertealten Traditionen geprägt. Deshalb unterscheiden sich Theorie und Praxis in vielen Lebensbereichen, und viele Frauen werden durch kulturelle Traditionen viel stärker in ihrem Alltagsleben eingeschränkt, als es der Koran vorsieht.

Frauen im Hinduismus

Indien ist ein Land voller Widersprüche. Indien ist Wirtschafts- und Atommacht und unterhält ein ambitioniertes Weltraumprogramm. Frauen sind im modernen Indien als Managerinnen, Ärztinnen, Ministerinnen, Diplomatinnen, Richterinnen oder Journalistinnen aktiv. Schon vier Jahrzehnte bevor in Deutschland mit Angela Merkel erstmals eine Frau als Bundeskanzlerin antrat, wurde Indira Gandhi Regierungschefin Indiens. Dies ist die eine Realität auf dem Subkontinent; doch eine andere lässt Millionen Frauen in Unterdrückung und Sklaverei verharren.
Hindu-Traditionalisten verehren Frauen zwar als dienende Gattinnen und respektieren sie in ihrer Mutterrolle, verweigern ihnen aber die Anerkennung als eigenständige Individuen. Dabei berufen sie sich auf eine Basisschrift der Hindu-Religionen, das Gesetzbuch Manus. Das Werk fußt auf mündlichen Überlieferungen, die von mehreren Autoren zwischen 200 vor und 200 nach Christus zusammengetragen wurden. Die Gebote Manus, die als Wegweiser im Dickicht religiöser, ethischer und sozialer Fragestellungen dienen, haben sich tief in die Psyche der Hindu-Gesellschaft eingebrannt.

Nach Manu ist die Frau schwach, es ist ihre „Natur, dass sie die Männer verdirbt“. Frauen sollen nicht selbständig handeln, nicht einmal in den eigenen vier Wänden. Es gilt das Vormundschaftsprinzip: Das Mädchen wird vom Vater kontrolliert, die Frau vom Gatten, die Witwe von den Söhnen. Einem Ehemann wird göttlicher Status zugesprochen: Die Frau hat den Dienst an ihm als persönlichen Gottesdienst zu verstehen – „auch dann, wenn er keine guten Eigenschaften besitzt“. Nach seinem Tod soll sie fortwährend Trauer tragen.

Religiös mündig kann eine Frau ebenfalls nicht sein, Mädchen werden deshalb von der Upanayana, einer Art Jugendweihe, ausgeschlossen. In der Kastenhierarchie wird die Frau auf der Ebene der Knechte (Sudras) eingruppiert.Die der Frau zugewiesene Rolle der Dienerin wird auch in einer anderen für die Hindu-Religiosität bedeutsamen Schrift, der Bhagavad Gita, hervorgehoben. Die Gita zeigt Wege zur Erlösung auf.

Frauen im Buddhismus

Im Buddhismus sind Frauen und Männer im Alltag oft gleich gestellt. Aber es werden ihnen sehr unterschiedliche Eigenschaften zugesprochen.
Buddhisten sind sich nicht ganz einig, wie sie zu den Rollen von Männern und Frauen stehen. Manche sind der Meinung, Männer stünden auf einem höheren Rang als Frauen. Andere halten davon nichts. Allerdings weisen viele Buddhisten Männern und Frauen unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten zu.
Frauen sind danach: weich und fürsorglich. Sie kümmern sich darum, dass alle satt werden und können sich gut auf andere Menschen einstellen und mit ihnen leiden.

Männer sind nach dem buddhistischen Glauben stark und packen gerne mit an. Sie sind hart im Verhandeln,
gleichgültig gegenüber anderen und haben weniger Selbstdisziplin.

Das religiöse Weltbild von Mann und Frau zieht sich so durch alle Weltreligionen.

Frauen und Bildung

Ein großer Unterschied zeigt sich bei der Schulbildung gerade in den islamisch geprägten Ländern.
Laut Koran hat Gott Männern und Frauen gleichermaßen befohlen, sich weiterzubilden. „Das Streben nach Wissen ist eine Pflicht für jeden Muslim, Mann oder Frau“, sagte auch der Prophet Mohammed im 7. Jahrhundert.
Aber tatsächlich bleibt vielen muslimischen Mädchen bis heute eine umfassende Schulausbildung verwehrt. Schließlich bedeutet ein längerer Schulbesuch gerade in ländlichen Gegenden oft, dass die Mädchen in eine andere Stadt ziehen müssten und damit nicht mehr in der Obhut der Familie stünden. Oft schreibt auch die Tradition vor, dass Mädchen nur von Frauen unterrichtet werden dürfen. Deshalb gehen die Mädchen in Ländern wie Afghanistan 
oder Pakistan meist nur einige Jahre zur örtlichen Schule. Danach bleiben sie wieder zu Hause, um der Mutter zu helfen und alles zu lernen, was sie für Haushaltsführung und Kindererziehung wissen müssen, bis sie mit 16 bis 20 Jahren verheiratet werden.
In Afghanistan gibt es zwar ein Gesetz, dass Mädchen erst ab 16 Jahren verheiratet weden dürfen, aber aus der Armut vieler Familien heraus, werden Mädchen bereits mit der Vollendung des 10. Lebensjahr verheiratet. Viele der Stammesältesten berufen sich bei dieser „Eheschließung“ auf Aischa bint Abi Bakr, die als dritte und jüngste der zehn Frauen des islamischen Propheten Mohammed bei jener Eheschließung 10 Jahre alt gewesen sein sollte. Diese „Eheschließung“ war um das Jahr 624 n. Chr.
Fast 1400 Jahre später gibt es nach Schätzungen der UN weltweit 650 Millionen Kinder- Zwangsehen. Auch wenn es mittlerweile einigen AktivistInnen in Malawi, Sudan, Nigeria, Mali, Afghanistan und Pakistan gibt, die erfolgreich Kinderehen annullieren und unter Strafe stellen, sind es leider nur Wassertropfen in einem Meer.

Bildung für Mädchen muss auf der Agenda für eine besser Zukunft ganz oben stehen und dafür müssen Frauen an die Macht um endlich von dem Frauenverachtenden Weltbild aller Religionen Abstand zu bekommen.
In einer Gesellschaft, die Frauen als Dienerinnen des Mannes betrachtet, Söhne verhätschelt und Töchter vernachlässigt, ist es kaum verwunderlich, dass Frauen, die es wagen, den häuslichen Schutzraum zu verlassen, als Freiwild betrachtet werden. Sexuelle Belästigung, Bedrohung und (Gruppen-)Vergewaltigung sind Mittel, um Frauen zu disziplinieren und sie aus dem öffentlichen Raum herauszuhalten. Männliche Machtpositionen sollen so gesichert werden.

Vergewaltigung als Kavaliersdelikt

Spektakuläre Fälle wie die Vergewaltigung und Ermordung einer Studentin in Indien im Jahr 2012 oder Übergriffe auf Touristinnen haben weltweit für Aufsehen gesorgt und in Indien Massenproteste ausgelöst. Vor Gericht gaben die Täter Einblicke in ein – aus westlicher Sicht – abstruses Wertesystem, das Frauen die Schuld an einer Vergewaltigung zuweist.

In Afghanistan ist es durchaus üblich, dass „Ehefrauen“ die keine guten (sexuellen) Qualitäten aufbringen,  von ihren Männern getötet werden und die Männer straffrei bleiben.

In vielen Ländern südlich der Sahara werden täglich Mädchen verschleppt um von Rebellen oder Milizen als „Stimmungsmacher“ der Männerhorden zigfach vergewaltigt und anschließend ermordet zu weden.

In Deutschland gibt es Gerichtsurteile, die nach einer Vergewaltigung der Frau freizüglichkeit vorwerfen.

Der Weltfrauentag steht am 8.März im Zeichen für all diese Gewalt gegen Frauen und es wäre zu wünschen, wenn wir den nächsten Weltfrauentag in Frieden, Gleichberechtigung und Wertschätzung feiern können.

Autorin: Naike Juchem

Quellen:
– Dissertation von Manfred Hauke: Die Problematik um das Frauenpriestertum vor dem Hintergrund der Schöpfungs- und Erlösungsordnung.
– Volker Eklkofer: Frauen im Hinduismus
– Religionen-entdecken.de

Fotos:                                                           – Pinterest                               -Worldpress Media

Kapitel 42 Buddha beschützt dich Schwester

Buddha beschützt dich Schwester

Bei der Toyota Niederlassung in Svay Rieng

Am Vormittag wollte Hannes sich um Motorräder und Autos kümmern. Für das Agrarkollektiv brauchten sie in Zukunft auch vernünftige Autos. Da er mit seinem Toyota sehr zufrieden war, fuhr er in die Toyota Niederlassung in Svay Rieng.
Als er mit seinem Umgebauten Land Cruiser Lexus LX vor fuhr, war in der Werkstatt großes staunen. In Kambodscha gab es nur zwei solcher Autos und selbstverständlich hatte der ein oder andere Mechaniker in der Werkstatt das Auto von ihm oder Patricia schon gesehen. Ihre Autos fielen durch die Erhöhung der Karosserie, den vielen Scheinwerfer auf dem Dach und am Kühlergrill im chaotischen Straßenverkehr immer auf.

Ein junger Verkäufer kam sofort vor die Tür und begrüßte ihn auf die bekannte asiatische Art. Hannes verbeugten sich ebenfalls vor dem Mann.
„Guten Tag, wie darf ich Ihnen weiterhelfen? Haben Sie eine Panne oder Reparatur an Ihren Fahrzeug?“ „Nein, alles in Ordnung. Ich bin hier, um mich nach ein paar Autos umzuschauen.“
Da Hannes ein paar Autos sagte, lächelte der Verkäufer und bat ihn mit ihm zu kommen.
„Welche Fahrzeuge suchen Sie?“ „Pickup’s und ein SUV“ sagte Hannes dem Verkäufer.
„Sehr gerne. Folgen Sie mir. Ich denke, wir haben etwas für Sie.“

Auf dem Gelände standen einige Neu- und Gebrauchtfahrzeuge zu verkaufen.
Vom Kleinwagen, Limousine, über Hilux Pickup’s in der SingleCab-Variante und auch als Xtracab-Version, also eine Doppelkabine, bis zum HiAce Minibus war alles vorhanden.
Der Verkäufer ging auf den Hilux Pickup zu.
Da Hannes selbst einem Hilux Doppelkabiner als Firmenauto hatte, wollte er dieses Modell gerne nochmals kaufen.
„Dieses Model hätte ich gerne mit Dieselmotor. Als Aufbau möchte ich keinen Hardtop, sondern Plane haben. Wie viel haben Sie davon zu verkaufen?“
„Wie viele? Nun, 5 dieser Modelle habe ich aktuell, wobei 2 in einer 4×4 Version zur Verfügung stehen.“ Hannes nickte und lächelte „Sehr schön. Dann kaufe ich diese Fahrzeuge jetzt.“
Der junge Verkäufer sah ihn ungläubig an „Ihre Entscheidung ist aber schnell getroffen. Ich kann Ihnen aber gerne noch das neuste Modell: den T100 zeigen.“ „Gerne.“
Im Verkaufsraum standen neue Modelle welches Hannes nicht kannte.
Der Verkäufer ging auf einen roten Pickup zu „Dies ist das neuste Modell. Der T100 ist größer als der Hilux. Seine Ladefläche ist länger und das Auto ist etwas höher in der Karosserie.“
Hannes schaute sich das Auto an. Es gefiel ihm sehr gut.
„Gibt es dieses Modell auch mit einer längeren Kabine?“ „Zur Zeit noch nicht.“ „Nee, es sollten schon bis zu 5 Personen im Fahrzeug platz haben. Was ist dieses für ein Modell. Dies kenne ich nicht.“ Hannes zeigte auf einen roten SUV der links von dem T100 stand.
„Das ist der 4-Runner. Dieses Modell gibt es auch erst seit diesem Jahr auf dem Markt.“
Hannes schaute sich dieses Auto genauer an. Von außen war dieses Modell fast so groß wie sein Land Cruiser. Das Interieur war etwas schlichter gehalten, sonst konnte er keinen Unterschied sehen.
„Worin besteht der Unterschied zu diesem Auto gegen meinen Land Cruiser?“ „Die Motorleistung ist etwas weniger, die Inneneinrichtung ist nicht so luxuriöse wie die im Land Cruiser. Dafür hat dieses Auto eine andere Karosserie und ist noch etwas besser für das Gelände geeignet.“ „Noch besser als mein Auto? Respekt. Dies würde ich gerne mal ausprobieren. Haben Sie dieses Auto zur Vorführung?“
Der Verkäufer bedauerte dies.
„Na ja, macht ja nichts.“ Hannes setzte sich in den Wagen und schaute sich alles sehr genau an. Das Auto hatte ein Automatikgetriebe und zuschaltbaren Allrad-Antrieb mit Differenzialsperre für beide Achsen. Das Platzangebot im Auto war ordentlich. Das Glasschiebedach, wie auch alle Fenster im Fond und Kofferraum waren getönt. Die Ledersitze, Seitenverkleidung und Armlehnen mit roten Applikationen gefielen ihm sehr gut.
Die verstellbare Lenksäule in Neigung und Länge kannte er aus seinem Land Cruiser.
Auf dem Typenschild an der Scheibe sah er, dass dieses Auto einen 3,0 Liter V6 Dieselmotor mit 136 PS hatte.
Hannes rief Maona an und bat sie doch bitte in der nächsten Zeit in die Toyota Niederlassung nach Svay Rieng zu kommen. Er hätte ein Auto für sie.

Im Büro der Niederlassung sagte Hannes, dass er gerne einen Vollservice Vertrag für die Fahrzeuge möchte. Der Verkäufer notierte diesen Wunsch und hatte noch einige Fragen über die Finanzierung der Fahrzeuge. Hannes schüttelte den Kopf „Keine Finanzierung. Ich zahle Bar.“ „Das ist mal eine Ansage. Gut, dann können wir die Kaufverträge fertig machen.“
Der Verkäufer schrieb alle Daten von Hannes auf und fragte nach der Wohnanschrift. Hannes sah den Verkäufer an und zuckte mit den Schultern „Eine Adresse habe ich noch nicht.“
Der Verkäufer sah etwas irritiert zu Hannes. In diesem Moment sah Hannes ein Taxi auf das Gelände der Toyota Niederlassung fahren. Der Verkäufer sah auch aus dem Fenster.
Maona stieg in ihrer gewohnten schnellen athletischen und sehr eleganten Bewegung aus dem Taxi. Hannes sah leicht nach rechts zu dem Verkäufer und grinste kaum erkennbar.
Der Verkäufer sah wieder zu ihm „Entschuldigung. Sie ist eine wunderschöne Frau.“ Hannes grinste breit „Durchaus. Vielleicht kann sie die Frage nach einer Adresse beantworten.“
Fragend sah der Verkäufer zu Hannes, als er sich vor dem Schreibtisch des Verkäufers erhob und zur Bürotür ging. Hannes drehte sich zu dem Verkäufer um „Ich habe sie angerufen, daher ist sie hier.“

Eine Frau vom Autohaus ging im schnellen Schritt auf die verglaste Eingangstür zu und hielt Maona die Tür auf. Maona bedankte sich bei der Frau.

„Hallo Maona, schön, dass du so schnell kommen konntest. Du bist doch auf der Suche nach einem Auto. Ich hätte da etwas für dich.“ Hannes umarmte Maona und streichelte ihren Rücken „Wow, dein Parfum ist der Hammer.“ „Hallo Borsa mneak del mean ko, bei dir muss ja immer alles schnell gehen. Dankeschön. Dies ist Sunflowers von Elizabeth Arden. Was hast du nun wieder in deinem Kopf, was meine Anwesenheit erfordert?“

Hannes zeigte auf den 4-Runner, der rechts von ihnen stand „Was hältst du von diesem Auto?“
Der Verkäufer eilte sofort zu dem Neuwagen und öffnete die Fahrertür und erklärte Maona einiges über dieses Fahrzeug. Maona setzte sich schwungvoll auf den Fahrersitz und schaute sich das Interieur an. Hannes setzte sich auf den Beifahrersitz „Und? Wäre dies ein Auto für dich?“ Maona nickte „Das Auto ist schön und mächtig groß. Zwei Nummern kleiner würde auch reichen. Der Preis ist schon gewaltig für dieses Auto.“ „Mach dir um den Preis mal keine Gedanken. Ich denke, da geht noch einiges. Ich habe eben 5 Pickup’s gekauft.“
Maona sah ihn mit großen Augen an „Du hast was?!“ „Ich hatte vor Wochen bereits gesagt, dass wir für das Agrarkollektiv auch Autos bräuchten. Bis jetzt hat sich niemand darum gekümmert.“ „Wohl wahr. Entschuldigung. Noch ist es dein Geld.“
Hannes sah zu dem Verkäufer „Dieses Auto kommt noch mit auf die Liste. Ich denke, an dem Kaufpreis könnte man noch etwas ändern.“
Der Verkäufer nickte schnell „Natürlich, natürlich.“ „Sehr gut. Dann sollten wir dies festhalten.“

In dem verglasten Büro saßen Maona und Hannes vor dem Schreibtisch des Verkäufers. Bei der erneuten Frage nach der Adresse sah Hannes zu Maona. Sie zog auch die Schultern hoch „Zur Zeit fällt mir nur die Adresse von meinem Onkel ein. Oder hast du eine bessere Idee?“
Hannes schüttelte den Kopf.
Die Frau von dem Autohaus brachte frisches Wasser und Obst ins Büro und verbeugte sich erneut vor Maona.
„Ich bewundere Sie und hoffe, Sie gewinnen die Wahl. Es wird Zeit, dass es Veränderungen gibt.“ „Dankeschön. Dies hoffen viele Bewohner in der Provinz. Wir werden es in 3 Wochen sehen.“
Die Frau sah alle in dem Büro an und wollte etwas sagen, wusste offensichtlich nicht, wie sie es formulieren konnte oder Angst hatte, es auszusprechen.
Schließlich sagte sie „Ich hoffe, mein Stimmzettel kommt in die richtige Hände.“ Die Korruption in dieser Provinz war offenbar vielen Menschen bekannt.

„Dürfte ich einige Fotos von Frau Sokthat in dem neuen Fahrzeug machen? Selbstverständlich können auch Sie mit auf die Fotos.“
Hannes sah den Verkäufer an und schüttelte den Kopf „Ich kann Sie durchaus verstehen. Sie möchten Werbung für die Niederlassung mit Maona machen. Dies ist aber in der jetzigen Situation nicht sonderlich gut. Der derzeitige Gouverneur sucht nach Verfehlungen gegen uns und könnte schnell diese Fotos als Sponsoring – also Korruption im weiteren Sinn gegen uns auslegen.“
Die beiden Angestellten von dem Autohaus nickten Hannes zu.

Hannes erklärte den beiden Angestellten wofür diese Fahrzeuge gebraucht würden und stellte ihnen die Idee von dem Agrarkollektiv vor.
„Große Sache“ sagte der Verkäufer respektvoll, nachdem Hannes geendet hatte.
„Ja. Es wird groß, nachhaltig und gibt vielen Menschen eine Perspektive. Ich bestimme zur Zeit über ein Vermögen von weit über 1 Milliarde Riel. Daher kann ich diese Fahrzeuge auch sofort bezahlen. Ich baue mit einem internationalen Team die Infrastruktur auf, den Rest müssen die Mitglieder in diesem Kollektiv selbst schaffen.“ „Eine Milliarde Riel…“ sagte die Frau leise und sah anerkennend zu Hannes.

Der Anruf vom Fernsehen

Maona saß auf dem Beifahrersitz und fragte, was Hannes heute machen würde.
„Ich fahre zu den anderen an die Felder, damit wir dort weiterkommen. Soll ich dich nach Hause fahren?“ Maona nickte.
Hannes fuhr von der Toyota Niederlassung auf die Hauptstraße, als Maona’s Mobiltelefon klingelte. Nach einiger Zeit sagte sie zu Hannes, er sollte bitte anhalten.
„Du, da war eine Frau vom Fernsehen am Telefon und fragte, ob ich mich mit ihr treffen könnte.“ „Fernsehen ist gut. Kommt darauf an, was die von dir will.“ „Sie fragte, ob wir uns in Rokar treffen könnte.“ „Rokar? Warum nicht hier?“
Maona zog die Schultern hoch „Keine Ahnung. Ich fahre mit einem Taxi dort hin.“ „Quatscht. Ich fahre dich. Ich rufe Asger an und sage ihm, dass ich später komme. Wo sollst du die Frau treffen?“ „Ich rufe sie an und frage.“

Die Armut links und rechts der Straße

Hannes fuhr mit Maona die Nationalstraße 315 in Richtung Norden. Der mächtige Fluss Waikou lag rechts von ihnen. Auch in diesem Teil der Provinz sah man die Armut der Menschen sehr deutlich. An den Reisfelder auf der linken und rechten Seite waren einige Hütten der Reisbauern zu sehen. Verrostetes Wellblech sah man auf dem Dach oder an den Wänden. Die Hütten hatten oft keine Fenster oder wenn, waren es nur rechteckige Aussparungen ohne Scheiben. Die Hütten standen auf Stelzen und unter den Hütten standen hier und da ein paar Bullen. Die Tiere waren für das ziehen der Pflüge in den Reisfeldern vorgesehen. Maurecourt fiel ihm ein. Würde ihm auch ein solches Leben bevorstehen?
Hannes erzählte Maona von der äußerst schwierigen Geburt am Sonntagabend.

Bei Phumi Cham bog er von der Nationalstraße nach links ab. Die Straße war schlagartig in einem schlechteren Zustand und nicht asphaltiert. Der Sand war so trocken, dass Hannes nichts mehr im Rückspiegel sah.
Sie fuhren durch die kleine Ortschaft Kuok Preang und Hannes sah das gleiche Bild wie damals in und um Kampang Rou.
„Maona, hier in diesem Teil der Provinz hast du sehr viel Arbeit. Die Menschen brauchen endlich Perspektiven.“
Sie sah ihn wortlos mit ihren schönen Augen an.
„Ich kann nicht begreifen, warum über UNTAC so wenig Hilfe bei der Bevölkerung ankommt. Warum werden hier keine Wasserleitungen verlegt? Zumindest gibt es Strom für die Menschen. Wenn ich abends durch die Ortschaften fahre, sehe ich oft Kerzenscheine oder Petroleumlampen in den Hütten. Die Leute haben kein Geld, um sich wenigstens etwas Strom für eine Leuchtstoffröhre zu gönnen. Wie soll dieses Land jemals auf die Füße kommen?“ „Borsa mneak del mean ko, ich weiß es nicht. Die Menschen südlich von Svay Rieng profitieren von der Arbeit von dir und ODHI. Ich profitiere von ODHI. Mir ist klar, dass ihr nicht überall sein könnt. Wenn ich Veränderungen für diese Menschen schaffen soll, bräuchte ich Geld, Baumaschinen für die Infrastruktur und Arbeiter. Wo soll ich anfangen? Was soll ich den Menschen sagen? Irgendwann kommt Hilfe zu euch – oder auch nicht. Hannes, ich weiß, wie weh es dir im Herz tut, wir müssen uns der Realität stellen und schauen, dass wir das Beste daraus machen.“

Die Piste nach Rokar führte am Prek Vai Kou Fluss vorbei. Kleine Fischerboote sah man auf dem Wasser und Männer und Frauen, die immer wieder ihre Netze ins Wasser warfen. Auf den Feldern, die mit Wasser überschwemmt waren, zogen Büffel Pflüge über die Reisfelder. Weiter links der Piste sah man brachliegende Flächen oder Felder mit Zuckerrohr. Die wenigen Weizenfelder versprachen auch keine all zu große Ernte.

Die Ortschaft Rokar lag an der Grenze der Provinzen Svay Rieng und Prey Veng. Rokar hatte eine kleine Verwaltung und somit auch einige Läden und eine handvoll Restaurants. Ein paar Touristen verirrten sich hin und wieder in diese Gegend.

Ab der Ortschaft Khai Khvet am Boeng Khnhei See, konnten Touristen eine mehrtägige Reise auf dem Prek Cham zum Wat Samrong buchen. Die nächste Etappe führte von Preaek Chi Phoch über den Prek Vai Kou. Vorbei an Me Sang, wo eine der größten Ruinen von Angkor zu besichtigen war. Weiter Flussabwärts kam die wunderschöne Ompov Sarat Pagode mit ihrem buddhistischen Kloster. In Ponlai konnte man eine riesige Felsmalerei aus dem 11. Jahrhundert bewundern. Bei Prey Banteay war nochmals eine sehr gut erhaltene Ruine von Angkor – der Wat Angkor Par.
All diese Sehenswürdigkeiten waren in der Provinz Prey Veng. Nach der Provinzgrenze war es wie abgeschnitten.

Im Phochniyodthan meattuk

Hannes fand die angegebene Adresse von dem „Phochniyodthan meattuk – Am Wasser Restaurant“ und parkte vor dem großen Holzhaus sein Auto. Er blickte über den Parkplatz und sah bis auf einen alten Pickup und ein Moped sonst kein Fahrzeug stehen.
Das „Phochniyodthan meattuk“ hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Das Hauptgebäude war ein großes Holzhaus mit riesigen Fenstern – ohne Glas. Da der Dach gute 3 Meter über die Wände ging, konnte man auch bei Regen geschützt im Lokal sitzen. Im Haus standen einigen Teakholz Tische und Bänke. Eine lange Theke aus Teakholz und ein Regal in der gleichen Länge mit vielen Ablagen dominierte den Raum. Im Anschluss der Theke war eine große Aussparung in der Wand und man sah in eine große Küche. Das Interieur in diesem Restaurant sah abgetragen und verbraucht aus. Immerhin stammte der Coca-Cola Kühlschrank rechts am Tresen aus eine neueren Zeit. Ein großer Holzventilator an der Decke drehte sich ungleichmäßig und ein Flügel hing etwas weiter runter. Jedes Mal wenn der Flügel an Hannes vorbei kam, brachte dieser etwas frische Luft mit.
Ohne Frage war dieses Restaurant vor Jahren ein sehr schönes Gebäude und durch die größte der Theke und Küche war es wohl auch für viele Besucher ausgelegt.

Eine Mitte 20-jährige Bedienung stand hinter dem Tresen und schaute auf ein Fernsehgerät an der Wand. Eine Quiz-Show war live zu sehen. Der Kandidat wurde von dem Moderator der Show gefragt, wie die Reihenfolge der Planeten in unserem Sonnensystem ist.
„Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.“
Maona sah Hannes fragend an.
„Der Typ in Fernsehen. Ich gab ihm die Antwort. Schau, er überlegt immer noch.“ Maona schüttelte den Kopf und fragte, ob sie etwas zu essen bestellen könnten. Immerhin hatte Maona so viel Anstand und schüttelte nur ihren Kopf. Patricia hätte ihn geboxt und ihm einen ihrer schlauen Sprüche um die Ohren geschlagen – oder die Speisekarte

Maona fragte, ob sie etwas zu essen bestellen könnten. Die jungen Frau nickte und reichte ihr die Speicherkarte und schaute wieder auf den kleinen Fernseher an der gegenüber liegenden Wand. Hannes schaute auch auf den kleinen Bildschirm und wartete auf die Nächste Frage. Der Show-Kandidat hatte Uranus und Neptun verwechselt und eine Sirene machte: Böööööööph.
Der Show-Master stellte die nächsten Frage. Er wollte wissen wie die Schicht in unserer Atmosphäre heißt, die der Erde am nächsten ist.
„Dies ist die Troposphäre“ sagte Hannes zu der Bedingung. Maona war am lesen der Speisekarte.
Mit je einem „Ping“ wurde eine mögliche Antwort nach dem Single Choice Verfahren eingeblendet.
Ping a) Stratosphäre
Ping b) Mesosphäre
Ping c) Troposphäre
Ping d) Thermosphäre
„Sag ich doch: die Troposphäre. Man, Junge, nimm c oder frag den Telefonjoker.“
Im Hintergrund hörte man die Zeit zicken. Natürlich war die Zeit mit einer mystische Musik hinterlegt. Bei der dritt letzten Sekunde sagte der Kandidat: Stratosphäre. Ein Sirene machte: Böööööööph.

Die junge Bedienung schaute zu Hannes und dann zu Maona. Ihr Blicke wechselt von Maona nach links und wieder zu Maona. Hannes drehte sich nach links, um ihrem Blick zu folgen und sah an der Wand eines der Wahlplakate von Maona hängen. Könnte ein gutes Zeichen sein, dachte er bei sich.

Der Show-Master fragt nun, wie groß der Durchmesser der Erde sei.
Wieder gab es ein Single Choice Auswahlverfahren.
a) 12.742 Kilometer
b) 14.400 Kilometer
c) 14.848 Kilometer
d) 15.112 Kilometer
„Was möchtest du essen? Ich lade dich ein. Wenn du mir schon ein Auto kaufst, kann ich dir wenigstens das Essen spendieren.“ „Ist mir egal. Etwas mit Fisch und Gemüse. Der Durchmesser der Erde ist 12.742 Kilometer.“ „Was?“ „Nichts. Bestelle bitte Fisch.“
Die Sirene machte: Böööööööph.
Der Kandidat wurde immer nervöser, die Kamera schwenkte ins Publikum und wieder zurück zu dem Show-Kandidat.
Maona gab die Bestätigung auf und fragte, ob sie eine der Hütten auf dem Wasser benutzen dürften.

Der Show-Master zog mit Spannung sein nächstes Fragekärtchen heraus. Im Hintergrund leuchtet eine Wand mit bunten Lämpchen auf. Die eingespielte Synthesizer Musik untermalte erneut die Fragen von dem Show-Master. Dieser stellte die nächste Frage: Wo – verläuft – die – internationale – Datumsgrenze?
Hannes verdrehte die Augen und blies die Luft aus. Wie – gut – dass – der – Show – Master – nicht – noch – die – Wörter – Datumsgrenze – und – internationale – ge – tren – nt – hat – te.

a) Zwischen Fidschi und Tahiti
b) Zwischen Tonga und Samoa
„Zwi – schen To – n – ga und Sa – mo – a“ sagte Hannes und musste selbst über sich grinsen. Die Bedienung sah Hannes an und grinste breit. Sie ging vor ihnen durch eine breite Schiebetür auf eine große Terrasse. Auf der Terrasse standen ein paar Sonnenschirme bei denen die Sonne und Monsun einige Spuren hinterlassen hatte. Die Tische und Bänke waren aus dem gleichen Holz, wie das Interieur im Restaurant.

c) Zwischen Timor und Vanuatu
d) Zwischen Neukaledonien und Polynesien

Von der Terrasse aus konnte man sich ein Hausboot, Floß oder wie immer man dies nennen mochte, für ein paar Riel pro Stunde mieten. Auf einer Länge von guten 50 Meter lagen ein Dutzend Flöße. Es gab Flöße in unterschiedlichen Größen, Interieur und wohl auch zu unterscheiden Preisen zu mieten.
Auf mehreren längs liegende Blechfässer waren Teakholz Planken geschraubt. Die Hütten waren mit Strohdächer und Geländer aus Teakholz gebaut. Die Flöße waren an Stahlseilen befestigt und so konnte man diese auch nur in der horizontale Richtung auf das Wasser hinaus ziehen.
Böööööööph

Das Floß, welches sie sich aussuchten, war 5×6 Meter, hatte eine kleine Theke für Getränke oder Speisen. Sogar eine Kühlbox war vorhanden. Rechts davon war eine breite Strandliege aus Teakholz mit dicken Kissen auf dem Boden verschraubt.
Ein größerer Tisch in Form vom einem T stand mittig im hinteren Bereich. Am Tisch standen ein Dutzend Stühle aus Teakholz.
Vor der schönen Teakholz Theke war eine alte Fahrradfelge als Antrieb mit einem Stahlrohr verschweißt. Über dieses „Steuerrad“ drehte sich eine Welle unter dem Boden, wodurch sich ein zweites Seil unter dem Floß aufwickelte. So konnte man mit dieser Technik sich vom Ufer entfernen oder hinfahren.

Die Bedienung brachte einen großen Bottich Eiswürfel für die Kühlbox und die bestellten Getränkedosen. Sie sagte, dass sie rufen werde, wenn das Essen fertig sei.

Hannes drehte an der verbeulten Felge und mühsam entfernt sich das Floß vom Ufer. Da es zwischen Felge und Stahlseil kein Getriebe gab, kurbelte Hannes wie ein Ochse an dem „Steuerrad“.
„Bei Cees würde es einen solchen Pfusch nicht geben. Er hätte ein Getriebe und einen vernünftigen Antrieb gebaut.

Als Hannes das Floß gute 6 Meter vom Ufer bugsiert hatte, meinte er, dass der Abstand nun groß genug sei.
Der Prek Vai Kou war bei weitem nicht das, was er an Flüssen in Kambodscha gesehen hatte, trotzdem war es angenehm auf dem Wasser zu schaukeln und den Wellen nachzuschauen. Hin und wieder kam eine kleine Gischt über die Planken, welche gerade mal 40 Zentimeter über dem Wasser waren.
Beide legten sich auf die breite Holzliege.
„Es ist schon schön hier. Hat etwas von Abenteuerromantik. Gegen Abend ist es bestimmt noch schöner, wenn man die Lampen an der Decke und Pfosten anzünden kann. Schade, dass man überall die Spuren vom Zahn der Zeit sieht“ Hannes öffnete zwei Bierdosen und reichte eine Maona.
Maona prostete ihm zu „Auf uns. Es ist für mich alles kaum zu glauben, wie sich mein Leben durch dich geändert hat. Weißt du, man fragt sich oft, was hat man im Leben falsch gemacht und warum man gewisse Schicksalsschläge vor die Füße geworfen bekommt. Phammm! Und dein Leben ist nicht mehr das was es mal war. Man sucht nach Antworten auf all dies und ist verzweifelt. Man sucht Auswege und kommt nicht weiter. Das Leben rauscht auf einen Abgrund zu und man hat keine Chance zu bremsen. Als Fleischfachverkäuferin mit BWL Studium sitzt man in einer Markthalle und plötzlich schaut dich ein Ausländer von der Ecke an und du schämst dich für diesen Job, für diese Behinderung, für dieses Leben.“ „Maona, lass es! Es war gewesen und du musst dich für nichts auf dieser Welt schämen.“
Maona gab ihm einen Kuss „Du bist ein klasse Mensch. Warum hattest du damals dein Fleisch ausgerechnet bei mir gekauft?“
„Ich gehe nicht nach der Ware, sondern nach den Menschen hinter der Ware. Mir ist schon klar, dass ich diese Welt nicht retten kann – ich kann es nur für einige Leute besser machen. Ob ich jetzt mein Obst, Gemüse oder Fleisch in einem der großen und schönen Einkaufszentren kaufe, oder auf dem Markt bei einer ärmeren Person. In einem Kaufhaus verdienen viele an der Ware, auf dem Markt oft nur eine Familie. Ich ging ohne Stress durch die Markthalle und sah mir die Verkäufer an. Du fielst mir von deiner Art auf. Wie du auf dem Podest gesessen hattest, war sehr elegant. Diese Eleganz hat niemand in der Markthalle. Dann hattest du mit Somphea Schulaufgaben gemacht. Auch dies ist untypisch für eine Markthalle. War es Zufall, Bestimmung oder Schicksal, dass wir uns getroffen hatten? Mir hat die Begegnung mit dir sehr weh getan. Wo wäre ich heute ohne dich? Dies musst du auch mal sehen.“
Maona schüttelte den Kopf „Dann hättest du eine andere Person.“ „Mag sein. Aber eine Geschäftsführerin für meine Idee, eine Kämpferin für Politik und nebenbei noch Spitzenkandidatin für den Gouverneursposten, und noch eine gute Freundin in einer Person zu finden, wird schon sehr sehr schwierig.“ „Auf uns“ sagte Maona und prostete ihm mit ihrer Bierdose nochmals zu.

Die Bedienung rief, dass ihr Essen fertig sei.
Hannes kamen die 6 Meter bis zum Ufer vor, als ob er dieses Floß einmal um den Äquator kurbeln würde.
Die Bedienung brachte das Essen und stelle ein großes Tablett auf den Tisch.
„Ich geh noch schnell auf die Toilette und
bestelle noch ein paar Gedanke, denn ich habe nicht vor, ständig diese Ding hin und her zu kurbeln. Was möchtest du noch trinken?“ „Eistee bitte.“

Als Hannes von der Toilette kamen, sah er einen weißen Mitsubishi Lancer EVO1 auf den Parkplatz fahren. Er bestellte noch 6 Dosen Eistee, 4 Pepsi und 4 Angkor Beer. Er schaute auf den Parkplatz und sah eine schmale Frau mit langen Haaren und mit einem roten T-Shirt und Jeans gekleidet, auf der rechten Seite des Fonds aussteigen. Er schätzte die Frau auf Ende 20. Die Frau hatte eine Ledertasche über ihre Schulter hängen.
Auf der linken Seite des Fonds stieg eine schmale und etwas größere Frau aus. Sie war keine Asiatin, denn ihre Hautfarbe war hell und sie hatte blonde leicht gelockte lange Haare. Mit ihrem weißen Top und Jeans Hotpants sah sie wie eine Model oder Schauspielerin aus.
Vorne stiegen gleichzeitig zwei Männer aus. Der Beifahrer hatte eine normale Größe und Statur. Er konnte um die 40 Jahre sein, und hatte kurz geschnittenes schwarzes Haar. Er war leger in einer hellen Baumwollhose und weißem Hemd gekleidet. Der Fahrer konnte im Alter der blonden Frau sein. Sah sehr durchtrainiert aus und hatte kurz geschnittene Harare. Er trug ein weißes Sport-Shirt von Nike und Jeans. Hannes kam es vor, als ob er diesen Mann schon einmal gesehen hatte. Das Gesicht kam ihm bekannt vor.

Hannes blieb am Tresen stehen und wartete auf die vier Personen, die in diesem Moment die 5 Stufen ins Restaurant hoch kamen. Die Europäische Frau sah mit schnellem Blick zu ihm und schaute sich im Restaurant um.
Die vier Personen machten sonst keine Anstalten ihn zu beachten.
„Suchen Sie Frau Sokthat?“ Fragte Hannes.
Der Mann, der Hannes bekannt vor kam nickte ihm zu „Ja, Wir sind verabredet.“ „Ich weiß. Frau Sokthat ist auf einem Floß auf der anderen Seite des Restaurants.“

In der Quiz-Show saß nun eine Frau von mittleren Alters auf dem Kanzel ähnlichen Stuhl.
Der Show-Master las gerade seine Frage vor.
Hannes trug eine Plastik Coca-Cola Box mit den Getränke.
Welches Element stammt nicht aus der Antike?
a) Erz
b) Schwefel
c) Zink
d) Phosphor
„Es ist d, Phosphor“ sagte Hannes der Bedingung und machte ein Petzauge. Er drehte sich leicht nach links um und bat die Gäste ihm bitte zu folgen.

Die Kandidatin sagte Schwefel.
Böööööööph

Hannes sah die Bedienung an und zog die Schultern hoch „Die würden im Fernsehen besser Fragen, wer Mickey Mouse ist.“

Für eine Revolution muss man auch bereit sein Opfer zu bringen

„Der Fisch ist bald kalt“ rief Maona als er auf die Terrasse trat.
„Entschuldigung Süße, ich habe deinen Besuch dabei. Meine Damen und Herren, diese schöne und hungrige Frau ist Maona Sokthat.“
Maona erhob sich in ihrer schnellen athletischen Bewegung und stellte sich den Herrschaften vor. Die Asiatische Frau stelle sich als Savin Hou-Yeng vor.
„Borey Kimyeat“ sagte der ältere Mann und verbeugte sich mehrmals vor Maona.
„Ich bin Heng Serey Ratana. Meine Frau Aveline Levieux-Ratana.“
Maona verbeugte sich ihm und seiner Frau.
Heng Serey verbeugte sich nochmals vor Maona „Ich freue mich. Es ist mir eine Ehre Kambodschas Power Frau endlich persönlich zu treffen.“
Maona lächelte und verbeugte sich auch wieder vor ihm „Dankeschön. Gleiches kann ich auch sagen.“
Maona scheint diesen Mann wohl auch zu kennen, dachte Hannes und kurbelte das Floß auf das Wasser hinaus.

„Ich möchte euch aber schon gerne den Mann vorstellen, der dafür verantwortlich ist, dass es Kambodschas Power Frau überhaupt gibt: Borsa mneak del mean ko aus Deutschland.“
Ratana kam sofort auf Hannes zu und begrüßte ihn auf die bekannte asiatische Art „Es tut mir leid, dass ich Sie nicht erkannt habe. Ich kenne nur Ihren Namen. Heng Serey, Bonne journée“ und reichte Hannes die Hand. „Bonjour Heng Serey. Hannes. Dies ist mein richtiger Name. Jetzt wo du deinen Namen gesagt hast, weißt ich auch woher ich dich kenne.“
Heng Serey lächelte „Im Fernsehen sieht man anders aus.“

Maona bat die Gäste platz zu nehmen.
Während Hannes sich einen Wolf kurbelte, setzten sich die Fernsehleute Maona gegenüber.
Hannes setzte sich links neben Maona und entschuldigte sich, dass sie beide nun essen würden.
„Lasst euch durch uns nicht stören. Wir sind schon froh, dass wir Maona überhaupt so schnell treffen können“ sagte Heng Serey.
„Wobei sich uns beiden die Frage für dieses Treffen stellt“ sagte Hannes.
Heng Serey nickte ihnen beide zu „Warum wir uns an diesem Ort treffen, hat seine Gründe. Über die innenpolitische Lage von Kambodscha müssen wir euch nichts erzählen. Wir denken auch, dass ihr beide sehr gut informiert seid. Dies ist eigentlich auch der Grund, warum wir uns treffen. Uns ist bekannt, dass ihr einen erheblichen Anteil an der Gründung einer neuen Partei habt. Wir stehen zu euch und wollen euch unterstützen.“
Maona sah fragend in die Runde „Was soll dies für eine Unterstützung sein?“ „Maona, du müsstest ins Fernsehen. Eure Statuten von der Partie sind gut und auch wichtig für die Zukunft von Kambodscha. South hat die Provinz durch seine Korruption an die Wand gefahren“ sagte Heng Serey.
Maona und Hannes nickten zustimmend.
„Nun erklärte mir bitte, wie du eine Wahlwerbung ins Fernsehen bringen möchtest“ Maona sah Heng Serey fragend an. „Wer spricht von Wahlwerbung? Glaubt mir, mein Team, meine Frau und ich machen uns schon länger Gedanken, wie wir es schaffen, dich bekannt zu machen und gleichzeitig South keine Angriffsfläche gegen dich zu bieten. Was bleibt? Nachrichten. Wir berichten über eine neue Partei in der Provinz und schneiden ganz zufällig die Gouverneurswahlen an. Wir sind heute hier, um mit dir darüber zu sprechen.“
Maona sah zu Hannes und dann in die Runde der Gäste „Heng Serey, du bist Journalist und der Sprecher der Hauptnachrichten. Ich möchte keinesfalls, dass du durch mich Ärger bekommst. Politische Einflussnahme, die nicht im Sinne der Regierung ist, sieht man nicht sehr gerne im Fernsehen.“
Heng Serey nickte Maona zu „Da hast du recht. Gerade in Kambodscha ist es ein sehr großes Problem mit der Korruption. Ich möchte euch gerne etwas sagen, was nicht unbedingt jeder in diesem Land wissen muss. Ich gehe auch so weit, um zu sagen, dass ich euch vertrauen kann, denn sonst wäre meine Frau bei diesem Treffen nicht dabei.“
Maona reichte Heng Serey die Hand „Selbstverständlich bleibt alles was wir reden auch in diesem Kreis.“
Hannes nickte Heng Serey zu „Natürlich kannst du uns vertrauen. So wie es aussieht, stehen wir auf der gleichen Seite.“
„Dankeschön. Mit der Machtübernahme der Roten Khmer verlor Kambodscha seine Zukunft – dies wisst auch ihr. Ich hatte 1975 meine Abitur gemacht und meine Eltern sind wenige Tage später mit mir und meinen beiden jüngeren Schwestern nach Vietnam geflohen. Vietnam deshalb, weil wir in Svay Rieng gelebt hatten. Über das UNHCR kamen wir zwei Jahre später als Flüchtlinge nach Frankreich und wurden dem Département Seine-Maritime zugeteilt. Wir kamen in die Stadt Rouen. Da meine Eltern, wie auch meine beiden jüngeren Schwestern und ich französisch an der Schule gelernt hatten, war es für uns sehr schnell möglich aus dem Banleu heraus zu kommen. Ich studierte an Universität in Rouen Medien- und Politische Kommunikation.“
Maona und Hannes hörten Heng Serey aufmerksam zu.
„Im Jahr 1988 ging ich mit Aveline zurück nach Kambodscha. Wir beide konnten und wollten die katastrophale Lage in Kambodscha nicht mehr hinnehmen. Wir beide hatten damals für AFP gearbeitet und so war der Weg zurück nach Kambodscha nicht schwer. Da ihr mich durch die Nachrichten kennt, wisst ihr, dass ich beim TVK arbeite. Aveline ist Korrespondentin für AFP und Reuters.

Hannes musste das eben gehörte verarbeitet. Er stand auf und ging an die Brüstung von dem Floß und schaute auf die Wellen vom Prek Vai Kou. Er nahm mehrmals tief Luft und drehte sich zu der Gruppe am Tisch um. „Heng Serey, mir ist durchaus bewusst, dass TVK der Regierung gehört und Beiträge und Nachrichten, ich nenne es mal: Regierungskonform, gesteuert werden. Nun kommst du mit dieser Idee zu Maona, und willst indirekt über deine Beiträge in Wahl in dieser Provinz eingreifen. Du weißt, welch heißes Eisen dies ist?“
Heng Serey nickte ihm zu „Für eine Revolution muss man auch bereit sein Opfer zu bringen.“ „Bei allem Respekt für deinen Mut und auch den von deinem Team. Aber dies finde ich nicht sehr gut. Es könnte das Ende deiner und eurer Karriere in Kambodscha sein. Ist dir und euch diese Wahl so viel wert?“
„Ja“ sagten alle entschlossen.
„Respekt. Wir alle wissen, dass South und sein Netzwerk an Korruption das Problem in dieser Provinz ist, also muss man South destabilisieren. Eine Möglichkeit wäre die Verschuldung der Provinz seit South Gouverneur ist, öffentlich zu machen. Dies zu beweisen ist das kleinste Problem. Wo wir wieder bei Regierungskonformen Nachrichten wären. South könnte sich heraus winden, in dem er sich auf die schwierige innenpolitische Lage von Kambodscha beruft und ihr hättet nichts erreicht. Auch werden die Behinderungen seitens South gegen meine Arbeit bei ODHI kaum etwas ausrichten.“
Savin Hou-Yeng meldete sich zu Wort „Borsa mneak del mean ko, ich bin Redakteurin bei TVK und habe lange recherchiert, um zu wissen, dass es von South Kontobewegungen über eine chinesische Bank in Phnom Penh gibt. Die Geldzuwendungen von South an Wahlberechtigte Personen in dieser Provinz laufen über mehrere Mittelsmänner So können wir South keinen offiziellen Wahlbetrug nachweisen. Also bleibt nur der Weg über die Bekanntmachung der neuen Partei.“
Hannes sah zu Maona und dann in die Runde am Tisch „Also stimmt es doch. Von den Geldzuwendungen haben wir gehört. Weiß die UNTAC oder CIVPOL darüber Bescheid?“
Savin zog die Schultern hoch.
„Ich habe eine Freundin bei UNTAC. Ihr können wir vertrauen. Im übrigen war auch sie bei der Gründung für ein Agrarkollektiv in dieser Provinz eine tragende Kraft. Sie hatte South gezeigt wo der Hammer hängt und wer hier in Kambodscha zur Zeit das Sagen hat.“
Hannes sprach die Punkte an, die er vor Wochen Ilaria de Rosa bezüglich South unterbreitet hatte. Aveline notierte sich während Hannes sprach, den Namen: Ilaria de Rosa.
„Aveline, du musst dir diesen Namen nicht notierten. Ich werde Ilaria anrufen, wenn wir gemeinsam gegen South vorgehen wollen, sollten wir unsere Verbindungen auch gemeinsam nutzen.“

Hannes erzählte von der Begegnung zwischen Ilaria, Paolo und South im Rathaus von Svay Rieng und welche Position Ilaria bei UNTAC hat.
„Ilaria hatte vor nicht all zu langer Zeit meine Forderungen gegen South bezüglich den brachliegende Flächen und Felder durchgebracht. 200 Grundbücher sind an einem geheimen Ort gelagert und gesichert. Ilaria, Maona und ich kennen diesen Ort. Denn uns allen ist klar, dass South diese Grundbücher zurück haben möchte, um die Preise hoch zu treiben, denn diese Felder sind durch einen – na ja, nicht gerade handelsüblichen Preis von je 1.000 Riel pro Fläche in meinem privaten Besitz. Diese werden natürlich an das Agrarkollektiv übergeben, wenn alles steht. Das Geld für diese Felder wurde an die Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule überwiesen. So hatten wir South zweimal vor den Kopf gestoßen.“
„Kennst du South persönlich?“ Fragte Heng Serey.
Hannes nickte und erzählte von den damals schwierigen Verhandlungen über die Grundstücke in Kampang Rou und Khsaetr. „South ist und bleibt ein Wurm. Ich hätte ihm im Frühjahr 1990 die Zähne einschlagen sollen. Ja Leute, beide Grundstücke auf denen die ersten Schulen meiner Frau stehen gehören mir. Ob South dies nach 3 Jahren vergessen hat, oder er nun doch andere Sorgen hat, kann ich euch nicht sagen.“ „Die berühmte Lefévre School“ sagte Aveline respektvoll.

„South ist mehr als ein Wurm“ sagte Maona und blickte in die Runde. „Schaut mich an. Ich bin ein Krüppel geworden und mein Mann ist tot.“ Maona erzählte wie ihr Leben früher war und welche Visionen sie und ihr Mann für eine neue Politik hatten. Sie erzählte von dem tödlichen Verkehrsunfall und blieb bei ihrer Meinung, dass dies ein Terroranschlag von South war. Auch erzählte sie, wie sich ihr Leben nach der Kündigung durch South verändert und gar verschlechtert hatte. Ohne ihren Onkel hätte sie noch nicht einmal ein Obdach gehabt und seit einem Jahr unterrichte sie ihre Tochter selbst, weil sie noch nicht einmal das Schulgeld hat.

Aveline, Savin, Borey und Heng Serey brauchten eine Zeit, bis sie das Leben – oder die Umstände von Maona verarbeitet hatten.
„Maona, was du uns eben erzählt hast, bist du für mich noch viel mehr die Power Frau für Kambodscha. Ich werde dir helfen, diese Wahl zu gewinnen“ sagte Heng Serey.

Hannes setzte sich wieder an den Tisch.
„Wie weit seid ihr über die Gründung von einem Agrarkollektiv in dieser Provinz informiert?“ Dabei sah Hannes jeden der Gäste an. Die Blicke derer sagte ihm, dass sie nichts darüber wussten. So erklärte Hannes seine Gedanken, welche er nun bereits seit über 3 Jahre im Kopf hatte. Auch erwähnte er sein Trockenfeldanbau-Projekt. Denn dies alles gehörte zu seinem Plan: Den Menschen in Kambodscha zu helfen. „Zum einen ist die Partei von Samnang Duong im gleichen Atemzug mit dem Svay Rieng Agro-products Cooprrative und meinem Trockenfeldanbau-Projekt zu nennen. Die Geschäftsführerin ist Maona. In der Geschäftsleitung sind: Yupa Ngampho und Samnang Duong. Ein handvoll Europäer sind im Beirat – ich gehöre auch dazu. Zur Zeit liegt auf einem Konto bei der National Bank of Cambodia eine Summe von weit über 1,7 Million US-Dollar. Das ich diese Summe nicht einfach „spenden“ kann, ist selbstverständlich. Die Kambodschaner müssen auch etwas dafür tun. Dies geht nur, wenn sie einen Teil von ihrem Erlös an das Kollektiv abtreten. Nichts ist umsonst – auch humanitäre Hilfe nicht. So steht es auch in der Satzung vom diesem Kollektiv. Bis dato haben diese Satzung 211 Bauern unterschrieben. Wir möchten die Menschen in diesem Agrarkollektiv und natürlich auch in dieser Provinz gleichstellen. Es gibt Kriegsbedingt oder durch den Genozid sehr viele Menschen, denen einige Gliedmaßen fehlen. Diese Menschen haben in dem jetzigen System keinen Platz in der Gesellschaft. Dies möchten wir ändern. Eine Person mit einem fehlenden Bein oder Arm, kann in unserem Kollektiv Ware verkaufen. So bekommen diese Menschen Lohn für ihre Arbeit und können wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Wir werden dafür noch Verkaufshütten bauen. Alle im gleichen Stil und Farbe. Jeder in der Provinz soll sehen, wer wir sind. Ihr seht, an der Partei von Samnang hängt viel mehr, als nur ein paar Reformen umzusetzen. Natürlich hätten wir mit Maona als Gouverneurin freie Fahrt und könnten viel schneller und wesentlich einfacher auch unsere Ziele erreichen. Ich sagte vorhin, dass wir eine Veränderung in der gesamten Provinz möchten, und nicht nur südlich von Svay Rieng. Also sind unsere Pläne doch erheblich größer. Savin, du hast recherchiert, dass es tatsächlich diese Geldzuwendungen gibt. South würde dies nie tun, wenn er keine nasse Füße bekommen würde – er hat Angst vor Maona und weiß nicht, wer im Hintergrund ist. Wir können mit der Partei nicht mit Geldzuwendungen punkten, denn dieses Geld wird dringend für mein Trockenfeldanbau-Projekt und für das Kollektiv gebracht. Unsere Veränderungen brachen Zeit zum wachsen. Das Geld von South haben die Menschen in ihren Taschen. Somit ist es jetzt schon eine unfaire Wahl. Nun bin ich wieder am Anfang vom Kreis angekommen. Wenn du, Heng Serey, Beiträge über meine Projekte machst, sollten diese mit Maona in Verbindung gebracht werden. Wer das Geld dafür gibt und wer im Hintergrund arbeit, ist den Leuten ziemlich egal. Die Menschen müssen sehen, dass diese Veränderungen von und durch Maona kommen. Somit hast du eine neutrale Berichterstattung und gleichzeitig wird Maona bekannt. Diese Möglichkeit kann und werde ich dir anbieten. Lasst uns darüber mal ein paar Gedanke machen. Ich bräuchte nun eine kleine Pause, denn ich müsste mein Bier weg tragen und zum andern würde ich gerne noch etwas Obst für uns bestellen.“

ព្រះពុទ្ធការពារប្អូនស្រី។
Buddha beschützt dich Schwester

Hannes kurbelte gemeinsam mit dem Kameramann Borey das Floß ans Ufer. Gemeinsam ging es doch erheblich leichter und schneller.
Auf dem Weg zur Toilette schaute Hannes auf das Wahlplakat von Maona und grinste breit. Borey sah ihn fragend an.
„Schau, was dort steht. Dieser Spruch stand bei unserer Ankunft noch nicht auf dem Plakat.“ „Buddha beschützt dich Schwester. Klasse Spruch.“

Am Tresen bestelle Hannes eine große Platte mit Ananas, Pitahaya und Wassermelone.
Er frage die Bedienung ob es möglich wäre eine weitere Liege auf ihr Floß zu stellen, denn diese wäre um ein vielfaches bequemer als die Holzstühle. Die junge Frau nickte „Sie können auch gerne die Nummer 10 nehmen, dort sind mehrere Liegen und auch Hängematte vorhanden.“ „Sehr gerne. Dann tauschen wir.“
Die Bedienung machte sich sofort an die Arbeit ihre Getränke und neue Eiswürfel auf Floß Nummer 10 zu tragen.

Bis die Bestellung und das umräumen
fertig war, ging Hannes an sein Auto und holte noch einige Wahlplakate aus dem Kofferraum.
Heng Serey kam an den Kofferraum „Du hast ne coole Karre.“ „Danke. Kann ich auch bei dir sagen. Der EVO1 ist schon ne Rakete. 250 PS und Allrad-Antrieb. Da geht was. Leider würde mir in dem Gebiet, wo ich im Einsatz bin, dieses Auto selbst mit Allrad nichts nützen. Da kommt selbst mein Auto hin und wieder an seine Grenzen.“

Hannes legte noch einige Plakate von Maona auf den Tresen. Sein Lieblingsplakat von Maona zeigte er Heng Serey und sagte ihm auch, warum er dieses Plakat mochte.
Heng Serey nickte „Sie ist ohne Zweifel eine taffe und sehr schöne Frau. Was sie uns vorhin von sich erzählte, muss man erst einmal verkraften. So viele Stunden neben ihrem toten Mann zu liegen, ist schon eine Hausnummer. Ich wüsste nicht, ob ich dies könnte.“

Der Koch von dem Restaurant trug eine riesige Platte mit Obst an Floß Nummer 10. Die Bedienung hatte noch ein Tablett mit Getränken dabei und stellte die Dosen in die Kühlbox.
Das „Steuerrad“ von Nummer 10 war zumindest eine vernünftige Fahrradfelge und drehte sich auch bedeutet leichter. Floß Nummer 10 war mit Abstand das größte und wohl auch bequemste. Es gab mehrere Liegen, wobei zwei sehr breit und somit für zwei Personen waren. Kleinere Holztische standen neben den Liegen und es gab eine große Fläche, wo man sich bequem setzen oder auch hin legen konnte.

Sie lagen auf den bequemen Liegen auf dem Floß und durch den leichten Wellengang vom Prek Vai Kou kam der Moment wie Urlaubsstimmung vor. Trotz der Mittagshitze war es auf dem Wasser sehr angenehm.

„Hannes? Ich hätte mal eine Frage“ sagte Aveline. „Okay. Welche?“ „Es tut mir leid, ich bekomme keine Verbindung zwischen deinem kambodschanischen Namen und einer Kuh.“ Hannes grinste Aveline an und erzählte ihr, wie er zu diesem Namen kam.
„Unglaublich. Und diese Kuh ist immer bei dir?“ „Ja. Hätte ich heute ein anderes Auto, wäre Sangkhum auch hier. Dieses Rind ist schon sehr eigenartig.“

Maona erzählte von ihrer ersten Begegnung in der Svay Rieng Provincial Hall und wie Hannes der Länge nach auf dem Betonboden aufschlug. „Wenn man Menschen nicht kennt, macht man sich sein eigenes Bild. Ich kannte Hannes nur unter seinem Namen, Borsa mneak del mean ko. Irgendwann stand er vor mir und ich verkaufte ihm Fleisch. Nun bin ich durch ihn Geschäftsführerin für ein Agrarkollektiv und stelle mich zur Wahl für die zukünftige Gouverneurin. Das Leben geht schon merkwürdige Wege.

Hannes stand auf und ging zur Kühlbox um sich ein Bier zu holen. Er reichte Aveline eine Dose Pepsi Cola. Savin wollte Eistee. Borey und Heng Serey sagten bei einem Bier nicht nein.

„Borsa mneak del mean ko, erzähle uns von dir. Wir waren eigentlich der Meinung, Beiträge über Maona und die neue Partei zu filmen, nun muss ich sagen, dass vieles was Maona sagte, wir nicht wussten.

Hannes legte sich in die äußerst bequeme Liege neben Maona und fing im Januar 1990 an zu erzählen. Seine Zuhörer nickten hin und wieder oder schüttelten den Kopf. „Und nun sitzen wir hier auf dem Prek Vai Kou und der kleine Hannes von früher gibt es schon lange nicht mehr. Ich suchte damals Hilfe um weiterzukommen. South war keine Option, dies merkte ich sehr schnell. So kam ich mit dem Militär in Kontakt. Nach einiger Zeit merkte ich, dass ein Major in der Kaserne in Svay Rieng weit mehr als ein Militäroffizier war. Ich war mir aber nicht sicher, wer im Hintergrund in dieser Provinz die Fäden zog. Nach und nach merkte ich, dass viele „seiner“ Gedanken nicht seine waren. Er gab diese lediglich weiter – was in keinster Weise negativ war. Erst durch Maona wusste ich es ganz genau. Nun ist das Resultat eine Partei, bei der Samnang Duong vorsteht und Maona die Spitzenkandidatin ist. Da wir alle wissen, wie South an seiner Macht klebt und wir von Wahlmanipulation ausgehen können, haben ich durch meine Kontakte zur UN und somit zu UNTAC, 4.800 Blauhelmsoldaten und 700 Beamte angefordert. Sie werden als Wahlbeobachter eingesetzt. Auch werden die Stimmzettel an einem geheimen Ort – den ich kenne, ausgezählt und auch dort beobachtet. South weiß noch nichts von diesen Wahlbeobachter und dies soll auch so bleiben. Die Macht vom South ist in dieser Provinz stark und sehr verflochten. Natürlich möchte er sein Schattenimperium behalten. Ihr wisst von Ortschaften wo die Leute etwas Geld von South’s Wasserträger bekommen haben, damit diese ihr Kreuz an der „richtigen“ Stelle machen sollen. In der Region um Kampang Rou hat er keine Chance, denn dort sind wir sehr aktiv und die Blöße seiner Wahlmanipulation wird er sich nicht geben. Was ich euch vorhin über mein Trockenfeldanbau-Projekt gesagt habe, wird eine große Sache, leider sehen es die Menschen in der Provinz Svay Rieng noch nicht. Die Leute in und um Kampang Rou sehen diese Veränderungen seit 3 Jahren. Diese etwas über 1.000 Wahlberechtigte Menschen sind für eine absolut Mehrheit bei der Wahl für Maona viel zu wenig. Über 200 Felder südlich und westlich von Svay Rieng in Richtung Kampang Rou werden optimiert, abgeerntet oder eingesät. Zur Zeit arbeiten dort an den Felder weit über 200 Personen, die zum Teil aus anderen Ortschaften kommen und somit ist Maona diesen Menschen bekannt. Wir werden etwas gegen die Lebensmittelknappheit in diesem Land tun. 100 Tonnen Saatgut sind bereits auf einem Schiff und werden in Kürze im Hafen von Sihanoukville ankommen. Auch sind 5 Container mit Landschaftlichen Maschinen aus Deutschland auf dem Weg nach Kambodscha. Dies alles, was ich eben aufgezählt habe ist bis zu diesem Zeitpunkt mein Eigentum. Unsere Veränderungen werden spürbare Verbesserungen bringen. Wir in diesem Kreis wissen, wie es mit der geringen Bildung auf dem Land aussieht. Also können wir nur die wenigen Menschen erreichen, die für das Agrarkollektiv und ODHI arbeiten, oder wie bereits erwähnt, die Veränderungen in Kampang Rou, Khum Nhour, Khsaetr oder Sama sehen. Selbst die Bergdörfer Samlei, Thmei und Tnaot profitieren von den Veränderungen in der Region. In Thmei steht ein Militärzelt, in dem eine Lehrerin aus dem Team von Patricia die Kinder unterrichtet. Ich habe einen Arbeitsvertrag von UNICEF und sollte eigentlich die Infrastruktur für Schulen errichten. Würde ich gerne tun, wenn über die UN oder UNTAC endlich vernünftiges Geld kommen würde. Bei der letzten Debatte vorige Woche in Phnom Penh wurden 32 Millionen US-Dollar für die Bildung bereitgestellt. Selbst wenn ich für UNICEF Schulen baue, habe ich keine Lehrer. Junge Lehrerinnen und Lehrer wollen in die Städte und nicht in die trostlosen Ortschaften. Die Lehrerinnen und Lehrer, welche hier sind, haben doch kaum eine Perspektive, weil ständig Geld fehlt. Meine Frau und ihr Kollege, Levi Flacks, werden im nächsten Jahr unter anderem für das Bildungsministerium arbeiten. Bei der letzten Debatte im Ministerium wurde die Bildungsreform von Patricia und Levi sehr gut angenommen. Ihr seht, wir machen uns sehr viele Gedanken, wie wir diesem Land noch besser und vor allem schneller helfen können. Und nun bin ich wieder am Anfang vom Kreis. Wie können wir es hinbekommen, dass diese Wahl im Sinne der Demokratie und trotzdem zu unserem Vorteil verläuft? Mal etwas anderes. Es wird immer später und wir sollten uns das Abendessen bestellen. Denn ich denke, wir werden noch ein paar Stunden brauchen, bis wir ein vernünftiges Konzept haben.“

Borey und Heng Serey kurbelten das Floß zurück an Land. Maona bestelle für alle das Abendessen. Suppe, gebratene Fleischspieße vom Huhn, Schwein und Rind, Papayasalat mit Klebereis und Fisch mit Gemüse.
Maona sah nun auch das Wahlplakate mit dem für sie geschriebenen Spruch. Sie fragte die Bedienung nach einem Filzstift und signierte das Plakat. Die anderen Plakate hingen unübersehbar im Restaurant. Sogar eines am großen Coca-Cola Kühlschrank.

Hannes rief Patricia an und sagte ihr, dass er mit Maona in Rokar sei und sie sich keine Sogen machen sollte.
„In Rokar? Was machst du am anderen Ende der Provinz?“ „Gespräche mit einem Fernsehteam. Sie waren in Chong Kal und wir haben uns in der Mitte getroffen.“ „In der Mitte?“ „Dann ist die Mitte eben weiter südlich. Herr Gott nochmal. Tschüss bis heute Abend. Ich liebe dich.“

Unbeschwertes Feiern gegen politische Veränderungen

Das Restaurant füllte sich langsam mit jungen Leuten, einigen Studenten aus Svay Rieng und Arbeiter, die den Tag mit Essen, Getränke und Feiern ausklingen lassen wollten. Maona kam mit Aveline und Savin von der Toilette und wurde von einigen Gästen erkannt. Diese verbeugten sich vor Maona und sagten ihr, dass sie zu ihr stehen würden. Maona ergriff sofort die Gelegenheit und stelle den Gästen ihre Reformen der neuen Politik vor.
Aveline stand neben Hannes und hörte Maona zu. Sie sah ihn an und nickte „Diese Frau hat Temperament“ „Maona ist ein Vulkan und die einzig wahre Option für diese Provinz. Hoffen wir auf das Beste. Der Countdown läuft.“

Um nicht nochmal das Floß zu tauschen, um essen zu können, brachte ein Keller zwei flache Tische auf ihr Floß. Mit den dicken Kissen, konnte man sich auch auf dem Boden bequem machen – was in Südostasien eigentlich auf völlig normal war.
Beim Abendessen wurde in der Gruppe über dieses und jenes gesprochen. Heng Serey hatte politische und gesellschaftliche Ansichten, mit denen er sich in Kambodscha nicht unbedingt Freunde machen würde, wenn diese öffentlich bekannt würden. Gerade er, der für einen Nachrichtensender arbeitet, welcher von der Regierung kontrolliert wurde. Diesen Mut musste man erst einmal haben. Nun wurde Hannes auch klar, warum man sich an diesem abgelegenen Ort traf. Die Entfernung zu den anderen Flößen machte es unmöglich, ihre Diskussionen zu verfolgen oder gar zu hören.
Hannes sah immer mal wieder zu den anderen Flößen und beobachtete die Leute. Sie feierten, lachten oder sangen Karaoke. Auf ihrem Floß wurde über deren Zukunft diskutiert, ohne dass diese jungen Menschen oder Bauern es wussten. Natürlich hatte sich herumgesprochen, wer die Frau auf Floß Nummer 10 war und so schauten hin und wieder einige der Gäste zu ihnen herüber.

Hannes entschuldigte sich und stand auf. Er ging ans Heck, wenn man dies bei einem Floß sagen kann, und rief Ilaria an.
Er fragte sie, ob UNTAC etwas über die indirekten Geldzuwendungen von South wüsste.
„Buona sera Hannes, es gibt Gerüchte darüber. Aber mehr weiß ich auch nicht. Ich bekam Fotos von CIVPOL auf dem ich seinen Anwalt erkannte, der beim Treffen im Rathaus dabei war. Es liegt der Verdacht der Geldwäsche vor. Noch ist alles sehr vage und eben auch nur Vermutungen. Hast du mehr Informationen als ich?“ „Ja. Habe ich. Eine Journalistin von TVK hat recherchiert, dass das Geld über eine chinesische Bank in Phnom Penh transferiert wird und es mehrere Mittelsmänner gäbe. Einen hätten wir ja dann schon.“
Stille in der Leitung. Hannes sah, dass Heng Serey zu ihm schaute.
„Hannes…?“ „Ja?“ „Wenn dies an die Öffentlichkeit kommt, brennt in der Provinz der Baum.“ „Wäre schön, wenn dies möchtest schnell passieren würde.“ „Wie sicher ist deine Quelle?“ „So sicher, dass Heng Serey Ratana seinen Job verlieren würde.“ „Wer ist er?“ „Der Hauptnachrichtensprecher von TVK.“ „Scusi, was hat er damit zu tun?“ „Er sitzt einige Meter von mir entfernt auf einem Floß auf dem Prek Vai Kou. Seine Redakteurin, Frau und Kameramann sind auch hier.“ „Okay. Ich setze mich mit CIVPOL in Verbindung. Ich sage dir Bescheid, wann und wo wir uns treffen.“ „Grazie, Ilaria.“

Hannes setzt sich wieder zu den anderen und nickte.
„Was?“ Fragte Heng Serey. „Ich weiß nun wer einer der Mittelsmänner ist. Es ist South’s Anwalt.“
Savin ließ ihre Gabel fallen und die anderen sahen Hannes an, als ob sie einen Geist sehen würden.
Hannes erzählte von dem Gespräch mit Ilaria und dass sie sich in diesem Augenblick mit CIVPOL in Verbindung setzen würde.
„Lasst mich noch kurz telefonieren. Ich möchte noch einen Freund anrufen, damit auch er im Bild ist. Mal schauen, ob er uns helfen kann.“
Auf die fragende Blicke der anderen sagte Hannes, dass er den Leiter der Weltbank in Kambodscha anrufen werde. „Macht euch keine Gedanken, Coady ist ein Freund von mir. Auch er gehört zu jenen Personen, denen ich – und Maona vertrauen. Coady ist auch auf unserer Seite.“

Diesmal blieb Hannes in der Gruppe sitzen und sagte Coady das gleiche, wie zuvor Ilaria.
„Coady, ich stelle auf Lautsprecher, dann können die anderen dich hören.“ „Guten Abend Maona und Heng Serey. Hallo an die anderen. Was ihr vor habt, ist brandgefährlich – aber wohl die einzige Möglichkeit die bleibt. Öffentlich über die Medien könnt ihr dies nicht tun, denn sonst sind einige von euch sehr schnell den Job los. Es geht nur über CIVPOL und dann über INTERPOL. Ich habe ein paar Kontakte zu INTERPOL und werde die mal in Kenntnis setzen. Hannes? Sag mir bitte Bescheid, wann Ilaria nach Svay Rieng kommt, dann komme ich auch.“ „Danke Coady. Ich melde mich sobald ich etwas weiß. Liebe Grüße an Melanie.“

Heng Serey schüttelte nach dem Telefonat den Kopf und sah Hannes an.
„Was?“ „Es ist unglaublich wen du alles kennst.“ „Tja, der Bagger fahrende Hannes hat auch ein großes Netzwerk. Es gibt keine Organisation in Kambodscha, in der ich keine Freunde oder Unterstützer habe. Leute, die Zeit läuft. Wir sollten uns Gedanken machen, wie wir Maona so schnell wie möglich ins Fernsehen bringen können. Da ihr die Fachleute seid, lasst mal eure Gedanken hören.“ „Welche konkrete Projekte können wir den Zuschauer zeigen?“ Fragte Savin. „Die Wasserräder in Kampang Rou und Khsaetr. Dadurch hat sich die Lebensqualität der Menschen bereits verbessert. Die Schulen meiner Frau. An dem Trockenfeldanbau-Projekt sind wir dran. Genau so an dem Agrarkollektiv. Da bräuchte ich auch noch ein geeignetes Grundstück. In Kampang Rou gibt es einen Laden, wo es keine Plastiktüten gibt. Frauen aus Tanot flechten Körbe. Diese Körbe werden wir in allen unseren Verkaufshütten haben. Zur Zeit gibt es einige Geschäfte in Svay Rieng, die diese Körbe auch benutzen. In Kor An Doeuk, Thkov, Shheu Teal und Kâmpóng Trâbêk werden diese Flechtkörbe bereits seit Jahren eingesetzt. Auch in Chong Kal gibt es mehrere Markt- und Standbetreiber, die diese Körbe für ihre Kunden nutzen. Somit hätten wir auch Umweltschutz im Angebot. Die Lieferung von 100 Tonnen Saatgut und den Landwirtschaftlichen Maschinen können nur angesprochen werden, denn diese werden morgen oder in den nächsten Tagen noch nicht in Kambodscha sein.“
Savin notierte dies alles und schaute auf ihre Notizen „Dies ist doch schon eine ganze Menge. Daraus lässt sich einiges machen. Wir könnten sogar eine richtige Reportage darüber filmen. Oder was meinst du, Heng?“
Heng Serey nickte anerkennend in die Runde „Dann sollten wir ein Drehbuch schreiben.“ „Gut, machen wir uns an die Arbeit. Ich werde mit Savin und Borey schreiben, und Hannes mit Aveline und Heng Serey“ sagte Maona und setzte sich auch gleich zu den beiden auf den Boden.
Aveline, Heng Serey und Hannes machte es sich mit Dosenbier in den Liegen bequem. Hannes stellte ihnen seine Ideen vor, wie und wo er Maona filmen würde. Seine Ideen gefielen den beiden sehr gut. Als Hannes etwas von einer Caterpillar D8N sagte, wussten beide nicht, was er meinte. Also erklärte er, was damals bereits Stacey filmte.
„Bilder von der Basis. Das ist gut“ sagte Heng Serey und klopfte Hannes auf die Schulter.
„Ich hätte noch die Gemüsefelder an Patricia’s Schule im Angebot. Am besten schaut ihr euch dies alles vor Ort an, dann werdet ihr sehen, was ihr alles filmen könnt.“

Das Telefon von Hannes klingelte. Es war Ilaria. „Buona sera Hannes, morgen Nachmittag gegen 16 Uhr bin ich in Svay Rieng. Wo treffen wir uns?“ „In der Schule von Patricia. Dort sind wir sicher. Grazie, für deine Hilfe. Bis morgen.“
Nach dem Telefonat mit Ilaria rief Hannes Coady an und sagte ihm die ungefähre Uhrzeit und Ort.

Es bereits 21 Uhr als beide Teams ein kleines Drehbuch geschrieben hatten, wie und wo sie sich eine Konversation mit Maona vorstellten. Aveline las die Manuskripte vor und es wurde noch besprochen, wie Maona oder Hannes sich dieses oder jenes genau vorstellten. Savin und Borey machten sich Notizen. „Eine Frage: wie willst du Maona in einer Höhe von 20 Meter filmen?“ Fragte Borey. „Wir haben einen Kranbagger auf der Baustelle. Wirst du morgen sehen.“
„Respekt Leute. Nun lasst uns aufbrechen, es war ein sehr langer Tag“ sagte Heng Serey.
Hannes rief noch ins Hotel an und machte drei Zimmer klar.

Kapitel 40 Billard am 10. Breitengrad

Billard am 10. Breitengrad

Nach einem langen Tag in Staub und Hitze, war Hannes froh im Hotel zu sein, um diesen furchtbaren Sand von der Haut zu bekommen.
Unter der Dusche fiel ihm ein, dass er nach nur einem Tag von Claude schon sehr viel verlangte. Hannes konnte sich nach all den Jahren in Südostasien nicht an diesen Sandstaub gewöhnen und er war mit Claude über 7 Stunden in dieser Hitze und Staub.
Patricia stürmte ins Zimmer und rief nach ihm. „Ich bin im Bad.“ „Très bon. J’arrive.“ Und im gleichen Augenblick stand sie im Bad.
Das duschen mit seiner schönen Frau war definitiv das Highlight an diesem Tag. Patricia küsste ihm lange und hielt Hannes fest „Chérie, was bist du wieder so nachdenklich?“ Hannes erzählte ihr von den neusten Problemen mit der Bestimmung der Bodenklassen, der Suche nach einem vernünftigen Areal und die Frage, ob auf den Landwirtschaftlichen Maschinen ein Embargo sei. „Prinzessin, ich werde heute Abend dies mit dem Vorstand von dem Agrarkollektiv auch mal ansprechen. Ich kann und will nicht immer alles alleine machen und denken. Und bei euch so? Was habt ihr heute gemacht?“ „Wir haben eine kleine Bootstour auf dem Tonle Bassac gemacht und wir waren in Bavet an der Grenze auf einem Markt gewesen. Hier in der Provinz gibt es ja nicht all zu viel zu sehen. Lass uns mal schauen, ob wir nicht mal für ein Wochenende nach Kâmpóng Trâbêk kommen. In Phnom Penh oder Siem Reap gibt es ja doch bedeutend mehr zu sehen.“ „Ja, mein Engel. Mal schauen, ob wir dies fürs nächste Wochenende schaffen. Dann könnte ich vielleicht am Montag im Verteidigungsministerium oder bei UNTAC mal fragen, wie ich an die Liegenschaft komme. Und wenn du mit deiner Familie wieder für ein paar Tage nach Koh Rong Sanloem fährst?“ „Könnte ich machen, aber warum willst du nicht mit?“ Hannes gab ihr keine Antwort auf die Frage und küsste sie lange. Patricia streichelte ihn zart und knabberte an seinem Ohr. Das Wasser lief ihnen über ihre Körper und sie lieben sich unter dem lauwarmen Wasser.
„Prinzessin, lass uns fertig werden, sonst kommen wir als letztes ins Restaurant.“ „Chérie, dies ist mir jetzt auch egal. Ich liebe dich und ich brauche dich“ mit diesem Worten zog sie Hannes aus der Dusche in dem kleinem Badezimmer auf das Doppelbett.


Patricia gab ihm einen Kuss „So, nun können wir duschen gehen. Danke für deine Liebe und den schönen Sex.“
Wieder lief das lauwarme Wasser über sie und Hannes wollte sich gar nicht mehr von seiner Frau lösen. „Komm, mon chérie, lass uns fertig werden, sonst kommen wir als letztes ins Restaurant.“ Hannes sah fragend zu Patricia. „Nun habe ich das bekommen, was ich brauchte. Jetzt können wir fahren. Je t’aime, mon chérie.“

Um 18.30 Uhr klopfte Hannes an der Zimmertür von Claude „Salut Claude, wir fahren gleich. Ich möchte mich aber zuerst bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich dich heute über Stunden mit in den Staub und Hitze geschleppt habe.“ „Meine Deutsche Kartoffel. Es ist okay. Das wir nicht in Höhlen sein werde wusste ich. Aber du hattest mich auf den Staub, Sand und Hitze vorbereitet. Ich muss und werde mich an dieses Klima gewöhnen. Andere mussten dies ja auch.“

Als Hannes mit Claude in die Lobby kam, saßen seine Freude bereits in den billigen Sessel und warteten auf sie.
„Hey Chef, wer fährt mit welchem Auto?“ Fragte Asger. Hannes schüttelte den Kopf „Niemand. Ich habe für uns einen Mini-Bus bestellt. Immerhin sind wir 9 Personen und so können wir auch etwas trinken.“ Patricia sah Hannes böse an und boxte ihm fest gegen den Oberarm. „Prinzessin, ich habe wir und nicht ich gesagt.“ Patricia verzog den Mund. Ihr Blick sprach Bände.

Das „Sach ang phoumi yeung“ heißt übersetzt „unser Dorfgrill“. Es ist kein Restaurant der gehobenen Klasse, aber trotzdem sehr schön. Man hat von der großen Terrasse einen wunderschönen Blick auf den Toni Waikou. Dieser See wird von dem Waikou Fluss, welcher schon grandios ist, aber gegen den Mekong nur ein Büchlein darstellt. Der Waikou geht nach dem großen Staudamm in den Bassac über, dort wo am Nachmittag Patricia mit ihrer Familie war.
Im „Sach ang phoumi yeung“ gab es drei Billardtische, die auch in einem vernünftigen Zustand waren. Der große Gastraum waren typisch asiatisch eingerichtet – also mit Teakholz Stühle und Tische, wie auch die Terrasse.

Zu Hannes seinem Erstaunen sah er auf dem Parkplatz vom „Sach ang phoumi yeung“ das Auto von Bourey stehen. Als Major musste er durchaus die Uhr kenne.
Hannes bedankte sich bei Soknea, der Inhaberin von dem Restaurant, dass sie seinem Wunsch nachkommen war. „Borsa mneak del mean ko, für dich immer wieder gerne. Es hat bestimmt seinen Grund, warum du das Restaurant für euch alleine haben möchtet.“ Hannes nickte, lächelte und verbeugte sich vor ihr „Danke Soknea, schreib heute alles auf eine Rechnung.“

Hannes begrüßte Maona, Yupa, Samnang und Bourey herzlich und stellte ihnen Claude vor. Maona verbeugte sich leicht vor Claude „Bonjour Claude, vous êtes le géologue que nous attendons tous avec impatience“ sagte Maona zu Claude. „Merci beaucoup. Es ist schön, dass ich von so vielen Leuten erwarte werde, aber ich bin nur Geologe und kein Zauberer“ sagte er zu Maona und sah fragend zu Hannes. „Maona kann französisch und englisch. Ja Claude, mich hatte sie auch schon überrascht. Maona, die Wahlplakate gefallen mir sehr gut. Ich finde das Plakat, wo man dich vollständig sieht echt klasse. Du gehst mit deiner Behinderung offen um und zeigst deine Kraft und Willen.“ „Findest du? Es gab für dieses Foto so einige Diskussionen.“ Hannes schüttelte den Kopf „Gerade weil du so – leider, bist, ist dieses Foto eine Botschaft an alle Menschen, die eine körperliche Behinderung haben. Du willst für alle Menschen in dieser Provinz die Gouverneurin sein und zeigst denen, dass es egal ist wie man aussieht.“ Bourey nickte Hannes wild zu „Dies habe ich Maona auch gesagt. Wenn wir von Anfang an etwas verstecken, werden wir unglaubwürdig. Nicht jeder in der Provinz kennt Maona und die Umstände ihrer Behinderung.“ Hannes klopfte dem Major auf die Schulter „So sieht es aus.“ „Mit oder ohne Behinderung muss ich diese Wahl erst mal gewinnen.“ Hannes nickte Maona zu „Lass dich an den Felder blicken, wo die Bauern am arbeiten sind. Rede mit ihnen. Zeig ihnen, dass es voran geht und du für diese Reformen stehst. Geh an die Universität und werbe für Lehrer, Kaufleute und Ingenieure. Stelle das Trockenfeld Projekt vor und sag den Studenten um was es geht. Lade sie auf die Baustellen ein oder zu Patricia in die Schule. Wir können Menschen nur erreichen, wenn sie alle diese Veränderungen sehen. Maona, es geht hier mehr als nur um Wahlkampf. Wir von ODHI brauchen fähig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir können mehr verändern, je mehr Menschen dies wissen und anpacken. Wenn Studenten, die Lehrerin und Lehrer werden wollen, sollen sie wissen, dass wir bereit sind Schulen zu bauen. Mir nützt es wenig, wenn ich für die UN die Infrastruktur aufbauen soll, wenn ich keine Lehrer oder Ingenieure habe. Die jungen Leute wandern nach Phnom Penh ab, und hier stirbt die Provinz aus. Ich weiß von dir, dass es hier in der Provinz mehr als genügend verwaiste Schulen gibt. Warum ist dies so? Weil Suoth die Provinz an die Wand gefahren hat.“ „Ich gebe dir in allem recht. Aber ich kann nicht über Nacht die Fehler und Korruption von South umdrehen. Und warum gehst du nicht mit mir an die Universität?“ Hannes nickte Maona zu „Das du die Fehler von South nicht von heute auf morgen ausbügeln kannst, weiß jeder hier im Raum. Warum ich nicht mit dir gehe? Dies ist ganz einfach, weil ich mal wieder – oder immer noch, einen Berg Probleme habe und mir schlichtweg die Zeit davon läuft. Ich hatte es auch schon zu Samnang gesagt, ihr habt den Vorteil, dass wir Europäer mit unserem Wissen und Equipment hier sind. Wir bleiben im Hintergrund – sind aber da wenn wir gebraucht werden.“


„Na, mein Freund, schon wieder am Arbeiten?“ Hannes drehe sich um und grinste Levi an „Hallo Levi, hallo Clodette, schön, dass ihr da seid. Wie war es in Phnom Penh?“
Am Tisch erklärt Levi den Zuhörer die vergangene Tage im Ministerium. Patricia, Clodette, Hannes, Franziska, Maona, Adelina, Leatitia und Samnang hörten ihm gespannt zu. Am Nebentisch saßen Claude, Maurice und Annabell.
„Über die UN, beziehungsweise UNICEF wurde ich zu der Debatte für die Bildungsreform eingeladen. Es waren circa 250 Delegierten im Ministerium – also keine große Sache. Am Mittwoch wurde von Seiten der UN, UNTAC, UNICEF, UNHCR, sowie Vertreter des Nationalrat und der Interimsverwaltung eine Agenda vorgestellt, welche 74 Punkte umfasst und die in den nächsten 2 Jahren greifen soll. Die komplette Ausfertigung habe ich zu Hause liegen. Und muss sagen, drei Viertel der Kapitel sind das Papier nicht wert, auf welches sie gedruckt wurden. Da ich bei der Delegation der UNICEF saß, lernte ich auch einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen, die für UNICEF in Kambodscha sind. Am Abend war ich mit gut zwei Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UNICEF essen gewesen. Eine Vanessa Lemaire und ein Milan Vandenberghe aus Belgien, sowie eine Romina Ponte aus Italien saßen mit mir an einem Tisch. Hattie auch. Ich soll euch beide herzlich von ihr grüßen. Patricia, kennst du diese Personen?“ Patricia schüttelte den Kopf. „Komisch. Jene Personen wussten sehr genau über dich Bescheid. Ich sprach am Anfang kaum über deine Schulen, trotzdem scheint jeder deinen Name zu kennen. Ich sprach später konkret deine Schule in Kampang Rou, Khsaetr und Chong Kal an. Die Personen waren bestens im Bild. Da du diese Personen nicht kennst, frage ich mich, woher sie so gut informiert waren und sind.“ „Vermutlich von Hattie oder Laureen. Ich weiß es nicht.“ Levi nickte „Ist auch egal. Jedenfalls stellte ich ihnen unsere Ideen und Gedanken für eine neue Bildungsreform vor. Es war unglaublich, wie positiv sie dem zustimmten. Am Donnerstag wurden konkrete Punkte seitens der UNICEF durch die Leiterin in Kambodscha, Frau Laureen Thompson, angesprochen und ausführlich dargestellt. Hannes und Patricia werden diese Projekte bestens bekannt sein. Am Nachmittag wurde die Agenda für die Finanzierung von einem Herrn Anthony Robinson vorgestellt. Die UN würde 32 Millionen US-Dollar dafür ausgeben. Es folgte eine Diskussion von Vertreter der ASEAN Staaten und der UN, woher dieses Geld kommen sollte.“ Hannes nickte „Kommt mir irgendwie bekannt vor. 32 Millionen US-Dollar! Der UNTAC Einsatz ist auf 500 Millionen US-Dollar geplant. So viel zum Thema Bildung.“ Und zu Patricia sagte er „So viel zu meinem Jobangebot bei der UN.“
Levi sprach weiter „Nach dieser schier endlosen Debatte wurden die bis jetzt umgesetzten Bildungs-Projekte angesprochen und dargestellt. Ich bekam Redezeit und habe die Bildungsreform von Patricia und mir vorgestellt. Auch habe ich die neuen Schulprojekte mit dem Anbau von Gemüse, eure Idee mit den kleinen Tafeln für die ärmeren Provinzen den Delegierten vorgestellt. Ein Stab von UNTAC aus Belgier, Italiener, Deutsche und Norweger begrüßten jeden meiner Punkte und stimmte auch sofort dafür. Am Abend war ich mit den Belgier Alice Pierand, Juliette Ulens, Vince Kesteloot und Hugo De Jonghe essen gewesen. Auch sie kannten die Schulen von Patricia in den Provinzen Prey Veng und Oddar Meanchey. Patricia, diese Leute sehen dich als Koryphäe für die Bildung in Kambodscha. Sie alle sind nicht für UNICEF im Einsatz, sondern für UNTAC.“
Franziska‘ s Augen strahlen und sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange.
„Am Freitagmorgen hatte ich Gespräche mit einer Delegation aus Italien, welche für UNTAC in der Provinz Takeo im Einsatz sind. Auch sie waren für unsere Ideen sehr offen, gleiches vom dem Kontingent aus Belgien in den Provinzen Banteay und Battambang. Thailand in der Provinz Meancheay. Und andere Staaten, die in den Provinzen Mondulkiri, Kampong Speu, Sihanoukville und Siem Reap im Einsatz sind. Am Freitag hatte die Interimsverwaltung für Kambodscha unserer Bildungsreform Einstimmig zugestimmt! Zu den abstimmenden Staaten gehörten unter anderem: Pakistan, Polen, Senegal, Thailand, Tunesien und Uruguay. Patricia, ist dir bewusst, wie viele Menschen hinter dir stehen? An den beiden Abende und am Freitagmorgen lud ich die Delegierten nach Kampang Rou ein. Sie sollen und können gerne sehen, was wir leisten.“ Hannes nickte Maona zu „Was ich dir vorhin gesagt habe.“
Patricia saßen für den Augenblick regungslos am Tisch. Diese Nachricht von Levi musste erst mal sacken. Franziska drückte schon eine Weile ihre Tochter fest an sich und streichel ihr über den Kopf und Rücken.
„Natürlich fragten die Delegierten nach dir. Ich sagte, dass du zur Zeit in Thailand seist, weil deine Eltern auf Urlaub hier seien. Im Oktober sind die nächsten Debatten geplant und ich sagte, dass du dann dabei sein wirst.“ „Danke Levi, wir kamen am Freitagnachmittag erst in Kampang Rou an. Da scheinen die Gespräche mit Jean-Luc Dehaene in Paris doch etwas gebracht zu haben. Belgien war im Juni schon sehr gut über meine Arbeit informiert.“ Levi nickte ihr zu „Mit Belgien hast du definitiv einen starken Verbündeten an deiner Seite. Mit Italien, Deutschland und Norwegen auch.“ Patricia schüttelte den Kopf „Levi, du auch. Wir sind Freunde und Kollegen. Du und ihr“ dabei sah Patricia ihre Kolleginnen an „steht für die neue Bildungsreform genau so wie ich.“

Nach dem vorzüglichen Abendessen wurde es im „Sach ang phoumi yeung“ entspannter und jeder kam mit jedem ins Gespräch. Selbst die sonst sehr zurückhaltende Annabell sprach mit Adelina und Leatitia.
Hannes spielte mit Claude Billard. Auch Asger und Cees machten mehrere Spiele. Patricia spielte zusammen mit Leatitia gegen ihre Mutter und Clodette.
Man trank Bier, Cola, Cola-Whisky oder Cocktails. Bei den Spielen kamen immer mal wieder Gespräch über das Agrarkollektiv, das Trockenfeld Projekt oder sonstige politische Themen.
Selbst Maona spielte Billard. Sie stellte sich auf ihre linke Seite einen Stuhl, um sich mit ihrem Oberschenkel darauf zu stürzen, so konnte sie sogar Billard spielen. Hannes sah, dass Rithisak eine Kamera in der Hand hatte. Sehr gut, dachte er. Sehr gut. Und lächelte Rithisak an. Asger und Cees waren so galant, und rückten den Stuhl von Maona mal etwas weiter nach links, rechts oder auf die andere Seite vom Billardtisch.

Annabell stand mit ihrem Freund am Geländer der Terrasse und schauten auf den Toni Waikou See. Hannes hatte 3 Bierflaschen dabei und wollte an diesem Abend auch mal mit ihnen reden.
„Na ihr? Welchen Eindruck habt ihr nach der ersten Wochen von Südostasien?“ „Es ist alles anders, als das was ich kenne. Ich habe mit meinen Eltern nur Urlaub in Europa gemacht. Mal in England und Irland, dann man in Deutschland oder Italien. Was ihr uns in Thailand gezeigt habe, war schon beeindruckend. Kambodscha ist eine völlig andere Welt – aber auch aufregend. Heute waren wir mit Patricia an der Grenze zu Vietnam auf einem Straßenmarkt.“ „Ich weiß. Und eine Bootstour hattet ihr auch gemacht. Wir wollen schon schauen, dass es euch nicht langweilig wird. Wir haben keinen Urlaub.“ Annabell schüttelte den Kopf „Maurice und mir ist durchaus bewusst, dass ihr arbeiten müsst. Auch dies finde ich interessant. Ich hatte gestern in der Schule von Patricia geweint. Hannes, ich konnte mir niemals vorstellen, dass sich Kinder so auf die Schule und vor allem auf ihre Lehrerin freuen. Ich würde sehr gerne einen Tag mit Patricia an ihrer Schule erleben. Auch würde ich mal deine Arbeit sehen wollen.“ Maurice nickte seiner Freundin zu „Ich auch. Ich kenne all dies nur durch Erzählungen von Papa oder auch von dir. Ich würde sehr gerne dein Projekt sehen. Was du uns in Frankreich erzählst hattest, fand ich mega.“ Hannes lächelte beide an „Dankeschön. Euer Wunsch zu erfüllen, ist das wohl kleinste Problem.“ „Hannes?“ Dabei sah Annabell ihn fragend an „Darf ich dir mal eine Frage stellen?“ „Natürlich.“ „Die Frau mit dem einen Bein, ist sie Politikerin? Ich sah heute Plakate von ihr.“ „Ja. Das ist Maona Sokthat. Sie wird die neue Gouverneurin für diese Provinz – was ich und viele andere hoffen. In 3 Wochen wird hier in der Provinz der Gouverneur – oder zum ersten Mal in der Geschichte, eine Gouverneurin gewählt. Die ältere Frau, die bei Franziska sitzt ist die Frau von dem Major in dieser Provinz. Ich gründete für Samnang vor gar nicht all zu langer Zeit eine Partei. Der Major hätte mich gerne in der Politik gesehen. Ich bleibe lieber mit ihm im Hintergrund. Seine politischen Züge in dieser Provinz könnte ihn in Lebensgefahr bringen, wenn es der noch amtierende Gouverneur oder seine korrupten Helfershelfer erfahren. Meine Freundschaft zum Major ist auch für mich eine Gratwanderung. Daher bleiben wir beide im Hintergrund und setzen unsere Schachfiguren ein. Ja, Annabell, wir haben unser Schachspiel aufgebaut und die Uhr tickt. Der Gouverneur von dieser Provinz hat seine Geschütze gegen mich aufgefahren. Und ich habe meine Figuren aufgestellt. Maona ist in diesem Spiel mein König und Samnang der Turm. Sie werden Gouverneur Suoth Schachmatt setzen – was ich hoffe. Major Bourey Duong ist der große Unbekannte in diesem Spiel. South weiß dies nicht und so bin ich seine Zielscheibe. Meine Lebensversicherung ist der Rückhalt vom Militär. Auch wenn wir heute in diesem Restaurant eine geschlossen Gesellschaft sind, werden wir beobachtet – zu unserem Schutz.“ „Wahnsinn! Ich kann dies nicht glauben. Es wird geredet, gelacht und gespielt. Was ist daran zu schützen?“ „Hmmm. In diesem Gebäude sind die führenden Köpfe dieser Provinz und für die Zukunft Kambodschas. Patricia und Levi sind für die Bildungsreform in diesem Land. Genau so wie ihre Kolleginnen. Du hast vor dem Essen gehört was Levi gesagt hat. Maona und Samnang sind eine neue und starke Opposition gegen die Politik und Korruption von Phirun Suoth. Meine Mitarbeiter und ich stehen für einen Aufbau in diesem Land. Yupa, Rithisak, Sylvie und Claude stehen für Veränderungen in diesem Land.. Besser und einfacher kann man uns alle nicht auf dem Silbertablett präsentieren.“ Annabell sah Hannes geschockt an „Und du sagst, du verlegst Wasserrohre.“ „Dies mache ich ja auch und trotzdem wird diese Arbeit nicht gerne gesehen. Die Korruption ist in ihrer Macht und Gier gefährlich.“
Hannes erzählte Annabell und Maurice die komplizierten Zusammenhänge zwischen Korruption, Politik und humanitäre Hilfe.

„Chef! Was ist? Komm, wir spielen noch eine Runde Billard“ rief Asger durch das Halbe Restaurant. „Ihr habt es gehört. Ich weder gebraucht. Und macht euch bitte keine Sorgen. Alles ist gut.“

Hannes ging von der Terrasse ins Restaurant und suchte sich einen optimalen Queue aus und ging an den mittleren Tisch zu Asger.
„Asger, bei deiner Körpergröße musst du aber eineinhalb Meter vom Tisch zurück gehen. Du kommt ja von der Kopfseite vom Tisch an die Taschen auf der gegenüber liegenden Seite, ohne den Queue zu benutzen.“ Alle die um den Tisch oder in der Nähe waren lachten bei den Worten von Hannes. „Cees hatte sich auch nicht beschwert.“ „Der Käseroller kann ja auch kein Billard spielen.“ Cees gab Hannes einen Klaps gegen den Hinterkopf.
Soknea brachte ein typisches asiatisches Holzstäbchen, welches man zum essen benutzt. „Hier, für die Chancengleichheit.“ Yupa kam sofort mit einem zweiten Stäbchen und gab es Hannes „Nun zeigt mal was ihr könnt.“ Das Gelächter war groß und alle riefen: hopp, hopp, hopp.

Asger machte den Anstoß. Der Anstoß der weißen Kugel auf die 15 Objektkugeln war doch etwas dürftig. Die Kugel machte ein leichtes klock. Sonst nichts. „Bravo. Asger, wie soll ich nun mit dem Stäbchen da ran kommen?“ „Wer hat sich über die Körpergröße beschwert? Dann sieh mal zu.“
Cees und Rithisak hoben Hannes in die horizontale und alle Freunde brüllten vor lachen. Mit einem beherzten Stoß mit seinem Stäbchen kullerten ein paar Kugeln immerhin mehrere Zentimeter auseinander. „Super, Chef. Und nun?“ Asger sah zu Cees und Rithisak und alle brüllten vor lachen. Es dauerte sehr lange, bis einer der beiden eine Kugel in einer Tasche hatte. Alle Freunde hatten Tränen in den Augen bei diesem Spiel. Cees und Rithisak hoben bei jedem Stoß von Hannes ihn in die horizontale – selbst wenn die Anstoßkugel an der Bande lag. Hannes hatte endlich die 4 in der linken Tasche eingelocht und Asger meinte, dass Hannes somit das Spiel gewonnen hätte und er nun etwas zu trinken bräuchte.
„Lokalrunde für alle!“ Rief der über 2 Meter große Seebär.

Sonntag, 1. August

Das Display im Wecker zeigte 8:07 und der Kopf von Hannes drehte sich immer noch. Patricia lag nicht im Bett und er hörte sie auch nicht im Bad. Der Anschiss von ihr würde er wohl noch bekommen.
Hannes ging leicht torkelnd ins Bad und brauchte erst mal Wasser. Duschen war eine gute Idee und langsam hörte auch der Kopf auf sich zu drehen.

Im Speisesaal waren zu seinem Erstaunen nur Patricia mit ihrer Familie und Sylvie. „Na, ist Monsieur wieder unter den lebenden?“ Kam es sehr bissig und gereizt von Patricia. Franziska grinste und sagte zu ihrer Tochter „Jetzt lass doch gut sein.“ „Danke Franziska, du verstehst mich. Aspirin hast du nicht zufällig dabei?“ Die Frage nach dem Verbleib von Claude und seinen Kollegen ersparte sich Hannes.

Aneang, eine der Köchinnen vom Hotel, kam an den Tisch und fragte Hannes, was er frühstücken möchte. Hannes wollte seinen geliebten Reisbrei, Spiegeleier mit Toast und Kaffee.
„Was hat Monsieur heute geplant? Oder musst du im Bett bleiben?“ „Meine Güte! Ich habe halt mal etwas getrunken und für dich ist dies der Weltuntergang. Ich werde heute mit Sangkhum spazieren gehen und mir Gedanken machen.“ Patricia legte ihren Kopf zu Seite „Gedanken?“ Hannes nahm tief Luft und musste sich zurück halten „Ja, Gedanken. Gedanken über einen Standort für das Agrarkollektiv, Gedanken über Staudämme, Bodenklassen, Motorräder, Pickup’s, Transport für den Mähdrescher von Sihanoukville nach Svay Rieng und wie ich mein Trockenfeld Projekt auch realisieren kann, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Aber sehr gerne kann sich auch Frau Lefèvre darüber ihren sehr klugen Kopf zerbrechen.“
Jeder am Tisch merkte, dass Hannes sauer war – auch Patricia. Sylvie sagte sofort, dass er die Bodenklassen nicht so überbewertet solle, denn vorher sei ja schließlich auch Getreide auf dem Boden gewachsen. „Hannes, wir ziehen dein Projekt durch. Was bis jetzt schon erreicht wurde, ist eine ganze Menge. Wir haben auf vier Felder bereits Papaya Samen eingesät. Das die Stauden nicht morgen aus dem Boden sprießen, sollte dir bewusst sein.“ Hannes sah wortlos zu Sylvie. „Dein Blick sagt mir, wann man die Papaya ernten kann. Auch auf die Gefahr hin, dass du einen Kollaps bekommst, musst zu zwischen 10 und 14 Monate rechnen, bis die Stauden ausgewachsen sind. Dann braucht es nochmals 5 Monate, bis man die Früchte ernten kann. Es – geht – nicht – schneller!“ Vorrangig ist der Anbau von Gemüse. Da habe ich dir gesagt, dass wir Pak Choi Kohl, Luffa und Goabohnen anpflanzen – was wir auch schon getan haben. Ich weiß, dass du am liebsten nächste Woche ernten möchtest. Ist nur blöd, dass die Saat noch auf einem Schiff ist.“ Hannes schloss seine Augen und nickte Sylvie zu. Sie hatte mit allem recht. Er wollte mal wieder zu viel und dies am besten gleich.
„Chérie, du hast Levi gestern Abend gehört. Wenn die Ernährungskunde in anderen Schulen aufgenommen wird, haben wir hunderte weitere Felder für den Gemüseanbau. Ich weder mich für dieses Schulfach stark machen. Ich rufe Hattie an, dass sie mit den anderen Mitarbeitern von UNICEF sich diese Projekte ansehen und genau so auch umsetzen sollen.“ Patricia streichelte ihm den Arm „Es tut mir leid, dass ich vorhin so grantig zu dir war. Ich vergesse zu oft, welche Probleme du mit all der Arbeit hast.“

Besuch bei Ahtchu in Sama

Um kurz nach 10 Uhr fuhren Patricia und Hannes mit ihren Autos nach Kampang Rou. Da bei ODHI am Sonntag nicht gearbeitet wurde, hatte er Zeit sich um Sangkhum zu kümmern. Patricia fuhr bei Clodette vorbei und nahm sie mit nach Kampang Rou. Sie wollte auch mit Sraleanh spazieren gehen.
Hannes war mit Claude bereits am Stall und entfernten den Mist vom den Rinder. „Wenn ich alles bis jetzt gedacht habe, aber das ich mal Mist schaufeln würde, kam mir nie in den Sinn.“ Hannes lachte „Mir auch nicht.“ „Weißt du, dieser Stall sieht besser aus als viele Häuser die ich hier in dem Ort gesehen habe.“ Hannes nickte Claude zu und erzählte ihm, wie es im Januar 1990 in dem Ort aussah. Mittlerweile waren weit über die Hälfte der Hütten in einem recht vernünftig Zustand.

Die kleine Gruppe kaufte bei Kannitha noch Obst und Trinkwasser für den Spaziergang. Kannitha gab ihnen mehrere ihrer Flechtkörbe mit. So konnte man das Gewicht von dem Wasser, Papaya, Bananen und Mangos aufteilen. Patricia erzählte ihrer Mutter, Bruder, Annabell und Claude wie es zu diesen Flechtkörbe kam und bis wohin diese mittlerweile verkauft wurden.
„Asger scheint ein guter Mensch zu sein“ sagte Annabell. Patricia und Hannes nickten gleichzeitig. „Asger hat auch seine Macken und wir – vor allem ich, hatten vor Jahren keinen guten Start. Dies ist nun schon alles so lange her und auch vergessen. Asger war aber auch damals für uns beide der Halt, den wir junge Vögel brauchten. Er hatte von seinem Geld vieles für die Schule von Patricia gekauft und alle meine Ideen angepackt.“
Hannes erzählte ihnen den Lebenslauf von Asger.
„Er war Seemann?“ Fragte Annabell sehr erstaunt. „Jep. Kaum zu glauben. Ist aber so. Frag mal Sylvie wie es war, als wir mit Eimer das erste Feld mit Gerste eingesät hatten.“
Nach dem Sylvie den anderen diese Aktion sehr bildlich und lustig erzählt hatte, erzählte Hannes noch den Lebenslauf von Cees de Groot.
Maurice nickte nach dem Hannes dies erzählt hatte „Ich habe gestern Abend gesehen, dass er sehr lustig ist.“ „Ja. Der Käseroller hat mich auch schon so einige schlaflose Nächte gekostet. Er ist ein unglaublich guter Handwerker und hat geologisch einiges drauf. Daher ist er auch hier im Team. Cees leitet ein Bauprojekt 500 Kilometer westlich von hier. Ich zeige euch später sein Wasserrad. Das zweite, welches er und Luan gebaut haben, steht an der Schule in Khsaetr. Da kommen wir heute nicht hin, weil ich mit euch nach Sama gehen möchte.“

Auf dem Weg nach Sama gingen nach einiger Zeit Patricia und ihr Bruder etwas hinter der Gruppe und Hannes, wie auch Franziska, sahen, dass beide offensichtlich ernste Gespräche führten.
Ein paar Motorräder und Pickup’s kamen ihnen entgegen oder fuhren an der kleinen Gruppe vorbei. Jeder winkte ihnen zu oder grüßen laut. „Was bedeutet: Borsa mneak?“ Fragte Annabell. „Borsa mneak del mean ko, heißt: der Mann mit der Kuh. Unter diesem Namen bin ich hier in der Region bekannt.“ „Oh! Ich dachte dies heißt: Guten Tag – oder so etwas.“ Hannes grinste Annabell an und schüttelte den Kopf.

„Leute, wir gehen in dem nächsten Ort eine Frau besuchen, der durch eine Mine beide Beine abgerissen wurden. Wenn ihr nicht mit wollte, kann ich dies verstehen“ dabei sah Hannes zu Annabell. „Ist schon in Ordnung.“
Hannes erzählte den anderen wie er im März 1990 Ahtchu getroffen hatte und gab Sangkhum einen Kuss. „Gell, meine Maus, du hast Ahtchu das Leben gerettet“ und gab ihr nochmals einen Kuss. Franziska streichelte Sangkhum „Gutes Mädchen.“

In Sama war es das gleiche Bild wie in Kampang Rou. Die Leute, die an ihren Hütten saßen grüßen die Europäer freundlich oder riefen sie zu sich. Hannes musste immer wieder sagen oder rufen, dass sie Obst und Wasser dabei hatten.

Hannes sah Ahtchu vor ihrer Hütte im Schatten in einem Rollstuhl sitzen. Sie hatte mehrere farbige Stoffballen neben sich auf der Holzbank liegen.
„Suostei tae anak sokh sabbay te, Ahtchu?“ Sagte Hannes und verbeugte sich nach asiatischer Art vor ihr. „Guten Tag Borsa mneak del mean ko, danke, mir geht es gut. Es ist schön, dich wieder zu sehen.“ Hannes verbeugte sich nochmals vor ihr. „Setzt euch doch bitte.“ Ahtchu rief ihre Tochter, dass sie bitte noch die Stühle aus dem Haus bringen sollte. Da Ahtchu nicht über so viele Stühle verfügt – was eigentlich kaum jemand in der armen Region von Kambodscha hat, ging Hannes an zwei andere Hütten und brachte noch 4 Plastikstühle. Pheary kam ihm entgegen gelaufen und trug 2 Stühle. Sie war mittlerweile 13 Jahre und ein recht hübsches Mädchen. An der Hütte verteilten sie die Stühle, so hatten alle 8 Personen Platz, um im Schatten zu sitzen.

Pheary begrüßte Clodette und Patricia. Patricia drücke Pheary an sich. „Thngai la cheatisrleanh robsakhnhom – guten Tag mein Schatz“ sagte Patricia. „Das Mädchen ist bei mir in der Schule‘ sagte Patricia zu den anderen.
„Borsa mneak del mean ko, ich möchte mich für alles bedanken, was du und deine Kollegen für mich getan habt. Das Leben ist um vieles leichter geworden.“ „Ahtchu, dies haben wir alle sehr gerne gemacht. Dürfte ich dein Haus mal sehen?“ Pheary sprang sofort auf und bat Hannes in die Hütte. Diese Hütte hat nicht mehr mit dem Bild zu vergleichen, welches er vor 3 Jahren sah. Das Bett von Ahtchu war gute 50 Zentimeter vom Boden erhöht. So konnte sie besser vom Rollstuhl ins Bett oder auch umgekehrt.
Draußen hörte er, wie Ahtchu mit Patricia sprach und was Asger, Cees und Hannes für sie getan hatten. Clodette übersetzt dies ins französische. Dies war Hannes nicht recht gewesen. Nun wussten sie es eben.
Die typische Hocktoulette gab es in der Hütte auch nicht mehr. Es war eine vernünftige Toilette, wie man diese aus Deutschland kennt. Auch gab es an der Toilette und Dusche verchromte Stangen – wobei Dusche eher ein gemauertes Rechteck mit Fliesen war. In diesem Becken stand das Wasser, welches man sich mit einer Schüssel über den Körper schüttete.
Das bisschen an Möbel in der Hütte war Behindertengerecht gebaut oder stand etwas erhöht. Respekt an Cees und Asger dachte er bei sich und lächelte, als er Pheary ansah.

Als Hannes aus der Hütte kam, hatten Sangkhum und Sraleanh je einen Seidenschal in blau, rot, blau mit weißen Bummeln um den Hals. „Wow! Sangkhum und Sraleanh sehen ja richtig chic aus.“ „Ja. Finde ich auch. Ich schenke euch die Schals.“ Sofort schüttelten Clodette und Hannes die Köpfe. „Ahtchu, die ist sehr lieb gemeint, aber ich werde dir Geld dafür geben“ sagte Clodette. Ahtchu wollte anfangen zu protestieren, da legte Patricia bereits 25.000 Riel auf die Bank. Clodette tat es ihr sofort gleich „Und nun keine Diskussion über das Geld.“
25.000 Riel waren ungefähr 10 Mark. Von diesem Geld konnte Ahtchu und Pheary locker 2 Wochen leben. Ahtchu sah hilfesuchend zu Hannes. „Ahtchu, es ist in Ordnung. Nimm dieses Geld. Ihr braucht es mehr als wir.“ Ahtchu faltete ihre Hände und bedanke sich bei allen.
Da sie bei Kannitha mehr als genügend Obst gekauft hatten, ließ Patricia noch einen Korb bei ihnen, als sie sich von Ahtchu und Pheary verabschiedeten.
„Ich bin so stolz auf meine Kinder“ sagte Franziska als sie aufbrachen und umarmte Patricia und Hannes.

Auf dem „Europa Platz“ zeigte Hannes ihnen das Wasserrad von Cees und Luan und sagte ihnen auch, bis wohin das Wasserrad jenes Wasser in den Leitungen pumpte. Claude sah ihn mit großen Augen an. „Ja, Claude, so ist es. Die Leute in Sama beziehen ihr Wasser von diesem Wasserrad. Kommt, wir kaufen noch etwas bei Kannitha und setzen uns an einer der Hütten in den Schatten. Wollte ihr Schokolade, Chips oder Obst haben?“ Claude, Annabell und Maurice sahen fragend zu Hannes. „Dann kommt mal mit in den Laden von Kannitha und sucht euch etwas aus.“

„Wow!“ Kam es unisono von Annabell und Claude, als sie in dem kleinen Laden von Kannitha standen. „Die Ladeneinrichtung haben meine Jungs gebaut. Das Haus ihr Freund. Er ist zur Zeit in Oddar Meanchey, fast 600 Kilometer entfernt, und baut für Patricia eine weitere Schule. Die Schule in Chong Kal wurde im Frühjahr dieses Jahres fertig. Dhani hatte früher in der Schweiz eine Baufirma. Durch die Insolvenz von einer großen Baufirma, hatte er alles verloren und war Obdachlos. Ich traf in zufällig in Dietikon. Nun ist er hier und leitet mehrere Hochbau Projekte für mich und ODHI. Für Patricia’s Schule wurde auch er vom Französischen Präsidenten ausgezeichnet. Kannitha fragte mich 1990, als der „Europa Platz“ entstand, ob sie ein kleines Geschäft eröffnen dürfte. Patricia kaufte ihr täglich Obst und Gemüse in Svay Rieng. So musste Kannitha nicht erst nach Svay Rieng fahren. Nun hat Kannitha mit Dhani das schönste Haus in Kampang Rou und in der Gegend sowieso. Wenn ihr in den Ortschaften durch die Straßen geht, seht ihr die Häuser oder Hütten der Mitarbeitern von ODHI. Sie alle bekommen ein sehr gutes Gehalt und so hat sich die Infrastruktur in den umliegenden Ortschaften verändert. All dies ist humanitäre Hilfe. Annabell, Maurice, was ich euch gestern Abend über die Sicherheit gesagt habe, trifft hier auf dem Land nicht zu! Alle Menschen sehen und profitieren von der Veränderung. Ihr habe es beim Spaziergang erlebt, wie die Menschen und grüßen oder einladen.“

Die Geburtshelfer

Mit Pepsi, Eiskaffe und Krabbenchips lagen sie am „Europa Platz“ auf dem Boden der Holzhütten. Patricia erzählte ihrer Familie von den Anfängen in Kampang Rou und woher der „Europa Platz“ seinen Namen hat. Annabell, Maurice und Claude hörten ihr aufmerksam und gebannt zu
Hannes hatte seine Augen geschlossen und dachte an die wahrlich turbulente Zeit. Sylvie grinste hin und wieder, denn sie kannte vieles schon von Patricia oder Hannes. Sylvie lag in der Holzhütte, wo Clodette, Hannes und Franziska auf Strohmatten lagen. Sylvie setzte sich wie von einer Tarantel gestochen auf und schlug Hannes gegen den Oberarm „Hast du dies eben auch gehört?“ Hannes nickte „Ja, eine Kuh hat gemuht.“ Sylvie schüttelte den Kopf „Nein! Sie hat geschrien.“ Hannes setzte sich auf und lauschte. Er hörte nichts. „Jetzt. Hörst du?“ Frage Sylvie nach einiger Zeit und sah ihn an. „Ja. Komm, wir gehen schauen was los ist.“ Im nächste Moment war es kein muhen mehr, sondern ein brüllen. Sylvie rannte zum Ausgang vom „Europa Platz“, um an die Weide zu kommen. Hannes rannte ihr hinterher. Als er bei Kannitha um die Ecke lief, sah er, dass die anderen ihnen folgten. An der Kreuzung zur Weide hatte Hannes Sylvie eingeholt und beide rannten die 200 Meter die Piste hoch zur Weide. Eine Kuh schrie fürchterlich und Hannes dachte an einen Unfall.

Er riss das Gatter zur Weide auf und sah oberhalb vom Stall an dem zweiten Baum eine Kuh stehen, die fürchterliche Schmerzen haben musste.
„Die Kuh hält ihren Schwanz waagrecht, Hannes, sie kalbt. Dies ist ein sicheres Zeichen für den Beginn der Geburt. Irgendetwas stimmt nicht, sonst würde die Kuh nicht so schreien.“
Sylvie lief auf die Kuh zu und wenige Meter vor der Kuh ging sie langsam und redete ruhig. Sie gab mit ihrer rechten Hand Zeichen, dass Hannes sich ruhig bewegen sollte. „Schnelle Bewegungen sind in dieser Phase Stress für die Kühe. Geh langsam und rede ruhig mit ihr. Hannes sagte der Kuh auf khmer, dass alles gut sei, sie ruhig bleiben sollte und sie Hilfe bekommen würde. „Stell dich vor sie. Sie kennt dich. Sie soll dich sehen. Rede weiter.“ Hannes tat was Sylvie ihm auftrug.
Sylvie ging langsam um die Kuh herum. Sie streichelte die Kuh und fühlte mit ihren Händen an ihrem Bauch „Hannes, das Kalb liegt falsch im Mutterbauch.“ „Was?!“

Mittlerweile waren die anderen auch auf der Weide und Sylvie sagte auch ihnen, dass sie sich langsam bewegen sollten, oder auf Abstand bleiben.
„Bei einer Geburt ist die Stellung der Wirbelsäule bei der Mutter ein guter Bezugspunkt. Eine obere Stellung bedeutet, dass der Rücken des Kalbes zum Rücken der Mutter liegt. Hier sehe ich dies nicht. Dieses Kalb liegt mit den Beinen nach oben. Hannes, dass Kalb kann so nicht geboren werden. Wir müssen das Kalb drehen.“ „Was immer du sagst.“
Sylvie schaute sich die Scheide, den Rücken und Bauch der Mutterkuh an „Verdammt. Dies wird heikel. Wir brauchen Wasser – lauwarm am besten. Tücher und Seile.“ „Im Stall sind Eimer, für das Futter. Seile habe ich keine.“ „Okay. Bringt die Eimer aus dem Stall – schnell. Patricia, ich brauche Tücher, Seile, Margarine oder irgendetwas was ich als Gleitmittel benutzen kann. Seife reichte auch und davon mehr als eine.“ Patricia nickte und rannte zu Kannitha.

Claude und Maurice brachten die 4 Eimer, die im Stall an einer Wand hingen. „Sind das alle?“ Hannes nickte. „Wir brauchen mehr. Die Kuh sollte Fressen und Wasser bekommen. Hannes, wie lange waren wir spazieren gewesen?“ „Keine Ahnung. Wir sind hier gegen 11 Uhr weg. Nun haben wir nach 16 Uhr.“ „Okay. Dann muss der Geburtsvorgang in der Zeit begonnen haben, wo wir weg waren. Mir ist vorhin nicht aufgefallen, dass die Kuh kurz vorm kalben steht.“ Clodette sagte, dass sie wüsste, dass dies eine Mutterkuh sei, aber mehr auch nicht. „Weißt du wie alt die Kuh ist?“ „Nein. Leider nicht.“
Patricia kam mit dem Motorroller von Kannitha auf die Weide gefahren. Sie hatte bis auf Seile alles dabei, was Sylvie sagte.
„Danke, Tricia. Bringt das Wasser. Ich muss die Scheide eincremen.“

Hannes sprach ein Stoßgebet gen Himmel. Zum Glück hatte er vor Jahren die Furche mit den Wasserbremsen gebaut, so hatten Claude und Maurice kurze Wege. Das Wasser aus der Quelle war frisch – und eben auch kühl. Woher sollten sie nun lauwarmes Wasser bekommen?

Mittlerweile kamen einige Bewohner aus Kampang Rou auf die Weide und wollten schauen, was los war. Hannes schickte sie weg, denn zu viel Leute wäre Stress und Aufregung für die Kuh. Er sah Sophearith, der Besitzer der Herde. „Sophearith, wie alt ist die Kuh?“ Fragte Hannes. „Äh, ich schätze 1 Jahr.“ Hannes sagte Sylvie diese Zahl. „Was?! Du liebe Güte! Das ist viel zu früh! Nun siehst du, welche Probleme die Kuh hat“ brüllte Sylvie. Hannes übersetzte ihre Worte und Sophearith stand bewegungslos neben der Kuh und wusste nicht, was er tun sollte.
Die Kuh schrie vor Schmerzen und Hannes streichelte sie sofort und sprach mit ihr.
„Sylvie, ich fahre einen Gaskocher und Topf besorgen, damit wir das Wasser warm bekommen“ sagte Patricia und lief zum Motorroller.
Sylvie sah Sophearith an und erklärte ihm „Wenn Jungrinder zu früh gedeckten werden, hat man sehr oft das Problem, dass das Kalb nicht durch das Becken der Mutter passt. Hörst du nicht, wie deine Kuh schreit? Das Tier hat unglaubliche Schmerzen! Was ich sehe ist schon schlimm genug. Kannst du das Kalb aus dem Geburtskanal hohlen?“ „Nein, ich habe so etwas noch nie gemacht.“ „Na bravo! Nun liegt das Kalb noch falsch im Mutterbauch. Die Beine von dem Kalb müssen unten sein und der Kopf muss in Richtung dem Geburtskanal liegen. Ich hoffe, dass dies zumindest so ist. Hannes, ich muss einen Kontrollgriff in den Geburtskanal vornehmen. Dazu bräuchte ich lauwarmes Wasser. Ich muss mit meinem Hand oder den Finger zwischen den Kopf und Kreuzdarmbein und zwischen Ellenbogen und Schambein des Beckens kommen. Falls nicht, haben wir ein Problem. Ich kann hier keinen Kaiserschnitt machen.“ „Sylvie, was immer du sagst. Ich tue was ich kann“ sagte Hannes und übersetzte die Worte von Sylvie. Sophearith zog die Schultern hoch. Sylvie nickte und was sie sagte war nicht gerade freundlich „Für Kühe zu halten, braucht es etwas mehr als nur eine Weide und Futter zu geben. Man! Wenn man keine Ahnung hat, sollte man sich keine Tiere anschaffen! Nun muss ich schauen, wie ich beide Tiere retten kann.“ Hannes übersetzte nur einen Teil von Sylvie’s Worte. Sophearith hatte schon genügend Prügel bekommen.
Annabell heulte und alle anderen standen da und wussten nicht, was sie helfen konnten.
„Lasst Sangkhum, Sraleanh oder welche Kühe und Kälber auch immer zu der Kuh, sie soll sehen, dass sie nicht alleine ist.“
Clodette hatte Tränen in den Augen und führte Sraleanh nah an die Kuh heran.

Patricia kam mit einem Gaskocher zwischen ihren Beinen und einem Topf in ihrer linken Hand auf die Weide gefahren. Claude lief sofort zu ihr und schleppte den Gaskocher. „Sylvie, wohin mit dem Ding?“ „10 Meter hinter die Kuh. Wir brauchen Platz.“
Patricia stelle den Topf auf den Gaskocher und Maurice schüttete sofort den Eimer Wasser in den Topf. „Reicht ein Gaskocher?“ Fragte Patricia. „Noch einen wäre super. Das Wasser braucht ewig, bis es warm ist.“ „Sophearith, hast du einen Gaskocher und Topf zu Hause?“ Sophearith nickte Patricia zu. „Los! Beeil dich!“

Jeder auf der Weide schaute auf den Topf und hoffte, dass das Wasser endlich warm werden würde. Sylvie griff immer wieder mit der Hand in den Topf „Wir bräuchten noch Eimer.“ Patricia nickte ihr zu und rannte wieder zum Motorroller.
Sylvie fühlte immer wieder den Bauch der Kuh ab. Sie schaute auf die Scharm von der Kuh und biss sich auf die Lippen.
„Sylvie, was ist los?“ „Hannes, es wird echt knifflig und kompliziert. Traust du dir zu mir zu helfen? Sei ehrlich.“ „Ja. Ich bin da und werde das tun, was du von mir verlangst.“ „Okay. So wie es aussieht, ist das Kalb verkehrt im Mutterbauch. Die Kuh ist zu jung für die Geburt. Wir müssen ihr Becken weiten. Dafür brauche ich dich. Hast du dies verstanden?“ „Ja, ja. Habe ich verstanden und kann mir denken, was ich tun muss.“ „Gut.“
Sylvie fühlte wieder mit ihrer Hand in den Topf „Muss reichen. Schüttet das Wasser in einen Eimer und stellt den nächsten Topf auf.“ Claude schüttete das Wasser in einen Eimer und Sylvie warf ein Stück Seife hinein „Haben wir ein Messer?“ Hannes nickte „Im Stall.“ Und lief sofort das Messer holen.
Mit dem Messer schnitt er kleiner Stücke von der Seife ab und rührte mit seiner Hand das Wasser, bis er merkte, dass sich die Seife auflöste.
Patricia kam mit dem Motorroller und hatte den Gaskocher von Sophearith zwischen ihren Beinen. An ihrem linken Arm hatte sie mehrere Eimer hängen.
Sophearith kam mit seinem Motorrad und hatte den Topf dabei. Maurice füllte sofort den Topf mit Wasser und ging auch gleich nochmal den Eimer füllen. Sylvie tränkte ein Tuch in das Seifenwasser und wisch mit dem Tuch der Kuh an der Scheide vorbei. Dies machte sie mehrmals.
„Sobald das Wasser warm ist, bitte wieder auffüllen. Hannes, ich denke, es könnte reichen. Ich werde jetzt meine Hand in den Geburtskanal stecken und schauen, wie das Kalb liegt. Ich hoffe die Kuh tritt nicht aus. Claude, hilf Hannes die Kuh am Kopf festzuhalten.“

Da Hannes wusste welche Kraft eine Kuh hatte, sagte er Claude, dass er einen festen Stand bräuche. „Okay, fertig?“ Claude und Hannes nickten. Hannes sprach weiter auf die Kuh ein. Die Kuh schrie vor Schmerzen. Sylvie wartete einen Moment „Es können auch ihre Wehen gewesen sein. Okay Jungs, es geht los. Gott im Himmel steh mir bei.“ Was Sylvie in diesem Moment tat war für sie lebensgefährlich. Wenn die Kuh austreten sollte, könnte sie Sylvie töten.
„Ruhig, ruhig, ganz ruhig. Ich schaue nur nach deinem Kind. Ruhig.“

Alle die um die Kuh im sicheren Abstand standen, schauten auf die Kuh. Sylvie’s Sinne waren bis aufs äußere angespannt. „Ich bin im Geburtskanal. Fühle die Füße. Ich kann nicht sagen, ob es sie Vorderfüße oder Hinterfüße sind. Ruhig, ganz ruhig. Ich schaue nach deinem Kind.“ Die Kuh bewegte ihr Hinterteil und Sylvie ging sofort zur Seite. Die Kuh trat nicht aus. „Großer Gott im Himmel, ich brauche noch etwas Zeit.“ Die Kuh schrie erneut. „Ja, es sind deine Wehen. Alles gut. Ruhig, ganz ruhig. Verdammt, ich fühle die Hinterbeine.“

Sylvie zog ihren rechten Arm aus dem Geburtskanal und ging ein paar Schritte von der Kuh weg. „Hast du gut gemacht. Danke, dass du mich nicht getreten hast“ Sylvie streichelte die Kuh und gab ihr einen Kuss. „Hannes, es wird bald dunkel. Ich brauche Licht.“ „Ja, ist gut. Mein Auto hat genügend Licht.“ „Die Geburt kann Stunden dauern.“ „Okay.“ Hannes wählte die Nummer von Asger. „Asger…? Ich brauche dich und Cees in Kampang Rou auf der Weide. Fahrt an den Baucontainer und bringt das Stromaggregat. 200 Meter Kabel, alles an Licht was ihr findet und bringt Seile mit. Auf der Weide ist eine Kuh, die kalbt. Das Kalb liegt verkehrt herum im Mutterbauch. Sylvie tut was sie kann. Beeilt euch.“

Alle saßen in der Nähe der Kuh und hörten Sylvie zu, was sie sagte „Bei einer normalen Geburt kommt das Kalb in der Vorderendlage, also mit den Vorderbeinen zuerst und in gestreckter Haltung zur Welt. Diese Kalb liegt mit den Beinen nach oben und noch gedreht im Mutterbauch. Also wird es mit den Hinterbliebenen zuerst kommen. Da die Mutterkuh das Kalb aber nicht raus pressen kann, weil es dem Kalb dann wahrscheinlich das Genick brechen würde, müssen wir das Kalb raus ziehen. Was ich bis jetzt bei der Mutterkuh von außen gesehen und an ihren Bauch gefühlt habe, ist das Kalb immerhin gestreckt – also muss ich es nur etwas drehen. Es kann auch sein, dass sich während der weiteren Geburt das Kalb dreht und ich müsste es wieder zurück drücken, um es in die richtige Lage zu bringen. Selbst dies ist nicht so einfach, denn ich könnte mit den Klauen von dem Kalb die Gebärmutter verletzen.“

Sylvie stand auf und wischte wieder mit lauwarmen Wasser um die Scheide, Becken und Rücken der Kuh. „Dies mache ich, weil die Scheide und Becken zu eng sind. Kühe sind zwar zwischen 7 und 10 Monaten geschlechtsreif, aber man sollte mindestens eineinhalb Jahre oder gar noch länger warten, bis man eine Kuh decken lässt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Kuh künstlich besamt wurde.“ „Bist du Tierärztin?“ Fragte Annabell. „Nein. Ich bin Agraringenieurin und arbeite für eine Hilfsorganisation in Paris. Ich bin in Kambodscha, weil ich das Dossier von Hannes las und ich ihm bei seinem Trockenfeldanbau Projekt helfen möchte. Darüber schreibe ich auch meine Dissertation.“ „Wow! Und woher weißt du, warum die Kuh diese Probleme hat?“ „Ich bin auf einen Bauernhof aufgewachsen. Meine Brüder führen den Hof weiter. Wir haben über 200 Rinder verschiedener Rassen. Ich war schon als Kind bei Geburten dabei. Als Jugendliche musste ich oder einer meiner Brüder unserem Vater helfen, wenn es Komplikationen bei der Kalbung gab.“ Annabell sah zu der Kuh. Sie wollte etwas sagen, traute sich aber nicht. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Annabell, mach dir keine Sorgen, ich bin da und Hannes wird mir helfen. Wir bekommen dieses kleine Lebewesen gesund und munter auf die Welt.“
Annabell wischte sich erneut die Tränen weg „Darf ich etwas helfen?“ Sylvie nickte „Ja. Darfst du. Wir müssen ständig das Fleisch um ihre Scheide, ihr Becken und Rücken mit warmen Wasser einreiben. Dies merkt die Kuh und es tut ihr gut. Die Kuh wird zum einen ruhiger, weil sie weniger Schmerzen hat und zum andern werden mit dem Wasser die Muskeln und Haut weicher. Wenn wir sie streicheln und mit ihr reden, beruhigt dies auch.

Asger kam mit einem Affentempo an die Weide gefahren. Cees und er kamen sofort auf sie zugelaufen.
„Danke Jungs. Wir brauchen Licht für die Geburt. Lasst das Stromaggregat auf dem Auto stehen. Ich komme später mit deinem Auto nach Svay Rieng. Wir legen nun das Kabel und verteilen das Licht.“
Claude, Maurice, Franziska und Patricia packten mit an. Sie verteilten im Umkreis von 5 Meter die Lampen und Leuchtstoffröhren. Hannes lief auf den „Europa Platz“ sein Auto holen. Zum einen hatte er auch noch genügend Licht vor dem Auto und auf dem Dach. Zum anderen brauchte sie etwas, um die Kuh mit Seilen festzubinden. Es wäre für die weitere Geburt für Sylvie und Hannes lebensgefährlich, wenn sie hinter der Kuh standen und diese austreten würde.

Am Gatter und Stall standen viele Bewohner aus Kampang Rou und schauten die Weide hoch, was dort vor sich ging. Sophearith ging zu den Männern und Frauen und sagte, dass die Europäer ein Kalb retten würden, welches verkehrt herum im Bauch der Kuh liege und er sehr dankbar für deren Hilfe sei. „Immerhin“ sagte Sylvie, als Hannes ihr dies übersetzt hatte.

Mittlerweile war es 18.30 Uhr und auf der Weide schrie immer wieder die Kuh.
Annabell machte ihre Arbeit sehr zaghaft – aber gewissenhaft. Maurice brachte ihr immer wieder neue Eimer mit lauwarmen Wasser.

„Wenn wir später das Kalb herausziehen, wäre eine Kette besser als ein Seil. Auch wenn sich dies nun brutal anhört, aber eine Kette zieht sich nicht zu. Mit dem Seil könnte ich dem Kalb die Beine abschnüren. Bei der Lage von dem Kalb, wäre es gut, wenn die Kuh liegen würde. Ich müsste aber vorher in den Geburtskanal, um dem Kalb die Seile um die Beine zu legen.“ „Sylvie, welchen Knoten brauchst du?“ Frage Asger. „Einen der hält und sich aber beim ziehen nicht zuzieht.“
Asger nahm ein Seil und legte das Ende über das Seil, legte eine Schlaufe und zog das Seil durch die Öffnung. „So?“ Und reichte Sylvie das Seil. „Ich war Seemann. Ich werde wohl noch ein paar Knoten hinbekommen. Sylvie lächelte und gab Asger einen Kuss „Danke du Seebär.“ „Gerne, Frau Agraringenieurin. Okay, wie willst du die Kuh zum liegen bringen, wenn sie es nicht selbst tut?“ „Mit Seilen lässt sich da schon etwas machen. Es gibt bestimmte Schnürtechniken für die Beine, womit sich die Kuh zum Hinlegen bewegen lässt.“ „Okay. Wir sind da.“ „Danke. Aber ihr alle müsst nicht hier bleiben. Eine Erstgeburt kann mehrere Stunden dauern.“ „Wir bleiben und helfen. Stell dir mal vor, nachher fehlte nur eine helfende Hand“ sagte Claude. „Okay. Danke. Wenn später die Geburt beginnt, und wir das Kalb herausziehen, ziehe nur ich. Ich muss die Wehen abwarten. Wenn die Kuh ihre Wehenpause hat, höre auch ich auf zu ziehen. Einfach mal ziehen und flutsch, das Kalb ist draußen, gibt es nur im Fernsehen. Hannes ist als Geburtshelfer bereit und wird den Geburtsweg mit beiden Händen weiten, während ich versuche das Kalb zu drehe. Ich hätte niemals gedacht, dass ich im dunklen in Kambodscha ein Kalb auf die Welt bringen werde.“ Cees klopfte Sylvie auf die Schulter „Das Leben ist ein Abenteuer.“

Kannitha kam zu ihnen auf die Weide und hatte ein Dutzend Wasserflaschen dabei und erkundigte sich über den Stand bei der Geburt. Patricia sagte ihr, was zuvor Sylvie gesagt hatte. „Soll ich euch Essen vorbeibringen? Ihr könnt nicht über Stunden hier auf der Weide sitzen.“ Bevor jemand antworten konnte, sagte Kannitha, dass sie Klebereis und Papayasalat machen würde.

„Mal eine Frage: packst du das Kalb aus der Kuh zu ziehen?“ Dabei sah Asger die schmale Sylvie an. Sylvie zog die Schultern hoch „Wir werden das Seil um den einen Baum legen und du könntest dann mit mir ziehen. Zum einen ziehen wir dann nicht mit voller Kraft, denn wir könnten das Kalb und die Gebärmutter verletzen. Und zum anderen hätte ich die Gewissheit, dass noch jemand da ist, wenn ich keine Kraft mehr habe.“

Patricia und Hannes standen am Kopf von der Kuh und gaben ihr einen Eimer mit frischem Wasser. Die Kuh hatte Durst und trank auch aus dem gereichten Eimer.

Sylvie legte Seile um die Hinterbeine der Kuh und sagte Asger, er solle diese richtig gut festbinden. Ein Seil legte er um einen Baum, der links von der Kuh stand und das andere Seil befestigte er an der Seilwinde am Auto von Hannes. „Sylvie, würde es auch mit der Seilwinde gehen?“ „Nein, Asger. So schnell kann man die Seilwinde nicht anhalten und wir haben kein Gefühl, wann wir stoppen müssen.“

Es war schon weit nach 22 Uhr, und immer mehr Wehen setzten bei der Kuh ein.
„Okay Jungs und Mädels, versuchen wir es. Ich werde nochmal in den Geburtskanal greifen und schauen, wo das Kalb jetzt ist.“
Sylvie schmierte sich die rechte Hand und Arm mit Naturseife ein und ging auf die Kuh zu. Mit der linken Hand fühlte sie den Bauch der Kuh ab „Bist ein tapferes Mädchen. Ich schaue nochmal nach deinem Kind. Du hast es bald geschafft.“ Sylvie klopfte der Kuh auf ihr Hinterteil und wartet auf die nächste Wehe. „Ruhig, ganz ruhig. Alles ist gut“ dabei klopfte sie immer wieder leicht auf das Hinterteil. „Okay, die Wehe kommt. Es geht los.“
Mit welcher ruhe und Selbstsicherheit Sylvie dies tat, war beachtlich. Sie war wahrlich Profi genug, um zu wissen was sie tat. Sie hatte dies in den vergangenen Stunden mehr als bewiesen.
Levi war auch schon seit über eineinhalb Stunden bei ihnen, denn er machte sich bereits um 19 Uhr Gedanken über den Verbleib seiner Frau.

„Hannes, ich muss das Kalb drehen. Du musst mir jetzt helfen, denn ich brauche beide Arme dafür. Du musst das Becken auseinander drücken. Stellt dich dicht hinter mich. Annabell, wenn du willst, rede mit der Kuh, streichel sie.“
Als alle dies taten, was Sylvie sagte, fragte sie, ob Hannes bereit sei. „Bin ich. Fangen wir an.“ Hannes drückte mit aller Kraft das Becken von der Kuh auseinander und Sylvie glitt mit ihren beiden Arme in die Scheide der Kuh. Hannes musste den Kopf zur Seite halten, denn der Geruch war nicht besonders angenehm.
„Okay. Ich bin am Kalb. Ich habe einem Huf. Wo verdammt ist der andere? Hab ihn.“ Sylvie drehte sich unter Hannes nach rechts weg. Hannes fingen bereits die Arme an zu zittern. „Ich muss nochmal nach greifen“ Sylvie stellte sich wieder, packte das Kalb und drehte sich noch einmal unter Hannes nach rechts weg. Sie zog ihre Arme aus der Kuh und klopfte ihr auf das Hinterteil „Braves Mädchen. Wir haben es bald geschafft. Danke Hannes. So, nun legen wir die Kuh auf ihre linke Seite. Ich habe das Kalb gedreht. Es müsste passen. Asger, gibt mir bitte die zwei Seile.“
Sylvie cremte sich wieder ihren rechten Arm ein und führte nun die Seile in den Geburtskanal. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Sylvie ihren Arm aus dem Geburtskanal zog.
Dann nahm sie mehrere Seile und band diese an die Vorderfüße der Kuh.
„Nun wird es haarig. Wir müssen die Kuh quasi auf die Knie zwingen und darauf achten, dass sie sich nicht nach rechts Ablegt. Claude, du nimmt dir das Seil an ihrem linken Vorderbein. Cees, du das rechte. Ihr zieht langsam nach hinten, wenn ich es sage. Patricia, Clodette, redet mit der Kuh und drückt sie an ihrer Blesse nach unten. Wenn ihr es nicht schafft, muss Hannes es machen. Alle anderen kommen auf die rechte Seite. Wenn die Kuh in die Knie geht, müsst ihr sie nach links drücken. Bitte nicht am Bauch. Drückt oben unterhalb der Wirbelsäule, am Becken und Hals. Asger, du bis der größte. Du drückst in der Mitte der Wirbelsäule – hier. Okay? Jeder alles verstanden?“ Alle nickten. „Los!‘
Unter muhen, brüllen und mit dem Kopf schlagend, ging die Kuh langsam auf die Knie. „Weiter ziehen, weiter ziehen. Hannes, drück ihr den Kopf nach unten. Weiter ziehen. Drücken und nun alle an der Seite. Weiter, weiter, weiter.“ Langsam ging die Kuh auf die Knie und legt sich ab.
„Halleluja! Danke, Leute. Die Kuh liegt. Lasst sie nun mal etwas ausruhen.“

Annabell machte wieder ihre Arbeit mit dem lauwarmen Wasser weiter. Die anderen saßen auf dem Boden. 20 Meter von ihnen entfernt stand ein Pulk an Menschen und beobachten alles sehr genau. Die Menschen sprachen leise miteinander.

Nach 23 Uhr setzten immer mehr Wehen ein und etwas an Flüssigkeit lief aus der Scheide der Kuh.
„Okay, es geht los. Ich habe je ein Seil an den Beinen von dem Kalb befestigt. Ich muss abwechselnd ziehen, sonst wird das nichts.“ Asger nickte und packte sich die Seile. Sylvie setzte sich auf den Boden und drückte ihre Füßen gegen die Oberschenkel von der Kuh. Ihr Oberkörper war nach vorne gebeugt. Sie legte sich das Seil einmal um die rechte Hand und hielt das Seil mit beiden Händen fest – aber noch nicht auf zug. Die Kuh bekam eine weite Wehe und Sylvie zog mit aller Kraft. Ihr Oberkörper ging immer weiter zurück. „Stopp.“ Asger lies sofort das Seil locker – aber auf zug. „Sehr gut Asger. Wenn die nächste Wehe kommt, machen wir weiter.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die nächste Wehe kam. Sylvie war hochkonzentriert. „Los.“ Und wieder machte Sylvie die gleichen Bewegungen wie zuvor. Die nächste Wehe kam. „Los. Annabell, schütte immer wieder lauwarmes Wasser über die Scheide. Du braucht kein Tuch mehr.“
Maurice und Franziska füllten die Eimer voll für Annabell. Claude brachte ständig neues Wasser an die Gaskocher.
Die nächste Wehe kam. „Los.“ Hannes sah den ersten Huf von dem Kalb. Ihm lief der Schweiß nur so über das Gesicht. Er musste ja irgendwie das Becken der Kuh zu sich hoch ziehen.

„Okay, Asger. Nun das andere Seil.“ Sylvie legte sich auch dieses Seil einmal um die Hand und wartete auf die nächste Wehe. „Los.“ Zweimal zog sie und man sah den zweiten Huf. „Asger, wir ziehen noch einmal mit diesen Seil.“ „Okay Chefin.“ „Los.“ Bei diesem zug kam das eine Hinterbein gute 20 Zentimeter zum Vorschein.
Die nächste Wehe kam und auch hier kam das Bein immer weiter raus. „Nochmals dieses Seil.“ Die Wehe kam. „Los.“ Bei diesem zug sah man das Knie von dem Kalb. „Anderes Seil.“ Die Wehen kamen in immer kürzeren Abständen. Auch hier kam das Knie von dem Kalb zum Vorschein.

Nach über einer drei Viertel Stunde war endlich das Becken von dem Kalb zu sehen.
„Hannes, kannst du noch?“ „Eigentlich nicht mehr. Ich habe kaum noch Kraft in den Armen. Aber wir bekommen dieses Kalb auf die Welt.“
„Okay. Wir haben es bald geschafft. Asger, wir müssen jetzt das Kalb in Richtung Euter ziehen.“ Sylvie suchte sich einen anderen Platz auf dem Boden. In dieser Stellung konnte sie aber nicht gegen die Hinterbeine der Kuh drücken, denn dies würde ihr Schmerzen zufügen. Patricia und Franziska setzen sich hinter einander links neben die Kuh, Clodette und Levi taten dies rechts. So konnte Sylvie ihre Füße gegen ihr drücken und hatte etwas mehr halt. Asger hatte nun keinen Baum mehr, den er benutzen konnte. „Versuchen wir es. Zieh nicht zu fest.“ „Alles klar, Chefin.“

Die nächste Wehe kam. „Los. Ziehen, ziehen.“ Das Becken von dem Kalb war frei.
„Braves Mädchen. Wir haben es bald geschafft. Anderes Seil.“ Nach 10 Minuten kam eine weitere Wehe. „Los.“ Bei diesem zug kam der Rücken von dem Kalb zum Vorschein. Sylvie wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Okay. Machen wir eine kurze Pause, die Kuh ist auch erschöpft.“

Hannes verteilte erneut Wasserflaschen. Sylvie lief der Schweiß, als ob sie einen Marathon gelaufen wäre. „Danke, Hannes“ und trank den Halben Liter Wasser fast mit einem zug leer.

„Okay, es geht weiter. Die Wehe wird gleich kommen.“ Jeder sah der Kuh an, dass die nächste Wege bevor stand. „Okay.Los.“ Die Kuh schnaufte, muhte und brüllte. „Los. Weiter, weiter, weiter. Sehr gut. Das andere Seil. Wir haben es gleich geschafft. Los. Ziehen, ziehen, ziehen.“ Man sah den Nacken von dem Kalb.

„Okay. Leute, wir haben es gleich geschafft. Die Kuh erholt sich jetzt. Es geht gleich weiter. Die Zeit schien still zu stehen. Annabell schüttet langsam immer wieder Wasser über das Hinterteil.

Die nächste Wehe kündigte sich an. „Asger, nun ziehen wir mit beiden Seilen. Warte, warte. … Es geht los. … Moment… Los. Ziehen, ziehen, weiter, weiter. Stopp.“ Sylvie ging nochmals mit ihrem Oberkörper nach vorne „Okay, wenn gleich die Wehe kommt, ziehen wir das Kalb heraus.“

Sylvie wischte sich mit ihrem T-Shirt erneut den Schweiß aus dem Gesicht. Sie hielt das Seil auf zug, damit das Kalb nicht vielleicht nochmal ein Stück in den Geburtskanal zurück rutschen konnte.

Die Uhr war schon weit nach Mitternacht.
„Okay, es geht wieder los.“ Die Kuh fing an zu schreien. „Los. Ziehen, ziehen, ziehen.“ Das Kalb rutschte aus dem Geburtskanal auf den Boden. Sofort ließ Sylvie die Seile fallen und rutschte auf ihren Knien zu dem Kalb, um zu schaute, ob es atmete. „Großer Gott im Himmel. Es lebt. Es lebt.“ Sylvie kamen die Tränen. Alle, die auf der Weide standen fingen an zu jubeln oder zu weinen.
Asger nahm Sylvie in die Arme und streichel ihr über den Rücken „Du bist ein gutes Mädchen.“
Jeder umarmte Sylvie und drückte sie fest an sich.
„Kommt, legen wir das Kalb an den Euter“ sagte Sylvie. Asger und Hannes trugen das circa 40 Kilo schwerer Kalb an den Euter der Mutter und sofort fing das Kalb an zu saugen.
„Gutes Mädchen. Du hast ein Kind auf die Welt gebracht“ sagte Sylvie und streichelte der Kuh den Kopf.
Annabell streichelte das Kalb und wischte sie ihre Tränen weg. Mit den Tüchern wischte sie das Fell von dem Kalb sauber.

Hannes entfernte die Seile an den Beinen der Kuh und brachte einen großen Packen Heu aus dem Stall. Patricia hielt den Eimer mit Wasser schräg, damit die Kuh trinken konnte.

Sophearith traute sich näher und stand wie ein geprügelter Hund neben der Kuh.
„Du hättest heute zwei Lebewesen getötet! Denk mal über deine Fehler nach. Ich hoffe, die anderen Kühe sind nicht trächtig“ sagte Sylvie zurecht sehr böse zu Sophearith.

Teil II Im Zombie Land

Irgendwo im Dongrek-Gebirge zwischen Kambodscha und Vietnam

Im Zombie Land

Montag, 15. Januar 1990
Irgendwo im nirgendwo

Am Montagmorgen rief Hattie an, sie wollte sich mit Patricia in Phnom Penh treffen. Passte ganz gut, am Mittwoch müssten, Cees de Groot und Luan Bernasconi, die beiden anderen aus dem Team, am Flughafen abgeholt werden. So konnten sie die 140 Kilometer wunderbar verbinden.

Hannes fuhr auf die Baustelle, er wollte endlich an der Abgemessenen und Abgesteckten Strecke weiter kommen.
Auf der Baustelle waren die 5 Männer beschäftigt die Schalung für das Pumpenhaus weiter zu bauen. Der Baggerfahrer baggerte an dem Graben, den sie gestern Abgesteckt hatten. Wie zu erwarten, war seine Arbeit nicht gerade das, was man vernünftig nennen konnte. Hannes zeigte es ihm wieder auf 10 Meter Grabenlänge. Irgendwie schien der Fahrer nicht zu begreifen, was ein Bagger alles kann.

Stephane Dilbert rief am Vortag im Hotel an und sagte, dass heute ein größerer Bagger auf die Baustelle kommen werde.
Vor Wochen sei in Thailand eben jener Bagger gekauft worden.
Der Bagger vor Ort war mit seinen 16 Tonnen Einsatzgewicht für den Bau der Wasserleitung und den dafür vorgesehenen Graben etwas zu klein.
Wenn die Wasserleitungen von der Hauptleitung nach rechts abgehend verlegt werden mussten, brauchte man für diese Topografie ordentliches Gerät. Von der Baustelle waren es oft noch keine 15 Kilometer bis zur Grenze zu Vietnam. Das Geländeprofil war zum Teil sehr hügelig und felsig.

Mit dem Toyota Pickup fuhr Hannes zu dem Vereinbarten Treffpunkt an der Straße 334, um dort den Lkw mit dem Bagger in Empfang zu nehmen. Eigentlich machte es keinen Sinn, eine Uhrzeit zu vereinbaren, denn dies war in Asien etwas, um was sich die Menschen am wenigsten Gedanken machten. Man ist ja schließlich irgendwann da – oder auch nicht. Also blieb nur das warten und hoffen.

Die Klimaanlage in dem Toyota Pickup gab ihr bestes. Eine Stunde wartete er schon. Es wurde draußen immer wärmer und die Klimaanlage kam langsam an ihre Grenze. Hannes wollte die Pläne für die nächste Abschnitte studierten und die Länge der benötigten Wasserleitungen berechnen damit Eliane die Bestellung machen konnte.
Im Auto war kein Platz um diese riesigen Pläne auszubreiten. So stieg er aus dem Wagen und fixierte mit Magneten den Plan auf der Motorhaube. Trotz der weißen Farbe von dem Auto, glühte die Motorhaube wie eine Kochplatte. Die Schwüle war unerträglich.

Keine 5 Minuten, die Hannes aus dem Auto war, klebte sein T-Shirt am Körper.
Mit einer Maßstabschablone errechnete er die gebrauchten Materialien für,…. für welchen Zeitraum? Ihm war auch klar, dass bei dieser Hitze niemals das Tempo erreicht wurde und wird, wie in Deutschland. Er bräuchte eine Motivation für die Arbeiter, dass sie wenigstens regelmäßig zur Arbeit kommen würde um auch etwas leisten zu können.


Ein neuer Bagger kommt

Eine Staubwolke kam auf ihn zu. Hurra, könnte der Bagger sein. Tatsächlich, Hannes sah einen Bagger hinter dem Fahrerhaus. Mit Spannung sah er dem Fahrzeug entgegen. Was wir nun für ein Spielzeug kommen? Auf den letzten 200 Meter sah er in einer riesigen Staubwolke ein Sattelzug mit Tieflader. Es stand ein Bagger auf dem Tieflader. Ein richtiger Bagger! Ein Caterpillar Kettenbagger 225LC. Die Maschine hatte ein Einsatzgewicht von fast 26 Tonnen. Mit diesem Teil konnte man vernünftig arbeiten. Sogar zwei verschiedene Tieflöffel mit, 0,88 m3 und 1,68 m3 waren dabei. Yes, that’s right!
Die Freude war nur von kurzer Dauer. Wie kann der Lkw mit dem Tieflader zur Baustelle fahren? Sein Pickup hatte bei der Folterstrecke schon seine Probleme. Der Tieflader würde auf dieser Piste stecken bleiben. Die Fahrbahn war für diesen Sattelzug definitiv nicht geeignet.
In Asien ist es normal, dass ein Bagger auf einem Dreiachs- Lkw transportiert wurde – sofern er keine Reifen hatte. Dies wäre bei dem Gewicht und Größe von diesem Bagger gar nicht möglich gewesen.

Hannes fuhr mit dem Lkw Fahrer die Strecke ab, bis wo hin er auf jeden Fall fahren könnte.
Hannes fuhr den Fahrer zu seinem Lkw und dann weiter zum Hotel. Patricia musste mit. Sie sollte den Pickup zur Baustelle bringen, er müsste den Bagger fahren. An der Tankstelle in Svay Rieng kaufte er ein 200 Liter Fass Diesel. Pickup’s sind für alles gut.

Der Lkw war an der vereinbarten Stelle angekommen. Der Fahrer fragte, wer denn nun den Bagger abladen würde. Mit der Antwort von Hannes hatte der Fahrer nicht gerechnet.

Der neue Bagger hatte eine Dieselpumpe in der Nähe vom Tank, so konnten ohne Probleme die 200 Liter Diesel schnell und zügig umgepumpt werden und musste nicht mühsam mit 20 Liter Kanister getankt werden.

Per Kette fuhr Hannes über die Folterpiste zur Baustelle. Mit dem großen Baggerlöffel machte Hannes während der Fahrt diese Folterpiste zu einer doch erheblich besseren Straße. Er hätte es gerne ordentlicher gemacht, durch den zweiten Baggerlöffel, der in dem größeren lag, konnte er nicht so arbeiten, wie gewünscht. Ein Baggerlöffel von fast einer Tonne, konnte er schlecht nicht auf den Pickup legen.

Endlich war die Baustelle erreicht. Hannes taten von dem gequietsche der Ketten schon die Ohren weh.
Patricia kam gleich zum Bagger „Lass mich bitte mal baggern.“
Wäre ja nicht das Problem gewesen, nur wie sollte die kleine Patricia das Fahrwerk hoch in die Fahrerkabine kommen?
Hannes stellte den Oberwagen leicht nach rechts „Geh jetzt vorne die Kette hoch, dies ist für dich einfacher als seitlich über das Fahrwerk.“

Patricia saß auf seinem Schoß und Hannes erklärte ihr nun die zwei Hebel links und rechts am Sitz, die Pedale um die Kette vorwärts oder rückwärts laufen zu lassen und die Schwenkbremse vom Oberwagen. Sie nahm die beiden Hebel in die Hand und machte, was Hannes ihr sagte.
Der Bagger schaukelte wie ein Schiff, bei Seestärke 8.
„Langsam, Patricia langsam und mit Gefühl. Hydraulik ist sehr empfindlich und reagiert sofort.“
Beim dritten Versuch war es nur noch Seestärke 4. Nach 10 Minuten Schiffschaukel, hatte Patricia den Bogen raus. Diese Frau hatte vor nichts Angst. Gleich aufgeben kam für sie nicht in Frage. Sie drückte die beide Pedale nach vorne und der Bagger fuhr in die gewünschte Richtung. Sie drehte den Oberwagen um 180°, drückte die zwei Pedale nach vorne und der Bagger fuhr rückwärts. Ohne das Hannes etwas sagen musste, kam von ihr gleich die Antwort „Ist logisch. Der Bagger steht in die andere Richtung als die Kette.“ „Einfach ausgedrückt – aber richtig. Du musst immer wissen, in welche Fahrtrichtung das Fahrwerk steht. Nun kennst du die Grundbegriffe von dem Bagger, dann buddel doch mal ein Loch.“

Gleichzeitig den linken Hebel nach rechts, der rechte Hebel nach vorne, der linke zurück und der rechte nach rechts. Die war für den Anfang doch etwas viel. Als sie begriffen hatte, was der Bagger bei welcher Hebelbewegung machte, konnte sie auch ein Loch graben. Zwar war der große Baggerlöffel mit einem Teelöffel Erde gefüllt – aber immerhin klappte es.

Nach einer Viertelstunde baggern war der Löffel immerhin dreiviertel voll. Patricia lernte wirklich unglaublich schnell.
Die Handvoll Männer auf der Baustelle standen im Halbkreis um den großen Bagger und sahen der kleinen Patricia zu.
„Tsssss, tsssss, tsssss“ kam es immer wieder im Kanon von den Männer.

„Du kannst besser mit dem Bagger arbeiten, als der Baggerfahrer, der den anderen da vorne fährt. Nun kannst du seine Arbeit weiter machen. Nun müssen wir im Plan schauen, wie tief die Wasserleitung weitergeht und wo wir mit welcher Tiefe am letzten Punkt sein müssen.“ „Das ist aber sehr kompliziert.“
„Liebes, nicht komplizierter als lernen. Lass mich arbeiten, fahre du zurück nach Svay Rieng. Dein Vater kann mich gegen Abend abholen kommen. Ich brauch nur noch die Pläne aus dem Auto.“ „Sind dies alle Arbeiter?“ Fragte Patricia und zeigte auf die 5 Männer.
„Ja, ich frage mich, wie wir mit einer Handvoll Bauarbeiter eine Wasserleitung vom 170 Kilometer, die Nebenleitungen und Pumpenhäuser bauen sollen? Entweder die Männer arbeiten an dem Graben oder an dem Bau für die Pumpen. Ich weiß nicht wie ich die Arbeiter motiviert bekomme und wo ich nochmal so viele Arbeiter her bekomme. Ich kann ja schließlich nicht alles alleine machen.“ „Ich bin nun hier in der Gegend, ich fahre mal in die Dörfer um zu schauen, wie ich dort weiter komme und wie viele Kinder es überhaupt gibt und welches Alter.“

Hannes bat einen Arbeiter die Grabentiefe zu messen, damit er nicht irgendwann zu tief oder zu hoch kam. Er war ja nur Hobby-Baggerfahrer.
Mit dem großen Baggerlöffel ging es sehr zügig voran. Da eigentlich nur 1,50 Breite gebraucht würde, der Baggerlöffel aber 1,80 Meter breit war, war so auch etwas mehr Sicherheit für die Arbeiter im Graben gewährleistet. In Deutschland dürfte er ohne Verbau so etwas gar nicht machen. Daher zog er den letzten halben Meter der Wand nach links und rechts weg. Immer noch ein Alptraum für die Berufsgenossenschaft, aber besser als nichts. Unvorstellbar, wenn der Graben zusammen fällt und ein Mensch lebendig begraben werden würde.

Er korrigierte die Sohle von dem anderen Baggerfahrer wieder. Am liebsten hätte er ihm gesagt, er soll sich zum Teufel scheren. Er brauchte aber die wenigen Arbeiter um überhaupt etwas tun zu können.

Hannes baggerte schneller, als die Männer dieses Tempo gewöhnt waren. Zum einen hat ein so großer Bagger unglaublich viel Kraft und zum anderen konnte er es, trotz das er wenig Bagger gefahren war, dies besser als der Mann, der meinte Baggerfahrer sein zu wollen.
Nicht übertreiben. Nicht übertreiben, sagte er sich.
Hannes fing an zu singen
„Wer baggert da so spät noch am Baggerloch?
Das ist Bodo mit dem Bagger und der baggert noch.
Ja, wer baggert da so spät noch am Baggerloch?
Das ist Hannes mit dem Bagger und der baggert noch.“

Er kam schneller voran, als er dachte. Wollte auch nicht zu weit den Graben auf baggern, dieser musste später auch wieder verfüllt werden.
Patricia kündigte sich mit einer großen Staubwolke an. 4 Meter neben dem Bagger hielt sie an. Hannes drehte das Fahrwerk nach links und ging über die Kette – mit Schuhen vom Bagger, zu ihr. Wie der Kollege Barfuss über die Kette gehen konnte, blieb ihm ein Rätsel.
Patricia’s Gesicht sah versteinert aus. „Prinzessin, was ist los?“
Sie schüttelte den Kopf „Glaubst du nicht! Vergiss alles, was wir bis jetzt in Kambodscha gesehen haben!“
Ihr kamen die Tränen.
„Fahr mit mir. Schau es dir an. Hannes, … Mittelalter… es ist wie im Mittelalter!“

Patricia fuhr von der Baustelle die Piste Richtung Osten, dann die nächste Kreuzung recht. Nach ca. 4 Kilometer kam die erste Ortschaft. Patricia fuhr langsam über die Sandpiste an den… den was… vorbei? Hütten, Baracken, Kaluppen, Katen? Es gibt kein Wort für etwas das schief, kaputt und irgendwie zusammen genagelten einen umbauten Raum auch nur im Ansatz beschreiben kann.
Müll und Fäkalien wo er hinsah. Patricia hatte recht, so etwas hatten sie noch nie gesehen. Die Ortschaft war eine Müllhalde.
Unbegreiflich wie so wenig Menschen in dieser Ortschaft so viel Müll haben konnten! Im Umkreis von bestimmt 30 Meter um diesem Ort lagen Plastikfolien, Flaschen, Bleche, Reifen, Ölfässer und Kanister. In den Bäumen hing Plastik das vom Wind weggeweht wurde.

„Was schätzt du, wie viel Menschen leben hier?“ „Patricia, wie soll ich dies beurteilen? Von dieser Piste gehen links und rechts insgesamt sieben Wege ab. Was ich hier an Baracken sehr, würde ich diese Zahl mal vier nehmen, könnte auch nur mal drei sein.“ „60 Hütten. Mal drei oder vier Personen pro Hütte. Spekulationen bringen uns nicht weiter. Jemand fragen, wir wenig Sinn machen, da wird keiner hier sein, der vernünftig rechnen kann. Du musst auch nicht mehr weiter fahren, ich kann mir ein Bild von den anderen Ortschaften machen.“ „Sind auf deinen Plänen diese Ortschaften eingezeichnet?“
„Ja. Kampang Rou, Khum Nhour und Khsaetr liegen laut Plan an dieser Piste. Zwischen Kampang Rou und Khum Nhour geht es ab nach Sama. Hier sind die Ortschaften Samlei, Thmei und Tnaot. Hannes zeigte ihr mit dem Finger auf der Karte, wo die Ortschaft eingezeichnet waren.
„Ob die Angaben von der Entfernung stimmten, bezweifle ich auch. Fahr zurück, wir messen jetzt. Der Maßstab auf den Karten wird ja bestimmt richtig sein. Ich hatte heute morgen die Länge für die Wasserleitungen berechnet.“


Irgendwo im Dongrek-Gebirge

Patricia fuhr zurück an die Kreuzung zur Baustelle und stellte den Kilometerzähler auf Null. Auf dem Plan markierte Hannes den Nullpunkt.
„Dann mal los.“ „Bis Kampang Rou sind es jetzt 5,6 Kilometer. Was sagt dein Plan?“ „3,2 Kilometer. Welchen Faktor soll ich da annehmen? Fahr bitte weiter zur nächsten Ortschaft. Dies müsste Khum Nhour sein.“ „8,2 Kilometer“ sagte sie in der Mitte der Ortschaft. „Fahr weiter. Laut Maßstab habe ich 5 Kilometer.“ Patricia fuhr weiter bis nach Khsaetr.
„Was sagt der Kilometerzähler?“„Knapp 13 Kilometer. Wo ist die Grenze zu Vietnam?“ „Nach meinem Plan bin ich jetzt bei 7,5 Kilometer. Folglich müsste nach dem Maßstab in circa 7 Kilometer die Grenze kommen.“

Patricia fuhr weiter und Hannes schaute mit einem Auge auf seine Karte und mit dem anderen auf den Kilometerzähler. 19 Zeigte dieser an. Die Piste wurde steiler und nach eine scharfe links Kurve wurde die Piste enger. Patricia stoppte den Pickup und stieg aus. Hannes blickte noch auf den Kilometerzähler, bevor auch er ausstieg.
„Chérie, schau. Da hinten ist eine Siedlung.“ Patricia zeigte mit dem rechten Arm in die Richtung, wo sie Hütten gesehen hatte.
„Patricia, hier ist nur Wald. Wie soll man an diese Siedlung kommen? Ich habe keine Piste von rechts kommen gesehen. Ist diese Siedlung überhaupt noch in Kambodscha?“
Patricia sah ihn fragend an „Wo soll diese Siedlung sonst sein?“ „Na ja, auf dem Kilometerzähler steht 22. Sind wir noch in Kambodscha?“ „Du hast doch die Karte.“ „Klasse. Ja, ich habe die Karte. Aber nichts passt auf dieser verfluchten Karte zusammen. Die Siedlung ist hier nicht eingezeichnet.“
Patricia schaute auf die Karte und zeigte mit ihrem Finger auf Samlei „Und was ist dies bitteschön für eine Ortschaft oder Siedlung?“ „Samlei. Korrekt. Nun erklärte mir bitte mit deinem exzellenten Abi, wie wir von Khsaetr im Kreis gefahren sein müssten um eine Ortschaft zu sehen, die zwischen Kampang Rou und Khum Nhour links liegt und die wir jetzt rechts von uns sehen.“
Patricia boxte ihn gegen den Oberarm „Boeuf stupide.“

Patricia fuhr langsam weiter, in der Hoffnung einen Weg zu finden, um an die Unbekannte Siedlung zu kommen.
Hannes hatte ein ungutes Gefühl im Bauch „Patricia, es macht keinen weiter zu fahren. Bitte dreh um.“
Er zeigte ihr den Plan, wo sie in diesem Augenblick sein könnten und wo nach seiner Karte die Grenze zu Vietnam war. „Wir sind hier wie in einem Quadrat. Nach Süden ist von dem Ausgangspunkt, wo du den Kilometerstand auf Null gedrückt hast, ist die Entfernung zur Grenze zu Vietnam zwischen 14 und 22 Kilometer. Dann sind es von dem Punkt, wo die Straße 334 aufhört, 25 Kilometer bis zur Grenze nach Osten. Ich kann dir in diesem Augenblick noch nicht einmal sagen, in welchem Land wir sind!“ „Wie?“ „Nix, wie? Nach diesem Plan und das was du an Kilometer gefahren bist, kann ich dir nicht sagen in welchem Land wir uns in diesem Augenblick befinden. Die Piste geht laut Plan nicht bis an die Grenze und die Siedlung, die wir gesehen haben, ist hier nicht eingezeichnet. Du bist nun über 30 Kilometer gefahren. Auch wenn ich großzügig die Serpentinen und Kurven abziehe, sind wir nach diesem Plan jetzt in Vietnam.“ „Meinst du? Ich habe nichts gesehen was irgendwie auf eine Grenze hindeutet.“ „Patricia, ich weiß es nicht. Kann sein, dass wir noch in Kambodscha sind und noch eine oder zwei unbekannte Siedlungen hinter der nächsten Kurve oder Hügel kommen. Es kann aber auch sein, dass der nächste Ort von Vietnamesen bewohnt ist.“ „Und nun?“ „Du fährst. Du entscheidest.“

Patricia fuhr weiter bis der Kilometerzähler 40 anzeigte.
„Noch eine Kurve. Okay?“
Hannes nickte stumm. Innerlich war er angespannt, versuchte dies aber vor Patricia zu verbergen.
Die Piste ging weiter den Berg hoch. In 300 Meter sah er eine links Kurve. Patricia fuhr noch zwei Kilometer weiter bis sie stoppte. Die Aussicht nach Süden und Südosten war grandios. Sie standen irgendwo in Südostasien im Dongrek-Gebirge und waren von Wäldern und Hügel umgeben.
„Mon chérie, ist dieser Anblick nicht überwältigend?“ „Doch. Ist er. Ich habe solche massiv bewaldeten Hügel und Täler noch nie gesehen. Prinzessin, bitte lass uns zurückfahren. Ich habe kein gutes Gefühl. Ich weiß, dass du Menschen suchst und diese auch erreichen möchtest, aber ohne vernünftige Karten machte dies keinen Sinn. Unsere entdeckte Siedlung kann auch ein Lager von versprengten Kämpfer der Roten Khmer sein.“
Patricia nickte „Du hast recht. Ich sehe deine Sorgen in deinen Augen.“ „Danke. Ich habe keine Lust, wegen einem illegalen Grenzübertritt Ärger zu bekommen. Patricia, nichts passt zusammen. Laut diesem Plan sind zwischen Kampang Rou und Khum Nhour die drei Ortschaften Samlei links, sowie Thmei und Tnaot rechts auf den Hügeln – wenn die Höhenangaben auf dem Plan auch nur annähernd stimmen. Lass uns zurückfahren. Wir haben irgendwo zwischen Kampang Rou und Khum Nhour
die Abfahrten übersehen. “

Patricia wendete den Pickup auf der Piste und fuhr in entgegengesetzte Richtung zurück. Der Puls von Hannes war schon leicht erhöht. Hinter jeder Kurve vermutete er eine Straßesperre oder eine Horde Kämpfer mit Gewehren im Anschlag.

Endlich sah er die ersten Hütten von Khsaetr in Sicht kommen. Hannes atmete tief aus.
Nach den letzten Hütten von Khum Nhour fuhr Patricia langsamer.
„Ist das hier eine Einfahrt? Was meinst du?“
Hannes schaute auf seinen Plan und rechnete mit der Maßstabsschablone die Kilometer von Kampang Rou bis nach Khum Nhour.
„Ich weiß es nicht. Könnte passen. Könnte aber auch nur ein Weg ins Zuckerrohrfeld sein. Fahr den Weg hoch, dann wissen wir es. Irgendwo werden wird schon rauskommen.“

Diese Piste verlangte von dem Auto, wie auch von Patricia alles ab. Es ging gute 20 % den Berg hoch. Schlagloch auf der linken Seite, einen Buckel rechts, dann eine Bodenwellen von über 40 Zentimeter und danach ging es 50 Zentimeter runter. Der Pickup stand oft so schräg, dass nur 3 Reifen auf dem Boden gripp fanden.
„Du musst die Buckel schräg anfahren und die Löcher versuchen zu meiden. Fahre mit der Piste und nicht gegen sie. Wenn es sein muss fahr mit einer Seite vom Auto durch den Zuckerrohr. Nimm die Wellen nicht frontal. Immer etwas versetzt. Soll ich weiter fahren?“ „Non, ich habe doch einen guten Co-Piloten.“
Hannes lachte „Wir beide würde auch ein gutes Rallye Team abgeben.“

Das Auto kam den Berg immer schlechter voran. Da diese Piste auch nur aus Sand und Lehm bestand, drehten die Reifen immer mehr durch.
„Bleib stehen. Zieh die Handbremse an und mach den Gang raus. Mach die Getriebeunterstützung rein. Das ist der Knopf rechts vor dem Schalthebel. Dann rechts von dir den Knopf drücken, dass ist die Sperrdifferentialsperre. Nun wird die Kraft von den durchdrehenden Reifen auf die, die stehen übertragen. Nun löse die Handbremse und lenke nach links. Es kann sein, dass jetzt das Auto nach rechts zieht, dann fahr trotzdem weiter, wenn du merkst das du im Lenkrad Kontakt spürst lenke gerade. Das Auto wird sich dann in Richtung zu dem Feld bewegen. Wenn ich sage nach links lenken, machst du dies auch. Okay?“ „Oui Monsieur.“ „Dann Attacke. Gibt Vollgas.“

Die zierliche Patricia machte es genau so, wie Hannes es ihr sagte. Sie steuerte das Auto mit dem ihm zu Verfügung stehender Kraft, diese Hindernisse hoch. Immer wieder schlug eine Seite vom Auto auf der Piste auf. Es knirschte und schrubbte der Sand, Erde und Steinbrocken an der Karosserie.
„Weiter. Nicht stehen bleiben. Immer weiter mit Vollgas. Die Kiste fällt nicht um.“

Nach weiteren 300 Meter Folterpiste wurde das Gelände flacher und die Piste führte in einem leichten Bogen nach rechts noch gute 250 Metern durch den Wald, bis die ersten Hütten von Samlei zu sehen waren. Dieser Ort war wesentlich kleiner als die 3 Ortschaften im Tal.
„Geschafft. Wir sind da. Bist du sicher, dass du nicht mit Michèle Mouton verwandt bist?“
Patricia grinste und gab ihm einen Kuss.


Gottes vergessenen Menschen

Nach den ersten Hütten im Ort blieb Patricia stehen „Auf geht’s. Dann lass uns die Expedition beginnen.“
Hannes nickte „Oui Madame.“
Sie stiegen aus dem Pickup und schauten sich um. Hunde bellten sie an, Hühner liefen umher oder pickten im Sand nach Körner. 12 Hütten sahen sie und auch hier im Ort lag überall Müll. Zwar nicht so viel wie sie zuvor gesehen haben, aber dennoch Müll. Nach 20 Metern ging ein kleiner Pfad nach rechst. Hannes zählte 5 Hütten „Wo sind die Menschen?“
Patricia sah ihn wortlos an und zuckte mit den Schultern. Sie gingen zurück zur Mitte der Siedlung. Ein Kind huschte ein Haus weiter in ein anderes Haus. Patricia rief auf khmer und sagte wer sie seien und auch der Grund für den Besuch. Nichts! Kein Mensch zu sehen. Es war unheimlich. Patricia rief nochmal.
Eine ältere Frau mit wettergegerbter Haut und schwarzen faulen Zähne kam langsam aus einer Behausung und blieb im Abstand von 5 Meter von ihnen stehen. Hannes vermochte das Alter dieser Frau nicht zu schätzen. 50, 60 oder 80 Jahre konnte diese Frau sein.
Aus einer Hütte links von ihnen kam ein Mann mit einem 2 Meter langen Knüppel heraus.
„Die Menschen haben Angst.“ „Warum? Ich habe doch gerufen wer wir sind.“ „Patricia! Wir könnten auch von der Miliz sein.“ Patricia sah Hannes mit einem versteinerten Blick an und reagiere sofort „Suostei! Yeung chea vechchobandet mk pi eurob. kroupety!“
Hannes riss die Augen auf „Hallo, wir sind Ärzte aus Europa?“ „Fällt dir etwas besseres ein? Soll ich rufen wir sind Baggerfahrer? Boeuf stupide!“

Patricia rief noch drei mal diesen Satz in die andere Richtung der Siedlung. Langsam kamen die Menschen aus ihren Hütten auf die Straße. Alle waren zerlumpt, dreckig und krank. Beiden stockte der Atem beim Anblick solcher Menschen.
„Mon dieu, wo sind wir hier?“ „Bei Gottes vergessenen Menschen! Patricia, ich habe in meinem Leben noch nie solche Menschen gesehen!“
Die Menschen kamen langsam näher, blieben aber in gebürtigem Abstand im Halbkreis stehen. Immer wieder sagte Patricia, dass sie Ärzte seien und die Menschen zählen wollten. Es dauerte unglaublich lange, bis die Zahl der Einwohner ermittelt war. 32 Personen. Davon 14 Kinder. Nach dem Alter fragen? Schätzen? Es ging nur über Schätzen. Patricia schätzte die Kinder zwischen 4 und 13 Jahren. Diese Kinder, wie Eltern und Großeltern kannten gar keine Zivilisation – Müll schon!
Patricia machte sich Notizen von den Leute, Anzahl an Jungen und Mädchen, wie auch Frauen und Männer. Alter konnte auch bei ihnen nur geschätzt werden. Plus minus 10 oder 15 Jahre. Durch mangelnde Hygiene, Versorgung und wahrscheinlich auch einseitiger Ernährung, sahen diese Menschen aus, wie aus einem Gruselfilm. Viele hatten Pusteln auf der Haut. Effloreszenzen teilweise oder am ganzen Körper. Faule oder gar keine Zähne mehr.
Patricia ging langsam auf einzelne Menschen zu, bei denen sie starke Pusteln im Gesicht oder Oberkörper sah, um diese besser dokumentieren zu können. Immer wieder sagte sie „Vechchobandet mk pi eurob“ zu den Leuten. Patricia hatte mehrer Seiten vollgeschrieben und schüttelte immer wieder den Kopf.

„Komm, sag denen, dass wir wieder kommen – denke ich doch. Wir müssen irgendwie Hilfe organisieren. Diese Menschen sind alle krank und brauchen dringend ärztliche Versorgung.“

Patricia fuhr zurück durch den Wald und dann die Höllenpiste herunter. Die Piste im Tal kam in Sichtweite. Statt nach rechts Richtung Svay Rieng zu fahren, fuhr sie links in die Ortschaft Khum Nhour.
Sie fuhr bis ziemlich in die Mitte von dem Ort und rief wieder ihren „Doktor aus Europa“ Spruch.
Auch in diesem Ort zeigte sich das gleiche Bild. Hannes notiere 50 Personen. Davon 21 Kinder. Alle waren krank, ausgemergelt und verlebt.
Auf dem Rückweg wurden in der ersten und größere Ortschaft, im Kampang Rou, die Personen gezählt. Die Anzahl der Person passte nicht zu der Anzahl der Hütten.
„Wo sind all die Menschen von den Hütten?“
Hannes sah sie mit schrägem Blick an „Tod, Verschleppt oder auf der Suche nach Arbeit in anderen Provinzen.“ „Mon Dieu! Du machst mir Angst.“ „Prinzessin, es ist wahrscheinlich die Realität.“
Die Piste bis auf die Straße 334 fuhr Patricia nun auch in einer anderen Fahrweise.
„Siehst du, nun fährt sich das Auto viel besser. Du musst die Fahrweise von Europa hier vergessen. Du musst mit der Strecke fahren und wenn du die ganze Straße brauchst, dann ist das eben so. Du kannst nicht nur rechts fahren. Hier kommt doch sowieso nichts entgegen. So ist es auch, wenn du mit einem Motorrad fährst, immer schräg über die Wellen oder Buckel fahren.“ „Was du alles weißt. Und dann sagst du immer, du bist dumm. Mon chérie, ich mag nicht, dass du dies immer sagst. Du hattest vorhin schneller den Faktor vom Maßstab ausgerechnet als ich.“ „Lass mich auch hin und wieder ein paar Glücksmomente haben.“
Sie boxte ihm gegen den linken Oberarm.

Im Büro in Svay Rieng

In Svay Rieng gingen beide zu Asger und Bernhard in das kleine Büro im zweiten Stock, und brachten ihre Erlebnisse vor.
„Wo wart ihr gewesen? Im Zombie Land?“ Asger sah beide ungläubig an.
Hannes legte die Karte mit seinen Notizen auf den großen Tisch „Hier“ und zeigte er mit dem Finger auf die Karte. „Asger, hier waren wir gewesen. Von diesem Punkt an, den ich als Nullpunkt markiere, passt nichts auch nur annähernd zu diesem Plan. Ist euch dies noch nicht aufgefallen? Alle Berechnungen sind völlig für die Füße. Wir müssen aufpassen, dass die Pumpen in der richtigen Entfernung stehen, es könnte sein, dass am Ende kein Wasser kommt. Ich bin kein Ingenieur, aber geradeaus denken kann ich.“
Bernhard und Asger schauten sich fragend an. Hannes gab seinen Worten Zeit zu wirken, bevor er weiter sprach.
„Wir haben ein etwas größeres Problem zu lösen. Es sollen Wasserleitungen verlegt werden, dass ist immerhin etwas gutes. Blöd nur, dass wir keine Arbeiter haben die regelmäßig auch ihren Aufgaben nach kommen oder können. Fahrt in die Ortschaften, schaut euch diese Menschen an! Ja, Asger, es war Zombie Land! Wir müssen und sollten umdenken. So wie wir jetzt arbeiten ist es falsch.“ „Was willst du umdenken? Wasser kommt von der Hauptleitung zu den Ortschaften die links und rechts liegen. Wir sind ja am arbeiten. Nur geht es nicht so schnell wie du dir dies vorstellst.“ Hannes nickte ruhig, innerlich war er am kochen „Entschuldigt bitte, wenn ich mich hier so einbringe und eure Arbeit in Frage stelle, wir müssen und sollten von hinten anfangen“ wiederholte er.
Asger sah Bernhard an und schüttelte den Kopf „Hannes, was soll das? Hier ist der Plan. Von da nach da arbeiten wir“ dabei fuhr er mit dem Zeigefinger über die bunten Linien.
Hannes konnte und wollte sich jetzt nicht den Gegenwind von den beiden Männer antun. Er setzte sich auf den freien Stuhl neben dem großen Kopierer ohne noch ein Wort zu sagen.
Patricia stand noch am Tisch, sie schüttelte den Kopf und fuhr mit ihren Fingern immer wieder von den Nebenleitungen zur Hauptleitung hin „So! Und nicht andersrum! Papa, Asger, ich bin nur 6 Kilometer von dieser Linie nach rechts gefahren. Müll und Fäkalien wo ich auch hin sahen. Ich fuhr zurück zu Hannes an den Bagger und war nur am heulen. Ich hatte bis zum Bagger noch den Gestank in der Nase gehabt. Ich habe Menschen gesehen, die Krank sind! Papa, du weißt, dass ich viele medizinische Bücher zu Hause habe, was ich live gesehen, ist ein Dreck gegen mich.“
Asger sah Bernhard und Hannes irritiert an. Hannes schüttelte wortlos den Kopf um ihm zu signalisieren – ist alles gut.
„Wie stellt ihr euch dies vor? Bernhard!“

Bernhard sah zu Asger, dann zu seine Tochter und schließen zu Hannes „Asger, jetzt lass doch mal Hannes sagen was er vor hat.“ „Danke, Bernhard. Die Menschen sind krank durch Bakterien, durch den Müll und wahrscheinlich auch durch Mangelernährung. Ich bin kein Fachmann für solche Fragen. Nur weiß jeder, dass Bakterien, insbesondere Hepatitis-E durch Kot übertragen wird. Der Müll und die Fäkalien müssen weg!“
Asger lachte laut auf „Willst du ein Müllauto dort hinschicken?“ Sagte er spitz an Hannes gerichtet.
„Asger!“ Sagte Bernhard streng.
Hannes nickte „Ja! Ja, Asger, dass will ich!“ „Junge, bekommt dir die Hitze nicht?“ Bernhard sah streng zu Asger.
Hannes nahm leicht Luft und sah die beiden Männer an „Heute kam der neue Bagger. Ein 26 Tonnen Bagger. Mit dem Bagger kann man ein 5 Meter tiefes Loch graben. Müll rein und anzünden. Ist nicht die Umweltfreundlichste Methode, aber besser als nichts. Zur Zeit liegt der Müll links und rechst der Hütten, also auch nicht gerade Umweltfreundlich. Im Mittelalter gab es Latrinen. Wir verwenden die größeren Wasserleitungen als Kanal zu einer Latrine oder auch mehreren. Diese graben wir tief genug, damit beim Monsunregen genügend Wasser zur Verdünnung da ist. Die Fäkalien versickern in den Boden. Bei mir im Hunsrück gibt es heute noch Ortschaften mit Sickergruben. Ich weiß nicht ob hier in der Gegend überhaupt so etwas wie Klärwerke sind oder wo das Abwasser hingeht.“

Schweigen in der Runde.
Bernhard sprach als erstes „Wenn dies die Umstände für all diese kranken Menschen sind, bleiben wenig Alternativen. Wer soll diese Arbeiten bezahlen?“ „Du hast doch die Kontakte zur Weltbank.“ „Ja, Hannes, die habe ich. Nur ist die Weltbank nicht für humanitäre Hilfe ausgelegt. Wir tun zwar etwas für diese Humanität, aber wie Asger schon sagte: eben den anderen Weg. Dies ist unsere Aufgabe und keine Klärgruben zu graben.“

Patricia stand vom zweiten Schreibtisch auf und ging zur Tür. Die Männer sahen sie fragend an. „Ich geh mal telefonieren. Noch etwas: Hannes hat mit allem recht was er sagt, wir müssen an der Basis anfangen und nicht am Ende.“ Sie gab ihm einen Kuss „Du bist nicht dumm!“

Die nächste halbe Stunde verlief schweigend im Büro. Asger sah durch das Fenster nach draußen und Bernhard immer wieder auf die Karte auf dem Schreibtisch. Hannes verabschiedete sich und ging zu Patricia. Sie telefonierte auf englisch. Er wusste wer am anderen Ende der Leitung war. Da dieses Gespräch mit aller Wahrscheinlichkeit länger dauerte, ging er duschen.

Die Klimaanlage schaffte eine angenehme frische in dem Raum. Er lag auf dem Bett und dachte an Zombie Land. Es klopfte an der Tür. Durch leichtes nicken des Kopfes signalisierte Patricia, dass er zur Tür gehen sollte. Es konnten ja nur zwei Bekannte Personen sein, dafür reichte als Kleidung ein T-Shirt und Boxershorts.

Es war Asger, der vor der Tür stand „Tut mir leid was ich vorhin gesagt hatte“ und reichte Hannes seine rechte Bratpfanne. Hannes schlug ein. Diese Entschuldigung hatte Hannes ihm gar nicht zugetraut „Asger, ich weiß was du denkst, da kommt ein Grünschnabel die ersten paar Tage nach Kambodscha und macht eure Arbeit schlecht“ „Könnt ihr bitte vor der Tür weiter reden? Danke!“ „Ich hab nur Unterhosen an.“ „Wird dir schon niemand etwas wegschauen und jetzt raus!“

Asger verzog die Mundwinkel, als Hannes die Tür zu zog „Dicke Luft?“ „Nein! Patricia redet gerade mit jemand von der UN.“ Asger zog die Augenbrauen hoch.
„Jep.“ „Hannes, es macht durchaus Sinn, was du vorhin gesagt hast. Ich teile auch deine Meinung, nur sei doch ehrlich, es ist nicht unsere Aufgabe. Wir buddeln, vermessen und verlegen Rohre.“
Hannes legte den Kopf schief und schaute diesen Bär von Mann an „Würden wir dies im anderen Fall nicht auch machen?“
Asger schlug ihm seine Pranke gegen die rechte Schulter „Du gibst nie auf. Komm mit auf mein Zimmer, ich hab noch etwas Bier da. Erzähl mal von dem Bagger und was ihr in den Ortschaften erlebt habt.“

Nach zwei Bier und allen beantworteten Fragen von Asger ging Hannes zurück zu Patricia. Sie legte in dem Moment das Mobiltelefon auf den Tisch, als er die Tür öffnete.
„Und?“ „Morgen fahren wir nach Phnom Penh und holen Hattie ab. Sie muss das sehen. Sie wird auch eine Kamera mitbringen um Fotos zu machen.“ „Ich dachte, wir fahren am Mittwoch. Dann müssten wir doch sowieso zum Flughafen.“ „Asger und Papa sind auch noch da. Einer von denen kann doch fahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Büro in Kâmpóng Trâbêk keiner ein Auto hat, um eventuell zum Flugplatz zu fahren um die beiden abzuholen. Hattie kann auch eine Nacht hier bleiben und wir fahren am Mittwoch nach Phnom Penh zurück. Où est le problème?“„Okay. Kein Problem, Madame, kein Problem. Lass uns morgen früh losfahren, dann sind wir zügig in Phnom Penh. Ich habe kein Bock auf dreieinhalb Stunden Fahrt für 180 Kilometer.“ „Ich geh zu meinem Vater und sage ihm, was ich mit Hattie besprochen habe. Kommst du mit?“ „Nee, ich leg mich ins Bett. Was ich heute gesehen habe, war ein realer Alptraum.“

Patricia kam spät von ihrem Vater zurück. „Mon chérie, wann möchtest du losfahren?“ „Zwischen 5.30 und 6 Uhr.“
„Okay, gute Nacht mein Schatz.“

Im dunkel in Südostasien zu fahren, kann mitunter Lebensgefährlich sein. Die Straßen sind nicht immer in einem guten Zustand. Hinzu kommen die Vehikel, die wenig oder gar kein Licht haben. Es kann ein Lkw mit Vollgas und dem Schein einer Funzel entgegen kommen oder ein Mofa welches wie ein Kirmesplatz beleuchtet ist und gerade mal 25 km/h fährt.
Der Straßenverkehr ist wie ein Lotteriespiel, dass aber leider sehr viele Tote fordert.
Hannes hatte all seine Sinne zusammen um die gewünschte Geschwindigkeit auch ohne Schaden fahren zu können.

Teil II Kapitel 1 Willkommen im Mittelalter

Der reale Wahnsinn

Willkommen im Mittelalter

„Du redest über Anthropologie wie andere über das Wetter“

Phnom Penh, Pochentong International Airport
Dienstag, 9. Januar 1990, 16.23 Uhr

Am Flughafen wurde die kleine Gruppe bereits von einem Mitarbeiter von Bernhard erwartet.
Bernhard ging auf einen Hünen von Mann zu und begrüßt ihn herzlich. Der Hüne stellt sich als Asger Joergensen vor. Asger kam aus Dänemark und war Anfang 50. Er war der Inbegriff eines echten Wikingers: groß und kräftig – aber nicht dick. Schwarze halblange Haare, kurzgeschnittener Vollbart, Hände wie eine Bratpfanne und eine Schuhgröße die einem Ruderboot gleichkamen.
Asger war in einer khakibraunen langen Baumwollhose und weißen T-Shirt gekleidet.
„Du bist also die Tochter von unserem Chef“ sagte Asger und beugte sich mit seinen über 2 Meter zu Patricia „Schön dich in Natura zu sehen.“ Patricia schaute nach oben und bedankte sich bei ihm. Asger war gute 40 Zentimeter größer als sie. Patricia konnte locker in seinem Schatten laufen.
Der Bär von Mann reichte Hannes seine rechte Bratpfanne. Der Händedruck war erstaunlich sanft „Dann bist du Hannes, über den schon so vieles erzählt wird.“ „Der bin ich. Hallo Asger, ich hoffe, es wird nicht all zu viel schlechtes über mich erzählt.“ „Im Gegenteil, nur gutes. Nur gutes! Männer mit deiner Einstellung brauchen wir. Kommt, lasst uns fahren.“

Direkt am Eingang zum Terminal hatte Asger einen weißen Toyota Pickup geparkt und verstaute das Gepäck auf der Ladefläche.
Hannes klebte bereits sein T-Shirt von den paar Minuten ihrer Ankunft auf der Haut. Die Schwüle machte das atmen nicht leicht.

Vom Flughafen fuhr Asger über die N3 Richtung Phnom Penh Zentrum. Links und rechts der Straße wurde alles verkauft oder repariert was man sich nur vorstellen konnte. Stände aus Wellblech, Plastikplanen oder Stroh säumten den Weg. Dahinter standen Häuser aus oft gleichem Material oder aus Steinen gemauert. Das Bild der Häuser links und rechts der Straße war ein großes Durcheinander. Hütte, zweistöckiges Haus, Hütte, dreistöckiges Haus, dann mal wieder Hütten und ein Haus, ein Geschäft oder Bank und so weiter. Es gab gar keinerlei Richtung in Form, Höhe und Beschaffenheit der Häuser. Es wurde gebaut wie wahrscheinlich das Geld vorhanden war: mal einfach, protzig oder gewaltig. Ein sehr surreales Bild. Ein Luxusgebäude stand neben einer Wellblechhütte.

In der Ferne sah man Hochhäuser im Plattenbau Stil oder modern mit Glasfassade. Der erste Eindruck von Kambodscha konnten Hannes und Patricia in zwei Wörter zusammenfassen: Unorganisiertes Chaos

Der Verkehr durch Phnom Penh war ein Alptraum. Alles was irgendwie beweglich war, tummelte sich auf dem Asphalt. Nach über eineinhalb Stunden kamen die letzten Außenbezirke von Phnom Penh in Sicht.
„Noch knapp 90 Kilometer bis nach Kâmpóng Trâbêk. Könnten wir in eineinhalb Stunden schaffen“ auf den fragenden Blick von Hannes, sprach Asger weiter „Wir sind in Asien, da ist alles langsamer.“

Die N1 von Phnom Penh nach Neak Loeung führte am Mekong vorbei. Es war grandios wie einer der längsten Flüsse der Welt sich seinen Weg von Tibet bis zum Südchinesischen Meer bahnte. Oft sah man von dem einen Ufer nicht das andere. Niemand kennt die Quelle von dieser gewaltige Lebensader für Südostasien. Die Wassermassen konnten bei Hochwasser schon mal 15 Meter über dem normalen Pegel liegen. Die Kraft vom Mekong ist so gewaltig, dass sogar einer seiner Nebenflüsse, bei Hochwasser, die Fließrichtung ändern. Dieses Phänomen ist einzigartig auf der Welt. Hannes konnte sich an diesem Fluss gar nicht satt sehen.


Im Büro in Kâmpóng Trâbêk

In Kâmpóng Trâbêk fuhr Asger von der N1 rechts ab und nach drei Straßenblocks links rein. Auf der rechten Seite war ein großes dreistöckiges Gebäude, welches von einer Mauer umgeben war und eine Fläche aus Beton in der Größe von einem Fußballfeld hatte.
„Herzlich willkommen im der Zentrale von ODHI in Kambodscha“ sagte Asger als er vor das Gebäude fuhr.
„Wow“ sagte Patricia „damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“ „Es war früher ein Hotel gewesen. Das Gebäude stand durch die Rote Khmer lange leer. Jean hatte vor Jahren das Gebäude günstig gekauft und seitdem ist es unser Büro“ sagte Bernhard.
Hannes und Patricia folgen Asger und Bernhard in das Gebäude. Trotz dem kurzen Weg vom Auto in die klimatisierten Räume, klebte erneut das T-Shirt auf der Haut.

Nach der Eingangstür stand eine halbrunde Theke in dem Raum und da hinter waren drei Frauen mit Büroarbeiten beschäftigt. Eine Frau die an der Theke stand begrüßte die Gäste auf französisch und verbeugte sich nach asiatischer Art leicht nach vorne.

Eine der anderen Frauen kam auf Bernhard zu und überreichte ihn einen Ordner. Auf französisch sagte sie „Hallo Bernhard, hier sind die neuesten Bauprotokolle der letzten drei Wochen. Schön, dass du wieder da bist. Ist dies deine Tochter?“ Ohne auf die Antwort von Bernhard zu warten, reichte sie Patricia die Hand „Hallo, ich bin Ah Leang Mëy.“ Patricia reichte Ah Leang Mëy die Hand „Hallo Ah Leang Mëy. Ich bin Patricia.“ „Mëy ist ausreichend. Ihr Europäer habt mit unseren Namen so manche Probleme bei der Aussprache. Es ist schön dich endlich persönlich zu treffen. Dein Vater hat so viel von dir erzählt.“
Ah Leang Mëy drehte sich etwas und sah zu Hannes „Du bist dann der neue Mitarbeiter für Bauabschnitt 3. Schön dich persönlich zu treffen. Stephane hat schon einiges über dich berichtet.“ Hannes nickte „Bonjour Mëy. Je suis Hannes.“

Nach der Begrüßung ging Bernhard nach links den Gang herunter. An der zweiten Tür klopfte er an und trat einen Augenblick später in das Büro. Asger kam als letztes in den Raum und schloss die Tür. Eine Frau, die im gleichen Alter wie Bernhard sein konnte, kam um einen übergroßen Schreibtisch auf die Gruppe zu.
„Moien Bernhard, Moien Asger. Schéin Iech all erëm ze gesinn.“
Die Frau reichte Patricia die Hand „Moien Patricia, ech sinn d’Eliane Mayers, de Büro Managerin. Schéin dech ze gesinn.
Moien Hanes, schéi Iech ze gesinn. Et freet mech. Wëllkomm zu Kambodscha.“
Eliane musste nicht sagen, dass die aus Luxemburg kam, man hörte es sofort.
„Braucht ihr noch etwas an Hygieneartikel oder sonstigen Dingen? In Phnom Penh bekommt man vieles besser zu kaufen als in den anderen Städten.“
Patricia und Hannes zogen bei der Frage von Eliane gleichzeitig die Schultern hoch. „Ich verstehe. Kommt erst einmal an. Es muss nicht am ersten Tag an alles gedacht werden.“
Bernhard und Eliane besprachen die letzten Bauprotokolle. Da Hannes noch gar nicht wusste um was es überhaupt ging, hörte er nur mit einem Ohr zu.

„Kommt mit, ich zeige euch das Gebäude. Was die beiden besprechen, ist für dich jetzt noch nicht so wichtig“ sagte Asger zu Hannes und Patricia.
Mit Asger gingen sie den Flur weiter runter und er sagte in welchem Raum wer arbeitet oder für was welcher Raum war.
Am Ende von dem Flur war eine Glastür die in einen weiten Anbau von dem Gebäude führte.
„Hier sind 16 kleinere Appartement für die Mitarbeiter. Wenn wir die rechte Treppe hoch gehen, kommen noch weitere Appartements. Noch sind nicht alle Bauarbeiten abgeschlossen. Geplant sind in den oberen Stockwerke größere Apartments. Aus ursprünglich 18 Zimmern wurden 6 Apartments. Das gleiche ist auch im dritten Stockwerk.“ „Das hier ist ein recht großes Gebäude für so wenig Leute“ sagte Hannes und Asger nickte.
„Stimmt. Im Erdgeschoss sind die Büros. Noch ist viel Platz im Haus, wird aber über längere Zeit voll werden. ODHI wird wachsen und dann könnte es eng werden. Phnom Penh ist sehr zentral und daher ist es auch sinnvoll das Büro hier in Kâmpóng Trâbêk zu haben. Für uns ist es blöd, da wir mit unserem Bauabschnitt am weitesten weg seid.“ „Du willst mir jetzt doch nicht sagen, dass du alle paar Tage nach Phnom Penh ins Büro fährst?“ „Gott bewahre! Nein! Wir habe bei uns im Hotel im Svay Rieng ein kleines Büro.“

Im Neak Loeang Commune Market

Nach dem Rundgang und dem Gespräch mit Eliane ging die Fahrt endlich weiter in Richtung Svay Rieng. In Phumi Banam fuhr Asger zum Neak Loeang Commune Market.
„Falls ihr noch etwas braucht, hier können wir noch einiges einkaufen. Hier ist es billiger als in den großen Mals in Phnom Penh oder den anderen Städten.“

DerNeak Loeang Commune Market war im Grunde ein große Lagerhalle mit drei Rolltoren und Blechregale. Hygieneartikel, Lebensmittel und Getränke konnte man für wenig Geld kaufen. Auf alle Waren war ein leichter Staubfilm zu sehen. Asger und Bernhard kaufen was sie brauchen oder in Svay Rieng fehlte. Patricia und Hannes sahen sich die Ware an und kaufen einiges an Hygieneartikel. Der Rest würde entweder fehlen oder man kaufte es in Svay Rieng.

Nach gut 20 Minuten war der Einkauf vollbracht und die Fahrt ging auf der N1 weiter Richtung Osten. Es waren noch knappe 80 Kilometer bis Svay Rieng.
Von Ochsenkarren, knatterten Mopeds, über völlig veraltete Traktoren aus der UdSSR bis hin zu alten Lkw aus Korea und Ostdeutschland oder Japan fuhr alles auf der N1.
Die Bilder die Hannes sah, konnte er mit nichts vergleichen, was er bis dahin gesehen hatte. Alles war alt, irgendwie zusammen gebastelt, geflickt oder geschweißt.


Ein Hotel mit Amboss Flair

Asger fuhr in Svay Rieng von der N1 links ab. Die Straße war nur noch halb so breit. Nach einem halben Kilometer fuhrt er rechts auf eine Betonpiste und nach 300 Meter war das Hotel auf der rechten Seite. Es war ein dreistöckiger grauer Plattenbau. Überall sah man den Kommunistischen Eingriff von China und der UdSSR.

Das Hotel hatte innen den gleichen Flair wie außen – kalt, grau und spartanisch. Mit Landschaftsfotos von 40×60 Zentimeter wurde in der Halle versucht, etwas Pepp in dieses Gebäude zu bekommen. Auch standen große Palmen in Plastikkübel in der Halle. Die 10 Sitzecken in der Halle erinnerten mehr an einen Bahnhof als ein Hotel. Die Rezeption war eine lange Theke in funierten Holz. So ähnlich muss es im SED Parteibüro ausgesehen habe, dachte Hannes.

Als Patricia und Hannes ihr Zimmer betreten, mussten sie erst einmal tief Luft holen. Es war ein dumpfer, modriger Geruch im Raum. Ein hellbraunes Bett, zwei Stühle, Tisch, Schrank und Kommode in gleicher Farbe war das Interieur von dem Zimmer. Ein vergilbtes Bild mit einer Landschaft aus Kanada hing an der Wand.

Patricia drehte sich zu Hannes und nahm ihn in die Arme „Mit etwas Aufwand bekommen wir das schon in den Griff“ sagte sie und gab ihm einen Kuss. „Mon chérie. Es ist nicht das was wir kennen, aber wir machen das beste daraus. Du bist bei mir und dass ist wichtig. Den Rest schaffen wir auch noch.“
Hannes nickte „Ich hatte dich vor sechs Monaten nie so eingeschätzt. Ich dachte immer, du bist Luxus gewöhnt und kennst nichts anderes.“ „Luxus? Was ist Luxus? Luxus ist, dass ich noch Lebe! Luxus ist, ein Mann an der Seite zu haben der mir Liebe schenkt. Alles andere sind nur materielle Dinge. Ich wage einen Blick ins Bad. Ich möchte duschen und dann schlafen.“

Das Bad war wie zu erwarten: trist, klein und geputzt. Sauber war etwas anderes. Es sollte für diesen Tag völlig ausreichend sein.
Auf dem Bett hielt Hannes Patricia fest im Arm. Die Klimaanlage ermöglichte eine angenehme Raumtemperatur und so schliefen beide kurze Zeit später ein.

Der erste Tag in Kambodscha hatte so viele krasse Eindrücke hinterlassen, dass es Hannes schwer fiel diese Bilder einzuordnen. Es war eine Mischung aus Chaos, Zerfall, Aufbau und Mittelalter. Ja, er hatte sich in der Schule für Außenpolitik interessiert und wie wichtig und nützlich diese sei. Nun war er in einem Land, welches sehr vom Kommunismus und Maoismus geprägt war und von vielen Staaten Hilfe verweigert bekam.


Mittwoch 10. Januar 1990

Beim Frühstück fragte Bernhard wie sie denn geschlafen hätten und ob das Zimmer in Ordnung gewesen sei? Nach dem Trip von Paris über Bangkok nach Phnom Penh und weiter nach Svay Rieng war schlafen in der Horizontale schon die reinste Erholung. Das Zimmer könnte man mit etwas Arbeit herrichten, sagte Patricia ihrem Vater.

Hannes fragte, ob er einen der drei Pickup’s bekommen könnte, Patricia möchte das Zimmer richtig sauber machen und bräuchte verschiedene Reinigungsmittel.
Mit dem Auto fuhren sie durch die Straßen von Svay Rieng. Zwar wurde links und rechts der Straße alles mögliche verkauft, aber nicht das, was Patricia suchte. Auf der linken Seite der N1 sah Hannes nach einigen hundert Meter ein Commune Markt. Ähnlich wie der in Neak Loeang.

„Djųmriab-sua“ sagten Patricia und Hannes beim betreten des Marktes. Wie beschreibt man Durcheinander und Chaos gepaart mit Staub und Dreck in einem Haus, welches aus Wellblech, Steinen und Plastikfolie bestand? Wenigstens gab es dort die Ware die Patricia suchte zu kaufen.


In der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule in Svay Rieng

Beim zurück fahren ins Hotel sah Patricia eine Schule, die Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule.
„Schatz, fahr hier bitte rein. Ich denke, dass ich hier Arbeit bekommen könnte.“

Hannes fuhr auf den Sandplatz von dem flachen grauen Plattenbau. Es dauerte einige Zeit, bis Patricia jemand fand, der Auskunft über ihr Anliegen geben konnte. Im verstaubten, mit Blechinterieur eingerichteten Büro vom Schulleiter, erklärte Patricia auf französisch und khmer, was sie vor hatte und wie sie helfen möchte.
„Lehrer werden immer gebraucht“ sagte ihr der kleine schmale Schulleiter, den Hannes auf etwas über 50 Jahre schätzte.
„Auf dem Land ist die Situation sehr dramatischer, da oft nur ein Lehrer für 40 Kinder an eine Schule ist. In manchen Regionen ist die Situation so schlecht, dass es gar keine Schulen mehr gibt. Ich bin dankbar für die Unterstützung von dir. Du bist jung und offensichtlich auch sehr motiviert. Trotzdem sollte du dir überlegen, ob du nicht besser auf dem Land deine Hilfe eingesetzt könntest.“ „Wie? Ich bin erst seit einem Tag in Kambodscha.“ „Fahr nach Phnom Penh. Dort ist das Documentation Center of Cambodia. Stell dich dort vor. Dies ist ein privat geführtes Center und setzte sich seit einigen Jahren für die Aufarbeitung des Bürgerkriegs ein und hat auch einen Schwerpunkt auf der Bildung. Die können dir bestimmt weiterhelfen.“
Patricia sah den Schulleiter resigniert an. „Sei nicht mutlos. Wir brauchen Lehrer und davon viele und am besten schon seit gestern. Du bist eine kluge junge Frau und ich sehe deinen Ehrgeiz in deinen schönen Augen. Komm morgen früh vorbei und ich gebe dir ein Empfehlungsschreiben mit. Ist dies ein Wort?“
Patricia nickte und bedankte sich für dieses Gespräch und Informationen.
Hannes und Patricia verabschiedeten sich von dem Schulleiter.

„Sag mal, woher kannst du so viel khmer?“ „In der Zeit die du mit Claude Billard spielen und Bier trinken warst, habe ich gelernt“ sie knuffte ihn gegen den Arm.

Zurück im Hotel, saß Asger und Bernhard in dem kleinen Büro im ersten Stock und hatten einen Berg an Unterlagen vor sich. Vermessungspläne mit Querschnitten vom Gelände in Höhenangaben, geographische Pläne und Baupläne von kleinen Gebäude. Hannes schaute kurz auf diese Pläne und fragte, wie den die Höhenunterschiede der Wasserleitungen ausgeglichen würden. „Du kannst solche Pläne lesen?“ Fragte Bernhard erstaunt.
„Natürlich, ich hatte dies in der Berufsschule gelernt. Sollte ich als Spezial-Tiefbau-Facharbeiter schon können.“ „Macht nun einiges leichter“ sagte Asger und lächelte.
Hannes erzählte den beiden, dass sein Vater Baumaschinenschlosser und Mechaniker sei, und er in dieser Baufirma gelernt hatte, in der sein Vater arbeitet. Es wurde von seinem Chef vorausgesetzt, dass er, als Sohn, all diese Geräte fahren und bedienen konnte.
„Sehr gut, macht einiges leichter“ kam es nochmal von Asger. „Was kannst du fahren?“ „Bagger, Raupe, Walze, Radlader, Straßenfertiger… Eigentlich alles was ein Motor hat.“ „Perfekt! Nun können wir endlich schneller arbeiten“ sagte Asger zu Bernhard. Hannes sah etwas verwirrt zwischen beiden hin und her.

Patricia wollte nun auch endlich zu Wort kommen und erzählte von dem Treffen mit dem Schulleiter der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule und den Vorschlag das Documentation Center of Cambodia in Phnom Penh zu kontaktieren. „So ist meine Tochter, immer gleich und sofort. Ich wäre morgen sowieso mit dir nach Phnom Penh zum MoSAY, dem kambodschanischen Sozialministerium, gefahren um abzuklären, in wieweit Hilfe Koordiniert und bezahlt wird. Auch haben wir morgen noch einen Termin im Büro der UN. UNICEF ist an eurem Engagement interessiert.“
Patricia schaute ihren Vater mit großen Augen an „Warum sagst du mir das erst jetzt?“ „Zum einen bist du heute früh gleich abgedampft um Reinigungsmittel zu kaufen, zum anderen weiß ich über die Zusage von der UN auch erst seit zweieinhalb Stunde. Das Fax kam nicht nach Frankreich, sondern lag hier im Hotel in meiner Ablage. Mit dem MoSAY tu‘ ich mit etwas schwer, da die Korruption in Kambodscha sehr hoch ist, weiß ich nicht, in wieweit dies ein guter Arbeitgeber für dich sein könnte. Von dem Documentation Center of Cambodia habe ich kein Kenntnis.“
Hannes meldete sich zu Wort „Bernhard, du sagtest eben „eurem“ Engagement, mich betrifft dies nicht. Patricia will Kinder unterrich…“ „Was ist dein Traum? Was hast du mir im Garten über Bildung gesagt? Wer hat in Reims vom durchbrechen der Spirale gegen Armut gesprochen? Hannes, wenn ich euch sage, dann meine ich dies auch so!“ „Bernhard…“ Hannes sah hilfesuchend zu Patricia „Ich kann dies nicht. Ich bin kein Lehrer. Ich bin nicht klug und habe schon gar…“ „Kein Abitur. Ja, wissen wir mittlerweile alle. Mon chérie, ich sagte dir schon einmal, eine Zahl auf einem Stück Papier beurteilt keinen Menschen nach dem was er kann und fähig ist zu leisten. Gut, dann geh‘ ich jetzt unser Zimmer putzen.“
Patricia gab ihm einen Kuss, wuschelte seine Haare und marschierte mit Waschmittel bepackt aus dem kleinen Büro.


Die Anthropologie sitzt im Schatten mit einer Wollmütze

Die drei Männer fuhren zu der Baustelle, um den Fortbestand der Arbeit zu begutachten. Hannes saß auf der Rückbank und genoss die kühle Luft der Klimaanlage im Auto. Sein Hirn machte mal wieder eine Achterbahnfahrt. Für Bernhard schienen die vorhin gesprochene Worte selbstverständlich zu sein. Er wollte jetzt dazu nicht sagen oder traute sich nicht es noch einmal anzusprechen.

Asger fuhr aus Svay Rieng in Richtung Süden raus. Nach ca. 10 Kilometer endete der Asphalt der Straße 334 und der Pickup fuhr über Lehmpisten ins nirgendwo. Vorbei an Mais- und Zuckerrohrfelder bog Asger irgendwann rechts ab. Die Piste war so schlecht, dass der Allrad angetriebene Toyota oft mit dem Bodenblech aufsetzte. Nach 15 Minuten fahrt auf dieser Folterpiste war der Pickup am Ziel.

Als Hannes aus dem Auto stieg, kam ihm diese wahnsinnige Schwüle wie ein Hammerschlag ins Gesicht.
Eine Handvoll Arbeiter waren mit langärmligen Hemden und Wollmütze an dem kleinen Pumpenhaus am arbeiten. Ein sechs Jahre alter 16 Tonnen Caterpillar 215 Kettenbagger war auf der Baustelle vorhanden. Der Baggerfahrer hob einen Graben von etwa 2 Meter Tiefe und 1,50 Meter Breite, auf einer Länge von 20 Meter aus.
Hannes sah die Sohle von dem Graben und verdrehte die Augen „Schaut euch mal diese Sohle an. Das ist eine Berg- und Talbahn – aber kein Graben. Da sollen zwei Hauptwasserleitungen vernünftig verlegt werden?“ „Die können es nicht besser“ sagte Asger.
Hannes schüttelte den Kopf „Mit dem 60 Zentimeter breiten Löffel dauert dies ja ewig, bis der Graben ausgehoben ist.“ „Bestellt ist das schon lange. Leider sind zuviele Schreibtische dazwischen.“ sagte Bernhard und zog die Schultern hoch.
„Okay. Auch mit einem 60 Zentimeter breiten Baggerlöffel kann man eine vernünftige Sohle baggern.“ „Die können es nicht besser“ wiederholte Asger.
„Asger, dies sagtest du bereits. Dann sollte man es dem Baggerfahrer doch sagen oder zeigen.“ „Dann mach. Du sagtest, du kannst Bagger fahren. Dann fahr du.“
Hannes sah den Bär von Mann an und wusste nicht was er sagen sollte.
„Dann zeig dein Können, oder hast du es nur gesagt?“ Forderte Asger ihn heraus.
Hannes ging zu dem Baggerfahrer und sagte ihm, dass er den Bagger fahren möchte. Der Fahrer kam Barfuss über die Kette herunter und war etwas irritiert, dass ein Europäer seinen Bagger fahren wollte.

Hannes musste sich erst mit den Hebel der Hydraulik vertraut machen. Es gibt bei den Herrsteller von Baumaschinen keine verbindliche Steuerung der Hydraulik. In Deutschland fuhr er öfter einen Liebherr Bagger, dieser hatte die Steuerung fast gleich wie der Caterpillar, lediglich das öffnen und schließen vom Baggerlöffel war ein anderer Hebel. Nach ein paar Minuten wusste er, wie die Steuerung funktionierte. Mit dem Kettenfahrwerk fuhr er über den Graben bis zum Pumpenhaus. Asger nivellierte die Tiefe vom Pumpenhaus zum Graben.
„Passt fast. Der Graben muss 10 Zentimeter tiefer. Das Fundament von dem Pumpenhaus ist bei 2,30 Meter Tiefe. Der Ausgang bei 2 Meter. Da müssten auch die zwei Wasserleitungen hin. Bei einem Wassersruck von fast 4 Bar am Ausgang der Pumpe, sollten die Rohre schon dort liegen.“

Hannes fing an zu baggern und zog eine vernüntige Sohle. Natürlich war er sich vom Augenmaß unsicher und bat Asger, vielleicht etwas zu oft, die Tiefe zu messen. In dem fast 30 Meter lagen Graben lag nun eine ordentliche Sohle.
Hannes zeigte dem Baggerfahrer nun, wie er die Baumaschine bedienen sollte und wie die Tiefe von dem Graben in regelmäßigem Abstand gemessen wurde. Wenn beim baggern große Steine kämen, sollte er diese weiter von dem anderen Grund legen.
Mit drei Helfer rollte Asger nun die je 8 Meter langen 24 Zoll PVC Wasserrohre in den Graben.
Bernhard wollte die Rohre einen Meter in das Bauwerk haben „So haben wir immer genügend Spielraum für die Pumpen. Lieber 20 Zentimeter vom Rohr abschneiden, als 2 Zentimeter zu kurz.“ „Ich habe für die nächsten Rohre zu verlegen keinen Widerstand. Ich mache auf die Rohre nun Sand und Erde drauf“ sagte Hannes.
Auf einer Länge von 5 Meter schaufelte er die Rohre zu.
Die Arbeiter brachten die nächsten beide Rohre. Hannes zeigte den Bauarbeiter, wie diese Rohre mit einer Spezialpaste an der Muffe richtig eingerieben wurden, dann kamen die anderen PVC Rohr an die Muffe, mit einer langen Eisenstange drückten sie mit 2 Männer die Rohre zusammen. Gleiches mit den anderen Rohr rechts daneben. Mit dem Baggerlöffel ließ er drei Mal Erde auf die Rohre fallen und verteilte diese während er den Baggerlöffel leerte. Auf einer Länge von 3 Meter lag nun Sand und Erde damit die Wasserleitungen beim zuschütten nicht verrutschen konnen. Immer hörte er von den Bauarbeiter
„Tsssss, tsssss, tsssss.“
Was die Männer ihm damit sagen wollten, wollte er nicht fragen. Könnte heißen: Oh,- so haben wir dies noch nie gemacht. Ist ja wunderbar, geht so viel einfacher, oder sieh mal an, so ist die Wasserleitung auch dicht.
Tsssss, tsssss, tsssss, war im doch etwas unsicher, also den Graben um weitere 25 Meter ausheben. Die Bauarbeiter rollen wieder PVC Rohre in den Graben. Gleiche Arbeit wie zuvor auch. Die nächsten beiden Rohre kamen in den Graben. Nun sollte Asger ein Kantholz hochkant an die Rohre stellen. Hannes drückte mit dem Baggerlöffel leicht dagegen. Nun hatte er die Sicherheit, dass die Rohre fest mit einander verbunden waren.
„Tsssss, tsssss, tsssss.“ „So wird es richtig gemacht. Ich möchte nicht wissen, wie die schon verlegten Leitungen in der Erde liegen. Was ist mit, tsssss, tsssss, tsssss gemeint?“ „Irgendwie alles. Die Kambodschaner benutzen dies ständig. Siehst du Hannes, dies ist Asien, wir könnten mit allem viel schneller sein, wenn bei den Arbeiter eine Motivation dahinter stehen würde und sie auch wüssten, was sie arbeiten.“ „Dann müsst ihr denen dies zeigen.“ „Ich kann kein Bagger fahren – du schon.“ „Ich bin ja jetzt da. Wie kann man bei dieser Hitze eine Wollmütze tragen?“
„Soll angeblich vor der Hitze schützen. Ich werde definitiv bei dieser Hitze keine Wollmütze aufsetzen“ gab Asger als Antwort.


Ein Wasserbau Projekt von über 180 Kilometer Hauptwasserleitung

„Wie groß ist der Abschnitt überhaupt, der hier gemacht werden soll?“
Bernhard zeigte auf den Plan „Der Beginn ist in Cău Strung Melch. Dort ist ein Nebenfluss vom Mekong und wir haben das erste große Pumpenhaus fertig. Ab da geht die Wasserleitung bis zur Stadt Bavet Leu, an die Grenze zu Vietnam. Die Hauptstrecke sind fast 170 Kilometer lang. Dann kommen noch die ganzen Pumpen dazwischen und von dort links und rechts der Hauptleitung noch mal 20 bis 30 Kilometer in die Dörfer. Unser Projekt ist das komplette Gebiet südöstlich von der N1, vom Mekong bis nach Vietnam ist dies sehr trocken. Landwirtschaft ist nur mit Pflanzen möglich, die kaum Wasser brauchen und der Mensch braucht schließlich auch Wasser. Also ein Projekt das noch lange braucht. Du siehst die Geschwindigkeit der Arbeiter. Eigentlich wollten wir in drei Monaten die Ortschaft südlich von hier verbinden. Ich bin am Abschnitt 1, bei dem großen Pumpenhaus mit 20 Bauarbeiter und 4 Leute von unserer Firma. Eliane Mayers ist die Chefin für das ganze Projekt. Roman Welter ist Hochbauarchitekt und kümmert sich zur Zeit um den Tiefbau in meinem Bauabschnitt. Beide kommen aus Luxemburg. Ferdinand Gerber und Jonathan Pilcher kommen aus Österreich. Beide sind Hochbauer. Sie kamen drei Tage vor uns an. Bei Kor An Doeuk beginnt Abschnitt 2. Da ist der Leiter ein Belgier, Arthur Vermeulen – auch Architekt. Er hat 15 Bauarbeiter aus Kambodscha, zwei Belgische Tiefbauer und einen Engländer in seinem Team. Asger ist Abschnitt 3. Cees de Groot kommt aus den Niederlanden und Luan Bernasconi aus der Schweiz. Sie kommt erst in den nächsten Tagen in Phnom Penh an. Cees und Luan sind gute Handwerker für Hoch- und Tiefbau. Das ist unser kleines Team. Du kannst hier bei Asger bleiben. Ihr habt ja immerhin das größte Gebiet, oder willst du mit zu mir an Abschnitt 1 kommen?“ „Nee, Hannes ist cool, der bleibt bei mir“ wurde von Asger beschlossen.
„Lasst und noch von dem Pumpenhaus die nächsten 500 Meter Graben vermessen. Mit drei Mann sind wir schnell durch damit. Weißt du wie das geht?“
Hannes nickte Bernhard zu „Ja, ich hab dies in der Ausbildung gelernt. Wer macht den Vorblick? Wo kommt der Wechselpunkt hin und wer ist der Rückblick? Wo ist der erste Punkt und wo willst du hin?“
Asger nickte anerkennend „Dein Schwiegersohn weiß wie es geht!“

Asger entfaltete den Plan für diesen Abschnitt und erklärt, wo die Wasserleitungen verlegt werden. Bernhard ging zu der eben verlegten Wasserleitung um den Ausgangspunkt zu markieren. Asger machte sich mit dem Nivelliergerät und Hannes auf den Weg nach Osten. Nach guten 250 Meter baute er das Nivelliergerät auf. Hannes ging in die ihm gesagte Richtung nochmals 250 Meter nach Osten. Nun musste er 50 Meter nach links gehen, damit Asger den Schlusspunkt für diese 500 Meter setzten konnte. In der Messklatte wurden die Höhen von den Punkt dokumentieren. Da nun die Höhenmeter bekannt waren, fing Hannes an den Weg zurück in Richtung Asger mit Holzpfosten zu markieren und alle 50 Meter wurde eine neue Höhenangabe auf die Messklatte und Holzpfosten geschrieben. In Richtung Bernhard wurde das gleiche gemacht. Nur mit der Vermerkung „Rückblick“. Schnell war die Strecke vermessen und abgesteckt. So hatten die paar Bauarbeiter für die nächste Zeit ihre Arbeit.


Von Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht

Der Pickup holperte den Pfad zurück in Richtung der 334. Hannes saß auf der Rückbank. Ihn beschäftigten einige Gedanken „Ich verstehe die Arbeiter nicht. Es ist doch zu ihrem Wohl das Wasser verlegt wird. Es ist doch ihr Lebensstandard der dadurch erhöht wird.“
„So denkst du, Bernhard und ich. Nur was willst du tun, wenn bei denen die Motivation fehlt? Mit der Peitsche sie antreiben? Es ist eine andere Kultur! Hannes, was waren wir in Mitteleuropa für eine Kultur vor – ich sag mal, 3000 Jahren?“
„Asger, wenn du so weit zurück gehst, würde ich sagen, unsere Kultur hat sich, bis zu deiner genannten Zahl, vom Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht gewandelt. Wir wurden sesshaft und haben die Gebiete erschlossen, in denen wir lebten. So hatte Europa schon in der Antike angefangen sich zu entwickeln. Brücken, Staudämme, Straßen, Burgen und Festungen wurden gebaut. Auch die Kraft von Wasser und Wind wurde schon sehr früh genutzt. Ist das so in etwa was du hören wolltest?“
Asger nickte nach rechts über die Schulter und sah Hannes kurz an, bevor er wieder den Blick auf die Piste richtete.
„Ist es! Mit deinen 20 Jahren, hast du eine sehr gute geschichtliche Kenntnis. Ich denke dann muss ich dir auch die Kultur in Südostasien nicht erklären – du weißt es.“ „Danke. Jäger und Sammler, würde ich sagen. Sie jagen heute und haben für die nächste Zeit ausgesorgt. Sammeln das was sie heute und morgen brauchen und setzten sich dann mit Wollmützen in den Schatten. Die kontinuierliche Arbeit und Fürsorge für Tiere fehlt hier. So ist es auch mit der Landwirtschaft. Es müssen Vorbereitungen gemacht werden um etwas zu Ernten. Ich sehe links und rechts doch Felder, auch sie haben Vieh. Also wissen sie doch wie es geht. Ganz verstehen kann ich es immer noch nicht. Sie haben doch Häuser und eine Infrastruktur über Jahrhunderte aufgebaut. Immerhin war Angkor vor tausend Jahren die größte Stadt der Welt. Da hat es New York noch nicht gegeben. Die Khmer hatten eine Hochkultur welche in Südostasien ziemlich einmalig war.“
Bernhard drehte sich vom Beifahrersitz zu ihm um „Bis du sicher das du nicht besser Anthropologie und Ethnologie studieren würdest?“„Entschuldigung, ich wollte euch nicht mit meinen Gedanken zutexten.“ „Ist alles gut! Du hast einen wirklich brillanten Verstand. Du machst dich nur selbst immer so klein. Ich erinnere mich, als wir nach Reims gefahren sind und du so vieles über die Maginot-Linie und Verdun wusstest. Die Gespräche mit dir sind eine Wohltat für jede Unterhaltung.“ „Merci beaucoup.“

Ein Hotelzimmer wird wohnlich

Am Spätnachmittag waren die drei Männer im Hotel angekommen. Patricia hatte das Zimmer geputzt wie es wahrscheinlich noch nie geputzt wurde. Es roch viel besser und alles sah sehr ordentlich aus.
Auch das Bad hatte eine komplette Grundreinigung erhalten.
„Salut Prinzessin, das Zimmer ist gar nicht mehr wieder zu erkennen! Sieht sehr gut aus. Wo kommen die neuen Decken und Fotos her?“ „Merci. Ich hab mir ein Motorrad geborgt und bin in der Stadt herum gefahren. Ich habe sogar ein großes Kaufhaus gefunden. Groß das Gebäude und – na ja, der Warenbestand zeigt die sehr große Not in dem Land. Ich wollte neue Bettwäsche haben. Ich weiß nicht wer vor uns in dem Bett geschlafen hatte. War gar nicht so einfach die hier zu kaufen. Was bei uns ein ganz normaler Zustand ist, ist hier eine Herausforderung.“

Es klopfte an der Zimmertür. Bernhard trat ein und bedankte sich für das überaus saubere und geputzte Zimmer von ihm. „Gerne doch. Mon cher père. Ich wollte bei Asger nicht einfach so ins Zimmer gehen. Ich kann ihn aber gerne mal fragen.“ Bernhard setzte sich an den kleinen Tisch, er wollte etwas sagen. Hannes rechnete schon mit dem Schlimmsten.
„Ich habe mir vorhin deine Gedanken, die du auf dem Rückweg sagtest, mal durch den Kopf gehen lassen. Du hast unglaublich viele und gute Ansätze gesagt“ Patricia saß auf dem Bett und hörte zu, was ihr Vater zu ihm sagte. „Gerade was die Anthropologie betrifft könntet ihr beide mit euren Ideen neue Wege finden für eben die fehlende Motivation der Menschen hier.“
Patricia sah Hannes mit großen Augen an „Papa, hab ich irgendwas verpasst?“
Bernhard nickte seiner Tochter zu „Vielleicht. Auch wenn Hannes oft sagt, er sei der Klassenkasper gewesen, hat er ein großes Allgemeinwissen und macht sich über Anthropologie und Ethnologie sehr viele Gedanken. Wir können und wollen anderen Kulturen nicht mit Gewalt unsere Kultur aufzwingen. Dies hat bei den Kreuzzügen schon nicht funktioniert. Wir könnten aber einen kleinen Motivationsschub erreichen.“ „Bernhard, wie soll dies geschehen? Es sind doch nur meine Gedanken gewesen. Hätte ich eine Lösung, wäre mir ein Nobelpreis sicher.“ „Dafür bin ich jetzt hier. Patricia möchte deinen Traum von Bildung an Kinder umsetzen, dies gepaart mit Motivation, Kontinuität und Verantwortung der Menschen in diesem Gebiet, wäre Kambodscha – vielleicht auch Südostasien, nicht mehr zu abhängig von Ausländischer Hilfe. Mir ist bewusst, dass so etwas nicht in einem viertel Jahr geschehen kann, aber auf längere Sicht“ er sah Hannes und Patricia an „macht euch mal Gedanken darüber.“

Patricia lag rechts von ihm im Bett und kraulte seine Haare „Anthropologie und Ethnologie? Sag mal, über was redest du wenn ich nicht dabei bin? Ich weiß, dass du permanent am denken bist. Bin nicht ich es oder unser Haus, ist es offenbar die Anthropologie. Dein Hirn muss doch permanent Dauerbelastung laufen. Wir kennen uns nun über sechs Monat, bald sind es sieben, ich habe selten erlebt, dass du einfach mal an nichts gedacht, oder dir über etwas Sorgen gemacht hast.“
Hannes sah sie traurig an „Du hast ja recht. Mir ist vieles zu schnell. In den letzten sechs Monaten hab‘ ich mit dir mehr erlebt, als manche in ihrem Leben nie erreichen oder erleben werden.“
Patricia schüttelte den Kopf „Chérie, es war kein Vorwurf gegen dich. Im Gegenteil. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so viel am denken ist wie du. Selbst beim schlafen kannst du nicht abschalten.“ „Ist dies so?“
Patricia nickte „Ja. Wie ich schon am Flugplatz gesagt habe, wünschte ich mir, in dein Gehirn zu schauen.“ „Naja, was ich jetzt denke, kann ich dir sagen. Niemals dachte ich nach Kambodscha zu gehen. Da bin ich nun. Ich dachte, ich mache hier den Handlanger. Nun bekomme ich Pläne von Bauabschnitten gezeigt und erklärt. Ich werde gefragt und gebe Antworten, bei denen andere Leute sich darüber Gedanken machen. Mein Traum an Bildung für Kinder wurde ganz offensichtlich an die UN weitergetragen. Patricia, diese Geschwindigkeit ist atemberaubend und ich habe Angst das ich falle.“
Patricia gab ihm einen Kuss „Du fällst nicht. Du nicht! Dein ganzes Handeln ist so aufgebaut. Selbst wenn du fällst, stehst du sofort wieder auf. Du bleibst nicht liegen. Ich bewundere dich sehr dafür. Du sagst, du bist nicht schön, nicht klug und nicht reich. Dies ist völliger Unsinn! Du redest über Anthropologie wie andere über das Wetter und du sprichst tagelang mit Peter über Themen, die ich in der Schule auf auf ein paar Seiten gelesen habe. Ich liebe dich, so wie du bist und Reichtum an materiellen Dingen, kann morgen schon vorbei sein. Reich an Liebe, Charakter und Verstand bleiben immer. Ich mag deine Grübchen beim lachen, deine blauen Augen wenn sie strahlen, die Fürsorge mir gegenüber und deinen Charakter. All dies hebt dich von 5 Milliarden Menschen ab.“


Außenpolitik in einer Hotellobby

Am Abend saß die kleine Gruppe bei Wasser, Softdrinks und Bier in der kleinen Halle vom Hotel und hatten endlich mal die Zeit, sich richtig kennen zu lernen.
Asger erzählte viel von sich. Er sei 20 Jahre auf einem Frachter auf großer Fahrt gewesen und hatte irgendwann das Seeleben satt. Hannes war seit einigen Jahre von den Legendären P-Flyer, der Hamburger Reederei F. Laeisz fasziniert, so waren sehr schöne Gespräch über die Peking, Padua, Pamir und natürlich der Preussen entstanden. Patricia und Bernhard wussten nicht im Ansatz um was es ging. Asger war ein sehr angenehmer Mann. Von seiner Art, die Ruhe wie er etwas erklärte und seine Ausstrahlung erinnerte er ihn an seinen Vater. Hier in Kambodscha hatte Hannes einen Vaterersatz gefunden und die nächsten Monate würden dann nicht ganz so schlimm werden.

Später am Abend wurde Asger dann doch sehr persönlich „Ich hatte vor Jahren eine Thailänderin kennengelernt. Wir haben geheiratet und ein paar Jahre später einen Sohn bekommen. Es war alles super. Urlaub in Thailand gemacht und zwei Jahre nach der Hochzeit hatte ich ihr ein Haus in Thailand gebaut. Es sollte mal als Alterssitz gedacht sein. Dann gab es immer mehr Konflikte in der Ehe und irgendwann konnte und wollte ich nicht mehr. Mein Verdienst war ihr auf einmal nicht mehr genug, obwohl sie alles an Wünschen von mir bekommen hatte. Ich sagte nie Nein und trotzdem war es nicht genug. Dann begann ein Scheidungskrieg und ich ging weg. Ich flog nach Thailand in mein Haus und suchte mir Arbeit. Über viele Umwege kam ich dann zu ODHI und so bin ich in Asien geblieben. Zwei Jahre später schenkte ich meiner Frau unser Haus und ich kaufte mir ein eigenes Haus in einem Village in Chon Buri. Die Stadt ist nicht weit von Bangkok weg, liegt am Meer und das Village ist abgesichert. Wenn ich zwei oder drei Monate hier in Kambodscha bin, weiß ich, dass mein Haus bewacht und gesichert ist.“ „Du gehst gar nicht mehr nach Europa?“ Fragte Patricia erstaunt.
„Was soll ich dort? Patricia, ich bin nun seit sieben Jahren in Thailand, bzw. Kambodscha. Was fehlt mir den hier? Ich arbeite seit vier Jahren in Kambodscha. Ich helfe dieses Land aufzubauen, dies ist durch die politische Lage nicht ganz einfach. Hilfe ist wichtig um dem Land eine neue Chance zu geben. Das Geld was ich hier verdiene, ist in Asien ein fürstliches Gehalt. In Dänemark besser als der Durchschnitt. Schaut euch doch an! Wie fertig, kaputt und übermüdet ihr in Phnom Penh angekommen seid. Dies wollt ihr euch alle drei Monate antun? Bei deinem Vater kann ich es erstehen. Er hat Familie in Frankreich. Ihr beide habt euch und könnt doch machen was ihr wollt“

Patricia sah Hannes mit diesem „er hat recht“ Blick an.
„Es ist euer erster Einsatz, vielleicht kommt in zwei oder drei Wochen die Erkenntnis das dies nicht eure Welt ist und ihr zurück nach Europa wollt. Ihr werdet nicht die ersten und letzten sein. Was du und Hannes vor habt, glaube ich fest daran, dass ihr es auch durchzieht.“ „Asger, nun mach mal langsam. Wir sind jetzt den dritten Tag in Südostasien. Wir haben Freunde, Familie in Deutschland und Frankreich“
Asger sah Hannes fordernd an „Welche Freunde, Hannes? Die die sagen sie kommen dich besuchen und immer kommt etwas dazwischen oder die Freunde, die du einmal im Jahr beim Geburtstag siehst?“
Konnte Asger gerade seine Gedanken lesen?
„Freunde oder Menschen mit den ihr gerne zusammen kommt, findet ihr auch hier. Ihr beide seit offen, freundlich und gebildet, da habt ihr doch keine Probleme andere Menschen zu treffen und kennenzulernen.“ Patricia nahm die Hand von Hannes und nickte.
„Schaut, Kambodscha hat durch den Genozid ein viertel seines Volkes umgebracht. In 3 Jahre, 8 Monate und 20 Tage hat die Rote Khmer 2,2 Millionen Menschen ermordet. Es gibt auch Schätzungen die auf 3 Millionen kommen. Niemand weiß es genau. Kann sein, dass wir beim graben für ein Pumpenhaus auf ein Massengrab stoßen. Kambodscha war vor dem Bürgerkrieg ein Land mit dem höchsten Lebensstandard in Südostasien! Heute kann es sich nicht einmal selbst Ernähren. Das Land ist bettelarm und der Analphabetismus ist mit der höchste auf der Welt. Patricia, so viele Lehrer gibt es gar nicht um diesem Volk wieder Bildung beizubringen. Ich habe vor euch den allergrößten Respekt! Dein Vater und ich verlegen nur Wasserleitungen, dies kommt nicht annähernd an euer Vorhaben ran.“
Hannes beschwichtigte Asger „Komm, Asger, nun ist aber gut! Durch euch sind wir überhaupt in der Lage hier zu sein und Wasser ist ein Grundrecht für jeden Mensch auf der Welt. Wissen alleine ernährt keine Menschen, er braucht auch das Wasser zum leben. Natürlich ist es mein Traum, die Bildung für Kinder zu verbessern. Kinder sind unsere Zukunft. Sie können mit Bildung mehr erreichen als deren Eltern es heute tun. Dazu gehört aber mehr als Bücher. Nachhaltige Perspektiven sind wichtig. Da zählt dein, Ich-verlege nur-Wasserleitungen, ganz oben dazu. Wir alle sind hier um diese Welt zu verbessern.“
Patricia gab Hannes einen Kuss, Asger schlug ihm seine rechte Bratpfanne gegen den Oberarm „Hannes, du bist schon cool! Bernhard kann mit recht stolz auf einen solchen zukünftigen Schwiegersohn sein.“
Bernhard sprach in die Runde „Die Außenpolitische Probleme von Kambodscha, führten zu einer Ablehnung der meisten Staaten in Europa, sowie der ASEAN-Staaten um diesem bis auf den Grund gebeutelten Land Entwicklungshilfe zu geben. Einzig Frankreich und Irland enthielten sich der damaligen UN Abstimmung. Darum ist Frankreich heute hier. Dies hat auch etwas mit der früheren Kolonialzeit zu tun. Die Europäische Gemeinschaft, die UN, USA und die ASEAN-Staaten bestimmten mit ihrer Haltung und Politik zu einem Abwärtstrend in diesem Land. Lediglich China und die UdSSR beteiligten sich an dem Aufbau. Die Infrastruktur ist sehr östlich geprägt. Erst vor vier Jahren, Asger war somit einer der Pioniere in diesem Land, wurde ein Entwicklungshilfe Kommissar von der EG eingesetzt. Dadurch wurde eine Flüchtlings Übereinkunft mit Staaten in Europa geschaffen. Auch gibt es insgesamt 11 Aufbauprojekte in Kambodscha. Wir sind eines davon. Direkte bilaterale Unterstützung gibt es zu wenig. Hannes, du sagtest mir am Geburtstag von Patricia, dass Außenpolitik viel bewirken kann. Kann sie – positiv wie auch negativ. Wir erleben die Außenpolitik der Welt an der Basis. Wir sind nur ein kleines Rad in der großen Weltpolitik, die über Hilfe oder Sanktionen bestimmt. Wer meint, dass Entwicklungshilfe einfach mal so gemacht werden kann, täuscht sich sehr. Ihr beide habt dies von Anfang an begriffen.“
Patricia gab Hannes einen Kuss, schaute ihren Vater und Asger an „Wir sind nur ein kleines Rädchen, ein kleiner Teil in einer mächtigen und riesigen weltumspannenden Maschinerie und geben uns alle Mühe, anderen Menschen zu helfen.“
Alle nickten bei den Worten von Patricia.


Das erste Treffen mit der UN

Es war eine Wohltat in einem nun sauberen und geruchsfreiem Zimmer zu schlafen. Das Bett fühlte sich viel besser an. Patricia fühlte sich besser an. Sie saß im Reitersitz auf ihm. Küsste und wuschelte sein Haare. Diese kleine quirlige Person war schon etwas ganz besonderes! Diese Kraft, Ausdauer und Hartnäckigkeit, gepaart mit Schönheit und Intelligenz war nicht nur beim Sex Einmalig.

Morgens vor dem Frühstück schon die Schweißperlen auf der Haut zu haben, war auch nicht ein guter Start in den Tag. Hannes kam aus der Dusche und hätte sich beim abtrocknen sofort wieder unter das lauwarme Wasser stellen können.

Das Frühstück im Hotel mit frischem Obst, Eier, Marmelade und Wurst war gut, wobei er zum ersten Mal Reisbrei aß und sich in diese Mahlzeit verliebte.
Was in Kambodscha als Brot bezeichnet wurde, musste Hannes erst einmal neu definieren. Auch der Kaffee hatte außer der Farbe nichts mit dem zu tun, was er kannte. Die Softdrinks aus China, Thailand oder Kambodscha waren dermaßen süß, dass es fast schon widerlich war diese zu trinken. So blieb Wasser als bestes Alternative. Dieses mit Mango, Melonen oder anderen Früchten angesetzte Wasser, war bei dieser schwüle und Hitze das richtige Getränk.

Hannes machte im Hof von dem Hotel den Toyota Pickup klar. Er Checkte das Öl, Wasser und Reifen an dem, was nun sein Auto war.
Eine ältere Frau mit Handtuch um die Schultern kam an ihm vorbei. Er grüßte sie freundlich. Sie grüßte zurück mit den Worten „Chomngu phta say.“ Ihr sei kalt – oder es ist frisch heute. Kaum zu glauben! Ihm lief der Schweiß ins Gesicht und dieser Frau war es kalt.
The people in this world are crazy.

Auf dem Weg nach Phnom Penh fuhr Bernhard zu seiner Baustelle in Cău Strung Melch vorbei. Dann fuhren sie ins Büro nach Kâmpóng Trâbêk. Ah Leang Mëy grüßte die drei wieder auf ihre freundliche Art.

Im Büro von Bernhard hingen riesige Pläne, die die Größe von Tischtennisplatten hatten. Dort sah Hannes erst einmal die Dimensionen von diesem Projekt. Geländeprofile, Querschnittspläne, Höhenmaßstäbe mit Überhöhungsfaktoren von Hügel oder Berge, waren darauf zu sehen. Punkte mit Kreise signalisierten die Pumpen. Große Kreise für die Hauptpumpen, kleine Kreise für die Verteilerpumpen. Welcher Abschnitt fertig war, signalisierten blaue Linien. Die Strecken in Arbeit waren blau gestrichelt. Rot vermessen, gelb geplant.
„Ich lasse dir alle Pläne noch kopieren, dann hast du auch alles zusammen und musst die Pläne nicht mit Asger teilen. Wie der Teufel will, braucht man dann den gleichen Plan, wie der Kollege“ sagte Bernhard.

Eliane kam ins Büro und grüßte freundlich „Moien Hannes, bass du schon am Hotel néiergelooss?“ „Hallo, Eliane. So irgendwie. Es ist etwas anders als Europa.“ Eliane nickte „Richtig. Man gewöhnt sich aber auch an den Rhythmus in Südostasien. Bernhard, hier ist die neue Beschaffungslisten für die nächsten zwei Monate. Ich gab das Material vor drei Wochen schon in Auftrag. Heute kam die Bestätigung für die Lieferung in den nächsten Tagen. Ich hoffe es bleibt auch dabei.“ „Danke, Eliane. Ich wollte dies mit Hannes auch noch besprechen. Du bist ja nun da. Dann kannst du es auch tun.“ Eliane nickte.
„Also gut. Hier in Kambodscha braucht alles etwas länger. Wenn du nun einen Bauabschnitt leitest und eine gewisse Anzahl an Wasserleitungen brauchst, sag mir so früh wie möglich bescheid. Du musst dies alles nicht auf den Meter genau rechnen. Es kommt oftmals nicht die georderte Bestellung an. Lieber 100 Meter mehr als 5 Meter zu wenig. Wir bemühen uns schon, dass ihr Material bekommt. Es ist immer blöd, wenn die Baustelle steht.“
Hannes nickte „Verstehe ich. Zeit ist Geld. Dies gilt auch in Kambodscha.“ „Exakt. Es reißt dir aber auch niemand den Kopf ab, wenn das Material erst ein paar Tage später kommt. Wir sind schon froh, dass wir überhaupt verlässliche Zulieferer gefunden haben. Wenn du mit irgendwas nicht klar kommst, kannst du jederzeit anrufen. Hast du überhaupt eine Telefon.“ Hannes schüttelte den Kopf.
„Gut, ihr fahrt heute nach Phnom Penh. Dort kannst du dir ein Mobiltelefon kaufen. Die Dinger kosten hier kein Geld. Bring die Rechnung mit und du bekommst dein Geld zurück.“

Eine junge Frau kam mit einer großen Karaffe Wasser und einem Tablett mit Wassermelonen Stücke ins Büro von Bernhard.
„Hallo, ich bin Nita Suvath und arbeite im Büro in der Buchhaltung.“
Hannes und Patricia stellen sich ihr vor.

In der kleinen Sitzecken im Büro von Bernhard tranken sie das kühle Wasser und aßen die Wassermelonen Stücke.
„Du hast Eliane gehört, wenn etwas sein sollte, einfach anrufen. Ich komme nicht immer nach Svay Rieng. Ich bin oft bei meinem Team in Preaek Khsay Kha. Ich habe hier im Büro ein kleines Apartment.
Da ich für das ganze Projekt zuständig bin, muss ich hin und wieder nach Phnom Penh zum Ministerium damit Material kommt. Die Pumpen kommen endlich aus Deutschland. Die Pumpen aus China sind zu anfällig und haben nicht die Leistung die gebraucht wird. Aus dem Grund bin ich schon das ein oder anderen Mal im Büro von der Weltbank. Humanitäre Hilfe hat auch viel mit betteln zu tun. Werdet ihr alles noch erfahren. Kommt, ich stell euch noch Roman Welter vor.“

Zwei Türen weiter war das Büro von Roman Welter. Es war ein Raum mit vielen Tischen und eine komplette Wand mit Schränke, die voll mit Ordner waren. An einer Wand hingen zig Baupläne von den Hochbau Projekten.
„Wëllkomm op organiséiert Chaos“ sagte Roman lachend in einem lëtzebuergischen Akzent. Roman ging auf die 50 zu. Hatte die Größe von Hannes, kaum noch Haare auf dem Kopf und war etwas Übergewichtig.
„Wenn ihr die beiden Almjodler noch kennen lernen wollt, müsst ihr ans Bauwerk fahren.“ „Heute nicht. Meine Tochter hat später noch einen Termin bei der UN und MoSAY in Phnom Penh. Nun lasst uns fahren, damit Patricia auch weiterkommt.“

Bernhard lotste Hannes mit einer Straßenkarte, die auch ein Schnittmusterplan aus einer Burda Modezeitschrift sein konnte, durch Phnom Penh. Hannes sah noch nie eine so unprofessionelle Straßenkarte. Wie gut, dass Bernhard sich recht gut in dem Gewirr von Chaos auskannte.
Das Büro der UN war im Süden des Zentrums von Phnom Penh. Im Distrikt Sangkat Tuek L’ak Ti Muoy. Dort waren mehrere Ministerien, ein großes Krankenhaus, die Universität und andere Verwaltungsbehörden. So auch die Kaserne der UN Blauhelm Soldaten und kleinerer UN Unterorganisationen.
Bernhard musste sich auf dem Areal zweimal durchfragen bis er den Absender von dem Fax gefundenen hatte. Ein braunes dreistöckiges Betongebäude war also die Adresse von UNICEF in Kambodscha. Ein Blauhelm Soldat aus den USA, erklärte den Weg ins Büro im dritte Stockwerk.
Patricia war die Ruhe selbst, während der Puls von Hannes an der Belastungsgrenze angekommen war. Der Klassenkasper von Nahetal stand vor der Bürotür der UN!

Laureen Thompson
Chief Director UNICEF Cambodia
Department of Education and Health

Stand auf dem Schild rechst neben der dunkelbraunen Tür zu lesen.
Bernhard klopfte an die Tür. „Come in.“ Hörten sie durch die Tür rufen.

Das Büro war ein großer Raum von 40 Quadratmeter mit 4 großen Schreibtische, Konferenzecke, Schränke und Regale aus hellem Holz. Die Stühle waren mit dunkelblauen Stoff bezogen. Es war ein ganz anderes Bild als im Hotel und erst recht in der Grundschule in Svay Rieng.

Zwei Frauen saßen an zwei großen
Schreibtischen. Eine Mittfünfzige etwas kräftige weiße Frau und eine junge hübsche Asiatin. Die ältere Frau stellte sich als Laureen Thompson vor. Die junge Asiatin, die im gleichen Alter wie Patricia und Hannes sein konnte, stellte sich als Hattie Walker vor.

Frau Thompson bat den Gästen in der Konferenzecke platz zu nehmen. Sie ging zu einem der Schreibtische und kam mit einem roten Ordner in der Hand zurück und setzte sich Patricia gegenüber. Frau Walker nahm gegenüber von Hannes platz.

„Ich habe ihr Dossier gelesen und bin schwer beeindruckt von dem was Sie geschrieben haben“ begann Frau Thompson das Gespräch „wir suchen Lehrer auf der ganzen Welt, die die Situation hier in Kambodscha verändern wollen und können. Eigentlich suchen wir Studierte und Ausgebildete Lehrkräfte. In Anbetracht der fehlenden Zahl von gut Hunderttausend Lehrer in Kambodscha, sind wir froh, überhaupt jemand zu finden der eine solche Aufgabe übernehmen möchte. Ihre Noten – wie auch Ihre Abiturnote sind erstklassig. Erzählen Sie bitte in Ihren Worten, was und wie Sie sich Ihr Engagement vorstellen.“

Patricia hatte ein ganz klare Vorstellung, wie sie die mangelnde Bildung auf dieser Welt sah und was sie dagegen unternehmen möchte. Hannes kannte die Schilderung von Patricia – denn es waren seine Worte, die er in Fréjus zu Peter sagte.

Frau Walker fügte nun noch einige Umstände an, die eben viele Projekte nicht so einfach realisieren lassen „Die humanitäre Hilfe für die Völker in Not, die Kambodscha von den Vereinten Nationen erhielt, gab lediglich UNICEF, dem World Food Programm und UNHCR die Möglichkeit in dem Land zu helfen und zu arbeiten. Die Word Health Organisation, UNESCO und andere UN Organisationen verweigerten ihre Unterstützung. So wurde die vereinbarte Zusage an Hilfe mal eben um 50% halbiert. Das Volk leidet nun schon seit 10 Jahren unter dieser Haltung der Weltgemeinschaft. Nach dem Bürgerkrieg war für 3 Jahre nur noch die UN Food and Agriculture Organisation in Kambodscha. Diese stellte aber vor 8 Jahren ihre Entwicklungshilfe fast ganz ein.“
Hannes sah Bernhard an „Da sind wir wieder beim gleichen Thema wie gestern Abend.“

Patricia zeigte Frau Thompson noch das Empfehlungsschreiben vom Schulleiter der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule für das Documentation Center of Cambodia.
Als Frau Thompson dies gelesen hatte, nickte sie Patricia anerkennend zu „Für die kurze Zeit, die Sie in Kambodscha sind, geben Sie mächtig Gas. In Anbetracht der immensen Zahl an fehlenden Lehrer können Sie sich Ihren Arbeitgeber aussuchen. Der Schulleiter hat es treffend formuliert. Auf dem Land ist eine katastrophale Lage an Lehrermangel. UNICEF ist in der Provinz Svay Rieng nicht vertreten. Wir sind in den Provinzen Phnom Penh, Siem Reap und Battambang.“
„Nun Frau Thompson, da mein Freund in der Provinz Svay Rieng ist, möchte ich schon in seiner Nähe sei. Wie Sie dem Schreiben entnehmen können, gibt es um die Stadt Svay Rieng mehr als genügend leerstehende Schulen.“
Hannes sah mit leichtem Blick zu Bernhard und lächelte. Patricia ließ sich von Frau Thompson nicht einschüchtern.
„Ich hatte gestern mit dem Documentation Center of Cambodia telefoniert, denn ihnen liegt dieses Schreiben auch vor. Theng Sokchea, der Leiter für Schulwesen in diesem Center, würde es begrüßen, wenn ich eine Schule in Biên Phòng Khốt übernehmen würde. Dieser Ort ist circa 20 Kilometer nördlich von Svay Rieng entfernt. Ich werde mich heute Nachmittag noch mit ihm treffen.“ „Wenn dies so ist. Lassen Sie mich bitte wissen, wie Sie sich entschieden haben. Wenn ich Sie noch zum Mittagessen in unserer Kantine einladen dürfte, würde ich mich sehr freuen.“

Gemeinsam gingen sie in die Kantine auf dem Kasernenareal essen. Die Mahlzeit war sehr nordamerikanisch geprägt.
Beim Essen wurde das Projekt erklärt, welches Bernhard betreute und in welchen zwei Provinzen dies sei. Die Haltung von Frankreich zu Kambodscha wurde angesprochen und das sich Bernhard mehr bilaterale Verträge von Industriestaaten für dieses Land wünschen würde.

Patricia und Frau Walker hatten gleich eine gute Ebene gefunden. Hannes sah und hörte, dass deren Gespräche oft persönlicher Natur waren. Bei der Unterhaltung von Patricia und Frau Walker wollte er sich nicht beteiligen. Er wollte diese anscheinend guten Gespräche nicht stören. Bei Bernhard und Frau Thompson waren es ihm zu viele und zu große weltpolitische Themen. Er, der kleine Junge, der aus einem kleinen Dorf an der Nahe kam, sollte ein Teil dieser weltumspannenden Maschinerie von Staaten, Politik, Macht und Wirtschaft sein? Dies alles war für ihn dann doch zu groß.

Er sah sich in der Kantine um und entdeckte einen Kaffeevollautomaten. Kaffee! Hannes entschuldigte sich und machte sich auf den Weg zu diesem Lebenselixier spendeten Automaten. Hoffentlich kein Muckefuck, dachte er.
Die erste Tasse füllte er nur mit einen Schluck. Sicher war sicher. Er probierte den Kaffee. Kaffee!
Er füllte gleich fünf große Tassen und brachte diese an den Tisch.
Beim letzten Schluck kam ihm eine Idee. Er entschuldigte sich nochmals und verschwand in der Küche. Dem Küchenchef anbettelnd und flehend, ihm doch in Gottes Namen zwei Päckchen Kaffee zu verkaufen, kam er mit einem großen Karton Kaffee an den Tisch zurück. Auf die Fragenden Blicke aller am Tisch, sagte er zu Bernhard „Humanitäre Hilfe hat viel mit betteln zu tun. Bei dir ist es die Weltbank, bei mir der Küchenchef.“

Bernhard sagte in die Runde, dass es Zeit zum Aufbrechen sei, denn er wollte schließlich mit Patricia zum MoSAY und anschließend zum Documentation Center of Cambodia fahren.
Patricia schüttelte den Kopf „Non. J’ai un travail avec l’UNICEF.“
Hannes war bei diesen Worten wie vor den Kopf geschlagen. Bernhard war mittlerweile die schnellen Entscheidungen seiner Tochter gewöhnt und zog die Schultern hoch.

„Mon chérie, ich habe mit Hattie auch schon über dich gesprochen und das es eben dein Traum ist. Du bist immerhin maßgeblich daran beteiligt, dass wir heute hier sind.“ „Äh… Prinzessin, darf ich dich daran erinnern, dass ich kein Abi habe!“
„Wer baggern kann, kann auch Kinder unterrichten“ Patricia gab ihm einen Kuss und wuschelte seine Haare.

Zurück im Büro von Laureen und Hattie, mittlerweile war man beim du, wurden noch einige Details besprochen. Laureen war sichtlich erleichtert, dass Patricia ihr die Zusage gegeben hatte und nicht dem
Documentation Center of Cambodia.
Patricia hatte einen Vertrag über die Anstellung als Lehrerin in Kambodscha durch UNICEF vor sich liegen.


Kmean banhhea te – Kein Problem, kein Problem

Nach dem dies alles so schnell ging, fuhren sie in ein großes Einkaufszentrum in der Stadtmitte von Phnom Penh.
Diese Mall hatte nichts mit verstaubter Ware und Rolltoren zu tun! Hier gab es alles zu kaufen. Waschmaschinen, Kühlschränke, Kleidung, Klimaanlagen,
Lebensmittel und sogar dem Klassenfeind seine Brause aus USA. Marktwirtschaft ist doch stärker als Kommunismus, dachte Hannes.

Irgendwann fanden sie in diesem riesigen Einkaufszentrum einen Telekommunikations Laden. Dort alles gab es alles rund um Telekommunikation zu kaufen. Computer, Mobiltelefone, Drucker,
Funkverstärker, Antennen von einem halben bis zu 3 Meter Länge – wobei Hannes sich die Frage nach der Mobilität eines Telefons bei einer solch langen Antenne nicht erschließen konnte.

Patricia fummelte gleich an zwei Mobiltelefone herum, die ihr gefielen. Hannes versuchte dem Verkäufer auf einer Landkarte klar zu machen, wo sie wohnten und ob dort überhaupt ein Mobilfunk Empfang möglich war.
„Kmean banhhea te“ Kein Problem, kein Problem, sagte der kleine Verkäufer ständig.
„Wenn es doch ein Problem ist, hänge ich dich an der Telefonschnur auf.“
Der Verkäufer schaute Hannes bei den nicht verstandenen Worte irritiert an. „Kmean banhhea te“ sagte Hannes dem kleinen Verkäufer und lächelte.

Patricia fand ein Mobiltelefon in pink. Na, wenn es sie glücklich machte. Hannes wollte den gleichen Typ wie Bernhard hatte. Robust, einfach in der Bedienung und Handhabung. Nachteil, es war in einem „Hello Kitty“ Design und dummerweise das letzte dieses Typs. Nun fing eine Diskussion über jenes Telefon an. Patricia wollte, dass Hannes dies kaufen sollte. Er lehnte es kategorisch ab.
„Qu’en est-il du téléphone?“
„Was mit dem Telefon ist? Süße, hast du dir die Farbe und Design angeschaut! Ich kann doch nicht mit einem Katzentelefon in rosa, pink, irgendwas Farbe in der Gegend herum laufen!“ „Oh mon Dieu. Du bist ja schlimmer als ein Mädchen“ sagte sie und verdrehte die Augen.

Auf dem Weg zum Auto sagte Hannes etwas gefrustet „Ist dir aufgefallen, dass Laureen mich mit keinem Wort erwähnt hatte? Soviel mal zu deiner Zahl auf einem Stück Papier.“ „Hannes, dies tat mir auch sehr leid. Daher hatte ich beim Mittagessen auch mit Hattie gesprochen und ihr gesagt, dass es dein Traum ist, Kinder zu unterrichten. Aber tröste dich, wenn nicht eine solch automatisch hohe Zahl an Lehrer in diesem Land fehlen würde, häte ich auch keine Chance gehabt. Die UN oder UNICEF möchten ausgebildete Lehrer haben. Da nützt mein Abi dann auch nichts.“
Bernhard klopfte Hannes auf die Schulter „Hannes, lass den Kopf nicht hängen. Du hast einen Vertrag von ODHI in der Tasche. Bei uns ist eine Zahl auf einem Stück Papier nicht von Bedeutung.“

Mit ihrem Einkauf an Mobiltelefonen und den dazugehörigen Provider SIM Karten fuhr Bernhard das Auto zurück nach Svay Rieng. Hannes war es gerade recht, dieses Chaos musste er sich nicht freiwillig antun. Er machte es sich auf der Rückbank bequem und sah, wie die neue UNICEF Mitarbeiterin ihr Telefon installierte. Sofort musste sie die Neuigkeit über ihr gekauftes Telefone Hattie mitteilen.
„Das diese junge Asiatin so gut englisch kann, ist schon erstaunlich.“
Patricia drehte sich vom Beifahrersitz um und sah Hannes mit großen Augen an „Sie ist US-Amerikanerin.“ „Hä…?“ „Ihre Mutter kommt von den Philippinen, daher dieses asiatische Aussehen.“

Teil I Kapitel 9 Aufbruch nach Kambodscha

„Manchmal wünschte ich, ich könnte in dein Hirn schauen!“


„Same procedures as last night, Miss Patricia?“

Nach Weihnachten fuhren Hannes und Patricia noch nach Deutschland zu seinen Eltern. Die Verabschiedung war, wie zu erwarten, sehr Emotional und Hannes war hin und her gerissen. Zum einen war es ein Abschied für zunächst drei Monate und zum anderen war es eine Ungewissheit in ein völlig neues Leben. Er wollte diesen Schritt gehen und wusste nicht was auf ihn und Patricia in Kambodscha zu kommen wird.

Vom Hunsrück fuhren sie noch in die Pfalz nach Annweiler, um sich auch von Patricia’s Großeltern zu verabschieden. Wie zu erwarten war, hatte die Oma viel geweint und immer wieder gesagt, Patricia sollte sich diesen Schritt doch noch einmal überlegen. Patricia war sichtlich genervt von dem ständig gleichen Thema und so wurde der Aufenthalt in der Pfalz doch erheblich kürzer als sie es eigentlich geplant hatten.

An Silvester wollte Patricia nichts unternehmen. Sie wollte auch auf keine Feier von ihren Freunden gehen. Hannes war es egal, denn es begann nur ein neues Jahr im Kalender. So saßen sie alleine in dem riesigen Haus im Zimmer von Patricia und schauten Fernsehen. Sie lachten Tränen bei „Dinner for one“. „Same procedures as last year, Miss Sophie?“ Patricia kuschelte bei ihm auf der Couch und hatte ihren Kopf auf seinen Beinen liegen.
„Chérie, ich bin die glücklichste Frau auf der Welt! Du bist seit vier Wochen täglich bei mir und kein Tag war wie der andere. Je t’aime pour toujours. Ich will jetzt mir dir schlafen.“ „Same procedures as last night, Miss Patricia?“
Sie boxte ihn.

Am 2. Januar 1990 kamen Franziska und Bernhard aus Fréjus zurück. Sie sahen anders aus – erholter und verliebter. Nun kannten auch sie die Magie von diesem wunderschönen Haus in der Rue Jean Bacchi. Dieses Haus hatte Magie auf eine besondere Weise, die man nicht erklären und schon gar nicht begreifen konnte. Eigentlich waren es nur aufeinander gesetzte Steine und trotzdem etwas ganz Besonderes. In einem solchen Haus zu leben, wäre sehr schön. Kinder sehen, wie sie in einer solchen Umgebung aufwachsen und morgens von den schönsten Farben dieser Welt geweckt würden. Kinder. Wird Hannes jemals Kinder haben? Wird er jemals das Glück spüren, wie es ist Vater zu sein? Ist die Leukämie von der Mutter genetisch übertragbar? Könnte er so etwas für sein Kind verantworten? Er wusste es nicht. Diese Fragen war schon seit einiger Zeit in seinen Gedanken. Wird die Forschung und Medizin in ein paar Jahren so weit sein, um Leukämie einzudämmen? Wie viele Silvester wird er mit Patricia noch zusammen erleben können? Diese Gedanken in seinem Kopf waren eine tägliche Achterbahnfahrt und er wusste nicht mit wem er darüber reden könnte.


Die Abschiedsparty

Für den 6. Januar organisierte Hannes eine kleine Abschiedsfeier mit den Freunden von Patricia. Er lud Claude, Cosima und Yvonne ein. Mit ihnen hatte er in den letzten Monaten gerne zu tun. Seit der Entschuldigung von Cosima sah er sie in einem völlig anderen Licht. Ohne Frage war Cosima die schönsten Frau die er jemals getroffen hatte, aber eingebildet oder gar arrogant war sie nicht. Auch Yvonne zeigte sich seit dem Geburtstag von Patricia ihm gegenüber ganz anders. Sie hatte begriffen, dass ein Abitur nicht für den Charakter von einem Menschen steht. Claude wurde seit dem Geburtstag von Patricia zu einem der besten Freunde von Hannes. Claude war Claude: bodenständig, offen und geradeaus. Auch er war über die Freundschaft von Hannes sehr froh und beide konnten sich so einigen Kummer von der Seele reden oder auch schon mal trinken.
Franziska kannte Claude von der Schule und auch die Umstände in seinem Elternhaus. Sie war froh, dass Claude so oft zu ihnen kam und er und Hannes so gute Freunde wurden.

Da sich die Abschiedsparty bei den ehemaligen Schulfreunde herumgesprochen hatte, kamen auch noch Laura, Jasmin, Marco, Benjamin und noch ein halbes Dutzend andere Schulfreund vorbei.
Im Zimmer von Patricia wurde es mit 15 Personen recht eng. Mit Claude schleppe Hannes noch Tische und Stühle vom Gesindestock ins Zimmer.
Die Freunde bewunderten den Weihnachtsbaum und natürlich auch das Bild von Peter. Laura musste natürlich ihren Kommentar zu dem nicht fertigen Bild von sich geben, was Hannes ignorierte. Patricia lies dies nicht so stehen und sagte Laura, dass dieses Bild vollkommen und somit ein einmaliges Kunstwerk sei.
Claude brachte vier Flaschen von dem guten Rosè mit, den beide vor Weihnachten ausgiebig in der Cafeteria im Super Marché getestet hatten.
Claude erzählte den Freunden die Geschichte von der Cafeteria und alle brüllten vor lachen, nur Patricia war not amused. Yvonne nahm Patricia in den Arm „Tricia, nun nimm dies doch nicht so ernst! Die beiden verstehen sich super und wenn sie mal besoffen sind, dann ist das eben so. Wir alle in diesem Raum kennen uns schon seit Jahren und seien wir auch mal ehrlich, wer von uns hatte in diesen Jahren eine solche Freundschaft zu Claude wie es Hannes hat?“
Hannes hielt die Luft an. Wo wird diese Aussage von Yvonne hinführen? Schweigen im Raum.
Yvonne traf es schließlich auf dem Punkt „Muss ein Deutscher uns zeigen, wie Freundschaft sein kann? Ich bin ehrlich zu euch. Ich hatte Hannes im Sommer beim campen getroffen und ein völlig falsches Bild von ihm gehabt. In den letzten Monaten habe ich mich viel mit ihm unterhalten und bin dankbar für diese Zeit. Viele in diesem Raum hatten über Hannes und Patricia geredet – aber nicht mit ihnen.“
Hannes sah an den Gesichter der Gäste wer sich angesprochen fühlte.
Cosima und Claude waren die ersten die nickten.
„Ich stimme Yvonne voll und ganz zu“ sagte Cosima „Ich hatten einen großen Fehler gemacht und dabei fast die Freundschaft zu Patricia aufs Spiel gesetzt. Hannes hätte den wohl größten Grund mich nicht auf diese Party einzuladen und trotzdem tat er es.“ Cosima hatte Tränen in den Augen „Ich wünschte, ich könnte diesen Fehler rückgängig machen.“
Hannes stand vom der Couch auf und ging zu Cosima, die auf einem Küchenstuhl saß und nahm sie in die Arme „Es ist vergessen. Cosima, lass uns nicht an das Vergangene denken.“
Yvonne saß links von Cosima und streichelte Hannes den Arm.

Die Stimmung war nun nicht die von einer Party und Hannes wollte nicht, dass dies so bleibt.
„Leute, ihr seid hier um mit uns eine Party zu feiern und nicht um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Ich habe in Frankreich neue Freunde gefunden und bin dankbar dafür. Was war, können wir nicht ändern – was kommt schon. In wenigen Tagen werde ich mit Patricia einen Weg gehen, den wir beide nicht kennen. Was uns in Südostasien erwartet wissen wir nicht. Lasst uns nun diese gemeinsame Zeit genießen. Im April sind wir wieder zu Hause und dann haben wir entweder viel gutes oder schlechtes zu erzählen. Claude, ich habe durst.“ „Sofort mein Freund“ und Claude schenkte zwei Gläser Wein ein.

Es wurde ein schöner Nachmittag und Hannes war froh in dieser Runde, dass er nicht mehr als „DER Deutsche“, „DER Andere“ angesehen wurde. Mit Yvonne und Claude saß er lange zusammen und hatte schöne Gespräch mit ihnen. Patricia sprach sehr viel mit Cosima. Hannes wie auch Yvonne merkten dies und Yvonne streichelte das Bein von Hannes und lächelte ihn an „Fehler sind da um zu verzeihen.“
Hannes nickte ihr zu „Ich weiß. Cosima war die Tage hier gewesen und wir haben es geklärt.“

Cosima setzte sich zu der kleinen Gruppe von Claude, Hannes und Yvonne dazu. „Hannes, ich möchte mich noch einmal bei dir bedanken. Yvonne kennt deine Reaktion
mir gegenüber aus dem Super Marché und bin auch ihr dankbar für ihr verzeihen. Du hast eben wieder deinen Charakter gezeigt. Danke dafür.“ „Cosima, du Engel aus dem Orient, Charakter hin oder her, ich möchte keinen Streit haben. Wir sind doch gebildete Menschen, ihr natürlich mehr als ich, und so sollten wir uns auch verzeihen können. Ich bin froh, dass du und Patricia euch ausgesprochen habt. Eine Freundschaft sollte an so etwas nicht kaputt gehen.“
Yvonne nickte ihm zu und Cosima hielt seine Hand „Du sagst immer so kluge Worte. Ich verstehe gar nicht, dass du dich immer so klein machst.“
Claude schenkte Cosima und Yvonne ein Glas Wein ein.
„Schaut euch Claude an. Er passte nicht in eure Klasse, von reichen Eltern, Ärzte, Rechtsanwälte oder Unternehmer. Yvonne hatte es vorhin treffend gesagt, Claude und ich sind Freunde und darauf bin ich sehr stolz. Nicht die Güter bestimmen über einen Menschen, sondern das Herz und Charakter.“ „Ich mag dich auch, du Deutsche Kartoffel. Ich werde dich vermissen! Du warst von Anfang an freundlich, nett und ehrlich zu mir. Auch wenn ich in Frankreich lebe, habe ich wenig Freunde hier. Nun geht einer der besten auch noch weg.“
Hannes sah zu Cosima und Yvonne bei diesen Worten von ihm „Claude, ich bin nicht aus der Welt! Ich komme doch wieder zurück.“ „Mit wem soll ich denn nun Billard spielen oder ein Bier trinken gehen?“
So hatte Hannes die Freundschaft zu Claude noch nie gesehen. Jetzt erst redete er darüber.
„Claude, ich weiß wie es ist, nicht dazuzugehören, nicht so zu sein, wie andere es sind. Du hast dir deine Eltern nicht ausgesucht. Du hast trotzdem dein Abitur gemacht und hast angefangen Geologie zu studieren. Ich habe dies alles nicht. Ich war immer nur der Klassenkasper. Heute würde ich auch vieles anders machen. Ich habe mir vieles selbst verbaut. Nun habe ich eine Chance dies nachzuholen. Ich weiß nicht, was mich in Kambodscha erwartet. Ich werde es sehen. Vielleicht mache ich nur den Handlanger und bin unglücklich über diese Arbeit. Was dann? Komme ich nach drei Monate zurück und gehe wieder nach Deutschland in meinen alten Beruf? Ich gehe nach Kambodscha, weil Patricia nicht studieren möchte und mit ihrem Vater nach Kambodscha geht. Ich sehe dies als eine Chance für mich und gehe mit.“ „Ich dachte immer du möchtest unbedingt nach Kambodscha“ sagte Cosima verwundert.
„Ja, dies ist auch so. Ich will oder möchte Bildung für Kinder. Ja, dies ist mein Traum. Ich kann kein Lehrer werde, dafür müsste ich zum einen Abitur haben und zum anderen studieren. In Länder wo die Bildung nicht all zu hoch ist, bin ich der König unter den Blinden.“
Cosima schüttelte den Kopf „Sag so etwas nicht! Auch wenn wir uns selten gesehen haben, weiß ich, dass du kein Kasper bist und es nie warst. Du redest schon sehr gut französisch und dein Umgang mit Menschen hat Größe!“
Claude und Yvonne nickte anerkennend den Worten von Cosima zu.
„Dankeschön. Ich mag euch alle sehr. Ihr seid gekommen um euch von Patricia und mir zu verabschieden. Von meinen Freunden aus Deutschland kam niemand. Ich habe alles aufgegeben für meine Liebe. Meine Familie, meine Freunde und sogar meine Heimat. Wobei ich meinen Freunden offensichtlich ziemlich egal zu sein scheine.“
Yvonne nahm seine Hand „Du hast Freunde denen du nicht egal bist.“
Cosima und Claude nickten.
„Komm nach Frankreich und lass die Kartoffelesser zurück“ „Claude, habe ich dies nicht schon längst?“
Alle sahen sich wortlos an.
„Ich wurde von euch, den Freunden und Klassenkameraden von Patricia, akzeptiert und trotz ein bisschen geholper sind wir nun Freunde. Ich fand in euch neue Freunde. Mir fällt der Abschied genau so schwer wie euch.“


Die Eifersucht von Patricia

Am späten Abend gingen die Freunde nach Hause. Es war nicht die typischen Verabschiedung von einer Party: Ciao, Tschüss, Au revoir, wir sehen uns Morgen auf ein Bier oder Cappuccino.
Man würde sich längere Zeit nicht sehen. Wenn Hannes nicht mit Patricia nach Kambodscha gehen könnte, wüsste er nicht wie er damit umgehen sollte. Eine Woche waren schon 168 Stunden. Dies mal Monate! Wie wird dieses fremde Land für beide sein? Sie laßen über Kambodscha nur in Bücher oder das was Bernhard oder Stephane erzählten. In vier Tagen würden sie es wissen.

„Braucht der Herr noch eine Aspirin oder ist der Kopf noch klar?“ Patricia lag mit einem atemberaubenden weißen Negligee links neben ihm im Bett.
„Alles gut, Prinzessin.Wir hatten den Wein diesmal nicht alleine getrunken. Du bist eine wunderschöne Frau. Ich kann mich gar nicht satt sehen an dir.“ „Oh, da hab ich ja noch Glück, dass du noch Hunger hast“ sagte sie spitz.
„Was soll dies nun? Nur weil Cosima sich bei mir bedankte? Nur weil ich mit ihr geredet habe? Ja, Herr Gott, sie ist verdammt schön. Ich behaupte, sie ist die schönste Frau in Frankreich – kann auch nicht so sein! Patricia, was nützt ihr diese unglaubliche Schönheit, wenn sie in ihrem Herzen einsam ist?“ Sagte Hannes gereizt.
„Tut mir leid! Ich wollte dich nicht verärgern“ und legte ihren Kopf auf seine Brust und streichelte seinen Bauch.
„Ich wusste nie, dass Claude in mir einen so guten Freund sieht. Was er vorhin sagte, hat mir schon sehr weh getan.“ Patricia sah ihn fragend an.
„Er sagte, dass er mich vermissen würde und das ich für ihn ein guter Kumpel sei. Nun wüsste er nicht mit wem er Billard spielen sollte. Ich werde dies aber noch vor unserem Abflug machen. Ich mag ihn sehr.“ „Tu dies. Er ist dein Freund. Dies ist es was dich von allen anderen Menschen auszeichnet, du kümmerst dich um andere. Dafür liebe ich dich jeden Tag mehr.“


Eine Geschichte über das Leben

Patricia packte die Koffer. Was nimmt man mit? Was braucht man nicht? Es ist gar nicht so leicht einen Koffer für drei Monate zu packen. Natürlich kann man in jedem Land dieser Welt Kleider und Schuhe kaufen, man hat aber auch seine eigene Garderobe – seine Lieblingskleider und Schuhe.
In einem Entwicklungsland erübrigt sich vieles an dem sonst oft schwierigen Fragen. Welche Schuhe zu welchem Oberteil? Welches Hose oder Rock zu diesem oder jenen Oberteil? Hannes fand dies ganz praktisch. Schrank auf, Hose und T-Shirt raus, Schrank zu. Fertig! Frauen denken da anders. In der Zeit wo Patricia ihre Garderobe ausgesucht hatte, hätte er locker 2000 Quadratmetern Rasen mähen können. Sagte er dann etwas von wegen Zeitplan oder man könnte doch endlich mal…, wurde er öfter von ihr geboxt. Ja, so sind die Frauen. Aber wehe man trinkt in der Cafeteria mal Wein. Trotz allem liebte er diese kleine quirlige Person.

Hannes traf sich mit Claude zum Billard spielen in Zentrum von Thionville. Es machte mal wieder sehr viel Spaß, bei Bier, guten Gespräche und einige Partien Billard, die Zeit zu genießen.
„Warum hast du angefangen Geologie zu studieren, hat dies einen bestimmten Grund?“ Fragte Hannes beim Spiel.
„Oui, mein Freund, hat es. Steine reden nicht! Steine ist es egal wer oder was du bist.“
Hannes legte den Queue auf den Billardtisch und schaute Claude fassungslos an „Wer oder was du bist? Claude, was soll das? Du bist ein toller Mensch. Du musstest zu viel alleine machen und hast dein Ziel erreicht. Jetzt erzähle ich dir einen Geschichte. Lass uns setzten, denn es wird etwas länger werden.“

Beide setzten sich an den kleinen Bistrotisch in der Nähe von ihrem Billardtisch.
„Es war im Oktober letzten Jahr“ begann Hannes „Ich traf Cosima in Yutz im Super Marché. Wir kamen ins Gespräch – nichts besonderes allgemeine Dinge eben. Sie ging mit mir durch die Regalreihen und machte mit mir den Einkauf. Danach sind wird in die Cafeteria gegangen. Irgendwann fing sie an über mich und Patricia zu reden. Als sie dann sagte, ich sollte es mir mit Particia überlegen, da sie schließlich Leukämie hat, hätte ich fast in ihr schönes Gesicht hinein geschlagen.“
Claude riss die Augen auf.
„Sie hatte Yvonne am gleichen Abend ein völlig falsches Bild von mir gegeben und diese Unterhaltung mit einer Lüge verbreitet, um mich und Patricia auseinander zu bringen. Als ich dies mitbekommen hatte, war ich böse und auch enttäuscht von ihr. Vor Weihnachten traf ich sie wieder. Ich wollte es klären, geraderücken und aus der Welt schaffen – dies ist mir auch gelungen. Cosima ist mit Abstand die schönste Frau die ich je gesehen habe. In ihrem Herzen ist sie sehr einsam. Natürlich möchte jeder Mann dieser Welt mit ihr schlafen. Nur ist der Sex nicht die Liebe. Ihre unglaubliche Schönheit ist der Preis, weswegen sie einsam ist. Die Männer die Cosima an der Hand halten, geben mit ihr an. Sie prahlen mit einer solchen Schönheit Sex zu haben – oder wünschen es sich. Claude – schau bei all dieser Schönheit von Cosima ihr in die Augen. Beim ersten Blick in diese wunderschönen Augen könntest du auf die Knien fallen. Beim zweiten Blick siehst du es. Auch ihr habt alle ein falsches Bild von ihr. Sie liegt nicht mit jedem Mann im Bett oder lässt sich aushalten wie eine Laura Poyet.“
Claude stand der Mund offen, bei dem was Hannes sagte „Soll dies wahr sein?“ Hannes nickte „Cosima hat iranische Wurzeln, auch wenn sie in Frankreich geboren ist, kann sie nicht dieses freizügige Leben führen, wie viele glauben. Ihr Vater würde sie in den Iran schicken. Und was dort für Sitten sind, muss ich dir nicht erklären.“ „Woher weißt du dies alles?“ „Sie hat es mir gesagt.“
Claude sah ihn immer noch fassungslos an „Dies glaube ich jetzt nicht! Und ich dachte immer sie wickelt jeden Mann um den Finger und bekommt alle Wünsche erfüllt.“
Hannes nickte langsam „So dachte ich auch. Du siehst, es ist nicht so.“ „Jetzt verstehe ich, was sie meintet, als sie sagte, du hättest allen Grund sie zu hassen und jetzt verstehe ich auch die Worte von Yvonne.“ „Genau. Nun mach du dein Ding und studiere die Steine dieser Welt. Und noch etwas – Steine können auch reden.“ Claudes irritierter Blick sprach Bände. „Schau dir Steine genau an. Ihre Form, Farbgebung und Beschaffenheit. Sie sprechen mit dir. Wo ich herkomme gibt es sehr viele Drusen. Jede ist aus dem gleichen Quarz und trotzdem ist jede ein Unikat. Du, ich, Patricia, Cosima wir alle sind gleich und trotzdem Unikate.“ „Danke mein Freund. Danke für deine Worte und Freundschaft.“ „Lass uns noch ein Bier trinken.“


Paris, Charles de Gaulle am 9. Januar 1990

Franziska fuhr mit nach Paris zum Flughafen. Der Flughafen von Luxemburg ist von Thionville nur einen Steinwurf entfernt, machte aber wenig Sinn, denn der Flug von Luxemburg nach Bangkok führte über Paris und man hätte auf dem Charles de Gaulle 7 Stunden Aufenthalt. Von Frankfurt gab es auch Nonstop Flüge nach Bangkok. Es bleibt sich also gleich in welche Richtung man fuhr.

Der Charles de Gaulle ist ein sehr großer Flughafen. Hannes war noch nie geflogen und von daher war für ihn jeder Flughafen groß.
Der Abschied fiel Franziska sichtlich schwer. Wie wird es für sie sein, wenn ihr Mann mal wieder drei Monate weg ist? Ist die Liebe nach so vielen Jahren eine andere? Er wollte dies nie fragen, obwohl es ihn interessierte. Ist die Liebe die gleiche wie bei ihm und Patricia? Er dachte an die Sonntage wenn er nur von Lothringen zurück ins Nahetal fuhr. Wie schlimm die ersten Kilometer für ihn waren. Der Weg nach Hause war irgendwie immer länger, als der Weg zu ihr. Das Raum-Zeit-Kontinuum sollte er doch mal erforschen. Oder das Liebe-Zeit-Kontinuum. Vielleicht wird so etwas ja mal nach ihm benannt? Der Halley’sche Komet wurde ja schließlich auch nach seinem Entdeckter benannt.

Patricia wedelte mit ihrem Pass und Ticket vor ihm herum „Erde an Hannes.Hallo? Wir sollten mal zum Gate gehen. An was hast du mal wieder gedacht.“ „Nix besonderes. An das Raum-Zeit-Kontinuum und den Halley’schen Kometen.“
Sie blieb abrupt stehen und schaute ihn Kopfschüttelnd an „Manchmal wünschte ich, ich könnte in dein Hirn schauen.“
Er gab ihr einen Kuss, legte seinen Arm um ihr Hüfte und ging mit ihr zum Gate.


Auf nach Südostasien

Mit der Thai Air ging es von Paris nach Bangkok in über 11 Stunden.
Hannes konnte noch nie im sitzen schlafen. Was macht man also? Die Magazine die vor ihm im Sitz steckten konnte er schon rückwärts lesen. Das Fernseheprogramm im Flugzeug war nicht das, was einen hohen Stellenwert der Unterhaltung bot. Interessant war eine Dokumentation über die Herstellung von Champagner.
Patricia schief neben ihm. Sie hielt seine Hand fest und sah friedlich und zufrieden aus. Auch Bernhard hatte die Augen geschlossen und schlief.

Die Stewardess fuhr mit einem Wägelchen durch die Reihen. Sie fragte, ob er etwas trinken möchte. Gerne. Eine große Auswahl an Getränke zählte sie auf. Beim Wein sagte er stopp.
Der Rosè war durchaus sehr lecker.
Die nette Dame kam noch öfters mit ihrem Wägelchen vorbei. Irgendwann fragte sie gar nicht mehr nach seinem Wunsch und griff gleich zur Flasche. Sie hätte diese auch eigentlich bei ihm stehen lassen können. Wie gut das Patricia schlief. Irgendwann wurde das Abendessen serviert. Patricia wurde wach. Die überaus nette Stewardess schenkte Hannes Rosè ein, ohne zu fragen. Der Blick von Patricia sprach Bände!


Bangkok, Don Mueang International Airport. Mittwoch, 10. Januar 1990. 6.20 Uhr Ortszeit

Der Don Mueang Airport in Bangkok war ein in die Jahre gekommener Flughafen. Hannes schätze das der Flughafen in den 60er oder frühen 70er Jahren gebaut wurde. Die Plastikstühle in dem Gebäude waren hellrosa und auch sonst wurde viel Plastik in der Flughafenhalle verbaut. Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihn alles in diesem Gebäude an die Käse-Igel aus roten und weißen Hartplastik erinnert, welche in den 70er Jahren überaus modern und beliebt waren.
Nachdem sie ihr Gepäck hatten, setzten sich die drei auf eben jene hellrosa Plastikstühle. Nicht nur das die Dinger komisch aussahen – sie waren auch noch unbequem dazu.
Der Weiterflug nach Phnom Penh würde erst in einigen Stunden sein. Mehrere Stunden auf diesem Plastik zu sitzen kam jeder Folter gleich.
„Chérie, lass und doch etwas laufen. Ich kann in einem solchen Folterstuhl nicht sitzen“ sagte Patricia.
Bernhard wollte nicht mit gehen. Er blieb beim Gepäck und las in einen Buch.

Dies also war Asien: rosa Plastikstühle.
In dem riesigen Terminal war es angenehm kühl und Hannes dachte, ist ja gar nicht so schwülheiß wie erwartet – bis die Schiebetür vom Terminal aufging! Sofort schlug ihm eine Schwüle entgegen, die einem die Luft zum atmen nahm. Er sah mit erschrockenen Augen Patricia an, auch ihr blieb für den Moment die Luft weg. Sie zog ihn an der Hand wieder zurück ins Terminal.
„Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen. Lass uns noch die kühle Luft hier drinnen genießen.“
Hand in Hand gingen beide durch das Flughafengebäude.
„Prinzessin, dies hier ist alles unglaublich. Vom Stausee im Saarland nach Fréjus und nun Südostasien. Wir haben in unsere kurzen Liebe schon mehr erlebt, als manche in ihrem ganzen Leben nicht!“ „Oui nous avons. Je ne regrette pas un jour“ sie gab ihm einen Kuss.
„Ich bereue auch keinen einzigen Tag, meine Prinzessin.“

Im Flughafen gab es hier und da kleine Shops wo man essen konnte. Blöd, wenn man kein thai lesen kann. Sie suchten sich etwas aus, was auf dem Foto über der Theke ganz gut aussah und brachten dies dem Koch hinter dem Tresen auch irgendwie bei.
Das Essen war super lecker. Gemüse mit Bambus und Sojasprossen. Dazu Hähnchenfleisch mit Kokosmilch.
Das Landei aus dem Hunsrück in der großen weiten Welt. Er hat es so gewollt. Mit Patricia würde es an jeden Punkt dieser Welt gehen.
Patricia hat ihm mit ihrem Ellbogen an den Arm gestupst und sah Hannes fragen an „Denkst du schon wieder an den Halley’schen Kometen?“ „Non, Prinzessin. Ich denke an dich. An jeden Ort dieser Welt würde ich mit dir gehen. Ich liebe dich mit jeder einzelnen Phase meines Körpers. Komm, lass uns zu deinem Vater gehen. Er muss nicht alleine bleiben“ Hannes gab ihr über den kleinen runden Tisch von dem Bistro einen Kuss.

Sie setzten sich zu Bernhard auf die unbequemen Plastikstühle und schaute den Menschen nach. Urlauber aus Europa die hektisch oder fluchend an ihnen vorbei liefen. Hannes schüttelte den Kopf. Was erwarteten Touristen von einem anderen Land? Jägerschnitzel mit Pommes und das jeder die Sprache, in diesem Fall deutsch, könnte? Ein schon stark genervte Paar setzte sich unmittelbar neben sie und war der Verzweiflung nah. Beide beschimpfen sich gegenseitig.
„Wenn so denen ihr Urlaub weiter geht, ist die Trennung nicht weit“ sagte Hannes auf französisch zu Bernhard und Patricia.


Weiterflug nach Kambodscha

Mit der Air Asia ging es von Bangkok nach Phnom Penh weiter. Der Flug dauerte etwas über eine Stunde. Das Flugzeug war schon in die Jahre gekommen und roch etwas muffig. Das Flugzeug war nur zur hälfte besetzt, so konnten die drei es sich bequem machen und nicht wie Presswurst in der Sitzreihe eingedrückt sitzen.

Der Internationaler Flughafen von Phnom Penh war irgendwie eine Mischung aus Lagerhalle und Plattenbau. Das Terminal war sehr kühl eingerichtet und hatte einen Charme von einer Bahnhofstoilette. Herzlich willkommen in Kambodscha.

Teil 1 Kapitel 8 Weihnachten in Lothringen

Weihnachten in Lothringen. Der Weihnachtsbaum

„Für immer. Mon chérie. Pour toujours!“

Als sie wieder in Thionville ankamen., war die Begrüßung sehr herzlich. Franziska hatte eine zweistöckige Torte gebacken. Natürlich zeigte Patricia sofort das nicht fertige Bild von Peter. Gerade weil es nicht fertig war, war es ein Kunstwerk wie es ein Claude Monet, Gustav Klimt oder Egon Schiele nicht hätten besser malen können. Franziska weinte beim Anblick von diesem Bild.

Im Esszimmer wurde die Verlobung gefeiert. Patricia erzählte wieder von diesem unglaublich schönen kleinen Haus in der 6 Rue Jean Bacchi. Von einem Menü das allen Vorstellungen übertroffen hatte und natürlich von dem Heiratsantrag am Strand mit einer sündhaft teuren Flasche Rotwein vom Chateau Ferriere.

„Wie kamst du auf die Idee mir in Fréjus einen Heiratsantrag zu machen?“ Fragte Patricia.
„Es war mal wieder reiner Zufall. Ich überlege schon lange, wie und wo ich dir einen Antrag machen könnte. Paris unter dem Eiffelturm? Machen viele. Mit der Drehleiter konnte ich auch nicht mehr punkten. Weihnachten oder Silvester auf einer Skihütte in den Alpen kann auch jeder. So fiel mir beim sortieren meiner Unterlagen der kleine Zettel in die Hände, der damals die Schwägerin von Peter dir in Saint-Maxime gegeben hatte. Da wusste ich sofort wo wir wieder hinfahren müssen. Ich hatte zuerst mit deiner Mutter gesprochen. Denn ich hatte Angst oder Bedenken, dass sie uns für zu jung halten würde. Beim Tischtennis sagte mir dein Vater, dass er es auch gut findet und bot mir sein Auto an. Irgendwie mussten wir es so hinbekommen, dass du im Glauben bleibst, ich will nur nach Fréjus fahren, um mit dir Wein zu trinken. Ich rief Peter an und erklärte ihm was ich vor habe. Er kümmerte sich um das Essen. Von dem Bild hatte ich keine Kenntnis.“
Patricia kam um den Tisch, setzte sich auf seinen Schoß, legte ihre Arme um seinen Oberkörper und gab ihm einen Kuss „Für immer. Mon chérie. Pour toujours!“

Hannes rief nach Hause an. Er wollte, dass seine Eltern an oder um Weihnachten nach Thionville kommen sollten. Wie erwartend wurde das Gespräch mit seiner Mutter sehr lange. Ständig erklären zu müssen, dass sie ein völlig falsches Bild von den Lefévre’s hatte, war für Hannes anstrengend und nervend.
Am Abend rief er nochmals an und bat doch bitte um einen Besuch. Sie sagte endlich zu. Der 20. Dezember wäre ein Mittwoch. Da dies vor Weihnachten sei und somit nicht das „Heilige Fest“ stören würde, wäre es ein guter Tag. Für Hannes war es völlig egal – Hauptsache sie kamen.

In dem Moment als er den Hörer auflegte, klingelte das Telefon „Bonjour. Bonne journée à Lefévre, Hannes est au téléphone.“
Es war Cosima. Sie wolle mit Patricia reden.
„Natürlich. Ich verbinde dich. Patricia müsste in ihrem Zimmer sein.“

Hannes ging vom Arbeitszimmer die Treppe hoch zu Patricia. Sie war noch am Telefon als er zu ihr ins Zimmer kam. Das Gespräch war sehr einseitig. Patricia antworte entweder mit einem Wort oder kurzem Satz. Dicke Luft!
Hannes signalisierte ihr, dass er ins Wohnzimmer gehen würde.
Nach gut einer halben Stunde kam sie ins Wohnzimmer und erzählte von dem Gespräch und auch von der letzten Begegnung zwischen Cosima und Hannes im Super Marché.
„Warum hast du mir nichts von eurem Treffen erzählt? Cosima sagte mir wie galant du dich ihr gegenüber verhalten hast und sie lange nachgedacht hatte, wie sie sich bei mir entschuldigen kann.“ „Ich hielt es für nicht so wichtig. Entweder sie weiß was sie falsch gemacht hat oder nicht.“ „Sie möchte heute Abend vorbei kommen.“
Hannes blies die Luft aus „Musst du wissen.“ „Sie kommt gegen 20 Uhr.“

Cosima sah das Bild von Peter über der Couch hängen und war sichtlich gerührt. Das personifizierte Super Model hatte Jeans, einen schwarzen Pullover und High Heels an. Da saß eine der schönsten Frauen aus Frankreich auf der Couch von Patricia und trank mit ihnen einen Weißwein aus der Pfalz. Hannes saß beiden im Sessel gegenüber. Es zeigte irgendwie schon Größe, dass Cosima sich persönlich entschuldigen kam. Als das Gespräch endlich nicht mehr so holperte, wurde sich anderen Themen zugewandt und auch wieder gelacht. So sollte es sein. Streit war nicht gut. Beim Abschied wünschte Cosima ihnen alles gute für die Zukunft.

„So viel Rückgrat hätte ich Cosima nie zugetraut“ sagte Patricia als sie im Bett lagen.
„Ich auch nicht. Ich habe mich in ihr getäuscht. Respekt für ihre Haltung.“ „Sexy ist sie schon – oder?“ Fragte Patricia.
„Oui Mademoiselle. Nur ist Schönheit nicht alles was zählt. Sie ist im Herzen einsam, auch wenn jeder Mann von ihrem Anblick erblasst.“ „Oh, dass hast du aber schön gesagt. Ich erblasse auch gleich. Mon chérie, ich will dich jetzt, hier und sofort.“

Besuch der Eltern in Thionville

Am Morgen des 20.Dezember war Hannes beim Frühstück sehr aufgeregt. Heute würden seine Eltern kommen. Wie wird dieses Treffen der beiden Elternpaare werden? Wie lange werden sie bleiben? Viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Um 14 Uhr wollten sie in Thionville sein. Seinem Vater hat er genau erklärt wie er fahren sollte. Der Zeiger der Uhr ging auf 12 Uhr zu.
Hannes wusste nicht wie er sich beschäftigen sollte. Er lag im Wohnzimmer auf dem Chaiselongue und lernte khmer Vokabeln.
Khgnom = ich
Kon-srey = Frau
Kon-proh = Mann
Peet-srey = Ärztin
Er versuchte die Schrift irgendwie, wenn auch nur annähernd, lesen zu können. Dieses gekrakel sah alles irgendwie gleich aus.
Franziska kam ins Wohnzimmer.
„Hannes, du kannst nicht mit Gewalt alles in den Kopf bekommen! Du hast in der letzten Zeit so viel französisch gelernt, dein Hirn braucht auch mal eine Pause. Hier, trink mit mir ein Latte Macchiato“ sie reichte ihm ein großes Glas Milchkaffee. „Hör auf immer daran zu denken, dass du dumm bist. Das ist Unsinn! Du lernst schneller eine Sprache, die du vor einem halben Jahr noch nicht einmal konntest, als meine Schüler die ab der 5. Klasse anfingen eine Fremdsprache zu lernen.“

Kurz nach 14 Uhr sah er das Auto von seinem Vater in die Einfahrt einbiegen. Dann mal los.
Mit Cleo ging er die große Steintreppe herunter und begrüßte seine Eltern. Natürlich war das Haus sofort ein Blickfang – ging ihm vor sechs Monaten genau so. Durch Cleo war die Begrüßung von seinen Eltern und den Lefèvre’s entspannter. Guter Hund.
Franziska und Bernhard verzichteten gleich auf die Förmlichkeit.
Die Küche ist oft ein neutraler Ort, so nahmen alle erst einmal dort platz.
Bei Espresso, Kaffee und Cappuccino lernte man sich näher kennen. Franziska schaute immer wieder in den Backofen, nicht das der Käsekuchen ein Brikettkuchen wurde. Langsam wurde die Atmosphäre etwas lockerer.
Hannes zeigte seinen Eltern ein Teil von dem Haus. Als sie im Zimmer von Patricia das Bild von Peter sahen, blieb auch ihnen die Luft weg. Patricia erzählte wie es zu diesem Bild gekommen war. In dem Moment kam Franziska die Tür herein und die Eltern von Hannes fingen an zu erzählen, dass sie zweimal in Saint-Maxime im Urlaub waren. Bernhard kam mit Rosèwein in der Hand ins Zimmer und so saß die Gruppe schließlich dort auf der Couch und Sessel. Hannes brachte noch Wasser für seine Mutter, sie trank kaum Alkohol. In dem Gespräch erzählte seine Mutter, dass sie damals in Monaco am Hafen die Treppe herunter gefallen sei und der Souvenirs Teller für die Nachbarn kaputt ging.

Kaffee und Kuchen gab es im Esszimmer. Dort stand noch der riesige Zeitungsartikel über Hannes auf der Staffelei. Voller Stolz erklärte Franziska von dieser Aktion mit dem Feuerwehrauto. Bernhard legte mit dem Bewerbungsgespräch in Reims nach und wie angetan der Direktor, die Personalchefin und auch der Projektleiter für Südostasien von Hannes waren.
Die Eltern von Hannes wussten so vieles noch nicht.

Sein Vater fragte in die Runde, warum ausgerechnet Kambodscha für einen Auslandseinsatz gewählt wurde.
Bernhard beantwortete diese Frage „Kambodscha war fast 100 Jahre französische Kolonie. In dieser Zeit und auch noch heute, ist in der Verwaltung und im Bildungsbereich französisch eine offizielle Sprache. Da die Rote Khmer ein Genozid an über zweieinhalb Millionen Menschen verübte und somit das Land ins Mittelalter katapultierte, wird Hilfe für dieses Land dringend gebraucht. Auf das Embargo der UN hin, kommt dieses Land alleine kaum noch auf die Füße.“

Das erste Treffen war bis jetzt super gelaufen. Es wurde ein doch längerer Tag als eigentlich gedacht. Man war sich sympathisch. Die Eltern von Hannes sahen, wie natürlich, unkompliziert und freundlich Franziska und Bernhard waren. Auch sahen sie, wie Hannes in dieser Familie aufgenommen wurde. Seine Mutter hatte schon ihre Probleme damit, dass der Sohn für so lange weg sei und ob dies auch alles reiflich überlegt wäre.

„Ich weiß wie du denkst“ sagte Bernhard zur Mutter von Hannes „als Patricia mir unterbreitete, dass sie nach Kambodscha gehen möchte, war ich auch nicht gerade erfreut. Ich hätte schon gerne gesehen, dass sie Volkswirtschaft studiert. Ich kann es ihr nicht vorschreiben. Sie ist alt genug. Hannes hat mir vor zweieinhalb Monaten seine Gedanken über die Welt, über Bildung und seine Träume erzählt. Ich war sehr überrascht so etwas von einem jungen Mann zu hören. Gleich am Montag hatte ich seine Worte in unserer Organisation vorgestellt und es war an diesem Montag schon klar, dass er auf jeden Fall diese Chance bei uns bekommen wird“ dabei sah Bernhard zu Hannes „er wusste noch nicht davon – tut mir leid. Ich bin auch in Kambodscha und ein gutes Team von mir ist auch vor Ort. Patricia und Hannes gehen ihren Weg. Wenn wir sie als Eltern begleiten und unterstützen, als zu verbieten oder blockieren, können wir sehr stolz auf sie sein.“
Wow! Was für eine Laudatio, dachte Hannes.
Es kamen nochmals Einwände oder Sorgen von seiner Mutter, wegen der Sprache. Da griff Franziska sofort ein.
„Ich bin Lehrerin am Gymnasium in Thionville und unterrichte die Oberstufe. Ich kenne Hannes nun seit einem halben Jahr und er hat sich unglaublich entwickelt. Am Anfang war er nur in Begleitung von Patricia einkaufen gefahren und hatte sehr oft deutsch gesprochen oder sich kaum ohne Begleitung von ihr aus dem Haus getraut. Seit dem Geburtstag von Patricia hat er sich sehr verändert. Er geht für mich einkaufen, hat Freunde gefunden, ab und an ist er mit unserem Sohn bei der Feuerwehr, und fährt mit dem Rad zum Bäcker. Hannes hat vieles an Sprache gelernt. Ich gab ihm viele Tipps, wie er sich Gedächtnisbrücken baut. Da kann ihm Patricia wenig helfen, denn ihre Muttersprache ist nicht deutsch. Seit Tagen lernt er khmer und ich muss ihn auch schon mal bremsen. Hannes versucht zu viel auf einmal mit Gewalt zu lernen. Ich weiß von seiner Schule und das du als Mutter nicht mehr zu den Elternabende gegangen bist. Du hast dich geschämt, weil er der Klassenkasper war.“
Seine Mutter sah ihn entrüstet, traurig und böse zugleich an. Es war ihr peinlich, dass Franziska dies alles wusste. Dies war auch Franziska in diesem Moment aufgefallen und hatte sofort reagiert.
„Hannes hat mir dies alles erzählt. Er machte sich ständig Gedanken darüber, dass er nicht zu uns und zu Patricia passt. Er hat immer nur gedacht, er ist dumm. Nein! Ist er nicht. Mag sein, dass er immer etwas überspielt hatte. Mag sein, dass er in oder für die Schule faul war, aber dumm ist er ganz bestimmt nicht!“

Nun waren seine Eltern auf eine ungewollte Weise von Franziska kompromittiert worden. Patricia fand sofort die Worte „Am Bostalsee hatte ich in der Clique von ihm einen anderen Hannes gesehen, als einen Tag später. Ja, dass Bild von einem Clown hat er allen gezeigt – mir auch. Als wir an die Côte d’Azur gefahren sind, lernte ich einen Menschen kennen, der Anstand, Bildung und Niveau hat. In Fréjus hatte er ein Gespräch – nein, es waren drei Tage fast nur Gespräche mit Peter geführt, bei denen selbst ich mit Abitur nicht folgen konnte. Hannes braucht kein latein zu können, oder ein mathematisches Genie zu sein“ „Dafür hab ich ja dich“ unterbrach er sie. „Oui“ Patricia gab ihm eine Kuss auf die Wange und sprach weiter „Er hat ein unglaubliches Wissen über Politik und Geschichte. Warum er sich immer so klein macht, versteht niemand hier im Haus.“ „Ja, kommt. Ist jetzt langsam gut. Ihr müsst mich nicht in den Himmel heben und heiliger machen als der Papst. Meine Eltern haben es begriffen, dass es mir zu spät eingefallen ist mehr zu lernen – mir übrigens auch. Lasst uns lieber Abendbrot essen, als über mich zu reden.“

Patricia und Hannes deckten den Tisch im Esszimmer. So hatten beide Elternpaare auch Zeit für sich, um über andere Dinge als Hannes zu sprechen.

Es war schon spät am Abend, als die Eltern von Hannes nach Hause fuhren. Seine Mutter hatte ihn beim Abschied umarmt, dies hat sie die letzten Jahre nicht mehr getan. Sein Vater sagte „Ich bin stolz auf dich.“

Beim abräumen vom Esszimmertisch wurde noch kurz über den Tag gesprochen und alle gingen anschließend zu Bett.

Patricia lag auf ihrer linken Seite und streichelte ihn „Du bist ein guter Mensch. Als Mädchen träumt man immer von der großen Liebe, dem perfekten Mann und einer sorgenfreien Zukunft. Zwei dieser Träume haben sich erfüllt.“ „Patricia, hör auf! Wir wissen nicht was der Morgen bringt. Sich nun Gedanken zu machen, wie was wann wird, kann niemand sagen. Ich weiß nur, dass ich immer für dich da bin. Dieses Versprechen gebe ich dir auch ohne Trauring.“

Der Weihnachtsbaumbegutachter

Am Donnerstag fuhren sie nach Rombas einen Weihnachtsbaum kaufen, auf den 16 Kilometer von Thionville nach Rombas gab es eine wüste Diskussion zwischen Franziska und Patricia, wie denn der Baum aussehen sollte.
„Mach dir nichts daraus, ist jedes Jahr das gleiche“ sagte Bernhard zu Hannes und grinste.

Das Areal von dem Weihnachtsbaum Verkäufer war sehr groß. Auf dem Parkplatz standen viele Pkw und Kleintransporter.
Die kleine Gruppe ging durch die Reihen und suchte den passenden Baum aus. Auf dem Gelände gab es eine unglaubliche Auswahl an Bäumen: Kleine, große und ganz große. Die Sorten der Bäume deckte auch alle Wünsche der Käufer ab.
Nordmanntanne, Blaufichte, Rotfichte, Edeltanne oder Douglasie. Für jeden war etwas dabei – sollte man meinen. Die Diskussion über größte und Art ging bei Franziska und Patricia weiter. Hannes bemerkte, dass es anderen Männer auch so erging.

Zwischen all den Bäumen gab es einen schönen zentralen Platz mit Stehtischen, Lampions und Schwedenfeuer. Eine kleine Holzbube stand am Rand von diesem Plaz, an der es Glühwein, Kaffee und Würstchen zu kaufen gab.
Bernhard und Hannes zogen es vor, bei Glühwein dort auf die beiden Frauen zu warten. Auffällig war, dass gleicher Gedanke mehrere Männer hatten.
Hannes blickte in die Runde und sah Guisberth, den Zugführer von der Feuerwehr. Er winkte ihm zu. Die drei Männer in seiner Gruppe, schauten nach dem, den er eben gegrüßt hatte. Es dauerte nicht lange und die vier Männer kamen zu dem Stehtisch an dem er mit Bernhard stand.

Guisberth reichte beiden die Hand und stellte die drei anderen Männer vor. Seine Kumpels wollten den Mann sehen, über den in ganz Lothringen gesprochen wurde. Hannes gab eine Runde Glühwein aus. Guisberth erzählte am Tisch, wie er Hannes kennengelernt hatte und wie einzigartig diese Aktion war. Er hätte gerne gesehen, dass Hannes in die Feuerwehr gekommen wäre, denn er war öfters bei den sonntäglichen Übungen dabei.
„Guisberth, dieses Thema hatten wir schon. Ich kam gerne zu euch und würde euch auch sehr gerne unterstützen. Aber Kambodscha ist für einen Feuerwehreinsatz doch etwas weit weg.“

Patricia kam an die Holzbube und war am schimpfen, warum ihr Vater und er sich nicht bei der Suche nach einem Weihnachtsbaum beteiligen. Bernhard zog die Schultern hoch und zeigte auf die Tasse Glühwein. Sie schimpfte wieder mit ihrem Vater und mit Hannes sowieso. Guisberth sagte seinen Kumpels, dass dies jene Frau sei, für die es die 20 Meter lange Liebeserklärung gab.
Patricia hatte kurz keinen Plan um was es ging. Sie stellte sich vor und gab den vier Männer die Hand. An Hannes gewendet, fing sie wieder an zu schimpfen, er soll doch endlich mitkommen und einen passenden Baum aussuchen, denn ihr wäre es langsam kalt. Sofort bekam sie von Guisberth eine Tasse Glühwein gereicht. Franziska kam auch noch zu der Gruppe und auch sie bekam einen Glühwein gereicht. Mit Glühwein und Wurst kam man ins Gespräch. Da es sich in Thionville und offensichtlich auch in der Umgebung herum gesprochen hatte, dass Patricia und Hannes mit Bernhard nach Kambodscha gehen würden, war dies eines der zentralen Themen in der Runde.

So gerne Patricia sich auch mit Guisbert und seinen Kumpels unterhielt, es würde doch nun endlich Zeit werden einen Baum auszuwählen, denn nach Weihnachten bräuchte man diesen schließlich nicht mehr.
Franziska hatte ihren Baum, eine Nordmanntanne, schon ausgesucht und blieb mit Bernhard, Guisbert und dessen Freunde am Stehtisch mit Glühwein und Waffeln zurück. Hannes verabschiedete sich von der Gruppe, er müsse jetzt seine Pflichten als Weihnachtsbaumbegutachter nachkommen.

Die Lefèvre Villa hatten sehr hohe Zimmerdecken und von daher brauchte es schon einen Baum der in dem Haus auch wirken. Patricia wollte dieses Jahr ihren eigenen Baum in ihrem Zimmer haben. Also wurden alle Bäume ab 1,80 Meter Höhe begutachtet. Da Franziska eine Nordmanntanne gekauft hatte, wollte Patricia eine andere Sorte haben. Von dem zentralen Platz nach rechts waren alle größeren Bäume zu finden. Blaufichten, Rotfichten, Nordmanntannen und auch Korktannen.
Die Korktannen haben einen sehr intensiven Geruch nach Zitrone. Hannes sah in den Reihen der Korktannen einen Baum herausstechen.
„Prinzessin schau, was hälst du von diesem Baum?“
Patricia sah sich den kugelförmigen Bewuchs und auch die Größe von dem Baum an. Sie ging links um den Baum, rechts um den Baum, dann zwei Meter zurück und schaute wieder von beiden Seiten. Hannes verdrehte bei diesem Gehabe die Augen. Er behielt seine Gedanken, dass es nur eine Baum sei, für sich. Frau Weihnachtsbaum-Oberinspekteurin nickte endlich zustimmend „Très agréable. Sehr schön. Ja, gefällt mir.“
Endlich war der Baum gekauft und am Nachmittag würden die beide Bäume geliefert werden.

Der Baum war das eine, der Schmuck das andere. Im Gesindestock war ein Zimmer mit allerlei Weihnachtsschmuck, Lichterkette und was man noch alles zum dekorieren brauchte. Nun standen die beiden Frauen vor dem nächsten Problem  – die Farbe der Glaskugeln und Baumschmuck. Franziska hatte sich für Terracotta entschieden. Bei Patricia blieb die Frage zwischen rot, silber oder blau. „Schatz, warum nimmst du nicht die Farben von Fréjus?“ Es war ein großer Fehler, dass Hannes dies sagte.
„Oui, c’est ça! Accrochons les couleurs de Fréjus à l’arbre.“ „War zwar nur ein Scherz, aber warum nicht?“

In der Vorweihnachtszeit einkaufen zu gehen fand Hannes nicht lustig. Er konnte Patricia davon überzeugen, dass es besser wäre, sie würden alleine die gewünschten Farben der Glaskugeln kaufen gehen.

Am Nachmittag wurden ihre beide Bäume geliefert und mit tatkräftiger Unterstützung von Maurice schleppte man die Bäume ins Haus. Gemeinsam wurde der Baum von Bernhard und Franziska im Wohnzimmer und der Baum von Hannes und Patricia in ihrem Zimmer aufgestellt. Unter gleichzeitiger Zuhilfenahme von zwei Aluleitern installierte Hannes und Maurice die Lichterketten.

Da Franziska ihren Baumschmuck bereits ausgesucht hatte, konnte der Baum in einem Durchgang gemeinsam geschmückt werden.
Nachdem die Nordmanntanne geschmückt war und von allen Anwesenden für gut befunden wurde, saß man im Wohnzimmer bei Kaffee und schaute sich das Kunstwerk an. Der fast drei Meter hohe Baum machte einen gewaltigen Eindruck im Wohnzimmer.

Die Prinzessin im Türrahmen

Patricia kam mit ihrem Auto in die Einfahrt gebügelt und rief Hannes zu sich.
Im Kofferraum hatte sie eine riesige Kiste mit Glaskugeln, elektrischen Kerzen und sogar Glaskugeln mit Beleuchtung.
„Willst du einen Baum oder den ganzen Wald schmücken?“ Wie zu erwarten wurde er für seine Frage von ihr geboxt.
„Allons au travail. Auf geht’s an die Arbeit“ „Oui Madame.“

Wie nicht anders zu erwarten musste sie bei den Lichterketten noch selbst Hand anlegen. Hannes sah nun keinen Sinn darin ob die Lichterkette zwei Zweige tiefer hing oder nicht. Er ließ Patricia aber in ihrem Tatendrang. Bei einem Baum von 2.50 Höhe, der Körpergröße von Patricia, der Höhe der Leiter und die dann doch zu kurze Arme von Frau Lefèvre, musste Hannes die Lichterkette nach ihren Vorstellungen installieren. Patricia reichte ihm die gekauften Glaskugeln und ging bei jeder dritten Kugel einige Schritte zurück. Kugel höher, weiter nach links, runter, gut. Nächste Kugel nach rechts, tiefer, höher, gut. Bei Kugel Nummer drei was  es das gleiche: links, höher gut. Bei den nächsten Kugeln waren die Kommandos von Patricia gleich: tiefer, höher, links, rechts, gut.
„Hmmm. Hmmm, weiß nicht. Etwas fehlt. Hmmm.“
Hannes traute sich nicht zu fragen was in ihrem klugen Kopf mal wieder für Gedanken waren. Er fand den Baum sehr hübsch geschmückt.
Patricia nahm die Kiste mit dem Dutzend Glaskugeln, die eine Beleuchtung hatten
und verschwand aus ihrem Zimmer.

Im Hobbyraum im Gesindestock nahm sie Ölfarben von ihrer Mutter und bemalte die zwölf Kugeln selbst. Nach fast einer Stunde kam sie in ihr Zimmer zurück und hing die Glaskugeln auf – also Hannes. Mal wieder war es ihr nicht recht und so gab sie wieder ihre Kommandos.
Als der Baum endlich fertig geschmückt war, musste noch einiges an Mobiliar umgestellt werden, denn dies störte das Gesamtbild von dem Baum. Ob die Couch nun 1 oder 1,20 Meter von dem Baum entfernt stand, sah Hannes als etwas übertrieben an, behielt seine Gedanken aber für sich. Natürlich musste das Monstrum an Schreibtisch auch weiter aus dem Wirkungskreis vom Weihnachtsbaum verschoben werden.

Beide standen 4 Meter von dem Baum entfernt und betrachteten ihre Arbeit.
„Wow! Was aus einem einfachen grünen Baum so alles werden kann! Es sind wirklich fast die Farben von Fréjus.“ Patricia nickte „Natürlich hat ein 5 Watt Birnchen nicht die Leuchtkraft wie die Sonne, aber es kommt doch ganz gut.“ Hannes gab ihr einen Kuss „Hast du sehr schön gemacht. Es ist ein sehr schöner Baum.“ „Mon chérie, es ist unser Baum. Unser erstes gemeinsames Weihnachten. Je t’aime, mon coeur.“

Nach dem Abendessen wollte Patricia ihren Eltern die Beleuchtung von dem Weihnachtsbaum zeigen. Hannes ging in den Keller und brachte zwei Flaschen Wein mit auf ihr Zimmer.
Bernhard und Franziska waren überwältigend von ihrer Arbeit. Hannes dimmte das Licht im Raum und die zwölf 5 Watt Birnchen der handgemalte Glaskugeln leuchteten in violett, leicht rot, gelb, indigo und blau.

Bei Wein saßen sie auf der Couch und Sessel und schauten sich dieses Kunstwerk an. Erinnerungen an so vieles kamen hoch. Wie liebevoll Peter sie behandelt hatte und wie froh er war, wieder Menschen in seinem Haus zu haben. Peter war es auch völlig egal, welchen Preis ein Wein aus seinem Keller hatte und wie schön die tiefgründigen Gespräche mit ihm waren. Patricia würden ihm morgen einen Brief schreiben. Seine Gastfreundlichkeit, Güte und Liebe konnte man nicht in Geld bezahlen. Es tat ihr im Herz weh, wenn sie wusste, dass er an Weihnachten alleine in seinem wunderschönen Haus in der 6 Rue Jean Bacchi saß. Als sie geendet hatte, schaute jeder automatisch auf das nicht fertige Bild von Peter. Trotz diesen Farben in ihrem Zimmer kam auf einmal eine Melancholie hoch.
„Die Prinzessin im Türrahmen“ sagte Hannes leise und strich ihr übers Haar.

Beide lagen im Bett und Patricia lag mit ihrem Kopf auf seiner Brust und streichelte sein Gesicht „Mon chérie, an was denkst du immer unermüdlich?“ „An zu vieles Prinzessin, an zu vieles.“ „Rede mit mir.“ „Wie wird Peter wohl Weihnachten verbringen? Alleine am Küchentisch? Wird er an seine Louise denken? Viele Familien auf dieser Welt feiern Weihnachten zusammen und singen

Süßer die Glocken nie klingen,
als zu der Weihnachtszeit,
wie sie gesungen in seliger Nacht.
Glocken mit heiligem Klang,
klingen die Erde entlang…“

Sie sah ihn nachdenklich an.
„Glocken mit heiligem Klang, klingen die Erde entlang. Eine Erde auf der es Habgier, Zank, Folter und Kriege gibt. Schön heilig. Menschen denken in dieser Zeit besonders stark an Gott – oder an Suizid. Menschen sehnen sich nach Frieden und Geborgenheit und sitzen einsam in ihren Wohnungen.“ 
Tränen standen in seinen Augen.
„Warum geht dir dies alles so nah?“ Fragte sie.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich nicht möchte das Menschen einsam sind. Es kommt einfach so in mir hoch. Ich kann nichts dafür. Vielleicht bin ich zu sensibe für diese brutale Welt.“
Sie küsste ihn und streichelte seine Wange „Dies zeichnet dich aus. Dein Herz und Sorgen für andere Menschen ist groß. Denk doch auch mal an dich.“ „Dies ist dann egoistisch.“ „Non! Non mon chérie. Wenn man nur an sich denkt, dann schon. Dies tust du aber nicht. Komm, lass uns schlafen und hör auf zu denken. Du brauchst auch mal Ruhe.“
Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und streichelte ihn.

Am Freitagmorgen beim Frühstück, sagte Bernhard, er müsse heute noch in die Firma und würde spät nach Hause kommen.
Hannes saß bei Patricia im Zimmer und lernte khmer. Immer wieder sah er auf dem geschmückten Baum und hoffte, dass Patricia mit diesem hin und her Beschenke recht hatte und er am Sonntag nicht wie doof da stand und kein einziges Geschenk vorzeigen konnte. Sollte er doch mal nach etwas kleines für alle schauen gehen? Dann kam gleich die Frage: was? Für Franziska könnte er Leinwand und Farben kaufen. Da verließen ihn auch schon die Ideen.

Franziska war im Arbeitszimmer und korrigiert Leistungstests von ihren Schülern.
„Salut Franziska, ich hätte mal ne Frage. Wie ist es bei euch mit Weihnachtsgeschenke? Patricia sagte, dass ihr euch zu Weihnachten nichts schenkt.“
Franziska nickte „Stimmt. Du musst wirklich nichts kaufen. Patricia hat schon recht. Wir schenken uns über das Jahr immer mal eine Kleinigkeit. Weihnachten ist bei uns entspannt. Wir gehen in die Kirche und an Heiligabend koche ich und Patricia. Du hast uns mehr beschenkt als es überhaupt möglich ist. Ehrlich.“ Sie nahm ihn in den Arm „Ich bin froh, dass du hier bist.“

Mit seinem khmer Vokabeln kam er auch nicht viel weiter, denn er konnte sich nicht so recht auf die Sache konzentrieren.
– saamnang​ la thngai​ – guten Tag
– aroun​ suostei – guten Morgen
– suostei​ tae​ anak​ sokh​ sabbay​ te – hallo wie geht es dir?
Gab es auch das Wort Weihnachtsbaum in khmer?
– suostei​ tae​ anak​ sokh​ sabbay​ te – heute ist ein warmer Tag.
Was ist, wenn Patricia mir doch etwas zu Weihnachten schenkt? Wo ist sie überhaupt?
– tae khnhom ach rk kariyealy braisanei now tinea? – Wo finde ich eine Post?
War nun baulisa oder braisanei die Post oder Polizei? Gibt es überhaupt Briefkästen in Kambodscha?
Hannes merkte, dass er nicht mehr klar denken konnte und es auch keinen Sinn machten würde noch weiter zu lernen.
Wo zum Teufel war Patricia?

Weinprobe im Super Marché

Hannes beschloss noch Lebensmittel einkaufen zu fahren. Er sagte Franziska Bescheid, dass er nach Yutz zum Super Marché fahren würde.
„Weißt du wo Patricia ist?“ „Sie wolle zu Yvonne fahren.“ „Okay. Dann fahre ich schnell einkaufen. Bis später.“

Wie zu erwarten, war das Einkaufszentrum
an diesem Freitagnachmittag sehr voll. Hannes brauchte länger für den Einkauf als sonst. Gegenüber den Kassen waren verschiedene kleinere Geschäfte. Hannes sah die Werbung von einer Parfümerie. Sollte er für Patricia doch sicherheitshalber eine Kleinigkeit kaufen?
An der Kasse neben ihm stand Claude. Er kaufte für seine Eltern noch etwas für Weihnachten. Sie verabredeten sich in der Cafeteria.

Beim Kaffee hatten beide eine schöne Unterhaltung. Irgendwann meinte Claude, man könnte doch den Wein probieren den er für seinen Vater gekauft hatte. Gute Idee.
Der Rosé war wirklich gut und als Geschenk absolut zu empfehlen. Da man das Weihnachtsgeschenk leer getrunken hatte, kaufte Claude noch drei Flaschen. Eine wollten beide noch trinken. Da die Gespräche mit Claude immer sehr unterhaltsam waren, blieb es nicht bei der zweiten und letzten Flasche.
Aus Anstand zu dem Café bestelle Hannes zwei Latte Macchiato und zwei Stücke Käsekuchen.
Die vierte und definitiv letzte Flasche Wein wurde zu Himbeer-Sahnetorte getrunken.
Beide vergaßen die Zeit und den Trubel. Sie lachte viel und hatten eine schöne Zeit. Claude wurde in den letzten Monaten zu einem richtig guten Kumpel für Hannes. 
Der Rosé war äußerst zu empfehlen und ob nun eine Flasche mehr oder weniger getrunken wurde, war in dem Moment auch egal.

Irgendwann stand Patricia mit den Armen in der Hüfte an ihrem Tisch. Sie schimpfte, wer nun mehr besoffen sei. Keine leichte Frage. Beide gleich viel?
In Anbetracht des Alkoholspiegels der beiden Herren, fuhr Patricia sie nach Hause. Bei den Lefévre’s angekommenen, lachte Franziska über den alkoholisierten Zustand von Hannes. Patricia war irgendwie schlecht gelaunt.

Das Rundbett von Patricia eierte ganz schön. Hannes wollte und musste seinen Rausch ausschlafen. Die fürsorgliche Franziska brachte ihm zwei Aspirin.
Nach zweieinhalb Stunden Schlaf ging es Hannes etwas besser. Duschen und Aspirin wirkten, um einen etwas klaren Kopf zu bekommen.

In der Küche musste der Kaffeevollautomat einen doppelten Espresso zubereiten.
Franziska kam in die Küche und grinste „Na, geht wieder?“ „Noch nicht so richtig. Tut mir leid.“ „Quatscht, du bist jung und mein Gott, dann ist es mal so. Patricia soll sich nicht so anstellen. Claude ist ein guter Junge, er hat nur nicht so viel Halt im Elternhaus.“ „Ok. Ich habe ihn eingeladen. Er wollte am zweiten Weihnachtstag vorbei kommen.“ „Très bien. Bonne idée.“

Der Überraschungsbesuch

Es wurde bereits dunkel als Bernhard nach Hause kam. Die Zimmertür von Patricia stand offen, Hannes lag auf der Couch und versuchte seinen Kopf nicht all zu viel zu bewegen.
Patricia saß im Sessel und hatte ihre Beine auf den von Hannes liegen. Sie lernte khmer und fragte Hannes die Vokabeln ab. Mit immer noch genügend Restalkohol im Blut konnte er kaum seine Muttersprache in ganzen Sätzen sprechen und nun verlangte Patricia noch khmer Vokabel von ihm.
„Blau?“ „Äh, khiev.“
„Grün?“ „Beitong.“ „Beitang!“ Sagte sie streng. „Ja. Frau Lehrerin. Beitang.“
„Rothayon“ „Äh…..“
Patricia zog die Augenbrauen zusammen und verzog den Mund.
„Haus?“ „Äh… Maison“ „Auf khmer, Monsieur.“ „Weiß ich jetzt nicht. Muss du jetzt die Vokabeln abfragen? Ich kann kaum richtig denken.“ „Woran dies wohl liegen mag“ sagte eine gereizte Patricia.

In der Halle hörte er eine Stimme, die er kannte. Konnte nicht sein! Der Alkohol schien ihm doch sehr zugesetzt zu haben.
Im Gleichen Augenblick sah Patricia ihn fragend an „Hast du das auch gehört?“
„Oui., Madame.“
Hannes hörte immer noch die vertraue Stimme. Patricia sah ihn ungläubig an und erhob sich langsam aus dem Sessel. Sie ging zur Zimmertür und lauschte.
„Hannes, dass ist Peter!“ Sie rannte im Sprint die Treppe herunter und Peter genau in die Arme. „Was… wie… Peter… ich verstehe nicht…“ Patricia hatte Tränen in den Augen.
„Dein Vater rief heute Morgen an und lud mich ein. Ich wollte nicht kommen. Deine Mutter hat noch lange mit mir gesprochen. Es sei ihr größter Wunsch für Weihnachten.“ „Papa?… Wie…“ „Mit dem Flugzeug.“
Sie fiel ihrem Vater um den Hals und küsste ihn.
Hannes stand am Absatz der Treppe und war fassungslos. Mit Tränen in den Augen ging er auf Bernhard zu. Hannes konnte nichts sagen.
„Alles gut, mein Sohn. Auch wir Erwachsene können verrückt sein. Ist zwar keine Drehleiter…“ dabei nahm Bernhard ihn in den Arm.
Die Überraschung hatte wirklich eingeschlagen.

Im Wohnzimmer bei Wein und Käse erzählte Peter von den schönen drei Tage, die er im Sommer mit Patricia und Hannes erlebte. Aus der Sicht von Peter hat Hannes dies nie gesehen. Wie stolz er auf die Jugendlichen war. Ihre Höflichkeit ihm gegenüber und die vielen tiefgründigen Gespräche mit ihnen. Er erzählte von seiner großen Liebe und wie er Patricia sah, als sie mit dem Saint-Émilion in der Tür stand. Als Hannes ihn wegen der Verlobung anrief, sagte er sofort zu. Leider sei das Bild nicht fertig geworden.
„Doch Peter, es ist fertig. So wie es ist, ist es vollkommen. Nicht einmal die größten Künstler unsere Zeit hätten es besser malen könnten“ sagte Hannes und hielt die Hand von Peter fest.
„Kommt, lasst uns essen gehen. Ich möchte euch alle einladen.“ „Hannes, dies musst du nicht“ sagte Peter. „Ich weiß. Ich möchte es aber.“

Bernhard fuhr in die Innenstadt von Thionville zu einem griechischen Restaurant. Die Portionen waren riesig und alles war super lecker. Beim Essen fragte Peter, ob er einen Wunsch äußern dürfe. Jeden! Er schaute Patricia an und bat, um den wunderbaren Sauerbraten, den sie vor sechs Monaten bei ihm zu Hause gekocht hatte. Franziska sagte, dass dies kein Problem sei, sie müsste dann Morgen nur noch das Fleisch kaufen gehen. Dies würde Patricia übernehmen, mit Blick zu Hannes „Du trinkst beim Einkaufen zu viel Wein“ und  boxte ihn gegen den Oberarm.

Am Morgen nach dem Frühstück wollte Patricia Peter ihren Weihnachtsbaum zeigen. Mühsam ging Peter mit ihr die Treppe hoch. In ihrem Zimmer angekommen, war er zum einen über die größte des Zimmers beeindruckend und zum anderen über diesen sehr großen Weihnachtsbaum.
„Mein Kind, dass ist wirklich ein sehr schöner Baum. Ein Kunstwerk. Du hast Talent.“
Peter sah sein Bild in einem großen goldenen Holzrahmen und schaute es sich lange an „Schade, dass es nicht fertig wurde.“
Patricia hielt die Hand von Peter „Es ist fertig. Grand-père, c’est prêt. Dein Bild ist ein nicht vollkommenes Kunstwerk und trotzdem vollkommen. Kein Gemälde dieser Welt kann mit diesem Bild mithalten.“ Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange „Kein Gemälde dieser Welt“ wiederholte sie.

Ein Jahr geht zu Ende

Es waren die schönsten Weihnachten für Hannes. Peter feierte mit ihnen Weihnachten und auch ihm tat diese Zeit sehr gut. Es wurde sehr viel gelacht, geredet, gegessen und getrunken. Die drei Tage, die Peter bei ihnen verbrachte, vergingen viel zu schnell.
Auch Bernhard erzählte an Weihnachten von diesem wunderschönen Haus in der Rue Jean Bacchi, wenn er auch nur kurz in dem Haus war, hatte er die Magie von diesem Haus gefühlt.
Peter lud Franziska und Bernhard zu sich ein, was beide auch dankend annahmen, denn Bernhard würde bald für drei Monate wieder weg sein und so entschlossen sie sich über Silvester in Fréjus zu bleiben.

Teil I Kapitel 7 Fréjus

Fréjus im Dezember 89
10. Dezember, 2 Advent

„Prinzessin, der Moment wird nie besser als er jetzt ist.“

In diesem Zimmer, in diesem Bett, hatten sie sich das erste Mal geliebt. Sechs Monat waren vergangen und immer noch war die Liebe und der Sex etwas besonderes. Lange hat es in dieser Nacht gedauert, bis beide eingeschlafen waren.

Der Morgen kam über das Meer. Die Sonnenstrahlen waren nicht mehr so stark wie noch im Juni und trotzdem tauchte das winterliche Licht diesen Raum in Farben. Diesmal war es mehr Violett. Hannes lief ein Schauer über seinen Körper, als er das Spektrum an Farben sah.
Dieses Fenster war wie Magie. Keine noch so schöne Kathedrale auf dieser Welt, hatte ein solches Licht, wie dieses Fenster in der 6 Rue Jean Bacchi in Fréjus.

Er küsse Patricia auf die Stirn „Schatz, schau.“
Patricia öffnete verschlafen ihre schöne Augen „Mon Dieu, ist das schön.“
Lange lagen sie Arm in Arm im Bett und schauten, wie sich jeden Augenblick das Licht veränderte. In einem Moment waren es Farben wie ein Regenbogen, im nächsten Augenblick bläulich, dann indigo und ging dann in ein leichtes gelb über.

Es war Zeit zum Aufstehen. Heute war ein großer Tag. Als sie sich unter der Dusche bei tausend Farben geliebt hatten, gingen sie in die Küche. Peter hatte schon alles vorbereitet. Der große dunkelbraune Tisch war mit Backwaren und Blumen übersät. Feines und edles Porzellan welches bestimmt einhundert Jahre als sein mochte, stand zwischen getrocknetem Lavendel.
„Guten Morgen meine Kinder“ sagte Peter als beide in die Küche kamen. In dem Raum roch es nach frisch gemahlenen Bohnen, Baguette, Käse und Lavendel.
„Peter, du musst dir doch nicht so viel Mühe machen“ sagte Hannes.
„Seht es als einen kleinen Willkommensgruß. Ich wusste, dass ich euch wieder sehen werde. Nur so schnell hätte ich nicht gedacht.“

Das Frühstück an einem solch schönen Tisch war überwältigend. Bei Peter im Haus schien es, als ob die Zeit viel langsamer verging. All diese vielen wunderschöne Kleinigkeiten in dem Haus wirkten wie Balsam auf die Seele. Ob die Blumen am Fenster, der Steinboden, der alte Herd, das ticken der Wanduhr, die Bilder an den Wänden oder nur der alte Brotkorb. Jedes Detail war ein Hochgenuss für das Auge und die Sinne. Hannes konnte dieses Haus zu nichts einordnen, was er bis dahin gesehen hatte. Es war wie ein Museum, ein Schloss oder eine Kathedrale. Von allem etwas und ein Kunstwerk im Ganzen. Dieses Haus hatte eine Seele.

„Und nun wollt ihr zum Strand und Rotwein trinken?“ „Ja, Peter. Ich habe auf dem Weg zu dir, die schönste, klügste und wunderbarste Frau auf dieser Welt lieben gelernt. Was zwischen der Abfahrt von hier vor sechs Monaten und der gestrigen Ankunft passierte, möchte ich festigen. All diese Liebe begann hier. Der Himmel schickte uns zu dir. Peter, ich war noch nie in einem solchen Haus wie in diesem gewesen. Du hattest uns im Sommer ein Zimmer als Herberge gegeben, welches voll mit Magie ist.“
Patricia nahm seine Hand über den Tisch und streichelte sie „Oui, mon chérie. Du bist der Mensch auf den ich mein Leben lang gewartet habe und jedes Detail in diesem Haus ist ein Geschenk vom Himmel.“
Peter lächelte mit seinen wasserblauen Augen Patricia an „Mein Kind, wenn dies ein Geschenke vom Himmel ist, dann ist es für die Ewigkeit. Es ist noch etwas frisch am Meer, wartet noch eine Stunde. Kommt, wir setzen uns vor’s Haus. Dort ist es jetzt sehr angenehm.

Peter hatte recht, die Luft war kühl, aber die Sonne wärmte die Steinwand von seinem Haus, es war mehr als nur vor einem Haus zu sitzen – es war ein Moment voller Magie. Patricia hatte ein großes Kissen im Rücken. Sie lag an der Wand von der Steintreppe und hatte ihre Beine über die von Hannes gelegt. Peter saß ihnen in einem riesigen Flechtsessel gegenüber. Er wollte wissen, warum sie beide nach Kambodscha gehen wollten.
„Hannes hat den Wunsch, diese Welt etwas besser zu machen und Bildung für Kinder und nachhaltige Perspektive für Menschen schaffen, um ihnen eine bessere Zukunft zu geben. Mein Vater arbeitet seit Jahren für eine Hilfsorganisation, welche weltweit im Einsatz ist, um Wasserversorgungen herzustellen. Wasser ist ein Grundrecht der Menschheit. Ich möchte mit Hannes gehen, um ihm seinen Traum zu erfüllen.“
Peter nickte mit dem Kopf und sah beide immer wieder bewundernswert an.
„Bevor ich Hannes getroffen hatte, reifte in mir der Gedanke mit meinem Vater nach Kambodscha zu gehen. Nur, wie hätte ich mich bei dieser Arbeit einbringen können? Ich kann nicht graben – dafür lehren.“ „Du bist ein sehr kluges Kind und gehst deinen Weg und dies mit allen Konsequenzen. Hannes, du hast ein sehr großes Herz und bist liebevoll. Dies hatte ich dir schon im Sommer gesagt. Gott wohnt in dir, du erkennst es nur noch nicht.“

Es ging auf die Mittagszeit zu. Nun wurde es wärmer und beide beschlossen zum Strand zu gehen.
„Ich merke, dass diese Schönheit unruhig wird“ dabei schaute Peter zu Patricia „Geh in den Keller und nimm, was du möchtest.“

Patricia fand im Keller einen Rotwein vom Chateau Ferriere – einen Grand Cru Classé, aus Margaux aus der Region Bordeaux. Das Etikett zeigte die Jahreszahl 1940. Bei dieser Flasche Wein reichten 1000 France bei weitem nicht mehr aus. Patricia zeigte Peter das Etikett „Très bien, mon enfant. Un vin adapté à votre occasion.“
Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange „Merci, grand-père.“

Mit einem kleinen Bastkorb gingen sie Hand in Hand die schmalen Gassen durch die Altstadt von Fréjus hinunter zum Meer.
Es war ein anderes Fréjus als noch im Sommer. Es saßen keine Leute vor ihren Häusern, die sangen, lachten und musizierten. Einige Cafés hatten bereits seit Wochen geschlossen und die Straßen waren leer. Eine schöne antike Stadt lag im Winterschlaf

Am Strand waren nur ein paar ältere Leute, die offensichtlich Urlaub fernab vom großen Trubel machten.
Das Meer war azurblau und etwas unruhig. Vom Meer kam ein kühler Wind und brachte einen frischen salzigen Duft mit sich. Die Wellen brachen sich am Strand. Das Geräusch der Brandung ließ alle anderen Geräusche verklingen.

Auf einer kleinen Decke lagen sie an einem Dezembertag am Strand und hörten den Wellen zu. Beide schauten über das Meer zum Horizont. Dieser Augenblick war für die Ewigkeit.

Patricia entkorkte die Weinflasche. Langsam und behutsam schenkte sie den Wein in die Kristallgläser ein. Sie machte beide Gläser zu einem viertel voll. Der Wein roch leicht nach Boden aus Lehm und Kalk. Nach kurzer Zeit an der Luft und im Glas verändert sich der Geruch nach Wurzeln und Frucht. An der Nase roch man die Trauben und das Barrique. Die Farbe war ein tiefes purpurrot.
Hannes wollte den Wein gar nicht trinken, schon in Anbetracht dessen, dass dieser Wein ein Vermögen kostete.
Sie schauten sich lange in die Augen und hielten die Gläser gegeneinander.
„Für immer“ sagte Patricia und gab ihm einen Kuss.
„Für immer, Prinzessin.“ 
Sie beide hatten Tränen in den Augen als der Wein den Gaumen in einem Hochgenuss aus süße und frucht traf. „Prinzessin, der Moment wird nie besser als er jetzt ist“ Hannes gab ihr einen langen Kuss. Dabei griff er in seine Jeans und zog einen Ring aus der Tasche. Als sie den Ring sah, liefen ihr die Tränen über das Gesicht.
„Patricia Lefèvre, willst du mich heiraten?“ Sie heulte so sehr, dass sie gar nichts sagen konnte. Sie nickte und schluckte immer wieder die Tränen herunter „Oui. oui, je veux t’épouser. Oui, mon chérie. Oui.“


Das Verlobungsessen in der Rue Jean Bacchi

Der Wein war getrunken und viele Tränen waren geflossen. Peter saß mit seiner Pfeife in seinem großen Bastsessel vor dem Haus. Ein paar Meter, bevor beide bei ihm waren erhob sich der alte Mann langsam aus dem Sessel. Er breitete die Arme aus und Patricia ließ sich in seine Arme fallen und heulte.
Peter küsste sie auf die Stirn „Mein Kind, genieße diesen Moment. Bewahre ihn in deinem Herzen“ und streichelte ihr hellbraunes Haar. Peter war ein Fremder und doch wie ein Großvater zu ihnen. Seine Güte, Ruhe und Freundlichkeit waren einmalig.
„Kommt ins Haus. Ihr habt bestimmt Hunger“ sagte er.

In dem Paradies von Küche stand ein Menü, welches einer Tafel in einem Königshaus in nichts nachstand. Eine riesige Platte mit Fisch, Krabben, Muscheln und Gemüse, Rotwein in einem Kristall Dekanter und überall Lavendel und Kerzen, standen auf dem Tisch.

Der Frühstückstisch war schon besonders, was jetzt auf diesem alten Tisch stand, war das tausendfache mehr. Patricia beruhigte sich etwas und konnte wieder anfangen zu denken und fragte Peter „Du hast es gewusst?“ „Ja, mein Kind. Ich habe es gewusst. Hannes rief mich letzte Woche an und sagte mir, was er vor hat. Natürlich sagte ich zu. Es fiel mir heute morgen schwer, mir nichts anmerken zu lassen. Du wolltest zu früh zum Strand. Ich musste dich irgendwie bremsen. Das Essen wäre so früh nicht geliefert worden.“ „Merci, grand-père“ Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange, drehte sich zu Hannes und boxte in „Monsieur, kann es sein, dass meine Eltern es auch wissen?“ Mit einem fragenden und forderten Blick sah sie Hannes an.
„Oui, ma Princesse.“
Sie boxte und umarmte Hannes „Ich wollte meine Eltern anrufen und es ihnen freudig sagen, nun wissen sie es schon.“ „Mein Kind, sie wissen es. Aber doch nicht den Zeitpunkt. Geh und rufe deine Eltern an.“

Patricia ging ins Wohnzimmer und keine 10 Sekunden später schrie sie laut auf. Hannes erschrak sich und stieg sofort vom Stuhl auf und schaute Peter fragend an. „Geh, schau nach ihr.“
Im Wohnzimmer stand ein eineinhalb Quadratmeter großes Bild. Patricia lehnte an einem Türrahmen. Ihr verliebter Blick gab dem Bild eine unglaubliche Weite. Ihre Silhouette war die einer Königin. In der Hand hielt sie eine Flasche Rotwein. So stand Patricia vor sechs Monaten in der Küchentür. Genau so.

Das Bild war so filigran gezeichnet, dass selbst das Etikett von dem Saint-Émilion zu lesen war. Der Türrahmen, Patricia und ein viertel vom Hintergrund waren ausgemalt.
Peter kam ins Wohnzimmer „Ich wusste, dass ihr wieder kommt, nur so schnell habe ich euch nicht erwartet. Das Bild ist noch nicht fertig. Meine Knochen sind zu alt“ „Peter…“ mehr konnte Hannes mit seinen Tränen nicht sagen.
Patricia fiel Peter um den Hals und weinte.
Es dauerte lange bis sie in ganzen Sätzen sprechen konnte „Oh doch Peter. Das Bild ist fertig. Dieses Bild ist vollkommen. Ich weiß gar nicht wie ich dir danken kann.“
„Mein Kind, ich habe dir zu danken. Ich habe so viele Jahre nicht mehr gemalt. Du hast mir wieder Mut gegeben. Du hast mir wieder Leben gegeben.“ „Oh mon grand-père.“


 

Teil I Kapitel 6 Reims, Fréjus

„Mein Anstand verbietet es, dir jetzt eine Ohrfeige zu geben.“


Wofür Krieg?

In der Nacht von Sonntag auf Montag hatte Hannes kaum geschlafen. Zum einen war es wieder ein wunderbarer Sex mit Patricia und zum anderen war er sehr aufgeregt wegen dem bevorstehenden Vorstellungsgespräch in Reims. Wie sollte er für eine französische Firma arbeiten, wenn sein Wortschatz nur für eine kleine Unterhaltung oder zum Brot kaufen reichte? Selbst mit aller Anstrengung würde er in den nächsten zwei Monate nicht so viel französisch lernen, dass dieses für Gespräche und Diskussionen mit seinen Arbeitskollegen reichte. Franziska war für ihn eine gute Lehrerin und große Hilfe, sie half ihm Gedächtnisbrücken zu bauen wie etwas von deutsch auf französisch gesagt wurde oder wie es im Satzbau der Grammatik richtig war.
Hannes lag wach neben Patricia und konnte sich an ihrem Körper gar nicht satt sehen. Da er nun von den vielen Operationen wusste, sah er jetzt die noch schwachen Narben. Was dieser junge Mensch schon durchgemacht hatte, konnte er sich gar nicht vorstellen. Warum kann ein lieber Gott, so grausam sein? Gibt es überhaupt „Den lieben Gott“? Die Bibel zeigt oft ein anderes Bild. Das Leben zeigt oft ein anderes Bild. Er hatte sich nie Gedanken über Leukämie gemacht – davon gehört schon. Ihm kam nie in den Sinn, wie dieser Kampf geführt wird. Der Krebs oder Leukämie war für ihn weit weg, nun lag diese Krankheit einen halben Meter nackt neben ihm. Wie wird dieses Leben weiter gehen? Er hatte sich entscheiden diesen Weg mit ihr zu gehen. Er hatte es ihrem Vater versprochen und seine Liebeserklärung an eine zwanzig Meter hohe Drehleiter hängen lassen. Wann werden sich der linke und rechte Fahrstreifen von der Autobahn trennen? Hannes war gerade mal 19 Jahre alt und dachte über das Ende vom Leben nach. Kann man dies überhaupt? Darf man dies überhaupt? War man in diesem Alter überhaupt reif für solche Gedanken?
„Mon chérie, je t’aimerai toute ma vie“ sagte er leise und streichelte ihren nackten, zierlichen Körper.

Die Autobahn A4 von Thionville nach Reims fuhr sich gut. Als Hannes den Wegweiser nach Verdun sah, sagte er „Da war ich mit der Schulklasse. Die Soldatenfriedhöfe, das Beinhaus von Douaumont mit Überreste von hunderttausende Soldaten. Wir waren damals auch in den Bunkeranlagen gewesen. Diese Bilder sind heute immer noch im Kopf. Eine Sinnlose Schlacht wurde wegen Irrsinn und Größenwahn geführt. Mit Patricia habe ich schon viel über die Geschichte aus dem ersten Weltkrieg gelernt. Wir waren an vielen Orten der Maginot-Linie. Sahen Bunker, Wehranlagen und Friedhöfe. 1,3 Millionen Franzosen sind im Ersten Weltkrieg gefallen. Fast 10 Millionen in Europa. Wofür? Für Vaterland, Ruhm und Ehre?“ Bernhard und Patricia hörten ihm aufmerksam zu.
„Der Zweite Weltkrieg ist nun 41 Jahre vorbei. Ein Krieg der genau so irrsinnig war und das fünffache an Gefallenen Soldaten und Zivilisten mit sich brachte. Heute sitze ich bei einem Franzosen im Auto, liebe eine Französin und lernt diese Sprache. Krieg kenne ich nur aus Büchern oder Fahrten mit der Schulklasse. Was Peter uns in Fréjus erzählt hatte, tat mir weh – war aber wichtig für mich. Mein Opa hatte nie vom Krieg und der Gefangenschaft in Russland gesprochen. Ich hätte es gerne gehört um zu verstehen was Krieg an Tod, Leid und Flucht bringt. Peter war für drei Tage mein Großvater. Drei Tage um so vieles zu verstehen und begreifen. Nie wieder darf es Krieg geben! Trotzdem lese ich im STERN oder Spiegel über Krieg irgendwo in Südamerika oder Zentralafrika. In der Tagesschau kommen Beiträge aus dem Sudan, Somalia, Palästina oder Israel. Täglich sterben Menschen für einen Irrsinn.“
Bernhard und Patricia nickten bei seinem Worten.
„Vor etwas mehr als drei Jahren gab es in Tschernobyl einen radioaktiven Gau. Ich weiß es heute noch wo ich an diesem Tag war. Einen Tag nach dieser radioaktiven Kettenreaktion, am 27. April 86, es war ein Sonntag und mein Vater hatte gegrillt. Es war ein warmer, sonniger Tag. Meine Schwestern lagen auf der Wiese und hatten sich gesonnt. Das Radio am Grillhaus war eingeschaltet und ständig kamen Nachrichten über dieses Unglück irgendwo in Russland – die Ukraine war russisch, Punkt. Es gab Informationen von Fachleuten wie man sich in Westeuropa nun schützen sollte: Kein Salat von den Feldern essen, Obst und Gemüse gut waschen und so einiges mehr. Blöd nur, dass man einen radioaktiven Fallout nicht sieht und nicht spürt. Krieg? Wer braucht schon Krieg, es reicht wenn ein Atomreaktor explodiert. All diesen Tod mit Waffen, Panzer und Raketen braucht man doch gar nicht. Die Kühltürme von Cattenom sehe ich aus fast jeder Richtung, wenn ich hier her komme. Was ist, wenn dieses Ding auch mal explodiert? Jod Tabletten schlucken? Im Keller ein Loch graben und warten bis nach 30 Jahren die Halbwertzeit sich um was; verringert hat? Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24.000 Jahren, so viel Ravioli Dosen kann kein Mensch in den Keller schleppen, um einen atomaren Supergau zu überleben. Wer braucht schon Krieg?“
Bernhard sah ihn von der Fahrerseite aus an und nickte Hannes zu „Mein lieber Hannes, du machst dir viele Gedanken und diese natürlich zurecht. Wir hatten gegen Cattenom protestiert und trotzdem wurde der Reaktor gebaut.“ „Was bei euch Cattenom ist, ist bei uns der Hunsrück. Zwar haben wir kein AKW ums Eck stehen, dafür 96 Cruise-Missile’s. Wir leben in einer atomaren Aufrüstung von Ost und West und diese reicht aus um den Planeten zigfach zu zerstören. Mit der 8. und 9. Schulklasse waren wir damals im Kino den Film „The day after“ schauen. Was bleibt uns nach einem Atomkrieg?“
Patricia saß auf der Rückbank und legte ihre Hand auf seine Schulter.
„Frankreich ist auch eine Atommacht. Wo wollt ihr eure Atomraketen hin schießen? Als NATO Partner ist es sehr unwahrscheinlich auf Deutschland zu feuern. Bleibt nur der Osten. Der Feind kommt aus dem Osten. Warum? Nur weil die Weltpolitik dies so sagt? Ich wohne am Rand vom Hunsrück und noch keine 50 Kilometer weiter sind Mittelstreckenraketen stationiert. Ramstein ist die größte US-Air Base außerhalb der USA. Alleine in Rheinland-Pfalz gibt es 6 US Flugplätze. Bei Morbach ist das größte Munitionslager in Europa. Eine Bombe reicht und Rheinland-Pfalz ist nicht mehr! Es gibt tausende Atomraketen, wie oft wollen wir damit diese Welt zerstören?“
Schweigen und nachdenkliche Blicke von Bernhard und Patricia.
„Es passiert in der nächsten Zeit etwas. Ich weiß nur noch nicht was. Unser Außenminister Genscher fliegt nur noch nach Osten und Westen. Ist der Kalte Krieg vorbei oder stehen wir an einer neuen Stufe der Eskalation?“ „Schatz, du machst dir viele Gedanken über Dinge die du nicht ändern kannst.“ „Patricia, ich weiß. Ich möchte Bildung für Kinder und weiß das ich es nicht ändern kann, allen Menschen lesen und schreiben beizubringen. Ich glaube an das Gute im Menschen und für eine bessere Welt. Warum geht dein Vater in ferne Länder um dort eine Versorgung für Menschen zu verbessern? Warum fahren wir nach Reims? Weil wir an eine bessere Welt glauben.“ „Exactement, mon chérie.“


Das Vorstellungsgespräch bei ODHI in Reims

Bernhard steuerte das Auto durch Reims und Hannes wurde langsam nervöser. Was passiert wenn dies heute nicht klappt? Ist sein Traum dann vorbei?
„Wir sind da“ sagte Bernhard und parkte vor einem vierstöckigen Bürogebäude mit verglaster Front. Am Eingang war eine ganze Armada an Briefkästen mit bestimmt zwanzig Firmenlogos und Namen zu sehen.
Ein Pförtner betätigte den Türöffner und durch ein summen entriegelte die Tür.
Sie grüßten den Mann hinter der halbrunden Theke.
Durch die in anthrazit geflieste Halle ging es nach links zu den Fahrstühlen. Hannes hielt die Hand von Patricia.
„Tout ira bien“ sagte sie zu ihm und gab ihm einen Kuss.
„Ich hoffe es.“
Im dritten Stockwerk öffnete der Fahrstuhl seine Tür. Bernhard ging nach rechts und beide folgten ihm. Am Ende vom Flur standen sie vor einer Milchglastür. Rechts neben der Tür stand auf einem Schild der Name der Organisation.

ODHI
Organisation de développement et de secours pour l’humanité et les infrastructures

Bernhard klingelte und ein Summer ertönte. Hannes schlug das Herz bis zu Hals.
Der Empfang war ein großer weißer Tresen, der dicke graue Teppich und die Holzvertäfelungen zeigen eine Eleganz in diesem Büro. Recht am Fenster stand ein Monstrum von Palme.
Bernhard grüßte die junge Frau am Empfang.
„Ah oui. Vous êtes déjà attendu“ sagte die Anfang dreißig jährige Frau. Wir werden erwartet. Na dann.
Bernhard ging nach links an drei dunkelbraunen Türen vorbei und klopft an der vierten Tür und öffnet diese auch sogleich. Hannes hatte das Gefühl, als ob Patricia ihn in den Raum zerrte.

Ein großer Raum mit einem rechteckigen Tisch von 10 Quadratmeter im gleichen Farbton wie die Türen, stand in der Mitte. Auch hier war der graue schöne Teppichboden verlegt. Am Tisch standen vierzehn Stühle, wovon drei besetzt waren. Zwei Männer und eine Frau erhoben sich. Der erste Mann war Ende fünfzig, untersetzt und hatte einen gepflegten kurzgeschnittenen Vollbart „Bonjour, je suis Jean Grizon. Je suis la directeur.“ „Salut, Nina Dupont. Ich bin für die Personalabteilung zuständig“ sagte sie in einen luxemburgischen Akzent. Nina konnte Mitte dreißig sein und war in Jeans und weißer Bluse gekleidet. Sie hatte fast gleiche Haarlänge und Farbe wie Patricia. Sie hatte eine normale Größe und war sportlich schlank.
Der andere Mann stellte sich als Stephane Dilbert vor. Er konnte im gleichen Alter wie Nina Dupont sein. Stephane war unglaublich groß und sehr schlank. Mit seinen kurzen schwarzen Haaren und Dreitragebart machte er einen sehr gepflegten Eindruck. Auf seinen Jeans trug er ein schwarzes Sakko.

Hannes bemühte sich so viel französisch zu reden wie er konnte. Nina sagte, dass er auch deutsch reden könnte. Sie und Stephane würden ihn verstehen. Bernhard übersetzte die Fragen und Antworten von Monsieur Grizon ins französische, beziehungsweise ins deutsche.

Da am letzten Montag Bernhard und Patricia schon Vorgesprochen hatten, wussten die drei Personen schon einiges über und von Hannes. So brauchte er nicht noch einmal alles zu wiederholen. Die Fragen waren oft persönlicher Natur und Interesse.
Stephane stellten die einzelnen Projekte vor, die ODHI auf zwei Kontinenten unterhielt und betreute. Da waren schon ganz schöne Projekte dabei. Kongo, Sudan, Nigeria und Kambodscha. Stephane zeigte Videos von einzelnen Projekte aus diesen Länder. Hannes war sprachlos bei solchen Bilder. Was für eine Armut und Elend es auf der Welt gab! 
„Du und Patricia wollt euch das wirklich antun?“ Fragte Stephane, als die Videos zu Ende waren.
„Oui Monsieur. Sie kennen meine Einstellung.“ „Deine Einstellung kennen alle hier im Raum. Solche Mitarbeiter brauchen wir.“ Der Puls und Herzschlag von Hannes war kurz vor der Belastungsgrenze. „Bernhard arbeitet schon einige Jahre bei uns, von daher wäre der erste und beste Schritt, dass du in seinem Team anfängst.“ Patricia fiel Hannes um den Hals und ihm kamen die Tränen.
„Ich sagte doch, alles wird gut, mon chérie.“

Im Büro von Nina wurde alles weitere besprochen, was Hannes noch besorgen sollte, welche Versicherung und bei welcher Krankenkasse er sich für die Auslandseinsätze versichern sollte. Die Policen sollte er dann einreichen, diese würde die Organisation bezahlen. Der Arbeitsvertrag war schon vorbereitet, wie auch der Personalbogen. Als Hannes den Personalbogen las, sah er zu Patricia „Du hast diese doch schon alles gewusst.“ Patricia nickte „Bien sûr! Hast dich aber sehr gut geschlagen, mon chérie.“ „Du Biest.“
Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Letzte Woche waren beide hier gewesen. Patricia und Bernhard haben so viel von dir erzählt, dass es für uns keine Frage war, dich einzustellen. Hannes, wenn alle unserer Mitarbeiter dieses Engagement wie deines hätten, könnten wir noch viel mehr bewegen. Deine Angst wegen der Sprache ist berechtigt. Da wir aber ein internationales Team sind, wird viel in englisch gesprochen. Was deine Schule anbelangt, ist doch erst mal zweitrangig. Wir haben sehr viele Mitarbeiter die auch kein Abitur haben. Nur weil man in der humanitären Hilfe arbeitet oder arbeiten möchte, braucht man kein Abitur oder Studium. Eine Krankenschwester bei Ärzte ohne Grenzen braucht dies doch auch nicht. Es zählt die Fachkompetenz und der Wille dieser Person. Patricia sagte mir, dass du in der Schule kein französisch hattest.“ „Oui. C’est vrai, Mademoiselle.“ „Respekt. Dafür hast du das Vorstellungsgespräch sehr gut hin bekommen. Alles andere kommt mit der Zeit. Du hast eine gute Lehrerin an deiner Seite.“
Patricia gab ihm erneut einen Kuss auf die Wange.
Es klopfte an der Tür von Nina. Bernhard und Jean Grizon kamen ins Büro „Na, alles geklärt?“
Nina nickte.
„Gut, dann können wir nun essen gehen“ sagte der Direktor von ODHI.

Das Restaurant war nur wenige hundert Meter vom Büro entfernt. Jean hatte vorab einen Tisch reservieren lassen. Die Gespräche am Tisch waren sehr gut. Stephane erzählte, wie er bei ODHI angefangen hatte, im welchen Ländern er schon war und er dies sehr vermisse. Seine Tochter sei nun vier Jahre alt und aus diesem Grund sei er in der Zentrale nach Reims gewechselt. Er wäre aber immer mal wieder in Westafrika oder Südostasien vor Ort. Es gäbe Mitarbeiter in der Firma, die ihre Familien in ihren Einsatzländer dabei hätten. Die Kinder seien dann auf einem Internat von Internationalen Schulen.
„Ihr werdet sehen, was für tolle Mitarbeiter wir haben. Ihr seid nicht alleine und werdet dies auch nie sein“ Stephane blickte Patricia und Hannes an „Niemand muss in einem Zelt schlafen oder Bohnensuppe aus einem Blecheimer vom Feuer essen. Es gibt Hotels, Appartements oder sogar Häuser für die Mitarbeiter. Wir haben Mitarbeiter, die alle Jahre in ein anderes Land wollen. Diese haben dann meist nur ein Appartement. Dann gibt es Mitarbeiter, die für Jahre in dem Land leben, wo sie im Einsatz sind und haben dort Häuser gekauft oder gemietet.“


Im Super Marché in Yutz

Am Dienstag war Hannes in Yutz im Super Marché einkaufen. Da er oft genug bei den Lefèvre’s war, kaufte er natürlich auch Getränke und Lebensmittel ein. Durch die Gänge schlendernd und mal hier und da etwas in den Einkaufswagen legend, hörte er auf einmal seinen Namen rufen. Durch die Aktion mit dem Feuerwehrauto am Geburtstag von Patricia wurde er in der Region zu einer kleinen Berühmtheit und so wurde er hier und da von völlig fremden Menschen gegrüßt. Hannes war mittlerweile beim Bäcker, Metzger oder auch im Super Marché bekannt. Er ging auch schon mal mit Maurice ins Feuerwehrhaus auf ein Bier oder zwei. Er lernen immer öfter neue Menschen kennen und fühlte sich immer mehr zu Hause. Mit Claude waren Patricia und er auch schon oft Billard spielen oder Bier trinken gewesen.
Die Stimme die er jetzt hörte kam ihm sehr bekannt vor. Er drehte sich um und sah am Anfang von dem Regalgang Cosima stehen. Mit ihren Hüftlangen pechschwarzen Haare, Stretch Jeans und weißer Bluse, war sie die personifizierte Frau für jedes Modelabel. Sie küsste ihn links und rechts auf die Wange und fragte, ob er mit ihr einen Kaffee trinken möchte? Ungern, dachte er bei sich. „Volontiers. Gerne doch“ sagte er aus Anstand zu ihr. „Ich mache noch schnell den Einkauf fertig, dann können wir einen Kaffee trinken gehen.“
Cosima begleitete ihn durch die Regale und sie sprachen über belangloses.

In der kleinen Cafeteria nahmen sie an einem runden Tisch platz.
„Dein Geschenk zu Patricia’s Geburtstag war der Knaller. Alle Welt hat deine Liebeserklärung gesehen.“ „Dankeschön. Beschränke es auf Lothringen.“ „Über dich wird hier sehr viel geredet – nur gutes! Ich hatte dich im Sommer am Bostalsee gar nicht so eingeschätzt.“ „Siehste mal. Der Clown den du gesehen hast, gibt es nicht mehr.“ „Non, du warst kein Clown. Du hattest nur eine verrückte Idee mit guten Gedanken. Du hattest auf einer Kuhweide von Romantik gesprochen. Ich bin ehrlich zu dir und dachte, es seien nur Texte. Heute weiß ich, dass es nichr so war.“ „Dankeschön. Jeder von euch hätte mitfahren können. Weißt du, Cosima, die Jungs und Mädels aus der Clique wollen so viel und scheitern schon bei dem ersten Schritt. Patricia war die einzige die sofort zugesagt hatte, natürlich dachte ich in dem Moment, als ich ihr Elternhaus sah, sie wollte nur ein billiges Taxi haben um von der Kuhweide zu kommen.“
Cosima nickte „Patricia hatte es dort überhaupt nicht gefallen. Sie wollte nach Hause.“ „Würde ich so nicht sagen. Sie wollte etwas erleben. Mal eine andere Frage: wie lange habt ihr dort noch gecampt?“ Cosima schüttelte den Kopf „Wir sind am Nachmittag abgereist.“ „War mir klar.“
Cosima sah ihn verwundert an.
„Was hattet ihr erwartet? Campen ist wie ein Hotel?“ „Ja und nein.“
Hannes verzog die Augen „soll heißen?“ „Ja – soll heißen: dass offensichtlich Laura und Jasmin das Wort campen und den daraus resultierenden Mangel an sanitäre und elektrische Versorgungseinrichtungen nicht bewusst war.“
Hannes nickte „Ich hatte am Rande so etwas mitbekommen. Und nun machst du die beiden dafür verantwortlich?“ Dabei sah er Cosima mit geneigtem Kopf fragend an.
„Deine Augen sagen mir, dass du mich auch zu dieser Kategorie zählst.“ Hannes nickte stumm.
„Hannes, auch wenn du mich als den Engel aus dem Orient bezeichnest, der Engel kennt auch ein Leben ohne Strom und mit Plumsklo. Meinst du bei unseren Verwandten im Iran gibt es überall Wasserhähne aus Gold?“
Hannes nahm tief Luft und wusste nicht was er jetzt sagen sollte.
„Wir sind jedes Jahr in den Iran in Urlaub geflogen und wie es sich für eine Familie gehört, haben wir natürlich auch bei den Verwandten geschlafen. Ich kenne durchgelegene Matratzen und muffige Räume. Somit ist nun auch das Nein beantwortet. Ich glaube Laura und Jasmin hatten eine völlig falsche Vorstellung von diesem Trip. Schöne Kerle am Lagerfeuer und jeden Abend mit einem anderen bumsen.“
Hannes zog die Augenbrauen hoch. „Glaubst du, dass Töcher von einem Bauunternehmer oder Professor für Medizin brav sind? Hannes, in welcher Welt lebst du? Wenn ich mich so benehmen würde, wie die beiden, hätte ich Hausarrest bis zum Ende meines Studiums und da spielt die Volljährigkeit keine Rolle oder schlimmer noch: mein Vater könnte mich in den Iran zu seiner Schwester schicken. Nathalie, Patricia, Yvonne und ich sind das krasse Gegenteil von denen. Kannst du mir jetzt glauben oder nicht. Auch dir es an Patricia’s Geburtstag nicht entgangen, wie peinlich Laura und Jasmin sind.“
Hannes verzog dem Mund. Was Cosima sagte stimmte schon. Mit Yvonne hatte er sich schon öfters unterhalten und fand sie auch sehr nett. Was Laura und Jasmin anging, naja – auf solche Menschen konnte er sehr gerne verzichten.
Hannes sah, dass Cosima am denken war und wartete auf das was sie sagen wollte.
„Du liebst Patricia sehr.“
Hannes nickte „Oui Mademoiselle. So sehr, dass es in den Zeitungen stand.“
Sie streichelte ihm am Arm „Hannes, du weißt schon das sie krank ist. Wie soll das mit euch weiter gehen? Der Krebs wird zurück kommen und dann hast du ein Pflegefall.“
Hannes fühlte sich in diesem Moment als ob ihm jemand den Boden unter den Füßen weg gezogen hatte. Er sah diese wunderschöne Frau an und musste sich beherrschen.
Er nahm tief Luft und bemühte sich, nicht zu schreien „Cosima, mein Anstand verbietet es, dir hier und jetzt eine Ohrfeige zu geben“ sagte er noch sehr gefasst. Hannes erhob sich wortlos und ging aus der Cafeteria.

Freitag, 10. November 89 im Nahetal

Der Tag war trotz der niedrigen Temperatur sehr schön. Patricia war dieses Wochenende bei Hannes im Nahetal. Eng umschlungen saßen sie auf einer Bank am Waldrand und schauten ins Tal. Der Herbst hatte die Blätter der Bäume in unzählige Farben verwandelt und die Sonne schien ihnen ins Gesicht. Patricia hatten ihren Kopf auf seiner linken Schulter liegen und hielt mit ihrer rechten Hand seine linke Hand fest.
„Mon chérie, ich bin Gott dankbar für jeden Tag mit dir. Deine Nähe tut mir so unendlich gut. Deine Liebe lässt so vieles vergessen. Bald sind wir täglich zusammen. Dann trennen uns keine 115 Kilometer mehr. Oh, chérie.“ „Oui, Madame. Je t’aime.“ „Dein französisch wird auch immer besser. Du warst und bist nicht dumm. Für mich warst du niemals ein Clown. Was du sagst, bringt andere zum Nachdenken. Deine Worte treffen immer auf den Punkt.“ „Wow! Merci beaucoup.“ „Dies meine ich. Du redest ohne darüber nachzudenken in französisch.“ „Komm Schatz, wir gehen noch einkaufen. Ich koche heute Abend für uns.“
Patricia setzte sich aufrecht hin und sah Hannes an „Apropos Einkauf: was war letzte Woche im Super Marché?“ „Wenn du die Unterhaltung mit Cosima meinst, hatte sie viel Glück das ich ihr keine gescheuert habe.“
Patricia zog die Augenbrauen hoch „Wie? Ich hörte das du sie beleidigt hast.“ Hannes drehte sich wie vom Blitz getroffen zu ihr um und sah Patricia ungläubig an „Sag … sag das noch einmal!“ „Yvonne rief mich gestern Abend an und sagte, du hättest Cosima im Super Marché getroffen und sie zu einem Kaffee eingeladen. Du hättest sie angebaggert und sie dir einen Korb gegeben. Darauf hättest du sie mit nicht schönen Worten beleidigt.“
Was er von Patricia hörte, war nicht im Ansatz wahr. Er erzählte ihr wie es wirklich war und das er bei dem letzten Satz von Cosima noch die Beherrschung über sich hatte, grenzte an ein Wunder.
„Cosima war schon immer eifersüchtig. Dies hätte ich ihr aber nie zugetraut. Ich dachte wir sind Freundinnen. Ich konnte auch nicht glauben, was Yvonne mir sagte.“ „Mir tut dies genauso weh wie dir. Ich hatte mich mit Cosima vernünftig unterhalten und gefragt wie lange sie noch auf dem Campingplatz waren. Cosima sagte, dass sie am gleichen Tag abgereist sind.“
Patricia nickte „Stimmt. Es gab schon zwei Tage zuvor Zoff mit Laura und Jasmin. Die beiden können extrem zickig sein. Hast du an meinem Geburtstag erlebt.“
„Dies hatte Cosima mir auch so gesagt und ich hatte dies auch bestätigt. Auch weiß ich von Claude so einiges über die Damen.“
Patricia schüttelte den Kopf „Bitte behalte dies für dich. Es wissen schon zu viele von deren Alkoholexzessen und Drogen auf Sexpartys.“ „Patricia, wenn ihr Freundinnen seid, solltet ihr es denen auch mal sagen und nicht schweigen. Und mal ganz ehrlich, ich möchte die beiden nicht auf meinem Geburtstag haben.“
Patricia verzog den Mund und zog die Schultern hoch „Was sollten Cosima, Yvonne oder ich denen sagen? Wenn wir etwas gesagt hatten, war der Zoff da. Beide sind alt genug um zu wissen was sie tun – oder auch nicht. Ich hatte im Zelt von Laura ein paar bunte Pillen gefunden – und dies waren keine Antibabypillen. Aus diesem Grund wollte ich auch weg. Zum Glück. Im Grunde ist Laura für unsere Liebe verantwortlich. Und um auch noch dir den Rest zu erzählen, was soll ich sagen? Wir kennen uns von der 5. Klasse an. Beide waren nicht so, wie sie heute sind. Gut, Laura war schon immer eine verzogene neureiche Göre. Wir sind die einzigen, die sie vielleicht noch auf den Boden bringen können. Jasmin ist auf Laura’s Zug aufgesprungen. Das Resultat hast du an meinem Geburtstag gesehen.“
Patricia sah ihn traurig an.
„Die typischen verlorenen Seelen.“ „Oui.“

Im Nachbarort gingen sie im Supermarkt einkaufen. Hannes wollte „Schlabberkappes“, ein Spitzkohlgericht aus dem Hunsrück, kochen. Patricia hatte bei dem Wort „Schlabberkappes“ ihre Probleme mit der Aussprache.

Im Elternhaus von Hannes war Patricia gerne gesehen. Diese kleine quirlige Person aus Lothringen hatte eine liebenswert Art an sich, die seinem Vater sehr gut gefiel. Im Wohnzimmer redete sein Vater mit ihr und sagte, dass jener Teil von Rheinland-Pfalz nach dem Krieg französisches Protektorat war. Er suchte sogar Fotos, auf denen man an den Autos französische Nummernschilder sah. Ja, auch französisch sprach sein Vater: Chaiselongue, Trottoir, Portmonee…. Hannes hätte brüllen können vor lachen, als er deren Unterhaltung im Wohnzimmer hörte.
Es war schön anzusehen, wie sein Vater Patricia ins Herz geschlossen hatte.
In der Anfangszeit ihrer Beziehung, erzählte Hannes von den Lefèvre’s und deren Haus. Es war schon anzumerken, dass seine Eltern – vielmehr seine Mutter, wie auch seine Schwestern der Meinung waren, dass dies nie gut gehen würde. Hannes dachte anfangs auch so. Das ein Haus oder Villa nichts über Menschen, deren Herz und Charakter aussagte, hatte sich längst bewiesen.
Nachdem Hannes den „Schlabberkappes“ gekocht und alle gegessen hatten, gingen er mit Patricia in das Highlight im Ort: „Die Grott“ – die Dorfdisco der 80er. Eigentlich hieß das Lokal „Blaue Grotte“ und war seit den 50er Jahren ein Ausflugs- und Tanzlokal. Die Eltern von Hannes waren früher auch dort gewesen.
„Die Grott“ war ein großer Saal der mit Pappmaché an Decke und Wänden verkleidet war, und wie die Blaue Grotte auf Capri aussehen sollte. Da auch Vorsprünge, Stalaktiten und Stalagmiten eingearbeitet waren, war dies eine Anlehnung an das Kupferbergwerk im Ort. Es war Kult am Wochenende in „Die Grott“ zu gehen. Ende der 70er kam der große Disco Boom auf und so wurden Lichtstrahler, Discokugel und DJ Pult eingebaut. Mitte der 80er Jahre war es in diesem Lokal so voll, dass man zeitweise hätte nicht umfallen können.
Wenn Patricia bei ihren Freunden von dieser Disco erzählte, hatte jeder große Augen gemacht. Natürlich war dies alles mal liebevoll eingebaut und hatte auch seinen Reiz – es blieb trotzdem eine Dorfdisco.

Da das Elternhaus von Hannes in einer Sackgasse stand und diese Straße auch noch etwas schmal war, mussten öfters Autos wie bei einem Bildschuppspuzzle hin und her gefahren werden. So war es völlig normal, dass im Esszimmer auf einer Ablage alle Schlüssel von den Autos lagen, die nicht in die zwei Garagen passten. Im Elternhaus von Hannes wohnten auch noch seine beiden Schwestern und deren Freund, bzw. Mann. Mit 5 Autos in einem Haus, wurde es auf der kleinen Straße mitunter recht eng. Wenn Patricia bei ihm war, kam ihr Auto noch hinzu.

Patricia weckte Hannes am frühen Sonntagmorgen und war völlig aufgelöst „Mein Auto wurde geklaut!“ „Ach Schatz, niemand klaut hier im Ort ein Auto.“ „Es steht nicht mehr auf der Straße!“ „Ja, dann ist es weg.“
Patricia hörte nicht auf sich Sorgen um ihr Auto zu machen, bis Hannes sich endlich anzog, um das Auto zu suchen.
In der Garage wurde er fündig.
Sein Vater hatte „mal eben“ nach dem Auto geschaut. Zündkerzen, Keilriemen, Ölwechsel, Handbremsseil und die Vorderachse neue Bremsbeläge eingebaut. Ach ja, Scheibenwischer auch erneuert.
So war sein Vater. Nicht lange reden – machen. Da er von Beruf Maschinenschlosser war und an allen möglichen Baumaschinen auf seiner Arbeit schraubte und reparierte, war natürlich auch zu Hause alles an Autozubehör und Werkzeug in der Garage.


Freitag, 24. November 89
Aufbruch in ein neues Leben

Hannes hatte seinen Job gekündigt und nahm noch seinem Resturlaub in Anspruch. Im neuen Jahr würde für ihn ein ganz neuer Lebensabschnitt beginnen. In diesem Jahr hatte er noch etwas besonderes vor. Nur wusste er noch nicht, wie er es anstellen sollte. Hannes sortierte alle seine Papiere die er im nächsten Jahr brauchte. In einem Ordner waren Vollmachten für sein Vater für die Bank und Versicherung. Ob er sein Auto verkaufen oder nur abmelden wollte, wusste er noch nicht. Vorsorglich ließ er alles weiterlaufen wie gehabt, denn er wusste nicht ob die humanitäre Hilfe nicht zu einem Alptraum werden würde und er in drei Monaten zurück kommen würde. Von seiner Firma hatte er die Zusage bekommen, dass er jederzeit dort wieder anfangen könnte. Der zweite Chef der Firma, und sein Vorgesetzter, bedauerte seine Kündigung und war auf der anderen Seite stolz auf die Entscheidung von Hannes.
Zwischen all seinem Chaos an Papiere und Ordner fiel ihm ein kleiner Zettel in die Hand. Handschriftlich stand eine Adresse darauf geschrieben. Lange schaute er dieses kleine Zettelchen an. Danke Gott!

Es wurde Zeit auf widerstehen zu sagen. Auf widerstehen von zu Hause, von Freunde und der Heimat. Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt. Hannes fühlte sich in Lothringen wohl. Seit fast einem halben Jahr war er fast jedes Wochenende in Thionville. Er hatte dort Freunde gefunden, seine große Liebe und eine Familie, die ihn wie einen Sohn aufgenommen hatte.
Die letzten Monate waren eine unglaubliche Zeit, wie er es sich niemals hätte vorstellen können. Aus einer spontane Idee oder Verrücktheit heraus, lernte er die unglaublichste Frau seines Lebens kennen.

In der kleinen Küche saß Hannes mit seiner Mutter beim Mittagessen. Er sah ihr an, dass sie traurig war. Er wollte nicht nochmals seinen Schritt erklären, es würde sich auch beim hundertsten mal an seiner Entscheidung nichts ändern.
Die Küchenuhr zeigte 13.37 Uhr.
„Mama, ich muss fahren. Ich soll vor 14 Uhr noch zu Jürgen in die Praxis kommen. Ich bekomme heute meine letzte Impfung.“

Hannes stellte seinen Koffer und eine Reisetasche in den Kofferraum von seinem Auto und wurde wehmütig.
Seine Mutter kam ans Auto „Hast du alles?“
Er sah sie an und zog die Schultern hoch „Materiell passt mein Leben in einen Koffer. Die Erinnerungen an so vieles könnte ich gar nicht alle einpacken. Mama, ich stehe vor einem großen Schritt in ein neues Leben. Ob es mir gelingt – weiß ich nicht. Vielleicht bringe ich in drei Monaten einen Koffer an schönen Erinnerung oder einen mit Alpträume zurück. Ich weiß es nicht.“
Seine Mutter sah ihn wortlos an.
„Egal wie es wird und was auf mich zukommt, ich habe mich für diesen Schritt entschlossen und ich bin bereit diesen auch zu gehen. Mit Patricia würde ich an jeden Punkt dieser Welt gehen. Ich liebte diese Frau so sehr, dass ich mein Leben für sie geben würde. Natürlich habe ich mich typisieren gelassen. Es wäre ein Wunder gewesen wenn meine Stammzellen gepasst hätten. Die Menschen spalten Atome, haben Physik neubestimmt und fliegen in den Weltraum. Leukämie bekommen sie nicht in den Griff. Ist die Menschheit wirklich so schlau oder waren die großen Errungenschaften nur Zufälle?“

Um 13.55 Uhr klingelte Hannes an der Haustür von seinem Hausarzt. Über die Gegensprechanlage hörte er die Stimme von Gabi, der Frau vom Doktor „Komm hoch.“
Jürgen war in seinem Arbeitszimmer und stand an einem Bücherregal. Ohne sich umzudrehen sagte er „Ich habe noch zwei gute Bücher von meiner Doktorarbeit gefunden, die schenke ich dir.“ Jürgen drehte sich um und nickte ihm zu „Bist du bereit?“ „Ja, bin ich.“ „Deine neusten Blutwerte sind da. Es ist alles in Ordnung. Cholesterin ist etwas erhöht, aber in Asien geht dieser Wert schnell runter. Wenn irgend etwas sein sollte und du dich nicht gut fühlst oder Fieber bekommen solltest – ruf mich an.“

Die Fahrt von seinem Ort an der Nahe, wo er nun neunzehn Jahre gelebt hatte, nach Thionville war eine andere. Es werden keine 125 Stunde oder 7500 Minuten bis zum Wochenende mehr sein. Ab heute würde er mit Patricia täglich zusammen sein.

Gegen 16 Uhr war er in Thionville angekommen. Franziska war im Arbeitszimmer und bügelte, als er ins Haus kam. Sie sah ihn glücklich an „Hannes, schön das du da bist.“ Sie nahm ihn in die Arme. Franziska wurde in den letzten Wochen wie eine Mutter für ihn. Er konnte mit ihr über sehr vieles reden, sie lernte mit ihm französisch, wäschte und bügelte seine Kleider.
Hannes erzählte ihr, was er dieses Jahr noch vor hatte und ob sie dies für eine gute Idee hielt.
„Hannes! Das freut mich so. Du weißt wie sehr ich dich mag.“ „Wo ist Patricia überhaupt?“ „Sie ist vor zehn Minuten nach Hayange gefahren um Maurice abzuholen. Sein Moped macht mal wieder Stress.“ „Ich schau‘ mir das Ding mal wieder an. Soll ich noch einkaufen fahren?“ „Wäre schön, dann kann ich in Ruhe bügeln und das Abendessen vorbereiten.“ „Ich räume mein Auto noch aus, dann hab ich Platz für den Einkauf.“ „Quatsch, fahr mit meinem Auto. Der Schlüssel liegt im Flur auf dem Sideboard. Bring noch bitte Mineralwasser mit.“


Begegnung mit dem personifizierten Supermodel

Hannes fuhr die paar Kilometer nach Yutz zum Super Marché. In der Obst und Gemüseabteilung sah er die Silhouette von Cosima – dem personifizierten Supermodel. Sollte er sie erfolgreich ignorieren oder ansprechen? Er beließ es bei erfolgreich ignorieren. Drei Regalgänge weiter konnte er sie nicht mehr mit ignorieren, denn Cosima kam von links und er von rechts. Als Cosima ihn sah, wusste sie nicht wie sie reagieren sollte.
„Salut Cosima“ „Salut Hannes“ „Cosima, wir sollten etwas klären!“
Sie schaute zu Boden, die Begegnung war ihr offensichtlich sehr peinlich.
„Cosima, ich möchte kein Streit oder Hass. Es war nicht schön, was du Yvonne über mich erzählt hattest. Warum du dies getan hast, erklärt sich mir nicht.“ „Es tut mir sehr leid“ sagte sie leise.
„Cosima, wir können über alles reden, nur mag ich nicht, wenn Lügen über mich verbreitet werden. Mittlerweile bin ich hier bekannt und habe auch Freunde aus der Umgebung.“ „Es tut mir leid.“ „Sagtest du bereits. Bringt uns aber nicht weiter.“
Sie sah ihn an und nahm tief Luft „Ich war eifersüchtig. Auf dich, auf Patricia, auf eigentlich alles. Du hast ihr eine Liebeserklärung gemacht, von der jede Frau nur träumen kann. Du kümmerst dich um sie und gehst sogar mit ihr nach Südostasien.“ „Soll vorkommen, wenn man sich liebt“ sagte er schnippisch.
„Mir hat noch kein Mann so seine Liebe erklärt wie du es geta…“ „Cosima, STOP! Was hat dies mit deinen Lügen über mich zu tun? Ich kann doch nichts dafür, dass du dich nicht geliebt fühlst. Du bist in meinen Augen die schönste Frau in Frankreich. Du kannst alle Männer dieser Welt haben.“
Cosima sah ihn aufrichtig an „Schönes Kompliment, dankeschön. Ich habe gelogen, weil ich wollte das ihr euch trennt.“
Hannes war wie vor den Kopf geschlagen als er dies hörte „Warum?“
„Weil ihr glücklich seid.“
Hannes riss die Augen auf „Weil, … weil wir glücklich sind? Sag mal geht’s noch?! Der einzige der uns trennen kann, ist der Tod. Sei froh, dass du gesund bist.“
Sie sah ihn erschrocken an.
„Wir wissen beide, dass Patricia krank ist und irgendwann … der … der Zeitpunkt kommt…, den wir versuchen täglich auszublenden. Glaub mir, leicht ist es nicht.“
„Hannes…“ hauchte sie und hatte Tränen in den Augen.
„Ich habe mich für Patricia entschieden, als ich von ihrer Krankheit noch nichts wusste. Nun weiß ich es und bleibe trotz – oder wegen dem bei ihr.“ „Du hast eine solche Stärke in dir.“ „Danke. Cosima, ich mag dich. Ich hatte dich auch falsch eingeschätzt, dies gebe ich zu. Bei unserer letzten Unterhaltung hattest du mir ein Bild von dir gezeigt, dass ich nicht kannte. Ich habe dich in die gleiche Schublade gesteckt wie Laura und Jasmin. Dies tut mir leid und dafür entschuldige ich mich auch. Patricia hatte mir bestätigt, dass du definitiv nicht so bist wie die beiden Schnäpfen. Wie schon gesagt, ich mag dich und ich schätze die Unterhaltungen mit dir. Nur hast du beim letzte viertel der Unterhaltung gelogen und du hast mich schlecht gemacht.“
Cosima senkte ihren Blick und nickte.
„Hannes, es tut mir leid. Bitte verzeih mir“
Cosima sah ihn an und hatte noch mehr Tränen in den Augen. Ihr tat es wirklich sehr leid und Hannes wollte nun auch nicht weiter auf diesem Fehler herum hacken.
„Cosima, auch du wirst einen Mann finden, der dich von Herzen liebt. Eifersucht bringt dich aber nicht weiter. Es tut dir im Herz genau so weh, wie du anderen weh tust. Lass uns Freunde bleiben und alles was war vergessen.“
Sie sah ihn an und nickte „Danke, danke für deine Worte.“
Hannes nahm sie in die Arme und drücke sie an sich „Ich verstehe dich auch ein Stück weit. Du bist wunderschön, begehrenswert und klug. Die Männer die dich lieben, lieben deine Schönheit. Sie zeigen sich gerne mit dir und führen deine Schönheit anderen vor – nicht aber die Person Cosima Schayani. Liebe, tiefe- oder wahre Liebe, ist dies nicht.“
Cosima nickte langsam „Oui. Tu as raison.“ „Ja, ich weiß, dass ich recht habe. Cosima, dies ist der Preis deiner Schönheit.“
Sie weinte und legten ihren Kopf an seinen. Hannes streichelte ihr über den Rücken und gab ihr einen Kuss.
„Lass uns Freunde bleiben.“ „Oui. Du bist ein wunderbarer Mensch. Patricia hat dich mehr als verdient.“ „Dankeschön. Komm, lass uns Kaffee trinken gehen. Ich lade dich ein. Engel aus dem Orient.“


Auf nach Fréjus

Nach dem Abendessen wollte Bernhard mit Hannes mal wieder Tischtennis spielen. Im dritten Stockwerk vom Haus war genügend Platz für so einiges an Freizeitaktivitäten. Bernhard war beim Tischtennis ein guter Gegner. Mit der Zeit wurde Hannes auch immer besser und so wurden die Partien der beiden immer länger und anstrengender.
Nach dem Spiel saßen sie bei einem Bier auf der Rundcouch in dem Freizeitraum.
„Franziska hat mir erzählt, was du vor hast, finde ich gut – sehr gut sogar. Du kannst mein Auto haben.“ „Dankeschön.“ „Du bist wie ein Sohn für uns. Als Franziska mir im Sommer von dir erzählte, konnte oder wollte ich vieles nicht glauben. In den letzten Wochen konnte ich mich jedes Wochenende davon überzeugen, was Franziska sagte. Mach dir mit Kambodscha nicht so viele Gedanken, es ist alles nicht so schlimm. Du lernst schnell und ich bin ja auch noch da. Mein Team wirst du noch kennenlernen. Sie sind alle in Ordnung – wirst du schon sehen. Wie Stephane schon gesagt hatte, ihr seid nie alleine. Wir lassen niemand im Regen stehen.“ „Im Oktober hatte ich mir in Idar-Oberstein in der Buchhandlung ein Wörterbuch und Reiseführer über Kambodscha gekauft. Ich möchte nicht ganz unvorbereitet nach Kambodscha gehen. Khgnom yul tedj,- ich verstehe nur ein wenig.“ „Très bien. Tu me surprend.“
„Merci beaucoup. Im überraschen bin ich gut.“

„Ach, kommt Monsieur auch mal wieder zu mir?“ Patricia lag auf der Couch in ihrem Zimmer und schaute Fernsehen.
„Salut, Prinzessin. Ich hatte mit deinem Vater Tischtennis gespielt. Du hättest ja auch hoch kommen können.“ „Nein. Ich wollte euch alleine lassen. Hast du Bier getrunken?“ „Oui Madame.“ „Ich hätte Lust auf einen guten Wein.“ „Gut, ich geh eine Flasche in den Keller holen. Rosè?“ „Oui, s’il vous plaît.“

Zusammen kuschelten sie auf der Couch, schauten einen französischen Spielfilm und tranken Wein.
„Bald ist Weihnachten. Ich habe keine Ahnung was ich euch schenken könnte. Immer diese Erwartungen von schenken. Ich schenke dir etwas und du mir, ist doch eigentlich völliger Unsinn.“ „Ich weiß. Wir haben dieses hin und her beschenke seit langem nicht mehr. Als Kinder war es natürlich super und auch schön. Nun feiern wir Weihnachten ganz ruhig. Mit Essen, Kerzen, Weihnachtsbaum und Gemütlichkeit. Also brauchst du dir über Geschenke keine Sorgen zu machen. Ich habe schon das größte Geschenk bekommen. Für mich ist täglich Weihnachten. Da du jetzt auch hier wohnst, noch viel viel mehr.“ „Ich wollte vor oder nach Weihnachten noch einmal nach Hause fahren. Oder sollen wir meine Eltern zu euch einladen?“ „Würden sie kommen?“
„Mein Vater sofort. Bei meiner Mutter bin ich mir nicht sicher. Sie meint ja immer noch, dass ihr etwas „besseres“ seid.“ „Oh mon chérie, nur weil ich Abi habe und in einer Villa wohne?“ „Ich weiß. Lass gut sein. Ich frage sie nochmal. Mehr kann ich nicht tun. Lass uns noch ein Glas Wein trinken.“

Zurück ans Meer

Hannes konnte sich an dieser Frau nicht satt sehen, Patricia lag mal wieder quer im Bett und hatte ein sehr verführerischen Negligee in traupe-rosé an. Behutsam streichelte er ihren zarten Körper. Er wollte sie schlafen lassen und trotzdem berühren.
„Es ist schön, deine Nähe zu spüren. Mach weiter“ sagte Patricia verschlafen.
„Ich wollte dich nicht wecken.“ „Ich weiß. Du bist so fürsorglich zu mir. Das tut der Seele gut. Du tust mir gut.“ „Patricia, ich würde mein Leben für dich geben.“
Sie drehte sich zu ihm um, gab ihm einen Kuss und sagte leise „Ich weiß.“
Patricia umarmte ihn ganz fest und fing an ihn mit ihren zarten Händen zu streicheln. Es war Erotik pur und der Beginn von einem wunderschönen Sex.

Langsam kam das Morgengrauen an diesem Dezembertag. Sie lagen eng und nackt im Bett.
„Patricia, bevor wir nach Kambodscha gehen, würde ich noch mit dir ans Meer fahren.“ „Ans Meer? Im Dezember? Welches Meer meinst du?“ „Du weißt genau welches Meer ich meine. Patricia, ich möchte nochmal zum Anfang zurück.“ „Oui. Lass uns ans Meer fahren“ sagte sie verträumt.

Bei Frühstück sagte Hannes, was sie vorhatten. Ganz überraschend tuend sagte Bernhard „Toll! Ihr könnt mit meinem Auto fahren. Eine so lange Strecke fährt sich mit einem guten Auto doch besser.“ „Papa, c’est très gentil de ta part“ sagte Patricia, sprang auf und umarmte ihren Vater. Er machte ein Augenzwinkern zu Hannes.

Patricia rannte aus der Küche in ihr Zimmer und packte in Rekordzeit eine Reisetasche. Hannes hatte seinen Cappuccino noch nicht getrunken, da stand sie wieder in der Küche.
„Allons-y. Venir. Komm. Los. Genug Kaffee getrunken. Auf ans Meer.“
Das war seine Patricia. Alles sofort, jetzt und gleich. Keine fünf Minuten später fuhr Patricia mit dem BMW von ihren Vater aus der Garage.

„Du musst nicht so rasen. Das Meer läuft nicht weg.“ „Ich möchte gleich nach Fréjus. Wenn ich schneller fahre, sind wir früher da.“ „Nach der Physik und Berechnungsgrundlage von Geschwindigkeit mal Strecke geteilt durch…“
Sie boxte ihm gegen seinen linken Arm.
„Du könntest aber noch schneller fahren, dann schaffen wir vielleicht das Raum-Zeit-Kontinuum zu überwinden und sind gestern schon da.“
Und wieder bekam er eine geboxt. Sie nahm seine Hand und küsste sie „Sind wir verrückt, mon chérie?“ „Nein. Wir sind verliebt, jung und nicht so wie andere.“ „Meinst du, Peter lässt uns wieder bei sich wohnen?“ „Warum nicht? Er hatte sich doch sehr gefreut, dass wir noch zwei Tage bei ihm blieben.“

In etwas über drei Stunden war Patricia bereits bei Màcon – die hälfte der Strecke. Essen wollten sie nichts. Patricia kauften an einer Tankstelle vier Croissants und zwei Dosen Coca-Cola.
Nach dem tanken fuhr Hannes weiter. Er fuhr eine etwas höhere Geschwindigkeit als sie. Patricia wollte so schnell wie möglich nach Fréjus. Diesmal schlief sie nicht. Sie hatte ihren Kopf auf seiner rechten Schulter liegen und redete über dies und das. Erinnerungen von der ersten Fahrt kamen immer wieder hoch. Die Wegweiser mit den Entfernungen nach Marseille und Aix-en-Provence wurden immer weniger. Bald kamen schon Schilder mit der Aufschrift: Fréjus, Cannes, Nizza. Fréjus 35 Kilometer.

In 6 Stunden und 11 Minuten waren sie fast 900 Kilometer „geflogen“.
Hannes lenkte das Auto in die Nachbarstraße von Peter’s Haus.
Patricia zog Hannes an der Hand um die zwei Häuserecken auf das Haus von Peter zu. Sie klingelte und wurde nach 5 Sekunden schon nervös und wollte wieder klingeln.
„Jetzt wartet doch mal. Er ist ein alter Mann.“ „Und wenn er nicht da ist?“
5 Sekunden später klingelte sie wieder. Im Haus hörte man geschimpfe auf französisch. Die Tür bewegte sich langsam und Patricia fiel Peter um den Hals.
„Natürlich. Ich kenne niemand der so viel Wind macht wie du. Hallo mein Kind, komm doch rein. Ach, du bist drin“ er gab ihr einen Kuss auf die Stirn
„Hannes, mein Sohn. Schön dich zu sehen.“
Beide umarmten sich.

In der Küche bei einem Rotwein, der diesmal “nur“ 26 Jahre alt war, unterhielten sich die drei über die Ereignisse der letzten sechs Monate.
„Ja, ich hatte die Liebeserklärung von Hannes gesehen“ sagte Peter.
Beide sahen Peter ungläubig an.
„Es kam im Fernsehen. Bei einem Boulevard Magazin auf France 1. Ihr beide seid Romeo und Julia aus Lothringen.“
Dies hatten beide nicht gewusst, dass seine Liebeserklärung in ganz Frankreich bekannt war.
Der Abend wurde mal wieder spät. Mit guten Gesprächen und noch einer Flasche Wein war es nach Mitternacht, bis alle im Bett waren.

Teil 1 Kapitel 5 Patricia’s Geheimnis

Patricia’s Geheimnis


Die Liebeserklärung

Die Zeit zwischen den Wochenenden verging immer schneller. Unter der Woche
telefonierten beide über Stunden miteinander und Patricia erzählte, dass am Freitagabend ihr Vater aus Kambodscha nach Hause kommt und sie sich sehr freuen würde, dass er zu ihrem Geburtstag zu Hause sei.
Den Vater hat Hannes nur auf Fotos gesehen und aus Erzählungen von Franziska und Patricia konnte er sich ein Bild von ihm machen.

Da Hannes nun regelmäßig nach Thionville kam, war Cleo auch nicht mehr so stürmisch, um bei jeder Ankunft von ihm das halbe Auto zu zerlegen. Trotzdem kam Cleo ihn immer direkt begrüßen, wenn Hannes mit dem Wagen vorfuhr.

Patricia kam die große Steintreppe herunter gesprungen und im Lauf sprang sie Hannes an. Sie schlung ihr Beine um seine Hüfte und legte ihre Arme um sein Hals „Mon chérie, ich liebe dich“ und gab ihm einen dicken Kuss.
Es war schön diese Frau fest halten zu können. Ihre Art, ihr Duft, ihre Liebe waren einzigartig – sie war einzigartig.
„Oh, mon chérie. Maman ist zum Bahnhof nach Metz gefahren, heute kommt mein Vater. Dann lernt ihr euch endlich kennen. Ich habe in den letzten Telefonaten so viel von dir erzählt“ „Oh, ich hoffe nicht nur angenehmes und gutes.“
Für diesen Satz wurde er mal wieder geboxt.
Eine halbe Stunde nach der Ankunft von Hannes, kamen die Eltern von Patricia vorgefahren. Patricia sprang wie ein Flummi am Wohnzimmerfenster auf und ab. Als sie den Wagen ihrer Mutter in die Einfahrt einbiegen sah, stürmte sie aus dem Raum. Hannes war erst an der Haustür, da war Patricia schon unten auf dem Hof.
Als ihr Vater aus das Auto stieg, umarmte Patricia ihn fest. Nachdem Patricia diese überaus freudige Begrüßung beendet hatte, stelle sie Hannes ihrem Vater vor. Sie sprang immer noch wie ein Flummi auf und ab.
Bernhard ging auf die fünfzig zu. Er war schmal und gute zehn Zentimeter größer als Hannes. Er hatte braune kurze Haare mit leichtem grauem Ansatz und er sah müde aus.
Hannes wollte die Familie alleine lassen und ging mit Cleo spazieren.

Nach dem Abendessen saß die Familie im Wohnzimmer zusamen. Bernhard erzählte von Kambodscha, seinen Projekte und das er nun für einige Zeit zu Hause sei. Patricia sagte, dass sie nach seinem Urlaub mit ihrem Vater nach Kambodscha gehen werde. Sie möchte nicht sofort studieren. Hannes merkte an den Blicken von Bernhard und Franziska, dass irgend etwas nicht stimmte. Patricia hat ein Geheimnis, welches sie Hannes immer noch verschwieg.

„Soll ich euch mal alleine lassen? Ich denke, ihr drei habt etwas zu klären.“ Franziska schaute Hannes ratlos an „Bleib! Es betrifft auch dich“ sagte sie und schaute ihren Mann an. „Nein. Ich komme nun schon einige Zeit hier her – und komme auch sehr gerne. Aber etwas verschweigt mir Patricia. Ich möchte sie nicht kompromittieren. Entweder hat sie das Vertrauen zu mir, oder nicht. Ich bin oben im Zimmer.“

Cleo lag der Länge nach bei ihm auf der Couch und hatte seinen Kopf auf dem linken Oberschenkel von Hannes liegen und schnarchte wie ein Bär. Patricia kam ins Zimmer. Sie zog den Sessel näher zur Couch und setzte sich Hannes gegenüber. Sie sah ihn lange an und Hannes sah sie denken.
„Liebst du mich?“ Fragte sie.
„Diese Frage hatten wir schon einmal. Und um sie wieder zu beantworten: ja. Ja, ich liebe dich.“  „Kannst du dich erinnern, wie ich am Bostalsee und auf dem Weg nach Avignon war? Weißt du noch, wie ich sagte, die Liebe ist wie eine Autobahn? Sie geht hoch und runter, rechts und links.“ Hannes nickte „Gerade noch so. Könnte aber in 40 Jahren etwas verblasst sein. Patricia, nun eiere nicht hier herum. Sag, was los ist – oder lass es.“ Sie nahm seine beide Hände, nahm tief Luft und schaute ihm in die Augen „Ich bin krank.“
Patricia wartete auf eine Reaktion von ihm. Er sah sie weiter ganz ruhig an und Hannes wartete auf den nächsten Teil ihrer Ansage.
„Ich habe Leukämie…“
In diesem Augenblick dachte er, dass ihm jemand den Boden unter den Füßen weg zieht.
Hannes stieß hörbar die Luft aus „Ok. Jetzt verstehe ich die Reaktion von deiner Mutter, von vor Wochen. Jetzt verstehe ich auch deine Aufgedrehtheit. Du hast Angst, etwas zu verpassen und packst alles in den einen Moment.“ „Oui.“ „Gut. Dann hätten wir dies nun geklärt.“
Patricia sah Hannes irritiert an „Ich verstehe dich nicht.“ „Patricia, es ändert nichts an meiner Liebe zu dir. Es kann irgendwann mal kompliziert werden – muss es aber nicht. Wir wissen jetzt doch gar nicht wie und wann diese Krankheit wieder ausbricht. Wenn es soweit ist, bin ich für dich da. Genau so wie gestern, heute und morgen!“ Tränen liefen ihr übers Gesicht. Er nahm sie fest in den Arm, küsste ihre Stirn.

Die Nacht war mal wieder sehr kurz. Dafür der Sex sehr lange, angenehmer und vielleicht auch besser.
Gegen 7 Uhr war Hannes wach. Patricia lag mal wieder quer im Bett und ihr Kopf auf seiner Brust. Sie lagen in einem Fußballfeld großen Bett und trotzdem hatte er keinen Platz. Hannes streichelte die hellbraunen Haare von Patricia, ihr Gesicht und ihren zierlichen Körper. Patricia war ohne Frage eine Schönheit und jeder Zentimeter von ihr war begehrenswert. Hannes wollte nicht aufstehen, er wollte diesen Moment genießen. Beim Anblick von ihrem nackten Körper fiel ihm ein, dass er immer noch kein Geburtstagsgeschenk für sie hatte. Was sollte er ihr nur kaufen? Sie hat so vieles. Kitsch fand er doof. Blumen?Blumen waren Kitsch oder buntes Gemüse. Parfüm? Hatte sie mehr als eine Drogerie im Regal stehen. Ein Gutschein für irgendwas fand er sehr unpersönlich und einfallslos. Cleo würde sich über einen Knochen freuen. Hund müsste man sein. Wie mit einen Hammer ins Hirn geschlagen kam ihm die Idee.


Singing for world peace

Beim Frühstück sagte er zu Maurice, dass er mit ihm reden müsste.
Im Garten erzählte Hannes, was er heute Abend vor hatte und ob dies mit seiner Hilfe umsetzbar sei.
Maurice hob die Hand und sie gaben sich ein High five.
„Hannes, du bist ne echt coole Socke. Ich helfe dir. Bekommen wir hin. Gib mir ne Stunde Zeit. Dann sag ich dir Bescheid.“
Maurice stand auf und ging ins Haus. An der Küchentür drehte er sich zu Hannes um „Du bist voll cool.“

Bernhard kam mit zwei Tassen Kaffee zur Sitzgruppe in den Garten und reichte Hannes eine Tasse. Bernhard setzte sich ihm gegenüber „Hannes, wie du gestern Abend reagiert hast, zeigt Größe und deinen Charakter. Dafür möchte ich dir danken. Ich hoffe ihr beide habt es geklärt.“
Hannes nickte „Dankeschön. Ja, wir haben es geklärt. Von meiner Seite wird sich die Zuneigung und Liebe zu deiner Tochter nicht ändern. Ich war vorher in sie verliebt und werde es auch in Zukunft sein. Ich bin für sie da. Dies verspreche ich dir. Patricia hat den Wunsch nach Kambodscha zu gehen und ich soll mit. Ich weiß nicht wie dies überhaupt funktionieren soll und kann.“ „Gut das du es ansprichst. Franziska hat mir etwas gesagt und ich bin daraus nicht ganz schlau geworden. Erzähl du es mir bitte.“ „Okay. Wo fange ich an? Es wird wohl etwas länger dauern um dir meine Gedanken zu erzählen.“
Bernhard lächelte „Ich habe Zeit.“
„Also gut. Mit vierzehn las ich ein Buch von Peter Scholl-Latour „Der Tod im Reisfeld“ und ich war gefesselt von diesem Buch. Ab da an hatte ich alles nur erdenkliche über Scholl-Latour gekauft oder gesammelt. Interviews von ihm aus dem STERN oder Spiegel in Klarsichtfolie abgeheftet, Diskussionsrunden mit ihm im Fernsehen habe ich förmlich aufgesaugt. Ich bewundere heute noch diesen Mann. In der Schule hatte ich mich bei außenpolitischen Themen immer sehr gut eingebracht. Außenpolitik ist groß und kann vieles verändern. Sie kann für ein besseres miteinander der Staaten sorgen und Frieden und Sicherheit stabilisieren.“ An dem Blick von Bernhard zu urteilen, war dieser von seinen Worten erstaunt, überrascht oder begeistert. Da saß ein junger Mann im Garten und textete einen erfahrenen Mann aus der humanitären Hilfe mit außenpolitischen Sachfragen und den daraus resultierenden Entscheidungen zu.

Patricia kam zu ihnen und setzte sich links neben Hannes. Sie hielt seine Hand fest und hörte aufmerksam zu, was Hannes ihren Vater erzählte .
„Bernhard, ich bin der festen Überzeugung, dass durch Bildung die Spirale der Armut durchbrochen werden kann – zumindest im kleinen. Der Analphabetismus kann auf dieser Welt nie besiegt werden – nur verringert. Natürlich sind Kriege ein großes Problem für eine Fortführung der Bildung. Es gibt aber genügend Länder auf der Welt, wo kein Krieg ist und die Menschen trotzdem keine – oder sehr geringe Bildung erfahren. Schau nach Malaysia, Indien, Bangladesch oder Philippinen. Bestes Beispiel ist doch Kambodscha. Du bist dort. Ich habe darüber gelesen dass die Rote Khmer ein Genozid an über zwei Millionen Menschen verübt hatte.
All die Menschen die dem Regime nicht passten wurden brutal ermordet. Ob Künstler, Intellektuelle oder Oppositionelle. Die Rote Khmer hat sich durch ihren Wahn in kürzester Zeit ins Mittelalter katapultiert. Ich schätze, dass es eine, vielleicht sogar zwei Generationen braucht, bis die Menschen in Kambodscha wieder lesen und schreiben können.“
Bernhard nickte hin und wieder bei dem, was Hannes ihm sagte. Er sah seine Tochter an und dann wieder zu Hannes. „Es geht mir nicht darum dass ein Kind „Die Glocke“ von Schiller lesen kann. Es geht um deren Rechte! Wer keine Verträge, keine Gesetze oder Grundrechte lesen kann, bleibt in der Abhängigkeit – und dies sein Leben lang. Was nützen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, wenn diese Menschen noch nicht einmal wissen das es so etwas gibt?“

Franziska kam aus der Küche und brachte noch eine Thermoskanne Kaffee mit. Sie nahm neben Bernhard platz.
„Mein Wunsch ist eine bessere Welt. Mir ist klar, dass durch lesen und schreiben das Leid, der Hunger und die Kriege nicht beendet werden – es gibt aber die Chance dazu. Bildung ist wichtig für eine bessere Zukunft von Menschen. Wenn es nur ein weiteres Prozent der heutigen Weltbevölkerung schafft, lesen und schreiben zu können, sind wir auf einem – vielleicht, besseren Weg in die Zukunft.“ Hannes sah zu Patricia und an ihrem Gesichtsausdruck merkte er, dass sie seine genannten Zahlen im Kopf ausrechnete.
„Natürlich ist diese Zahl utopisch.“
Patricia boxte ihn und er grinste sie an.
„Es wird noch nicht einmal 0,003 Prozent sein“ Hannes schaute Patricia hämisch an.
„Zur Zeit leben ungefähr 5,3 Milliarden Menschen auf dieser Welt. Wo und wann hört es auf? 1970 waren es fast zwei Milliarden Menschen weniger. In elf Jahren haben wir ein neues Jahrtausend. Bildung und Hunger müssen oder sollen auf diesem Planeten bekämpft werden, wenn wir eine vernünftige Zukunft für uns alle und nachfolgende Generationen haben möchten. So weit zu meinen Gedanken.“

Bernhard, Franziska und Patricia brauchten einen Moment um seine Worte sacken zu lassen.
Bernhard sah zu seiner Frau und dann zu Patricia. Er nickte anerkennend in die kleine Runde am Gartentisch „Tout le respect, Hannes. Ich hatte ein völlig falsch Bild von dir.“
Patricia gab ihm voller Stolz einen Kuss. „Was du sagst, zeigt mir, dass du dir viele Gedanken machst und auch wirklich gute Argumente vorbringst. Wenn ich deine Worte und Gedanken richtig verstehe, hast du keine Schlagwörter wie: „Singing for world peace“ oder „Light a candle for the poor people“, im Kopf. Du willst an der Basis Veränderung für Menschen.“
Hannes nickte ihm zu „Ja. Ja, Bernhard, ich möchte den Menschen an der Basis helfen. Es nützt niemanden etwas, wenn man mit bunten Banner durch die Straßen läuft. Es werden mit solchen Aktionen zwar auf Missstände hingewiesen, aber es braucht auch Menschen, die es vor Ort umsetzen. Ich würde dann besser die Schlagwörter:“Work for world peace“ nennen.“

Vorbereitung für Patricia’s Geburtstagsgeschenk

Maurice kam aus der Küchentür in den Garten „Hannes, könntest du mir bitte wieder am Moped helfen? Das Ding spinnt mal wieder.“
Hannes nickte und verstand die Nachricht. Hannes entschuldigte sich und stand auf. Er gab Patricia einen Kuss und sagte, dass er kurz mit Maurice weg müsste.

Im Feuerwehrhaus in der Rue Charlemagne, stelle Hannes seine Idee den fünf anwesenden Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr vor. Er erkläre wie er sich dies vorstellte und ob dies überhaupt so schnell umsetzbar sei. Christophe Duquenne , einer der Feuerwehrkameraden sagte ihm, dass er eine Werbeagentur hätte und dies kein Problem sei. Er sollte doch mit ihm in deine Firma fahren.
„Excellent. C’est vraiment génial“ sagte Hannes. Er fragte den Zugführer, was ihn deren Einsatz kosten würde. Guisberth Loiseau lächelte und meinte, drei Kisten Bier wären ausreichend.
„Merci beaucoup, Guisberth. Wir sehen uns später. Au revoir.“

Hannes folgte Christophe in ein kleines Gewerbegebiet im Westen von Thionville. In dessen Werkstatt war die Farbe für den Hintergrund doch nicht so einfach zu klären.
Christophe zeigte ihm einen unglaublich dicken Ordner mit seinen bisherigen Aufträge und Hannes war nun völlig am Ende mit seinem Latein. Er sah eine Arbeit für eine Discothek. Dort war ein Himmelsbild mit Sternen und Planeten zu sehen. Hannes dachte sofort an das Deckengemälde von Cassiopaia.
„Christophe, dies sieht echt cool aus.“ Hannes erzählte ihm von dem Sternenbild in Patricia’s Zimmer.
„Naja, Cassiopaia bekomme ich auf die schnelle nicht hin, aber den Hintergrund vom dem Foto habe ich noch. Was ich noch da habe, sollte reichen.“ „Cool.“

Christophe ging in sein Lager und kam kurze Zeit später mit dem zurück, was er noch hatte. Er zeigte es Hannes und sagte auch gleich, wie es es sich vorstellt.
„Super! Du machst das schon. Merci beaucoup.“
Hannes legte 300 France auf den Tisch „Reicht dies für deine Arbeit?“
Christophe schüttelte den Kopf „Nimm das Geld. Ist schon in Ordnung. Du bist echt cool. Ich kenne Patricia flüchtig und weiß von ihrer Krankheit. Wenn ich dir mit meiner Arbeit diesen Gefallen tun kann, dann mache ich es sehr gerne.“ „Merci beaucoup.“


Der unendliche Weg zur Küche

Hannes fuhr zurück in die Rue du Coteau. Die Vorbereitungen für Patricia’s Party müssten nun angegangen werden. Als er in die Einfahrt fuhr, sah er ein Auto mit SÜW Kennzeichen.
Ach du liebe Güte, nun sind auch noch Oma und Opa aus Deutschland gekommen.
Hannes ging die breite Steintreppe hoch und fingerte den Haustürschlüssel aus der Hosentasche. Er war gerade dabei diesen in das Türschloss zu stecken, als die Tür aufgerissen wurde, ob man einen Einbrecher verjagen wollte. Es fehlte nur noch das obligatorische Nudelholz.
„Bist du der Hannes aus Deutschland?“
„Ja.“ „Ich bin die Oma von Patricia.“ „Aha.“ Warum überrascht mich dies nun nicht? Dachte er bei sich.
„Bonjour Madame“ Hannes reichte ihr die Hand. Auf französisch hörte es sich schöner an, als auf deutsch „Guten Tag, Oma“ zu sagen.
„Du kannst ruhig deutsch mit mir reden.“  „Schön.“
Er versuchte sich an der älteren und etwas korpulenten Frau vorbei zu zwängen. Dieses unterfangen war gar nicht so einfach. Machte er einen Schritt nach links, ging ihrer sofort nach rechst. „Entschuldigung,… ich müsste mal vorbei. Ich bin in diesem Haus bekannt.“ „Ja, ich habe schon so vieles von dir gehört. Da sagte ich heute morgen zu meinem Günther – Günther, wir müssen heute nach Frankreich fahren. Da müssen wir hin. Ich muss doch den zukünftigen Mann von unserer Enkelin sehen.“ „Mon dieu! Aha.“ Wo verdammt war der Hund wenn man ihn brauchte?
„Also, dass ist ja schön, dass ich dich endlich kennenlerne…“
Hört der Flur den nie auf?
„Ich habe extra noch zwei Kuchen gebacken. Ich hätte gerne noch eine Torte gebacken, aber bei der langen Fahrt, setzt sich alles so durch und sieht dann nicht mehr schön aus.“ „Ja ja, verstehe ich. Pudding, Sahne und Biskuit sind nicht immer kompatibel.“
Warum hilft mir niemand? Dachte Hannes
„Wir bleiben bis morgen hier. Ist ja so weit zu fahren.“„Ja, ja.“
Endlich war die Küche erreicht.
Am Küchentisch saß Franziska mit einer Tasse Kaffee und grinst breit.
„Excusez moi s’il vous plait, Madame.“
„Hach sei doch ned eh so fährmlich. Med miehr kannsde normal schwätze“ sagte Oma. Franziska kamen die Tränen vor lachen. Hannes war not amused „Würde ich ja. Ich komme aber nicht zu Wort. Ich entschuldige mich, ich möchte auf die Toilette.“

Raus aus diesem Alptraum.
Hannes ging mit schnellem Schritt dieTreppe hoch und sofort ins Zimmer von Patricia. Cleo pennte auf der Couch. Es war kein Verlass auf den Hund. Hannes setzte sich zu ihm auf die Couch und streichelte seinen Kopf „Komm du noch mal zu mir und willst einen Baum geworfen haben. Du treulose Tomate.“

Hoffentlich war Patricia’s Zimmer neutraler Boden und Oma beschränkt ihr Territorium auf die Küche.
„Mon chérie?“ „Oui?“ „Komm bitte ins Bad.“ Patricia stand vor dem riesigen Spiegelschrank und hatte ein hautenges schwarzen Minikleid an. Ihre hellbraunen Haare, die ihr weit über die Schultern hingen standen im Kontrast zu diesem pechschwarzen bisschen Stoff. Sie war geschminkt wie ein Model. Der Lidschatten und Makeup an den Augen brachten ihre sowieso schon schönen Augen noch mehr zum Ausdruck. In ihren schwarzen Pumps mit guten 12 cm Absatz war sie plötzlich ein gutes Stück größer.
„Mein Gott!“ Mehr konnte in diesem Moment nicht sagen.
„Très bien. Mehr wollte ich gar nicht hören.“
Er küsste sie lange „Mein Gott, bist du schön.“ „Merci beaucoup. Kannst du heute Abend ausziehen.“

Nach einer guten halben Stunde mit ihr im Bad, konnte er sich dieser wunderschöne Frau entziehen.
Hannes wollte doch endlich im Garten bei den Vorbereitungen zum Geburtstag helfen. Um nicht in das territoriale Hoheitsgebiet von Oma zu kommen, wählte er den Weg über den Gesindeflur nach draußen. Einziges Problem waren die 2 Meter ungeschützter Raum von dem Ende der Treppe bis um die Ecke der Halle. Von der Küche hatte man einen guten Blick dorthin. Nach dieser Ecke, hätte er eine reelle Chance die Tür zum Gesindeflur zu erreichen.
Cleo lag immer noch der Länge nach auf der Couch und pennte. Auf ihn war heute kein Verlass.

Hannes öffnete die Tür von Patricia’s Zimmer um nun seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er ging leise die Treppe herunter und horchte ob das Hoheitsgebiet noch in der Küche lag. Très bien. Die Chancen standen gut, sein Vorhaben umzusetzen. Er ging den zweiten Bogen der Wendeltreppe herunter, als er hörte, dass sich das Hoheitsgebiet in der Küche verlagerte. Er musste nur noch zwölf Stufen schaffen. Die Chancen standen gut. Sechs Stufen. Drei Stufen. Hannes blieb stehen und lauschte. Er hörte Oma und Franziska in der Küche streiten. Er stand links dicht an der Wand und rechnete Meter pro Sekunde bis zu dem Punkt, wo er in Sicherheit wäre. Jetzt oder nie, sagte er sich und steuerte mit langem Schritt die letzten drei Stufen und viereinhalb Meter an.
„Hannes…“ hörte er eineinhalb Meter vor der Freiheit, Oma in die Halle rufen.
Angriff ist die beste Verteidigung. Hannes drehte sich um und ging auf die Küche zu „Ich kann jetzt nicht. Muss draußen helfen und den Grill anzünden. Sorry.“
Der Angriff fiel in sich zusammen „Wir essen doch erst einmal Kuchen! Wir grillen doch mittags um zwei Uhr kein Fleisch!“ „Es gibt Spanferkel. Das braucht so lange“ mit einem schnellen Blick auf Franziska, die heute irgendwie ein Dauergrinsen hatte, nahte die Freiheit durch die Gartentür der Küche.

An der Sitzgruppe saßen Bernhard und Günter bei einem Bier.
Günter war ein schmaler Mann, mit Halbglatze und Hornbrille. Er begrüßt Hannes freundlich „Hallo Hannes, schön dich kennenzulernen. Ich bin Günther. Franziska und Bernhard haben schon viel gutes über dich erzählt.“
Gut oder angenehm? Kam es ihm in den Sinn. „Hallo Günther.“
„Magst du auch ein Bier?“ Fragte Bernhard. „Gerne. Ich möchte gleich anfangen im Gartenhaus etwas Platz zu schaffen und noch dekorieren. Ich denke das dies zum feiern für den Abend besser ist als draußen. Ich weiß nicht wie frisch es heute Abend wird.“ „Gute Idee. Ich helfe dir gleich. Wo ist Maurice überhaupt? Der lässt sich heute gar nicht blicken.“ „Nee, lass nur. Bin gleich fertig. Ich hatte am Freitag schon einiges aus dem Gartenhaus in die Garage geschafft. Ist nicht so viel Arbeit. Ich brauche zum dekorieren auch nicht all zu lange.“ Hannes nahm einen kräftig Schluck Bier aus der Flasche und ging in Richtung Gartenhaus.
„Netter Junge.“ Hörte Hannes von Günter, als er 4 Meter weg war.

Im Esszimmer war alles für Kaffee und Kuchen gedeckt. Gleich würden die Freunde von Patricia kommen. Hoffentlich genug, damit das territoriale Hoheitsgebiet von Oma eingeschränkt werden konnte.
In der Küche machte er sich am Kaffeevollautomaten noch eine Tasse Kaffee. Er stand mit dem Rücken an der Anrichte, den Kopf gegen den Hängeschrank gelehnt und genoss den Duft von frischem Kaffee vor sich in der Tasse.
Franziska kam in die Küche „Anstrengend, ich weiß. Hast du aber sehr gut gemeistert. Auch wenn ich Bauchweh vor lachen hatte.“ „Du hast die Begrüßung von deiner Mutter mitbekommen?“ Fragte Hannes erstaunt.
„Natürlich. Ich hätte brüllen können vor lachen.“
Franziska machte sich eine Tasse Cappuccino und schaute ihn an „Du bist schon etwas ganz besonderes – schön das du hier bist“ sie streichelte ihm die Wange „gehst du nicht zu Patricia?“ „Deine Mutter ist bei ihr. Wenn ich da noch aufschlage, kannst du Kaffee und Kuchen für heute vergessen.“ „Wo ist Maurice überhaupt? Er ist doch vor Mittag mit dir weggefahren.“
„Ich hab ihn zu einem Kumpel nach Yutz gefahren. Die wollten etwas an dessen Moped reparieren.“ „Okay. Yutz? Da wohnt Francis. Ich sollte mal anrufen. Maurice könnte langsam mal nach Hause kommen.“
Lieber Gott, nein! „Die schrauben bestimmt noch am Moped. Er wird schon bald kommen.“ „Du hast recht. Er wird bald kommen.“
Hannes sprach ein Stoßgebet gen Himmel.

Hannes schaute von der Anrichte auf die Treppe und sah Patricia wie sie mit ihrer Oma die Treppe herunter kam. Was für ein Anblick! Eine Königin hat nicht diese Anmut wie Patricia, dachte er und stelle die Kaffeetasse ab und ging ihnen entgegen. Auf halber Treppe trafen sie sich. Patricia hakte sich bei ihm unter und gab ihm einen Kuss. Gemeinsam gingen sie die Treppe herunter. Hannes fühlte sich als ob er sie zum Traualtar führen würde. „Hach, dass ess joh, wie wenna se in die Kerrsch fiehrt.“ Oma war wohl auch geistig mit Hannes verbunden.
Franziska stand an der Ecke zwischen der Küche und Treppe. Es sah so aus, als ob sie sich eine Träne wegwischte.


Deplatziert bei Kaffee und Kuchen

Im Esszimmer nahmen die drei Frauen platz. Hannes stellte sich bewusst in den Erker um Abstand zu halten.
„Aei me Bub setzt dich doch eh nähwa misch.“ „Danke, ich schaue, wann die Freunde von Patricia kommen.“ Hoffentlich bald, dachte er.

Zehn Minuten später fuhren zwei Autos in die Einfahrt. Er erkannte Cosima, Jasmin, Laura, Nathalie und Yvonne.
„Dein Besuch kommt. Ich geh ihnen die Tür aufmachen.“

Hannes begrüßte die Freundinnen von Patricia und bat sie ins Esszimmer. Die Freundinnen begrüßten Franziska und Oma. Hannes ging in den Garten um Bernhard und Günter zu rufen. Beide saßen unter dem Sonnenschirm und tranken noch – oder wieder Bier.
„Möchtest du noch ein Bier?“ Fragte Bernhard. „Gerne.“ Hannes setzte sich zu den Männern in den Schatten.
Es dauerte nicht lange, da wurde Hannes von Oma gerufen: Er sollte doch ein Stück Kuchen essen kommen. Das Feuer für das Spanferkel kann auch alleine brennen.
Bei Spanferkel und Feuer schauten Bernhard und Günter fragend zu Hannes. Er zog die Schultern hoch „Längere Geschichte“ und folgte dann gehorsam dem Aufruf von Oma.

Zum Glück waren im Esszimmer drei Stühle Sicherheitsabstand zu Oma. Hannes saß gegenüber Cosima. Ihre Eltern kamen vor Jahren aus dem Iran nach Frankreich und sie sah wie ein Engel aus – ein Engel aus dem Orient. Cosima war mit Abstand die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Lange pechschwarze Haare, eine leicht gebräunte Haut und kastanienfarbene Augen. Sie war genau so schmal wie Patricia, aber gute 15 Zentimeter größer. Ein absolutes Supermodel.
Cosima sah ihn die ganze Zeit immer wieder lange an. Wusste sie nicht mehr, wo sie sich zuerst getroffen hatten? Er sah, dass sie sich mit ihm unterhalten möchte, sie fand aber irgendwie keinen Anfang. Er traute sich nicht, diese Schönheit in der absoluten Perfektion anzusprechen.
Die aufgeblasene Jasmin saß rechts neben ihm und ignorierte ihn völlig. Sie hielt sich für den Nabel der Welt. Ihr Vater war Professor im Krankenhaus und sie zu blöd ein Pflaster zu kleben. Sex, Drugs and Rock’n Roll konnte sie am besten. Wobei bei ihr noch Stupid hinzukam. Das Sprichwort: dumm fickt gut, konnte man ihr nicht von der Hand weisen.
Laura saß links neben Cosima. So konnte er diese von sich selbst überzeugte doofen Nuss beobachten. Als Tocher von einem der größten Bauunternehmen in der Region, zeigte sie den Reichtum ihrer Vater, mit ihren teuren Designerklamotten. Hannes merke, wie auffällig oft sie ständig ihren linken Arm bewegt, nur um ihre GUCCI Armbanduhr zu zeigen. Selbst Cosima verdrehte bei diesem Gehabe die Augen.

Als alle von dem Kuchenbuffet satt waren, beschloss man in den Garten zu gehen. Das Wetter war an diesem Tag sehr sonnig, aber nicht zu heiß wie noch vor Tagen.
Bernhard und Günter saßen immer noch beim Bier.
„Möchtest du noch ein Bier?“
„Gerne.“
Oma brachte Günter zwei Stücke Kuchen. Da die Frage nach Kuchen für Bernhard von ihm verneint wurde, bekam er trotzdem ein Stück Kirchsahne.

Die Jugend machte es sich in dem Gartenhaus bequem. Getränke aller Art hatte Hannes dort schon bereit gestellt – dummerweise keinen Champagner für Jasmin und Laura. Immerhin hatte Laura drei Flaschen Champagner von Moèt et Chandon in ihrem Auto. Hannes war sich nicht sicher, ob eine der drei Flaschen tatsächlich als Geschenk für Patricia gedacht war, oder Laura mit dieser Edelmarke nur angeben wollte. Konnte auch sein, dass sie dieses Gesöff brauchte um ihr Level zu halten.
Laura’s Dekadenz zeigte sich, als Hannes im Ess- und Wohnzimmerschrank der Lefévre’s nur banale Weingläser fand.
Er nahm kurz neben Patricia platz und hörte den Mädels zu, was wer wie wo studieren würde oder möchte. Hannes kam sich in dieser eloquenten Clique sehr deplatziert vor. So nahm er an den Gesprächen wenig bis gar nicht teil. Er bekam das Gefühl nicht los, dass er irgendwie übersehen wurde. Dies konnte auch reine Absicht sein. Er passte eben nicht in die Liga der Doktoren, Richter, Rechtsanwälte und Unternehmerstöchter. So verhielt er sich unauffällig und geräuschlos neben Patricia.
Mädels, was seid ihr für Kleingeister! Patricia könnt ihr alle nicht das Wasser reichen – trotz ihrer Leukämie. Dies würde er diesen aufgeblasenen Hühner am liebsten sagen wollen.

Bernhard kam ins Gartenhaus und begrüßte die Freundinnen von Patricia.
„Meine Damen, mein Herr, heute ist der 19. Geburtstag meiner Tochter. Bei ihrer Geburt war ich dabei gewesen. Ich sah sie in den Jahren aufwachsen. Die Zeit verging sehr schnell. Die ersten Geburtstage im Prinzessinnen Design. Dann gab es eine Geburtstagsfeier auf einem Ponyhof – und auch Geburtstage auf der Kinderkrebsstadion im Krankenhaus.“
Bernhard machte eine Pause und sah in die Runde der Gäste.
„In all den Jahren haben sich die Gespräche geändert. Vom Traumprinz zu Pferderassen über die Zukunft bis hin zu dem wo und was man nun studieren möchte.“
Bernhard machte erneut eine Pause und sah die Freundinnen von Patricia an „Meine Tochter möchte nicht studieren – nicht sofort. Sie möchte nach meinem Heimaturlaub mit mir nach Kambodscha gehen. Natürlich war es ein Schock für mich, als ich ihren Entschluss hörte. Als Eltern wünscht man sich nur das beste für seine Kinder. Nun – ich kann nicht mehr über sie bestimmen. Ich kann sie aber unterstützen. Dies werde ich auch tun. Patricia und Hannes werden ab dem kommenden Jahr in der humanitären Hilfe in Kambodscha arbeiten.“
Patricia sprang von der Bank auf und umarmte ihren Vater. Hannes konnte die eben gesprochene Worte kaum fassen.
Bernhard drehte sich zu Hannes um, kopfte ihm auf die Schulter und ging aus dem Gartenhaus.
Auf einmal waren ganz andere Gespräche im Gartenhaus. Neid, Freude und auch Unverständnis hielten sich die Waage.
Cosima sah Hannes mit ihren wunderschönen Augen erschrocken an „Du gehst mit?“
Bevor er antworten konnte, tat es Patricia „Ja, er geht mit. Auf dem Weg vom Bostalsee nach Fréjus habe ich einen Mensch kennengelernt, der einen unglaublichen Weitblick, Charakter und Herz hat, dass ich mich so sehr in ihn verliebt habe.“
Patricia nahm mit diesem Satz den anderen den Wind aus den Segeln. Sie setzt sich auf seinen Schoß, legte die Arme um ihn, wuschelte seine Haare und gab ihm einen dicken Kuss „Mon chérie, mit dir gehe ich ans Ende dieser Welt.“ „Mädels, ich verlasse ungern die Party, ich müsste doch mal das Feuer anmachen, damit wir später grillen können.“
Hannes hob Patricia hoch, gab ihr einen Kuss und ging aus dem Gartenhaus.

Bernhard winkte Hannes zu „Hannes, komm mal bitte.“
Er setzte sich zu Bernhard und Günter an den Gartentisch.
„Noch ein Bier?“ „Nee, lass mal. Mein Hirn dreht sich schon genug.“ „Hannes, nun kennst du meine Entscheidung. Wenn du dies möchtest, reden wir in aller Ruhe darüber.“ „Danke. Bernhard. Sehr sehr gerne.“

Als Hannes am Grill stand, fiel ihm ein, er hätte Brennholz von zu Hause mitzubringen können. Na ja, muss es auch mit schnöder Holzkohle gehen. Es gab für den Abend kein Schwenkbraten aus dem Hunsrück.


Karlson auf dem Dach

Mit der Zeit kamen noch andere Geburtstagsgäste. Tanten, Onkeles, Cousin und Cousinen von Bernhards Seite. Auch kamen noch ein paar Jungs und Mädels aus der Klasse von Patricia. Ein etwas kräftiger Junge, mit rotblonden gelockten Haaren und rundlichem Gesicht kam zu ihm an den Grill. Karlson auf dem Dach, dachte Hannes beim erste Anblick von dem Jungen.
„Du bist also der coole Typ aus Deutschland über den so viel geredet wird? Ich bin Claude.“ „Oui, je suis Hannes d’Allemagne. Bonjour Claude“ und reichte ihm die Hand.
Claude kam näher und sagte leiser „Die Schnäpfen da drin, zerreißen sich in der Stadt das Maul über dich. Was ich über dich gehört habe, finde ich cool!“ „Merci beaucoup. Ich weiß, ich passe nicht in diese Liga der Highsociety.“ „Ich auch nicht. Ich gehe mir ein Bier holen, willst du auch eins?“ „Oui.“

Am Feuer unterhielten sich Claude und Hannes. Claude passte wirklich nicht in diese Schulklasse. Er trug keine Marken- oder Designerklamotten. Er war sehr bodenständig, ruhig und hatte Ansichten, die Hannes teilen konnte. Claude kam auch nur auf den Geburtstag um sich selbst ein Bild von dem deutschen zu machen. Diese Art gefiel Hannes: Nicht zu urteilen über jemanden den man nicht kannte.
Cosima kam an den Grill und fing an, mit Hannes sprechen „Salut Hannes, die Ansage von Bernhard ist wahrlich eine Überraschung.“ „Oh ja, dass ist es. Ich hatte erst heute Vormittag mit Bernhard darüber gesprochen.“ „Ich finde es schön, dass du Patricia glücklich machst.“ „Merci beaucoup Mademoiselle.“


Das Geburtstagsgeschenk

Maurice kam auf Hannes zu und klopfte ihm auf den Rücken „Komm bitte mit vor’s Haus, dein Geburtstagsgeschenk steht in der Einfahrt.“
Claude und Cosima sahen fragend zu Maurice und Hannes.
Hannes entschuldigte sich bei beiden und ging mit Maurice an den Geburtstagsgästen vorbei, um von der Rückseite des Hauses über den Rasen zur Einfahrt zu kommen.
In der Einfahrt stand die Drehleiter der Feuerwehr von Zug III aus Thionville.
„Très bien. Ich danke dir, Maurice.“

Hannes ging ins Gartenhaus und bat Patricia mit ihm zu kommen. Hand in Hand gingen sie durch den Garten ums Haus auf die Einfahrt zu. Patricia sah das Feuerwehrauto und die 20 Meter hohe Drehleiter. Vom Ende der Leiter, bis fast auf den Boden, hing ein Banner mit einem Sternenhimmel als Hintergrund und in leucht Farbe stand

L’amour est comme l’autoroute
Elle monte et descend.
A propos des ponts
gauche et droite
mais toujours sur le but aussi
Je t’aime

Die Liebe ist wie die Autobahn
Sie geht hoch und runter
Über Brücken
Links und rechts.
Aber immer auf das Ziel zu.
Ich liebe dich

Patricia weinte bei diesen Worten. Sie nahm Hannes in die Arme und sagte mit Tränen in der Stimme „Je t’aime Tu es fou!“
„Ich dich auch Prinzessin. Ich bin nicht verrückter als du. Es ist zwar kein Flugzeug, dafür konnte ich den Banner organisieren. Leider ist das Sternbild der Cassiopeia so schnell nicht verfügbar gewesen.“ „Mon chérie, es ist auch so perfekt und einmalig.“

Da alle Gäste sehen sollten, was Hannes für ein Geschenk hatte, schaltete Guisberth die Sirene und das Blaulicht an. Es dauerte nicht lange bis alle Gäste und auch Nachbarn in der Einfahrt standen. Großes Geklatsche, Umarmungen und Tränen machten die Runde.
Franziska sagte ihren Eltern was auf dem Banner stand. Sie nahm Hannes in die Arme und weinte. Mit Tränen im Gesicht sagte sie „Danke Hannes. Dies ist die schönste Liebeserklärung.“
Durch dieses Geburtstagsgeschenk kamen nun auch die Nachbarn und Feuerwehrmänner mit in den Garten und schlagartig stieg die Gästezahl auf das dreifach an.

Um 3.30 Uhr lagen beide im Bett. Der Kopf von Hannes drehte sich. Die Geburtstagsfeier ging noch sehr lange.
Patricia küsste und streichelte seinen Bauch. Sie setzte sich im Reitersitz auf ihn und wuschelte seine Haare.
„Patricia, ich habe Kopfschmerzen.“  „Wer trinken kann, kann auch bumsen.“ „Du hörst nie auf, bis du das bekommen hast, was du willst. Du bist wie Cleo.“ „Oui. Nur musst du bei mir den Stock nicht wegwerfen. Ich hab ihn schon in der Hand.“


Die Drehleiter in der Einfahrt

Völlig verkatert stand Hannes in der Küche am Kaffeevollautomaten. Es war ungewöhnlich ruhig im Haus. Auch Oma war nicht zu hören. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Hannes öffnete die Tür zum Wohnzimmer und bekam einen Schlag. Durch das Fenster sah er die Drehleiter der Feuerwehr in der Einfahrt stehen. Ach du liebe Güte! Waren die Feuerwehrmänner so besoffen, dass sie ihr Auto vergessen hatten mitzunehmen?
Im Erker stehend, sah er einen Pulk an Menschen in der Einfahrt die er nicht kannte. Hannes sah Oma. Sie hatte ihr territoriales Hoheitsgebiet auf den Hof vorm Haus verlagert. Sie erklärte jedem der es wissen wollte – oder nicht, dass dies von dem deutsche Freund ihrer Enkelin sei. Hannes sah sich die Szenerie an und schüttelte den Kopf.
Patricia stand plötzlich hinter ihm und knabberte an seinem rechten Ohr „Merci, chérie. So etwas gibt es nie wieder. Schau dir die vielen Menschen und Nachbarn an, sie fotografieren deine Liebeserklärung.“

Maurice kam ins Wohnzimmer, grüßte beide und stellte sich neben Hannes.
„So etwas gab es in Thionville noch nie. Die Leute sind völlig aus dem Häuschen. Du bist schon sehr cool.“ „Ich hab dir und deinen Kameraden zu danken. Ohne euch hätte ich dies nicht hinbekommen. Vielen Dank für eure Hilfe.“ „Für dich jederzeit wieder, mein Freund. Für dich jederzeit wieder.“

Mit der zweiten Tasse Kaffee saßen Hannes und Patricia in der Küche. Franziska kam durch den Garten herein, im Anhang ihre Mutter.
„Bonjour Hannes, bonjour Liebes. Dein Geschenk ist der Höhepunkt in der Straße. Ich hatte nie an deiner Liebe zu Patricia gezweifelt. Natürlich machte ich mir große Sorgen, wie du dich verhalten würdest, wenn du erfährst, dass sie Leukämie hat.“ Hannes nahm die Hand von Patricia, schaute sie, Franziska und Oma an „Nun wisst ihr es“ er küsste Patricia auf die Wange „wo ist Bernhard eigentlich?“ „Noch im Bett. War bei ihm wohl doch etwas viel Alkohol. Hannes, es war die coolste Geburtstagsfeier die ich erlebt habe. Dankeschön.“ „Aei mei Bub, willste denn ned noch eh Stick Kuche esse? De kannst joh ned nur Kaffee trinke. Gugge mohl doh. Jetz ess mohl eh Stick“ an Patricia gewandt sagte Oma „Kind, du kannst doch nicht nach Kambodscha gehen! Geh auf die Schule. Lerne. Studiere was gutes.“
„Oma! Ich habe genug gelernt um zu wissen, dass es wichtigeres gibt als Bücher zu lesen und Volkswirtschaft zu studieren. Hannes hatte vor Wochen klare, wichtige und gute Worte gesagt, dass ich anfing mein Leben zu überdenken. Dies habe ich getan.“ 
Oma sah Patricia völlig entgeistert an und suchte Unterstützung bei ihrer Tochter „Franziska, jetzt saach doch aach mohl was!“
Franziska sah ihre Mutter böse an „Was? Mama, was-soll-ich-sagen? Hast du vergessen, was draußen an dem Feuerwehrauto hängt? Die beide sind alt genug um zu wissen, was sie wollen. Ich vertraue Hannes. Ich weiß, dass er immer auf Patricia aufpassen wird. Er hat uns gestern seine Gedanken gesagt. Dafür hat er von mir, wie auch von Bernhard, den allergrößten Respekt. Wann und was Patricia studiert, ist ihre Sache. Sie sind jung. Lass sie in die Welt ziehen und ihre Erfahrungen machen.“
Franziska’s Ansage an ihre Mutter war laut und deutlich. Trotzdem fing Oma wieder an über die Zukunft von Patricia zu streiten.
„Komm“ sagte Patricia zu Hannes „ich kann und will mir dies nicht weiter anhören.“

Mit Cleo gingen sie über die Flure von Thionville. Am Waldrand saßen sie auf einer Bank. Patricia saß auf dem Schoß von Hannes. Sie hatte ihren Oberkörper an seinem liegen und ihr Kopf auf seiner rechten Schulter.
„Was war das gestern Abend mit Cosima?“ „Was?“ „Ich hatte schon mitbekommen, dass sie dich angebaggert hat.“ „Was!? Ich hatte mit ihr am Grill unterhalten. Mehr nicht. Claude, war cool. Das ist so ein richtiger Kumpel. Netter Typ.“ „Jetzt lenk nicht ab!“ „Patricia, ich lenke nicht ab! Ich habe mich mit Cosima unterhalten – mehr nicht. Mir war und ist nicht bewusst, dass sie mich angebaggert hat.“ „Nein?“ „Nein!Patricia, was soll dies nun? Ich hatte aus Anstand mit ihr gesprochen. Genauso wie mit Jasmin und Yvonne.“ „So? Cosima ist hübsch.“ „Ja. Das ist sie. Ohne Frage. Ich habe noch nie eine solch schöne Frau gesehen. Am Bostalsee sah ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Frau aus dem Iran. Cosima hatte am Grill etwas von, – wie glücklich du mit mir bist und das sie sich für dich freut, gesagt. Wo war da nun ein Flirt oder anbaggern?“ „Ich habe beim Kaffee und Kuchen schon ihre Blicke zu dir gesehen und im Gartenhaus. Plötzlich stand sie bei dir am Grill.“ „Plötzlich? Patricia mal ganz ehrlich, das Geschwafel von Laura und Jasmin kann kein Mensch nüchtern ertragen. Was sollte das mit dem Moèt et Chandon? Unsere Flasche Saint-Émilion hat mit Abstand mehr gekostet als ihr Champagner. Um auf auf Cosima zurück zu kommen, möchte ich dir sagen, dass ich der Meinung bin, Cosima könnte eine Karriere als Model machen und alle Schauspieler, Musiker und Millionäre würden sich vor ihr auf den Boden legen. Ist dir vielleicht schon einmal der Gedanke gekommen, dass sie einsam ist? Vielleicht wird sie körperlich berührt oder erfüllt. Soll mir aber auch egal sein, ob sie geistig erfüllt wird. Ist vielleicht mal ein Blickpunkt wert.“
Patricia sah ihn an und er sah, dass sie am denken war. Nach einiger Zeit nickte sie „Dies wird es wohl sein. Ich habe mit ihr noch nie darüber gesprochen.“

Hannes nickte „Sie ist vielleicht neidisch oder gar eifersüchtig auf unsere Liebe, aber sie macht auf mich einen vernünftigen Eindruck. Bei den Gesprächen mit deinen Freundinnen im Gartenhaus hab ich mich sehr zurück gehalten. Am liebsten hätte ich dieser Laura und Jasmin gesagt was ich von ihnen halte.“ „Und was?“ „Dass sie dir das Wasser nicht reichen können. Selbst mit deiner Leukämie nicht.“ „Mon chérie, je t’aime.“ „Sei doch ehrlich, die beiden kamen doch nur wegen mir. Nur um zu sehen, was ich für einer bin. Der Typ gehört nicht zur Oberschicht und zur Elite!
Es lag mir auf der Zuge die doofe Nuss von Laura zu fragen, ob ihr Moèt et Chandon von der Resterampe ist oder sie mit ihrer GUCCI Uhr bei der Zeitansage anfangen möchte zu arbeiten, weil sie so oft auf ihre Uhr schaute. Sie sagen, dass sie deine Freundinnen sind, hinter deinem und meinem Rücken reden sie. Dein Vater hat diesen möchtegern Tussis ganz schön den Wind aus den Segeln genommen. Ich hätte gerne dieser Unternehmerstochter von Jasmin ins Gesicht gesagt, was sie für eine aufgeblasene doofe Nuss sie ist. Es war dein Geburtstag und ich habe meine Worte geschluckt. Ich wollte die Party nicht sprengen. Daher bin ich raus an den Grill gegangen.“ „Merci. Du bist ein Schatz.“
„Patricia, wir gehören zusammen, so wie der rechte und linke Fahrstreifen der Autobahn.“ „Oui, chérie.“
Cleo kam aus dem Wald und zog und zerrte ein Teil Richtung Bank, welches um Längen größer und schwerer war, als der letzte Baum. Patricia sah Hannes an.
„No. No Madame.“


Klartext an Oma

Zum Mittagessen wurden die Reste vom Vortag warm gemacht oder gegrillt. Die Familie saß im Garten. Bernhard war wieder unter den Lebenden und sah noch etwas verkatert aus. Franziska und Oma hatten sich ausgestritten – oder das Thema beendet. Günter war sowieso ruhig und hielt ein Auge auf das noch nicht fertige Grillgut.
Oma saß versetzt schräg gegenüber von Hannes. Er sah, dass ihr Kopf qualmte. Sie aber nicht wusste, wie oder was sie jetzt sagen sollte.
„Was ist los? Was geht dir durch den Kopf?“ Fragte er Oma frei heraus.
Völlig pikiert sah sie ihn an „Seit ich von Patricia’s Entscheidung weiß, kann ich nicht mehr schlafen.“
Franziska verdrehte die Augen und schlug mit den flachen Händen auf die Tischplatte
„Meine Güte, Mama! Jetzt ist doch mal Schluss damit.“
In Hannes stieg die Wut hoch „Du kannst seit Patricia’s Entscheidung nicht mehr schlafen? Gut, es war nur eine Nacht! Ich habe Wochen nicht geschlafen! Ich habe mir Gedanken gemacht, dass diese Familie eine andere Liga ist und ich nur das Kind vom Dorf. In der Schule war ich der Klassenclown gewesen. Ich komme nie an die Klugheit von Patricia heran. Trotzdem habe ich mich in sie verliebt, als wir auf meine absurde Idee vom Bostalsee an die Côte d’Azur gefahren sind. In Avignon hatten wir übernachtet. Ich wollte in dem kleinen Motel zwei Zimmer für die Nacht buchen – Patricia eines. Bei Rosè Wein und Käseplatte saßen wir auf einem Balkon, der die Größe von diesem Gartentisch hatte. Ich hatte bis dahin Patricia noch nicht einmal angefasst. Ich wollte mich nicht verlieben – war es aber bereits. Jene Nacht war für mich ein Alptraum. Da lag eine so schöne Frau neben mir im Bett und ich warte die Distanz. Ich sah wie sich ihre Brust beim schlafen hebte und senkte. Dies war die reinste Erotik. Sie atmen zu hören war Erotik. Ihr ganzer Körper ist Erotik. Ich spreche nicht von Sex.“
Patricia boxte ihn gegen den Oberarm.
„Ich bin fast wahnsinnig geworden nur bei dem Anblick von ihr. Am Morgen auf dem Central Platz von Avignon, mit einem wunderbaren Blick auf den Papstpalast war es geschehen. Ich nahm zaghaft ihr Hand. Selbst wenn ich ab da an wusste, es wird nur ein kurzer Flirt, habe ich mich darauf eingelassen. In Fréjus hatten wir durch Zufall eine Unterkunft gefunden, die eine Mischung aus Kirche, Museum und Palast war. Trotzdem war es ein kleines Häuschen. Der Mann von dem Haus hatte uns eine Flasche Saint-Émilion von 1943 geschenkt, welche bestimmt mehr als 1000 France kostete. Am Strand hatten wir den Wein getrunken. In unserem Zimmer in der Rue Jean Bacchi wurden wir von tausend verschiedenen Farben geweckt. Diese Tage sind in meiner Seele – für immer! Als Patricia mir endlich sagte, dass sie krank ist, habe ich den wohl größten Liebesbeweis gezeigt. Hier am Tisch habe ich Bernhard versprochen, dass ich immer für Patricia da sein werde. Ich liebe sie heute genau so wie gestern und morgen. Patricia ist kein kleines Kind mehr! Sie ist unglaublich klug und taff. Wenn es ihre Entscheidung ist, anderen Menschen zu helfen – dann ist dies so! Und dies ist auch nicht verhandelbar! Bernhard will mir helfen in seine Firma zu kommen. Ich bin bereit. Ich denke, dass Franziska und Bernhard meine Gedanken für Hilfe an Menschen euch schon unterbreitet haben und ich es nicht wiederholen muss. Patricia kann in Frankreich genau so krank werden, wie an jedem anderen Ort dieser Welt. Wenn dies irgendwann so kommen wird, bin ich für sie da. Liebe endet nicht am Krankenbett.“

Franziska hatte die Augen geschlossen und Hannes sah ihre Tränen. Bernhard war völlig regungslos und sah Hannes mit einem offenen und klaren Blick an. Günther nickte mit dem Kopf und Oma brauchte eine Weile um die Worte auf sich wirken zu lassen.
„Neben mir sitzt eine Frau, mit der ich mein Leben teilen will und werde! Ja, ich weiß was du denkst. Im alter von neunzehn Jahren sagt man so vieles. „Ich will dich heiraten“ und zwei Wochen später ist die große Liebe Geschichte. Über diese Zeit sind wir schon hinaus. Ich werde eine solche Frau wie Patricia niemals wieder finden. Sie erfüllt mich in ihrer Art, mit ihrem denken und tun. Wir sind vom Paradies in Fréjus über die Autobahn zurück gefahren und sind beide am Ziel angekommen. Das Ziel ist unser Leben. Unsere Zukunft. Ob nun krank oder nicht. Ich hoffe, dass du nun wieder schlafen kannst.“
Patricia legte ihre Arme um ihn „Tu es mon prince, mon chérie.“ „Das war Klartext“ wiederholte Franziska die Worte ihrer Tochter und schaute ihre Mutter an.
Cleo bellte. Hannes sagte, dass er mit dem Hund nun eine Runde gegen werde. Wenigstens war jetzt auf Cleo verlass. So konnte er der Familie Zeit zum nachdenken geben.

Die wenigen hundert Meter bis er auf den Wiesen um Thionville war, wurde er von vielen Nachbarn gegrüßt. Durch die Aktion mit dem Feuerwehrauto war Hannes Schlagartig bekannt.


Die Vorbereitungen in Deutschland
 
Am Dienstagabend rief Patricia an und sagte, dass sie mit ihrem Vater am Vortag in Reims in seiner Firma waren. Hannes sollte es doch einrichten, um mit ihnen für ein Vorstellungsgespräch nach Reims zu fahren.
„Wow, dass geht aber schnell. Ich werde für die nächste Woche Urlaub einreichen.“ „Oh, mon chérie. Très bien. Komm eine Woche zu mir. Ich muss dir umbedingt noch etwas zeigen, dass wird dich umhauen!“ „Ich hoffe, dass es kein positiver Schwangerschaftstest ist!“
„Und wenn?“ „Müssten wir uns auf einen Namen für das Kind einigen. Da ich deinen Dickkopf kenne, wird es schwierig werden einen Kompromiss zu finden!“ „Vous avez de la chance d’être en Allemagne!“ „Ich weiß. Daher sage ich es auch aus sichere Entfernung, sonst würdest du mich jetzt wieder boxen.“ „Puis attend. Mon chérie. Puis attend.“

Am Donnerstag hatte Hannes einen Termin bei seinem Hausarzt im Nachbarort vereinbart. Er wollte sich über Impfungen informieren und was gegebenenfalls geimpft werden müsste. Sein Hausarzt war vor einigen Jahren für Ärzte ohne Grenzen in Kenia gewesen. In seiner Praxis hingen viele Fotos, Bilder und Skulpturen von der Zeit in seinem Einsatz. Jürgen, sein Hausarzt, der auch der Zwillingsbruder von dem Keyboarder John Lord von Deep Purple sein konnte, würde sofort verstehen, was und warum Hannes welche Impfungen bräuchte.
Hannes hatte den letzten Termin an diesem Tag bekommen, so war sehr viel Zeit zum reden – auch privates. Immerhin kannte der Arzt ihn schon von klein auf. Hannes sprach auch die Leukämie von Patricia an und seine Bedenken mit den Impfungen bei ihr.
Jürgen kannte die humanitäre Hilfe an der Basis und auch welche Risiken es bezüglich Malaria und Hepatitis gab. Da die Zeit eventuell doch sehr knapp sei, wollte Jürgen so schnell wie möglich mit den Basisimpfungen anfangen.
Im privaten Wohnzimmer saß er mit dessen Frau und Hannes erzählte beiden seine Gedanken, wie er diese bereits Bernhard und Franziska sagte. Gabi, die Frau von Jürgen, begrüßte diese Entscheidung sehr und Jürgen würde ihm über den Ärztebund noch einige Sachbücher besorgen.


Géographie ist nicht unsere Stärke

Der Weg von der Nahe nach Thionville fuhr sich immer besser. Die anfängliche „wahnsinns“ Entfernung, wurde mit der Zeit zum Katzensprung. Er fand mit der Zeit auch immer mal andere Wege die er fahren konnte, wenn zu viel Berufsverkehr oder Stau war.

Es war vieles selbstverständlich geworden. Er klingelte nicht mehr, er hatte seit längerem einen Haustürschlüssel und fühlte sich auch zu Hause. Er kaufte ein, half im Haushalt mit oder schraubte am Moped von Maurice, wenn dieser mal wieder Probleme mit dem Ding hatte. Seine Wäsche wurde gewaschen und gebügelt. Es wurde zu Normalität. Sein französisch wurde auch immer besser.

Hannes schloss die Haustür auf und ging ins Haus.
Er hörte niemand und und rief „Bonjour. Hallo?“
Keine Antwort.
Er schaute in die Küche. Dort war auch niemand. Hannes ging die Treppe hoch ins Zimmer von Patricia. Auch sie war nicht da. Cleo bellte nicht. Sollte das ganze Haus ausgeflogen sein?
Er ging wieder hinunter in die Küche und sah seinen Freund: den Kaffeevollautomaten.
Hannes nahm eine Espressotasse von der Ablage und wartete bis die Maschine seinen Espresso fertig hatte. Dann ging er in Richtung Wohnzimmer. Jetzt hörte er Cleo im Esszimmer bellen. Auf alles gefasst, dass Cleo ihn wieder mit seiner Masse anspringen werde und die Erdanziehungskraft ihr übriges tat, öffnete er vorsichtig die Tür.
Die Familie saß im Halbkreis am Tisch. Neben der Gruppe stand die Staffelei von Franziska. Gut, sie hat wieder angefangen zu malen, dachte er. Auf dem Tisch stand eine große Torte und ein in Geschenkpapier verpackter Gegenstand. „Bonjour, ihr lieben. Warum gebt ihr mir keine Antwort? Was macht der Rat der Weisen im Esszimmer? Habe ich etwas verpasst?“
Patricia kam auf ihn zu und gab ihn einen Kuss. Nach dem Kuss boxte sie ihn „Das war für mein Dickkopf vom Dienstag. Ja, du hast etwas verpasst. Setz dich und mach dein Geschenk auf.“ „Geschenk?“
Franziska gab ihm ein Stück Torte und grinste. Was ging hier vor sich? Alle waren sehr amüsiert.
Das Geschenk war eine Feuerwehr Drehleiter aus Spritzguss im Maßstab 1:32. Hannes sah etwas Ratlos in die Runde. Franziska stand auf und drehte die große Leinwand um.
Auch du liebe Güte!  Es war ein eineinhalb Quadratmeter großes Foto aus der Regional Zeitung. Die Drehleiter mit dem Banner von ihm in der Einfahrt. Dazu noch ein Text von einer achtel Seite.
Maurice klopfte ihm auf die Schulter „Ich habe dir doch gesagt sowas gab es in Thionville noch nicht.“
„Mon chérie, du bist in ganz Lothringen bekannt.“ „Denke ehr nur in Thionville.“ „Géographie ist nicht unsere Stärke. Oh, mon chéri.“

Am Abend wurde geredet was letzten Montag in Reims besprochen wurde und das am Montag alle zusammen wieder nach Reims fahren würden. Hannes sagte, dass er schon bei seinem Arzt war und am Donnerstag die erste Impfung gegen Malaria bekommen hätte. Auch wurde Blut abgenommen um die exakten Blutwerte zu bestimmen um dann zu sehen, was noch geimpft werden müsste. Er verschwieg seine Bedenken bezüglich Patricia’s Leukämie.
Es war ein schöner Familienabend. Man trank Wein, spielte Brettspiele und hatte gute Gespräche.


Die Liebeserklärung in der Bäckerei

Mit dem Fahrrad von Patricia fuhr er am Samstag morgen zum Bäcker. Ein unscheinbarer Laden von außen, aber Backwaren, für die das Wort Grandios nicht im Ansatz passte! Er war schon öfters bei diesem Bäcker einkaufen. Das Brot und Baguette wurde in einem Holzbackofen gebacken. Für Hannes war es das beste Brot in ganz Frankreich.
Er stellte das Fahrrad an den Blumenkübel vorm Haus ab und ging in den Laden. Der Duft von Holz, Feuer und Brot war einmalig.
„Bonjour Madame, Strasser. Je voudrais un four à pain, deux Bague…“ weiter konnte er nicht sprechen, denn links an der Wand vor der Theke hing das Foto aus der Zeitung. Frau Strasser sagte „Eine schönere Liebeserklärung hättest du nicht machen können“
Wow, sind wir beim du? Dachte er bei sich. „Ich kenne Patricia schon viele Jahre. Als Kind war sie lange in Metz im Krankenhaus. Wie sehr hatte das kleine Mädchen um sein Leben gekämpft. Lange wusste man nicht ob sie ihren 12. Geburtstag überlebt. Dann kommst du und machst ihr einen solchen Liebesbeweis. Das Foto war in allen Zeitungen in Lothringen, sogar in einer Boulevard Zeitung.“ „Mon dieu!“


Vorwärts ist keine Richtung, sondern eine Lebenseinstellung

Nach dem Frühstück beschloss Patricia, dass sie nach Metz shoppen gehen wollte.
Hannes war einverstanden. Die 30 Kilometer entfernte Stadt war auch sehr schön.
Patricia fuhr mit ihrem Opel Corsa über die Autobahn. An der Abfahrt Metz Centre rauschte sie vorbei.
„Äh, Madame, du bist gerade an der Abfahrt vorbei geflogen.“ „Non. J’ai changé d’avis.“ „Was hast du dir anders überlegt?“ „Wir fahren nach Nancy.“ „Na dann. Fahren wir eben 60 Kilometer weiter.“

Nancy ist für seine Spätbarock- und Jugendstilarchitektur bekannt. Einige dieser wunderschönen Sehenswürdigkeiten stammten aus der Zeit als Nancy noch die Hauptstadt der Herzöge von Lothringen war. Die Hauptattraktion ist zweifellos der Place Stanislas aus dem 18. Jahrhundert. Dieser Platz mit seinen vergoldeten, schmiedeeisernen Toren und Rokoko-Brunnen befindet sich neben verzierten Palästen und Kirchen in der historischen Altstadt.
Hand in Hand schlenderten sie durch die Straßen der Altstadt und gingen in Boutiquen. Patricia hatte schnell – im Verhältnis zu anderen Frauen, eingekauft. Zwei Paar Schuhe, wovon eines Stiefel waren. Jenes Paar Stiefel erklärte sich Hannes nicht. In ein paar Wochen würde sie in Kambodscha kaum Stiefel brauchen, soll mal ein Mann die Frauen verstehen. Dann noch eine Jeans, zwei Röcke – die verdammt kurz waren, ein mintfarbenes Kleid und noch ein paar Accessoires.

Im Herbst am Rhein-Marne-Kanal mit Kaffee in einem Pappbecher zu sitzen, war sehr schön. Der leichte Nebel auf dem Kanal, die bunt werdende Bäume und der Geruch von dem feuchten Boden war beruhigend für die Seele.
Patricia lehnte an seiner Schulter und streichelte sein Oberschenkel „Schatz?“ „Oui, chérie.“ „Als ich heute morgen beim Bäcker war, sagte mir Frau Strasser, dass du als Kind lange im Krankenhaus warst und niemand wusste, ob du deinen nächste Geburtstag erleben wirst.“ „Oui. Es war eine schlimme Zeit. Als Kind nicht spielen zu können oder dürfen. Ich hatte kaum Besuch gehabt. Wenn, dann nur durch eine Glasscheibe getrennt. Chemotherapien und Operationen bestimmten mein Leben. Es wurde besser und dann kamen neue Medastasen. Zeitweise wurde ich mit extra Sauerstoff beatmet. Ich hatte keine Kraft mehr zum essen. Keine Kraft mehr um aufzustehen. Ich konnte manchmal noch nicht einmal die Augen öffnen und das reden fiel mir schwer. Es stimmt, die Ärzte gaben mir wenig Chance zum leben. Mein Körpergewicht war in einem äußerst kritischen Zustand. Es wurde befürchtet das bald Organversagen eintreten könnte.“ Sie sah Hannes an und weinte „Meine Oberarme konnte ich mit zwei Finger umklammern. Ich war nur noch Haut und Knochen. Ich habe gebetet das ich essen kann und dadurch zunehme würde. Alles was ich gegessen hatte kam kurze Zeit später wieder raus. Ich wurde darauf hin künstlich ernährt.“
Hannes verfolgte die Worte von Patricia regungslos. Er sah sie an, und suchte nach Worten „Es reicht. Lass gut sein. Bitte. Ich habe genug gehört.“
Patricia legte ihren Kopf auf auf seine Schulter und er streichelte ihren Kopf.
„Mon chérie?“ „Ja.“ „Vorwärts ist keine Richtung, sondern eine Lebenseinstellung. Wenn ich eines im Krankenhaus gelernt habe, dann dies. Ich hatte die Jahre danach existiert, aber nicht gelebt. Du hast mir Leben gegeben. Mit deiner Verrücktheit und wie du bist. Am Tag als deine Liebeserklärung in der Zeitung war, stand bei uns das Telefon nicht mehr still.“
„Wow! Schatz, darf ich dich endlich fragen?“ „Bien sûr.“ „Das Sternbild der Cassiopeia wird nach der Wissenschaft der Astrologie immer leuchten. Ist dies der Grund, warum dieses Bild an deiner Decke ist?“
Patricia nickte „Ja, chérie. Dieses Bild wünschte ich mir zu meinem 12. Geburtstag. Es hing bei mir im Krankenzimmer. Mein Onkel hatte Ende der 70er dieses Foto in Kanada aufgenommen. Als ich aus dem Krankenhaus kam, sah ich dieses Bild an meiner Decke. Jean Patrice Boudéely, ein bekannter Airbrush Künstler aus Saint-Dizier hat das Foto von meinem Onkel an die Decke gemalt. Ich wollte eigentlich nur das Foto von meinem Onkel haben, was meine Eltern daraus gemacht haben, hast du gesehen. Übrigens ist es keinem meiner Freunde aufgefallen, dass es das Sternbild von Cassiopeia ist – soviel zu Abitur.

Teil I Kapitel 4 Die Erdrotation

Thionville, Frankreich

Die Erdrotation

Abschied für 7500 Minuten

Am Sonntagnachmittag gingen sie mit Cleo an der Mosel spazieren. Es war sehr schwül und ihnen klebten die Kleider wie Frischhaltefolie auf der Haut.
Hannes hielt Cleo mit der linken Hand an der Leine und mit seiner rechten hielt er die kleine zarte Hand von Patricia.
„Ich könnte jetzt mit dir richtig lange duschen.“ „Mon dieu! So ein Satz von dir? Was ist los? Scheint die Sonne zu stark?“
„Patricia, ich mag nicht nach Hause fahren. Die letzte Woche mit dir war wunderschön. Ich hatte tausende Moment erlebt und jeder war schöner als der andere. Eigentlich könnte man diese Woche verfilmen. Wäre doch ein tolles Roadmovie. Von einer Kuhweide an einem saarländischen Stausee an die Côte d’Azur um dort Wein für 1000 France zu trinken und dann von unzähligen Farben geweckt zu werden.“
Patricia sah ihn an und er sah in ihre schöne Augen „Ich habe eine unglaublich tolle Frau ins Herz geschlossen.“
Patricia stellte sich vor ihn und küsste ihn lange „Sei nicht immer so nachdenklich, mon chérie. Alles ist gut. Ich bin bei dir. Ich sehe deine nachdenklichen Augen und frage mich warum.“
Hannes sah zu boden.
„Was ist mit dir los? Ich verstehe dich nicht!“ „Patricia, was gibt es denn da nicht zu verstehen? Du bist überaus attraktiv, klug und hast ein Leben, bei dem ich nicht im Ansatz mithalten kann.“ „Kommt nun wieder diese Leier. Wie ich für dich fühle scheinst du irgendwie ständig zu vergessen. Hannes, was haben deine dumme Argumenten mit meiner Liebe zu tun?“
Hannes sah sie schweigend an.
„Deine Argumente sind dumm und überhaupt nicht gerechtfertigt. Ich habe mich in dich verliebt und es spielt für mich keine Rolle, dass du kein Abitur hast. Ich hatte vor dir einen Freund der, man mag es kaum glauben, Abitur hatte und trotzdem nicht an dich heran kam. Nun lass uns doch nicht ständig darüber diskutieren. Ich liebe dich und Punkt.“ Patricia umarmte ihn fest und gab ihm einen Kuss „Auf immer und ewig. Bœuf stupide.“

In der Ferne hörte er die Kirchenglocken schlagen. Es war 14 Uhr. Könnte er doch nur die Zeit anhalten.
„Man müsste die Zeit jetzt anhalten“ sagte Patricia, die ihren Kopf auf seiner rechten Schulter liegen hatte
„Hab ich schon wieder laut gedacht?“ Patricia sah ihn mit ihren wunderschönen braunen Augen an „Auch wenn ich mich wiederhole, du berührst mich geistig und körperlich.“
Er nahm sie fest in die Arme und fing an zu weinen.
„No chérie, du musst nicht weinen. Es ist heute nur ein Abschied auf Zeit. Allerhöchstens 125 Stunden. 7500 Minuten oder. ..“ „Ja, ist gut. Ich weiß das du Abitur hast.“
Sie boxte ihn gegen den Arm.

Franziska hatte noch Erdbeerkuchen gebacken. Gemeinsam saßen sie im Garten und tranken Kaffee. Es war ein merkwürdiger Moment für Hannes. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen, Herzrasen und trotzdem kalte Hände.
Cleo lag dich bei Hannes. Auch er spürte, dass etwas anders war.
Gegen 16.30 Uhr war es soweit, der Abschied von einer Woche die nie vergessen gehen sollte war da. Patricia umarmte ihn ganz fest und sagte immer wieder: ich liebe dich.
„Nun mach es uns nicht noch schwerer als es ohnehin schon ist. In 7500 Minuten bin ich wieder da.“ „Ruf an, wenn du zu Hause bist. Fahr vorsichtig, mon chérie.“


Die Woche schleppt sich hin

Als Hannes in seinem Ort im Nahetal ankam, rief er sofort Patricia an. Das Telefon gab nur ein Freizeichen. „Oui, mon chérie.“ „Hast du neben dem Telefon gesessen?“ „Oui, seit 17.20 Uhr.“ „Mein Auto ist keine Rakete! Ich möchte noch mit meinen Eltern reden. Ich ruf dich später wieder an. Bitte gib mir zwei Stunden; okay?“

Hannes wollte auch endlich seine Erlebnisse der letzten sieben Tage seinen Eltern erzähle.
Nach fast genau zwei Stunden rief er Patricia an. Das Gespräch wollte und wollte nicht enden. Keiner brachte es fertig den Hörer aufzulegen. Um kurz nach Mitternacht siegte die Vernunft über Schmetterlinge im Bauch und Patricia meinte, es wäre Zeit ins Bett zu gehen. Hannes müsste schließlich um 5.30 Uhr aufstehen um auf die Arbeit zu gehen.

Der Montag schien kein Ende zu nehmen und Hannes war froh als er nach Feierabend mit Patricia telefonieren konnte.
Der Dienstag eierte mit der Zeit nur so dahin und der Tag schien kein Ende zu nehmen.
Endlich war Mittwoch und beide hatten wieder bis kurz nach Mitternacht telefoniert.
Der Donnerstag verging wie im Flug und Patricia rechnete ständig bei dem Telefongespräch wie lange sie noch getrennt sind, bis sie ihn in die Arme nehmen konnte.

Thank God, it is Friday.
Er rief nach Thionville an und sagte, dass er gleich losfahren werde. Patricia rechnete schon in Sekunden „Du fährt 115 Kilometer. Bei einer Durchschnitteschwindigkeit von 75 km/h, kommt doch hin – oder? Bei der Berechnung brauchst du eine Stunde und siebenunddreißig Minuten. Dann sind das 5820 Sekunden. Wir sehen uns gleich. Pass auf dich auf. Au revoir. Je t’aime, mon chérie.“

Die 115 Kilometer fuhren sich erstaunlich gut. Hannes raste nicht – fuhr aber zügig.
5 KM Thionville
Stand auf dem Wegweiser an der Landstraße. Noch ein paar Minuten, dann war er da. Oh, wie er sich nach dieser Frau sehnte.
Er sah den Kreisverkehr und bog nach rechts ab. Nach wenigen hundert Metern sah er das Haus. Hannes fuhr die Einfahrt rein und über den Rasen von rechts kam Cleo mit einer Geschwindigkeit von einem Geparden auf das Auto zu gerannt. Hannes öffnete die Fahrertür und binnen Sekunden sah nur noch schwarz.
Ein ausgewachsener Labrador saß ihm auf dem Schoß. Bellte, wedelte mit der Rute und leckte ihm quer übers Gesicht. Cleo sprang auf den Beifahrersitz und während er sich drehte, schug er Hannes seine Rute ins Gesicht. Sofort war der riesige Kopf von Cleo nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, als dieser meinte mit seiner Zunge nochmals quer über das Gesicht von Hannes zu lecken.

Patricia schimpfe mit Cleo, was dieser völlig ignorierte. Hannes konnte vor so viel Hund sich noch nicht einmal bewegen.
Patricia zerrte Cleo am Halsband aus dem Auto. Also – der Versuch war im Ansatz schon mal da. Einen 34 Kilo schwerer Labrador zieht man nicht eben so aus einem Auto. Schon gar nicht, wenn dieser nicht will. Patricia schimpfe und schimpfe mit Cleo, brachte aber keinen nennenswerte Erfolg.
Hannes streichelte mit der linken Hand den Kopf von Cleo und sprach ruhig mit ihm. Endlich hatte sich der Hund beruhigt, drehte sich auf dem Schoß von Hannes um und klatsche ihm nochmals seine Rute ins Gesicht und sprang auf dem Beifahrersitz. „Cleo, sitz und warte bis ich ausgestiegen bin.“ Cleo machte wieder Anstalten um auf den Schoß von Hannes zu springen.
„Sitz! Asseyez-vous! Cleo.“ Das Machtwort von Hannes wirkte.

Patricia umarmte ihn und gab ihm einen langen Kuss „Mon chérie, ich habe dich so vermisst. Endlich bist du da.“
Hannes ging wie selbstverständlich ins Haus Lefèvre. Franziska kam aus dem Wohnzimmer und strahlte. Sie nahm Hannes in den Arm „Schön das du da bist. Herzlich willkommen. Heute Abend wollen wir Grillen, das Wetter ist super dafür. Ich fahre noch schnell zum Leclerc nach Metz einkaufen.“ „Fleisch braucht du nicht zu kaufen. Ich habe Idar-Obersteiner Schwenkbraten dabei.“
Patricia schaute ihn nun etwas enttäuscht an „Es sollte doch eine Überraschung für dich werden.“ „Patricia, auch du erfüllst mich geistig. Oder du musst dir in Zukunft einen Aluhut aussetzen.“
In wenigen als einer Sekunde gab Patricia ihm einen Boxhieb.
„Während du hier verprügelt wirst, geh ich mal die Holzkohle in den Schuppen holen.“ „Franziska, auch wenn ich hier weit weg von der Heimat bin, Schwenkbraten auf Holzkohle ist eine Todsünde im Hunsrück. Wenn dies raus kommt, werde ich aus der Heimat ausgewiesen.“ „Très bien. Maman, bring die Holzkohle!“ „Du Biest.“
Und schon wieder wurde er von Patricia geboxt.

Hannes machte das Feuer mit richtigem Buchenholz an und nicht mit so einem Firlefanz von Holzkohle.
Patricia brachte Getränke in den Garten und Franziska bereitete den Salat und die Kartoffeln in der Küche vor.
„Mon chérie, ich möchte heute Bier trinken, möchtest du auch eins haben?“ „Gerne.“
Das Bier kam aus dem Elsass. Es war süßer als deutsches Bier – aber lecker.

Der Abend am Feuer war wunderschön. Patricia saß ihm gegenüber und hatte ihre Beine auf seinen Oberschenkel liegen. Er massiert ihr die Füße.
„Am Feuer auf Stühlen zu sitzen, ist schon um vieles angenehmer als auf einem Holzklotz.“ „Oui, das ist es. Mon chérie, was wäre gewesen, wenn wir uns am Bostalsee nicht getroffen hätten? Hätte ich dich jemals getroffen? Ich stelle mir diese Frage seit wir in Avignon waren. Es gibt Zufälle und es gibt bestimmt auch Gottes Fügung, Schicksal oder wie immer man es auch nennen mag. Für mich war es das größte Glück. Deine Verrücktheit mag ich sehr.“ „Ich und verrückt? Wer will einen Banner an ein Flugzeug hängen und über Lothringen fliegen lassen?“
Schon wurde Hannes wieder geboxt. „Siehst du, Franziska, so ist deine Tochter. Sie sagt sie liebt mich und werde ständig von ihr geschlagen.“ „Ich schlage nicht, ich boxe. Da, die haste wieder.“ „Ach, ist schlagen und boxen dann so ähnlich wie angenehm und gut?“
Franziska grinste breit „Ihr Lieben, es war ein angenehmer Abend, mir wird es langsam etwas frisch. Ich geh schlafen. Gute Nacht, ihr beide.“ „Bonne nuit, Maman.“ „Gute Nacht. Hast du gehört, heute hat sie „gute Nacht“ gesagt.“
Patricia verdrehte die Augen, boxe ihn einmal links und rechts und gab ihm einen langen Kuss.

Die Erdrotation

Es war eine sehr schöne Nacht und Patricia
hatte mal wieder bekommen was sie wollte. Der Sex mit ihr war mehr als fantastisch.

Der Morgen erwacht langsam und über den Felder von Thionville und es kamen die ersten Sonnenstrahlen. Hannes sand am Fenster und schaute der Sonne entgegen. Dieses Licht hatte keine tausend Farben, dieses Licht war mit Fréjus nicht im Ansatz zu vergleichen. Trotzdem schaute er der Sonne entgegen wie sie langsam Stück für Stück immer heller wurde.
Die Erdrotation nach Osten war schon beachtlich schnell, wenn man diese sich konzentriert anschaute.
Was ist ein Augenblick? Was ist eine Minute? Warum verging ein Tag an dem man Freude hatte schneller, als ein Tag den man eigentlich aus dem Kalender streichen konnte?

Hannes erschrak als Patricia ihm von hinten die Arme um seinen Taille legte „Mon chérie, an was denkst du schon wieder?“ Sagte sie mit verschlafener Stimme.
„An die Erdrotation.“ „Morgens um halb sechs! Wie wäre es, wenn du an, volo enim vos mode et sexus, denken würdest? Da hätten wir beide etwas davon. Vielleicht bring deine Erdrotation mir noch einen schönen Orgasmus. Komm ins Bett. Allez. Ich will dich.“
Patricia zog Hannes an der Hand ins Bett zurück und fing auch gleich an ihn zu küssen.

Cleo bellte an der Zimmertür. Hannes war nach dem Sex tatsächlich wieder eingeschlafen. So eine Erdrotation ist schon cool, dachte er.
Hannes öffnete die Augen und Patricia war nicht da. Er drehte sich nach rechte und auch dort war sie nicht. Verschlafen ging er zur Tür um zu schauen, warum Cleo so bellte. Hannes drückte die Türklinke nach unten und schon im gleichen Moment flog die Tür auf. Das Holz der Tür knallte ihm mit voller Wucht gegen Kopf und Knie und in Bruchteilen von Sekunden sah er einem ausgewachsenen Labrador auf sich zu springen. Rückwärts taumelnd und noch irgendwie nach Halt suchend, kamen 34 Kilo lebendige Masse auf ihn zu gesprungen. Im fallen dachte er noch an die Erdrotation.

Nach Minuten der stürmischen Begrüßung, konnte er sich endlich unter Cleo befreien und ging ins Bad.
Was war nur los mit ihm? Er schlief sonst nie so lange. Selbst in Anbetracht der Zeit, die er und Patricia nicht geschlafen hatten, geteilt durch die Geschwindigkeit der Erdrotation, diese multiplizieren mit den Küssen von Patricia und subtrahieren von dem gelecke von Cleo, wusste er in diesem Moment nicht, wie viel Uhr es war.

Er brauchte zuerst heißes Wasser um mal wieder klar denken zu können; und wo zum Teufel war Patricia?


Der Fremde in der Küche

Hannes ging in die Küche und muss feststellen, dass dort eine Person am Tisch saß, die er nicht kannte. Ein junger schmaler Mann mit schulterlangen Haaren und leichtem Bartansatz saß am Küchentisch.
„Bon jour, je suis Hannes d’Allemagne“ und reicht dem jungen Mann die Hand über den Tisch.
„Salut, Maurice. Der Bruder.“ „Entschuldigung, wenn ich frage, warum habe ich dich hier noch nicht gesehen?“ „Ich könnte auch gleiche Frage stellen.“ „Très bien! Bevor wir uns im Kreis drehen, nehme ich mir erst mal einen Kaffee. Du auch?“ „Ich bin sechzehn!“ „Stimmt, da trinkt man lieber Alkohol“ sagte Hannes trocken mit einem Augenzwinkern.
Maurice schaute den fremden Mann in T-Shirt und Boxershorts etwas irritiert an. Hannes setzt sich Maurice gegenüber an den Tisch „Wenn du nicht möchtest, dass deine Mutter den Alkohol riecht, wäre es ratsam und angebracht duschen zu gehen und ein gutes Mundwasser zu benutzen. Geht aber auch mit Knoblauch kauen. Kannst du mir bitte sagen, wo Patricia oder deine Mutter ist?“ „Maman ist einkaufen. Tricia, weis ich nicht.“ „Merci beaucoup.“ Maurice ging aus der Küche und drehte sich in der Tür zu Hannes um „Danke für den Tipp.“ „Gerne.“

Hannes war mit Cleo im Garten und lag auf dem Liegestuhl unter dem großen Sonnenschirm.
Maurice kam auf ihn zu „Nochmals danke für den Tipp von vorhin.“ „Nicht dafür.“
Hannes sagte ihm warum er hier sei, wie er seine Schwester getroffen hatte und wie die vorletzte Woche war.
„Cool. Du bist ein cooler Typ.“
Maurice war drei Wochen in einem Ferienlager bei Ostende in Belgien und gestern Abend hätte er mit ein paar Kumpels noch etwas „abgehangen“.

Patricia kam von links um die Hausecke auf die kleine Sitzgruppe im Garten zu. Sie setzte sich im Reitersitz auf den Schoß von Hannes und gab ihm einen dicken Kuss „Na, hat uns die Erdrotation wieder zum Leben erweckt?“ Sie drehte den Kopf nach links zu Maurice „Salut Maurice.“ Maurice grüße seine Schwester, in dem er wortlos die Hand hob.
„Hattest du auch Probleme mit der Erdrotation?“ Fragte sie ihren Bruder. Maurice sah verwirrt zu Patricia und dann zu Hannes.
„Ne, bei ihm war es der Alkohol. Kannst du mir bitte sagen, wo du warst?“ „Oui, beim Bäcker.“ „In Paris?“
Hannes hatte den Satz noch nicht ausgesprochen und wurde schon wieder geboxt.

Hannes kam mit Cleo vom spazieren zurück. Maurice war in der Garage an seiner Yamaha RS 80 am schrauben. Das Moped wollte nicht starten. Hannes schaute sich das Moped an. Er schraubte am Vergaser und reinigte den Kraftstofffilter. Das Moped lief wieder.


Patricia verheimlicht etwas

In der Küche saßen Franziska und Patricia. Es schien dicke Luft zu sein „Weiß er es?“ Waren die letzten Worte von Franziska und zeigte mit dem Kopf auf Hannes, als er über die Terrasse in die Küche ging. Franziska stand auf und verließ die Küche. Hannes wusste nicht was der Grund an dem Verhalten von Franziska war. Wortlos nahm er eine Tasse aus dem Schrank und machte sich einen Kaffee. Mit der Tasse in der Hand stand er an der Anrichte der Küche und sah zu Patricia. Sie sah ihn an und dann aus dem Küchenfenster. Dieses Verhalten an ihr kannte er nicht. Er wartetet auf das was sie ihm bis jetzt offensichtlich verschwiegen hatte. Die Minuten vergingen ohne ein Wort zu sagen. Patricia nahm tief Luft und sah ihn an „Komm, wir müssen reden.“
„Offensichtlich!“

In ihrem Zimmer saßen beide auf der Couch. Patricia hatte ihren Kopf auf seiner rechten Schulter liegen. Mit der linken Hand hielt sie seine Hand fest. Hannes merkte, dass ihr es unglaublich schwer fiel etwas zu sagen.
„Ich hatte dich vor zwei Wochen gefragt, ob du mit mir nach Kambodscha gehen möchtest. Seit ich dich kenne, hat sich bei mir so vieles verändert. Ich spüre, dass ich wieder lebe. Ich bin glücklich. Du machst mich glücklich. Ich möchte nach den Ferien nicht studieren. Ich will Gutes tun und anderen Menschen helfen. So wie du es gerne machen würdest.“ „Patricia, ich kann dir nicht im Ansatz folgen. Was hat studieren mit helfen zu tun? Du kannst nach dem Studium immer noch alles machen was du willst. Verbau dir doch jetzt nicht die Chance für dein Leben. Hilfe wird nach deinem Studium auch noch gebraucht.“ „Je t’aime, mon chérie“ Patricia gab ihm einen langen Kuss.
Hannes sah sie an und sein Blick suchte in ihrem Gesicht nach etwas was noch nicht ausgesprochen war.
Ihre Blicke trafen sich „Du willst mir doch jetzt nicht sagen, dass dies alles war? Auch ohne Abi merke ich, dass da mehr ist.“
Sie schaute zu Boden und verzog den Mund.
„Hast du einen neuen Freund?“
Sofort sah sie ihn mit zusammen gezogenen Augenbrauen böse an und boxte ihn.
„Also war diese Frage schon mal falsch.“

Patricia zog ihn von der Couch in Richtung Bett. Eng umschlungen lag sie neben ihm „Liebst du mich?“ „Was ist das für eine blöde Frage! Natürlich. Ich vermisse dich jetzt schon, wenn ich morgen dieses Haus verlasse. Du bist eine unglaubliche Frau. Ich bin voller Stolz, ein Teil von dir sein zu dürfen. Natürlich habe ich Angst dich zu verlieren. Was ich mit dir und in diesem Haus erlebe, ist eine andere Liga. Du hast bessere, gebildete und vielleicht auch reichere Freunde als ich.“
Patricia setzte sich auf und schaut ihm böse in die Augen „Ist Geld für dich so wichtig?“ „Für mich nicht! Aber wie sehen dies deine Eltern oder deine Freunde? Das hier ist eine Villa! Glaubst du das ich dir diesen Luxus irgendwie, irgendwann bieten kann? Liebe ist toll. Liebe ist schön. Nur die Realität ist auch da! Mein Zimmer in meinem Elternhaus ist kleiner als dein Bad. Du hast Abitur, ich nicht. Du hast eine Figur von einem Model, schau mich an. Über all dies mache ich mir Gedanken. Ich kann kaum schlafen, weil mein Hirn sich ständig damit beschäftigt. Als ich das erstemal dieses Haus sah, wusste ich, dass du eine andere Liga bist. Was meinst du warum ich dich in Avignon nicht berührt habe? Weil deine Welt nicht die meine ist. Ich baute eine Mauer um mich und ich wollte mich nicht in dich verlieben.“ „Oh, mon chérie, dass ist doch alles nicht so! Nur weil wir im Haus von meinen Großeltern wohnen? Nur weil ich Abi habe?“ „Nein, Patricia. Dies ist es nicht alleine. Es ist viel mehr. Ich wollte dich in dem kleinen Motelzimmer berühren und einfach nur festhalten. Ich hatte nie den Gedanken mit dir schlafen zu wollen. Einfach nur festhalten und dich spüren. Ich hatte aber Angst dir zu nahe trete oder Angst vor einer Zurückweisung. Wobei ich nicht weiß, welche Angst größer wäre. Ich wollte diese Momente nicht zerstören und habe dich beim schlafen beobachten. Dies war reinste Erotik für mich. Ich überlegte über Stunden, was diese unglaublich schöne Frau von mir will. Nur ein kurzes Abenteuer mit einem dummen Jungen aus dem Hunsrück an der Côte d’Azur? Ich überlege und kam zu keinem Ergebnis.“
Patricia kamen die Tränen und streichelte seine Wangen „Diese Gedanken quälen dich seit zwei Wochen? Das ist doch alles Unsinn! Ich liebe dich! Dich! Keine Güter oder Schulabschlüsse. Dein Herz, dein Verstand und Charakter sind es, was dich ausmachen. Hannes, ich bin glücklich mit dir und dies nicht nur für ein kleines Abenteuer. Warum willst du dies nicht endlich begreifen? Lass doch dieses Haus und meine Schulbildung aus dem Spiel. Hast du eine solche Angst vor mir?“ „Ich weiß es nicht. Ich glaube es ist mehr die Angst vor Erwartungen die ich nicht erfüllen kann.“ „Welche Erfahrungen? Spinnst du?! Meinst du meine Eltern hätten eine Verfügung über mich erlassen, in der steht, dass ich nur einen Mann mit Studium und mindestens einer viertel Million France auf dem Konto lieben darf?“
Hannes schüttelte den Kopf. Er wollte irgendwie diese Diskussion beenden. Es war schon blöd genug, seine Gedanken auszusprechen.
„Nein. Es tut mir leid. Ich möchte dich nicht verlieren.“
Patricia küsste ihn „Warum solltest du dies? Ich liebe dich! Haben wir dies nun endlich geklärt? Und hoffentlich auch für die Zukunft. Bœuf stupide.“

Teil I Kapitel 3 „Chérie, Geographie ist nicht unsere Stärke“

Von Fréjus nach Thionville

„Chérie, Geographie ist nicht unsere Stärke“

Abschied aus Fréjus

Die Zeit in Fréjus ging viel zu schnell vorbei. Momente voller Liebe, Gespräche und Bilder blieben im Herzen.
Peter hatte sich geweigert, auch nur einen Franc anzunehmen. Er war froh, für die Zeit der Gesellschaft und der Abschied fiel ihm schwer.
Hannes musste nächste Woche auch wieder arbeiten gehen, so mussten sie am Samstagvormitag der Rückweg angetreten – wenn es auch jedem sehr weh tat. Patricia wollte die erste hälfte der Strecke fahren. So konnte Hannes die letzten Tage im Kopf noch genießen und musste sich nicht auf den Verkehr konzentrieren. Er schloss die Augen und hing seinen Gedanken und Erinnerungen nach.
Patricia war eine gute Fahrerin, sie fuhr zügig – aber sicher.
„Mon chérie, würdest du mit mir weg gehen?“ „Oui, wohin du willst“ sagte Hannes mit geschlossenen Augen.
„Auch nach Kambodscha?“
Wie vom Blitz getroffen drehte Hannes den Kopf und sah sie mit aufgerissenen Augen fragend an.
„Ich hatte dir doch gesagt, dass mein Vater für eine Hilfsorganisation arbeitet. Er ist in vielen Länder dieser Welt unterwegs und betreut, plant und organisiert Projekte für Wasserbau. Mit dir zusammen würde ich dies machen wollen. Mein Abi habe ich im Frühjahr gemacht und mich an der Uni in Metz eingeschrieben. Ich möchte Eéconomie et administration und Sciences humaines studieren, in Deutschland ist es Volkswirtschaft und Humanwissenschaften. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich nicht erstmal eine Pause von der Schule machen sollte um etwas nützliches zu tun. Was du gesagt hast, hat mich sehr zum nachdenken gebracht. Du möchtest Kinder und Menschen helfen und Gutes für sie tun!“ „Patricia, ich muss dir etwas erklären. Ich habe kein Abitur und kann demzufolge auch nicht studieren. Ich war der Klassenkasper in der Schule. Ich hatte viel Unsinn gemacht und mich um Schule und lernen nie sonderlich gekümmert. Ich bin nicht so klug wie du.“
Patricia schüttelte den Kopf und sah ihn kurz an, um dann wieder den Blick auf die Autobahn zu richten „Chérie, du bist nicht dumm. Du hast einen brillanten Verstand und kannst unglaublich schnell denken, was spielten da Noten in der Schule noch eine Rolle? Du hast ein großes Wissen über Geschichte, du kannst dich über Themen unterhalten die ich noch nicht einmal weiß – und ich habe Abitur!“ „Ein Zeugnis ist es aber, wie ein Mensch in seinem Leben bewertet wird. Ich habe mir vieles selbst verbockt und das bisschen Wissen, welches ich habe zählt nicht überall.“
Sie sah ihn kurz an „Sehe ich nicht so! Das Herz und Charakter bewertet einen Menschen, nicht eine Zahl auf einem Blatt Papier. Mon chérie, du bist ein ganz besonderer Mensch und ich möchte mein Leben mit dir teilen. Du bist kein Kaspar! Eine Frage: hattest du in der Schule französisch?“ „No, Madame.“ „Und warum sprichst du es dann?“
Treffer! Das hat gesessen. Patricia sah ihn an und nahm seine linke Hand.

Bei Valence fuhr sie auf eine Raststätte. Es war Zeit etwas essen zu gehen.
Das Routier hatte eine große Terrasse mit Sonnenschirmen und einem großen Springbrunnen in der Mitte. Beide setzten sich links neben den Springbrunnen. Der leichten Wind von Süden brachte die Hitze vom Mittelmeer und durch den Springbrunnen kam ein leichter Schleier an kühle durch das Wasser auf sie.
Patricia bestellte für beide Aioli und eine Karaffe Rosèwein.
Hannes fragte Patricia was Aioli sei.
„Aioli sind Fisch-, Fleisch- und Gemüsegerichte aus der Provence, die mit der Knoblauchsoße, der aioli, serviert werden. Ich habe für uns Stockfisch mit Gemüsen bestellt.“ „Klingt lecker. Ich esse gerne Stockfisch.“

Eine junge Kellnerin brachte den Wein und zusätzlich eine Karaffe Wasser. In Frankreich ist es üblich, dass man beim Mittagessen Eau et Vin trinkt. Der kühle fruchtige Wein mit Wasser war bei diesen Temperaturen eine Wohltat.
Patricia saß ihm gegenüber und hielt seine Hände fest „Chérie, mach dir nicht immer so viele Gedanken. Du hast selbst gesagt: lass uns die Zeit jetzt erleben. Wir waren für drei Tage im Paradies und alles was dort passierte war kein Traum!“

Patricia war eine absolute Traumfrau mit Bildung und offensichtlich auch vermögend. Was hatte er den entgegen zu stellen? Ein Junge aus einem Dorf, mit normalen Schulabschluss und einem Beruf im Tiefbau. Er wollte ihr seine Gedanken nicht sagen.
„An was denkst du?“
Hannes schüttelte den Kopf „An nichts. Wir fahren nun aus dem Paradies über die Autobahn zurück in den Alltag.“ „Oui. Die Autobahn brachte mir die große Liebe und die Autobahn ist wie die Liebe, sie geht hoch und runter, über Brücken und nach links und rechts. Sie führt aber immer dem Ziel entgegen. Hannes, ich bin angekommen! Du berührst mich nun auf zweifache Art. Deine körperliche Nähe tut mir gut und der Sex tut mir gut. Geistig erfüllst du mich vom Sonnenaufgang bis die Sterne am Firmament funkeln.“ „Merci beaucoup, für diese Liebeserklärung.“ 

Die junge Kellnerin servierte den gegrillten Stockfisch auf einer großen länglichen Platte. Auf der oberen Seite der Platte war ein Gemüsebouquet von grünen Bohnen, Karotten, Blumenkohl und Rübchen angerichtet.
Nach der Pause mit diesem vorzüglichen Mittagessen fuhr Hannes weiter. Patricia hatte recht, was sie sagte: Die Autobahn geht hoch und runter, über Brücken und nach links und rechts. Ihr linker Arm lag auf seinem Oberschenkel und sie erzählte ihm von der Arbeit ihrers Vaters.

Bei Dijon war ein Wegweiser nach Auxerre und Paris.
„Mon chérie, Croissants morgen um 7 Uhr an der Seine essen, machen wir auch noch“ sagte Patricia, als sie den Wegweiser sah. Hannes nickte stumm. „Ich möchte mir dir noch so vieles erleben. Deine Freunde sprachen immer nur davon. Wir beide hatten in den letzten Tagen solch wunderbare Momente erlebt. Ich danke dir für deine Idee mit dem Lagerfeuer am Strand.“ „Aus dem Lagerfeuer wurde leider nichts.“ „Oui, daraus wurde nichts. C’est vrai. Aber die Zeit bei Peter, den Saint-Émilion, der sehr schöne Sex und dass tausend Farben auch ein rot sein können, kann ich mit dem Umstand leben, dass wir kein Lagerfeuer machen konnten.“ „Ja Patricia, du hast recht. Was wir erlebt hatten, konnten wir uns nicht vorstellen.“ „Oui, mon chérie. Je t’aime.“


Zurück im Alltag

Die ersten Autobahnschilder auf denen Metz stand waren zu sehen. Die Monotonie der A6 war anstrengend und Hannes hatte das Gefühl, sie würden nicht mehr in Thionville ankommen. Er wollte in seinem Herz auch nicht ankommen. Wie sollte eine Liebe auf 120 Kilometer Entfernung bestehen? Er wollte auch diese Gedanken ihr jetzt nicht sagen – noch nicht.
„Chérie, wir sind auf der Autobahn!“ Patricia merkte, dass er immer langsamer fuhr „Mir geht es genau so. Ich möchte auch nicht ankommen!“ „Habe ich schon wieder laut gedacht? “ „Nein. Ich spüre es. Wie ich schon sagte, du berührst mich geistig. Mach dir nicht so viele Gedanken, es wird alles gut. Mon chérie.“

Er fuhr die Straßen durch Thionville, als ob er schon immer dort lebte. Der Kreisverkehr kam. Gleich müsste er abbiegen und dann kam auch schon das Haus. Er fuhr den Weg ans Haus und parkte wie vor Tagen an gleicher Stelle.

Die Mutter von Patricia kam ihnen auf der Steintreppe entgegen und umarmte ihre Tochter. Hannes gab sie die Hand und lächelte. Ihr Gesicht strahlte eine Freundlichkeit aus, wie es auch ihre Tochter hat.
„Bonjour Madame Lefèvre.“„Bonjour Hannes. Sag Franziska zu mir. Kommt rein. Ich habe Kuchen gebacken.“
Franziska ging nach dem eintreten in der Halle nach rechts in die Küche. Auch dieser Raum war mit viel Liebe eingerichtet. Der Tisch war mit buntem Porzellan gedeckt. Der Duft vom Käsekuchen erfüllte den ganzen Raum. „Setzt euch. Der Kuchen braucht noch einem Moment. Ich hatte viel später mit euch gerechnet. Wie war es an der Côte d’Azur?“
Patricia fing bei dem Routier in der Nähe von Avignon an zu erzählen. Hannes hörte nun die Erlebnisse aus ihrer Sicht. Franziska fragte und fragte. Natürlich antwortete Patricia auch sehr detailliert – was Hannes schon sehr peinlich war. Franziska sah ihn oft an und wusste das die Ausführungen ihrer Tochter ihm peinlich waren. Sie nahm seine Hand und sah ihn lächelnd an „Du machst Patricia glücklich!“
Hannes musste raus aus dieser Situation. Er fühlte sich am Küchentisch bei dem Gespräch der Frauen sehr deplatziert. Zumal Franziska und Patricia offensichtlich sehr offen über eben jene Frauenthemen sprachen, die ihm peinlich waren.

Ein schwarzer Labrador kam vom Garten durch die Terrassentür in die Küche. Der Hund begrüßte Patricia und kam dann neugierig zu Hannes.
„Sei vorsichtig, er beißt schon mal: sagte Patricia.
Der schwarze Labrador sah Hannes an und wedelte mit der Rute, er setzte sich und legte seine riesigen Pfoten auf sein linkes Bein.
„Cleo, no! Étre un bon chien“ schimpfte Franziska den Hund.
„Tout va bien – ist alles gut. Ich bin mit einem Schäferhund aufgewachsen.“
Cleo legte den Kopf auf das Bein von Hannes und wollte gestreichelt werden. Hannes kam dieser Aufforderung sehr gerne nach.
„Voulez-vous sortir?“ Bei diesen Worte von Hannes sprang der Hund auf und rannte durch die Terrassetür wieder in den Garten. Hannes folgte Cleo. Gott sei dank kam der Hund, sagte Hannes zu sich selbst als er auf der Wiese war. Cleo wollte spielen und brachte ständig sein Hundespielzeug. Hannes spielte und knuddelte mit Cleo auf dem Rasen.

Patricia kam mit Geschirr für den Kaffee und Kuchen in den Garten. Franziska brachte den Käsekuchen und eine große Thermoskanne. Nun war der Fluchtweg für Peinlichkeiten vollends abgeschnitten.
Zum Glück wurde bei Tisch der Roadtrip nicht mehr angesprochen.


Hammerwerfen mit einem Baum

„Allez, wir gehen mit dem Hund spazieren“ sagte Patricia nach dem sie Kaffee getrunken hatten.
Über den großen Rasen gingen sie rechts am Haus vorbei um auf die Einfahrt zu gelangen.
Als beide um die Hausecke waren, nahm Patricia seine Hand und hielt ihn fest „War es dir vorhin peinlich, was ist zu meiner .
Mutter sagte?“ „Oui! War es. Es ist ja gut, dass du den Sex unter der Dusche nicht erwähnt hast.“ „Oh, hatte ich vergessen“ und knuffte ihm gegen den Arm.
Cleo zog an der Leine wie eine Lokomotive. Als sie die letzten Häuser der nächsten Querstraße erreicht hatten und die Felder und Flure nur noch wenige Meter entfernt waren, machte Hannes die Leine ab und Cleo stürtmte wie eine Rakete los. Er rannte nach links und rechts über die Wiesen. Patricia hakte sich bei Hannes unter und legte ihren Kopf an seine Schulter. Es war ein schöner Moment mit ihr.
„Ich bin glücklich mit dir. Hannes, ich bin so glückliche.“
Er streichelte ihr über den Rücken und gab ihr einen Kuss „Ich auch.“

Cleo brachte ein Stock zu Hannes, wobei Stock etwas untertrieben war. Es war ein zweieinhalb Meter langer Ast von einer Birke. Cleo wollte das Hannes den halben Baum warf, damit er ihn apportieren konnte.
„Nun wirf doch endlich. Cleo hört sonst nicht mehr auf zu nerven.“ „Was meinst du, wie weit ich einen halben Baum werfen kann?“ „Mon dieu! Du stellt dich aber auch an! Mach es wie die Hammerwerfer. Drehen, drehen, drehen und dann weg damit. Du wirst hier auf der Wiese nix kaputt werfen.“ „Na gut.“ Hannes packte den bestimmt 15 Kilo schweren Ast mit beiden Händen und drehte sich zweimal um die eigene Achse und ließ dann in der Drehung das Monstrum los. Die geworfene Entfernung gab doch sehr zu wünschen übrig.
„Va encore! Reicht zwar nicht für Olympia – ist aber ausbaufähig.“
„Dankeschön. Ein Hammer bei Olympia wiegt auch nur die Hälfte.“ „Hab ich nicht gewusst. Siehste – trotz Abitur“
Patricia legte beide Arme um ihn und küsste ihn lange „Bleib bis morgen bei mir. Ich brauche dich.“

Völlig durchgeschwitzt kamen Patricia und Hannes zuhause an. Cleo wollte nicht ins Haus und legte sich im Garten unter einen der Ahornbäume. Franziska lag im Liegestuhl unter einem riesigen Sonnenschirm. Sie winkte ihnen zu „Ich möchte bald das Abendessen machen. Ich dachte an gefüllte Paprika.“ „Maman, attend une minute. Nous voulons prendre une douche rapide.“ „Wir?“ Fagte Hannes leise an Patricia gewandt.
„Wir!“ Mit diesen Worten zog Patricia ihn über die Terrasse in die Küche und dann die Treppe hoch in den zweiten Stock.


Sternbild der Cassiopeia

Patricia öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Ihr Zimmer war so groß wie manche Leute kein Wohnung haben. Ein riesiges halbrundes Bett stand nah dem große Panoramafenster. Der Blick aus dem Fenster war grandios, man sah die Felder und den Wald in der Ferne. Ein Schreibtisch stand links neben dem Fenster, der locker eineinhalb Meter breit und 2 Meter lang war. Ein riesiger Computerbildschirm fiel bei der Dimension von dem Schreibtisch kaum auf. Ein sechstüriger Kleiderschrank, eine Sitzecke mit Couch, ovalen Holztisch und zwei Sessel. Ein Fernseher und Stereoanlage stand in unmittelbarer Nähe der Sitzecke. Regale an zwei Wänden, die voll mit Bücher waren. Die Wände waren in weiß und eisenoxidrot tapeziert. Feinste Eichenholzdielen lagen auf dem Boden. Die Decke war unglaublich hoch und von Stuck, wie der Raum im Erdgeschoss, in diesem er am ersten Tag gesessen hatte.
Das Deckengemälde zeigte den Sternenhimmel der Cassiopaia.
Hannes betrachtet dieses Gemälde lange und sah dann zu Patricia „Das Sternbild der Cassiopeia? Die Königin, die den Zorn der Götter auf sich zog?“
Patricia schüttelte den Kopf „Nein! Also doch. Aber trotzdem nein.“ „Häää?“ „Meine Interpretation ist das Sternbild als sich. Cassiopaia rotiert um den Polarstern, welcher im Zentrum der Sternbewegungen steht und ist ein zirkumpolares Sternenbild. Was so viel heißt, dass ihre Sterne nie untergehen. Cassiopeia ist somit immer irgendwo am Himmel zu finden.“ „Aha. Wow.“ „Ja. Nun ist es gut mit an die Decke schauen, ich möchte mit dir duschen gehen.“

Patricia kramte in einem Sidebord rechts der Wand von ihrem Bett und zog aus zwei Schubladen neue Unterwäsche hervor.
„Nun komm ins Bad. Ich klebe und bin verschwitzt.“ „Auf einmal ist dir dies unangenehm?“ „Mon chérie, hatten wir Sex? No! Kommt aber noch!“ „Bist du immer so direkt?“ „Oui, chérie. Allez, la douche!“ Sagte sie befehlerisch.

Neben dem Sidebord war eine Tür die in das angrenzenden Badezimmer führte, in dem Hannes sich vor Tagen duschte, bevor sie an die Côte d’Azur aufbrachen.
Badezimmer war hierfür auch das falsche Wort – Baderaum oder eineinhalb Zimmerwohnung kam dem schon eher nah. Zwei große halbrunde Panoramafenster, eine Eckbadewanne, ein Spiegelschrank der fast 2 Meter lang war und natürlich zwei Waschbecken. Die Fliesen in diesem Raum waren an zwei Wänden dunkelblau und grau. Dazwischen immer wieder gebeiztes Eichenholz vom Fachwerk. Die beiden anderen Wänden waren in weiß gestrichen und das Fachwerk setzte sich mit seiner dunklen Farbe im Kontrast zum Putz ab.
Die Bodengleiche Dusche war rechteckig und trennte die Dusche mit einer circa zweieinhalb Meter langen Glasplatte vom Rest des Badezimmer ab. So brauchte man keine Tür für die Dusche. Die beiden anderen Duschwände waren mit gleichen Fliesen wie an den beiden anderen Wänden gefliest. Das Fachwerk an der einen Wand der Dusche war durch Glasscheiben geschützt.

Patricia war schon nackt und flutschte in die Duschkabine. Man konnte das Wasser so einstellen, dass es von oben oder von zwei Seite heraus kam. Hannes sah beim ersten mal die ganzen Knöpfe und hatte Mühe, diese so einzustellen, dass überhaupt Wasser kam.

Aus dem, komm-lass-uns-schnell-duschen-gehen, wurde es doch erheblich länger.
Patricia wollte Sex mit ihm in der Dusche und hatte mal wieder ihren Willen durchsetzen können.


Wegbeschreibung in den Keller

In der Küche half Patricia ihrer Mutter den Tisch decken.
„Hannes, würdest du bitte einen Weißwein in den Keller aussuchen gehen?“ Fagte Franziska „An der Treppe vorbei ist links eine Tür, dann rechts durch den Flur, wieder rechts und dann links.“
Mein Gott, war dies nun eine Wegbeschreibung durch einen Ort oder nur zum Keller, dachte er bei sich „Oui, Madame.“
„Findest du den Keller?“ Rief Patricia als er durch die Halle auf besagte Tür zuging. „Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin, kannst du mich suchen kommen. Ich könnte ja noch Mehl auf den Boden streuen, dann wird der Rückweg leichter – oder die Suchaktion.“ „Oui, mon chérie.“

Hannes traute seinen Augen nicht, als er durch die Tür neben der Haupttreppe ging.
In diesem Flur war noch eine Treppe im Haus, die man von der Halle überhaupt nicht sah. Dieser Flur und Treppe war nicht so prunkvoll wie die Treppe in der Halle – aber immerhin chic. Diese weitaus schmälere Treppe führte nach oben.
Vor dieser Treppe sah er links eine Tür, dies musste die Tür zum Keller sein. Er trat ein und sah seine Vermutung bestätigt. Vom einem Keller, wie er es kannte, war dieser Raum weit entfernt.
Regale mit Lebensmittel und Getränke standen links der Tür an der Wand. In diesem Raum war eine komplette Küche eingebaut. Hannes schätze das Baujahr von dem Mobiliar der Küche auf Mitte der 60er Jahre. Diese Küche war um einiges größer als jene aus der er eben losgeschickt wurde. Die Türen der Schränke waren in blassrosa und türkis pastell lackiert. Er fühlte sich in die Zeit der Liselotte Pulver Filme zurück versetzt. Bis aus einen riesigen modernen Gefrierschrank glich dieser Raum einem Museum. Selbst die Kücheutensilien waren im Stil dieser Jahre.
Das Regal mit dem Wein war weitaus moderner und stand von der Küche aus gesehen, links an der Wand. Auf sieben Etagen konnten je12 Flaschen Wein gelagert werden. Das Weinregal war über dreiviertel mit den verschiedensten Sorten gefüllt. Er sollte Weißwein bringen. Selbst da blieb die Frage offen nach welchem Wein? Lieblich oder Trocken. Frankreich, Italien oder Deutschland?
„Ene mene muh und getrunken wirst du.“ Er zog einen 84er Riesling-Kabinett aus der Pfalz aus dem Regal. „Yes, that’s right, sagte er beim Anblick von dem Etikett. Es war ein Wein von einem Winzer aus der Nähe von Landau.

Zurück in der Küche zeigte er Franziska das Etikett und fragte, ob dies ihrem Wunsch entspreche.
„Excellent. Guter Wein. Lieblich mit einer leichten Süße. Passt super zum Essen. Ich denke in fünf Minuten ist der Paprika auch fertig.“

Er stand am Küchenfenster und schaute in den Garten, wo Cleo auf dem Rasen lag. Patricia kam in die Küche und stellte sich hinter ihn. Sie legte ihre Arme um seine Taille und ihr Kinn auf seine rechte Schulter. Patricia gab ihm einen Kuss an den Hals und sagte leise „Je t’aime, mon chérie“
Er streichelte mit der linken Hand ihre Wange „Je sais. Je sais.“

Nach dem Abendessen saßen sie zu dritt im Wohnzimmer. Dieser Raum war links neben dem mit der Schiebetür. Auch im Wohnzimmer waren Eichenholzdielen verlegt. Die Wände waren in einem pastellfarbenen mint, weiß und grau
tapeziert. Große Fotos von der Familie, Landschaften und Kunst hingen an den Wänden. Eine große orangefarbene L-Couch mit zwei Sessel und Glastisch stand einer großen modernen Wohnwand gegenüber. Links von dem Sofa war eine circa vier Quadratmeter große Kakteenlandschaft im Stil von Wild West Filmen aufgebaut. Die Landschaft sah aus wie eine Modelleisenbahn Anlage – nur eben ohne Eisenbahn.

Hannes saß mit Patricia auf der Couch. Sie lag der Länge nach auf der Couch und hatte ihren Kopf auf seinem Schoß. Franziska saß beiden im Sessel gegenüber und Cleo lag bei Hannes an den Füßen.
Beim Wein und Snacks hatten sie Gespräche über viele Themen.
„Cleo mag dich. Es wundert mich sehr, dass er bei dir liegt. Er braucht lange bis er zu Fremden kommt“ sagte Franziska.
„Ich bin mit einem Schäferhund aufgewachsen. Wir hatten schon alles mögliche an Tiere im Elternhaus. Nun ist es nur noch eine Volière mit Kanarienvögel und Wellensittiche. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir im Haus keine Tiere hatten.“ „Erzähle uns von deinem Elternhaus“ sagte Patricia.

Hannes erzählte von seinem Elternhaus. Das sein Vater bis vor einigen Jahren immer auswärts gearbeitet hatte und nun bei einer Firma in Idar-Oberstein sei. Zu seinen beiden älteren Schwestern habe er guten Kontakt und trotz deren Partner, das Elternhaus noch groß genug sei.

Es war kurz vor Mitternacht als Franziska sich für die Nacht verabschiedete „Ihr lieben, ich gehe ins Bett. Ich wünsche euch eine angenehme Nacht.“ „Gute Nacht, Franziska.“ „Bonne nuit maman.“


Angenehme oder Gute Nacht

Hannes lag mit dem Rücken auf dem riesigen halbrunden Bett und schaute an die Decke. Es schaute sich das Sternenbild von Cassiopaia an und fragte sich, ob dies ein Foto oder Malerei sei. Die nächtlichen Farben von diesem Himmelsbild waren faszinierend. Von antikblau über blauschwarz, blauanthrazit bis schwarz war so ziemlich alles dabei. Die Sterne hatten unterschiedliche weißtöne oder lichtgelb, blasgelb bis hin zu orange.

Patricia kam in einem roten Negligee aus dem Bad und trug ein Parfüm das ihm die Sinne nahm. Sie setzte sich im Reitersitz auf ihn, beugte sich zu ihm und küsste ihn lange und innig.
„Oh chérie, an was denkst du schon wieder?“ „Zu vieles. Mein Kopf dreht sich seit Tagen um tausend Dinge.“ „Hör doch auf über tausend Dinge zu denken. Es gibt nur zwei Dinge: dich und mich!“ „Oui, du hast recht. Trotzdem kann ich mein Hirn nicht ausschalten wie das Licht.“
Sie küsste und streichelte ihn wieder sehr innig und ihre Berührungen waren erotik pur. Mit einem Ruck setzte sich auf und boxte ihn in die rechte Seite „Du sollst aufhören zu denken!“ „Was meinte deine Mutter vorhin, als sie sagte, sie wünscht uns eine angenehme Nacht?“
Völlig irritiert sah sie ihn an „Was? So sagt man, wenn man ins Bett geht oder sich am Abend verabschiedet.“ „Es ist ein Unterschied, ob ich eine „Angenehme“ oder „Gute“ Nacht wünsche.“
Patricia boxte ihn wieder „Mon dieu! Du hast Probleme! Ich will jetzt mit dir schlafen und dies angenehm und auch gut. Compris?“


Gedanken an Erwartungen

Am Sonntagmorgen um 8 Uhr saß Hannes mit Cleo und einer Tasse Kaffee im Garten. Franziska kam vom Joggen und fragte wo Patricia sei.
„Sie wollte mit dem Fahrrad zum Bäcker fahren.“ „Très bien.“
Franziska setzte sich zu ihm an den Gartentisch und sah ihm in die Augen „Hannes, was ist los mit dir? Seit eurer Ankunft bist du immer so nachdenklich. Jungs in deinem Alter sind nicht so. Schau, wie glücklich meine Tochter mit dir ist.“
„Ich weiß. Seit Avignon hat sie sich verändert. Am Bostalsee war sie ruhig und reserviert – dies ist jetzt nicht negativ gemeint. Seit Avignon ist sie ganz anders, sie ist quirliger, lacht und springt umher. Ich habe Angst dass ich sie enttäusche oder ihre Erwartungen nicht erfülle kann. Ich hatte gestern Abend von mir und meinem Elternhaus erzählt. Dies hier, ist eine ganz andere Liga. Patricia ist eine andere Liga.“
Franziska nahm seine Hand „Das Haus ist schön, da gibt es keinen Zweifel. Es war das Haus von meinen Schwiegereltern. Wir haben es geerbt. Die Unterhaltung ist teuer und für uns auch nicht leicht. Ich bin Lehrerin am Gymnasium in Thionville und verdiene keine Millionen Franc. Es ist doch nur ein Haus, welches auch für uns kleine Familie sehr viel Arbeit macht. Wir haben keine Bediensteten, wie dies noch bei meinen Schwiegereltern war.“ „Daher die andere Treppe und die Küche. Dann waren oben unter dem Dach bestimmt die Zimmer oder Wohnung für das Gesinde.“ Franziska nickte anerkennend „Ich merke, du bist nicht dumm.“ „Merci beaucoup. Ich hab mich schon gewundert, dass es im zweiten Stock nicht weiter geht und von hier sehe ich drei Stockwerke.“ „Ja, du bist nicht dumm. Den einzigen Luxus den wir uns gönnen, ist eine Gartenpflege Firma und zwei Mal die Woche kommt eine Haushaltshilfe. Ich würde dies alleine nicht schaffen. Bernhard ist monatelang in Asien oder Westafrika unterwegs. Hannes, Patricia liebt dich, mehr zählt doch nicht. Du machst auf mich einen klugen, freundlich und sehr netten Eindruck. Ich unterrichte die Oberstufe und glaub mir, denen bist du in deinem Verhalten um Lichtjahre voraus.“

Patricia kam mit einer großen Tüte Croissants und Baguette aus der Küchentür in den Garten „Très bien, wir frühstücken heute im Garten.“ Sie kam um den Tisch, umarmte Hannes von hinten, küsste ihn an den Hals und sagte leise „Danke für die angenehme und gute Nacht.“
Franziska grinste, erhob sich und wollte vor dem Frühstück noch duschen.

„Machst du dies extra?“ Fagte er lauter und genervter als es eigentlich sein sollte. „Was ist denn nun schon wieder, oh Monsieur?“ „Musst du mich so vor deiner Mutter hinstellen?“
In Windeseile kam sie um den Stuhl, sprang ihm auf den Schoß und boxte ihn. Links, rechts, links, rechts, gab ihm einen Kuss und boxte weiter „Ich bin glücklich. Ich liebe dich. Bin verrückt nach dir. Darf ich nicht glücklich sein? Darf ich dich nicht lieben?“ Sie boxte nochmals.
„Doch. Natürlich. Aber musst du der ganzen Welt sagen, dass wir Sex hatten?“
„Oui, mon chérie. Ich würde sogar einen Banner an ein Flugzeug hängen und über Lothringen fliegen lassen: Ich-hatte-eine-angenehme-und-gute-Nacht.“ „Für einen solchen Banner ist Lothringen zu klein.“
Sie küsste ihn „Chérie, Geographie ist nicht unsere Stärke“ sie gab ihm noch einen Kuss, wuschelte seine Haare und ging in die Küche.

Teil I Kapitel 2 Tausend Farben sind auch ein rot

Fréjus. Die Momente vergehen zu schnell

Tausend Farben sind auch ein rot.
„Ich habe von einer wunderschönen Nacht, nicht von Sex, gesprochen.“

Patricia lag eng neben ihm am Strand. Bei einem älteren Franzosen der einen Sonnenschirmverleih am Parkplatz zum Strand betrieb, mietete Patricia einen quietschtgelben Sonnenschirm und eine große Strandmatte.
Sie hatte sich sein großes Badetuch umgelegt und ihr T-Shirt und Minirock gegen einen Bikini getauscht. Als sie ihm sein Handtuch zu warf, sah er ihren fast nackten Körper. Patricia hätte mit ihrer sehr schmalen Figur locker ihr Geld als Model verdienen können.
Sie legte sich auf ihrer linken Seite und stürzte sich mit ihrem Arm auf der Strandmatte ab. Mit ihrer rechten Hand streichelte sie seine Brust.
„Einen Menschen wie dich zu kennen, ist ein großes Geschenk. Du bist aufmerksam, gebildet und sehr nett. Du passt nicht in diese Clique. Die sind alle nicht so reif wie du. Die sehen ihn dir den Clown – den Spaßmacher der mit seinen Slapsticks alle unterhält und zum lachen bringt. Ja, Hannes, du verbreitets Spaß. Deine Freunde sehen aber nicht deine Gedanken.“
Hannes schaute sie mit fragenden Blick an.
„Oui, ich sehe etwas ist in dir. Etwas was du und offensichtlich deine Freunde nicht kennen und vor dem du Angst hast – und dies wahrscheinlich schon dein Leben lang. Du bist bei mir ein völlig anderer Mensch als in der Clique. Ich merkte dies schon, als ich dir in den Wald folgte. Es waren andere Gespräche, ein anderes Verhalten und ein anderer Mensch.“ Patricia hatte recht, mit dem was sie sagte. Hannes suchte Antworten und wusste noch nicht einmal die Fragen.

„Allez Monsieur, baignons-nous dans la mer“ sie zog Hannes hoch und gemeinsam liefen sie ins Meer. Der heiße Sand brannte ihnen an den Fußsohlen.
Das Wasser hatte fast Badewannen Temperatur, trotzdem tat das Wasser bei dieser Hitze gut. Sie schwammen soweit ins Meer, wie Patricia noch stehen konnte. Umgeben vom Mittelmeer umarmte sie Hannes und küsste ihn lange.
Nach einer halben Stunde im Wasser war es Zeit in den Schatten zu gehen. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel.
Unter dem quietschtgelben Sonnenschirm cremte er Patricia den Rücken ein und küsste sie auf ihr rechtes Schulterblatt. Hand in Hand lagen sie auf dem Bauch und genossen diesen Augenblick.
Patricia küsste ihn links in den Nacken und Hanner wurde wach „Habe ich geschlafen?“ „Ja. Hast du. Allez Monsieur, lass uns für die Nacht ein Zimmer suchen.“ „In der Hauptsaison in Saint-Maxime? Du bist mutig. Ich denke, außer die Sitze im Auto bei Backofentemperatur wird uns nicht viel übrig bleiben. Dafür hätten wir aber auch Meerblick gratis.“ „Ich bin Französin und keine Touristin. Ich werde schon etwas für uns finden. Wenn nicht, bleibt immer noch das Auto oder der Strand.

Vom Strand fuhr Hannes zurück nach Saint-Maxime. Langsam und immer schauend, wo eine Pension oder Ferienwohnung sein könnte.
Sie hatten über zwanzig mal angehalten und nach einer Unterkunft für die Nacht gefragt. Überall bekamen sie eine Absage. Hannes wollte nicht den ganzen Nachmittag mit der Suche nach einer Unterkunft verbringen. Die Zeit mit Patricia war ihm zu wertvoll. Nach eineinhalb Stunden fragen und suchen wollten beide die Suche aufgeben.
„Noch einen Versuch. Okay? Wenn wir dann nichts finden bleibt dein Auto für diese Nacht unsere Herberge.“
Hannes nickte stumm. Er hatte bei Pension Nummer 15 bereits aufgegeben.
„Fahr bitte hier rechts in die Straße. Ich habe eben einen kleinen Wegweiser zu einer Pension gesehen.“
Hannes fuhr so, wie Patricia es ihm sagte. Langsam fuhr er durch Saut du Loup und schaute auch nach einem Schild, Wegweiser oder was auch immer die Menschen benutzten um auf ihre Herberge aufmerksam zu machen.
„Hannes, rechts rein. Da hinten sehe ich ein Schild.“
Bei dieser minimalen Geschwindigkeit in dem Gassen von Saut du Loup stand die Hitze in dem Wagen. Trotz den geöffneten Scheiben an allen vier Türen war es eine unerträgliche Hitze.
„Arrêtez. Attendez. C’est ici.“
Hannes stoppte den Wagen und Patricia stieg aus. Sie ging die schmale Sandsteintreppe hoch und klopfte an der Tür. Hannes sprach ein Stoßgebet zu Himmel, denn bei dieser Hitze würden sie diese Nacht im Auto oder am Strand kaum schlafen können.
Eine ältere Frau mit blauem Kleid und einem Kopftuch in der gleicher Farbe, sprach mit Patricia. Je länger das Gespräch wurde umso weniger Chancen rechnete sich Hannes aus.
Endlich kam sie die Treppe herunter und wedelte mit einem Stück Papier „Wir haben Glück. Hannes, wir haben Glück! Die Frau gab mir die Adresse von ihrem Schwager. Er hätte Platz in seinem Haus, sei aber in Fréjus.“ „Wow! Wie weit ist Fréjus entfernt?“
Patricia zog die Schultern hoch „Keine Ahnung. Ich denke etwas über 20 Kilometer. Wir müssen Richtung Nizza fahren. Also in die Richtung wo der „La Tomata“ Strand ist.“ Patricia hörte wie Hannes die Luft ausblies. „Was?“ Fragte sie gereizt.
„Wie was? Bist du dir sicher, dass wir dort schlafen können?“ „Mon Dieu, sie hatten es mir doch gesagt. Okay, ich frage sie nochmals. Ist Monsieur dann zufrieden?“ Eine Antwort brauche Hannes nicht zu geben, denn Patricia war bereits aus dem Auto gestiegen.
Sie lief erneut die Treppe hoch und klingelte wieder bei der älteren Dame. Patricia fragte die nette Dame, ob diese ihren Schwager anrufen könnte. Denn sie seien nun schon fast zwei Stunden auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht.
Beide gingen ins Haus und Hannes stieg aus dem Backofen auf vier Reifen. Es setzte sich auf die Sandsteintreppe und spürte die kühle von der Hauswand – was für eine Wohltat!

Patricia kam aus dem Haus und bedankte sich nochmals bei der Frau für ihre Mühe.
„Allons à Fréjus. Monsieur Hannes. Oder braucht der Herr noch eine schriftliche Bestätigung mit Unterschrift von einem Notar?“

Nun fuhr Patricia den Wagen und Hannes konnte diese grandiose Landschaft der Côte d’Azur genießen.
Patricia musste in Fréjus zweimal nach dem Weg fragen.

Fréjus, Rue Jean Bacchi

An der Adresse angekommen, saß ein älterer Mann mit Baskenmütze vor dem kleinen Steinhaus. Das Haus war übersät mit Blumen in lila, rot, blau und gelb. Die hellblaue Bank war das I-Tüpfelchen vor dem Haus. Patricia stelle sich und Hannes vor. Der alte Mann erhob sich mühsam und sagte „Herzlich willkommen in Fréjus“ – auf deutsch. „Setzt euch bitte. Kommt erst einmal an und dann könnt ihr euer Zimmer sehen.“ Der alte Mann nahm mit seiner Art die Geschwindigkeit aus dem Tag. Es schien, als ob die Zeit still stand.
„Ich habe schon lange kein deutsch gesprochen, verzeiht mir, wenn ich nicht mehr alle Wörter weiß.“
Er erzählte ihnen, dass er aus Königswinter bei Bonn stammte. Nach dem Krieg hatte er hier seine große Liebe gefunden und seit dieser Zeit lebt er in Fréjus.

Diese Umgebung, die Ruhe, das Haus und die Geschichten von dem Mann, waren so angenehm, dass beide sich in die Vergangenheit versetzt fühlten.
Nach über einer Stunde erhob sich der Mann und bat, ihm zu folgen. Es ging die Sandsteintreppe hoch ins Haus. Dort war es angenehm kühl. Ein wunderschöner Steinboden wie in einer Kathedrale lag hinter der Eingangstür. Links sah Hannes einen kleine Raum, der das Wohnzimmer zu sein schien. Rechts fiel der Blick in eine Küche, wie Hannes es noch nie gesehen hatte. Alles war mit unglaublich viel Liebe eingerichtet. Es war Nostalgie pur. Ölbilder hingen an den Wänden. Sie zeigten Landschaften, Personen oder Häuser, die sehr filigran gearbeitet waren und beim betrachten jeden sofort zur Ruhe kommen ließen. Im Haus ging es eine Steintreppe hoch in den ersten Stock, selbst das Geländer war aus Steinen gemauert. Vorbei an zwei Türen aus dunkelbraunem Holz, Vasen auf dem Boden und weiteren Ölbilder, öffnete der Mann eine Tür. Licht fiel durch Buntglasfenster und gab dem Raum das Gefühl, als ob man in einer anderen Zeit sei. Ein dunkelbraunes Holzbett mit Stoffdecke und seitlichem Vorhang, ein kleiner Tisch in der Farbe wie das Bett und zwei Rundsessel mit rotem Polster passten hervorragend zu dem Interior.
„Wow!“ Mehr konnten beide nicht sagen. „Dies wäre euer Zimmer. Seid ihr damit einverstanden?“ „Monsieur, bien sûr. C’est beau! Natürlich, es ist wunderschön!“ „Je sais. Kommt, ich zeige euch das Bad.“
Es überraschte nicht, dass das Bad in Architektur und Interior, wie das gesamte Haus und Zimmer war.
„Wenn ihr nun alleine sein wollt, ich bin unten in der Küche.“

In ihrem Zimmer standen beide wie unter Hypnose und ließen jeden Quadratzentimeter auf sich wirken. Patricia gab Hannes einen Kuss „Solche Momente bleiben immer.“ „Oui, Madame. Solche Momente bleiben für immer“ wiederhole Hannes. „Patricia, ich habe so etwas schönes noch nie gesehen.“
Sie gab ihm einen Kuss „Nicht nur du. Nicht nur du.“

Beide gingen hinunter in die Küche. Der Mann saß am Küchentisch und trank Kaffee „Setzt euch zu mir. Wenn ihr Kaffee wollt, nehmt euch Tassen aus dem rechten Schrank am Herd. Entschuldigt, wenn ich mich nicht so gut bewegen kann.“

Patricia suchte zwei Tassen und setzte sich an den Küchentisch. Der Mann erzählte vom Krieg, von dem Leid und dem Tod seiner Frau. Er lebe alleine in dem Haus, die Kinder seien weit weg und Besuch bekommt er sehr selten. Er fragte nach dem Grund der Reise an die Côte d’Azur. Patricia erzählte ihm von der Idee mit dem Lagerfeuer und Wein am Strand. Der Mann schaute Hannes und Patricia mit seinen wasserblauen Augen an und ein lächeln von ihm machte sein Gesicht noch gütiger und liebenswürdiger als es ohnehin schon war.
„Nun, Feuer um diese Jahreszeit ist verboten – Wein trinken nicht.“ „Jetzt sind wir an der Côte d’Azur und bräuchten noch eine Flasche Wein. Wissen Sie wo wir eine Flasche kaufen können?“ Fagte Patricia. „Mein Kind“ sagte der Alte und nahm die Hand von Patricia „in meinem Keller liegt Wein. Ich war auch so frisch verliebt wie ihr. Wenn es nur an einer Flasche Wein liegen sollte, helfe ich doch gerne. Schau, im Flur ist eine Tür, geh in den Keller und such‘ dir eine Flasche aus. Das Licht ist rechts an der Wand.“
Patricia schaute den Mann fragend an. „Ich bin zu alt für die Stufen. Geh. Du bist ein gutes Kind.“

„Ein Saint-Émilion von 1943! Mein Kind, du weißt was du willst!“

Es dauerte lange bis Patricia aus dem Keller wieder in die Küche war.
„Monsieur? Im Keller liegen Weine aus Bordeaux und dem Piemont die mehr als 50 Jahre alt sind! Ich kann doch keine Flasche nehmen die 1000 Franc kostet! Non! Je ne peux pas faire ça! Non, Monsieur.“ „Deine Schönheit steht deiner Klugheit in nichts nach und du weißt was eine Flasche guter Wein kostet. Ich trinke so viel Wein nicht mehr. Für meine Beerdigung brauche ich den Wein nicht zu lagern. Also geh und nimm, was du heute Abend mit deinem Freund am Strand trinken möchtest – bitte. Hannes, erzähle mir von Deutschland. Wie hat sich Deutschland verändert oder verbessert?“
Hannes erzählte, wie zur Zeit die politische Lage sei und sich vieles in Richtung Osten bewegt. Der kalte Krieg scheint dem Ende zuzugehen. Die Brücken für Frieden seien in alle Richtungen offen und er hoffe, dass alles auch friedlich bleibt. Indem Hannes am erzählte war, sah er, wie der Blick von dem alten Mann an ihm vorbei ging. Hannes drehte sich um und sah Patricia am Türrahmen gelehnt mit einer Flasche Rotwein in der Hand. Was für eine wunderschöne Frau, dachte er. „Monsieur?“ Patricia kam mit der Flasche an den Tisch und zeigte sie dem Mann.
„Ein Saint-Émilion von 1943! Mein Kind, du weißt was du willst. Wenn ich dich um einen weiteren gefallen bitte dürfte. Könntest du für uns kochen? Meine Knochen sind zu alt.“ „Monsieur, j’aimerais beaucoup ça!“ „Merci beaucoup, ihr könnt Peter zu mir sagen. Hannes, würdest du mich nach draußen begleiten, ich möchte noch den Tag vor dem Haus genießen“ an Patricia gerichtet sagte er „Es müsste genügend im Haus sein um ein Abendmahl für einen solch schönen Anlass zuzubereiten.“

Hannes saß mit Peter vor diesem wunderschönen kleinen Haus und genoss die Wärme an diesem späten Nachmittag. Die Luft war vom Meerwasser erfüllt und in der Ferne hörte man die Brandung.
„Halte sie fest. Für immer! Sie liebt dich aus tiefstem Herzen. Ich sah es vorhin, als sie mit der Weinflasche in der Tür stand. Ein solcher Blick ist mehr als Liebe! Meine Louise schaute mich 1951 genau so an. Ich kam aus der Gefangenschaft und wusste nicht mehr wo meine Heimat war. Deutschland war zerbombt. Frankreich lag in Schutt und ganz Europa war zerstört. Zerstört durch Irrsinn und Wahn! Ich sah zu viele Menschen sterben um überhaupt noch weinen zu können. Meine Familie hatte den Krieg nicht überlebt, so war ich ohne Heimat und Halt. Ich wusste nicht wohin ich gehen sollte und bin einfach nur gelaufen. Gelaufen durch Gebiete in denen der Krieg immer noch zu sehen war. Wir hatten ganze Arbeit geleistet! Da drin sind wir Deutsche unschlagbar. Wochenlang bin ich gelaufen. Weg von dem Krieg. Weg von den vielen Toten die ich sah. Weg von der brutalen Zerstörung. Hier in dem Ort saß ich, einige Meter weiter unter einem Baum und heulte. Ich wusste nicht warum. Heimatlos zu sein? Keine Identität zu haben? Das alleine sein oder weil ich die Bilder aus meinem Kopf löschen wollte?“ Hannes hörte Peter aufmerksam und regungslos zu.
„Louise fand mich am Abend und wir hatten die ganze Nacht geredet. Ihr Mann ist im Krieg durch eine deutsche Granate gefallen. Sie hatte keinen Hass auf mich. Als die Sonne langsam aufging, schaute sie mich mit dem gleichen Blick an, wie deine Patricia. Bis zu ihrem Tod vor vier Jahren waren wir zusammen. Wir hatten schlimme Zeiten und auch gute Zeiten in unserer Ehe. Immer hoch und runter, trotzdem bestand unsere Liebe.“
Peter erzählte dies alles, als ob Hannes sein Sohn sei. Einfühlsam, mit Ruhe und im Vertrauen.

Patricia hatte Schmorbraten vom Rind mit Klöße und Rotkraut gemacht und rief die Männer zum essen. Peter bat Patricia noch einmal in den Keller zu gehen um einen Wein auszusuchen. Sie kam mit einer Flasche Pomerol aus dem Jahr 1951 in die Küche.
Der Pomerol passte mit seiner sanften und vollen Frucht, hervorragend zum Schmorbraten. Sie tranken beim Essen einen Wein, der 38 Jahre alt war.
Die Gespräche am Tisch waren sehr angenehm. Peter bedankte sich bei Patricia für ihre Arbeit und sagte, dass sie sich bald auf dem Weg zum Stand machen sollten. Hannes spülte mit Patricia noch das Geschirr. Peter gab ihnen den Haustürschlüssel. Er wäre vermutlich schon im Bett, wenn sie zurück kommen würden.

Moment die immer bleiben werden

Beide ging Hand in Hand die zwanzig Minuten bis zum Strand. Sie gingen durch enge Kopfsteingepflasterte Gassen. Vorbei an Steinhäuser vor denen Leute an Tischen saßen und Wein tranken. Sie sahen in den Altstadtgassen von Fréjus Männer und Frauen sitzen, die das Leben genossen. Es wurde gelacht, geredet und hier und da hörte man Mandoline spielen.

Sie gingen den Boulevard de le Mer entlang und sahen das Mittelmeer vor ihnen liegen. Der Wind vom Meer wehte in den Haaren von Patricia. Er roch ihr Parfüm und war noch nie so verliebt, wie in diesem Augenblick. Was er in den letzten Tagen erlebt hatte, konnte er immer noch nicht glauben. Patricia schaute ihn mit ihren braunen Augen an und er sah, dass sie glücklich war – er war es auch. Diese unglaublich schöne und kluge Frau an seiner Seite machte ihn zum glücklichsten Menschen auf der Welt.

Am Strand rechts vom Jachthafen waren ein paar Gruppen von Jugendlichen. Auch einige Liebespaare saßen im Sand oder hatten die Füße im azurblauen Wasser. Patricia drehte sich nach links und gab ihm einen langen Kuss „Hier. Hier ist unser Platz“ und zog ihn an der Hand in den Sand.
Patricia saß rechts von ihm und gab ihm einen Kuss. Sie streichelte liebevoll seine rechte Wange „Hannes, ich weiß nicht mehr was ich denken soll! Noch nie habe ich jemand getroffen, der so ist wie du. Du hörst zu, du weißt so viel und hast sehr viel Anstand. Ich liebe dich. Ja, ich liebe dich! Meine Mutter ging von Deutschland nach Frankreich und ich mache es umgekehrt. Ist schon verrückt. Wir sitzen an der Côte d’Azur und trinken gleich einen Wein, der mehr als 1000 Franc kostet. Ein solcher Moment wird so schnell nie wieder kommen. Wenn du nicht so empfindest, ldann lasse ich die Flasche zu.“
Hannes griff in den kleinen Rucksack von ihr und holte die zwei Kristallgläser von Peter heraus. Ohne ein Wort zu sagen, entkorkte Patricia den Saint-Émilion von 1943.
Der Wein war trotz seines Alters immer noch fruchtig, leicht süß, nicht zu trocken und hinterließ auf der Zunge und Gaumen ein Feuerwerk an Geschmacksnuancen.

Hannes zog Patricia zu sich und umarmte sie „Ich hoffe das dies kein Traum ist und ich nicht irgendwann erwache und keine Farben mehr sehe. Eine solch schöne und kluge Frau wünscht sich jeder Mann auf dieser Welt. Du kannst sie dir aussuchen. Schöne Männer, reiche und kluge Mä…“
Patricia löste sich aus seinen Armen und sah ihn böse an „Arrêter! Qu’est-ce que ce sera? Stopp! Was wird dies? Ich weiß was ich kann. Oh ja! Ich sitze mit dir nun 1000 Kilometer von dem Ort entfernt, wo du diesem Vorschlag gemacht hast. Ich bin mit dir gefahren, obwohl du dachtest ich suche nur ein Taxi dass mich nach Hause fährt. Ich trinke mit dir einen Wein, den sich andere in ihrem Leben nicht leisten können! Ich sage dir das ich dich liebe und nun kommst du und redest davon, dass ich mir Männer aussuchen kann!“
Patricia war merklich sauer und Hannes tat es leid, dass er ihr seine Gedanken sagte. Er hatte mal wieder ein Rendezvous voll gegen die Wand gefahren.
„Hannes, vielleicht habe ich schon ausgesucht“ Patricia war bei ihren Worten leise und liebevoll. Sie gab ihm einen Kuss „Ein Gespür für ein Rendezvous hast du ganz bestimmt nicht. Monsieur, Monsieur, da müssen wir noch dran arbeiten.“

Sie lagen im Sand an der Côte d’Azur, tranken sündhaft teuren Wein und genossen die Augenblicke. Patricia lag mit ihren Kopf auf seine Brust und schaute in den immer dunkel werdenden Abendhimmel.
„Die Sterne leuchten für uns.“ „Oui, Madame. Je t’aime.“ „Solche Momente werden nie wieder kommen. Hannes, ich liebe dich. Ist noch Wein da?“
Hannes nahm die Flasche aus dem Sand und füllte die Gläser auf.
„Merci beaucoup.“

Tausend Farben sind auch ein rot

Das Licht am Morgen brach sich im Buntglas des Fensters und der Raum schien in unzähligen Farben zu leuchten. Hannes beugte sich zu Patricia und gab ihr einen Kuss. Verschlafen öffnet sie ihre Augen. „Schau.“
Patricia sah dieses einmalige Licht im Raum „Mon dieu, c’est sympa!“ Sie zog Hannes an sich und drückte ihn fest und gab ihm einen Kuss „Merci beaucoup, für die wunderschöne Nacht mit dir.“ Mit diesem Worten stand sie auf und ging ins Bad. Als er das Wasser von der Dusche hörte, klopfte er an und fragte ob er eintreten dürfte.
„Entree. La douche est assez grande.“

Das Wasser lief ihnen vom Kopf an über den Körper und hatte eine angenehme Wärme. Die Sonnenstrahlen zauberten auch im Bad ein Meer aus Farben.
„Lass mich los, ich möchte Frühstück für uns machen. Ich möchte Peter eine Freude bereiten.“ Sie gab Hannes einen Kuss und ging aus der Dusche.

Patricia eilte in großen Schritten die Treppe hinunter und in einem schwungvollen Bogen in die Küche hinein. Sie sah Peter am Tisch sitzen und ihr Elan war auf einen Schlag weg.
„Kind, ich bin alt, da braucht man nicht mehr so viel Schlaf. Komm, setzt dich doch. Der Kaffee ist gleich fertig.“
Es klingelte an der Tür. Der Bäcker brachte ein Korb voll Brot, Brötchen und Croissant. „Mon dieu! Wer soll dies den alles essen?“ „Der Tag ist noch lang, mein Kind. War der Wein gestern Abend gut gewesen?“ „Exzellent. Ich werde Ihnen die Flasche selbstverständlich bezahlen.“
Peter schüttelte langsam den Kopf „Mein Kind, dass letzte Hemd hat keine Taschen. Ich bin durch die Flasche Wein nicht ärmer – sondern reicher geworden. Leben in diesem Haus war schon lange nicht mehr. Du bist Leben. Dein Freund ist Leben. Teilt bitte eure Zeit mit einem alten Mann bei einem guten Frühstück. Mein Kind, wenn ich doch noch um deinen Schwung bitten dürfte, könntest du vor dem Haus das Frühstück herrichten?“

Das Paradies in der Rue Jean Bacchi

Vor dem Haus war es um diese Uhrzeit sehr angenehm. Das Meer brachte frische durch die kleinen Gassen und so schmeckte das Frühstück noch viel besser.
„Ich möchte hier nie wieder weg“ bei diesen Worten sah Patricia Hannes an und hielt seine Hand.
„Warum sind Menschen immer so getrieben? Bleibt doch noch ein paar Tage hier und baut eure junge Liebe auf.“ „Okay Peter, Sie haben gewonnen. Heute ist Donnerstag. Da ist viel Reiseverkehr zurück nach Deutschland, Belgien und Niederlande. Da würden wir wahrscheinlich von Avignon bis Dijon im Stau stehen. Dann bleiben wir bis zum Wochenende.“ Als Patricia geendet hatte, strahlten die Augen von Peter und er nickte ihr zu.
„Ich müsste nur heute nach Hause telefonieren, damit meine Mutter Bescheid weiß.“
Mit einem lächeln nickte Peter ihr zu „Natürlich, mein Kind. Ich habe ein Telefon im Wohnzimmer stehen. Es ist der Raum gegenüber der Küche. Geh – und rufe deine Mutter an.“

Die Männer blieben vor dem Haus sitzen und hörten wie Patricia telefonierte.
„Sie erzählt von dir“ sagte Peter leise und klopfte ihm auf den Oberschenkel und hatte dabei ein sehr verschmitztes lächeln. „Würdest du bitte noch zwei Espresso machen?“ Hannes erhob sich und ging in die Küche. Er schaute noch kurz ins Wohnzimmer und winkte Patricia zu „Sag deiner Mutter liebe Grüße von mir.“

Mit Espresso und zwei Gläser Wasser kam er aus dem Haus und setzte sich auf die wunderschöne Holzbank.
„Peter, ich weiß gar nicht wie ich Ihnen danken kann. Sie sind so großzügig und liebevoll zu uns.“ „Hannes, sag du zu mir. Du bist auch großzügig und liebevoll. Du weißt es nur noch nicht. Glaubst du an Gott?“ Hannes zog die Schultern hoch und verneinte die Frage.
„Schade. Solltest du aber. Ich weiß wir mühen uns ab, kämpfen täglich und erleben Rückschläge. Da verliert man schnell den Glauben. Warum lässt Gott so viel Elend und Unheil zu? Warum ist es kein lieber Gott? Die Bibel ist voll von Schmerz, Trauer und Verzweiflung. Aber auch von Liebe, Sanftmut und Hoffnung. Ihr beide habt euer Leben noch vor euch. Macht etwas daraus.“
Hannes erzählt ihm von seinem Traum „Ich möchte Bildung für Kinder. Bildung ist wichtig für eine bessere Welt. Nur so kann es irgendwann einmal Frieden geben und die Armut bekämpft werde. Ich kenne keinen Krieg, trotzdem lese oder sehe ich täglich so viel darüber. Du hast den Krieg und auch die Folgen erlebt. Nie wieder darf es so etwas in Europa geben! Ich sitze heute in Frankreich. In dem Land, wo auf beiden Seiten der Hass sehr groß war. Ich liebe eine Französin. Wir müssen den Frieden bewahren!“

Ich habe von einer wunderschönen Nacht, nicht von Sex gesprochen

Patricia kam um die Ecke und fragte was sie später kochen sollte und ob es Ziele gäbe, die man heute besuchen könnte.

Hand in Hand gingen sie durch die wunderschöne Altstadt von Fréjus. Mittelalterliche und sogar noch Antike Bauten zeugen von einer langen Geschichte.
In der Rue Candolle saßen sie unweit von einem kleinen Springbrunnen unter der Markisen von einem schönen gemütlichen Café und aßen Pistazieneis mit Pignole. Patricia saß links von ihm und hielt die Hand von Hannes „Ich habe eure Unterhaltung mitgehört. Ich saß auf der Treppe. Hannes, egal was dein Traum ist, ich bin bei dir!“
Hannes sah diese wunderschöne Frau an. Er streichelte ihre Wange und gab ihr einen Kuss „Lass uns jetzt die Zeit genießen und nicht an das denken was in der Zukunft mal sein wird, oder kann.“ „Mon dieu! Wovor hast du Angst? Ich laufe dir nicht weg. Ich habe meiner Mutter erzählt, wie sehr ich mich in dich verliebt habe und das wir Wein von 1943 getrunken haben und ich mit dir eine wunderschöne Nacht erlebt habe!“ „Du… hast… was?!“ „Ich habe von einer wunderschönen Nacht und nicht von Sex gesprochen. Mon dieu!“ Sie verdrehte die Augen und zog ihn unsanft an der Hand zu sich, um ihm einen Kuss zu geben „Mon chérie, je t’aime“ sagte Patricia und umarmte ihn. „Allez, lass uns kaufen gehen. Ich möchte heute Abend richtig toll kochen. Fisch und ganz viel Gemüse. Ist das okay für dich, mon chérie?“

Peter saß mit einer Pfeife im Mund auf der Bank vor seinem Haus. Als er die vielen Tüten mit Obst, Gemüse, Käse und Fisch sah, sagte er „Wer soll dies den alles essen?“ „Der Abend ist noch lang, Monsieur“ und gab Peter einen Kuss auf die Wange.
„Hannes, für Wein ist es noch zu früh. Geh bitte ins Wohnzimmer. Im Schrank steht Pernod.“ Hannes nickte Peter zu und tat was ihm geheißen wurde.
Patricia bereitete in der Küche das Essen zu. Sie hüpfte in der Küche umher, sang und tanzte – oder irgendwie alles zusammen. So genau konnte Hannes es vom Flur aus nicht sehen.
Hannes brauchte noch Wasser und Gläser für den Pernod, so ging er zu ihr in die Küche. Patricia sprang auf ihn zu, küsste ihn links, rechts, umarmte ihn und küsste ihn wieder.
„Wenn du Zeit hast, komm doch bitte mit nach draußen einen Pernod trinken.“ „Oui, Monsieur, Commander“ salutierte sie vor ihm und gab ihm ein klapps auf den Po.

Patricia hatte unglaublich gut gekocht und nach dem Abendessen saßen sie vor dem Haus. Aus der Stadt hörte man die Klänge von einem Akkordeon. Immer wieder hörte man auch Beifall. Wahrscheinlich saß in einer der kleinen Gassen ein Straßenmusikant und eine kleine Traube von Touristen und Einheimischen standen und saßen um ihn.
Auf dem kleinen Holztisch neben der Band standen zwei Flaschen Rosèwein vom Chateau de Cabran aus dem Jahr 1950.
Patricia hatte eine große Platte an verschiedenen Sorten Ziegenkäse und Oliven vorbereitet.
Peter erzählte von seiner großen Liebe und was Louise für ein guter Mensch war.
Die Glocken der Kathedrale Saint-Léonce läuten einen neuen Tag ein und es wurde Zeit ins Bett zu gehen.

Die leichten Sonnenstrahlen des morgens erfüllten den Raum mit einem Spektrum an unzähligen Farben. Patricia lag mit ihrem Kopf auf seiner Brust und schlief noch. Hannes konnte und wollte nicht aufstehen. Sanft streichelte er das wunderschöne Gesicht von Patricia. Seine linke Hand lag auf ihrer Brust und er fühlte ihren Herzschlag. Er sah wie sie im schlaf ruhig atmete.
„Je t’aime ma belle princesse“ sagte er leise und streichelte dabei ihr Haar.
„Je sais“ sagte sie verschlafen und öffnete ihre braunen Augen.

Teil I Kapitel 1 Die Fahrt ans Meer

Es begann im Sommer 89
Anfang Juli 89 am Bostalsee

Die Fahrt ans Meer

Im Sommer 89 war Hannes mit seiner Clique von 8 Freunden im Alter zwischen 17 und 19 Jahren am saarländischen Bostalsee zelten. Die Clique war gleich der Zahl an Jungen und Mädchen.
In dem Alter war man unbeschwert, wild, verrückt und frei. Die Welt stand ihnen offen und das Abenteuer Leben begann.
Auf einer Kuhweide im Saarland, war man „weit weg“ von dem Elternhaus. Lagerfeuer, Kartoffeln auf dem Feuer und Ravioli aus der Dose standen für Freiheit. Das ein oder andere Bier gab es natürlich auch. Fahrschule wurde gemacht und dabei ein Auto im Wald kaputt gefahren. Es war nur ein Blechschaden, den man in der heimischen Garage reparieren konnte.
Es war eine gesellige Runde mit Freunden und so war es auch nicht verwunderlich, dass eine Gruppe von 6 Mädchen, die in unmittelbarer Nähe zelteten, zu der Clique von Hannes kamen. Nathalie, Yvonne, Laura, Jasmin, Cosima und Patricia kamen aus der Nähe von und aus Thionville. Da in Lothringen auch deutsch gesprochen wurde, gab es so gut wie keine sprachliche Hindernisse.
Am Abend bei Lagerfeuer kam die Romantik und die sehr spontane Idee von Hannes, doch mal am Stand ein Lagerfeuer zu machen.
Hannes war mit seinen 19 Jahren immer schon sehr spontan.
„Morgen Abend könnten wir doch an einem Strand ein Lagerfeuer.“
Anfangs fand jeder die Idee super. Dann doch wieder nicht, weil der Stand am Bostalsee auf der anderen Seite von dem Zeltplatz sei und man nicht wüsste, ob es erlaubt sei dort Feuer zu machen.
„Ich habe mit Strand nicht den Bostalsee gemeint!“
Fragende Blicke aus der Runde.
„Sondern?“ Fragte Martin, einer der Kumpels von Hannes.
„Saint Tropez!“
Große Verwunderung in der Runde.
„Wir haben Ferien, sind nicht gebunden und können doch auch mal etwas verrücktes tun. Frühstücken in Paris direkt an der Seine. Morgens um 7 Uhr mit Cappuccino und Croissant am Ufer der Seine sitzen und bei Port Neuf dem rauschen der Seine lauschen. Im Park von Notre Dame unter den Bäumen sitzen und den Glocken zuhören oder am Strand von Saint Tropez den Sonnenuntergang bei einem Feuer und Gitarre genießen wenn, die Sonne im Meer versinkt und die Abenddämmerung wunderschön das Meer und Himmel in Farben taucht.“ „Hannes, du bist verrückt! Wir können doch nicht spontan nach Südfrankreich fahren und uns dort an den Strand setzen“ sagte Mirko und suchte Beifall in der Gruppe.
„Warum nicht? Muss den immer alles geplant und organisiert sein? Ihr wollt euch frei fühlen und grenzt euch selbst ein.“

Hannes merkte, dass es wenig Sinn machte, seine Idee noch weiter  zu diskutieren und ging er in den angrenzenden Wald, um noch nach Holz für das Lagerfeuer auf einer saarländischen Kuhweide zu suchen. Kurze Zeit später hörte er Schritte hinter sich. Es war Patricia.
„Sag mal, war dies vorhin dein ernst gewesen, was du vorgeschlagen hast?“ „Natürlich. Immer wird nur geredet, wir könnten…, wir sollten…, wir müssten…. Am Ende wird nichts daraus – oder wenn doch,  dann nur halbherzig. Die Jungs und Mädels sind alle super nett und wir sind seit Jahren schon eine Clique. Nur fühle ich mich bei ihnen eingeengt. Eingeengt in mir. In meinem Leben. Die Welt ist riesengroß und wir sitzen am Bostalsee auf einer Kuhweide. Was ist mit Momenten genießen? Dies kann ein Bachlauf sein, in dem sich gurgelnd das Wasser um Steine dreht. Wind der durch Bäume weht, wenn man auf einer Lichtung in den Abendhimmel schaut und die Sterne am Firmament zählt. Momente kosten kein Geld. Natürlich haben wir alle nicht so viel Geld. Die Hälfte von uns ist in der Lehre oder steht vor dem Abitur. Die Welt zu entdecken muss doch nicht teuer sein. Wenn wir uns den Sprit und Maut teilen ist für jeden von uns die Fahrt an die  
Côte d’Azur doch erschwinglich.“ „Wow, ich bin von deinen Worten fasziniert. Die meisten Jungs in deinem alter haben nur Autos, Motorräder oder Mädchen im Kopf. Du redest von Kirchenglocken, Sonnenuntergänge und hast klare Vorstellungen. Was du vorhin gesagt hast, mit dem Feuer am Strand oder Croissant an der Seine zu essen, da sah ich Bilder vor meinen Augen.“ „Patricia, ich weiß nicht ob du dies verstehst, ich will weg. Weg aus mir. Weg aus allen Zwängen und die Welt erleben.“
Patricia nickte ihm zu „Doch Hannes, ich verstehe dies.“
Hannes schaute diese zierliche Französin mit ihren langen hellbraunen Haare und braunen Augen fragend an.
Sie kam drei Schritte auf ihn zu und stand nah vor ihm.„Wenn du wirklich fahren willst, fahre ich mit dir. Raus aus allen Zwängen und die Welt erleben.“
Hannes sah dieser Schönheit in die Augen und wusste nicht, wie er reagieren sollte.
„Lass uns zurück gehen, die anderen warten auf das Brennholz.“
Mit diesem Satz hatte er soeben die Romantik und den Moment zerstört.

„Allons à la mer.“

Der Sonnenaufgang am Bostalsee hatte nun wirklich nichts mit Romantik zu tun. Die Kleider waren klamm, rochen nach kaltem Rauch und das Gras war vom Morgentau feucht und kühl.
Hannes machte Feuer an. Zum Frühstück wollte er sich Rührei mit Speck machen. Er saß auf einem Holzklotz und schaut in die kleinen Flammen, die sich mühsam an dem feuchten Holz zu schaffen machten. Er fühlte sich in diesem Moment so falsch an diesem Ort.
Ein paar Meter weiter hörte er wie ein Reißverschluss von einem Zelt sich öffnete und schaute in die Richtung von wo das Geräusch kam. Er sah 20 Meter weiter die zierliche Figur von Patricia. Als sie ihn sah, winkte sie ihm zu und kam an die Feuerstelle.
„Bonjour, Hannes.“
„Bonjour Patricia.“
Patricia setze sich neben ihn auf einen Holzklotz „Dies hier hat nicht viel gemeinsam, was du gestern Abend gesagt hast. Die Kleider sind klamm und das Gras ist feucht.“ „Habe ich laut gedacht?“
Patricia sah in fragend an „Désolé. Je ne pas comprend. Ich verstehe nicht.“
Hannes sagte ihr, dass er genau diese Worte vor ein paar Minuten dachte.
Patricia lachte und fuhr sich mit den Finger durch ihr leicht gewelltes hellbraunes Haar. Sie war eine sehr attraktive junge Frau mit einem unglaublich schönen Lächeln. „Willst du immer noch zum Strand nach Saint Tropez?“ Fragte sie ihn, als er die Eier zu dem bratenden Speck in die Pfanne gab.
Hannes nickte „Ich will schon, hier will aber keiner mit. Siehst ja selbst, alle schlafen noch. Alleine fahre ich keine tausend Kilometer an die Côte d’Azur. Wofür? Um nackte Füße in den Sand zu stecken, Rotwein mit Sandkörner trinken und dabei dem rauschen des Meeres zuzuhören?“
Patricia nickte bei seinen Worten „Oui, juste pour ça! Genau dafür. Du erzählst so schön, ich habe schon wieder Bilder vor mir. Ich höre das Wasser und schmecke den Wein. Lass uns fahren! Allons à la mer.“ „Patricia, gerne. Sehr gerne. Nur möchte ich nicht das du mit deinen Freundinnen ärger bekommst oder gar von deinen Eltern.“ „Meine Freundinnen sind zu eingegrenzt. Ich bin volljährig. Gerne zeige ich dir meinen Ausweis.“
Hannes nahm die Eier mit Speck aus der Pfanne und gab Patricia einen Plastikteller mit der Hälfte von seinem Frühstück.
„Merci beaucoup“ sagte Patricia und lächelte Hannes an.
Beide saßen auf Holzklötze und schauten beim essen ins Feuer. Patricia lachte auf einmal. Er sah sie an und sie fingerte etwas Gras aus ihrem Mund.
„Immerhin besser als Sand im Rotwein“ sagte er.
„Je ne sais pas. Ich weiß nicht“ sagte sie und lächelte erneut.
„Dann sollten wir es heraus finden.“

Um kurz nach 8 Uhr fuhren Patricia und Hannes mit seinem Auto von der Kuhweide. Sie hatten mit ihren Freunden nochmals über die Idee von Hannes gesprochen und die Diskussion war nicht zielführend. Es war Hannes nach wenigen Minuten schon klar, dass außer hin und her und unsinnigen Argumente niemand seine Idee teilte.
„Weißt du den Weg nach Saint Tropez?“ Fragte Patricia.
Hannes nickte „Immer nach Süden. Richtung Saarbrücken, Metz, an Nancy vorbei und immer geradeaus. Dijon, Lyon und bei Avignon links ab.“ „Très bien. Wenn du über Saarlouis fährst, könnte wir bei mir zu Hause vorbei fahren, andere Kleider mitnehmen und duschen.“ „Volontiers. Mache ich doch gerne.“ „Merci beaucoup, Hannes.“

Das war es also. Patricia wollte auf dem Campingplatz nicht mehr bleiben und fand einen blöden, der sie nun nach Hause fuhr.
Die Fahrt über sprachen sie über dies und das. Wie sie ihre Zukunft sahen oder in welche Länder sie gerne einmal reisen würden.
Sie passierten die Grenze ohne Probleme. Ein Zöllner wollte lediglich die Ausweise sehen und fragte Hannes nach dem Grund des Aufenthaltes in Frankreich. Er würde die junge Frau nach Hause fahren, sagte er dem Zöllner.
Schweigsam fuhr er über die schmale Landstraße Richtung Thionville.
„Ich dachte wir wollten ans Meer fahren,  Lagerfeuer machen und Rotwein trinken“ sagte Patricia und sah ihn vom Beifahrersitz aus an.
„Wollen wir dies wirklich?“ Hannes schaute Patricia an und sah in ihre wunderschöne braunen Augen.
„Oui. So hatte ich es bis eben noch in Erinnerung.“
Hannes nickte stumm. Sehen wir dann, dachte Hannes.

„Wir sind gleich da. Fahr am nächsten Ortsschild rechts rein.“ Patricia lotste ihn durch die Vororte von Thionville. „Nächste Straße links, über den Kreisverkehr dann rechts in die Seitenstraße.“
Dieses Wohngebiet sah anders aus, als jene die bis jetzt rechts und links an den Straßen zu sehen war: ordentlich und sehr gepflegt. Es schien so, als ob hier nur reiche Leute wohnten. Große Häuser und Villen aus der Gründerzeit mit riesigen Gärten und alten Bäumen, Steinmauern mit sehr schönen Eisentore.
„Das nächste Haus auf der rechten Seite“ sagte Patricia.
Hannes sah eine dreistöckige große Villa mit Erker, Winkel und Fachwerk in safrangelb. Drei kleine Türmchen sah er auf dem Dach. Die Hofeinfahrt war mit Basalt Steinen gepflastert und nach zehn Metern wurde es zu einer sehr großen Fläche die fast so breit war wie das Haus. Links und recht der Steinfläche lag ein unglaublich gepflegter Rasen auf dem ein paar große Ahornbäume standen.
„Mein Pilum ist solider als euer Sternum“ sagte Hannes lauter, als er es wollte.
Patricia sah in fragend an „Was?“ „Nichts. Ich habe nur an das Comic von Asterix gedacht.“ „Okay. Du kannst hier rechts parken.“

Hannes war von dieser Villa fasziniert. Er liebte solch alten Häuser mit Bruchsteinen und Fachwerk. Sie gingen die breite Steintreppe hinauf und Patricia klingelte an eine Tür aus Eichenholz, die bestimmt einhundert Jahre alt war und mit Schnitzereien aus dem vergangenen Jahrhundert verziert war. Nach den filigranen Schnitzereien zu urteilen, verdiene der Hausbesitzer sein Geld in der lothringischen Stahlindustrie.
Aus dem Inneren des Hauses kamen Schritte auf die Tür zu. Hannes sah eine Frau, die Mitte vierzig sein konnte. Sie war groß, schlank und mit ihren langen blonden Haaren sah sie sehr attraktiv aus. Unverkennbar war es die Mutter von Patricia.
„Bonjour Madame Lefèvre, je m’appelle Hannes.“ „Bonjour Hannes. Sie können deutsch mit mir reden. Bitte kommen Sie herein.“

Nach einem kleinen Flur trat er in eine Halle, mit einer Wendeltreppe die gute 3 Meter breit war. Die Decke von der Halle war bestimmt 7 Meter hoch. Die dunkelbraune Holztreppe und die eisenoxidrote Tapete gaben der Halle eine unglaubliche Größe.
Patricia erzählt ihrer Mutter, was sie die letzten vier Tage beim campen erlebt hatte, dass sie die coole Clique von Hannes kennengelernt hatten und sonst alles doch sehr langweilig war.
Hannes hörte gar nicht richtig zu. Er konnte gar nicht alles erfassen, was an diesem Haus den Flair ausmachte. War es das  weinrote Chaiselongue neben der Treppe, die Tapete mit den weißen Ornamente, das kunstvolle Holzgeländer mit gleichen filigranen Schnitzereien wie die Eingangstür, der runde Kamin auf der linken Seite der Halle oder von allem etwas.

Frau Lefèvre schob links von der Halle eine weiße Doppeltür mit nordamerikanischen oder kanadischen Ornamente auf und Hannes sah in einen Raum, wie aus dem 18. Jahrhundert. Im Erker stand ein  Chaiselongue mit Streifen in vanille und orange. Die weiße Wand in dem Erker gab dem Ambiente eine unglaubliche Noblesse. Rechts davon stand eine Holztruhe in gebeiztem Eichenholz. Auch hier waren wieder Ornamente aus Nordamerika zu sehen. Ein Tisch von bestimmt 6 Meter Länge und aus gleichem Eichenholz, wie die Truhe stand mittig im Raum. Die Zimmerdecke war gut dreieinhalb Meter hoch. Auch hier waren in den Ecken Ornamente zu sehen. Hannes sah ein Deckengemälde mit dem Bildnis von Kopernikus, wie er in den Sternenhimmel schaute. Die Decke war sehr schönes Kunstwerk, wie Hannes es bis dato nur in Kirchen, Schlösser oder Barocken Gebäude gesehen hatte.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“
„Hannes?“ Er schaute Patricia fragen an. „Meine Mutter fragte, ob sie dir etwas anbieten kann?“ „Excusez moi s’il vous plait. Non. Merci Madame.“
Patricia sagte dass sie jetzt gerne duschen gehen würde.
Frau Lefèvre bot Hannes einen Stuhl an und setzte sich ihm gegenüber an den großen Eichenholz Tisch.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich eben etwas abwesend war. Ich bin von der Architektur dieses Hauses fasziniert. Das Deckengemälde ist der Hammer.“
„Dankeschön. Das Haus ist von 1850. Der Urgroßvater von meinem Mann baute dieses Haus. Ihr wollt nach Saint Tropez an den Strand fahren und ein Lagerfeuer machen?“
Hannes war wie vor den Kopf geschlagen. Er hätte jetzt mit allem gerechnet, aber nicht damit. Dann meinte Patricia es wirklich ernst.
„Ja, Frau Lefèvre. Beim zelten kam mir spontan diese Idee. Erst fanden alle in der Clique es toll und heute sind wir alleine. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden?“ „Sie machen einen guten und netten Eindruck auf mich. Patricia ist alt genug. Sie kann entscheiden was sie möchte.“
„Darf ich fragen, warum Sie und auch Patricia, ein so gutes deutsch sprechen?“
„Es ist meine Muttersprache. Ich komme aus der Pfalz, henn des pälzich awwer abgeläht un schwätze ehjetzed Hochdeutsch. Ich bin in Annweiler aufgewachsen. Die Liebe hat mich nach Lothringen verschlagen.“ „Annweiler am Trifels. Schön dort. Die Burg ist bekannt durch die Sage der Gefangenschaft von Richard Löwenherz.“
Frau Lefèvre sah respektvoll zu Hannes und nickte leicht mit dem Kopf und auf einmal hatten beide ein Gesprächsthema über die Pfalz, die Blondelsage, der Pfälzer Wald und Wein und natürlich das Hambacher Schloss mit seiner Geschichte zur Gründung der deutschen Demokratie.

Patricia stand in der Tür und unterbrach die angenehme Unterhaltung „Möchtest du dich weiter über Geschichte unterhalten oder vielleicht doch lieber duschen? Immerhin sind es tausend Kilometer bis nach Saint Tropez.“ „Duschen wäre toll. Ich gehe schnell ans Auto meine Tasche holen.“

Roadtrip an die Côte d’Azur

„Mein lieber Mann, du hast meine Mutter schwer beeindruckt“ sagte Patricia, als sie das Auto von Hannes durch die Vororte von Thionville in Richtung Autobahn lenkte.
„Warum denn das? Ich war nur höflich gewesen.“
Patricia sah in kurz an und nickte „Exactement, c’est ça. Genau, das ist es. Du bist irgendwie anders als die Jungs, die ich kenne. Du bist reserviert Frauen gegenüber und hast Contenance. Dies habe ich gestern Abend im Wald schon gemerkt. Du spricht von Romantik, möchtest diese auch und trotzdem baggerst du mich nicht an – noch nicht einmal der Versuch! Bin ich nicht dein Typ?“
Patricia war sehr direkt und Hannes wusste nicht so recht was er ihr antworten sollte.
„Patricia, ich nenne es Anstand. Und doch – du gefällst mir. Sehr sogar! Deine unglaublich schönen Augen, diese Top Figur und dein Lächeln ist zauberhaft. Es ist aber noch so vieles mehr. Was ich denke – sprichst du aus. Was für mich eine Idee war – setzt du um. Und ganz ehrlich, ich dachte vorhin, dass du nur einen blöden gefunden hast, der dich nach Hause fährt.“ „Wow, merci beaucoup. Du hast schöne blau Augen, ich mag deinen Blick. Du gefällst mir und bis noch klug dabei. Schade das du so von mir denkst. Du siehst, ich halte mein Wort und fahre mit dir an die Côte d’Azur. Ich verstehe dich aber auch. Du bist jemand der bedingungslos gibt und am Ende mit Enttäuschungen da steht.“
Die Worte von Patricia brannten ihm in Herz. Genau das war es! „Exactement“ sagte er und schaute aus dem Seitenfenster, damit sie seine Tränen nicht sah.

Die Strecke von Dijon bis nach Lyon hörte nicht auf kürzer zu werden. Patricia schlief nun schon seit eineinhalb Stunden und diese monotone Autobahn hörte und hörte nicht auf. Die Geschwindigkeit zwischen 100 und 140 km/ h reichte völlig aus. Bis sie in Saint Tropez ankämen, wäre es sowieso schon spät am Abend und somit war an Lagerfeuer am Strand nicht mehr zu denken.

Endlich kam die Abfahrt nach Avignon. Nun waren es noch gute 200 Kilometer bis nach Saint Tropez.
Patricia wurde wach und fragte, wo sie den schon wären. Auf dem nächsten Rasthof machten sie eine Pause. Patricia rief zu Hause an und sagte das alles gut sei.
Das Essen auf dem Routier bei Avignon war wirklich das Sprichwort: Essen wie Gott in Frankreich, wert. Eine Vorspeise, Menü mit Salat, Nachtisch, Espresso und eine Karaffe Rosèwein. Zum Abschluss gab es ein Käsebuffet mit mehr als ein Dutzend verschiedenen Sorten.
„Ich möchte hier gar nicht mehr weg. Der Wein ist super lecker und so viele Sorten Käse habe ich noch nicht gegessen.“ „Convenu. Stimmt, lass uns doch für die Nacht hier bleiben. Ich habe unweit vom Routier ein Motel gesehen. Bis wir in Saint Tropez ankommen, ist es schon viel zu spät, um dort noch Feuer zu machen.“
Patricia überrasche Hannes immer mehr. Er macht nur ein Vorschlag und sie setzt diesen sofort in die Tat um.

Das kleine Motel „Aire de Morières“ an der A7 war sehr schön und liebevoll eingerichtet. Hannes wollte gerne zwei Zimmer haben – Patricia nur eins.
Das kleine Zimmer hatte die gleiche Handschrift wie das Motel: Leichte helle Farben, Blumen auf dem Tisch und eine Einrichtung zwischen Moderne und Tradition. Von allem etwas und trotzdem nie zu viel oder kitschig. Sogar ein winzig kleiner Balkon hatte ihr Zimmer.
Hannes stand auf dem Balkon und schaute in die Ferne. Er sah und roch die Provence im Juli.
Es klopfte an der Zimmertür und Patricia öffnete die Tür. Ein untersetzter Mann ende fünfzig, brachte eine Käseplatte und zwei Flaschen Rosèwein auf ihr Zimmer.

Der Mini Balkon reichte gerade für zwei Stühle. Der Käse musste auf den Boden, denn der Beistelltisch vom Bett passte nicht mehr auf den Balkon.
Sie saßen auf diesem Miniatur Balkon und hörten den Grillen zu. Die warme Luft am Abend war angenehm. Die Sterne leuchteten hell und der Mond war abnehmend.
„Ist dies ein solcher Moment wie du ihn dir vorstellst?“ Fagte Patricia.
„Oui, ist es. Vom Bostalsee nach Avignon, um mit einer klugen, schönen und interessanten Frau Wein zu trinken, ist ein Moment der immer bleibt.“ „Ich dachte mehr so an die Grillen, Sterne und Mond.“ „Entschuldigung. Natürlich diese auch.“ Patricia boxte ihn „Hannes du musst dich nicht entschuldigen. Danke für dein Kompliment. Es ist auch für mich ein schöner Moment. Und ja, ich genieße auch den Käse und Wein mit einem klugen, schönen und interessanten Mann.“

An diesem Abend wurde über vieles geredet, gelacht und nachgedacht. Patricia war eine  Frau, wie Hannes es sich wünschte: klug, schön und taff. Ihr langes hellbraunes Haar bewegte sich mit dem Wind. Im Halbschatten der Straßenlaternen, die vom Parkplatz her schienen, sah sie sehr erotisch aus. Alles an ihr war Exotik pur. Ihre Bewegungen, ihre Haltung, ja sogar wie sie in ein Stück Höhlengereiften Käse biss.
Seit Stunden hatte er Gedanken im Kopf, traute sich aber nicht zu fragen. Patricia sah ihn an und irgendwie sagte ihr Blick, dass sie auf seine Fragen wartete.
Jetzt oder nie, sagte er zu sich selbst „Darf ich dich etwas fragen?“ „Oui. Bien sûr. Natürlich.“
Hannes schlug das Herz bis zum Hals „Du bist wunderschön, taff, unglaublich intelligent, vermutlich auch reich. Warum hast du keinen Freund? Die müssten bei euch an der Tür doch Schlange stehen.“
Patricia stellte ihr Weinglas an und sah ihn an „Ich warte auf den richtigen. Ja, ich weiß das ich attraktiv, etwas klug und auch etwas reich bin. Aber all jene die ich kennengelernt hatte, wollten nach kurzer Zeit nur mit mir schlafen oder mit meinem Reichtum angeben. Sie hatten gebalzt wie blöd, mich aber nicht berührt – geistig nicht berührt. Wenn du erzählst, kann ich es sehen sehen und sogar riechen. Du hast mich noch nicht berührt und trotzdem tust du es ständig. Als ich vorhin im Auto etwas geschlafen habe, bekam ich mit wie besorgt du um mich warst. Du hattest das Radio auf ganz leise gestellt und irgendwann auch ausgeschaltet. An der ein oder andere Mautstadion sprachst du sehr leise. Du bist um Menschen besorgt. Du bist ein interessanter und kluger Mann, dies hat auch meine Mutter gesagt. Natürlich macht sich meine Mutter Gedanken, dass ich Sex mit einem mir fremden Mann haben könnte, oder du mir etwas antust. Ich weiß, dass es nicht so ist. Du bist hochanständig, reserviert und zuvorkommend. Ich würde mal sagen, in deinen Beziehungen hatten die Frauen den ersten Schritte getan.“ „Oui. C’est vrai. Du scheinst mich nach den knapp 30 Stunden schon gut zu kennen.“
Patricia zwinkerte ihm zu und grinste.

Von Lavendel- und Pinienduft geweckt

Am nächsten Morgen war Hannes bereits um 6 Uhr wach. Er schaute nach rechts und sah eine wunderschöne Frau im Bett liegen. Leise und mit langsamen Bewegungen stieg er aus dem Bett. Auf Zehenspitzen ging in das kleine Bad und stellte sich unter die Dusche.
Leise ging er durch das Zimmer und öffnete die Tür zu dem Miniatur Balkon. Hannes sah vom dritten Stock des kleinen Motels in die Ferne. Südfrankreich war wunderschön. Die Palmen, die schönen Häuser, die vielen Pinien und die riesigen Felder mit Lavendel gaben ein anderes Panorama als eine Kuhweide im Saarland.
Dies hier war um Welten besser als am Bostalsee auf einer feuchten Wiese zu sitzen. Seine Freunde wussten gar nicht was sie verpassten. Der Duft von Lavendel, Pinien und die Frische vom Morgen kam mit dem Wind von Süden. Mit geschlossenen Augen genoss er jede Sekunde von diesem Moment. Er atmete tief ein und fühlte sich frei.
„Bonjour, Hannes“ sagte Patricia leise zu ihm, als sie hinter ihm stand „Dies ist etwas anderes als am Bostalsee. Keine feuchten Kleider und auch kein Geruch von Rauch. Pinien riechen doch angenehmer.“ Er drehte sich zu ihr um und sah sie in ihrem roten Long Shirt mit zerzausten Haaren. „Ich geh schnell duschen und dann können wir frühstücken.“

Auf der Terrasse von dem Motel saßen sie bei Kaffee, Croissant und Marmelade. Der Wetterbericht im Radio sagte, es würde heute sehr heiß werden. Das Thermometer links an der Wand zeigte um 8.30 Uhr bereits über 20° Celsius an.
„Ich möchte gerne noch ein paar Kleider kaufen. Die die ich dabei habe, war zum zelten gedacht und nicht für Saint Tropez.“ Patricia nickte „Natürlich. Kann ich verstehen.“

Die Welt ist Riesengroß und wunderschön.

Avignon ist eine wunderschöne mittelalterliche Stadt. Die alten Gebäude und Brücken geben der Stadt sehr viel Charme. Der Papstpalast ist alleine durch seine gewaltigen Größe schon sehr imposant. Es ist eines der größten und wichtigsten mittelalterlichen gotischen Gebäude in Europa mit einer faszinierenden Architektur.
Die berühmte Ruinenbrücke Pont Saint-Bénézet, so wie die romanische Cathédrale Notre-Dame des Doms d’Avinnon sind Zeitzeugen einer fast tausend jährigen Baukunst. Das Landei aus dem Hunsrück hatte solche Städte und Gebäude nur in Bücher oder im Fernsehen gesehen. Vor der wunderschöne Kathedrale von Avignon zu stehen und dieses Bauwerk auf sich wirken lassen, war etwas anderes als ein Foto in einem Buch zu betrachten.
„Die Welt ist Riesengroß und wunderschön“ sagte er zu Patricia als sie vor dem Hauptportal der Cathédrale standen.
Durch die Gassen mit ihrem mittelalterlichen Flair ging beide in einige Boutiquen. Patricia suchte Kleider für Hannes aus, die ihr an ihm gefielen. Als seine Garderobe für Saint Tropez gekauft war, schlenderten sie durch malerischen Gassen von Avignon.
Gegenüber vom Papstpalast tranken sie einen Cappuccino vor einem kleinen gemütlichen Café. Patricia saß ihm an dem kleinen quadratischen Tisch gegenüber und Hannes nahm zaghaft die Hand von Patricia.
„Endlich! Wurde auch langsam Zeit“ sie schaute ihn mit ihren schönen braunen Augen an „Hannes, ich weiß das du Angst vor Enttäuschung, Zurückweisung oder Ablehnung hast. Du bist ein Mensch mit einem sehr großen Herz. Diese Menschen werden am meisten enttäuscht. Lass uns nach Saint Tropez fahren. Ich möchte mit dir die Füße in den Sand stecken. Deine schönen blauen Augen haben jetzt ein ganz anderen Glanz.“
Sie gab ihm einen Kuss und streichelte seinen rechten Arm.

Die Fahrt nach Saint Tropez war eine andere, als der Weg von Thionville nach Avignon. Patricia hielt während der Fahrt seine rechte Hand fest und immer wieder legte sie ihren Kopf auf seine Schulter oder streichelte ihn.
„Du bist ein wunderbarer Mensch. Ich kann mich mit dir über so vieles unterhalten. Meine Mutter sieht es genau so. Ich soll dich von ihr Grüßen. Ich hatte vorhin kurz angerufen und gesagt, dass wir bald auf dem Weg nach Saint Tropez sind. Du hast vorgestern gesagt, dass du die Welt erleben willst. Dabei hast du bestimmt nicht an Gebäude und Reisen gedacht.“
„Oui, ich möchte die Welt erleben an der Basis, kein Urlaub auf den Seychellen. Viele Menschen leben in Armut, ohne Bildung, ohne Perspektiven. Die Welt verbessern, verändern und Gutes tun – das ist mein Traum.“ „Oh, là là. Da solltest du doch mal mit meinem Vater reden.“ „Dein Vater?“ Hannes sah erstaunt zu Patricia. „Oui, er ist bei einer Hilfsorganisation und weltweit unterwegs. Er macht das, von dem du träumst.“

Patricia erzählte von der Arbeit ihres Vaters und Hannes kam aus dem staunen nicht mehr heraus. Jedes Wort was sie sagte, zog er in sich auf. Sie erzählte von dem neuesten Einsatz in Kambodscha.
Hannes konnte dies alles gar nicht glauben. Sollte er über Patricia diese Möglichkeit für seinen Traum bekommen?

Ab Font Mourier konnte man schon das azurblaue Meer sehen. Die Fahrt verging wie ihm Flug. Patricia erzählte so viel, dass er nun noch locker tausend Kilometer hätte fahren könnte.
Ab Maleribes führte die Straße oberhalb am Meer vorbei. Links war das Meer und rechts die zerklüfteten Felsen. Eine grandiose Landschaft glitt an seinen Augen vorbei.

Saint Tropez war um diese Jahreszeit mit Touristen überflutet. Am Jachthafen waren alle Parkplätze belegt. Gleiches auch an der Uferpromenade. Etwas außerhalb an einem Coop Markt fand er endlich einen Parkplatz.
Hand in Hand gingen sie durch die Straßen von Saint Tropez zum Strand.
An der Uferpromenade waren die
Straßenkünstler, die für teuer Geld Portraits von den Touristen malten. Sie gingen an den vielen Eisstände und Souvenirläden vorbei.
„Genau wie noch vor Jahren. Es hat sich nichts geändert“ sagte Hannes.
„Du warst schon mal hier?“ „Oui, zweimal. Im Urlaub mit meinen Eltern. Das letzte Mal 1987. Daher kenne ich auch die Strecke. Wir wohnten damals in Saint-Maxime in einer Bungalow Ferienanlage und waren immer am „La Tomata“ Strand“ „Dann lass uns doch dort hinfahren.“

Die dreißig Kilometer nach Saint-Maxime waren schnell gefahren. Durch Saint-Maxime durch und dann noch ca. zehn Minuten bis zum Strand. Als Hannes den Turm von der Rettungswache sah, erzählte er, wie 1984 seine beiden Schwestern mit dem Schlauchboot in Seenot gerieten „An diesem Tag war ein Mistral und das Schlauchboot wurde immer weiter auf das offene Meer getrieben. Ein Eisverkäufer hatte dies bemerkt. Er stelle seine rote Coca-Cola Kühlbox ab und schwamm dem Gummiboot entgegen. Mein Vater war in der Zwischenzeit am Auto und hat das Fernglas geholt. Irgendwann ist dann auch die Seerettung ausgerückt und hat den Eisverkäufer, meine beiden Schwestern und das Gummiboot gerettet.“

Eine Odyssee der Liebe

Alles läuft aus dem Ruder
Eine Odyssee der Liebe

Kabul, Montag, 24. September 2007

Seit Monaten wurde das Hotel immer voller. Viele Journalisten, Mitarbeiter von internationalen Firmen und mehrere Team an Sicherheitsleute bewohnten für ein paar Tage oder Wochen das Haus. Im Hotel war sehr viel Arbeit um dem Schutz all dieser Leute gerecht zu werden. Viele Einsätze fahren, planen und koordinieren. Der Arbeitstag von Hannes hatte oft 18 Stunden. Ständig musste er erreichbar sein. Es war schon eine sehr große Aufgabe sich um bis zu 150 Menschen für deren tägliche Sicherheit zu sorgen. Marcel, Oliver und Samuel waren für ihn eine sehr große Hilfe, wenn sie sich jede vierte Nacht das Notfalltelefon teilten. In den zwei Büros von Hannes arbeiteten bis zu 12 Personen täglich, um die neusten Sicherheitslagen, Bombenfunde oder Terroraktivitäten zu analysieren und um den Forderungen der Redaktionen von Medienanstalten aus aller Welt gerecht zu werden oder auch denen mal ganz klar zu sagen, dass Fahrten in jene oder welche Gebiete zur Zeit nicht möglich waren. Die Ignoranz von sehr vielen Redakteuren oder Journalisten konnte Hannes oft nicht mehr verstehen.
Die Teamleiter mussten in dieser hektischen Zeit auch darauf achten, dass ihre Personenschützer nicht „verheizt“ wurden, so fuhr Hannes bei einigen Einsätze selbst mit. Kleinere Fahrten mit Mitarbeiter von irgendwelchen Firmen mal kurz in Kabul oder dessen Randgebiet zu fahren, war für ihn eine Abwechslung und so konnte er für ein paar Stunden nur Personenschützer sein und musste nicht ständig alles an Bürokratie und Sicherheit im Blick haben. Es waren für ihn ein paar Stunden ohne Zeitdruck und ohne ständig zu telefonieren, Mails von Botschaften lesen, die mal wieder eine Terrorwarnung für den Süden, Norden oder Osten aus dem Land schickten.
Alles wurde in den letzten Monaten hektischer. Jetzt, sofort und gleich. Nachrichten mussten immer schneller gesendet werden und Journalisten so schnell wie möglich in die Stadt oder Provinz gebracht werden, wo mal wieder über Anschläge und Tote berichtet werden konnte. Die drei P-750 Flugzeuge flogen fast täglich am Limit, trotzdem verbot Hannes das nach Sonnenuntergang noch geflogen wurde. Er hatte seine Prioritäten und die waren nicht verhandelbar.

Terroranschlag im Distrikt Kartey Sakhi

Es gab wieder ein Anschlag in der Nähe vom Zentrum in Kabul, sofort sollten Journalisten an diesen Ort, um mal wieder über Terror in Afghanistan zu berichten. Ein gutes Dutzend von Journalisten mit der fast dreifachen Anzahl von Personenschützer, waren schon mit den anderen Fahrzeugen dort hin unterwegs. Hannes mochte es gar nicht, dass immer gleich so viel Journalisten auf einem Platz aufschlugen. Immer öfter kam es vor, dass nach dem ersten Anschlag ein zweiter folgte. Terror wollte mehr Aufmerksamkeit und mehr Tote.
Ein Fernsehteam aus Mexiko musste noch an den Anschlagsort gefahren werden. Hannes machte seinen Range Rover Armored klar. Die drei Fernsehleute nahmen mit ihren Taschen auf dem Rücksitz platz. Ein Bodyguard Namens, Louis Contreras aus Kolumbien fuhr mit. Hannes kannte ihn nicht. Contreras war in einem Team welches erst seit kurzem bei der Firma angestellt war.
Wird schon alles gut gehen, sind genügend andere Bodyguards vor Ort, dachte er, als der Armored aus den Tor in der Darulaman Road Richtung des Stadtteils
Kartey Sakhi fuhr.

Hannes fuhr schnell durch die Straßen von Kabul. Überall hörte er die Sirenen der Krankenwagen, Polizei und Feuerwehren
„Noch drei Straßen und dann zwei Querstraßen“ sagte er auf englisch zu den Mitfahrer.
Der Verkehr und Getümmel wurde, wie zu erwarten, immer Chaotischer. In dem Distrikt Kartey Sakhi gab es kaum noch ein vorwärts kommen. Er musste mit den Journalisten näher ran. Vom jetzigen Standpunkt aus war der Weg ohne Fahrzeug zu weit und nicht sicher. Die drei Fernsehleute wurden immer nervöser, je langsamer es voran ging.
„Immer diese Sensationspresse“ sagte er auf deutsch und schaute in den Rückspiegel.
Er sehnte sich nach Dokumentationen mit Gregory Flinn zurück. Ruhige und sachliche Reportagen. Man konnte im Team reden wie der nächste Tag geplant wurde. Heute mussten es Bilder von Tod und Zerstörung sein die gezeigt werden müssen. Keine Bilder von Kinder die sich über Teddybären freuen oder wie Soldaten Dächer abdichteten. Diese Menschlichkeit wird im Fernsehen kaum gezeigt, die Abgründe und Perversion dieser täglich.
„Noch zwei Querstraße.“ „Stop it. Stop it here. We have not time. Pleace stop here“ sagte der eine Mexikaner.
„No! The way is to long. Not safety“ gab Hannes mit energischen Worten zurück.

Es ging nur noch zäh voran, Krankenwagen und Autos standen auf der Straße die auch nicht weiter kamen oder einfach abgestellt wurden. Der Mexikaner hinten links, öffnete die Tür vom Armored und war im Begriff aus dem Auto zu steigen.
„NO! Outside is not safety! Das glaubt man nicht, macht der Penner die Tür auf!“ Brüllte Hannes.
Der Mann in der Mitte der Rückbank drückte seinen Kollegen aus den Auto. Gleichzeitig öffnete der andere Mexikaner auf der rechten Seite die Tür und sprang aus dem Auto.
Hannes brüllte Contreras an „What’s wrong with you? The situation is out of control! Close the door, close the door!“
Hannes sprang sogleich aus dem Auto, trat mit dem rechten Fuß die hintere Tür zu und zog sofort seine Waffe aus seiner Gürteltasche.
„Close the door! Mann, was bist du für ein Vollidiot“ brüllte er Contreras an.
Die drei Mexikaner liefen in die Richtung, wo sie den Tatort vermuteten und von wo die meisten Menschen weg liefen.
„STOP! The Area is not safety“ schrie Hannes ihnen hinterher.
Viele Menschen waren auf der Straße und liefen zu dem Tatort, oder von dort weg. Es herrschte das blankes Chaos. Autos standen quer und überall Menschen die in Panik rannten und schrien.
Hannes drückt während er lief und brüllte, die Schnellwahltaste am Handy um Marco zu erreichen. Nach zwei Sekunden war Marco am Telefon.
„Hörst du mich…?“ Brüllte er ins Headset. „Ja, ja! Ich höre dich. Was ist los?“ „Die Mexikaner sind aus dem Auto raus. Ich bin zwei Querstraßen, wahrscheinlich 800 Meter, von dem Tatort weg. Schau auf den GPS wo das Auto steht, ich laufe nach Westen. Verdammt, die Situation ist außer Kontrolle.“
Im Lauf drehte er sich um und suchte Contreras. 8 Meter rechts hinter ihm sah er ihn laufen.
„Marco, hier ist das blanke Chaos, Leute schreien und kommen uns entgegen gelaufen … Ich habe die Mexikaner verloren… Ein Motorrad kommt aus einer Querstraßen von links auf mich zu… Schnell!…15 Meter. Zwei Personen auf dem Motorrad… Wo zum Teufel ist dieser Contreras?… Sehe ihn, 6 Meter hinter mir. Motorrad noch 10 Meter Entfernt… Verdammt die haben eine Kalaschnikow!“
Der Sozius richtete die Kalaschnikow in Richtung von Hannes. Schüsse fielen.
„Ich brauche Unterstützung! Habe keinen Feuerschutz! Weiß nicht wo Contreras ist… Muss schießen! Kein freies Schussfeld… DOWN, DOWN“ brüllte er die Leute vor ihm auf der Straße an.
Die Patronen der AK47 schlugen links in ein Auto ein. Vor im brach eine Frau zusammen.
„FREE!“ In der Sekunde als die Frau zu Boden sackte, schoss Hannes zweimal auf den Sozius. Dieser kippte nach hinten rechts weg. Unkontrolliert schlugen die Patronen der AK47 links und rechts neben ihm ein. Glas von den Autos kam ihm entgegen geflogen. Er ließ sich sofort neben einem Auto auf den Boden fallen. Rechts von ihm fielen zwei Personen tot auf die Straße. Sofort war Hannes auf den Knie und zielte erneut auf das Motorrad. Zwei Schüsse feuerte er auf den Fahrer. Das Motorrad prallt gegen einen Pkw. Menschen liefen in Panik kreuz und quer über die Kreuzung.
„Marco, ich brauche Unterstützung!… 4 Meter links vom mir liegt der Typ mit der AK47… Shit! Er bewegt sich noch! … Neutralisiert!“ Hannes sah wie das Blut von dem Mann gegen die Hauswand spritzte. „Der eine ist neutralisiert. Wo ist der andere?… Mehrere Polizisten und Soldaten kommen aus Westen gelaufen… STOP! AREA NOT SAFETY. NO CLEAR! Verdammt, wo ist der andere? Ich habe kein Feuerschutz! Hier ist das blanke Chaos!“
Die Menschen um ihn wussten nicht in welche Richtung sie laufen sollten und Hannes sah dadurch den andren Terroristen nicht mehr.
„Marco, ich hab den Typ aus den Augen verloren. BACK… BACK“ Brüllte Hannes die Leute an, er musste den Mann suchen. „Hab den Fahrer von dem Motorrad gefunden… Bin noch 2 Meter von ihm entfernt… Sehe keine Waffe.“
Hannes ging langsam mit seiner Waffe auf den Mann am Boden zu. Der Mann zuckte. Hannes blieb sofort stehen und zielte auf dessen Genick. Dann bewegte sich der Mann nicht mehr.
„Ok. Der Fahrer ist tot. Ich gehe weiter auf das Motorrad zu. Eineinhalb Metern… Rucksack! Ich sehe einen Rucksack unter ihm! RUN RUN RUN THE AREA IS NOT SAFETY. RUN!“ Brüllte Hannes erneut die Leute an, die um ihn herum waren.
„Verdammt, Marco ich muss hier weg! Finde die Mexikaner nicht… Contreras ist verschwunden! Ich brauch ein Sprengstoff-Kommando hier! Beile dich!… Habe einen der Mexikaner gefunden… Er ist Verletzt… Schussverletzung an rechten Oberarm und rechtes Bein. Ziehe ihn zwischen zwei Autos in Sicherheit der Häuser… Contreras sehe ich auf der anderen Straßenseite liegen.“
Eine Gruppe junger Männer kam auf ihn zu gelaufen. Hannes richtete sich sofort auf im lauf zu Contreras richtete er seine Waffe auf die Gruppe. Sofort blieben die fünf Männer stehen und streckte ihre Hände hoch.
„BACK… AREA NOT SAFETY“ schrie er die Männer an.
Hannes rannte auf den am Boden liegenden Contreras zu, stolperte über etwas auf dem Boden. Er taumelte. Rollte sich während des fallens ab und schlug sich den rechten Ellenbogen auf dem Beton auf. Seine Glock fiel ihm aus seiner linken Hand und rutschte über den Gehweg. Er streckte sich nach seiner Waffe. Stützen sich dabei mit der rechten Hand ab und spürte wie Kieselsteine sich in seine Handfläche bohrten. „Fuck! Tut das weh. Marco?“ „Bin da.“ „Contreras blutet stark am Kopf und hat einen Durchschuss am linken Oberarm… Er ist Bewusstlos… Ich höre Sirenen, sind die für mich?“ „Ja, ja alles kommt zu dir! Gib mir Status!“ „Gleich.“
Hannes riss das Hemd von Contreras auf und macht sofort einen Druckverband.
„Ok, Marco, Status, jetzt! Contreras ist auf der rechte Straßenseite. Liegt an einer Hauswand. Er ist Bewusstlos und hat eine Platzwunde rechte oberhalb der Schläfe. Wahrscheinlich durch den Aufschlag auf den Boden. … Eine tote Frau auf dem Gehweg. 2 Meter von mir entfernt. … Zwei weitere Personen tot auf der Straße.“
Hanns stand auf und ging weiter nach Westen „Ein Mann verletzt. Hat einen Bauchschuss, sieht nicht gut aus… Sehe Sanitäter von Osten kommen… ONE PERSON LEFT SIDE NEAR HOUSE. ONE PERSON RIGHT SIDE BY THE BLUE CAR. A MALE SERIOUSLY INJURED PERSON ON THE RIGHT SIDE OF THE STREET. SHOT IN THE STOMACH. PICK UP AND BACK. AREA IS NOT SAFETY“ rief er den Sanitäter zu.
Hannes sicherte seine Glock und steckte sie am Rücken in seinen Hosenbund.
„Weiter mit Status: Zwei Personen 3 Meter links in Querstraße … Beide tot. Gehe zurück zur Hauptstraße. Person mit Kalaschnikow neutralisiert durch Kopfschuss. Der Schuss kam von mir.“
Eine Gruppe Polizisten und Militärs kamen aus Westen mit Gewehren auf ihn zu gelaufen und Hannes hob die Arme hoch.
„DANGER! MAN WITH BACKPACK ON WHITE CAR. PERSON DEAD. BACKPACK ON FRONT SIDE FROM THE MAN“ rief er der Gruppe zu.
„Weiter mit Status: Suche nun nach Westen die zwei Mexikaner. Noch eine männliche Person tot. Verdammt, wo sind die hin?“
Immer noch liefen Menschen schreiend und weinend an ihm vorbei. Zwei Männer knieten links an der Straßenseite bei zwei Personen und versorgen deren Wunden.
„Okay Marco, neuer Status: Mann und Kind verletzt, bluten beide. Um sie wird sich gekümmert. Sind soweit safe. Habe die Mexikaner gefunden rechte Seite Hauseingang 20 Meter von der Kreuzung entfernt.“
Hannes ging auf die beiden Mexikaner zu und sprach weiter in sein Headset „Sehe keine Verletzungen bei den Mexikaner.“
Hannes kniete sich zu den beiden auf den Boden und sprach mit den Männer „Are you ok?“
Die beiden Mexikaner sahen ihn an und konnten nicht reden.
„Are you ok?“ Wiederholte er seine Frage. Einer nickte Geistesabwesend. Hannes packte den anderen am rechten Oberarm und schüttelte ihn fest. Er sah zu Hannes. „Are you ok?“
Er nickte langsam.
„Marco?“ „Ich bin da.“ „Beide haben einen Schock. Sonst keine Verletzungen zu sehen. Sieh zu das endlich das Sprengstoff-Kommando kommt. Over and Standby.“

Ein Polizei Hauptmann kam auf Hannes zu gelaufen „Are you okay? Are you okay? Are you hurt?“ „I’m okay. I am not hurt. Thank you.“
Hannes gab gleichen Status der Lage dem Hauptmann weiter.
„Marco…?“„Ja.“ „Die Sanitäter wollte Contreras und den einen Mexikaner abtransportieren. Ich gab ihnen unsere Adresse in der Darulaman Road. Geb Emily den Status der beiden durch.“ „Wird sofort erledigt. Sieh du endlich zu, dass du dort weg kommst.“

In Begleitschutz von fünf Polizisten fuhr Hannes mit den beiden Mexikaner auf dem Polizei Pickup zurück, wo er das Auto abgestellt hatte. Hoffentlich war das Auto noch da. In all dem Stress hatte er nicht einmal Zeit gehabt das Auto abzuschließen.
Ein Pulk von Männer stand um den schwarzen Range Rover Armored als er mit den Polizisten vor fuhr. Als er von der Ladefläche des Pickup’s sprang, traten die Männer sofort vom Armored zurück.
Die Polizisten halfen den beiden Mexikaner von der Ladefläche und führte sie zu der gepanzerten Limousine. Hannes öffnete die linke Tür im Fond des Autos und ließ die Männer einsteigen. Der letzte saß noch nicht richtig, da schlug Hannes die gepanzerte Tür zu. Er drehte sich zu den Polizisten um, bedankte sich für deren Hilfe und verabschiedete sich von ihnen.

Die Mexikaner saßen auf der Rückbank wie geprügelte Hunde und schauten unter sich.
Hannes war kurz davor diese beiden Vollidioten anzubrüllen und mit dem Kopf gegen das Panzerglas zu schlagen.

In der Darulaman Road fuhren die zwei Krankenwagen weg, als er ankam.
Die beiden Verletzten waren bereits auf der Krankenstation. Sabine standen für die beiden anderen Mexikaner sofort zur Verfügung. „Hannes, ist alles in Ordnung?“ Fragte Sabine.
„Ja. Schaff mir die Pappnasen aus den Augen, bevor ich mich vergesse.“

Einsatznachbesprechung im Büro

Marco war im Büro von Hannes und saß auf dessen Platz. Andreas, Annemieke und Eliza waren auch da. Hannes knallte die Tür von seinem Büro so fest zu, dass diese fast aus der Wand fiel. Er sah kurz in die Runde seiner Mitarbeiter und dann zu Marco. Hannes brüllte das absolute unprofessionelle Verhalten der drei Mexikaner heraus. Wie Contreras getroffen wurde, konnte er nicht sagen. Ein solch amateurhaftes Verhalten von Contreras dulde er nicht in diesem Haus.
Annemieke stand regungslos an der Wand, an der die Karten für die Terrorpunkte hingen. So in rage hatte sie ihren Chef noch nie erlebt.
Als seine Wut weniger wurde, sagte er zu Marco „Ich habe eine Sekunde zu lange gewartet.“ „Was du uns eben mit 120 Dezibel in die Ohren gebrüllt hast, dafür kannst du dir keine Schuld geben. Dein Anruf ist aufgezeichnet. Sei froh das du noch lebst! Du bist ohne Feuerschutz in die Richtung von dem Motorrad gelaufen. Bist du völlig irre? Du hattest bis zum Schluss keinen Status über den Rucksack gehabt. Hannes, was ist los mir dir?!“ „Ich war die meiste Zeit im Schutz hinter den Autos.“
Marco riss die Augen auf, stand auf und sah in die Runde im Büro „Ich war die meiste Zeit im Schutz hinter den Autos?!“ Wiederholte er die Worte von Hannes. Er trat auf ihn zu und wurde auch lauter „Bist du völlig bescheuert? Nach den örtlichen Gegebenheiten und deinem Status brauchts du hier in dem Raum niemanden den Wirkungsradius einer Bombe zu erklären. Hannes du warst in Lebensgefahr, weil dein Bodyguard seinen Job nicht richtig gemacht hat und weil die drei Mexikaner geil auf Sensationspresse sind!“ „Ja. Ja Marco dies weiß jeder hier im Raum. Es ändert aber nichts mehr daran. Von uns ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen und wir alle leben noch. Ich habe das getan, was ich gelernt habe und was meine Prioritäten sind: Verletzte versorgen, Status objektiv einschätzen und bewerten, Menschen in Sicherheit schaffen und Hilfe koordinieren. Ich denke, dass ich meine eigene Arbeitsanweisung recht gut umgesetzt habe.“
Seine drei Mitarbeiter sahen ihn wortlos an. Marco nickte Hannes zu. Er wusste, dass er dem Chef in diesen Punkten nicht mehr widersprechen konnte.
„Okay Hannes, ziehen wir hier einen Schlussstrich. Ich werde nachher mit den drei Mexikaner unabhängige voneinander reden. Auch wird heute noch deren Arbeitgeber über diesen Vorfall informiert. Ich habe auch schon bei der Polizei und den zuständigen ISAF Einheiten angerufen und deren Einsatzberichte angefordert. Unsere Sicherheitsanweisungen sind allen Medienanstalten und Mitarbeiter bekannt, die unseren Service buchen und diese müssen auch befolgt werden! Dieser Einsatz wird bis in kleinste Protokolliert. Soll Sabine gleich zu dir kommen?“ „Nee, lass sie erst mit diesen Vollidioten reden. Ich denke die brauchen neue Unterwäsche.“ Marco grinste „Hannes, wir kennen uns schon sehr lange und niemand stellt sich bei diesem Vorfall zwischen dich und mein Wort!“ „Ich dank dir, mein Freund. Ich bin in meinem Zimmer, wenn etwas sein sollte.“ Hannes drehte sich um und ging zur Tür.
„Hannes? Ich hätte noch eine Frage. Hattest du einen Schutzhelm auf?“ Beim öffnen der Tür sagte er ohne sich zu Marco umzudrehen „Keine Zeit gehabt.“

Gespräche unter Freunden

Hannes lag auf seinem Bett und war müde. Er wollte schlafen und an nichts mehr denken, aber es ging nicht. Tausende Gedanken schossen ihm durch den Kopf und immer wieder sah er Patricia vor sich stehen oder neben ihm im Bett liegen.
„An was denkst du immer unermüdlichen, mon chérie?“ „An dich mein Engel.“
Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Seit Patricia nicht mehr bei ihm war, hatte das Leben keinen Sinn mehr. Hätte mich vorhin doch nur eine Kugel getroffen oder eine Bombe zerfetzt, dachte er und wischte sich die Tränen weg.

Es klopfte an seiner Tür und Marcel trat ein. Er hatte zwei Dosen Bier in der Hand und reichte Hannes eine Dose. Marcel zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich.
„Merci beaucoup, mein Freund. Habe ich geschlafen?“ Hannes setzte sich mit dem Rücken an die Wand.
„Ja, hast du. Ich war vor einer Stunde schon bei dir, ließ dich aber schlafen. Im Büro habe ich die Aufzeichnung gehört. Vom GPS Standpunkt und der Karte, bist du ohne Feuerschutz von Contreras in das Mündungsfeuer gelaufen. War das so?“
Hannes sah seinen Freund tief in die Augen und nickte dann „Oui, Marcel, dass war so. Du warst nicht da. Bei dir hätte ich keine Sekunde gezögert. Du bist der beste Scharfschütze auf diesem Planeten und du weißt, dass ich dir blind vertraue.Tu es mon ami.“ „Ja, ich bin dein Freund, du hättest tot sein können! An die Situation mit dem Rucksack will ich gar nicht denken. Noch haben wir keine Bestätigung von einer Bombe.“ „Und wenn schon…“ Marcel riss die Augen auf und packte ihn hart am Oberarm „Hannes, ich weiß wie sehr es dich schmerzt, dass Patricia tot ist. Machte es die Aktion von vorhin dadurch besser? Hätte Patricia dies gewollt?“ Marcel schaute in einen leere Blick mit Tränen in den Augen.
„Ich hatte den Überblick verloren. Ich wusste nicht wo die drei Mexikaner waren. Dies wäre dir nicht passiert. Vier Verletzte und sieben Tote. Toller Einsatz.“ „Hast du sie nicht mehr alle?! Die Terroristen hätten das zehnfache an Menschen umbringen können! Du hast so reagiert, wie es immer wieder trainiert wurde. Contreras hat dich ohne Feuerschutz gelassen. Das war ein grober Fehler. So etwas darf nicht passieren! Wenn Malcolm oder Hattie dies erfahren, brennt hier der Baum! Du bist kein Scharfschütze oder Bodyguard. Das ist nicht deine Aufgabe! Und eine Sekunde schneller hätte bei dieser Situation nichts geändert. Die hätten dich durchlöchern und zerfetzten können! Hannes – die Welt braucht mehr Menschen wie dich und nicht weniger! Das Leben geht weiter. Auch wenn es verdammt weh tut. Du hast heute durch deinen Einsatz Menschen gerettet. Das ist es doch was du willst. Es leben mehr, als tot sind!“ Die Worte von seinem Freund trafen mal wieder den Punkt.
„Ja, du hast recht. Alles was du sagst, ist richtig. Es tut immer noch verdammt weh im Herz.“
Marcel nahm ihn in die Arme „Wir sind Freunde. Heute hätte ich einen der besten Menschen verloren. Da bin ich einmal nicht da, um auf dich aufzupassen und du riskierst so dein Leben!“

Das Bier war fast getrunken und lange sagte niemand ein Wort.
„Ich bin stolz auf dich.“
Hannes schaute Marcel fragend an.
„Na ja, immerhin hast du die zwei Typen auf dem Motorrad erwischt. Du bist nicht gerade der beste Schütze. Siehst du, nun lachst du wieder.“
Hannes zog die Schultern hoch „Für heute hat es gereicht.“
Marcel wuschelte ihm die Haare „Diese Welt braucht dich noch, mein Freund.“

Der Abend nach einem Alptraum

Am Abend ging Hannes in die Krankenstation zu Emily. Er wollte den Zustand von den zwei Verletzten wissen. „Der Mexikaner hat Streifschüsse. Hätte schlimmer sein können. Contreras hat einen glatten Durchschuss. Ohne deinen Druckverband wäre er verblutet.“ Emily nahm ihn in die Arme „Du hast alles richtig gemacht. Mehr ging nicht. Die beiden verdanken dir ihr Leben! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?“
Was sollte er seiner Freundin sagen? „Emily, ich werde zu alt für den Scheiß. Ich denke mir geht es gut.“
Mit diesen Worten drückte er sie fest und gab ihr einen Kuss auf die Stirn und streichelte ihr schönes Gesicht.

In seinem Büro waren Annemieke, Marco und Tamina. Der Bericht von der Polizei und dem ISAF Stützpunkt in Kabul war mittlerweile angekommen. Marco und Tamina übersetzten den Bericht der Polizei von paschu in englisch.
„Nun ist es offiziell. In dem Rucksack war eine Splitterbombe. Der Zünder war noch nicht aktiviert. Ohne dich wären viele weitere Menschen an diesem Tag gestorben. Das du in all dem Chaos noch so gut reagiert hast, wird in den Berichten mehrmals hervorgehoben. Du hast die Polizisten und Soldaten auf die Gefahrenlage aufmerksam gemacht. Keiner wusste zu diesem Zeitpunkt die Lage einzuschätzen. Du hast völlig richtig gehandelt. Auch, dass du die Sanitäter auf die Gefahr und den Status der Verletzten informiert hast, wird in dem Polizeibericht erwähnt.“ Tamina stand auf und umarmte ihn „Hannes, du hättest sterben können!“
Annemieke sagte, dass Hattie angerufen hatte und er sie bitte dringend zurück rufen sollte.
An seinem Schreibtisch starrte er die Telefone an. Er rauchte eine Zigarette und nahm den Telefonhörer in der Hand und schaute seine Mitarbeiter und Freunde im Büro an. Er legte den Hörer wieder auf das Telefon.
Nach fünf Minuten zog er erneut eine Zigarette aus der Schachtel und zog den Rauch tief ein. Jeder im Raum sah ihn an, als er dem Rauch der Zigarette nach sah. Keiner von seinem Team im Büro sagte etwas, sie wussten, wann es besser war zu schweigen. Erneut nahm er den Hörer in die Hand und drückte auf die Speichertaste ihrer Nummer. Nach dem zweiten Freizeichen hörte er ihre Stimme. „Hannes. Gott sei dank! Ich habe die Aufzeichnung gehört… ich bin auf dem Weg nach Kabul.“ „Hattie, alles ist gut. Ich lebe noch. Du musst nicht kommen.“ „Zu spät. Ich sitze bereits im Flugzeug. Es muss einiges geklärt werden. Einen solchen Vorfall, darf es nie wieder geben. Morgen bin ich bei dir.“

Time to say goodbye

Die ganze Nacht saß er mit dem Rücken an der Wand auf seinem Bett. Die Glock 17C hatte er in seiner linken Hand. Er wollte und konnte nicht mehr. Krieg, Terror und Tod sah er nun fast jeden Tag. Wofür dies alles?

Der Morgen brachte die ersten Sonnenstrahlen nach Kabul. Da waren keine tausend Farben mehr. Es war nur noch grau, was an Licht in sein Zimmer fiel. Das Telefon auf dem kleinen Schreibtisch in seinem Zimmer klingelte. Er sah es an und zielte mit der Waffe darauf. Es verstummte. Wenige Minuten später klingelte es nochmals. Es hörte nicht aus zu klingeln. Er zielte auf das Telefon und bewegte den Finger am Abzug der Glock. Das Telefon verstummte.
„Feigling“ sagte er zu dem Telefon.

Sabine öffnete die Tür ohne anzuklopfen. „Na? Und nun? Ist die Waffe die Lösung der Probleme?“
Sabine kam langsam auf ihn zu und setzte sich auf sein Bett „Hannes…, jeder versteht was du durchgemacht hast. Jeder hat vor dir, deiner Arbeit und deinem Umgang mit Menschen den allergrößten Respekt. Du bist intelligent genug um zu wissen, dass Suizid nicht die Lösung ist.“ „Wer spricht von Suizid? Das Telefon klingelt und ich zielte auf das blöde Ding.“ „Ach so. Normalerweise nimmt man den Hörer in die Hand. Müsstest auch du wissen. Oder hast die Waffe in der Hand um auf Mücken zu schießen. Bei Samuel und Marcel würde ich dies sofort glauben.“ „Allewelt hält mich für einen schlechten Schützen.“ „Für das, dass du dies nicht bist, bist du verdammt gut! Du bist kein Schütze. Du bist ein Leader und da gibt es keinen, der dir das Wasser reichen kann! Ich weiß wie du fühlst und denkst. Der Tod von Patricia tut dir weh. Du fühlst dich für alles und jeden verantwortlich. Du denkst permanent an Sicherheit für Menschen. In jeder Situation hast du die Verantwortung für andere. Ich habe mit mir schon genug zu tun. Das Afghanistan so ist, wusste ich nicht. Ich bin wirklich froh, wenn der Einsatz in zwei Wochen vorbei ist. In den letzten Monaten habe ich mehr gelernt, als manche in ihrem ganzen Leben jemals lernen werden. Wie du im Januar bereits gesagt hattest, ist dies hier ein super Team – dies ist es auch! Ich kann mein Leben blind anderen anvertrauen. Ich habe bei dir Teamarbeit kennengelernt, die es so niemals mehr geben wird. Du führst und gibst die Richtung vor. Dies alles tust du ohne Arroganz. Zwar immer bestimmend – aber menschlich.“
Hannes sah die blonde Frau aus Magdeburg an, die Patricia so verdammt ähnlich sah „Sabine, ich werde zu alt für diesen Job. Er zehrt an mir und macht mich fertig! Ich bin gestern ohne Feuerschutz in Salven von einer Kalaschnikow gelaufen. Ich war und bin, die Sicherheit von unserem Team gewöhnt. Ich bin von dem was ich einst war, schon viel zu weit weg. Menschen zu erschießen hat nichts mit Bildung für Kinder zu tun.“ „Hannes, dies stimmt nicht!Du hast hier in diesem Land großes getan. Was du für Nila, Amira und die Mädchen im Frauenhaus getan hast, kann mit nichts auf dieser Erde ausgeglichen werden! Für die Rettung und Unterbringung von 32 Mädchen und Frauen hast du ein Vermögen aufs Spiel gesetzt. In Istanbul hast du eine Hilfsorganisation aus dem Boden gestampft, die beispiellos ist. Du bist von deinem Traum nicht weit entfernt – du siehst es nur nicht mehr. Komm mit zu Erik in die Niederlande. Da sind Kinder die dich bräuchten.“
Sabine nahm die Waffe aus seiner Hand und legte sie auf den Boden. Sie nahm seine Hände und hielt sie fest „Ich habe den besten, gütigsten und liebevollsten Menschen kennengelernt, dem ich so viel zu verdanken habe. Hannes, die Welt wäre eine bessere, gäbe es mehr von dir.“
Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Sabine streichelte ihm über den rechten Arm „Weine ruhig. Das ist gut. Du bist unglaublich stark. Du brauchst aber auch die Zeit, in der du nicht stark sein musst.“ Sie umarmte ihn und streichelte ihm über den Rücken. Ihr Kopf war dicht an seinem „Was ich eben gesehen habe, bleibt zwischen dir und mir. Ich werde dich in diesem Leben niemals kompromittieren. Niemals!“

Hattie’s Standpauke

Hannes saß immer noch mit dem Rücken an der Wand auf seinem Bett und sein Blick war immer noch leer. Er war leer und ausgebrannt. Sein Hirn konnte nicht mehr zusammenhängend denken.
Es klopfte zweimal an der Tür. Hattie kam ins Zimmer, ohne das er ein Wort sagte. „Hallo Hannes, ich bin da! Ich habe gesagt das ich komme. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“
Er zog die Schultern hoch ohne sie anzusehen.
„Gut. Die Frage nach dem trinken, essen und duschen erspare ich mir. Das gleiche Bild habe ich noch vor Augen, nur war es damals in Thailand in eurem Haus.“
Er hob den Kopf und sah seine Chefin, die Gebietsleiterin für Südostasien, diese wunderschöne afroasiatische Frau an „Hattie, ich bin zu alt für diesen Job.“
Hattie nahm Tief Luft „Zu alt…? Zu leichtsinnig! Du rennst ohne Feuerschutz auf ein Maschinengewehr zu! Du bist der beste Leader in unsere Firma – hast du gestern wieder bewiesen, auch wenn es dein Leben gekostet hätte! Was sollte dieses Selbstmordkommando?“ „Nun mach mal einen Punkt! Ich habe das getan, womit Malcolm sein Geld verdient: Menschen zu beschützen! Dafür bin ich in diesem gottverdammten Land. Erzähl du mir nichts von Selbstmordkommando.“
Hannes sah den zornigen Blick in Hattie’s Augen und wusste, dass er seine Karten verspielt hatte.
„Ich wurde in Kenntnis gesetzt, dass du und Contreras keine ausreichende Sicherheitsausrüstung hattet. Ich hätte dafür gerne eine Erklärung.“ „I didn’t have time at that moment. Ist dies erklärt genug für dich?“

Eine Anspannung lag im Zimmer, die in diesem Moment nicht sonderlich angebracht war und Hattie kam schließlich nicht zum streiten und anbrüllen nach Kabul geflogen. Sie setzte sich zu ihm auf sein Bett und ihr kamen die Tränen. Sie legte ihren linken Arm um ihn und drückte ihn fast an sich „All dein Kummer verstehe ich. Dadurch wird Patricia nicht mehr lebendig. Du hast 1989 gewusst… dass…. dass…“ sie schloss die Augen und brauchte Zeit, um weiter reden zu können „Das dieser Tag irgendwann kommen wird. Du hast deiner Frau 10 Jahre die Welt zu Füßen gelegt und ihr täglich deine Liebe gezeigt. Es ist an der Zeit, dass du anfängst zu leben. Du kannst die Vergangenheit nicht mehr ändern, deine Zukunft schon! Du bist unermüdlich im Einsatz, nur um nicht an Patricia zu denken.“ „Ist dies so offensichtlich?“ „Eine einfache Antwort? Ja! Seit Patricia’s Tod, bist du ruhelos. Du merkst es gar nicht mehr. Mach eine Pause. Erhole dich. Komm wieder zu dir zurück!“ „Es gibt auf diesem Planeten keinen Ort, an dem ich nicht an Patricia denken würde.“
Hattie drückte ihn fester an sich „Wenn es einen Himmel gibt, wie wir ihn uns vorstellen, dann schaut Tricia auf dich. Sie ist stolz auf dich! Du hättest gestern sterben können und du lebst noch. Patricia ist bei dir, wie auch bei mir. Ich habe durch ihren Tod meine beste Freundin verloren. Hannes, es tut auch mir immer noch weh. Erinnere dich doch an all die schönen Jahre die wir zusammen hatten.“ „Hattie, die Erinnerungen sind der Grund warum ich noch lebe.“
Er weinte in ihren Armen und Hattie hielt ihn fest an sich gedrückt. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte er „Der Sicherheitschef für Afghanistan weint in den Armen einer Frau. Was bin ich für ein Chef?“ „Der Beste! Du bist immer menschlich geblieben. Dein Rückgrat und Charakter sind unvergleichlich. Hannes, komm mit mir nach Fort Lee. Malcolm möchte dich gerne als Co-Direktor in der Firma haben.“ „Oh Süße, fang doch nicht schon wieder mit dieser Nummer an.“
Hattie gab ihm einen Kuss in den Nacken und löste sich von ihm „Geh duschen. Ich muss noch einiges klären. Wenn du später bei diesem Meeting nicht dabei sein willst, verstehe ich dies sehr gut. Wenn doch, wirst du meine – wie auch Malcolms, volle und uneingeschränkte Haltung dir gegenüber wissen.“

Eine Schocknachricht

Duschen war eine gute Idee. Wie lange er nun schon wach war, konnte er gar nicht mehr sagen. Sein Kopf tat weh, die Augen waren übermüdet und sein Hirn lief nur noch auf Standby Modus.
Er suchte am Schrank nach neuen Kleider, als die Tür aufging und Sabine ins Zimmer trat.
„Ups. Na ja, wenigstens sitzt du nicht mehr an der Wand. Zieh dich bitte an, du hast Besuch.“ „Hallo Sabine, schön das du mir dies mitteilst. Komm doch bitte herein. Ich zieh mich gerade an.“
Sie kam an den Schrank und knuffte ihm gegen den Arm „Sorry Chef. Wie schon gesagt, du hast Besuch. Eine Frau Schayani möch…“ Hannes fuhr wie vom Blitz getroffen herum und schaute Sabine fassungslos an. Hörbar nach Luft schnappend sagte er „Sag… sag das noch einmal!“ „Äh, eine Frau Schayani wartet unten in der Lobby auf dich. Hannes? Was ist los?“

Hannes schwankte vor seinem Schrank und musste das gehörte von Sabine irgendwie verarbeiten. Er suchte nach Worte und wusste nicht, was er zuerst sagen sollte „Iranerin. Groß, lange pechschwarze Haare und eine Figur von einem Model?“
Sabine nickte langsam „Mit Engelsgesicht und die schönste Frau die ich je gesehen habe! Die Frau aus dem Fernsehen… jep… Genau die.“ „Großer Gott im Himmel!“
Sabine packte ihn am Oberarm und sah ihm fest in die Augen „Was ist mit dieser Frau?“ „Lange Geschichte.“
Sabine griff in seinen Schrank und gab ihm Kleider, die er anziehen sollte. Er war völlig neben der Spur und kaum fähig sich selbst anzuziehen.
„Hannes?… Was ist los? Du siehst aus als ob du einen Schock hast. Du kannst dich noch nicht einmal anziehen!“

Mit Sabine ging er die zwei Stockwerke zur Lobby herunter. Auf halben Weg blieb sie stehen und hielt ihn am Arm fest. Er schaute sie an.
„Hannes – die Frau sagte vorhin etwas zu mir.“ Sabine machte eine Pause und sah ihm in die Augen „Wenn du dich nicht an ihren Namen erinnern könntest,… soll,.. sollte… ich dir ausrichten… dass du ihr vor vielen Jahren eine Ohrfeige geben wolltest…“
Er nickte stumm und Sabine sah ihn völlig fassungslos an.

Beiden gingen die letzten Stufen zur Lobby und Hannes sah sie schon.
„Mein Gott, was für eine Schönheit. Der Engel aus dem Orient“ sagte er leise zu Sabine ohne diese anzuschauen.
Tamina und Emily saßen bei ihr. Cosima stand aus dem Sessel auf. Hannes stockte in seinem Schritt. Sabine hörte seinen Atem und wusste nicht was los war. Der Herzschlag von Hannes war an der Belastungsgrenze. Noch 6 Meter trennten ihn von diesem personifizierte Super Model. Sein Atem ging immer schneller.
3 Meter.
Sie kam langsam auf ihn zu.
Eineinhalb Meter.
Cosima liefen Tränen über die Wangen. Noch einen Schritt.
Er nahm Cosima in die Arme und brach zusammen.

Sabine war sofort bei ihm. Tamina und Emily kamen in schnellen Schritten auf ihn zu gelaufen. Aus seinem Büro kamen Marcel und Marco gelaufen. Er hörte seinen Namen wie durch Watte. Alles war verschwommen. Er sah Gesichter und Hände. Worte die er nicht hörte. Er nahm nur Laute wahr und wusste nicht ob er stand, saß oder lag. Es wurde an ihm gezerrt und gedrückt. Emily war über ihm und sagte etwas. Ihre Worte hallten in seinen Ohren, als ob er in einer Bergschlucht am Königssee stand. Bruchstücke ihrer Worte konnte sein Hirn verstehen.
Hell. Es war hell. Schatten. Worte. Licht. Gesichter. Blackout!

Irgendwann kam Hannes zu sich und wusste nicht wo er war. Er sah mehrere Kabel an sich und hörte Geräte piepen.
Emily stand links neben ihm und hielt seine Hand. „Er ist wach“ hörte er sie sagen. Hannes wusste nicht mit wem sie redete. Er drehte den Kopf nach rechts und sah Cosima am Bett sitzen. Sabine stand links neben ihr. Hattie stand an der Wand und hatte Tränen in den Augen.
„Was… was… ist los? Ich kann mich an nicht mehr erinnern.“
Cosima drückte seine rechte Hand und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.
„Salut Cosima, comment vas-tu? Ravi de vous voir. Ich sah dich im Fernsehen.“ „Salut Hannes,… mir… mir… geht es gut. Schön auch dich wieder zu sehen. Ja, ich arbeite in Paris beim Fernsehen.“
Es pikste an seinem linken Arm und er sah zu Emily. „Alles gut Ich helfe dir.“
Er sah wieder zu  Cosima und sah sie fragend an „Cosima… was… was machst du hier? Warum…?“ Er sah wieder zu Emily „Wo bin ich?“ „Auf der Krankenstation. Es ist alles gut. Ich bin bei dir.“ Er nickte Emily zu und sah wieder zu Cosima, die weiter seine rechte Hand fest hielt und streichelte.
„Ich,… ich bin dir gefolgt. Ich habe drei Jahre nach dir gesucht“ sagte sie und schluckte ihre Tränen herunter.
Sabine stand dicht bei ihr und hatte ihre Arme um sie liegen.
„Vier Jahre nach dem Tod von Patricia habe ich dich auf der halben Welt gesucht. Ich war in Kambodscha gewesen. Ich sah eure Projekte. Eure Schulen. Du warst nicht mehr da… Ich war in Thionville bei Franziska und Bernhard gewesen. Auch sie wussten nicht, wo du bist. Ein Stab an Volontäre und Redakteure im Sender suchten permanent nach dir.“ Tränen liefen über ihr wunderschönes Gesicht. Emily fragte, ob alles in Ordnung sei oder ob sie etwas zur Beruhigung bräuchte. Cosima schüttelte den Kopf.
„Ich war mit einem Team im… im Sudan, Burkina Faso und Ghana auf der Suche nach dir. In Accra haben wir deine Spur verloren.“ Cosima weinte immer mehr und konnte kaum noch sprechen.
„Cosima, warum? Ich verstehe nicht.“
Sie nickte und schluckte ihre Tränen herunter „Wie schon gesagt, eine Heerschar von Menschen hat dich auf der ganzen Welt gesucht. In den USA tauchte vor einer Woche ein Video auf…“ Cosima schluckte wieder die Tränen herunter und das sprechen fiel ihr wieder schwer. Sabine streichelte ihr über die Schultern.
„In… in dem Video… sah ich dich…. du… du saßt auf einem… einem… blauen Plastikstuhl. Sabine stand neben dir.“ Cosima liefen die Tränen nur so übers Gesicht und ihr ganzer Körper zitterte.
Hannes nickte „Khost. Das war in Khost. Wir waren im März an einem Frauenhaus. Cosima, was ist los? Warum suchst du mich auf der halben Welt?“
Sie wollte sprechen aber es kamen keine Worte über ihre Lippen. Nach dem dritten Versuch sagte sie „Ich liebe dich! Hannes,… ich liebe dich!“ Nun weinte sie bitterlich. Emily ging zu ihr „Cosima, sag Bescheid, wenn es nicht mehr geht. Okay?“ Sie nickte.
Ihre Hand zitterte immer mehr und so drückte sie die Hand von Hannes fester „Wir… wir fanden… heraus das dieses… Video aus Afghanistan stammt. … Ich flog vor drei Tagen in Paris ab um nach Kabul zu kommen. Durch die Redaktion weiß ich von diesem Haus hier. Als ich gestern beim Empfang…“ Cosima rang nach Luft „deinen… Namen sagte und… und… mir bestätigt wurde, dass du hier bist, schlug es bei mir wie ein Kometenschlag ein.“
Vor weinen und zittern konnte sie nur abgehakt reden „Emily und Sabine … wurden… sofort gerufen. Ich… ich sprach mit ihnen. Sie erzählten von dem… dem Terroranschlag am Montag. Ich… war kurz vorm Ziel und…“
Emily gab ihr jetzt eine Spritze. Cosima bebte und zitterte vor weinen und rang ständig nach Luft. Sabine drückte sie fest an sich. Auch ihr kamen die Tränen. „Ich… ich… war kurz vorm Ziel… und hätte dich… verloren…“
Sie ließ sich fallen. Ihr Kopf lag auf seiner Brust. Sie weinte so sehr, dass sein T-Shirt nass wurde und er ihre Tränen auf seiner Haut spürte. Hannes weinte und sah vor lauter Tränen nichts mehr aus den Augen. Emily wischte ihm mit einem feuchten Tuch übers Gesicht.

„Bist du ein Engel?“

Hannes spürte Wärme neben sich. Da war jemand neben ihm. Er öffnete langsam die Augen und sah, dass er in seinem Zimmer war. Er drehte den Kopf langsam nach rechts und sah in die kastanienbraunen Augen von Cosima „Bist du ein Engel? Ist dies ein Traum?“
Seine Worte hörten sich weit weg an.
„Nein! Kein Traum. Hannes, es ist kein Traum! Ich bin real. Ich bin bei dir. Weiß du… wer… wer ich bin?“ Sie weinte.
„Bien sûr, Madame. Cosima Schayani. Der Engel aus dem Orient und die Schulfreundin von Patricia.“
Sie küsste ihn und ihre Tränen tropften auf seine Wange „Oui, c’est moi. Ich stehe jetzt auf… und gehe zum Telefon. Ich rufe Emily und Sabine an… ist dies okay für dich? Ich bleibe bei dir.“ „Okay. Gut. Vielleicht bekommt mein Hirn dann endlich Klarheit. Ich habe Hunger.“

Emily war zeitgleich mit Sabine, in noch nicht einmal zwei Minuten, bei ihm im Zimmer.
Emily hatte ihren Notfallkoffer und ein tragbares EKG Gerät dabei. Sie sagte Hannes, dass sie bei der folgenden Unterhaltung gerne eine Elektrokardiografie machen möchte. Als sie die 12 Saugknöpfe unter seinem T-Shirt befestigt hatte, steckte sie ihm noch einen Pulsoximeter an den rechten Zeigefinger und stellte die Monitore auf die Fensterbank.
Hannes sah zu Emily „Mein blonder Engel, so viele Kabel für etwas Klarheit zu bekommen?“
Emily nickte stumm.

Emily und Sabine saßen ihm an dem kleinen Tisch in seinem Zimmer gegenüber. Cosima saß rechts von ihm und hielt seine Hand fest.
Sabine fing an zu reden „Hannes, an was kannst du dich als letztes erinnern? Mach langsam. Wenn du nicht weiter weißt, ist dies kein Problem. Wenn du nicht mehr reden willst – oder kannst, ist dies auch in Ordnung. Darf ich ein Tonband mitlaufen lassen?“
Er nickte Sabine zu, ohne zu wissen warum sie ihm diese Frage stellte.

Es klopfte an der Zimmertür. Sabine stand auf und ging zur Tür. Mercan kam mit einem Servierwagen ins Zimmer. Sie hatte so ziemlich alles auf dem Wagen, was es an Frühstück in diesem Haus gab. Natürlich auch zwei große Kannen Tee.
Sie stellte alles auf den Tisch und sah Hannes mit Tränen in den Augen an „Schön, dass du noch lebst.“
Sabine begleitete Mercan zur Tür und Hannes hörte, was sie ihr sagte.
„Ab jetzt darf niemand mehr stören. Auch habe ich das Telefon zu dem Zimmer abgestellt. Marco weiß Bescheid. Emily und ich sind nun nicht mehr erreichbar.“ Mercan nickte und schloss die Tür.

Sabine setzte sich wieder an den Tisch „Okay. Bist du bereit? Du kannst gerne etwas essen. Wenn es dir schwindelig oder kalt wird, sag sofort Bescheid. Emily hat alles an Medikamente dabei, was du brauchst. Wir sind ein Team und stehen dies jetzt gemeinsam durch. Ich schalte jetzt das Aufnahmegerät ein.“
„Okay. Ich bin bereit. Wie weit soll ich zurück gehen?“ „Ich sag mal so, was ich noch nicht wusste, habe ich die letzten 16 Jahre mit Hilfe von Cosima und Hattie aufgearbeitet. Es wäre toll, wenn du die letzten 72 Stunden zusammen bekommst.“
Hannes sah Sabine, Emily und Cosima fragend an „Wie lange war ich weg?“ „Eineinhalb Tage“ sagte Sabine.
Hannes sah mit offenem Mund in die kleine Runde am Tisch „Wow! Ich erinnere mich, dass ich mit drei Männer aus Mexiko und dem Personenschützer Louis Contreras auf dem Weg zu einem Terroranschlag im Distrikt Kartey Sakhi war. Ich musste ständig stehen bleiben, wegen dem Chaos auf den Straßen. In dem Distrikt war die Hölle los. Ungefähr 800 Meter vor dem Tatort eskalierte die Situation bei mir im Auto. Einer der Mitfahrer öffnete plötzlich die hintere Autotür. Die drei Mexikaner sind aus dem Auto gesprungen. Ich bin aus dem Wagen und hatte meine Waffe sofort schussbereit. Für den Schutzhelm aufzusetzen blieb keine Zeit, so hatte ich nur die Schutzweste an. Ich rannte Richtung Westen, den Mexikaner hinterher. Über das Headset war ich mit Marco in Kontakt. In dem ganzen durcheinander von Menschen und Autos habe ich die drei Mexikaner verloren. Ich suchte im lauf nach Contreras. Er war 8 Meter rechts hinter mir. Ich hörte in all dem Chaos ein Motorrad von links aus einer Querstraße kommen und sah die Kalaschnikow des Sozius zu spät. Der Sozius schoss in meine Richtung. Ich rannte auf das Motorrad zu. Zu dieser Zeit hatte ich kein freies Schussfeld. Zu viel Leute kamen von links und rechts auf mich zu gelaufen. Vor mir brach eine Frau durch die Schüsse aus der Kalaschnikow zusammen. In dem Moment als sie zu Boden sackte, schoss ich zweimal auf den Mann mit der Kalaschnikow.“
Cosima weinte und drückte seine Hand immer fester.
„Unkontrolliert schlugen plötzlich überall die Patronen aus der AK47 ein. Ich ließ mich auf den Boden fallen und suchte noch im fallen nach Contreras. Ich brauchte schließlich Feuerschutz. Dann kniete ich und feuerte zweimal auf den Fahrer von den Motorrad. Ich stand wieder auf und rannte die wenigen Meter auf den Mann mit der AK47 zu. Ich sah dass er sich bewegte, im lauf, suchend nach den Mexikaner und Contreras, schoss ich dem Terrorist instinktiv in den Kopf.“
Alle drei Frauen am Tisch stockte der Atem.
„Polizisten liefen auf mich zu. Ich brüllte, „Area not clear.“ Ich suchte den Fahrer von dem Motorrad. Ich wusste nicht, ob er eine Waffe oder Sprengstoff bei sich hatte oder ob er noch lebte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen Feuerschutz und wusste nicht wo Contreras war. Ich sah das Motorrad und den Mann gute 5 Meter vor mir rechts liegen. Er hatte einen schwarzen Rucksack unter sich. Er bewegte sich leicht und ich zielte sofort auf sein Genick. Er war aber tot. Wahrscheinlich waren es noch Reflexe der Muskeln. Ob er durch mich oder durch den Aufprall mit dem Fahrzeug starb, kann ich nicht sagen. Marco war immer noch in Kontakt mit mir. Ich fand schließlich einen Mexikaner mit Schussverletzung. Warum er hinter mir war erklärt sich mir nicht. Wahrscheinlich hatte er Panik bekommen und ist zurück gelaufen. Contreras fand ich zwischen zwei Autos auf der rechten Straßenseite mit einer Schussverletzung liegen. Er hatte einen Durchschuss am Oberarm und blutete am Kopf. Wahrscheinlich durch den Sturz. Ich machte sofort einen Druckverband bei ihm. Zu diesem Zeitpunkt war die Lage auf der Kreuzung immer noch nicht sicher. Dann hörte ich Sirenen. Marco bestätigte mir, dass sie alle zu diesem Tatort gerufen wurden. Die Sanitäter waren schnell vor Ort. Ich gab ihnen den aktuellen Status an dem Tatort und sie kümmerten sich sofort um Contreras und den einen Mexikaner. Ich suchte die zwei Kollegen von ihm, er konnte mir nicht sagen wo sie waren. Fand sie circa 20 Meter weiter in einem Hauseingang liegen. Beide waren unverletzt.“ „Okay. Super. Das ist genau nach Protokoll“ sagte Sabine.

Hannes zündete sich eine Zigarette an und goss sich Tee in sein Glas. Er zog an der Zigarette und trank zwei Schluck Tee.
„Als die Lage etwas übersichtlicher wurde, gab ich den aktuellen Status an einen Polizei Hauptmann weiter. Marco sagte ich, dass er Emily über die beiden Verletzten informieren sollte. Dann fuhr uns die Polizei zu meinem Auto. Im Hotel übergab ich die beiden Mexikaner an Sabine. Im Büro musste ich meiner Wut erst einmal Luft verschaffen.“ „Okay. Super. Sehr gut. Deine Aussage kann ich und wahrscheinlich alle im Hotel bestätigen, denn laut genug warst du.“
Hannes zog die Schultern hoch. Er nahm sich ein Stück Fladenbrot und bestrich dies mit Akazienhong.

„Ich bin irgendwann am Montagabend eingeschlafen. Marcel kam mit zwei Dosen Bier in mein Zimmer. Ich hatte mich noch über den Zustand der beiden Verletzten bei Emily informiert und war noch in meinem Büro und hatte mit Hattie telefoniert. Die ganze Nacht war ich wach in meinem Zimmer. Mein Hirn konnte nur noch Fetzen zusammen setzen. Sabine kam in mein Zimmer. Ich kann nicht sagen welche Uhrzeit und auch nicht den Tag.“ „Dienstag. Es war Dienstag, der 25. September um 9 Uhr“ sagte Sabine.
„Danke. Ich saß an der Wand auf meinem Bett und hatte eine duchgeladene und nicht gesicherte Waffe in der Hand.“ Cosima und Emily sahen ihn erschrocken an. Sabine machte ein Handzeichen und Hannes nickte ihr zu. Sie stoppt die Aufnahme.
„Hannes, bei allem Respekt, aber ich denke, dies sollte niemand etwas angehen.“
„Wieso? Ich zielte auf das Telefon.“
Sabine legte den Kopf zur Seite und sah ihn schweigend an.
Hannes nahm einen Schluck Tee und biss in sein Brot.
Die Blicke von Emily, Sabine und Hannes trafen sich.
„Hannes, Sabine hat recht. Was auch immer du eben erwähnt hast, könnte irgendwann negative Konsequenzen für dich haben. Wir sind Freunde und deine Worte bleiben auch bei uns und werden diesen Raum nicht verlassen.“
Hannes biss erneut in sein Brot und nickte.
Sabine spulte die Aufnahme zurück.
„…tember um 9 Uhr.“

Die drei Frauen bedienten sich an dem reichhaltigen Frühstück und nach einer kurzen Pause fragte Sabine, ob es weiter geht könnte. Hannes nickte ihr zu.
„Wow! Dienstag. Ich sprach mit Sabine über den Einsatz und dass ich von meinem Traum: Bildung für Kinder, schon zu weit weg bin. Sie sagte mir, dass ich mit in die Niederlande zu Dr. Erik de Joost gehen sollte. Dort wären Kinder, die mich bräuchten.“
Sabine und Emily nickte ihm zu und er machte ihnen ein Petzauge.
„Nach dem Gespräch mit Sabine kam Hattie zu mir. Uhrzeit kann ich nicht sagen.“ „Dienstag 14.30 Uhr.“ „Danke. Hattie brüllte mich an, warum ich keinen Schutzhelm trug. Ich gab ihr die passende Antwort.“
Sabine nickte „Die Unterhaltung mit Hattie habe ich bereits Protokolliert.“ „Sehr schön. Irgendwann kam Sabine wieder in mein Zimmer. Ich war nackt und im Begriff mich anzuziehen. Sabine sagte, dass ich Besuch hätte. Als sie den Namen von meinem Besuch sagte, zog es mit den Boden unter den Füßen weg. Ich war noch nicht einmal in der Lage mich selbst anzuziehen zu können. Mit Sabine ging ich die Treppe hinunter in die Lobby. Ich sah den Engel aus dem Orient vor mir. Mein Hirn konnte gar nicht mehr denken. Wie begegne ich dem personifizierte Super Model? Ich sah, dass Cosima weinte. Ich nahm sie in die Arm und in diesem Augenblick gaben meine Beine nach. Uhrzeit kann ich nicht sagen.“ „Kurz nach 16 Uhr am Dienstag.“ „Danke. Ab dann ist vieles verschwommen. Ich sah Gesichter, hörte Worte, die ich nicht wiederholen kann. Bin irgendwann aufgewacht und wusste nicht wo und wann.“
Emily gab darüber Auskunft „Du warst am Dienstag nach 16 Uhr völlig weggetreten. Du hattest einen Schock und den sehr heftig! Ich gehe davon aus, dass du von Montag auf Dienstag schon diesen Schock hattest und es ist niemand aufgefallen. Diesen Fehler habe ich mir zuzuschreiben. Du warst in einem lebensbedrohlichen Zustand! Du hattest eine schwere Kreislaufstörung. Kurz vor dem Treffen mit Cosima sollst du sehr schwer geatmet haben. Aussage von Sabine. Da bei einem solchen Schock die Blutzirkulation in den Kapillaren vermindert ist und als Folge eine Sauerstoffunterversorgung der Gewebe und in letzter Konsequenz ein Stoffwechselversagen eintritt, bist du zusammen gesackt. Daher warst du auf deinem Zimmer nicht in der Lage dich anzuziehen. Hannes, … du standst wahrscheinlich kurz vor einem Herzinfarkt oder Hirnversagen! Das du überhaupt noch aufrecht gehen konntest, ist mehr als ein Wunder! Ich hatte dir sofort 200 mg Noradrenalin gespritzt. Dein Zustand hat sich im Herzrhythmus nicht verbessert und so hatte ich dir zweimal 300 mg Erythrozytenkonzentrat gespritzt. Ich dachte du stirbst! Die folgende Nacht hatte ich ein EKG und eine Pulsoymetrie bei dir gemacht. Bonnie, Marcel, Cosima und Sabine waren die ganze Nacht bei dir. Das EKG war an eine Grenze gekommen, an der ich kurz davor war, dich zu defibrillieren.“
„Meine Güte! Was ist heute für ein Tag?“ „Donnerstag, 27. September. Wir führen auch jetzt dieses Gespräch, um eine Anamnese zu verhindern und um zu schauen wie weit dein Gehirn geschädigt wurde. Immerhin warst du 16 Stunden gar nicht ansprechbar. Die anderen 24 Stunden warst du zum Teil bei Bewusstsein, trotzdem gab ich oder Bonnie dir im Abstand von vier Stunden Medikamente um dein Herzkreislauf zu stabilisieren.“
Hannes schaute Cosima an und schüttelte den Kopf „Da soll mal jemand sagen, eine Kalaschnikow bringt einen um. Es reicht auch ein Schock.“
„Am Mittwoch um 14.48 Uhr bist du bei mir auf der Krankenstation wach geworden. Kannst du dich an das erinnern, was Cosima dir gesagt hatte?“
Er sah Cosima an „Oui. oui, Madame Schayani. Je peux me souvenir de ça! Ja, Emily, ich kann mich daran erinnern. Eine Frage hätte ich jetzt an Cosima.“
Sie sah ihn an und wartete auf seine Frage. „Bei unseren Gesprächen 1989 im Super Marché und auf der Beerdigung von Patricia, hattest du gelogen! Du hattest damals nicht den Mut gehabt mir zu sagen, dass du mich liebst. Ist dies korrekt?“
Cosima schloss ihre Augen und nickte langsam.
Sie sah zu Emily, Sabine und dann zu Hannes „Oui. Ich konnte es nicht sagen. Es war keine Eifersucht oder Hass gegen Patricia. Ich liebte dich. Ich gönnte es Patricia aber auch. Ehrlich! Ich kannte Patricia seit der 5. Klasse. Sie war schwer krank und niemand gab ihr Hoffnung, dass sie ihren 12. Geburtstag überlebt. Als sie dich 89 getroffen hatte, veränderte sie sich. Du hattest dieser Frau und meiner Freundin die schönste und beste Zeit ihres kurzen Leben gegeben.“
Emily und Sabine saßen regungslos auf ihren Stühlen.
„Im Super Marché hast du zu mir gesagt, dass meine Schönheit der Preis einer oberflächlicher Liebe sei. Ich hatte viereinhalb Jahre später deine Worte begriffen und seit dieser Zeit keinen Mann mehr an meiner Seite. Du hattest mit deinen Worten recht gehabt. Ich wurde wie eine Puppe vorgeführt. Diese Erkenntnis tat mir im Herz weh.“
Cosima fing an zu weinen.
Sabine drückte auf die STOPP Taste des Aufnahmegerätes.
„Alles weitere brauche ich nicht mehr aufzuzeichnen. Danke für deine Aussage.“

Emily entfernte die Saugknöpfe auf seiner Haut und gemeinsam fingen sie an zu frühstücken. Hannes bestellte noch eine neue Kanne Tee auf sein Zimmer.
„Frau Doktor med. Emily Collins, ist mein Hirn noch einigermaßen in Takt?“ „Deine Erinnerungen sind noch da. Ich kann hier keine Hirnströme messen, aber von der fachlichen Seite, sage ich – ja. Wie fühlst du dich jetzt? Sind deine Hände kalt, hast du Kopfschmerzen oder inneres zittern?“ „Nein. Emily, es ist alles in Ordnung – hoffe ich doch.“ „Lass uns später bitte noch ein EKG machen; okay?“ Hannes nickte ihr lächelnd zu.
„Frau Diplom Psychologin Sabine Wagner, wie beurteilst du mich? Es muss kein ausführlicher Bericht sein. Ne Kurzfassung reicht mir.“ „Hannes, du kommst wieder dort hin, wo du warst und wie jeder dich kennt. Was du in deinem Leben erlebt hast, kommt irgendwann zurück. Du arbeitest wie blöd und setzt dich permanent für andere Menschen ein. Gerade in Afghanistan ist es sehr schwierig die Sicherheitslage richtig einzuschätzen. Dies hast du in den letzten Monaten immer hundertprozentig gezeigt – und auch so gehandelt. Die Terroranschläge die du erlebt hast. Der beinahe Tod von Amira, die gebrochenen und geschundenen Seelen der Mädchen und Frauen in dem Frauenhaus, all dies ist in dir. Deine ewige Verzweiflung an dir und der Tod von Patricia. Du bist auch nur ein Mensch. Ich stelle jetzt eine These auf, die nicht fachlich, sondern menschlich ist.“
Sie schaute Hannes und Cosima lange an bevor Sie weiter sprach „Als du Cosima am Dienstag gesehen hast und sie in deinen Armen war, bist du zusammen gesackt. Du hast den Halt gesucht und gefunden und in dieser Sekunde gewusst, du bist nicht mehr alleine auf dieser Welt. Ich behaupte zu sagen: Cosima hat dir am Dienstag das Leben gerettet. Wie Emily schon sagte, war dein Zustand lebensbedrohlich.“
Er sah Cosima an und ihm schlug das Herz bis in den Hals. Dann sah er Emily und Sabine fragend an.
Sabine grinste breit „Ja, Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
Hannes sah dieses engelsgleiche Gesicht einer Iranerin vor sich und küsste diese wunderschöne Frau lange auf den Mund.
Er wollte sich nie mehr von dieser Schönheit lösen. Ihn überkam plötzlich eine Scham, wie bei einem kleinen Jungen, der von seinen Eltern entdeckt wurde, etwas falsches getan zu haben. Mit leicht rotem Kopf trennte er sich von Cosima und sah sogleich an Emily und Sabine vorbei.
Emily und Sabine klatschten sich ab und grinsten.
„Ja, Chef, du kommst wieder in die Spur“
„Ich danke euch. So wie es aussieht, habt ihr drei mir das Leben gerettet.“

Freitagmorgen 7.20 Uhr

Es war eine Nacht, nach der er sich sehr lange gesehnt hatte: ein Frau neben sich liegen zu haben. Es tat ihm gut jemand zu spüren, zu streicheln und fest zu halten. Cosima war mit ihren 37 Jahren eine Frau, wie es nur wenige auf dieser Welt gab. Groß, schlank und von einer atemberaubenden natürlicher Schönheit.
Sie war tatsächlich das personifizierte Super Model und hätte für die größten Modelabels dieser Welt deren Kollektionen auf den Laufstegen in New York, Mailand, Florenz, London und Paris tragen können.
Der Engel aus dem Orient, mit Iranischen Wurzeln, lag neben ihm im Bett. Vor vier Nächten saß er auf diesem Bett und wollte sein Leben beenden, nun lag die wohl schönste Frau aus Frankreich bei ihm. Er streichelte ihr Gesicht, sie öffnete ihre wunderschönen Augen.
„Désolé, je ne voulais pas te réveiller.“ „Du hast mich nicht geweckt. Ich bin schon lange wach. Ich habe dich atmen gehört. Ich habe Angst, dass du noch einen Herzinfarkt bekommst.“ „Das EKG gestern Abend war doch gut.“
Sie sah ihn mit ihren unglaublich schönen Augen an „Gut? Monsieur, gut ist etwas anderes.“ „Hmmm. Wenigstens mein Hirn funktioniert wieder, oder es sind am Dienstag eine Milliarde Gehirnzellen abgestorben und ich bin wieder der Klassenkasper von früher.“
Cosima nahm Tief Luft „Das ist nicht lustig! Du begreifen immer noch nicht, dass dein Leben an einem Seidenen Faden hing.“ Sie fing an zu weinen.
„Doch. Doch, Cosima, ich begreife. Vor vielen Jahren fragte mich in Fréjus ein alter Mann mit Baskenmütze, ob ich an Gott glaube. Ich sagte: Nein. Am Dienstag sah ich den Engel, den Gott mir geschickt hat. Als ich dich gestern gefragt habe, ob du ein Engel bist, wusste ich nicht auf welcher Ebene im Leben ich tatsächlich war. Ich wusste noch nicht einmal ob ich überhaupt noch Lebe.“
Sie küsste ihn und hielt in fest in ihren Armen „Du lebst! Du lebst noch. Hannes, ich habe die Aufzeichnung vom Montag gehört! Was du in diesen Minuten erlebt hast, kann sich kein Mensch auf dieser Welt auch nur annähernd vorstellen. Ich habe die Schüsse gehört. Habe gehört, wie du in Bruchteilen von Sekunden die Lage unter Kontrolle gebracht hast. Dir haben viele Menschen ihr Leben zu verdanken. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welchen Anblick du hattest, als die Frau vor dir tot auf den Boden fiel und du geschossen hast.“ „Es ist vorbei. Lass uns frühstücken gehen. Ich habe Hunger.“

Frühstück mit Freunden

In Konferenzraum neben seinem Büro wurde für sie gedeckt. Sein komplettes Team war da, auch Hattie, Marco, Tamina, Chris und Stacey.
Hannes stellte Cosima den Personen vor, die sie noch nicht kannte. Es war ein gutes Gefühl mit den Menschen zusammen zu sein, die ihm so viel bedeuteten. Er dankte seinen Mitarbeiter und Freunde für ihre Hilfe, Unterstützung und die Anteilnahme von seinem Schock.

Nach dem fürstlichen Frühstück nahm Cosima die Hand von Hannes und erzählte seinem Team von der Odyssee ihrer Liebe. „Als Hannes mit Patricia 1990 nach Kambodscha ging, habe ich angefangen Journalistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft zu studieren. Nach dem Studium war ich bei einer Lokalen Zeitung in Metz als Volontärin. Im Flur hingen einige Fotos die die Highlights der Zeitung zeigten. Natürlich hing auch die Liebeserklärung von Hannes, die Aktion mit der Feuerwehr Drehleiter an Patricia’s 19. Geburtstag dort. Täglich sah ich dieses Foto und täglich gab es mir einen Stich ins Herz. Ich habe mich in meinem Beruf unglaublich eingebracht und kam zu Télévision Française 1. Dort erst als Redakteurin, dann Moderatorin für Lokalnachrichten bis zu der Moderation von „Journal de 20 heures“. Dies ist die tägliche 20 Uhr Nachrichtensendung und gehörte zu den meistgesehenen Fernsehnachrichtensendungen in Europa.“ Am Tisch hörte jeder aufmerksam und mit großem Respekt der Vita von Cosima zu.
Sie streichelte Hannes und sagte weiter in die Runde „Dieser Mann hatte mir im Dezember 1989 klare und unmissverständliche Worte gesagt. Wochen zuvor wollte er mir eine Ohrfeige verpassen.“ Sie gab ihm einen Kuss und streichelte seine rechte Wange „Meine Schönheit sei der Preis von oberflächlicher Liebe. Hannes hatte recht! Ich wurde von meinen damaligen Freunde nur vorgeführt. Sie waren alle so stolz auf sich, eine so schöne Frau im Bett zu haben. Ich wurde regelrecht vergewaltigt, denn diese Männer scherten sich einen Dreck um mein persönliches Verlangen nach Liebe – ich meine nicht die körperliche Liebe.“
Mit zum Teil offenen Münder verfolgte die kleine Gruppe ihre direkte Offenheit.
„Nach dem Tod… von Patricia“ sie schluckte die Tränen herunter „wollte ich diesen Mann haben. Drei Jahre habe ich fast jede Nacht geweint. Ich weinte, weil ich nicht meinen Mut nehmen konnnte, um ihm meine Liebe zu gestehen. 2003 flog ich endlich nach Kambodscha. Ich reiste wochenlang durch dieses Land auf der Suche nach ihm. Ich fand seine Handschrift in Schulen und Infrastrukturen in ganzen Land, nur war ich zu spät.“
Den Frauen am Tisch liefen die ein oder andere Träne die Wangen herunter. Die Männer saßen wie versteinert am Tisch.
„Ich stand in tropischen Wälder vor der „Lefévre School“. Ein Denkmal an meine Freundin und die Frau von Hannes. Ich hatte Tränen in den Augen. Eine französische Lehrerin kam auf mich zu und war sehr besorgt um mich. Sie stellte sich als Clodette Léglise vor und nahm mich mit in die Schule. Ich sagte Clodette woher ich Patricia und Hannes kenne. Sie erzählte mir an diesem Nachmittag und den darauf folgenden vier Tage so vieles von den beiden, dass es mich mit Stolz erfüllt Patricia und Hannes als meine Freunde nennen zu können. Nach meinem Urlaub nahm ich all meinen Mut zusammen, um Hannes zu suchen. Wo sollte ich nach einem ruhelosen Mann suchen? Also fing ich an, den Menschen, denen ich im Sender vertraute, von meiner Liebe zu erzählen. Zwei Dutzend Volontäre und Redakteure suchten dreieinhalb Jahre auf der ganzen Welt nach ihm. Sie suchten nach Beiträgen, Meldungen und Nachrichten von Projekte, die nur er machten konnte.“
Hannes sah Cosima ungläubig an und schüttelte immer wieder den Kopf.
„Ein Sender aus Kenia berichtete von einem Schulprojekt im Sudan. Das war seine Handschrift! Ich hatte eine Spur von Hannes.“ Cosima wischte sich ein paar Tränen weg und zog die Nase hoch.
„In der Redaktion wurde endlich entschieden, darüber zu berichten. Ich konnte den Chefredakteur überzeugen, vor Ort eine Reportage zu machen. Bis dies alles genehmigt war, vergingen Wochen – denn es war nicht tagespolitisch brisant. Mit einem Kamera- und Tonmann machte ich mich auf den Weg nach Ost- und Westafrika. Nach zwei Wochen fanden wir die Schulen. Auf dieser Suche wurde… wurde auf mich geschossen.“
Emily setzte sich jetzt neben Cosima und fragte, ob sie etwas zur Beruhigung bräuchte, sie nickte und Emily gab ihr eine Tablette. Alle anderen im Raum trauten sich noch nicht einmal zu atmen, bei dem was Cosima erzählte.
„Vom Sudan ging es nach Burkina Faso, auch dort war er gewesen. Mittlerweile weiß ich auch, dass Marcel Chevalier bei ihm war. Marcel, danke, dass du auf ihn aufgepasst hast. Tu es une bonne personne.“
Marcel nickte Cosima zu „Hannes ist mein Freund.“ „Je sais que. Ich weiß. In Accra, in Ghana, hatten wir eure Spur verloren.“ Cosima schluckte die Tränen herunter. „Mein Gott, was für ein Trip“ sagte Hattie leise, aber so, dass es immer noch jeder am Tisch hören konnte.
„Ich musste wieder zurück nach Paris. Ich musste schließlich das „Journal de 20 heures“ moderieren. Ein gutes halbe Jahr später, fand ein Volontär einen Beitrag aus Australien über ein Frauenhaus in Afghanistan. Es war eine Spur – wenn auch nur eine kleine. Vor einer Woche tauchte ein Video in den USA auf. In diesem Video sah… sah ich Hannes in eben jenem Frauenhaus.“
„Dies ist die Urheberin von dem Video“ unterbrach Hannes sie und zeigte auf Stacey, die schräg gegenüber Cosima saß.
Cosima nickte ihr zu und sagte leise „Merci beaucoup, Stacey. Ich danke dir von ganzem Herzen für diese Bilder.“
Stacey wollte etwas sagen, ihr kamen aber keine Worte über die Lippen. Sie nickte Cosima zu.
Cosima wischte sich erneut ihre Tränen weg „Am … am… Sonntagnacht bin … ich dann endlich von… von… Paris nach Kabul geflogen. Durch den Sender weiß ich von … von… diesem Haus und wurde vom Flughafen direkt hier her gefahren.“ Das reden fiel ihr immer schwerer. Cosima nahm mehrmals Tief Luft „Als… als… ich hier ankam, wurde … ich von Tamina begrüßt. … Ich… ich… sagte wer ich bin, zeigte ihr meinen Presseausweis und … und… fragte nach Hannes. Als sie sagte, dass… dass… er hier… in… im… diesem… Haus sei… brach ich vor ihr zusammen. … Tamina rief sofort Emily. In… in… dem Gespräch mit ihr stellt sich heraus, dass … dass… Hannes ihr Chef ist und ich fing an zu weinen. Nun, … den Rest kennt ihr.“

Jeder am Tisch hatte Tränen in den Augen bei dem was Cosima ihnen erzählte hatte.
Die Worte von Cosima wirken nach. Lange sagte niemand etwas.
Hannes sah in die Runde seiner Freunde und Kollegen und dann sah er in die kastanienbraunen Augen von Cosima.
„Und ich dachte eine Feuerwehr Drehleiter sei groß. Cosima, dass war es noch nicht einmal im Ansatz.“

Gedanken über die Zukunft

Gegen Mittag saßen Cosima und Hannes im Park unter den Bäumen, das Wasser vom Springbrunnen im Hintergrund plätscherte leise. Sie hatte ihre langen Beine auf seinen liegen und hielt seine Hand fest. Sie sah ihn lange an und er sah in ihre wunderschönen iranischen Augen.
„Ich weiß wie sehr du Patricia geliebt hast. Gibt es in deinem Herz eine Chance für mich?“
Er sah sie an, sah weiter in ihre kastanienbraunen Augen.
„Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Hattie hatte am Dienstag zu mir gesagt, dass ich die Vergangenheit nicht mehr ändern kann, wohl aber meine Zukunft. Das du mich hier in Kabul gefunden hast, habe ich deiner Liebe zu verdanken. Das ich noch lebe – auch. Ich will und muss endlich nach vorne schauen. Ja, Cosima, in meinem Herz ist Platz für deine Liebe.“ Sie setzte sich auf seinen Schoß und sie küssten sich lange.

Fahim, Farahnaz und Sahar brachten Tee, Gebäck, dicke Kissen und Decken zu ihnen in den Park. Farahnaz breitet zwei großen Decken unter einer Pappel nahe der Buchsbaumhecke aus und Sahar legte vier schwere dicke rote Kissen drauf. Fahim stellte das große Tablett etwas schräg links oben auf die Decke.
„Hannes, Cosima, kommt. Genießt den schönen Tag unter dem Baum.“

„Madame Schayani, herzlich willkommen in Afghanistan. Lass uns Picknick machen.“ Hannes zog Cosima von ihrem Stuhl und Hand in Hand gingen sie die 10 Meter zu dem für sie eingerichteten Lager unter einer Pappel. Beide bedankten sich bei den drei Frauen für diese Aufmerksamkeit.

Cosima lag mit ihren Kopf auf seiner Brust uns aß Feigen. Hannes sah viele Bilder aus der Vergangenheit und wollte dies Cosima nicht sagen. Durfte er an Patricia denken, wenn er Cosima streichelte? Bei aller Romantik kamen auch wieder seine Zweifel hoch: konnte er sich jemals wieder in eine Frau verliebt ohne an Patricia zu denken?

Der Lärm von Kabul hörte man in diesem wunderschönen Park gedämpft und man konnte tatsächlich vergessen, dass man in einem der gefährlichsten Ländern der Welt war.
„Es ist wirklich schön hier. Man kann vergessen wo man ist“ sagte Cosima und reichte Hannes eine Dattel.
„Komisch, gleiches habe ich eben gedacht.“
Cosima drehte ihren Kopf nach links und sah Hannes an „Du berührst mich auf eine unbeschreibliche Art.“
Hannes nickte leicht und biss sich auf die Lippen.
„Was? Was hast du?“ Fragte Cosima. „Nichts. Alles gut.“
Cosima setzte sich auf und sah ihn fordernd an.
„Also gut. Was du eben gesagt hast, hatte auch Patricia oft gesagt. Tut mir leid. Ich wollte die Romantik mit dir nicht zerstören.“ „Oh Hannes, du hast nichts zerstört. Mir war klar, dass unsere Liebe nicht einfach werden wird. Immerhin liebe ich den Mann von meiner verstorbenen Freundin. Glaubst du mir fällt dies leicht? Ich habe oft mit Gott – und auch Psychologen gesprochen, ob es richtig ist was ich tue? Begehe ich mit meiner Liebe zu dir einen Verrat an Patricia? Ich hatte dich gefragt, ob in deinem Herz Platz für mich ist. Und du hast ja gesagt. Nun liegen wir hier unter einer Pappel und müssen mit dem klar kommen, was wir wollen.“
„Pourquoi l’amour doit-il être si compliqué?“ Sagte Hannes und streichelte Cosima’s Gesicht.
Sie lachte „Nun hast du ausgesprochen was ich gedacht habe. Ja, warum muss die Liebe so kompliziert sein? Wie geht es nun weiter mit uns? Wo willst du hin? Was willst du machen?“
Hannes zog die Schultern hoch „Ich weiß es nicht. Am Anfang von diesem Einsatz hat mir ein guter Journalist aus Australien, von dem der Beitrag über das Frauenhaus ist, einen Vorschlag gemacht, doch in die Medienindustrie zu wechseln. Nun – eine kluge und erfahrene Begleiterin hätte ich. Auch wenn ich ab nächster Woche in Thionville wohnen kann, meine Wurzeln sind nicht mehr dort. Ich bin in der Firma der Sicherheitschef für Afghanistan, ich mag kein Terror, Krieg und Tod mehr. Mein Traum ist und bleibt die Bildung für Kinder.“ „Komm mit mir nach Paris. Ich habe ein Haus in Montmartre. Dort fangen wir neu an – egal welche Startschwierigkeiten wir haben. Komm mit zu mir.“
Hannes nickte dieser schönen Frau aus dem Orient zu „Oui, Madame Schayani, c’est une bonne idée. Lass uns neu beginnen. Vorher müsste ich aber noch nach Korsika.“ „Korsika…?“ Sie sah in mit ihrem Engelsgesicht fragen an.
„Billard spielen…“
Es dauerte einen Moment bis Cosima es verstanden hatte und lachte „Du wirst dich niemals ändern.“ „Claude ist mein Freund.“
„Hast du noch Kontakt zu ihm?“ „Ja. Ist eine längere Geschichte.“
Cosima gab ihm einen Kuss „Na, dann. Auf nach Korsika. Monsieur Moreau wird aus allen Wolken fallen, wenn wir bei ihm vor der Tür stehen. Ich habe Claude zuletzt auf der Beerdigung gesehen. Weist du Hannes, du hast in all den Jahren einen großen Teil der Schulklasse von Patricia zusammengehalten.“ „Oui Madame, und dies sogar ohne Abitur.“
Hannes nahm den Engel aus dem Orient in seine Arme, roch diese unglaublich schöne Frau und küsste sie sehr lange.

Manege frei für den 16. Trierer Weihnachtscircus 2022

Circus ist International. Circus verbindet Kulturen und Circus ist Kultur.

Manege frei für Robin Orton aus Tschechien

Mit seiner Darbietung als Jongleur zeigt er bravourös sein Können. Es folgt Rola-Rola-Akrobatik auf Rollen und Bretter. Robin balanciert auf übereinandergestapelten Rollen auf einem Brett und steigt dabei noch durch einen Reifen.

Aus einer Rolle und Brett, werden es mehr Rollen und Bretter. Mit jeder weiteren Rolle wird es spektakulärer.

Manege frei für die mehrfach Ausgezeichnete Sheyen Caroli aus Italien

Sheyen ist Kontorsionistin – sie kann ihren Körper in scheinbar unmöglicher Art verbiegen, als ob sie keine Knochen hat.

Der Höhepunkt ihrer Darbietung ist der Schuß mit einem Bogen. Sheyen hält mit dem rechten Bein den Bogen und spannt mit dem linken Fuß die Bogensehne und schafft in dieser Körperhaltung den Pfeil in die Mitte der Zielscheibe zu schießen.

Manege frei für Mr. Jumping

Er wurde erst kürzlich auf dem 22. Internationalen Circusfestival in Warschau ausgezeichneten.

Seine Darbietung an Akrobatik und Clownerie mit und am Trapez wurde von der Fachjury mit Recht in Silber belohnt.

Manege frei für Andrei Bocancea aus Moldawien

Mit seiner Hundeshow zeigt Andrei und seine vier Hunde mit Spaß und Freude ihr Können in der Manege.

Ob rollen, springen oder aufrecht gehen, scheint für seine Hunde kein Problem zu sein.

Manege frei für Viktoria Yudina aus der Ukraine

Viktoria zeigt ihre Poleakrobatik an einer Stange in Perfektion. Poleakrobatik ist längst keine Bewegung mehr, die sich nur in entsprechenden Lokalen mit leicht bekleideten Damen findet.

Weltweite Sportveranstaltungen in diesem Genre brachte es nun auch in den Circus. Die
Bewegungselemnte von Viktoria zeigen Grazie, Körperbeherrschung und Anmut in Perfektion.


Manege frei für Fatime Horvath aus Bulgarien

Fatime präsentiert dem Publikum ihre Katzendressur. Spielerisch und mit Spaß zeigen ihre Katzen ihr Können. Auch wenn es locker aussieht, bedarf es einer langen Dressur mit viel Geduld, denn wir alle wisen, wie eigenwillige Katzen sind.

Fatime’s Katzen balancieren über Zylinder, hangeln sich unter einem Brett von links nach rechts oder springen durch Reifen.

Manege frei für Zdenek Orton Jr aus Tschechien

Zdenek führt dem Publikum seine Darbietung mit Diabolos vor. Schnell und gekonnt fliegen die Diabolos bis unter die Circuskuppel.

Manege frei für Tobias Schandel aus Österreich

Mit seiner Pony-Dressur führt Tobias dem Publikum so einige Kunststücke seiner kleinen Vierbeiner vor. Zurecht wurde er für seine Darbietungen beim internationalen Circus-Nachwuchsfestival in Monte Carlo mit dem silbernen Clown ausgezeichnet.


Manege frei für Rudi Janecek aus Tschechien

Rudi stammt aus einer Circusfamilie, die Preisträger des internationalen Circusfestival von Monte Carlo sind.
Es gibt wohl kaum jemanden auf der Welt, der schneller jonglieren kann an Rudi.

In einer atemberaubenden Geschwindigkeit drehen und fliegen seine Keulen durch die Manege. Das Auge hat kaum eine Chance diese Geschwindigkeit wahrzunehmen. Mit bis zu 7 Keulen zeigt er die Perfektion seiner Jonglage.

Manege frei für die Orton Familie aus Prag

Sie zeigen mit Bravour wie man Musik und Clownerie verbinden kann. Neben der Slapstick Clownerie gibt es auch noch den klassischen Clown.

Die Orton’s präsentieren klassisches und musikalisches Clown-Entrée, welches mittlerweile zu den Raritäten in der Circuswelt gehört.

Manege frei für Yuliia Melnyk und Roman Yastremskyi aus der Ukraine

Die beiden Strapaten-Künstler zeigen
eine Luftakrobatik welche an Anmut und perfekter Körperbeherrschung wohl kaum noch zu übertreffen sind. Jede Drehung und Akrobatik an den Strapaten ist ein Hochgenuss für das Publikum.


Text: Naike Juchem Fotos: Alexandra Westermeyer und Naike Juchem

Impressionen vom 16. Trierer Weihnachtscircus

Weihnachtsgrüße

Foto: unbekannt

Frohe Weihnachten
Joyeux Noël
Merry Christmas
Vrolijk Kerstfeest
God jul
Feliz Natal
Wesołych Świąt

Euch allen Frohe Weihnachten zu wünschen wäre etwas banal. Wir schauen in der Besinnlichen Zeit auf ein Jahr zurück, wie es turbulenter nicht sein könnte.
Die Energiekosten und Lebensmittelpreise gehen seit Monaten durch die Decke und als Grund wird der Krieg in der Ukraine genannt.
Einige Lebensmittel sind nicht mehr lieferbar und als Grund wird der Krieg in der Ukraine genannt.
Baustoffe, Autoteile oder sonstige Dinge sind kaum lieferbar oder erst nach Monaten. Grund wird der Krieg in der Ukraine genannt.

Ein Mikroskopisch keiner Virus geistert auch noch über die Welt und auch hier hören und lesen wir von Irrsinn über Unverständnis bis zu völligem Schwachsinn alles, was man sich nur vorstellen kann.
Immer noch gibt es Gut gegen Böse, Geimpft gegen Ungeimpft, Wissenschaft gegen Schwachsinn. Und wir mittendrin.

Wir erleben im Internet und der Realität einen Hass in einem Ausmaß wie dieser schlimmer nicht sein kann. Wer nicht der gleichen Meinung ist, wird als der Feind angesehen.

Das Internet verkommt mit seinen Sozialen Netzwerken zu einer Verzerrungen der Fakten und Tatsachen. Menschen mobilisierten sich um gegen eine gefühlte beschneidung ihrer Menschenrechte, um ihren Hass und Gewalt öffentlich zu zeigen.

Sogenannte Klimaaktivisten kleben sich auf Straßen fest, um so gegen einen globalen Kollaps zu demontieren. Sie zerstören Kunstwerk und beschädigen fremdes Eigentum. Wo dort ein Protest für die Klimaveränderung zu sehen ist, entzieht sich mir völlig.

Die Welt wächst in ihrer globalität weiter zusammen und entmenschlicht sich im gleichen Augenblick.
Menschen die vor Krieg, Terror, Verfolgung und Armut fliehen, werden an den Grenzen von Europa aufgehalten. Das Boot ist voll. Sorry, geht zurück.
Wohin sollen die Menschen gehen, wenn westliche Regierungen und Geheimdienste an Ausbeutung, Chaos und Rückschritt beteiligt sind?
Dies möchte man in dem heiligen Europa nicht hören und schon gar nicht wissen.

Im April 2020 sagte ich, dass wir nach Corona eine neue Zeitrechnung haben werden. Damals wurde ich ausgelacht. Wenn ich nun die aktuelle finanzielle
Situation vieler Menschen, sind wir auf dem besten Weg dorthin.

Viele Menschen in Mitteleuropa kauften was das Zeug hält. Erst war es Toilettenpapier, Mehr, Hefe und Nudeln. Es folgte ein run auf Tierfutter und Olivenöl. Eine Apokalypse wird prognostiziert und es werden Ängste geschürt. Mit der Angst kann und konnte man schon immer Geld verdienen.
Viel Menschen begreifen nicht, dass eben sie es sind, warum sich die Spirale aus Wahnsinn immer weiter dreht.

Ein turbulentes Jahr geht zu Ende und ich möchte mich bei einigen Menschen bedanken, die zu mir gestanden sind.

Ab Frühjahr wurde ich Opfer von Mobbing und erlebte eine regelrechte Hetzjagd gegen mich. Ihr alle hattete diese Anfeindungen miterlebt, und habt mich in einem ungleichen und unfairer Kampf unterstützt und gestärkt.

Im Juli lief eine beispiellose Suchaktion für Mimi an. Auch hier standen Menschen mit Herz und vor allem Verstand mir tatkräftig zur Seite.
Die Mimi Gruppe ist in den letzten drei Monaten sehr angestiegen und bin dankbar für den Austausch und die Treffen von wunderbaren Menschen. Mit Stolz kann ich sagen, dass ihr alle super tolle Menschen seid und wir eine Gesprächskultur haben, welche man in den Sozialen Netzwerken kaum findet.
Trotzdem erlebe ich immer wieder Anfeindungen, Anzeigen und Beleidigungen gegen mich. Die verrohung macht keinen Halt mehr und aus Neid, Hass und Wut schickt man mir das Veterinäramt und die Polizei. All dies habe ich recht gut weggesteckt.

Ich möchte Menschen sachlich und unterhaltsam informieren. Leider habe ich gemerkt, dass viele für diese Art der Kommunikation nicht bereit sind oder diese gar nicht mehr kennt, weil es sich nur noch um das eigene Ego gedreht wird. Was bekomme ich zurück? Anzeigen, Beleidigungen und Diskussionen die werder zielführend noch inhaltlich etwas bringen.

Ich hoffe, dass das neue Jahr besser wird.

Ich wünsche euch allen eine schöne besinnliche und friedliche Weihnachtszeit.
Bleibt gesund.

Frohe Weihnachten

Naike Juchem, 23. Dezember 2022

Die Sprache der Katzen

Foto: privat

Vier Wege, um zu erkennen, ob Ihre Katze Sie liebt – eine wissenschaftliche Studie von Dr. Emily Blackwell.

Selbst die treuesten Katzenbesitzer fragen sich irgendwann, wenn sie vielleicht mitten in der Nacht schweißgebadet aufwachen, ob ihre Katze sie wirklich liebt. Hundeliebhaber weisen gerne selbstgefällig darauf hin, dass der Hund seit jeher der beste Freund des Menschen ist.

Untersuchungen zeigen jedoch, dass der Ruf der Katze als kaltes und unnahbares Haustier unverdient ist.

Aufgrund ihrer evolutionären Abstammung sind Hauskatzen von Natur aus unabhängiger als Hunde. Die wilden Vorfahren unserer Katzen lebten nicht in sozialen Gruppen, wie es bei Hunden der Fall ist. Im Zuge der Domestizierung entwickelten Katzen jedoch die Fähigkeit, soziale Beziehungen nicht nur zu anderen Katzen, sondern auch zu Menschen aufzubauen.

Auch wenn sie sich nicht wie Hunde auf Menschen verlassen, um sich sicher zu fühlen, zeigen viele Katzen Zuneigung zu ihren Bezugspersonen und scheinen die Gesellschaft ihrer menschlichen Gefährten sehr zu schätzen. Ihre Bindung an den Menschen wird teilweise durch die Erfahrungen beeinflusst, die sie als Kätzchen im Umgang mit Menschen gemacht haben.

Katzen verhalten sich dem Menschen gegenüber genauso wie ihren katzenartigen Freunden gegenüber. Das Geheimnis, ob sich Ihre Katze an Sie gebunden fühlt, liegt also in ihrem Verhalten.

Foto: privat

1. Achten Sie auf den Geruchssinn

Die Fähigkeit, mit anderen Katzen über weite Entfernungen zu kommunizieren, wenn sie nicht mehr physisch anwesend sind, war ein Vorteil ihrer wilden Vorfahren. Unsere Hauskatzen haben sich diesen „Supersinn“ bewahrt und verlassen sich stark auf diese Form der Kommunikation.

Insbesondere nutzen Katzen den Geruchssinn, um Mitglieder ihrer sozialen Gruppe oder Familie zu identifizieren, indem sie ein gemeinsames Duftprofil erstellen. Katzen haben Duftdrüsen an den Flanken, am Kopf und um die Ohren herum und reiben ihren Kopf oft an Menschen und Gegenständen, die ihnen vertraut sind und sie beruhigen.

Reibt Ihre Katze ihren Kopf oder ihre Seite an Ihren Beinen? Das weiche Gefühl, das Sie an Ihren Waden spüren, ist ein großes Kompliment für Ihre Katze, die Sie als Freund erkennt.

Foto: privat

2. Beobachten Sie, wie sie Sie begrüßen

Eines der offensichtlichsten Anzeichen dafür, dass Ihr geliebtes Haustier Sie gern hat, ist die Art und Weise, wie Ihre Katze Sie grüßt. Wenn Katzen Mitglieder ihrer sozialen Gruppe begrüßen, zeigen sie Signale, die auf Freundschaft und den Wunsch nach Annäherung hinweisen. Diese Signale zeigen Katzen auch dem Menschen.

Ein aufrecht gehaltener Schwanz zeigt eine freundliche Absicht (das katzenartige Äquivalent zum Winken) und weist auf Vertrautheit, Vertrauen und Zuneigung hin. Manche Katzen benutzen auch einen aufrechten Schwanz in Form eines Fragezeichens, um jemanden zu begrüßen, den sie mögen, oder um zu signalisieren, dass sie spielen möchten.

Katzen verflechten manchmal ihre Schwänze als Zeichen der Freundschaft, und das menschliche Äquivalent dazu ist, dass sie ihren Schwanz um deine Wade wickeln.

Sich umzudrehen und ihren verletzlichen Unterbauch zu entblößen, ist eine weitere Geste, die zeigt, dass eine Katze Ihnen vollstes Vertrauen entgegenbringt. Katzen bevorzugen es jedoch, am Kopf und im Nackenbereich gestreichelt zu werden, so dass dies in der Regel keine Bitte um eine Bauchstreicheleinheit ist.

Versuche, den Bauch einer Katze zu streicheln, führen oft zu einem hastigen Rückzug oder sogar zu Krallen. Der Zirpen- oder Trillergruß ist ein melodiöses Geräusch, das Katzen machen, wenn sie bevorzugten Personen Hallo sagen. Wenn Ihre Katze also auf diese Weise zu Ihnen singt, können Sie sicher sein, dass sie sich freut, Sie zu sehen.

Das vertraute Gefühl, wenn Ihre Katze Ihre Kniekehlen berührt, kann auch ein Zeichen dafür sein, dass sie eine besonders enge Bindung zu Ihnen empfindet. Der Kopfstoß, die katzenhafte Version des Abklatsches, ist normalerweise den engsten Katzenfreunden und den Menschen vorbehalten, denen die Katze am meisten vertraut.

Foro: privat

3. Achten Sie auf Blinzeln

Möglicherweise signalisiert Ihre Katze ihre Zuneigung auch heimlich durch die Art, wie sie Sie ansieht. Wenn Katzen fremden Menschen oder anderen Katzen, die sie nicht kennen, begegnen, begrüßen sie sie normalerweise mit einem unbewegten Blick. Bei Katzen, zu denen sie eine gute Beziehung haben, blinzeln sie jedoch eher langsam.

Forschungen haben ergeben, dass langsames Blinzeln mit einem positiven emotionalen Zustand verbunden ist und ein Zeichen von Vertrauen, Zufriedenheit und Zuneigung sein kann, ähnlich wie ein menschliches Lächeln. Wenn Sie das Kompliment erwidern möchten, blinzeln Sie und Ihre Katze blinzelt vielleicht zurück. Dies ist eine gute Möglichkeit, eine Bindung zu Ihrer Katze aufzubauen, wenn sie nicht gerne berührt wird.

Leo liegt auf mir. Foto:privat

4. Sie kommen nah heran

Katzen schützen ihren persönlichen Raum sehr und mögen es nicht, wenn ungebetene Gäste in diesen eindringen. Wenn eine Katze Ihnen erlaubt, sich ihr zu nähern, deutet das auf eine enge Bindung hin, vor allem, wenn der Kontakt häufig oder lange andauert.

Wenn sie sich für ein Nickerchen auf Ihrem Schoß zusammenrollt, ist das ein Zeichen für tiefes Vertrauen. Das Ablecken Ihrer Hand oder Ihres Gesichts kann also ein Zeichen der Zuneigung sein, auch wenn sich diese mit Widerhaken besetzten Zungen nicht gerade sanft anfühlen.

Veröffentlicht von Dr. Emily Blackwell, University of Bristol, Großbritannien, 6. September 2022
Foto: privat
 

Nachtwächter Führung durch Stromberg

„Brecht den Krieg ab und stellt die deutschen Feindschaften ein. Die innere Feindschaft richtet uns zugrunde.“

Autorin Naike Juchem

Stromberg, die Stadt der drei Täler, drei Burgen und drei Bäche – der Welsch-, Dörre- und Guldenbach.
Die kleine historische Stadt liegt am südöstlichen Rand des Hunsrücks. Im Westen befindet sich der Soonwald und im Norden der Binger Wald. Stromberg zählt heute circa 3200 Einwohner und die erste Besiedlung wird bereits in der Jungsteinzeit angesehen.

Stromberg liegt an einer historischen Römerstraße die von Bingen nach Trier führte und wurde erstmals im Jahr 1056 erwähnt.

Am 9. Dezember war eine Nachtwächter Führung in Stromberg im Hunsrück. Geführt und in Mundart vorgetragen vom Marianne Wilbert.

Marianne Wilbert führte die kleine Gruppe von circa 20 Besucher sehr ausführlich durch die Geschichte von dem kleinen Ort im Hunsrück.

Geschichte ist sehr interessant, wenn man die Geschichten von Häuser, Plätze – oder gar Luftschutzbunker kennt.
Letzteres war im der Führung nicht enthalten. Dazu später mehr.

Der Start der Führung begann auf dem historischen Marktplatz. Dort steht eine Figur des hl. Jakobus in Pilgertracht. Diese wurde 1780 von dem Mainzer Barockbildhauer Johann Matthäus Eschenbach geschaffen.

Der hl. Jakobus in Pilgertracht auf dem Marktplatz

Über die Marktstraße ging es in die Gerbereistraße zum ehemaligen Forsthaus, wo heute das Heimatmuseum untergebracht ist. Dort kann man mittelalterlicher Relikte und Schriftstücke des 16.-20. Jahrhunderts betrachten.
Das Haus stellt eine komplett eingerichtete Uhrmacherwerkstatt, die »Gute Alte Stube«, Omas Küche, Schlaf- und  Wohnzimmer aus dem frühen 19. Jahrhundert aus.

Altes Forsthaus

Marianne Wilbert erzählte sehr ausführlich von den einst 20 Gerber im Ort und deren Lederherstellung. Bei Bauarbeiten in den 1990er Jahren wurde ein sehr gut erhaltener Gerber-Bottich gefunden, welcher heute in der Straße „Im Zwengel“ steht.

Staatsstraße Nummer 5

An der „Staatsstraße 5“ steht die ehemalige Posthalterei. 1779 wurde dem Stromberger Johann David Sahler vom Fürsten Thurn und Taxis die offizielle Festhalterei verliehen – also eine Poststadion. In dem Bereich von dem Haus wurden die Pferde getauscht oder getränkt.

Im Gasthaus „Zur Post“ konnte man sich von den Strapazen der Reise erholen oder eine Herberge für eine Übernachtung der Weiterreise finden.

Die St. Jakobus Kirche an der Rathausstraße aus dem Jahr 1863 ist im neugotischem Stil nach den Plänen des Kölner Dom-Baumeisters Vinzens Stahts aus behauenem Stromberger Kalkstein errichtet.

Zwischen der „Rathausstraße“ und „Im Zwengel“ sprach Frau Wilbert über die mittelalterliche Fustenburg, oder auch Stromburg genannt. Nach der Legende wurde im Jahre 1574 auf jener Burg der »Deutsche Michel« Hans Michael Elias von Obentraut geboren und auch dort seine Jugend verbraucht haben.
Im Dreißigjährigen Krieg erwarb sich Obentraut als Reitergeneral Achtung und Anerkennung auf dem Schlachtfeld.

Die Stromburg

Er starb am 25.Oktober 1625, auf dänischer Seite kämpfend, in der Schlacht gegen Tilly bei Seelze. Der Überlieferung nach ließ Tilly daraufhin das Gefecht abbrechen und begab sich zu dem sterbenden Obentraut, um dessen Heldenmut ein letztes Mal zu ehren.
Obentraut soll schwerst verletzt mit letzter Kraft gesagt haben: „Brecht den Krieg ab und stellt die deutschen Feindschaften ein. Die innere Feindschaft richtet uns zugrunde.“

Womit nun die Redewendung für Aufrichtigkeit, Ehrenhaft und Tapferkeit für den »Deutschen Michel« geklärt wäre.

Gerber-Bottich

„Im Zwengel“ kamen wir an dem alten Gerber-Bottich aus dem 18. Jahrhundert vorbei, welcher bei Bauarbeiten in den 1990er gefunden wurde.



In der „Schloßstraße“ steht einer der ältesten Häuser von Stromberg.

Luftschutzbunker

Anm. Ich sprach während der kleinem Tour mit verschiedenen Leuten, so auch mit Herr Fuchs, der auch sehr vieles über den Ort wusste und auch sehr viele Chroniken hat.

Auf dem Weg zurück in den Ortskern, sah ich rechts einen Felsen mit einer Tür. Ich dachte an eine Bunkertür. Konnte mir aber nicht erklären, wofür diese Tür sei und ob mein Vermutung richtig war. Wahrscheinlich konnte Herr Fuchs meine Gedanken lesen und erzählte mir, dass er neben diesem Luftschutzbunker wohne und er sich für eine touristische Besichtigung einsetzt. Herr Fuchs sagte mir, dass mit dem Baubeginn erst 1944 begonnen wurde und die Frauen aus dem Ort mit Karren den Abraum aus dem Berg geschafft hätten. Als im Mai 1945 der Krieg zu Ende war, wurde der weiteren Ausbau von dem Bunker eingestellt.

Alles in allem war es eine sehr schöne abendliche Tour zur einen Ort, den ich so nicht kannte.

Naike Juchem, 10. Dezember 2022

Quelle: hunsrueck-nahereisen.de

Happy End der Facetten

Grillabend am 16. Juli

Nun schreibe ich den letzten Bericht über die 16-tägige Odyssee meiner kleinen Mimi und lass zum Schluss die Helfer aus dem Team zu Wort kommen, denn auch ich möchte die Suche nach Mimi aus deren Sicht kennen. Ich mache den Anfang.

Als am 30. Juli um 19.25 Uhr Mimi an der Klippe am Breitenstein abstürzte, blieb mir für einen Augenblick das Herz stehen. Durch einen Busch, welcher einen Meter unterhalb der Klippe an einem Felsvorsprung wuchs, sah ich Mimi nicht mehr. Ein Mann, der auf der anderen Seite der Absturzstelle saß, rief mir zu, dass er Mimi sehen würde. Ich rannte zu ihm und sah Mimi im Gebüsch hängen. Ich lief wieder zurück zu der Abladestelle und rief Mimi zu, dass ich da bin. Wie sollte ich zu ihr kommen, ohne selbst abzustützen? Konnte ich es wagen den einen Meter auf den Felsvorsprung zu springen? Wie sollte ich durch das Gebüsch an Mimi kommen?
Der Mann auf der anderen Seite rief, dass Mimi abrutscht. Ich lief wieder zu ihm und sah Mimi am Felsen hängen. Was nun? Wie konnte ich zu Mimi kommen? Was sollte ich tun? Ich rief immer wieder zu Mimi, dass ich da bin. Ich hoffte, sie bleibt dort hängen, bis ich irgendwie Hilfe organisieren konnte. Um kurz nach 19.30 Uhr sah ich, wie Mimi den Kopf nach links drehte und in den Abgrund sah. Dann fiel sie den Fels herunter.

Mimi hängt an der Felswand

Gelähmt von diesem Anblick fragte ich den Mann, wie ich nach unten kommen kann. Er sagte mir, dass es von dem Plateau nach links eine Möglichkeit gäbe. Ich bat ihn mit mir zu kommen, denn ich kannte diese Gegend nicht. Der Mann ging vor und ich mit meiner Hündin Mira hinter. Da ich nur für die Aussicht zu genießen auf das Plateau ging, hatte ich Badelatschen an. Diese erwiesen sich in dem unwegsamen und steilen Gelände als nicht gerade Vorteilhaft – so ging ich über die Hälfte der Strecke zur Absturzstelle barfuß.

Unterhalb vom Breitenstein

Das Gestrüpp wurde immer dichter und wir kamen langsam voran. Der Mann wollte immer wieder aufgeben und ich drängte ihn zum weitergehen. Wir waren noch ungefähr 50 Meter von der Absturzstelle entfernt und querliegende Bäume machten den Weg immer schwieriger. Ich drängte den Mann, dass er doch bitte weiter gehen sollte. Nach weiteren 10 Metern meinte er, dass es nicht mehr weiter gehen würde, ohne selbst in Gefahr zu kommen.
Ich war verzweifelt und rief nach oben, wo ein Mann und eine Frau standen, ob sie an der kleinen Säule stehen würden. Der Mann sagte, dass diese gute 10 Meter weiter nach rechts von ihm sei.
Ich ging barfuß weiter und musste wegen Geröll und Dornen mir einen anderen Weg suchen. Nach 6 weiteren Metern rutschte ich ab und fasste nach einem Baumstamm. Dieser brach ab und ich rutsche mit den Knien einige Meter über Geröll und lose Erde nach unten. Ich wollte und musste zu Mimi. Der Mann sagte, dass es absolut keinen Sinn machen würde weiter zu gehen. Schweren Herzens musste ich die Suche nach Mimi berechnen.

Erschöpft, durstig und blutend saß ich auf der Wiese vom Breitenstein und war hilflos.
Was sollte ich nun tun? Ich kannte niemanden in der Gegend und wusste auch nicht, wie ich an Mimi kommen konnte. In meiner Verzweiflung rief ich die Polizei an und fragte nach Informationen, die mich in irgendeiner Weise unterstützen könnten.
Um 21.30 Uhr kam ein Streifenwagen vorbei und der Polizist sagte mir, dass man von der rechten Seite besser heran kommen könnte. Da es in wenigen Minuten dunkel werden würde, machte ein neuer Rettungsversuch keinen Sinn. Der Polizist gab mir den Tipp, auf einer Facebook Seite von Kirchheim einen Aufruf zu schreiben.

Mit Mira am 2. Juli unterhalb vom Breitenstein. Mira steht gerade. So schräg ist das Gelände.

Um 22.15 Uhr war ich nochmals an der Klippe vom Breitenstein und sah ein Unwetter aufziehen. Meine Gedanken waren bei Mimi und ich fühlte mich nutz- und hilflos.
In jener Nacht schüttete es vom Himmel, was an Regen nur hernieder kommen konnte. Wie geht es in diesem Moment Mimi? Hat sie einen Unterschlupf gefunden? Ist sie verletzt? Lebt sie noch?
Tausend Gedanken ließen mich nicht schlafen.
Am späten Abend schrieb ich auf jener Facebook Seite noch einen Hilfeaufruf.

Eines der vielen Suchplakate

Freitagmorgen kurz vor 5 Uhr

Es regnete immer noch in strömen und ich wartete auf den neuen Tag. Um 5.30 Uhr machte ich mich erneut auf die Suche nach Mimi. Mit zwei Spanngurten und ordentlichen Schuhen machte ich mich auf zur Absturzstelle. Es goss in strömen und war mit 14 °C recht kühl. Ich band die beiden Gurte zusammen und warf diese über die Klippe, um von unten einen Anhaltspunkt zu haben. Das eine Ende band ich der Sitzbank fest und machte mich mit meiner Hündin Mira auf den Weg.

Es war an diesem Morgen sehr diesig und ich wusste nicht, wo der Weg war, den mir der Polizei am Vorabend sagte. 15 Meter von der Sitzbank entfernt dachte ich, dass es dort runter gehen würde. Der Boden war klatschnass und ich rutsche aus. Im letzten Moment sah ich, dass dies nicht der Weg war.
Der Regen hörte nicht auf und viel heller wurde es auch nicht.
Um kurz vor 6 Uhr fand ich dann endlich den Weg, den der Polizist meinte. Im Wald war es um diese Uhr noch recht dunkel und durch den vielen Regen, war der Untergrund sehr rutschig. Meine Gedanken waren bei Mimi und ich musste irgendwie zu ihr – egal wie. Über querliegende Bäume musste ich Mira drüber heben und wenn ich einige Meter nach unten rutsche, rief ich Mira zu mir. Irgendwie mussten wir beide uns zur Absturzstelle schaffen.
Immer wieder rief ich nach Mimi und horchte auf jedes Geräusch. Durch den Regen hörte ich kaum etwas.

Irgendwann nach 7 Uhr zog Nebel auf und ich hatte keine Orientierung an der Felskante, noch im Wald. Wo war diese verfluchte Absturzstelle?
Klatschnass saß ich im Wald und rief immer wieder nach Mimi. Mein Verstand sagte mir, dass ich alleine keine Chance habe, um Mimi zu finden.

Um 8.20 Uhr war ich am Lkw und zog erstmal neue Kleidung an. Ich stelle die Heizung auf 31°C, damit mir wieder warm wurde. Via Internet suchte ich nach Hilfe. Ob nun Feuerwehr, Verbandsgemeinde, Tierrettung, Forst oder auch Tierheim.
Alles brachte mich kaum weiter und der Verzweiflung näher. Irgendwann um 9 Uhr nahm ich den Rat vom Tierheim in Kirchheim an und wählte die 112. Ich erkläre die Situation und wurde schließlich mit der Bergrettung verbunden – also nochmals alles erkläre.
Um 9.30 Uhr kam dann endlich ein Mann von der Bergrettung. Ich erklärte ihm schnell die Situation und ging mit ihm an die Absturzstelle. Der Mann war nicht gerade motiviert viel zu tun und ich der Verzweiflung nah. Es regnete immer noch und ich wusste mir keinen Rat mehr. Der Mann von der Bergrettung sagte zu mir, dass es zu gefährlich sei, die Klippe herunter zu kommen und wenn, dann erst am Samstag – eventuell, und dann würde mich der Einsatz 1000 € kosten. Mit der Aussage, dass der Abgrund hier am tiefsten sei und die Katze sowieso tot sei, fuhr er unverrichtieter Dinge weg und ich war alleine mit meinen Sorgen. Mein Chef wusste von diesem Unfall schon seit dem Vorabend und er sagte, ich soll noch vor Ort bleiben. Was sollte ich bei Regen und alleine viel ausrichten?
Völlig verzweifelt fuhr ich um 11 Uhr vom Breitenstein nach Plochingen zum laden.

Auf den 350 Kilometer bis nach Hause konnte ich mich kaum auf den Verkehr konzentrieren. All meine Gedanken waren bei Mimi und was ich tun könnte. Am Nachmittag rief ich meine Nachbarin an und erzählte ihr von dem Unfall. Sie meinte, ich soll erstmal nach Hause kommen.

Gegen 16 Uhr war ich zu Hause im Hunsrück und erzählte meiner Nachbarin nochmals von dem Unfall. Sie sagte, dass wir morgen nach Mimi suchen werden.
Ich packte alles zusammen, was ich für meine Sicherheit bei einem erneuten Rettungsversuch brauchte. Ich druckte Suchplakat aus und war für den Samstag gerüstet.

Mimi am 28. Juni in Manheim

Erneut eine Nacht ohne Schlaf

Am Samstag, den 2. Juli ging mein Wecker um 4 Uhr an. Ich hatte vor Sorge um Mimi kaum geschlafen. Um kurz nach 5 Uhr fuhr meine 76-jährige Nachbarin und ich zuerst die 60 Kilometer in meine Firma, um die Suchplakate zu laminieren.
Auf dem Weg zum Breitenstein war ich auf alles gefasst. Ich brauchte eine Bestätigung, ob Mimi lebt oder tot ist.

Um 9.30 Uhr kamen wir auf dem Breitenstein an und befestige nochmals zwei Spanngurte an der Sitzbank. Mit Wanderschuhe, Skistöcke und Helm, Beil, Rosenschere, Beil und den Rucksack voll mit Wasser, Tragetasche für Mimi und noch so einiges mehr, machte ich mich mit Mira erneut auf den Weg, um nach Mimi zu suchen. Ich kam mit den Skistöcken erheblich schneller voran und rief immer wieder nach Mimi.
Endlich sah ich mein Zeichen von oberhalb der Klippe und suchte das Gebiet nach Mimi ab. Ich schaffte mich und meinen Hund über querliegende Bäume und schnitt Büsche und kleinere Sträucher ab.

In meiner persönlichen Schutzausrüstung war es unangenehm warm und die vielen Hindernisse durch Glassplitter, Bäume und Geröll machten mir ein vorankommen immer schwieriger. Immer wieder rief und suchte ich nach Mimi. Durch die vielen Glassplitter musste ich noch auf meinen Hund aufpassen. Wir beide kämpften uns immer weiter zur Absturzstelle und ich schaffte sogar den Weg gute 2 Meter über die Absturzstelle. Ich schicke dem Mann von der Bergrettung via zwei Fotos vor Ort. Ich schaffte dies alles ohne Bergrettung, abseilen und 1000 € – dies alles noch mit meinem Hund.

Mein Zeichen für die Absturzstelle

Jeden Quadratmeter unterhalb der Absturzstelle suchte ich nach Mimi ab.
Fast 6 Stunden war ich im Wald und sah bei jedem Schatten und Baumstumpf Mimi. Jedes Geräusch versuchte ich einzuordnen. Höre ich 20 Meter links von mir Mimi? Ich suchte das Gebiet hoch zur Felswand und in den Wald hinunter ab. Weiter nach links komnte Mimi wohl kaum sein; oder doch? Also suchte ich weiter bis ich die Stelle sah, an der ich am Donnerstag war.
Ich entscheid mich für den Rückweg, denn alleine war es unmöglich Mimi in einem so großen Gebiet zu finden.
Mira führte mich den Weg zurück. Ohne sie hätte ich mich verlaufen. Immer wieder setzte ich mich hin und rief und suchte nach Mimi.
Ich suchte die Felswand ab, wo Mimi sein könnte. Wo waren geeinigte Versteckte für sie. Ich musste weiter hoch zur Felswand. Je höher ich ging, umso steiler und lockerer wurde der Boden. Oft rutsche ich aus und fand mich 6 Meter weiter unten nach halt suchend wieder.

Nach 6 Stunden machte es wenig Sinn, alleine weiter zu suchen und so schafften Mira und ich uns zum Anfangspunkt zurück. Erst jetzt sah ich den Wanderweg durch den Wald.
In meiner Verzweiflung hing ich auf dem Wanderweg und auf dem Plateau noch Suchplakat für Mimi auf. Was hätte ich sonst noch tun sollen?
In Bissingen hing ich noch zwei Suchplakat auf und gab eines in der Bäckerei ab.
Ohne eine Spur von Mimi zu haben, fuhr ich mit meiner Nachbarin die 350 Kilometer zurück in den Hunsrück. Meine und unsere Gedanken waren bei Mimi. Mein Chef sagte mir zu, dass er mich für die kommende Woche so einplanen würde, dass ich nochmals zum Breitenstein fahren könnte.

Enttäuscht, niedergeschlagen und verzweifelt kamen wir am Samstag um 21 Uhr zu Hause an.

Sonntag, den 3. Juli

Der Morgen begann so, wie der Abend endete – mit Sorgen und Gedanken an Mimi. Ich war nun 350 Kilometer von ihr entfernt und wusste nicht mehr was ich noch tun sollte oder konnte.
Am Nachmittag fing auf Facebook entlich mein Hilfeaufruf an zu laufen und ich wurde von ein paar User in Tier-Gruppen in und um Kirchheim eingeladen. Durch die vielen Reaktionen musste ich viel zu dem Unfall schreiben und erklären. Gegen Mitternacht bekam ich eine WhatsApp von einem Mann, der mir sehr engagiert vorkam. Ich rief ihn an und er sagte mir, wen er wo kennt und etwas organisieren würde. Es fing endlich an sich etwas zu tun.

Mira und Mimi im Lkw

Montag, 4. Juli

Nach nur eineinhalb Stunden schlaf stand ich auf und musste zur Arbeit. Meine Gedanken an dem frühen Morgen drehten sich nur um Mimi. Ihr Platz im Lkw war leer und mir tat es jedesmal einen Stich ins Herz, wenn ich mich in der Fahrerkabine umschaute.
Via Facebook, Messenger und WhatsApp bekam ich an dem Vormittag mitgeteilt, was wer vor Ort unternehmen würde, um Mimi zu finden. Es waren kleine Hoffnungsschimmer. Natürlich gab es auch jene, die alles irgendwie besser konnten. Von jenen Besserwisser war aber nie einer vor Ort gewesen.
Mir wurden Tipps von Spürhunde gegeben und ich rief jene an, die ich am Freitag oder Samstag entweder schon angerufen hatte oder mir bis dato unbekannt waren. In dem durcheinander von Tipps, Ratschläge und versuche vor Ort Mimi zu finden, wusste ich gar nicht mehr, wen ich schon angerufen hatte. Jedenfalls liefen all diese Tipps und Ratschläge von den Usern ins leere.

Das war Mimi beim Versuch sie einzufangen

Ein Lebenszeichen von Mimi

Via Facebook informierte ich in einigen Gruppen über den Stand der Suchaktion. Ich konnte nur jene Informationen schreiben oder weitergeben, die ich hatte. Einige User meinten mir dumme und Sinnfreie Kommentare oder Nachrichten schreiben zu müssen. Ich war nicht vor Ort und wurde für jene Suchaktion verantwortlich gemacht. Das solche dummen Meinungen für meine aktuelle Situation nicht gerade förmlich waren versteht sich von selbst.
Um 16.45 Uhr bekam ich einen anruf, dass ein Mann mit seinem Hund Mimi in 10 Meter Entfernung sehen würde. Es gab ein Lebenszeichen von ihr. Ich war überglücklich und rief eine Frau an, von der ich wusste, dass sie in Ochsenwang wohnt und bei der Suche dabei war. Was an diesem Abend passiert wusste ich nicht. Ich dachte Mimi sei in Sicherheit. Erst nach 22 Uhr wurde mir mitgeteilt, dass Mimi nicht eingefangen werden konnte. Für mich brach eine Welt zusammen.

Mittwoch, 6. Juli war ich wieder vor Ort

Mittwoch, 6. Juli

An diesem Tag lief irgendwie alles aus dem Ruder. Ich hatte endlich Leute, die vor Ort sein könnten und mir wurde nahegelegt, dass niemand nach Mimi suchen sollte. Viele gut gemeinte Tipps und Ratschläge wurden mir wieder vorgetragen. Ich sagte oder schreib immer, dass Mimi eine Wildkatze ist und sie einen völlig anderen Charakter als eine Hauskatze hat. Offensichtlich wussten andere besser über meine Katze bescheid als ich.
Gegen 18 Uhr war ich endlich vor Ort und ich traf auf dem Parkplatz Tanja und Daniel, die sich an der Suche nach Mimi bereits seit Montag beteiligt hatten. Beide hatten sich zurückgezogen, weil es ja hieß, niemand sollte nach Mimi suchen.
Von der Frau aus Ochsenwang wurde mir die Fundstelle von Mimi gezeigt und was sie nun an Maßnahmen ergreifen würde. Ich stimmte diesen alle zu, weil es nur und ausschließlich um Mimi ging – auch wenn ihre Maßnahmen sich für mich als völliger Schwachsinn darstellte. Vereinbarung von sogenannten K-9 Suchgruppen wurden nicht eingehalten. Es gab für mich mal wieder einen Rückschag und musste neudenken.
Ich sattelte die Zugmaschine ab und fuhr an die Fundstelle, damit Mimi das Motorengeräusch vom Lkw hörte. Bis weit nach Mitternacht ließ ich immer wieder den Motor laufen, in der Hoffnung Mimi würde aus dem Wald kommen.

Plötzlich wurden gegen Nachmittag via Facebook plötzlich Lügen über mich geschrieben. Ich war die zwei vorherigen Tage nicht vor Ort und hatte keinen Einfluss auf das was am Breitenstein unternommen wurde. In all meiner Hoffnung und Verzweiflung musste ich dann noch vieles klarstellen. Ich hatte ja auch sonst keine anderen Probleme, als jenem dummgeschwätz entgegen zu wirken.

Irgendwann gegen 1 Uhr versuchte ich etwas zu schlafen. Ich hatte die Fenstern am Auto offen und hörte jedes Geräusch im Wald. Um kurz vor 2 Uhr schlief ich völlig übermüdet ein.

Mit Mira auf der Suche nach Mimi

Donnerstag, 7. Juli

Um 5 Uhr war ich schon wieder wach und war eine halbe Stunde später im Wald. Ich ging wieder den Weg bis zur Absturzstelle und suchte nach Mimi. Bei jedem Geräusch, Schatten oder Bewegung sah ich Mimi. Ich rief nach ihr und war nach eineinhalb Stunden sehr verzweifelt.
Wo konnte Mimi sein? Ich weiß, dass Mimi nicht all zu weit läuft und suchte den Bereich der Fundstelle ab – leider ohne Erfolg. Enttäuscht, verkalt und niedergeschlagen saß ich im Wald. Was konnte ich nun tun? Wo sollte ich suchen? Mit wem sollte ich suchen?

Tatjana war die erste vom Team

Eine Frau mit einer Katzentasche als Rucksack kam den Wald hoch. Dies musste jene Frau sein, von der ich wusste, dass sie seit Montag bei der Suche aktiv dabei war.
An der Klippe am Breitenstein lernte ich Tatjana kennen. Sie machte einen sehr ruhigen Eindruck und ich sah eine neue Hoffnung, dass wir Mimi finden würden.
Bei der Suche nach Mimi verging die Zeit und ich musste irgendwann auch losfahren. Ich hatte noch eine Tour von Plochingen nach Köln und vom Rheinland zurück nach Allmendingen.
Schweren Herzens musste ich um 11 Uhr die Suche nach Mimi abbrechen, wenn ich am Freitag wieder vor Ort sein wollte.

Die Aussicht vom Breitenstein

Freitag, 8. Juli

Um 18.20 Uhr war ich endlich wieder vor Ort. Ich lernte dann auch eine Frau kennen, die sich als Profi bei der Suche nach vermissten ausgab. Die Frau war mir mit ihren Ratschläge und Charakter sehr unsympathisch. Ich schluckte oft meine Gedanken runter, denn ich war auf deren Hilfe angewiesen.
Gegen 19 Uhr kam Tatjana auf den Parkplatz vom Breitenstein und jene Profi-Such-Frau zeigte mal wieder ihren Charakter. Ohne ein Wort der Verabschiedung fuhr sie weg. Von all den vielen Helfer am Montag und Dienstag blieb Tatjana übrig.
Ich merkte an diesem Abend, dass irgendetwas im Hintergrund lief, was ich noch nicht richtig einordnen konnte. Wie drei der verbleibenden Personen gegen mich ausgespielt wurde, habe ich schon geschrieben.

Das SAR-Mimi Team formiert sich

Samstag, 9. Juli und Sonntag 10. Juli

Da ich nun vor Ort war, konnte ich nun vieles besser organisieren und plötzlich lief die Suchaktion rund. Mich schrieben Menschen persönlich via Messenger an und boten mir ihre hilfe an. Wildkameras wurden besorgt und eine handvoll Menschen machten sich sachlich und ruhig Gedanken, wie wir Mimi finden können.
An diesen beiden Tagen fanden Menschen zu einem Team zusammen, mit denen ein Erfolg nach dem verbleib von Mimi garantiert war. Diese Menschen gaben mir Hoffnung, Unterstützung und Zuversicht.

Kadda druckte Suchplakat aus, besorgte eine Wärmebildkamera und noch eine Wildkamera. Plötzlich hatte ich mehr Kameras, als jene Profi-Such-Frau hatte. Zum krönenden Abschluss ließ jene Profi-Such-Frau ohne mein Wissen ihre drei Kameras abbauen. Mal wieder wurde ich von Menschen enttäuscht, denen ich vertraute.
Am Sonntag machten sich einige aus dem Team auf den Weg, um in Ochsenwang und Bissingen Suchplakat aufzuhängen.

Montag, 11 Juli

Am Vorabend wurde im Team jeder Gedanken und Hinweis besprochen und am Montag durchgeführt. Selbst eine wenig Aussagekräftige Mail von einer Tier-Kommunikations Frau wurde bis zur Ruine Hahenkamm nachgegangen. Mit Kadda und Tatjana durchkämmten wir den Wald unterhalb der Steige zum Breitenstein.
Auf der Ruine Hahenkamm war keine Spur von Mimi.

Auf einem Bauernhof bei Ochsenwang

Um 12.51 Uhr meldet sich eine Frau von einem Bauernhof außerhalb von Ochsenwang. Sie las das Suchplakat und meinte, dass Mimi eventuell bei ihr im Stall sei. Mit dieser Information wuchs neue Hoffnung in mir. Wir drei sofort zu einem der Parkplätze und auf direkten Weg zu dem Bauernhof.
In dem großen Stall aus Heu- und Stohballen war eine Suche nach Mimi schier unmöglich. Also zurück an den Lkw und die Kameras holen. Ich installierte zwei Kameras und stelle Mimis Transporttasche und ein T-Shirt von mir in den Stall.

Tami beim installieren der Wildkamera

Dienstag, 12. Juli

In dieser Nacht schlief ich wieder sehr schlecht und wenig. Sollte Mimi wirklich auf diesem Bauernhof sein?
Die Auswertung der Kameras war ernüchternd, denn die Kameras mussten über verschiedene Parameter eingestellt werden. Dies wussten wir bis dato nicht. Also nochmals einen Tag verloren.
Niedergeschlagen suchten wir an diesem Tag mit Tami, Kadda, Svenja und Tatjana im Wald weiter nach Mimi. Spuren mit einem Handtuch von mir wurden gezogen. Spuren zu Futterstellen mit Thunfischwasser wurden von unterhalb der Klippe bis zum Waldrand gezogen. Auch wurde in und um Ochsenwang nach Mimi gesucht. Bis zu 19 Stunden war ich auf den Beinen.

Wärmebildkamera von der Feuerwehr

Mittwoch, 13. Juli

In der Hoffnung Mimi auf dem Bauernhof zu finden, fuhr ich mit Tami zu dem Hof. Die Auswertung der Kameras war auf dem kleinen Bildschirm sehr schwierig.
Katja brachte ihren Laptop mit und so konnten wir die Fotos besser sehen. Mimi war nicht auf den Fotos. Wieder mal eine Enttäuschung für mich.
Im Team wurde wieder besprochen, was wir noch machen und versuchen können, um Mimi endlich zu finden. Meine Gedanken drehten sich ständig um Mimi. Sie hatte bereits seit 13 Tagen ihre Medikamente gegen ihre Epilepsie nicht bekommen.

Am Nachmittag richteten wir eine Futterstelle mit Mimis Teppich in einem geschützten Teil von einem Garten ein, denn Mira hatte dort seit gestern eine Spur gewittert. Vielleicht war Mimi tatsächlich in diesem Bereich.

Svenja, Mira und ich auf dem Weg nach Bissingen.

Am späten Nachmittag rief ein Mann aus Bissingen an, der sagte, dass in seinem Garten seit ein paar Tagen eine Katze wäre, die Mimi ähnlich sehen würde. Eine neue Spur? Ist es Mimi? Konnte sie soweit weg sein? Hoffnung kam in mir hoch.
Mit Svenja und Mira fuhr ich sofort zu der angegebenen Adresse. Von der Umgebung konnte es für Mimi passen. Also installierte ich eine Kamera unter einem Spielhaus für Kinder und stellte auf Mimis Teppich eine Schale Futter.
Gegen Abend waren Tatjana, Sarah und ich noch durch Ochsenwang gegangen, in der Hoffnung Mimi zu finden.
Über Flurwege gingen wir zurück und suchten in den Gebüsche nach Mimi.
Mit Sarah saß ich an der Klippe und schauten dem Sonnenuntergang entgegen. Ein Mädchen kam mit einem Fahrrad angefahren und schaute sich eines der Suchplakat von Mimi an. Ich fragte, ob es die Katze gesehen hätte. Sie nicht, aber zwei Freunde von ihr. Sarah und ich sprangen sofort auf, um die beiden Jungs zu suchen. Am Lkw fanden wir die beiden Jungs. Sie hatten eine Nachricht geschrieben, dass eine Katze am Orteingang angefahren wurde. Der eine Junge hatte sogar noch ein Foto von der Katze gemacht. Da das Fotos sehr weit aufgenommen wurde, konnten wir die Katze nicht richtig erkennen. Sarah und ich sofort ins Auto, um an die Stelle zu fahren. Wir sahen das Blut auf der Straße und mir stockte der Atem. Ich rannte der Wegbeschreibung der Jungs nach. Irgendwo musste die Katze sein.
Mira spürte sie unter Eternitplatten auf. Ich sah von der Katze sehr wenig. Von der Farbe war es definitiv nicht Mimi. Nur war es diese verletzte Katze oder doch eine andere?
Irgendwie schaffte ich die Katze aus ihrem Versteck zu ziehen und sah in diesem Moment keine äußerlichen Verletzungen. Die Katze wehrt sich und mir kamen die Fotos von dem Mann in den Sinn, den Mimi arg zugerichtet hatte. Ich ließ die Katze los und sah, dass sie an dem linken Hinterbein humpelte. Im Geräteschuppen war ich auf der Suche nach der Katze, die offensichtlich Hilfe brauchte. Es dauerte nicht lange, als der Landwirt mit seinem Sohn auf den Hof stürmten und mich beschimpfte. Alles reden nach der Suche einer verletzten Katze lief bei den beiden ins leere.
Der Landwirt schickte mir sogar am nächsten Morgen die Polizei.

Jedem Hinweis sind wir nachgegangen

Donnerstag, 14. Juli

Die Auswertung der Kamera war ernüchternd – es war nicht Mimi. Was konnte ich nun noch tun?
Geo-Punkte via Google Maps wurden ausgerechnet und wir besprachen im Team, was wir noch machen könnten oder wo wir nochmals nach Mimi suchen sollten.
Also alles wieder von vorne denken. Seit zwei Tagen dachten wir auch schon kriminalistisch, denn das Verhalten von zwei Personen war doch sehr fragwürdig.
Gegen Mittag sprach ich mit meinem Chef und sagte ihm, dass ich ab Montag wieder im Einsatz wäre. Wo sollte ich denn noch nach Mimi suchen und vor allem wie lange? Es tat mit im Herz weh, wenn ich nur an den Montag dachte.