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Die Entführung der Landshut

Foto: GSG9 Historie, Einsatz Mogadischu

Im großen World Wide Web fand ich ein Foto und mir fielen sofort die Fahndungsplakate der RAF ein, die damals bei uns in der Post rechts an der Wand vom Schalter hingen.

Ich bin 1970 geboren und kann mich noch sehr genau an jene DIN A0 Plakate erinnern. Auch sah ich damals in der Tagesschau die Beiträge über die Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers und die Entführung des Lufthansa-Flugzeugs „Landshut“.

Die Selbstmorde der inhaftierten führenden Mitglieder der ersten Generation der RAF stellten den Schlussakt der sogenannten Offensive 77 der RAF dar. Der Deutsche Herbst gilt als eine der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Beginnen möchte ich mit der Erklärungen der RAF vom 5. September bis 18. Oktober 1977 (Memento vom 12. März 2007 im Internet Archive).

Foto: LKA Rheinland-Pfalz

5. September 1977

An die Bundesregierung Sie werden dafür sorgen, daß alle öffentlichen Fahndungsmaßnahmen unterbleiben – oder wir erschießen Schleyer sofort, ohne daß es zu Verhandlungen über seine Freilassung kommt.
 

6. September 1977

Am Montag, den 5. September 77 hat das Kommando Siegfried Hausner den Präsidenten der Arbeitgeberverbands und des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hanns-Martin Schleyer, gefangengenommen. Zu den Bedingungen seiner Freilassung wiederholen wir nochmal unsere erste Mitteilung an die Bundesregierung, die seit gestern von den Sicherheitsstäben, wie wir das inzwischen kennen, unterschlagen wird. Das ist die sofortige Einstellung aller Fahndungsmaßnahmen – oder Schleyer wird sofort erschossen. Sobald die Fahndung gestoppt ist, läuft Schleyers Freilassung unter folgenden Bedingungen:

Die Gefangenen aus der RAF: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Verena Becker, Werner Hoppe, Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe, Bernd Rössner, Ingrid Schubert, Irmgard Möller werden im Austausch gegen Schleyer freigelassen und reisen in eine Land ihrer Wahl. Günter Sonnenberg, der seit seiner Festnahme wegen einer Schußverletzung haftunfähig ist, wird sofort freigelassen. Sein Haftbefehl wird aufgehoben. Günter wird zusammen mit den 10 Gefangenen, mit denen er sofort zusammengebracht wird und sprechen kann, ausreisen. Die Gefangenen sind bis Mittwoch, 8 Uhr früh, auf dem Flughafen Frankfurt zusammenzubringen. Sie haben bis zu ihrem Abflug um 12 Uhr mittags jederzeit und uneingeschränkt die Möglichkeit, miteinander zu sprechen. Um 10 Uhr vormittags wird einer der Gefangenen das Kommando in Direktübertragung durch das Deutsche Fernsehen über den korrekten Ablauf ihres Abflugs informieren.

In der Funktion öffentlicher Kontrolle und Garantie für das Leben der Gefangenen während des Transports bis zur Landung und Aufnahme sollen die Gefangenen – wie wir vorschlagen würden – von Payot, dem Generalsekretär der Internationalen Föderation für Menschenrechte bei der UNO, und Pfarrer Niemöller begleitet werden. Wir bitten sie, sich in dieser Funktion dafür einzusetzen, daß die Gefangenen dort, wo sie hinwollen, lebend ankommen. Natürlich sind wir auch mit einem Alternativvorschlag der Gefangenen einverstanden.

Jedem der Gefangenen werden 100 000 DM mitgegeben. Die Erklärung, die durch Schleyers Foto und seinen Brief als authentisch identifizierbar ist, wird heute abend um 20.00 Uhr in der Tagesschau veröffent-licht, und zwar ungekürzt und unverfälscht. Den konkreten Ablauf von Schleyers Freilassung legen wir fest, sowie wir die Bestätigung der freigelassenen Gefangenen haben, daß sie nicht ausgeliefert werden, und die Erklärung der Bundesregierung vorliegt, daß sie keine Auslieferung betreiben wird. Wir gehen davon aus, daß Schmidt, nachdem er in Stockholm demonstriert hat, wie schnell er seine Entscheidungen fällt, sich bemühen wird, sein Verhälmis zu diesem fetten Maguaten der nationalen Wirtschaftscreme ebenso schnell zu klären.
RAF – Kommando Siegfried Hausner

Foto:GSG9 Historie

Der Irrflug der „Landshut“

Der Flug LH181 am 13. Oktober 1977 von Palma de Mallorca nach Frankfurt sollte nur etwas über ein Stunde dauern. Er entpuppte sich für die 82 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder an Bord als mehrtägiges Martyrium. Denn ein vierköpfiges Terroristenteam – zwei Frauen und zwei Männer – übernahmen gegen 14.30 Uhr die Gewalt an Bord der Boeing 737-200 „Landshut“. Die Forderungen des Kommandos „Martyr Halimeh“ unter Führung von „Captain Mahmud“: Freilassung elf inhaftierter deutscher linksextremistischer Terroristen, zweier in der Türkei inhaftierter palästinensischer Terroristen sowie 15 Millionen US-Dollar Lösegeld. Andernfalls sollten alle Geiseln und der durch die Rote Armee Fraktion (RAF) am 5. September 1977 entführte Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer getötet werden. Das Ultimatum sollte am 16. Oktober auslaufen.

Anders als die Entführer angenommen hatten, zeigten sich die arabischen Staaten in den nächsten Tagen nicht gewillt, in die Krise hineingezogen zu werden. Sie verweigerten der „Landshut“ die Landung. Der Irrflug der Maschine mit dem Luftfahrzeugkennzeichen D-ABCE führte nach Zwischenlandungen in Rom, Larnaka und Bahrain zunächst am 14. 10. nach Dubai. Dort gab es zähe Verhandlungen jedoch ohne Ergebnis. Am 16. 10. startete die Maschine dann nach Aden. Hier musste die Landshut neben der gesperrten Piste landen. In Aden erschossen die Terroristen auch Flugkapitän Jürgen Schumann. Co-Pilot Jürgen Vietor musste die „Landshut“ schließlich nach Mogadischu steuern, wo sie in den frühen Morgenstunden des 17.10. eintraf.

Die Bundesregierung lässt sich nicht erpressen


Im Bundeskanzleramt in hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt nach der Entführung der „Landshut“ einen Krisenstab gebildet. Die klare Linie lautete: Den Forderungen der Terroristen wird nicht nachgegeben. Gleichwohl folgte Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski mit einem Verhandlungsteam in einer Sondermaschine dem entführten Flugzeug. Auch die GSG 9 war unmittelbar nach der Entführung alarmiert worden, um sich für eine Befreiungsoperation bereitzuhalten. Ein Einsatzverband unter Leitung ihres Kommandeurs, Oberstleutnant i. BGS Ulrich K. Wegener, war der „Landshut“ zunächst in einer Sondermaschine der Lufthansa gefolgt und hielt sich in Ankara bereit. Als die „Landshut“ in Dubai gelandet war, flogen Wegener, dessen Adjutant Baum und Unterführer Dieter Fox ebenfalls dorthin. Sie stießen zum Wischnewskis-Team. Zu einer geplanten Befreiungsoperation kam es nicht mehr. Von Dubai aus ging es dann ebenfalls nach Mogadischu, wo sie am 17. Oktober um die Mittagszeit eintrafen.

Am 17. Oktober gegen 17:30 Uhr MEZ landeten die Einsatzkräfte der GSG 9 mit der Lufthansa-Maschine „Stuttgart“ in Mogadischu, ca. 2.000 Meter von der „Landshut“ entfernt. Die Starts und Landungen somalischer Militärflugzeuge lenkten die Terroristen ab. Danach kamen Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski und der GSG 9-Kommandeur Ulrich Wegener zur „Stuttgart“. Wischnewski erklärte, dass Bundeskanzler Helmut Schmidt angesichts der unnachgiebigen Haltung der Terroristen und weil der Staat sich nicht erpressen lässt, entschieden hatte, dass die GSG 9 die „Landshut“ stürmen soll, um die 86 Geiseln zu befreien.
Wischnewski gelang es, bei der somalischen Regierung die Erlaubnis für eine gemeinsame Operation deutscher und somalischer Kräfte zu erwirken. Zum Schein ging die Bundesregierung dann auf die Forderungen der Entführer, welche die Maschine bereits zur Sprengung vorbereitet hatten, ein. Sie bat um eine weitere Verlängerung der Frist, um die Gefangenen zum Austauschort transportieren zu können. Die Entführer setzten ein letztes Ultimatum, welches am 18.10. um 1.30 Uhr auslaufen sollte.

Geiselbefreiung durch die GSG9 in Mogadischu. Foto: GSG9 Historie

Die GSG 9 bekommt das „GO“

Der deutsche GSG 9-Einsatzverband – er war aus Tarnungsgründen von Ankara zurück nach Sankt Augustin und dann nach Kreta geflogen – landete am 17. Oktober gegen 19.30 (MEZ) Uhr in der Dunkelheit und wurde auf den nördlich angrenzenden militärischen Teil des Flughafens Mogadischu gelotst. Somalische Kräfte riegelten den Flughafen ab.

Die Verhandlungsexperten im Wischnewski-Stab lenkten die Entführer durch einen intensiven Funkverkehr über die bevorstehende vermeintliche Gefangenenübergabe ab. Der Einsatzverband machte sich nach der Landung bereit. An ihrer Boeing 707 „Stuttgart“ erfolgte das Rehearsal, die Abschlussübung vor dem Zugriff. Wegener meldete Helmut Schmidt Einsatzbereitschaft und zeigte sich überzeugt vom Einsatzerfolg. Noch am Abend erhielt er telefonisch den Einsatzbefehl durch den Bundeskanzler.

Ablauf der Operation

Die Kräfteeinteilung stellte sich wie folgt dar: Das zehn Mann starke Aufklärungs- und Präzisionsschützenkommando stand unter Führung des stellv. Kommandeurs, Major i. BGS Klaus Blätte. Zur Ausstattung gehörten Scharfschützengewehre Mauser S66 mit Nachtsichtgeräten „Nachteule“ sowie Aufklärungstechnik. Das Zugriffsteam wurde von Wegener geführt. Es bestand aus sechs Sturmtrupps (einer pro Tür) zu je fünf Mann. Dazu kamen noch ein Sanitäts- und ein Reservetrupp mit drei bzw. fünf Mann sowie ein Pioniertrupp mit vier Mann. Die beiden SAS-Männern Major Alistair Morrison und Sergeant Barry Davis waren hier ebenfalls zugeordnet. Sie hatten ihre brandneuen „Stun-Grenades“, Blitzknallgranaten mitgebracht. Zur übrigen Bewaffnung und Ausrüstung gehörten Revolver S&W .38 und Pistolen P9S zum Arbeiten in der Maschine, MP5, neuartige „Bristol“-Schutzwesten aus britischer Produktion, dazu noch spezielle gummibeschichtete Leitern.

Für die zu evakuierenden Geiseln wurde ein Sammelraum abseits der Maschine eingerichtet. Somalische Streitkräfte bildeten einen äußeren Ring und bereiteten zudem ein Feuer einige hundert Meter vor dem Cockpit der „Landshut“ für ein Ablenkungsmanöver vor.

Um etwa 22.00 Uhr gingen die Kräfte in die Ausgangsstellung. Die Aufklärer und Präzisionsschützen arbeiteten sich auf etwa 30 Meter an die Maschine heran und lieferten stetig Aufklärungsergebnisse. Ab etwa 23.00 Uhr begann die Annäherung der Zugriffskräfte. Sie erreichten die Maschine um etwa 23.30 Uhr.

23.50 Uhr: Die somalischen Soldaten entzünden das Ablenkungsfeuer. Die Verhandlungsgruppe im Tower fragt über Funk beim Terroristenführer Captain Mahmud die Übergabebedingungen ab.

23.55 Uhr: Die Sturmtrupps nehmen ihre Sturmausgangsstellungen ein.

00.00 Uhr: Spezielle Leitern werden an die vier Türen und an die beiden Notausgangsbereiche hinter den Tragflächen gelegt, die Trupps gehen in Position.

00.05 Uhr: Auf das Kommando „Feuerzauber“ zünden die beiden SAS-Männer mehrere Blitzknallgranaten, nahezu gleichzeitig öffnen die Sturmtrupps die Türen. Fünf Sturmtrupps dringen in die Maschine ein, der Trupp 2 (vorne rechts) muss aufgrund von Hindernissen ausweichen und hinter Trupp 1 (vorne links) nachrücken.

Im Flugzeuginneren entwickelt sich ein Feuerkampf. Trupp 1 schaltet im Cockpit Mahmud aus. Eine Terroristin wird im Gang der Ersten Klasse getroffen und schwer verletzt – sie überlebt. Der dritte Terrorist kann bevor er ausgeschaltet wird noch zwei Handgranaten werfen, deren Explosion die Stewardess Gabriele Dillmann (heute von Lutzau) am Bein verletzen. Eine vierte Terroristin wird auf der vorderen Bordtoilette neutralisiert. Ein GSG 9-Einsatzbeamter erleidet eine leichte Verwundung durch einen Halsdurchschuss.

Noch während des Feuerkampfes beginnt im hinteren Bereich (Trupp 5 und 6) und über die Notausstiege (Trupp 3 und 4) die Evakuierung.

00.12 Uhr: Wegener meldet „Springtime“ – das Codewort für den erfolgreichen Abschluss der Aktion. 
Bilanz: Alle 86 Geiseln befreit, drei leicht verwundet, ein GSG 9-Mann leicht verwundet, drei von vier Terroristen getötet, eine Terroristin schwer verletzt an die somalischen Behörden übergeben. Die Befreiten wurden noch am 18. Oktober mit einer Sondermaschine nach Frankfurt gebracht. Die GSG 9 landete ebenfalls am 18. Oktober gegen 15.30 Uhr auf dem Flughafen Köln/Bonn.

Ankunft Flughafen Köln/Bonn Foto: dpa

Erklärungen der RAF vom 5. September bis 18. Oktober 1977 

19. Oktober 1977

Wir haben nach 43 Tagen Hanns-Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz

beendet. Herr Schmidt, der in seinem Machtkalkül von Anfang an mit Schleyers Tod spekülierte, kann ihn in der Rue Charles Peguy in Mulhouse in einem grünen Audi 100 mit Bad Homburger Kennzeichen abholen.

Für unseren Schmerz und unsere Wut über die Massaker von Mogadischu und Stammheim ist sein Tod bedeutungslos. Andreas, Gudrun, Jan, Irmgard und uns überrascht die faschistische Dramaturgie der Imperialisten zur Vernichtung der Befreiungsbewegungen nicht. Wir werden Schmidt und der daran beteiligten Allianz diese Blutbäder nie vergessen. Der Kampf hat erst begonnen! Freiheit durch bewaffneten antiimperialistischen Kampf!
Kommando Siegfried Hausner.


Quelle:
– Erklärungen der RAF vom 5. September bis 18. Oktober 1977 (Memento vom 12. März 2007 im Internet Archive).
– GSG9 Historie
– esut.de

Der Baader-Meinhof Prozess in Kaiserslautern

Wie komme ich auf dieses Thema?
Meinen 47. Geburtstag feierte ich in Kaiserslautern in der Kartoffelhalle. Bis zu diesem Zeitpunkt sagte mir dies überhaupt nichts.
An jenem Nachmittag wurde mir die Historie dieses Gebäude sehr genau erklärt.
Ich fingen mit den Ergebnisse der Entführung der Lufthansa Maschine „Landshut“ nach Mogadischu den Terror an zu begreifen.

Nun folgt ein Artikel aus dem Spiegel vom 5. Juni 1977

Mit Augenmaß bewältigte das Schwurgericht in Kaiserslautern einen zweiten Baader-Meinhof-Prozeß — anders als in Stammheim — ohne Einbußen für Justiz und Rechtsstaat.

Besorgt erkundigte sich 1974 Helmut Kohl, damals Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, nach den Qualitäten eines Richters namens Adolf Stiefenhöfer. Kohl in einer Kabinettssitzung: »Was ist denn das für einer?« Justizminister Otto Theisen beschied ihn knapp: »Ein ganz normaler.«

Zunächst blieb die Skepsis, wenn unter Kollegen sein Name fiel. Stiefenhöfer, 48, früher Amtsrichter in Rockenhausen, dann Richter am Landgericht in Kaiserslautern, las eigens Werke von Theodor Adorno, übte sich in Psycho-Training und paukte linke Termini, um als Landrichter seine größte Aufgabe zu bestehen: parallel zu dem Mammutprozeß in Stuttgart-Stammheim über drei andere Mitglieder der »Roten Armee Fraktion« (RAF) zu Gericht zu sitzen.

Am Donnerstag letzter Woche, es war der 131. Verhandlungstag, schloß Stiefenhöfer im »Kleinen Baader-Meinhof-Prozeß« („Saarbrücker Zeitung“) in Kaiserslautern die Akten. Es war ein Verfahren ohne dramatische Zuspitzungen, ohne interne Justizskandale, ohne Spektakel mit prominenten Zeugen und meist vor mäßig gefüllten Zuhörerbänken.

Doch gerade weil das Verfahren im Pfälzer Hinterland so wenig Brisantes bot für Beobachter wie Beteiligte und immer Gefahr lief, im Schatten von Stammheim zur Nebensache zu geraten, kam der Rechtsstaat — anders als im Stuttgarter Hauptprozeß hier ohne Schrammen davon.

Stiefenhöfer bewies seine richterliche Souveränität auch darin, daß er in heiklen Augenblicken nicht wie sein Kollege Prinzing überflüssige und der Wahrheitsfindung abträgliche Konfrontationen mit den Verfahrensbeteiligten heraufbeschwor, sondern durch geschickte Nachgiebigkeit im Detail für ein moderates Verhandlungsklima sorgte. Er blockte jeden Eklat und jeden Ruch von Manipulation von vornherein ab.

Zu lebenslanger Haft verurteilt wurden die Terroristen Klaus Jünschke, 29, und Manfred Grashof, 30, unter anderem wegen Mordes und schweren Raubs. Der dritte Angeklagte, Wolfgang Grundmann, 29, seit Oktober auf freiem Fuß, kam wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung mit vier Jahren Freiheitsstrafe davon. Er erhält, weil er bis dahin schon viereinhalb Jahre in Untersuchungshaft gesessen hatte, voraussichtlich für ein halbes Jahr sogar Haftentschädigung. Am 22. Dezember 1971 gegen 8.10 Uhr hatten sechs Terroristen — bei letztlich ungeklärter Tatbeteiligung nach Ansicht der Ermittler auch Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe — in der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank zu Kaiserslautern 133 986 Mark erbeutet; im Kugelhagel der Räuber starb der Polizist Herbert Schoner.



Acht Wochen später stürmten sechs maskierte BM-Terroristen in die Bayerische Hypo-Bank in Ludwigshafen, schrien »Ihr Schweine, Säue, Drecksäue« und sackten 285 740,32 Mark ein. Mitte Mai 1972 legte ein RAF-Kommando Bomben im US-Hauptquartier in Frankfurt (ein Toter, elf Verletzte), und in Hamburg war im März der Kriminalhauptkommissar Hans Eckhardt an einer Terroristen-Kugel gestorben. Er hatte den RAF-Mitgliedern Grashof und Grundmann in einer konspirativen Wohnung aufgelauert.

Allein der Mord von Grashof an Eckhardt wurde in Kaiserslautern mit exakten Zeugenaussagen bewiesen. In anderen Punkten war die Beweisführung schwieriger. So wurde Jünschke wegen Mordes, Grashof wegen Beihilfe zum Mord an dem Polizisten Schoner verurteilt. Beide hatten am Tatort Kaiserslautern keine Spuren hinterlassen, und kein Zeuge konnte vor Gericht ihre direkte Tatbeteiligung bestätigen.

Die Tatsache, daß Jünschke nach Zeugenaussagen drei Wochen vor dem Überfall eine Reihe von Straßenzügen rund um die Bank photographiert, am Vortag den späteren Fluchtweg erkundet und seine Fingerabdrücke in einer konspirativen Wohnung hinterlassen hatte, wertete das Schwurgericht als ausreichenden Beweis, daß der frühere Psychologie-Student »auch in der Bank weilte und eine Rolle spielte, die mit dem Fluchtweg zusammenhing«. Grashofs Beihilfe sah das Gericht als erwiesen an, weil er zwei Wochen vor den« Überfall in der Buchhandlung Senftleben einen Stadtplan von Kaiserslautern gekauft hatte und von einer Verkäuferin dabei beobachtet worden war.

Für die These der Ankläger, wonach der dritte Angeklagte, Grundmann, unter den Geldräubern in Ludwigshafen war, fand das Gericht keinen ausreichenden Beweis. So blieb von der Anklage gegen Grundmann nur die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und unerlaubter Waffenbesitz übrig.

Denn »Kronzeuge« Gerhard Müller hatte Grundmann zwar belastet, sich dabei jedoch in Widersprüche verwickelt. Er fand in Kaiserslautern. auch dies durchaus anders als in Stammheim, wenig Glauben. Stiefenhöfer: »Seine Angaben müssen mit größter Vorsicht behandelt werden.«

Eine Behauptung von Müller, der, so Stiefenhöfer, auch in Stammheim gelegentlich die »bewußte Unwahrheit« gesagt hatte, diente dem Gericht andererseits sogar zur Entlastung Jünschkes im Frankfurter Sprengstoff-Fall. Obwohl ein Zeuge den Angeklagten am Tatort gesehen haben will, mochte das Schwurgericht »Müllers Eindruck, Jünschke sei hier in keiner Weise beteiligt gewesen, nicht ausschließen«.

Der Freispruch in diesem Punkt überraschte allerdings ebenso wie die Überzeugung des Gerichts, Jünschke sei als Mittäter in Kaiserslautern überrührt. Prompt kündigten auch die Pflichtverteidiger Revision dagegen an.

Neunzig Polizisten, die zum Schutz der als Verhandlungssaal umgebauten Kartoffelhalle abgeordnet worden waren, begannen nach der dreistündigen Urteilsverkündung, die Gitter, Monitore und den Stacheldraht wieder abzubauen — seit Prozeßbeginn vor 21 Monaten gab es für die Bewacher keinen einzigen Zwischenfall.

War der kleine BM-Prozeß im Schatten des Stuttgarter Monsterverfahrens — wegen des doppelten Aufwands, doppelter Kosten und des von Anfang an einkalkulierten Risikos unterschiedlicher Bewertungen — Beamten der rheinland-pfälzischen Justiz und des Bundeskriminalamtes zunächst noch als »der reinste Quatsch« erschienen, so bewerten sie ihn heute hoch.

Der Kaiserslauterer Prozeß belegt, daß es sich auch gegenüber Staatsfeinden von BM-Zuschnitt noch immer unvoreingenommen, ausgewogen und differenziert judizieren läßt. Nicht nur die Überlegenheit Stiefenhöfers, seine Flexibilität in Verfahrensfragen, nicht nur die Anwälte, die in Kaiserslautern kaum Anlaß zu vordergründigem Wirbel fanden — auch die Mainzer CDU-Landesregierung tat das Ihre zu einem korrekten Verfahren: Ein Abhör-Skandal wie in Stammheim blieb dem Prozeß in der Provinz erspart.

Als sich Justiz- und Innenministerium in Mainz vor die Frage gestellt sahen, ob sie — parallel zu dem Beschluß der Stuttgarter Minister Schiess und Bender — auch bei Grashof und Jünschke in der Vollzugsanstalt Zweibrücken Verteidigergespräche belauschen sollten, fiel die Entscheidung in den beiden Mainzer Chefetagen negativ aus: »aus verfassungsrechtlichen Gründen«.

Quelle: Der Spiegel vom 05.06.1977