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Eine Odyssee der Liebe

Alles läuft aus dem Ruder
Eine Odyssee der Liebe

Kabul, Montag, 24. September 2007

Seit Monaten wurde das Hotel immer voller. Viele Journalisten, Mitarbeiter von internationalen Firmen und mehrere Team an Sicherheitsleute bewohnten für ein paar Tage oder Wochen das Haus. Im Hotel war sehr viel Arbeit um dem Schutz all dieser Leute gerecht zu werden. Viele Einsätze fahren, planen und koordinieren. Der Arbeitstag von Hannes hatte oft 18 Stunden. Ständig musste er erreichbar sein. Es war schon eine sehr große Aufgabe sich um bis zu 150 Menschen für deren tägliche Sicherheit zu sorgen. Marcel, Oliver und Samuel waren für ihn eine sehr große Hilfe, wenn sie sich jede vierte Nacht das Notfalltelefon teilten. In den zwei Büros von Hannes arbeiteten bis zu 12 Personen täglich, um die neusten Sicherheitslagen, Bombenfunde oder Terroraktivitäten zu analysieren und um den Forderungen der Redaktionen von Medienanstalten aus aller Welt gerecht zu werden oder auch denen mal ganz klar zu sagen, dass Fahrten in jene oder welche Gebiete zur Zeit nicht möglich waren. Die Ignoranz von sehr vielen Redakteuren oder Journalisten konnte Hannes oft nicht mehr verstehen.
Die Teamleiter mussten in dieser hektischen Zeit auch darauf achten, dass ihre Personenschützer nicht „verheizt“ wurden, so fuhr Hannes bei einigen Einsätze selbst mit. Kleinere Fahrten mit Mitarbeiter von irgendwelchen Firmen mal kurz in Kabul oder dessen Randgebiet zu fahren, war für ihn eine Abwechslung und so konnte er für ein paar Stunden nur Personenschützer sein und musste nicht ständig alles an Bürokratie und Sicherheit im Blick haben. Es waren für ihn ein paar Stunden ohne Zeitdruck und ohne ständig zu telefonieren, Mails von Botschaften lesen, die mal wieder eine Terrorwarnung für den Süden, Norden oder Osten aus dem Land schickten.
Alles wurde in den letzten Monaten hektischer. Jetzt, sofort und gleich. Nachrichten mussten immer schneller gesendet werden und Journalisten so schnell wie möglich in die Stadt oder Provinz gebracht werden, wo mal wieder über Anschläge und Tote berichtet werden konnte. Die drei P-750 Flugzeuge flogen fast täglich am Limit, trotzdem verbot Hannes das nach Sonnenuntergang noch geflogen wurde. Er hatte seine Prioritäten und die waren nicht verhandelbar.

Terroranschlag im Distrikt Kartey Sakhi

Es gab wieder ein Anschlag in der Nähe vom Zentrum in Kabul, sofort sollten Journalisten an diesen Ort, um mal wieder über Terror in Afghanistan zu berichten. Ein gutes Dutzend von Journalisten mit der fast dreifachen Anzahl von Personenschützer, waren schon mit den anderen Fahrzeugen dort hin unterwegs. Hannes mochte es gar nicht, dass immer gleich so viel Journalisten auf einem Platz aufschlugen. Immer öfter kam es vor, dass nach dem ersten Anschlag ein zweiter folgte. Terror wollte mehr Aufmerksamkeit und mehr Tote.
Ein Fernsehteam aus Mexiko musste noch an den Anschlagsort gefahren werden. Hannes machte seinen Range Rover Armored klar. Die drei Fernsehleute nahmen mit ihren Taschen auf dem Rücksitz platz. Ein Bodyguard Namens, Louis Contreras aus Kolumbien fuhr mit. Hannes kannte ihn nicht. Contreras war in einem Team welches erst seit kurzem bei der Firma angestellt war.
Wird schon alles gut gehen, sind genügend andere Bodyguards vor Ort, dachte er, als der Armored aus den Tor in der Darulaman Road Richtung des Stadtteils
Kartey Sakhi fuhr.

Hannes fuhr schnell durch die Straßen von Kabul. Überall hörte er die Sirenen der Krankenwagen, Polizei und Feuerwehren
„Noch drei Straßen und dann zwei Querstraßen“ sagte er auf englisch zu den Mitfahrer.
Der Verkehr und Getümmel wurde, wie zu erwarten, immer Chaotischer. In dem Distrikt Kartey Sakhi gab es kaum noch ein vorwärts kommen. Er musste mit den Journalisten näher ran. Vom jetzigen Standpunkt aus war der Weg ohne Fahrzeug zu weit und nicht sicher. Die drei Fernsehleute wurden immer nervöser, je langsamer es voran ging.
„Immer diese Sensationspresse“ sagte er auf deutsch und schaute in den Rückspiegel.
Er sehnte sich nach Dokumentationen mit Gregory Flinn zurück. Ruhige und sachliche Reportagen. Man konnte im Team reden wie der nächste Tag geplant wurde. Heute mussten es Bilder von Tod und Zerstörung sein die gezeigt werden müssen. Keine Bilder von Kinder die sich über Teddybären freuen oder wie Soldaten Dächer abdichteten. Diese Menschlichkeit wird im Fernsehen kaum gezeigt, die Abgründe und Perversion dieser täglich.
„Noch zwei Querstraße.“ „Stop it. Stop it here. We have not time. Pleace stop here“ sagte der eine Mexikaner.
„No! The way is to long. Not safety“ gab Hannes mit energischen Worten zurück.

Es ging nur noch zäh voran, Krankenwagen und Autos standen auf der Straße die auch nicht weiter kamen oder einfach abgestellt wurden. Der Mexikaner hinten links, öffnete die Tür vom Armored und war im Begriff aus dem Auto zu steigen.
„NO! Outside is not safety! Das glaubt man nicht, macht der Penner die Tür auf!“ Brüllte Hannes.
Der Mann in der Mitte der Rückbank drückte seinen Kollegen aus den Auto. Gleichzeitig öffnete der andere Mexikaner auf der rechten Seite die Tür und sprang aus dem Auto.
Hannes brüllte Contreras an „What’s wrong with you? The situation is out of control! Close the door, close the door!“
Hannes sprang sogleich aus dem Auto, trat mit dem rechten Fuß die hintere Tür zu und zog sofort seine Waffe aus seiner Gürteltasche.
„Close the door! Mann, was bist du für ein Vollidiot“ brüllte er Contreras an.
Die drei Mexikaner liefen in die Richtung, wo sie den Tatort vermuteten und von wo die meisten Menschen weg liefen.
„STOP! The Area is not safety“ schrie Hannes ihnen hinterher.
Viele Menschen waren auf der Straße und liefen zu dem Tatort, oder von dort weg. Es herrschte das blankes Chaos. Autos standen quer und überall Menschen die in Panik rannten und schrien.
Hannes drückt während er lief und brüllte, die Schnellwahltaste am Handy um Marco zu erreichen. Nach zwei Sekunden war Marco am Telefon.
„Hörst du mich…?“ Brüllte er ins Headset. „Ja, ja! Ich höre dich. Was ist los?“ „Die Mexikaner sind aus dem Auto raus. Ich bin zwei Querstraßen, wahrscheinlich 800 Meter, von dem Tatort weg. Schau auf den GPS wo das Auto steht, ich laufe nach Westen. Verdammt, die Situation ist außer Kontrolle.“
Im Lauf drehte er sich um und suchte Contreras. 8 Meter rechts hinter ihm sah er ihn laufen.
„Marco, hier ist das blanke Chaos, Leute schreien und kommen uns entgegen gelaufen … Ich habe die Mexikaner verloren… Ein Motorrad kommt aus einer Querstraßen von links auf mich zu… Schnell!…15 Meter. Zwei Personen auf dem Motorrad… Wo zum Teufel ist dieser Contreras?… Sehe ihn, 6 Meter hinter mir. Motorrad noch 10 Meter Entfernt… Verdammt die haben eine Kalaschnikow!“
Der Sozius richtete die Kalaschnikow in Richtung von Hannes. Schüsse fielen.
„Ich brauche Unterstützung! Habe keinen Feuerschutz! Weiß nicht wo Contreras ist… Muss schießen! Kein freies Schussfeld… DOWN, DOWN“ brüllte er die Leute vor ihm auf der Straße an.
Die Patronen der AK47 schlugen links in ein Auto ein. Vor im brach eine Frau zusammen.
„FREE!“ In der Sekunde als die Frau zu Boden sackte, schoss Hannes zweimal auf den Sozius. Dieser kippte nach hinten rechts weg. Unkontrolliert schlugen die Patronen der AK47 links und rechts neben ihm ein. Glas von den Autos kam ihm entgegen geflogen. Er ließ sich sofort neben einem Auto auf den Boden fallen. Rechts von ihm fielen zwei Personen tot auf die Straße. Sofort war Hannes auf den Knie und zielte erneut auf das Motorrad. Zwei Schüsse feuerte er auf den Fahrer. Das Motorrad prallt gegen einen Pkw. Menschen liefen in Panik kreuz und quer über die Kreuzung.
„Marco, ich brauche Unterstützung!… 4 Meter links vom mir liegt der Typ mit der AK47… Shit! Er bewegt sich noch! … Neutralisiert!“ Hannes sah wie das Blut von dem Mann gegen die Hauswand spritzte. „Der eine ist neutralisiert. Wo ist der andere?… Mehrere Polizisten und Soldaten kommen aus Westen gelaufen… STOP! AREA NOT SAFETY. NO CLEAR! Verdammt, wo ist der andere? Ich habe kein Feuerschutz! Hier ist das blanke Chaos!“
Die Menschen um ihn wussten nicht in welche Richtung sie laufen sollten und Hannes sah dadurch den andren Terroristen nicht mehr.
„Marco, ich hab den Typ aus den Augen verloren. BACK… BACK“ Brüllte Hannes die Leute an, er musste den Mann suchen. „Hab den Fahrer von dem Motorrad gefunden… Bin noch 2 Meter von ihm entfernt… Sehe keine Waffe.“
Hannes ging langsam mit seiner Waffe auf den Mann am Boden zu. Der Mann zuckte. Hannes blieb sofort stehen und zielte auf dessen Genick. Dann bewegte sich der Mann nicht mehr.
„Ok. Der Fahrer ist tot. Ich gehe weiter auf das Motorrad zu. Eineinhalb Metern… Rucksack! Ich sehe einen Rucksack unter ihm! RUN RUN RUN THE AREA IS NOT SAFETY. RUN!“ Brüllte Hannes erneut die Leute an, die um ihn herum waren.
„Verdammt, Marco ich muss hier weg! Finde die Mexikaner nicht… Contreras ist verschwunden! Ich brauch ein Sprengstoff-Kommando hier! Beile dich!… Habe einen der Mexikaner gefunden… Er ist Verletzt… Schussverletzung an rechten Oberarm und rechtes Bein. Ziehe ihn zwischen zwei Autos in Sicherheit der Häuser… Contreras sehe ich auf der anderen Straßenseite liegen.“
Eine Gruppe junger Männer kam auf ihn zu gelaufen. Hannes richtete sich sofort auf im lauf zu Contreras richtete er seine Waffe auf die Gruppe. Sofort blieben die fünf Männer stehen und streckte ihre Hände hoch.
„BACK… AREA NOT SAFETY“ schrie er die Männer an.
Hannes rannte auf den am Boden liegenden Contreras zu, stolperte über etwas auf dem Boden. Er taumelte. Rollte sich während des fallens ab und schlug sich den rechten Ellenbogen auf dem Beton auf. Seine Glock fiel ihm aus seiner linken Hand und rutschte über den Gehweg. Er streckte sich nach seiner Waffe. Stützen sich dabei mit der rechten Hand ab und spürte wie Kieselsteine sich in seine Handfläche bohrten. „Fuck! Tut das weh. Marco?“ „Bin da.“ „Contreras blutet stark am Kopf und hat einen Durchschuss am linken Oberarm… Er ist Bewusstlos… Ich höre Sirenen, sind die für mich?“ „Ja, ja alles kommt zu dir! Gib mir Status!“ „Gleich.“
Hannes riss das Hemd von Contreras auf und macht sofort einen Druckverband.
„Ok, Marco, Status, jetzt! Contreras ist auf der rechte Straßenseite. Liegt an einer Hauswand. Er ist Bewusstlos und hat eine Platzwunde rechte oberhalb der Schläfe. Wahrscheinlich durch den Aufschlag auf den Boden. … Eine tote Frau auf dem Gehweg. 2 Meter von mir entfernt. … Zwei weitere Personen tot auf der Straße.“
Hanns stand auf und ging weiter nach Westen „Ein Mann verletzt. Hat einen Bauchschuss, sieht nicht gut aus… Sehe Sanitäter von Osten kommen… ONE PERSON LEFT SIDE NEAR HOUSE. ONE PERSON RIGHT SIDE BY THE BLUE CAR. A MALE SERIOUSLY INJURED PERSON ON THE RIGHT SIDE OF THE STREET. SHOT IN THE STOMACH. PICK UP AND BACK. AREA IS NOT SAFETY“ rief er den Sanitäter zu.
Hannes sicherte seine Glock und steckte sie am Rücken in seinen Hosenbund.
„Weiter mit Status: Zwei Personen 3 Meter links in Querstraße … Beide tot. Gehe zurück zur Hauptstraße. Person mit Kalaschnikow neutralisiert durch Kopfschuss. Der Schuss kam von mir.“
Eine Gruppe Polizisten und Militärs kamen aus Westen mit Gewehren auf ihn zu gelaufen und Hannes hob die Arme hoch.
„DANGER! MAN WITH BACKPACK ON WHITE CAR. PERSON DEAD. BACKPACK ON FRONT SIDE FROM THE MAN“ rief er der Gruppe zu.
„Weiter mit Status: Suche nun nach Westen die zwei Mexikaner. Noch eine männliche Person tot. Verdammt, wo sind die hin?“
Immer noch liefen Menschen schreiend und weinend an ihm vorbei. Zwei Männer knieten links an der Straßenseite bei zwei Personen und versorgen deren Wunden.
„Okay Marco, neuer Status: Mann und Kind verletzt, bluten beide. Um sie wird sich gekümmert. Sind soweit safe. Habe die Mexikaner gefunden rechte Seite Hauseingang 20 Meter von der Kreuzung entfernt.“
Hannes ging auf die beiden Mexikaner zu und sprach weiter in sein Headset „Sehe keine Verletzungen bei den Mexikaner.“
Hannes kniete sich zu den beiden auf den Boden und sprach mit den Männer „Are you ok?“
Die beiden Mexikaner sahen ihn an und konnten nicht reden.
„Are you ok?“ Wiederholte er seine Frage. Einer nickte Geistesabwesend. Hannes packte den anderen am rechten Oberarm und schüttelte ihn fest. Er sah zu Hannes. „Are you ok?“
Er nickte langsam.
„Marco?“ „Ich bin da.“ „Beide haben einen Schock. Sonst keine Verletzungen zu sehen. Sieh zu das endlich das Sprengstoff-Kommando kommt. Over and Standby.“

Ein Polizei Hauptmann kam auf Hannes zu gelaufen „Are you okay? Are you okay? Are you hurt?“ „I’m okay. I am not hurt. Thank you.“
Hannes gab gleichen Status der Lage dem Hauptmann weiter.
„Marco…?“„Ja.“ „Die Sanitäter wollte Contreras und den einen Mexikaner abtransportieren. Ich gab ihnen unsere Adresse in der Darulaman Road. Geb Emily den Status der beiden durch.“ „Wird sofort erledigt. Sieh du endlich zu, dass du dort weg kommst.“

In Begleitschutz von fünf Polizisten fuhr Hannes mit den beiden Mexikaner auf dem Polizei Pickup zurück, wo er das Auto abgestellt hatte. Hoffentlich war das Auto noch da. In all dem Stress hatte er nicht einmal Zeit gehabt das Auto abzuschließen.
Ein Pulk von Männer stand um den schwarzen Range Rover Armored als er mit den Polizisten vor fuhr. Als er von der Ladefläche des Pickup’s sprang, traten die Männer sofort vom Armored zurück.
Die Polizisten halfen den beiden Mexikaner von der Ladefläche und führte sie zu der gepanzerten Limousine. Hannes öffnete die linke Tür im Fond des Autos und ließ die Männer einsteigen. Der letzte saß noch nicht richtig, da schlug Hannes die gepanzerte Tür zu. Er drehte sich zu den Polizisten um, bedankte sich für deren Hilfe und verabschiedete sich von ihnen.

Die Mexikaner saßen auf der Rückbank wie geprügelte Hunde und schauten unter sich.
Hannes war kurz davor diese beiden Vollidioten anzubrüllen und mit dem Kopf gegen das Panzerglas zu schlagen.

In der Darulaman Road fuhren die zwei Krankenwagen weg, als er ankam.
Die beiden Verletzten waren bereits auf der Krankenstation. Sabine standen für die beiden anderen Mexikaner sofort zur Verfügung. „Hannes, ist alles in Ordnung?“ Fragte Sabine.
„Ja. Schaff mir die Pappnasen aus den Augen, bevor ich mich vergesse.“

Einsatznachbesprechung im Büro

Marco war im Büro von Hannes und saß auf dessen Platz. Andreas, Annemieke und Eliza waren auch da. Hannes knallte die Tür von seinem Büro so fest zu, dass diese fast aus der Wand fiel. Er sah kurz in die Runde seiner Mitarbeiter und dann zu Marco. Hannes brüllte das absolute unprofessionelle Verhalten der drei Mexikaner heraus. Wie Contreras getroffen wurde, konnte er nicht sagen. Ein solch amateurhaftes Verhalten von Contreras dulde er nicht in diesem Haus.
Annemieke stand regungslos an der Wand, an der die Karten für die Terrorpunkte hingen. So in rage hatte sie ihren Chef noch nie erlebt.
Als seine Wut weniger wurde, sagte er zu Marco „Ich habe eine Sekunde zu lange gewartet.“ „Was du uns eben mit 120 Dezibel in die Ohren gebrüllt hast, dafür kannst du dir keine Schuld geben. Dein Anruf ist aufgezeichnet. Sei froh das du noch lebst! Du bist ohne Feuerschutz in die Richtung von dem Motorrad gelaufen. Bist du völlig irre? Du hattest bis zum Schluss keinen Status über den Rucksack gehabt. Hannes, was ist los mir dir?!“ „Ich war die meiste Zeit im Schutz hinter den Autos.“
Marco riss die Augen auf, stand auf und sah in die Runde im Büro „Ich war die meiste Zeit im Schutz hinter den Autos?!“ Wiederholte er die Worte von Hannes. Er trat auf ihn zu und wurde auch lauter „Bist du völlig bescheuert? Nach den örtlichen Gegebenheiten und deinem Status brauchts du hier in dem Raum niemanden den Wirkungsradius einer Bombe zu erklären. Hannes du warst in Lebensgefahr, weil dein Bodyguard seinen Job nicht richtig gemacht hat und weil die drei Mexikaner geil auf Sensationspresse sind!“ „Ja. Ja Marco dies weiß jeder hier im Raum. Es ändert aber nichts mehr daran. Von uns ist niemand ernsthaft zu Schaden gekommen und wir alle leben noch. Ich habe das getan, was ich gelernt habe und was meine Prioritäten sind: Verletzte versorgen, Status objektiv einschätzen und bewerten, Menschen in Sicherheit schaffen und Hilfe koordinieren. Ich denke, dass ich meine eigene Arbeitsanweisung recht gut umgesetzt habe.“
Seine drei Mitarbeiter sahen ihn wortlos an. Marco nickte Hannes zu. Er wusste, dass er dem Chef in diesen Punkten nicht mehr widersprechen konnte.
„Okay Hannes, ziehen wir hier einen Schlussstrich. Ich werde nachher mit den drei Mexikaner unabhängige voneinander reden. Auch wird heute noch deren Arbeitgeber über diesen Vorfall informiert. Ich habe auch schon bei der Polizei und den zuständigen ISAF Einheiten angerufen und deren Einsatzberichte angefordert. Unsere Sicherheitsanweisungen sind allen Medienanstalten und Mitarbeiter bekannt, die unseren Service buchen und diese müssen auch befolgt werden! Dieser Einsatz wird bis in kleinste Protokolliert. Soll Sabine gleich zu dir kommen?“ „Nee, lass sie erst mit diesen Vollidioten reden. Ich denke die brauchen neue Unterwäsche.“ Marco grinste „Hannes, wir kennen uns schon sehr lange und niemand stellt sich bei diesem Vorfall zwischen dich und mein Wort!“ „Ich dank dir, mein Freund. Ich bin in meinem Zimmer, wenn etwas sein sollte.“ Hannes drehte sich um und ging zur Tür.
„Hannes? Ich hätte noch eine Frage. Hattest du einen Schutzhelm auf?“ Beim öffnen der Tür sagte er ohne sich zu Marco umzudrehen „Keine Zeit gehabt.“

Gespräche unter Freunden

Hannes lag auf seinem Bett und war müde. Er wollte schlafen und an nichts mehr denken, aber es ging nicht. Tausende Gedanken schossen ihm durch den Kopf und immer wieder sah er Patricia vor sich stehen oder neben ihm im Bett liegen.
„An was denkst du immer unermüdlichen, mon chérie?“ „An dich mein Engel.“
Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Seit Patricia nicht mehr bei ihm war, hatte das Leben keinen Sinn mehr. Hätte mich vorhin doch nur eine Kugel getroffen oder eine Bombe zerfetzt, dachte er und wischte sich die Tränen weg.

Es klopfte an seiner Tür und Marcel trat ein. Er hatte zwei Dosen Bier in der Hand und reichte Hannes eine Dose. Marcel zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich.
„Merci beaucoup, mein Freund. Habe ich geschlafen?“ Hannes setzte sich mit dem Rücken an die Wand.
„Ja, hast du. Ich war vor einer Stunde schon bei dir, ließ dich aber schlafen. Im Büro habe ich die Aufzeichnung gehört. Vom GPS Standpunkt und der Karte, bist du ohne Feuerschutz von Contreras in das Mündungsfeuer gelaufen. War das so?“
Hannes sah seinen Freund tief in die Augen und nickte dann „Oui, Marcel, dass war so. Du warst nicht da. Bei dir hätte ich keine Sekunde gezögert. Du bist der beste Scharfschütze auf diesem Planeten und du weißt, dass ich dir blind vertraue.Tu es mon ami.“ „Ja, ich bin dein Freund, du hättest tot sein können! An die Situation mit dem Rucksack will ich gar nicht denken. Noch haben wir keine Bestätigung von einer Bombe.“ „Und wenn schon…“ Marcel riss die Augen auf und packte ihn hart am Oberarm „Hannes, ich weiß wie sehr es dich schmerzt, dass Patricia tot ist. Machte es die Aktion von vorhin dadurch besser? Hätte Patricia dies gewollt?“ Marcel schaute in einen leere Blick mit Tränen in den Augen.
„Ich hatte den Überblick verloren. Ich wusste nicht wo die drei Mexikaner waren. Dies wäre dir nicht passiert. Vier Verletzte und sieben Tote. Toller Einsatz.“ „Hast du sie nicht mehr alle?! Die Terroristen hätten das zehnfache an Menschen umbringen können! Du hast so reagiert, wie es immer wieder trainiert wurde. Contreras hat dich ohne Feuerschutz gelassen. Das war ein grober Fehler. So etwas darf nicht passieren! Wenn Malcolm oder Hattie dies erfahren, brennt hier der Baum! Du bist kein Scharfschütze oder Bodyguard. Das ist nicht deine Aufgabe! Und eine Sekunde schneller hätte bei dieser Situation nichts geändert. Die hätten dich durchlöchern und zerfetzten können! Hannes – die Welt braucht mehr Menschen wie dich und nicht weniger! Das Leben geht weiter. Auch wenn es verdammt weh tut. Du hast heute durch deinen Einsatz Menschen gerettet. Das ist es doch was du willst. Es leben mehr, als tot sind!“ Die Worte von seinem Freund trafen mal wieder den Punkt.
„Ja, du hast recht. Alles was du sagst, ist richtig. Es tut immer noch verdammt weh im Herz.“
Marcel nahm ihn in die Arme „Wir sind Freunde. Heute hätte ich einen der besten Menschen verloren. Da bin ich einmal nicht da, um auf dich aufzupassen und du riskierst so dein Leben!“

Das Bier war fast getrunken und lange sagte niemand ein Wort.
„Ich bin stolz auf dich.“
Hannes schaute Marcel fragend an.
„Na ja, immerhin hast du die zwei Typen auf dem Motorrad erwischt. Du bist nicht gerade der beste Schütze. Siehst du, nun lachst du wieder.“
Hannes zog die Schultern hoch „Für heute hat es gereicht.“
Marcel wuschelte ihm die Haare „Diese Welt braucht dich noch, mein Freund.“

Der Abend nach einem Alptraum

Am Abend ging Hannes in die Krankenstation zu Emily. Er wollte den Zustand von den zwei Verletzten wissen. „Der Mexikaner hat Streifschüsse. Hätte schlimmer sein können. Contreras hat einen glatten Durchschuss. Ohne deinen Druckverband wäre er verblutet.“ Emily nahm ihn in die Arme „Du hast alles richtig gemacht. Mehr ging nicht. Die beiden verdanken dir ihr Leben! Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?“
Was sollte er seiner Freundin sagen? „Emily, ich werde zu alt für den Scheiß. Ich denke mir geht es gut.“
Mit diesen Worten drückte er sie fest und gab ihr einen Kuss auf die Stirn und streichelte ihr schönes Gesicht.

In seinem Büro waren Annemieke, Marco und Tamina. Der Bericht von der Polizei und dem ISAF Stützpunkt in Kabul war mittlerweile angekommen. Marco und Tamina übersetzten den Bericht der Polizei von paschu in englisch.
„Nun ist es offiziell. In dem Rucksack war eine Splitterbombe. Der Zünder war noch nicht aktiviert. Ohne dich wären viele weitere Menschen an diesem Tag gestorben. Das du in all dem Chaos noch so gut reagiert hast, wird in den Berichten mehrmals hervorgehoben. Du hast die Polizisten und Soldaten auf die Gefahrenlage aufmerksam gemacht. Keiner wusste zu diesem Zeitpunkt die Lage einzuschätzen. Du hast völlig richtig gehandelt. Auch, dass du die Sanitäter auf die Gefahr und den Status der Verletzten informiert hast, wird in dem Polizeibericht erwähnt.“ Tamina stand auf und umarmte ihn „Hannes, du hättest sterben können!“
Annemieke sagte, dass Hattie angerufen hatte und er sie bitte dringend zurück rufen sollte.
An seinem Schreibtisch starrte er die Telefone an. Er rauchte eine Zigarette und nahm den Telefonhörer in der Hand und schaute seine Mitarbeiter und Freunde im Büro an. Er legte den Hörer wieder auf das Telefon.
Nach fünf Minuten zog er erneut eine Zigarette aus der Schachtel und zog den Rauch tief ein. Jeder im Raum sah ihn an, als er dem Rauch der Zigarette nach sah. Keiner von seinem Team im Büro sagte etwas, sie wussten, wann es besser war zu schweigen. Erneut nahm er den Hörer in die Hand und drückte auf die Speichertaste ihrer Nummer. Nach dem zweiten Freizeichen hörte er ihre Stimme. „Hannes. Gott sei dank! Ich habe die Aufzeichnung gehört… ich bin auf dem Weg nach Kabul.“ „Hattie, alles ist gut. Ich lebe noch. Du musst nicht kommen.“ „Zu spät. Ich sitze bereits im Flugzeug. Es muss einiges geklärt werden. Einen solchen Vorfall, darf es nie wieder geben. Morgen bin ich bei dir.“

Time to say goodbye

Die ganze Nacht saß er mit dem Rücken an der Wand auf seinem Bett. Die Glock 17C hatte er in seiner linken Hand. Er wollte und konnte nicht mehr. Krieg, Terror und Tod sah er nun fast jeden Tag. Wofür dies alles?

Der Morgen brachte die ersten Sonnenstrahlen nach Kabul. Da waren keine tausend Farben mehr. Es war nur noch grau, was an Licht in sein Zimmer fiel. Das Telefon auf dem kleinen Schreibtisch in seinem Zimmer klingelte. Er sah es an und zielte mit der Waffe darauf. Es verstummte. Wenige Minuten später klingelte es nochmals. Es hörte nicht aus zu klingeln. Er zielte auf das Telefon und bewegte den Finger am Abzug der Glock. Das Telefon verstummte.
„Feigling“ sagte er zu dem Telefon.

Sabine öffnete die Tür ohne anzuklopfen. „Na? Und nun? Ist die Waffe die Lösung der Probleme?“
Sabine kam langsam auf ihn zu und setzte sich auf sein Bett „Hannes…, jeder versteht was du durchgemacht hast. Jeder hat vor dir, deiner Arbeit und deinem Umgang mit Menschen den allergrößten Respekt. Du bist intelligent genug um zu wissen, dass Suizid nicht die Lösung ist.“ „Wer spricht von Suizid? Das Telefon klingelt und ich zielte auf das blöde Ding.“ „Ach so. Normalerweise nimmt man den Hörer in die Hand. Müsstest auch du wissen. Oder hast die Waffe in der Hand um auf Mücken zu schießen. Bei Samuel und Marcel würde ich dies sofort glauben.“ „Allewelt hält mich für einen schlechten Schützen.“ „Für das, dass du dies nicht bist, bist du verdammt gut! Du bist kein Schütze. Du bist ein Leader und da gibt es keinen, der dir das Wasser reichen kann! Ich weiß wie du fühlst und denkst. Der Tod von Patricia tut dir weh. Du fühlst dich für alles und jeden verantwortlich. Du denkst permanent an Sicherheit für Menschen. In jeder Situation hast du die Verantwortung für andere. Ich habe mit mir schon genug zu tun. Das Afghanistan so ist, wusste ich nicht. Ich bin wirklich froh, wenn der Einsatz in zwei Wochen vorbei ist. In den letzten Monaten habe ich mehr gelernt, als manche in ihrem ganzen Leben jemals lernen werden. Wie du im Januar bereits gesagt hattest, ist dies hier ein super Team – dies ist es auch! Ich kann mein Leben blind anderen anvertrauen. Ich habe bei dir Teamarbeit kennengelernt, die es so niemals mehr geben wird. Du führst und gibst die Richtung vor. Dies alles tust du ohne Arroganz. Zwar immer bestimmend – aber menschlich.“
Hannes sah die blonde Frau aus Magdeburg an, die Patricia so verdammt ähnlich sah „Sabine, ich werde zu alt für diesen Job. Er zehrt an mir und macht mich fertig! Ich bin gestern ohne Feuerschutz in Salven von einer Kalaschnikow gelaufen. Ich war und bin, die Sicherheit von unserem Team gewöhnt. Ich bin von dem was ich einst war, schon viel zu weit weg. Menschen zu erschießen hat nichts mit Bildung für Kinder zu tun.“ „Hannes, dies stimmt nicht!Du hast hier in diesem Land großes getan. Was du für Nila, Amira und die Mädchen im Frauenhaus getan hast, kann mit nichts auf dieser Erde ausgeglichen werden! Für die Rettung und Unterbringung von 32 Mädchen und Frauen hast du ein Vermögen aufs Spiel gesetzt. In Istanbul hast du eine Hilfsorganisation aus dem Boden gestampft, die beispiellos ist. Du bist von deinem Traum nicht weit entfernt – du siehst es nur nicht mehr. Komm mit zu Erik in die Niederlande. Da sind Kinder die dich bräuchten.“
Sabine nahm die Waffe aus seiner Hand und legte sie auf den Boden. Sie nahm seine Hände und hielt sie fest „Ich habe den besten, gütigsten und liebevollsten Menschen kennengelernt, dem ich so viel zu verdanken habe. Hannes, die Welt wäre eine bessere, gäbe es mehr von dir.“
Ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Sabine streichelte ihm über den rechten Arm „Weine ruhig. Das ist gut. Du bist unglaublich stark. Du brauchst aber auch die Zeit, in der du nicht stark sein musst.“ Sie umarmte ihn und streichelte ihm über den Rücken. Ihr Kopf war dicht an seinem „Was ich eben gesehen habe, bleibt zwischen dir und mir. Ich werde dich in diesem Leben niemals kompromittieren. Niemals!“

Hattie’s Standpauke

Hannes saß immer noch mit dem Rücken an der Wand auf seinem Bett und sein Blick war immer noch leer. Er war leer und ausgebrannt. Sein Hirn konnte nicht mehr zusammenhängend denken.
Es klopfte zweimal an der Tür. Hattie kam ins Zimmer, ohne das er ein Wort sagte. „Hallo Hannes, ich bin da! Ich habe gesagt das ich komme. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?“
Er zog die Schultern hoch ohne sie anzusehen.
„Gut. Die Frage nach dem trinken, essen und duschen erspare ich mir. Das gleiche Bild habe ich noch vor Augen, nur war es damals in Thailand in eurem Haus.“
Er hob den Kopf und sah seine Chefin, die Gebietsleiterin für Südostasien, diese wunderschöne afroasiatische Frau an „Hattie, ich bin zu alt für diesen Job.“
Hattie nahm Tief Luft „Zu alt…? Zu leichtsinnig! Du rennst ohne Feuerschutz auf ein Maschinengewehr zu! Du bist der beste Leader in unsere Firma – hast du gestern wieder bewiesen, auch wenn es dein Leben gekostet hätte! Was sollte dieses Selbstmordkommando?“ „Nun mach mal einen Punkt! Ich habe das getan, womit Malcolm sein Geld verdient: Menschen zu beschützen! Dafür bin ich in diesem gottverdammten Land. Erzähl du mir nichts von Selbstmordkommando.“
Hannes sah den zornigen Blick in Hattie’s Augen und wusste, dass er seine Karten verspielt hatte.
„Ich wurde in Kenntnis gesetzt, dass du und Contreras keine ausreichende Sicherheitsausrüstung hattet. Ich hätte dafür gerne eine Erklärung.“ „I didn’t have time at that moment. Ist dies erklärt genug für dich?“

Eine Anspannung lag im Zimmer, die in diesem Moment nicht sonderlich angebracht war und Hattie kam schließlich nicht zum streiten und anbrüllen nach Kabul geflogen. Sie setzte sich zu ihm auf sein Bett und ihr kamen die Tränen. Sie legte ihren linken Arm um ihn und drückte ihn fast an sich „All dein Kummer verstehe ich. Dadurch wird Patricia nicht mehr lebendig. Du hast 1989 gewusst… dass…. dass…“ sie schloss die Augen und brauchte Zeit, um weiter reden zu können „Das dieser Tag irgendwann kommen wird. Du hast deiner Frau 10 Jahre die Welt zu Füßen gelegt und ihr täglich deine Liebe gezeigt. Es ist an der Zeit, dass du anfängst zu leben. Du kannst die Vergangenheit nicht mehr ändern, deine Zukunft schon! Du bist unermüdlich im Einsatz, nur um nicht an Patricia zu denken.“ „Ist dies so offensichtlich?“ „Eine einfache Antwort? Ja! Seit Patricia’s Tod, bist du ruhelos. Du merkst es gar nicht mehr. Mach eine Pause. Erhole dich. Komm wieder zu dir zurück!“ „Es gibt auf diesem Planeten keinen Ort, an dem ich nicht an Patricia denken würde.“
Hattie drückte ihn fester an sich „Wenn es einen Himmel gibt, wie wir ihn uns vorstellen, dann schaut Tricia auf dich. Sie ist stolz auf dich! Du hättest gestern sterben können und du lebst noch. Patricia ist bei dir, wie auch bei mir. Ich habe durch ihren Tod meine beste Freundin verloren. Hannes, es tut auch mir immer noch weh. Erinnere dich doch an all die schönen Jahre die wir zusammen hatten.“ „Hattie, die Erinnerungen sind der Grund warum ich noch lebe.“
Er weinte in ihren Armen und Hattie hielt ihn fest an sich gedrückt. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, sagte er „Der Sicherheitschef für Afghanistan weint in den Armen einer Frau. Was bin ich für ein Chef?“ „Der Beste! Du bist immer menschlich geblieben. Dein Rückgrat und Charakter sind unvergleichlich. Hannes, komm mit mir nach Fort Lee. Malcolm möchte dich gerne als Co-Direktor in der Firma haben.“ „Oh Süße, fang doch nicht schon wieder mit dieser Nummer an.“
Hattie gab ihm einen Kuss in den Nacken und löste sich von ihm „Geh duschen. Ich muss noch einiges klären. Wenn du später bei diesem Meeting nicht dabei sein willst, verstehe ich dies sehr gut. Wenn doch, wirst du meine – wie auch Malcolms, volle und uneingeschränkte Haltung dir gegenüber wissen.“

Eine Schocknachricht

Duschen war eine gute Idee. Wie lange er nun schon wach war, konnte er gar nicht mehr sagen. Sein Kopf tat weh, die Augen waren übermüdet und sein Hirn lief nur noch auf Standby Modus.
Er suchte am Schrank nach neuen Kleider, als die Tür aufging und Sabine ins Zimmer trat.
„Ups. Na ja, wenigstens sitzt du nicht mehr an der Wand. Zieh dich bitte an, du hast Besuch.“ „Hallo Sabine, schön das du mir dies mitteilst. Komm doch bitte herein. Ich zieh mich gerade an.“
Sie kam an den Schrank und knuffte ihm gegen den Arm „Sorry Chef. Wie schon gesagt, du hast Besuch. Eine Frau Schayani möch…“ Hannes fuhr wie vom Blitz getroffen herum und schaute Sabine fassungslos an. Hörbar nach Luft schnappend sagte er „Sag… sag das noch einmal!“ „Äh, eine Frau Schayani wartet unten in der Lobby auf dich. Hannes? Was ist los?“

Hannes schwankte vor seinem Schrank und musste das gehörte von Sabine irgendwie verarbeiten. Er suchte nach Worte und wusste nicht, was er zuerst sagen sollte „Iranerin. Groß, lange pechschwarze Haare und eine Figur von einem Model?“
Sabine nickte langsam „Mit Engelsgesicht und die schönste Frau die ich je gesehen habe! Die Frau aus dem Fernsehen… jep… Genau die.“ „Großer Gott im Himmel!“
Sabine packte ihn am Oberarm und sah ihm fest in die Augen „Was ist mit dieser Frau?“ „Lange Geschichte.“
Sabine griff in seinen Schrank und gab ihm Kleider, die er anziehen sollte. Er war völlig neben der Spur und kaum fähig sich selbst anzuziehen.
„Hannes?… Was ist los? Du siehst aus als ob du einen Schock hast. Du kannst dich noch nicht einmal anziehen!“

Mit Sabine ging er die zwei Stockwerke zur Lobby herunter. Auf halben Weg blieb sie stehen und hielt ihn am Arm fest. Er schaute sie an.
„Hannes – die Frau sagte vorhin etwas zu mir.“ Sabine machte eine Pause und sah ihm in die Augen „Wenn du dich nicht an ihren Namen erinnern könntest,… soll,.. sollte… ich dir ausrichten… dass du ihr vor vielen Jahren eine Ohrfeige geben wolltest…“
Er nickte stumm und Sabine sah ihn völlig fassungslos an.

Beiden gingen die letzten Stufen zur Lobby und Hannes sah sie schon.
„Mein Gott, was für eine Schönheit. Der Engel aus dem Orient“ sagte er leise zu Sabine ohne diese anzuschauen.
Tamina und Emily saßen bei ihr. Cosima stand aus dem Sessel auf. Hannes stockte in seinem Schritt. Sabine hörte seinen Atem und wusste nicht was los war. Der Herzschlag von Hannes war an der Belastungsgrenze. Noch 6 Meter trennten ihn von diesem personifizierte Super Model. Sein Atem ging immer schneller.
3 Meter.
Sie kam langsam auf ihn zu.
Eineinhalb Meter.
Cosima liefen Tränen über die Wangen. Noch einen Schritt.
Er nahm Cosima in die Arme und brach zusammen.

Sabine war sofort bei ihm. Tamina und Emily kamen in schnellen Schritten auf ihn zu gelaufen. Aus seinem Büro kamen Marcel und Marco gelaufen. Er hörte seinen Namen wie durch Watte. Alles war verschwommen. Er sah Gesichter und Hände. Worte die er nicht hörte. Er nahm nur Laute wahr und wusste nicht ob er stand, saß oder lag. Es wurde an ihm gezerrt und gedrückt. Emily war über ihm und sagte etwas. Ihre Worte hallten in seinen Ohren, als ob er in einer Bergschlucht am Königssee stand. Bruchstücke ihrer Worte konnte sein Hirn verstehen.
Hell. Es war hell. Schatten. Worte. Licht. Gesichter. Blackout!

Irgendwann kam Hannes zu sich und wusste nicht wo er war. Er sah mehrere Kabel an sich und hörte Geräte piepen.
Emily stand links neben ihm und hielt seine Hand. „Er ist wach“ hörte er sie sagen. Hannes wusste nicht mit wem sie redete. Er drehte den Kopf nach rechts und sah Cosima am Bett sitzen. Sabine stand links neben ihr. Hattie stand an der Wand und hatte Tränen in den Augen.
„Was… was… ist los? Ich kann mich an nicht mehr erinnern.“
Cosima drückte seine rechte Hand und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.
„Salut Cosima, comment vas-tu? Ravi de vous voir. Ich sah dich im Fernsehen.“ „Salut Hannes,… mir… mir… geht es gut. Schön auch dich wieder zu sehen. Ja, ich arbeite in Paris beim Fernsehen.“
Es pikste an seinem linken Arm und er sah zu Emily. „Alles gut Ich helfe dir.“
Er sah wieder zu  Cosima und sah sie fragend an „Cosima… was… was machst du hier? Warum…?“ Er sah wieder zu Emily „Wo bin ich?“ „Auf der Krankenstation. Es ist alles gut. Ich bin bei dir.“ Er nickte Emily zu und sah wieder zu Cosima, die weiter seine rechte Hand fest hielt und streichelte.
„Ich,… ich bin dir gefolgt. Ich habe drei Jahre nach dir gesucht“ sagte sie und schluckte ihre Tränen herunter.
Sabine stand dicht bei ihr und hatte ihre Arme um sie liegen.
„Vier Jahre nach dem Tod von Patricia habe ich dich auf der halben Welt gesucht. Ich war in Kambodscha gewesen. Ich sah eure Projekte. Eure Schulen. Du warst nicht mehr da… Ich war in Thionville bei Franziska und Bernhard gewesen. Auch sie wussten nicht, wo du bist. Ein Stab an Volontäre und Redakteure im Sender suchten permanent nach dir.“ Tränen liefen über ihr wunderschönes Gesicht. Emily fragte, ob alles in Ordnung sei oder ob sie etwas zur Beruhigung bräuchte. Cosima schüttelte den Kopf.
„Ich war mit einem Team im… im Sudan, Burkina Faso und Ghana auf der Suche nach dir. In Accra haben wir deine Spur verloren.“ Cosima weinte immer mehr und konnte kaum noch sprechen.
„Cosima, warum? Ich verstehe nicht.“
Sie nickte und schluckte ihre Tränen herunter „Wie schon gesagt, eine Heerschar von Menschen hat dich auf der ganzen Welt gesucht. In den USA tauchte vor einer Woche ein Video auf…“ Cosima schluckte wieder die Tränen herunter und das sprechen fiel ihr wieder schwer. Sabine streichelte ihr über die Schultern.
„In… in dem Video… sah ich dich…. du… du saßt auf einem… einem… blauen Plastikstuhl. Sabine stand neben dir.“ Cosima liefen die Tränen nur so übers Gesicht und ihr ganzer Körper zitterte.
Hannes nickte „Khost. Das war in Khost. Wir waren im März an einem Frauenhaus. Cosima, was ist los? Warum suchst du mich auf der halben Welt?“
Sie wollte sprechen aber es kamen keine Worte über ihre Lippen. Nach dem dritten Versuch sagte sie „Ich liebe dich! Hannes,… ich liebe dich!“ Nun weinte sie bitterlich. Emily ging zu ihr „Cosima, sag Bescheid, wenn es nicht mehr geht. Okay?“ Sie nickte.
Ihre Hand zitterte immer mehr und so drückte sie die Hand von Hannes fester „Wir… wir fanden… heraus das dieses… Video aus Afghanistan stammt. … Ich flog vor drei Tagen in Paris ab um nach Kabul zu kommen. Durch die Redaktion weiß ich von diesem Haus hier. Als ich gestern beim Empfang…“ Cosima rang nach Luft „deinen… Namen sagte und… und… mir bestätigt wurde, dass du hier bist, schlug es bei mir wie ein Kometenschlag ein.“
Vor weinen und zittern konnte sie nur abgehakt reden „Emily und Sabine … wurden… sofort gerufen. Ich… ich sprach mit ihnen. Sie erzählten von dem… dem Terroranschlag am Montag. Ich… war kurz vorm Ziel und…“
Emily gab ihr jetzt eine Spritze. Cosima bebte und zitterte vor weinen und rang ständig nach Luft. Sabine drückte sie fest an sich. Auch ihr kamen die Tränen. „Ich… ich… war kurz vorm Ziel… und hätte dich… verloren…“
Sie ließ sich fallen. Ihr Kopf lag auf seiner Brust. Sie weinte so sehr, dass sein T-Shirt nass wurde und er ihre Tränen auf seiner Haut spürte. Hannes weinte und sah vor lauter Tränen nichts mehr aus den Augen. Emily wischte ihm mit einem feuchten Tuch übers Gesicht.

„Bist du ein Engel?“

Hannes spürte Wärme neben sich. Da war jemand neben ihm. Er öffnete langsam die Augen und sah, dass er in seinem Zimmer war. Er drehte den Kopf langsam nach rechts und sah in die kastanienbraunen Augen von Cosima „Bist du ein Engel? Ist dies ein Traum?“
Seine Worte hörten sich weit weg an.
„Nein! Kein Traum. Hannes, es ist kein Traum! Ich bin real. Ich bin bei dir. Weiß du… wer… wer ich bin?“ Sie weinte.
„Bien sûr, Madame. Cosima Schayani. Der Engel aus dem Orient und die Schulfreundin von Patricia.“
Sie küsste ihn und ihre Tränen tropften auf seine Wange „Oui, c’est moi. Ich stehe jetzt auf… und gehe zum Telefon. Ich rufe Emily und Sabine an… ist dies okay für dich? Ich bleibe bei dir.“ „Okay. Gut. Vielleicht bekommt mein Hirn dann endlich Klarheit. Ich habe Hunger.“

Emily war zeitgleich mit Sabine, in noch nicht einmal zwei Minuten, bei ihm im Zimmer.
Emily hatte ihren Notfallkoffer und ein tragbares EKG Gerät dabei. Sie sagte Hannes, dass sie bei der folgenden Unterhaltung gerne eine Elektrokardiografie machen möchte. Als sie die 12 Saugknöpfe unter seinem T-Shirt befestigt hatte, steckte sie ihm noch einen Pulsoximeter an den rechten Zeigefinger und stellte die Monitore auf die Fensterbank.
Hannes sah zu Emily „Mein blonder Engel, so viele Kabel für etwas Klarheit zu bekommen?“
Emily nickte stumm.

Emily und Sabine saßen ihm an dem kleinen Tisch in seinem Zimmer gegenüber. Cosima saß rechts von ihm und hielt seine Hand fest.
Sabine fing an zu reden „Hannes, an was kannst du dich als letztes erinnern? Mach langsam. Wenn du nicht weiter weißt, ist dies kein Problem. Wenn du nicht mehr reden willst – oder kannst, ist dies auch in Ordnung. Darf ich ein Tonband mitlaufen lassen?“
Er nickte Sabine zu, ohne zu wissen warum sie ihm diese Frage stellte.

Es klopfte an der Zimmertür. Sabine stand auf und ging zur Tür. Mercan kam mit einem Servierwagen ins Zimmer. Sie hatte so ziemlich alles auf dem Wagen, was es an Frühstück in diesem Haus gab. Natürlich auch zwei große Kannen Tee.
Sie stellte alles auf den Tisch und sah Hannes mit Tränen in den Augen an „Schön, dass du noch lebst.“
Sabine begleitete Mercan zur Tür und Hannes hörte, was sie ihr sagte.
„Ab jetzt darf niemand mehr stören. Auch habe ich das Telefon zu dem Zimmer abgestellt. Marco weiß Bescheid. Emily und ich sind nun nicht mehr erreichbar.“ Mercan nickte und schloss die Tür.

Sabine setzte sich wieder an den Tisch „Okay. Bist du bereit? Du kannst gerne etwas essen. Wenn es dir schwindelig oder kalt wird, sag sofort Bescheid. Emily hat alles an Medikamente dabei, was du brauchst. Wir sind ein Team und stehen dies jetzt gemeinsam durch. Ich schalte jetzt das Aufnahmegerät ein.“
„Okay. Ich bin bereit. Wie weit soll ich zurück gehen?“ „Ich sag mal so, was ich noch nicht wusste, habe ich die letzten 16 Jahre mit Hilfe von Cosima und Hattie aufgearbeitet. Es wäre toll, wenn du die letzten 72 Stunden zusammen bekommst.“
Hannes sah Sabine, Emily und Cosima fragend an „Wie lange war ich weg?“ „Eineinhalb Tage“ sagte Sabine.
Hannes sah mit offenem Mund in die kleine Runde am Tisch „Wow! Ich erinnere mich, dass ich mit drei Männer aus Mexiko und dem Personenschützer Louis Contreras auf dem Weg zu einem Terroranschlag im Distrikt Kartey Sakhi war. Ich musste ständig stehen bleiben, wegen dem Chaos auf den Straßen. In dem Distrikt war die Hölle los. Ungefähr 800 Meter vor dem Tatort eskalierte die Situation bei mir im Auto. Einer der Mitfahrer öffnete plötzlich die hintere Autotür. Die drei Mexikaner sind aus dem Auto gesprungen. Ich bin aus dem Wagen und hatte meine Waffe sofort schussbereit. Für den Schutzhelm aufzusetzen blieb keine Zeit, so hatte ich nur die Schutzweste an. Ich rannte Richtung Westen, den Mexikaner hinterher. Über das Headset war ich mit Marco in Kontakt. In dem ganzen durcheinander von Menschen und Autos habe ich die drei Mexikaner verloren. Ich suchte im lauf nach Contreras. Er war 8 Meter rechts hinter mir. Ich hörte in all dem Chaos ein Motorrad von links aus einer Querstraße kommen und sah die Kalaschnikow des Sozius zu spät. Der Sozius schoss in meine Richtung. Ich rannte auf das Motorrad zu. Zu dieser Zeit hatte ich kein freies Schussfeld. Zu viel Leute kamen von links und rechts auf mich zu gelaufen. Vor mir brach eine Frau durch die Schüsse aus der Kalaschnikow zusammen. In dem Moment als sie zu Boden sackte, schoss ich zweimal auf den Mann mit der Kalaschnikow.“
Cosima weinte und drückte seine Hand immer fester.
„Unkontrolliert schlugen plötzlich überall die Patronen aus der AK47 ein. Ich ließ mich auf den Boden fallen und suchte noch im fallen nach Contreras. Ich brauchte schließlich Feuerschutz. Dann kniete ich und feuerte zweimal auf den Fahrer von den Motorrad. Ich stand wieder auf und rannte die wenigen Meter auf den Mann mit der AK47 zu. Ich sah dass er sich bewegte, im lauf, suchend nach den Mexikaner und Contreras, schoss ich dem Terrorist instinktiv in den Kopf.“
Alle drei Frauen am Tisch stockte der Atem.
„Polizisten liefen auf mich zu. Ich brüllte, „Area not clear.“ Ich suchte den Fahrer von dem Motorrad. Ich wusste nicht, ob er eine Waffe oder Sprengstoff bei sich hatte oder ob er noch lebte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen Feuerschutz und wusste nicht wo Contreras war. Ich sah das Motorrad und den Mann gute 5 Meter vor mir rechts liegen. Er hatte einen schwarzen Rucksack unter sich. Er bewegte sich leicht und ich zielte sofort auf sein Genick. Er war aber tot. Wahrscheinlich waren es noch Reflexe der Muskeln. Ob er durch mich oder durch den Aufprall mit dem Fahrzeug starb, kann ich nicht sagen. Marco war immer noch in Kontakt mit mir. Ich fand schließlich einen Mexikaner mit Schussverletzung. Warum er hinter mir war erklärt sich mir nicht. Wahrscheinlich hatte er Panik bekommen und ist zurück gelaufen. Contreras fand ich zwischen zwei Autos auf der rechten Straßenseite mit einer Schussverletzung liegen. Er hatte einen Durchschuss am Oberarm und blutete am Kopf. Wahrscheinlich durch den Sturz. Ich machte sofort einen Druckverband bei ihm. Zu diesem Zeitpunkt war die Lage auf der Kreuzung immer noch nicht sicher. Dann hörte ich Sirenen. Marco bestätigte mir, dass sie alle zu diesem Tatort gerufen wurden. Die Sanitäter waren schnell vor Ort. Ich gab ihnen den aktuellen Status an dem Tatort und sie kümmerten sich sofort um Contreras und den einen Mexikaner. Ich suchte die zwei Kollegen von ihm, er konnte mir nicht sagen wo sie waren. Fand sie circa 20 Meter weiter in einem Hauseingang liegen. Beide waren unverletzt.“ „Okay. Super. Das ist genau nach Protokoll“ sagte Sabine.

Hannes zündete sich eine Zigarette an und goss sich Tee in sein Glas. Er zog an der Zigarette und trank zwei Schluck Tee.
„Als die Lage etwas übersichtlicher wurde, gab ich den aktuellen Status an einen Polizei Hauptmann weiter. Marco sagte ich, dass er Emily über die beiden Verletzten informieren sollte. Dann fuhr uns die Polizei zu meinem Auto. Im Hotel übergab ich die beiden Mexikaner an Sabine. Im Büro musste ich meiner Wut erst einmal Luft verschaffen.“ „Okay. Super. Sehr gut. Deine Aussage kann ich und wahrscheinlich alle im Hotel bestätigen, denn laut genug warst du.“
Hannes zog die Schultern hoch. Er nahm sich ein Stück Fladenbrot und bestrich dies mit Akazienhong.

„Ich bin irgendwann am Montagabend eingeschlafen. Marcel kam mit zwei Dosen Bier in mein Zimmer. Ich hatte mich noch über den Zustand der beiden Verletzten bei Emily informiert und war noch in meinem Büro und hatte mit Hattie telefoniert. Die ganze Nacht war ich wach in meinem Zimmer. Mein Hirn konnte nur noch Fetzen zusammen setzen. Sabine kam in mein Zimmer. Ich kann nicht sagen welche Uhrzeit und auch nicht den Tag.“ „Dienstag. Es war Dienstag, der 25. September um 9 Uhr“ sagte Sabine.
„Danke. Ich saß an der Wand auf meinem Bett und hatte eine duchgeladene und nicht gesicherte Waffe in der Hand.“ Cosima und Emily sahen ihn erschrocken an. Sabine machte ein Handzeichen und Hannes nickte ihr zu. Sie stoppt die Aufnahme.
„Hannes, bei allem Respekt, aber ich denke, dies sollte niemand etwas angehen.“
„Wieso? Ich zielte auf das Telefon.“
Sabine legte den Kopf zur Seite und sah ihn schweigend an.
Hannes nahm einen Schluck Tee und biss in sein Brot.
Die Blicke von Emily, Sabine und Hannes trafen sich.
„Hannes, Sabine hat recht. Was auch immer du eben erwähnt hast, könnte irgendwann negative Konsequenzen für dich haben. Wir sind Freunde und deine Worte bleiben auch bei uns und werden diesen Raum nicht verlassen.“
Hannes biss erneut in sein Brot und nickte.
Sabine spulte die Aufnahme zurück.
„…tember um 9 Uhr.“

Die drei Frauen bedienten sich an dem reichhaltigen Frühstück und nach einer kurzen Pause fragte Sabine, ob es weiter geht könnte. Hannes nickte ihr zu.
„Wow! Dienstag. Ich sprach mit Sabine über den Einsatz und dass ich von meinem Traum: Bildung für Kinder, schon zu weit weg bin. Sie sagte mir, dass ich mit in die Niederlande zu Dr. Erik de Joost gehen sollte. Dort wären Kinder, die mich bräuchten.“
Sabine und Emily nickte ihm zu und er machte ihnen ein Petzauge.
„Nach dem Gespräch mit Sabine kam Hattie zu mir. Uhrzeit kann ich nicht sagen.“ „Dienstag 14.30 Uhr.“ „Danke. Hattie brüllte mich an, warum ich keinen Schutzhelm trug. Ich gab ihr die passende Antwort.“
Sabine nickte „Die Unterhaltung mit Hattie habe ich bereits Protokolliert.“ „Sehr schön. Irgendwann kam Sabine wieder in mein Zimmer. Ich war nackt und im Begriff mich anzuziehen. Sabine sagte, dass ich Besuch hätte. Als sie den Namen von meinem Besuch sagte, zog es mit den Boden unter den Füßen weg. Ich war noch nicht einmal in der Lage mich selbst anzuziehen zu können. Mit Sabine ging ich die Treppe hinunter in die Lobby. Ich sah den Engel aus dem Orient vor mir. Mein Hirn konnte gar nicht mehr denken. Wie begegne ich dem personifizierte Super Model? Ich sah, dass Cosima weinte. Ich nahm sie in die Arm und in diesem Augenblick gaben meine Beine nach. Uhrzeit kann ich nicht sagen.“ „Kurz nach 16 Uhr am Dienstag.“ „Danke. Ab dann ist vieles verschwommen. Ich sah Gesichter, hörte Worte, die ich nicht wiederholen kann. Bin irgendwann aufgewacht und wusste nicht wo und wann.“
Emily gab darüber Auskunft „Du warst am Dienstag nach 16 Uhr völlig weggetreten. Du hattest einen Schock und den sehr heftig! Ich gehe davon aus, dass du von Montag auf Dienstag schon diesen Schock hattest und es ist niemand aufgefallen. Diesen Fehler habe ich mir zuzuschreiben. Du warst in einem lebensbedrohlichen Zustand! Du hattest eine schwere Kreislaufstörung. Kurz vor dem Treffen mit Cosima sollst du sehr schwer geatmet haben. Aussage von Sabine. Da bei einem solchen Schock die Blutzirkulation in den Kapillaren vermindert ist und als Folge eine Sauerstoffunterversorgung der Gewebe und in letzter Konsequenz ein Stoffwechselversagen eintritt, bist du zusammen gesackt. Daher warst du auf deinem Zimmer nicht in der Lage dich anzuziehen. Hannes, … du standst wahrscheinlich kurz vor einem Herzinfarkt oder Hirnversagen! Das du überhaupt noch aufrecht gehen konntest, ist mehr als ein Wunder! Ich hatte dir sofort 200 mg Noradrenalin gespritzt. Dein Zustand hat sich im Herzrhythmus nicht verbessert und so hatte ich dir zweimal 300 mg Erythrozytenkonzentrat gespritzt. Ich dachte du stirbst! Die folgende Nacht hatte ich ein EKG und eine Pulsoymetrie bei dir gemacht. Bonnie, Marcel, Cosima und Sabine waren die ganze Nacht bei dir. Das EKG war an eine Grenze gekommen, an der ich kurz davor war, dich zu defibrillieren.“
„Meine Güte! Was ist heute für ein Tag?“ „Donnerstag, 27. September. Wir führen auch jetzt dieses Gespräch, um eine Anamnese zu verhindern und um zu schauen wie weit dein Gehirn geschädigt wurde. Immerhin warst du 16 Stunden gar nicht ansprechbar. Die anderen 24 Stunden warst du zum Teil bei Bewusstsein, trotzdem gab ich oder Bonnie dir im Abstand von vier Stunden Medikamente um dein Herzkreislauf zu stabilisieren.“
Hannes schaute Cosima an und schüttelte den Kopf „Da soll mal jemand sagen, eine Kalaschnikow bringt einen um. Es reicht auch ein Schock.“
„Am Mittwoch um 14.48 Uhr bist du bei mir auf der Krankenstation wach geworden. Kannst du dich an das erinnern, was Cosima dir gesagt hatte?“
Er sah Cosima an „Oui. oui, Madame Schayani. Je peux me souvenir de ça! Ja, Emily, ich kann mich daran erinnern. Eine Frage hätte ich jetzt an Cosima.“
Sie sah ihn an und wartete auf seine Frage. „Bei unseren Gesprächen 1989 im Super Marché und auf der Beerdigung von Patricia, hattest du gelogen! Du hattest damals nicht den Mut gehabt mir zu sagen, dass du mich liebst. Ist dies korrekt?“
Cosima schloss ihre Augen und nickte langsam.
Sie sah zu Emily, Sabine und dann zu Hannes „Oui. Ich konnte es nicht sagen. Es war keine Eifersucht oder Hass gegen Patricia. Ich liebte dich. Ich gönnte es Patricia aber auch. Ehrlich! Ich kannte Patricia seit der 5. Klasse. Sie war schwer krank und niemand gab ihr Hoffnung, dass sie ihren 12. Geburtstag überlebt. Als sie dich 89 getroffen hatte, veränderte sie sich. Du hattest dieser Frau und meiner Freundin die schönste und beste Zeit ihres kurzen Leben gegeben.“
Emily und Sabine saßen regungslos auf ihren Stühlen.
„Im Super Marché hast du zu mir gesagt, dass meine Schönheit der Preis einer oberflächlicher Liebe sei. Ich hatte viereinhalb Jahre später deine Worte begriffen und seit dieser Zeit keinen Mann mehr an meiner Seite. Du hattest mit deinen Worten recht gehabt. Ich wurde wie eine Puppe vorgeführt. Diese Erkenntnis tat mir im Herz weh.“
Cosima fing an zu weinen.
Sabine drückte auf die STOPP Taste des Aufnahmegerätes.
„Alles weitere brauche ich nicht mehr aufzuzeichnen. Danke für deine Aussage.“

Emily entfernte die Saugknöpfe auf seiner Haut und gemeinsam fingen sie an zu frühstücken. Hannes bestellte noch eine neue Kanne Tee auf sein Zimmer.
„Frau Doktor med. Emily Collins, ist mein Hirn noch einigermaßen in Takt?“ „Deine Erinnerungen sind noch da. Ich kann hier keine Hirnströme messen, aber von der fachlichen Seite, sage ich – ja. Wie fühlst du dich jetzt? Sind deine Hände kalt, hast du Kopfschmerzen oder inneres zittern?“ „Nein. Emily, es ist alles in Ordnung – hoffe ich doch.“ „Lass uns später bitte noch ein EKG machen; okay?“ Hannes nickte ihr lächelnd zu.
„Frau Diplom Psychologin Sabine Wagner, wie beurteilst du mich? Es muss kein ausführlicher Bericht sein. Ne Kurzfassung reicht mir.“ „Hannes, du kommst wieder dort hin, wo du warst und wie jeder dich kennt. Was du in deinem Leben erlebt hast, kommt irgendwann zurück. Du arbeitest wie blöd und setzt dich permanent für andere Menschen ein. Gerade in Afghanistan ist es sehr schwierig die Sicherheitslage richtig einzuschätzen. Dies hast du in den letzten Monaten immer hundertprozentig gezeigt – und auch so gehandelt. Die Terroranschläge die du erlebt hast. Der beinahe Tod von Amira, die gebrochenen und geschundenen Seelen der Mädchen und Frauen in dem Frauenhaus, all dies ist in dir. Deine ewige Verzweiflung an dir und der Tod von Patricia. Du bist auch nur ein Mensch. Ich stelle jetzt eine These auf, die nicht fachlich, sondern menschlich ist.“
Sie schaute Hannes und Cosima lange an bevor Sie weiter sprach „Als du Cosima am Dienstag gesehen hast und sie in deinen Armen war, bist du zusammen gesackt. Du hast den Halt gesucht und gefunden und in dieser Sekunde gewusst, du bist nicht mehr alleine auf dieser Welt. Ich behaupte zu sagen: Cosima hat dir am Dienstag das Leben gerettet. Wie Emily schon sagte, war dein Zustand lebensbedrohlich.“
Er sah Cosima an und ihm schlug das Herz bis in den Hals. Dann sah er Emily und Sabine fragend an.
Sabine grinste breit „Ja, Sie dürfen die Braut jetzt küssen.“
Hannes sah dieses engelsgleiche Gesicht einer Iranerin vor sich und küsste diese wunderschöne Frau lange auf den Mund.
Er wollte sich nie mehr von dieser Schönheit lösen. Ihn überkam plötzlich eine Scham, wie bei einem kleinen Jungen, der von seinen Eltern entdeckt wurde, etwas falsches getan zu haben. Mit leicht rotem Kopf trennte er sich von Cosima und sah sogleich an Emily und Sabine vorbei.
Emily und Sabine klatschten sich ab und grinsten.
„Ja, Chef, du kommst wieder in die Spur“
„Ich danke euch. So wie es aussieht, habt ihr drei mir das Leben gerettet.“

Freitagmorgen 7.20 Uhr

Es war eine Nacht, nach der er sich sehr lange gesehnt hatte: ein Frau neben sich liegen zu haben. Es tat ihm gut jemand zu spüren, zu streicheln und fest zu halten. Cosima war mit ihren 37 Jahren eine Frau, wie es nur wenige auf dieser Welt gab. Groß, schlank und von einer atemberaubenden natürlicher Schönheit.
Sie war tatsächlich das personifizierte Super Model und hätte für die größten Modelabels dieser Welt deren Kollektionen auf den Laufstegen in New York, Mailand, Florenz, London und Paris tragen können.
Der Engel aus dem Orient, mit Iranischen Wurzeln, lag neben ihm im Bett. Vor vier Nächten saß er auf diesem Bett und wollte sein Leben beenden, nun lag die wohl schönste Frau aus Frankreich bei ihm. Er streichelte ihr Gesicht, sie öffnete ihre wunderschönen Augen.
„Désolé, je ne voulais pas te réveiller.“ „Du hast mich nicht geweckt. Ich bin schon lange wach. Ich habe dich atmen gehört. Ich habe Angst, dass du noch einen Herzinfarkt bekommst.“ „Das EKG gestern Abend war doch gut.“
Sie sah ihn mit ihren unglaublich schönen Augen an „Gut? Monsieur, gut ist etwas anderes.“ „Hmmm. Wenigstens mein Hirn funktioniert wieder, oder es sind am Dienstag eine Milliarde Gehirnzellen abgestorben und ich bin wieder der Klassenkasper von früher.“
Cosima nahm Tief Luft „Das ist nicht lustig! Du begreifen immer noch nicht, dass dein Leben an einem Seidenen Faden hing.“ Sie fing an zu weinen.
„Doch. Doch, Cosima, ich begreife. Vor vielen Jahren fragte mich in Fréjus ein alter Mann mit Baskenmütze, ob ich an Gott glaube. Ich sagte: Nein. Am Dienstag sah ich den Engel, den Gott mir geschickt hat. Als ich dich gestern gefragt habe, ob du ein Engel bist, wusste ich nicht auf welcher Ebene im Leben ich tatsächlich war. Ich wusste noch nicht einmal ob ich überhaupt noch Lebe.“
Sie küsste ihn und hielt in fest in ihren Armen „Du lebst! Du lebst noch. Hannes, ich habe die Aufzeichnung vom Montag gehört! Was du in diesen Minuten erlebt hast, kann sich kein Mensch auf dieser Welt auch nur annähernd vorstellen. Ich habe die Schüsse gehört. Habe gehört, wie du in Bruchteilen von Sekunden die Lage unter Kontrolle gebracht hast. Dir haben viele Menschen ihr Leben zu verdanken. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welchen Anblick du hattest, als die Frau vor dir tot auf den Boden fiel und du geschossen hast.“ „Es ist vorbei. Lass uns frühstücken gehen. Ich habe Hunger.“

Frühstück mit Freunden

In Konferenzraum neben seinem Büro wurde für sie gedeckt. Sein komplettes Team war da, auch Hattie, Marco, Tamina, Chris und Stacey.
Hannes stellte Cosima den Personen vor, die sie noch nicht kannte. Es war ein gutes Gefühl mit den Menschen zusammen zu sein, die ihm so viel bedeuteten. Er dankte seinen Mitarbeiter und Freunde für ihre Hilfe, Unterstützung und die Anteilnahme von seinem Schock.

Nach dem fürstlichen Frühstück nahm Cosima die Hand von Hannes und erzählte seinem Team von der Odyssee ihrer Liebe. „Als Hannes mit Patricia 1990 nach Kambodscha ging, habe ich angefangen Journalistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft zu studieren. Nach dem Studium war ich bei einer Lokalen Zeitung in Metz als Volontärin. Im Flur hingen einige Fotos die die Highlights der Zeitung zeigten. Natürlich hing auch die Liebeserklärung von Hannes, die Aktion mit der Feuerwehr Drehleiter an Patricia’s 19. Geburtstag dort. Täglich sah ich dieses Foto und täglich gab es mir einen Stich ins Herz. Ich habe mich in meinem Beruf unglaublich eingebracht und kam zu Télévision Française 1. Dort erst als Redakteurin, dann Moderatorin für Lokalnachrichten bis zu der Moderation von „Journal de 20 heures“. Dies ist die tägliche 20 Uhr Nachrichtensendung und gehörte zu den meistgesehenen Fernsehnachrichtensendungen in Europa.“ Am Tisch hörte jeder aufmerksam und mit großem Respekt der Vita von Cosima zu.
Sie streichelte Hannes und sagte weiter in die Runde „Dieser Mann hatte mir im Dezember 1989 klare und unmissverständliche Worte gesagt. Wochen zuvor wollte er mir eine Ohrfeige verpassen.“ Sie gab ihm einen Kuss und streichelte seine rechte Wange „Meine Schönheit sei der Preis von oberflächlicher Liebe. Hannes hatte recht! Ich wurde von meinen damaligen Freunde nur vorgeführt. Sie waren alle so stolz auf sich, eine so schöne Frau im Bett zu haben. Ich wurde regelrecht vergewaltigt, denn diese Männer scherten sich einen Dreck um mein persönliches Verlangen nach Liebe – ich meine nicht die körperliche Liebe.“
Mit zum Teil offenen Münder verfolgte die kleine Gruppe ihre direkte Offenheit.
„Nach dem Tod… von Patricia“ sie schluckte die Tränen herunter „wollte ich diesen Mann haben. Drei Jahre habe ich fast jede Nacht geweint. Ich weinte, weil ich nicht meinen Mut nehmen konnnte, um ihm meine Liebe zu gestehen. 2003 flog ich endlich nach Kambodscha. Ich reiste wochenlang durch dieses Land auf der Suche nach ihm. Ich fand seine Handschrift in Schulen und Infrastrukturen in ganzen Land, nur war ich zu spät.“
Den Frauen am Tisch liefen die ein oder andere Träne die Wangen herunter. Die Männer saßen wie versteinert am Tisch.
„Ich stand in tropischen Wälder vor der „Lefévre School“. Ein Denkmal an meine Freundin und die Frau von Hannes. Ich hatte Tränen in den Augen. Eine französische Lehrerin kam auf mich zu und war sehr besorgt um mich. Sie stellte sich als Clodette Léglise vor und nahm mich mit in die Schule. Ich sagte Clodette woher ich Patricia und Hannes kenne. Sie erzählte mir an diesem Nachmittag und den darauf folgenden vier Tage so vieles von den beiden, dass es mich mit Stolz erfüllt Patricia und Hannes als meine Freunde nennen zu können. Nach meinem Urlaub nahm ich all meinen Mut zusammen, um Hannes zu suchen. Wo sollte ich nach einem ruhelosen Mann suchen? Also fing ich an, den Menschen, denen ich im Sender vertraute, von meiner Liebe zu erzählen. Zwei Dutzend Volontäre und Redakteure suchten dreieinhalb Jahre auf der ganzen Welt nach ihm. Sie suchten nach Beiträgen, Meldungen und Nachrichten von Projekte, die nur er machten konnte.“
Hannes sah Cosima ungläubig an und schüttelte immer wieder den Kopf.
„Ein Sender aus Kenia berichtete von einem Schulprojekt im Sudan. Das war seine Handschrift! Ich hatte eine Spur von Hannes.“ Cosima wischte sich ein paar Tränen weg und zog die Nase hoch.
„In der Redaktion wurde endlich entschieden, darüber zu berichten. Ich konnte den Chefredakteur überzeugen, vor Ort eine Reportage zu machen. Bis dies alles genehmigt war, vergingen Wochen – denn es war nicht tagespolitisch brisant. Mit einem Kamera- und Tonmann machte ich mich auf den Weg nach Ost- und Westafrika. Nach zwei Wochen fanden wir die Schulen. Auf dieser Suche wurde… wurde auf mich geschossen.“
Emily setzte sich jetzt neben Cosima und fragte, ob sie etwas zur Beruhigung bräuchte, sie nickte und Emily gab ihr eine Tablette. Alle anderen im Raum trauten sich noch nicht einmal zu atmen, bei dem was Cosima erzählte.
„Vom Sudan ging es nach Burkina Faso, auch dort war er gewesen. Mittlerweile weiß ich auch, dass Marcel Chevalier bei ihm war. Marcel, danke, dass du auf ihn aufgepasst hast. Tu es une bonne personne.“
Marcel nickte Cosima zu „Hannes ist mein Freund.“ „Je sais que. Ich weiß. In Accra, in Ghana, hatten wir eure Spur verloren.“ Cosima schluckte die Tränen herunter. „Mein Gott, was für ein Trip“ sagte Hattie leise, aber so, dass es immer noch jeder am Tisch hören konnte.
„Ich musste wieder zurück nach Paris. Ich musste schließlich das „Journal de 20 heures“ moderieren. Ein gutes halbe Jahr später, fand ein Volontär einen Beitrag aus Australien über ein Frauenhaus in Afghanistan. Es war eine Spur – wenn auch nur eine kleine. Vor einer Woche tauchte ein Video in den USA auf. In diesem Video sah… sah ich Hannes in eben jenem Frauenhaus.“
„Dies ist die Urheberin von dem Video“ unterbrach Hannes sie und zeigte auf Stacey, die schräg gegenüber Cosima saß.
Cosima nickte ihr zu und sagte leise „Merci beaucoup, Stacey. Ich danke dir von ganzem Herzen für diese Bilder.“
Stacey wollte etwas sagen, ihr kamen aber keine Worte über die Lippen. Sie nickte Cosima zu.
Cosima wischte sich erneut ihre Tränen weg „Am … am… Sonntagnacht bin … ich dann endlich von… von… Paris nach Kabul geflogen. Durch den Sender weiß ich von … von… diesem Haus und wurde vom Flughafen direkt hier her gefahren.“ Das reden fiel ihr immer schwerer. Cosima nahm mehrmals Tief Luft „Als… als… ich hier ankam, wurde … ich von Tamina begrüßt. … Ich… ich… sagte wer ich bin, zeigte ihr meinen Presseausweis und … und… fragte nach Hannes. Als sie sagte, dass… dass… er hier… in… im… diesem… Haus sei… brach ich vor ihr zusammen. … Tamina rief sofort Emily. In… in… dem Gespräch mit ihr stellt sich heraus, dass … dass… Hannes ihr Chef ist und ich fing an zu weinen. Nun, … den Rest kennt ihr.“

Jeder am Tisch hatte Tränen in den Augen bei dem was Cosima ihnen erzählte hatte.
Die Worte von Cosima wirken nach. Lange sagte niemand etwas.
Hannes sah in die Runde seiner Freunde und Kollegen und dann sah er in die kastanienbraunen Augen von Cosima.
„Und ich dachte eine Feuerwehr Drehleiter sei groß. Cosima, dass war es noch nicht einmal im Ansatz.“

Gedanken über die Zukunft

Gegen Mittag saßen Cosima und Hannes im Park unter den Bäumen, das Wasser vom Springbrunnen im Hintergrund plätscherte leise. Sie hatte ihre langen Beine auf seinen liegen und hielt seine Hand fest. Sie sah ihn lange an und er sah in ihre wunderschönen iranischen Augen.
„Ich weiß wie sehr du Patricia geliebt hast. Gibt es in deinem Herz eine Chance für mich?“
Er sah sie an, sah weiter in ihre kastanienbraunen Augen.
„Diese Frage habe ich mir oft gestellt. Hattie hatte am Dienstag zu mir gesagt, dass ich die Vergangenheit nicht mehr ändern kann, wohl aber meine Zukunft. Das du mich hier in Kabul gefunden hast, habe ich deiner Liebe zu verdanken. Das ich noch lebe – auch. Ich will und muss endlich nach vorne schauen. Ja, Cosima, in meinem Herz ist Platz für deine Liebe.“ Sie setzte sich auf seinen Schoß und sie küssten sich lange.

Fahim, Farahnaz und Sahar brachten Tee, Gebäck, dicke Kissen und Decken zu ihnen in den Park. Farahnaz breitet zwei großen Decken unter einer Pappel nahe der Buchsbaumhecke aus und Sahar legte vier schwere dicke rote Kissen drauf. Fahim stellte das große Tablett etwas schräg links oben auf die Decke.
„Hannes, Cosima, kommt. Genießt den schönen Tag unter dem Baum.“

„Madame Schayani, herzlich willkommen in Afghanistan. Lass uns Picknick machen.“ Hannes zog Cosima von ihrem Stuhl und Hand in Hand gingen sie die 10 Meter zu dem für sie eingerichteten Lager unter einer Pappel. Beide bedankten sich bei den drei Frauen für diese Aufmerksamkeit.

Cosima lag mit ihren Kopf auf seiner Brust uns aß Feigen. Hannes sah viele Bilder aus der Vergangenheit und wollte dies Cosima nicht sagen. Durfte er an Patricia denken, wenn er Cosima streichelte? Bei aller Romantik kamen auch wieder seine Zweifel hoch: konnte er sich jemals wieder in eine Frau verliebt ohne an Patricia zu denken?

Der Lärm von Kabul hörte man in diesem wunderschönen Park gedämpft und man konnte tatsächlich vergessen, dass man in einem der gefährlichsten Ländern der Welt war.
„Es ist wirklich schön hier. Man kann vergessen wo man ist“ sagte Cosima und reichte Hannes eine Dattel.
„Komisch, gleiches habe ich eben gedacht.“
Cosima drehte ihren Kopf nach links und sah Hannes an „Du berührst mich auf eine unbeschreibliche Art.“
Hannes nickte leicht und biss sich auf die Lippen.
„Was? Was hast du?“ Fragte Cosima. „Nichts. Alles gut.“
Cosima setzte sich auf und sah ihn fordernd an.
„Also gut. Was du eben gesagt hast, hatte auch Patricia oft gesagt. Tut mir leid. Ich wollte die Romantik mit dir nicht zerstören.“ „Oh Hannes, du hast nichts zerstört. Mir war klar, dass unsere Liebe nicht einfach werden wird. Immerhin liebe ich den Mann von meiner verstorbenen Freundin. Glaubst du mir fällt dies leicht? Ich habe oft mit Gott – und auch Psychologen gesprochen, ob es richtig ist was ich tue? Begehe ich mit meiner Liebe zu dir einen Verrat an Patricia? Ich hatte dich gefragt, ob in deinem Herz Platz für mich ist. Und du hast ja gesagt. Nun liegen wir hier unter einer Pappel und müssen mit dem klar kommen, was wir wollen.“
„Pourquoi l’amour doit-il être si compliqué?“ Sagte Hannes und streichelte Cosima’s Gesicht.
Sie lachte „Nun hast du ausgesprochen was ich gedacht habe. Ja, warum muss die Liebe so kompliziert sein? Wie geht es nun weiter mit uns? Wo willst du hin? Was willst du machen?“
Hannes zog die Schultern hoch „Ich weiß es nicht. Am Anfang von diesem Einsatz hat mir ein guter Journalist aus Australien, von dem der Beitrag über das Frauenhaus ist, einen Vorschlag gemacht, doch in die Medienindustrie zu wechseln. Nun – eine kluge und erfahrene Begleiterin hätte ich. Auch wenn ich ab nächster Woche in Thionville wohnen kann, meine Wurzeln sind nicht mehr dort. Ich bin in der Firma der Sicherheitschef für Afghanistan, ich mag kein Terror, Krieg und Tod mehr. Mein Traum ist und bleibt die Bildung für Kinder.“ „Komm mit mir nach Paris. Ich habe ein Haus in Montmartre. Dort fangen wir neu an – egal welche Startschwierigkeiten wir haben. Komm mit zu mir.“
Hannes nickte dieser schönen Frau aus dem Orient zu „Oui, Madame Schayani, c’est une bonne idée. Lass uns neu beginnen. Vorher müsste ich aber noch nach Korsika.“ „Korsika…?“ Sie sah in mit ihrem Engelsgesicht fragen an.
„Billard spielen…“
Es dauerte einen Moment bis Cosima es verstanden hatte und lachte „Du wirst dich niemals ändern.“ „Claude ist mein Freund.“
„Hast du noch Kontakt zu ihm?“ „Ja. Ist eine längere Geschichte.“
Cosima gab ihm einen Kuss „Na, dann. Auf nach Korsika. Monsieur Moreau wird aus allen Wolken fallen, wenn wir bei ihm vor der Tür stehen. Ich habe Claude zuletzt auf der Beerdigung gesehen. Weist du Hannes, du hast in all den Jahren einen großen Teil der Schulklasse von Patricia zusammengehalten.“ „Oui Madame, und dies sogar ohne Abitur.“
Hannes nahm den Engel aus dem Orient in seine Arme, roch diese unglaublich schöne Frau und küsste sie sehr lange.

Abessinien. Nach Expeditionsberichte von Carlo von Erlanger

Carlo von Erlangers Expeditionsberichte mit Notizen von Frau Dr. Nicole Nieraad-Schalke

Anlässlich der Ingelheimer Sonderausstellung „Alexander von Humboldt – Carlo von Erlanger: Natur im Wandel“ las Noah Reichert Textpassagen aus den spannenden Reiseberichten Carlo von Erlangers. Das kulinarische Event wurde mit einem Menü der Nord- und Ostafrikanischen Küche begleitet.

Ich war am Samstag, den 19. November auf einer Lesung von Noah Reichert in Ingelheim in dem Cafe-Restaurant „Johann in der alten Post“. Die Lesen unter dem Motto „Alexander von Humboldt – Carlo von Erlanger: Natur im Wandel“, welche Federführend unter der Leitung von Frau Dr. Nicole Nieraad-Schalke stand.

Als erstes wurde ich von der Köchin, Anne, herzlich begrüßt. Auch die Inhaberin, Nina Malchus, freute sich, dass ich wieder da war. Immerhin fahre ich 100 Kilometer bis nach Ingelheim. Mira ist schon bekannt und wurde natürlich auch begrüßt.

Carlo von Erlangers Expeditionsberichte mit Notizen von Frau Dr. Nicole Nieraad-Schalke

In dem Event-Raum traf ich Frau Dr. Nicole Nieraad-Schalke und auch sie freute sich, dass ich wieder dabei sei. Mit Konrad, meiner Begleitung am Abend, saß ich mich neben Frau Dr. Nieraad-Schalke und Noah Reichert. Wir hatten auch gleich sehr schöne Gespräche und ich sprach auch die vorherige Lesung und ihre schöne Website an. Ich zeigte ihr Einen Text, den ich zu Mimi geschrieben habe und dass ich dort Textpassagen von ihrer Webseite mit verarbeiten habe. Dies schmeichte sie sehr und konnte den Zusammenhang von Katze und dem Text nicht so recht folgen. Also erklärte ich ihr das Leben von Mimi.

Mimi bei der Lesen zu Texten von Carlo von Erlanger

Im Gespräch kamen wir auf Südostasien und hier speziell auf Thailand und Kambodscha. Ich erzählte ihr von Angkor und Kambodscha. Wenn sie im nächsten Jahr nach Kambodscha in Urlaub möchte, hat sie schon mal einen guten Reiseführer aus den Kapitel von meinem entstehenden Buch. Wir waren dann auch schnell beim du angelangt.

Ein Gruß aus der Küche

Der Abend begann mit einem Gruß aus der Küche. Nicole stellte das Leben von dem Ingelheimer Carlo von Erlanger vor und Noah las die ersten Passagen aus den Expeditionsberichte von Carlo von Erlanger im Jahre 1896 nach Tunesien.

Nach der Lesung wurde ein Couscous-Salat serviert, welches echt klasse schmeckte.

Die nächste Lesung war ein Reisebericht von Carlo von Erlanger in die Sahara. Man konnte sich sehr gut in die damaligen Umstände und Schwierigkeiten hineinversetzen.

Das Hauptmenü: Injera mit Siga Wot,

Das Hauptmenü war Injera mit Siga Wot, ein äthiopisches Rindfleischragout mit
Tikel Gomen (Kartoffel/Kohleintopf) mit Frischkäse und Berbere-Sauce.

Noah Reichert bei der Lesung

Nach diesem vorzügliche Essen las Noah den zweiten und auch längeren Teil der Expedition von Carlo von Erlanger. Jene Expedition führte ihn nach Abessinien – so hieß Äthiopien, mit der Ladefläche von Eritrea früher und zählt zu den ältesten Staaten der Welt. Abessinien entstand bereits 1000 vor Chr. und zählt somit auch heute noch zu dem einzigsten durchgehendsten und unabhängigen Staaten auf dem afrikanischen Kontinent.
Mir hat dieser Teil aus den Expeditionsberichten am besten gefallen, denn Carlo von Erlanger ging bei dieser Expedition auch sehr viel auf die Ethnologie und Anthropologie vom Abessinien ein. Die Geschichte von Abessinien seit der Antike bis ins 20. Jahrhundert ist überaus wechselreich und spannend. Hier gibt das Internet sehr viele gute Artikel über das älteste Land der Welt.

Als Dessert gab es noch Honigbrot mit Datteln und Orangensauce.
Alles in allem war es ein sehr schöner Abend mit fantastischem Essen und sehr angenehmen Gespräche.

Naike Juchem, 20. November 2022

Mimi schläft
Ich kann meinen Hund und auch Katze überall hin mitnehmen. Ich bin stolz auf diese sehr braven Tiere.

Weinachten im Schuhkarton

Nach 7770 Kilometer wieder zu Hause

Alles begann 2002 mit einem Schuhkarton

Von der weltgrößten humanitären Hilfsaktion: „Weihnachten im Schuhkarton“ von Samaritan’s Purse, aus den USA, hörte ich im Herbst 2002 zum ersten Mal. Ich fand die Idee, einen Schuhkarton für Kinder in drei Altersgruppen zu packen, sehr gut. Also kaufte ich Artikel, welche für ein Junge oder Mädchen in jenen drei Altersgruppen gerecht sei. Ich gab meine zwei Pakete an einer Sammelstelle ab und überwies den geforderten Geldbetrag von je 7 € für den Transport. Nun wird sich der ein oder andere fragen, warum noch Geld bezahlen, wenn ich doch ein Päckchen gespendet habe. Ganz einfach: die Pakete fallen in den Zielländer nicht vom Himmel. Der Transport und Logistik kostet schließlich auch Geld.

Im Jahr 2004 setzt ich mich für „Weihnachten im Schuhkarton“ mehr ein und so hatte ich eine Sammelstelle zu Hause eingerichtet. Dort konnten die Leute ihre Päckchen abgeben, welche ich dann zu einer größeren Sammelstelle brachte, wo diese ab Mitte November abgeholt wurden.
Ich kannte die Struktur und Logistik von WiS nun etwas besser und sah hier und da einige Defizite. So rief ich im neuen Jahr nach Berlin, in die Zentrale von WiS, an und sprach mit dem Logistikleiter, Andreas Wilhelms, jene zu verbesserten Punkte an. Wir waren gleich auf einem Nennen und Andreas freute sich über diese Kritik. Im März 2005 fuhr ich nach Berlin und konnte mit ihm die Logistik neu strukturieren.

Zu jener Zeit arbeitete ich bei einer Firma nahe Köln und mein damaliger Chef fand mein Engagement sehr gut. So konnte ich mit einem 40-Tonner Sammelstellen für WiS im nördlichen Rheinland-Pfalz und Saarland anfahren. Von dort brachte ich tausende Päckchen, welche in sogenannten Umkartons verpackt waren, zu einer Spedition nach Wuppertal. Von dort wurden die Kartons anschließend auf Satteltüge mit Zielländer wie zum Beispiel: Polen, Rumänien, Moldawien oder Ukraine geladen.

WiS Sammelstelle in der Gemeindehalle

Mein Engagement für WiS sprach sich in meinem Heimatort und Umgebung  herum, und so verlegte ich aus Platzgründen 2005 die heimische Sammelstelle aus der Wohnung in die Gemeindehalle im Ort. Mit der Waldjugend, ist so etwas ähnliches wie Pfadfinder, und einigen Helfer:innen hatten wir an einem Samstag von 9 Uhr bis spät am Abend sehr viel zu tun.
Im Vorfeld hatte ich mich bereits mit zwei Namhaften Herstellern für Hygieneartikel in Verbindung gesetzt, und bekam von beiden Unternehmen je eine Palette mit Duschseife, Zahnpasta, Hautcreme und Haarshampoo geschenkt.

Ein Schuhkarton für Weihnachten

„Weihnachten im Schuhkarton“ ist in Deutschland recht bekannt, und somit packen auch viele Menschen ein solches Päckchen.
Was man in Sammelstellen alles sieht, macht einen hin und wieder sprachlos. Spielzeugautos aus denen der Sand rieselt, kaputt sind oder gar abgenutzte Teddybären findet man in den Kartons. Manche Kartons sind herzlos mit einem dicken Pack Schokolade, ein paar einzelne Malstifte oder Schreibheft gefüllt.
Es ist lobenswert, wenn Menschen Päckchen für ärmere Kinder packen und von einem Billigladen eine Packung mit 5 Zahnbürsten hinein legen – aber nicht eine Tube Zahnpasta kaufen können.

Andere Kartons sind mit Stoff ausgeschlagen und beinhalten schöne Teddybären, ein T-Shirt oder Pulli, Bunt- oder Wachsmalstifte. Ein kleiner persönlicher Brief kommt auch schon mal vor. Bei solchen Kartons sieht man, mit welcher Liebe diese gepackt wurden.

Die Geschenkkartons sollten auch nicht verschlossen an den Annahmestellen ankommen, denn die Pakete müssen alle kontrolliert werden. Dies hängt auch damit zusammen, dass zum Beispiel keine Schokolade mit Nüssen nach Moldawien eingeführt weden darf. Wenn nun an der Grenze zu Moldawien ein Lkw mit solchen Geschenken kontrolliert werden sollte, kann der Zoll die Einfuhr für den Lkw verweigern oder die Ladung  konfiszieren. Auch sollte bei den Geschenke eine Gleichheit sein. In einem Karton sind  zum Beispiel 5 Tafeln Schokolade und in dem anderen nichts. Daher kontrollierten wir alle Kartons und verteilen oder füllten diese dementsprechend auf. Diese Kontrolle wird übrigens in allen Sammelstelle durchgeführt. Wie schon geschrieben, haben einige Menschen den Sinn von einem Geschenk nicht verstanden. Auch wenn die Kinder in den Zielländer sehr arm sind, braucht man keine gebrauchte, schmutzige oder kaputte Gegenstände verschenken.

Da ich bereits einen recht großen Einblick in die Logistik und  Kontakte zu anderen Sammelstelle hatte, tauschen wir gesponsorte Artikel untereinander aus. Was ich zu viel an Hygieneartikel hatte, tausche ich gegen Schokolade, Stofftiere oder Spielzeug. So entstand ein kleines Netzwerk im Hunsrück und Saarland.

Der Stichtag für WiS an den Sammelstelle liegt immer so um die Mitte November. Ab da an muss alles recht schnell gehen, denn die Lkw sollten vor Weihnachten in den Zielländer und Orten sein.
Mein Chef stellte mir wieder einen 40-Tonner zur Verfügung und so fuhr ich die Sammelstellen im Nördlichen Rheinland-Pfalz und Saarland an. Mein damals 4-jähriger Sohn war bei diesen Fahrten mit dabei. Er sollte schon sehen und begreifen, was ich und auch andere Menschen für Menschen tun.

Promotion Tour für „Weihnachten im Schuhkarton“

Die seit 2005 verbesserte Logistik lief reibungslos und brachte in der Zentrale von „Geschenke der Hoffnung“, große Zustimmung. Der Geschäftsführende Direktor von „Geschenke der Hoffnung“ Deutschland, Christoph v. Mohl, und die Projektleiterin für WiS, Diana Molnar, wollten für die nächste Kampagne von „Weihnachten im Schuhkarton“ eine ordentliche Reportage machen und luden mich im Frühjahr 2007 nach Berlin ein, um diese Idee zu konkretisieren.
Da ich bereits zwei Jahre zuvor den Kontakt zu „AIDS Care Education and Training“ (ACET) einer AIDS Organisation in Thailand hatte und wir seit 2006 in der Planung für eine Anlage mit mehreren Häusern für ein AIDS Waisenhaus waren,
konnte ich mein eigenes Projekt, welches ich mit dem Direktor von ACET, Alan Ellard, umgesetzt hatte, bei „Geschenke der Hoffnung“ sehr gut einbringen und etwas „anschieben“.

In Berlin wurde in einem Team ein Brainstorming für die Reportage zusammengestellt, bei dem auch der Marketingchef, Dr. Ahlers, der Firma Krone dabei war. Krone würde vier Sattelauflieger zur Verfügung stellen. Über Dr. Ahlers kam der Kontakt zu IVECO. Der Lkw Hersteller würde vier Zugmaschine für diese Tour bereitstellen.
Die Regionalleiterin von „Geschenke der Hoffnung“, Evelyne Rheinhardt, schaffte den Kontakt zur Bertelsmann Stiftung in Gütersloh und zu einem Kamerateam von RTL.

Oktober 2007

Im Oktober bekam ich einen Anruf aus Berlin, in dem mir mitgeteilt wurde, dass IVECO vier Zugmaschine stellen würde, welche im Frühjahr zugesagt wurden. Da klar war, dass ich diesen Transport durchführen werde, brauchte es noch mindestens drei weitere Fahrer.
Der knaller bei diesem Telefonat war, als mir der Standort der Zugmaschinen gesagt wurde: Wien.
Wie sollten nun die Zugmaschinen von Wien ins Emsland zu Korne gefahren werden? Die Idee war, dass ich dreimal nach Wien fliegen sollte, um dann je eine Zugmaschine ins Emsland fahren sollte. Eine Zugmaschine konnten mit Holger Micklizer aus Leipzig besetzt werden, der auch schon sehr früh zugesagt hatte, zwei Wochen fahren zu können.
Leider konnte die Idee mit dem Flugzeug nicht umgesetzt werden, denn die Zugmaschinen wären erst Ende November für diesen Transport frei.
In sechs Wochen musste der Transport beginnen und es gab noch einige Probleme zu lösen.
Nun mussten wir schauen, wer wann überhaupt konnte, um die beiden anderen Zugmaschinen von Wien nach Werlte zu Krone zu fahren. Über einen Internet Aufruf von „Geschenke der Hoffnung“ meldete sich ein Student aus Österreich und mehrere Fahrer aus Deutschland. Die erste Etappe war schon mal gesichert.
Am 27. November bekam ich einen Anruf aus Berlin, in dem mir gesagt wurde, dass wohl eine Zugmaschine in Linz stehen würde.
Nach Rücksprache mit der IVECO Niederlassung in Linz wurde dies bestätigt. Karl aus Oberhausen war der Fahrer der vierten Zugmaschine. Ich rief ihn an und gab ihn die Adresse von dem Standort in Linz. Er war froh drüber, denn er konnte bereits am nächsten Tag die Zugmaschine abholen.

Persönlicher Pressetermin im Kindergarten in Fischbach
Mein Sohn an einer Sammelstelle im Saarland

November 2007

Als es wieder mit den Sammelstelle für „Weihnachten im Schuhkarton“ los ging, hatte ich nochmals das Foyer unserer Gemeindehalle für diese Aktion zur Verfügung gestellt bekommen. Mit vielen Helfer:innen konnten wir um die 300 Päckchen für Kinder kontrollieren und sortieren.
Ich war zu jener Zeit in einer christlichen Gemeinde in Idar-Oberstein aktiv und konnte somit die vielen Päckchen dort in den Umkartons lagern.
Durch die örtliche Presse wurde die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ noch mehr bekannt und so kamen nach dem Stichtag immer noch viele Päckchen an. Diese wurden dann kurzfristig im Gemeindehaus in Idar-Oberstein entgegen genommen.

Wieder stellte mir mein Chef den Lkw zur Verfügung und ich fuhr in der vierten Woche vom November 18 Sammelstelle im Hunsrück und Saarland an. Weit über 7.000 Päckchen brachte ich nach Idar-Oberstein in unser Gemeindehaus.

Am 30.November fuhr ich Freitagabends mit dem Nachtzug von Frankfurt nach Wien, um am Samstagmorgen die IVECO Zugmaschine abzuholen. Michael, der Student aus Österreich, kam mich und Holger an den Bahnhof abholen.
Bei der IVECO Niederlassung in Wien wurden uns die Schlüssel für die Zugmaschinen übergeben und wir machten uns gegen Mittag auf dem Weg um die knapp 1.000 Kilometer nach Werlte zu fahren.

Am Montagmorgen wurden die Zugmaschinen gewaschen und die Fabrikneuen Auflieger wurden aufgesattel.
Die ersten Filmaufnahmen wurden gedreht. Die Filmaufnahmen dauerten gute zweieinhalb Stunden, bis es endlich vom Emsland ins Naheland los gehen konnte. Immerhin standen über tausende Päckchen in Umkartons in Idar-Oberstein, welche noch alle verladen werden mussten.
Da wir mit den Lkw auch auf einer Promotion Tour waren, war für Mittwoch, den 5. Dezember, ein Pressetermin auf dem Schlossplatz in Wiesbaden gebucht.
Nach der Vorstellung von Herrn von Mohl, Dr. Ahlers und anderen Projektleiter:innen, konnte ich Herr v. Mohl überzeugen, dass es völliger Unsinn sei, der eine Lkw der bereits im Großraum Leipzig am laden war, extra für ein paar Fotos nach Wiesbaden kommen zu lassen.

Durch die vorab gemeldeten Informationen über die Anzahl der Umkartons in den Sammelstellen, konnten wir die vier Sattelzüge sehr gut planen. Mein Lkw wurde am Dienstag in Idar-Oberstein fast zu dreiviertel der Ladefläche geladen.
Der Sattelzug von Michael war zu diesem Zeitpunkt noch leer.

Am Mittwoch Früh fuhren Michael und ich mit den beiden Sattelzügen nach Wiesbaden. Bei Wiesbaden hatten wir eine Sammelstelle an einem christlichen Gemeindehaus angefahren. Im Vorfeld teilte ich dem Verantwortlichen jener Gemeinde mit, wann wir zum laden eintreffen würden, Wie immer im Leben, können manchen die Uhrzeit nicht koordinieren. So fingen wir mit drei Mann um 7.30 Uhr an zu laden. Da man in der Gemeinde die Umkartons schön in einer Garage hinter dem Gebäude gelagert hatte und diese mit einem 15 Meter langen Sattelzug unmöglich zu erreichen war, trugen oder fuhren wir auf einem Küchenbeistellwägelchen die Kartons zum Sattelauflieger.
Eine Stunde später kamen dann endlich noch ein paar Helfer. Zwei Männer hatten zum Glück Sackkarren dabei.

Pressetermin und Startschuss auf dem Weihnachtsmarkt in Wiesbaden

Die Pressesprecherin von „Geschenke der Hoffnung“ rief mich an und fragte wo ich sei, man hätte ja gleich einen Termin mit dem Bürgermeister der Stadt und der Presse. Ich erzählte ihr die Komplikationen an jener Ladestelle und das wir uns beeilen würden. „Gib mal bitte die Adresse, wo wir hinkommen sollen.“ Als Brigitte mir die Adresse für den Pressetermin mitteilte, wusste ich, dass sie keine Ahnung hat, was 15 Meter in der Länge, 4 Meter in der Höhe und 2,5 Meter in der Breite sind. Wir sollten auf einen Platz fahren auf dem Weihnachtsmarkt stattfand – dies mit drei Sattelzüge!

Einer der drei Satteltüge, den Karl fuhr, und bereits in Baden-Württemberg geladen wurde, wartete an einem Treffpunkt in Wiesbaden-Norderstadt, dem ich zuvor Karl mitgeteilt hatte.
Michael und ich fuhren mit unseren zwei Sattelzüge zu dem vereinbarten Treffpunkt. Ich rief Brigitte an und fragte, ob sie wirklich die drei Sattelzüge an der gewünschten Adresse haben möchte.
Auf ihren Wunsch fuhren wir auf den Wiesbadener Weihnachtsmarkt – also zumindest in diese Richtung. In der Innenstadt von Wiesbaden mit drei Sattelzüge aufzuschlagen brachte ein mittelgroßes Verkehrschaos mit sich. Busse, Taxen und sonstige Autos und Transporter waren schon ein Problem. Als in der Innenstadt von Wiesbaden der Verkehr gänzlich zum erliegen kam, entschied man sich, den Pressetermin am Rande des Weihnachtsmarktes abzuhalten. Immerhin war dort das Chaos mit einigen Taxen und zwei Busslinien in einem überschaubaren Rahmen.

Auf nach Gütersloh

Michael und ich machten uns mit den Sattelzüge auf dem Weg nach Gütersloh zu Bertelsmann. Bei Gießen und Kassel hatten wir noch zwei Ladestellen. Diese Sammelstellen waren recht gut organisiert und so konnten wir auch zügig weiterkommen.

Am Donnerstagmorgen war der nächste Pressetermin bei Bertelsmann. Diesmal nur mit zwei Lkw, denn der andere war schon auf dem Weg nach Berlin in die Zentrale von „Geschenke der Hoffnung“.

Ich weiß, dass die Bertelsmann Stiftung sich für Humanität einsetzt und so konnte ich nach der offiziellen Pressekonferenz mit Dr. Mohn über das AIDS Waisenhaus in Thailand sprechen. Dr. Mohn hörte mir aufmerksam zu und sicherte einen erheblichen Geldbetrag zu, welche über die Projekte von „Geschenke der Hoffnung“ abgewickelt werden würde.

Nach der Pressekonferenz fuhren Michael und ich nach Leipzig zu der Sammelstelle von Holger, wo die restlichen Umkartons in meinen Auflieger kamen.

Am Freitag Vormittag erreichen wir Berlin. In der Zentrale wurde der bisherige Verlauf der Promotion Tour diskutiert und der Anschließende eigentliche Hilfstransport besprochen. Am Montag war die nächste Pressekonferenz in Poznań, Polen. Dann in Košice, Slowakei. Sibiu, Rumänien und Sofia, Bulgarien.

Ich hätte eigentlich nach Sofia fahren sollen. Da Michael sich zutraute diesen Weg alleine zu fahren, ließ ich ihn gerne den Vortritt. Also war meine Entladestelle Sibiu in Rumänien.
Da ich auf und in meinem Lkw noch etwas Platz hatte, schaute ich mich im Zentrsllager von „Geschenke der Hoffnung“ um und packte alles, was ich irgendwie gebrauchen konnte in den Lkw: Fußbälle, Schulranzen, Stifte, Spielsachen, Stofftiere, Schokolade (welche nicht verschickt werden durfte), stopfte ich in jede noch so kleine Ablage oder Staukiste am Auflieger und Zugmaschine.

Auf nach Osteuropa

Am 9. Dezember um 22 Uhr fuhren wir mit vier Lkw in Berlin los. Das erste Ziel was Poznań. Dort gab es eine Pressekonferenz bei der Krone Niederlassung und anschließend wurden Filmaufnahmen für die Reportage gedreht. Danach ging es am späten Nachmittag weiter in die Slowakei. Einer der vier Lkw, den Lukas Kasprowicz
ein Mitarbeiter von „Geschenke der Hoffnung“ fuhr, wurde in Łòdź abgeladen. Wir drei, Holger, Michael und ich, machten uns auf den Weg in die Slowakei.

Am Dienstag, den 11. Dezember, erreichten wir Košice. Dort war die Abladestelle für den dritten Lkw, den Holger Micklizer fuhr. In und um Košice wurden noch Filmaufnahmen mit den drei Sattelzüge gemacht.

Sibiu, Rumänien

Am 13. Dezember kamen Michael und ich am späten Nachmittag in Sibiu an. Der Parkplatz am Continental Hotel in Sibiu erwies sich für zwei Sattelzüge etwas klein. Naja, es ist auch nicht alltäglich, dass man mit einem Sattelzug in einem 5 Stern Hotel verfährt. Mit etwas rangieren von einigen Pkw der gehobenen Klasse, passten die beiden Sattelzüge vor das Hotel.


Brigitte, die Pressesprecherin von „Geschenke der Hoffnung“, schaffte es nach dem Frühstück, im den deutschstämmigen Bürgermeister von Sibiu, Klaus Johannis, in Kontakt zu kommen. Da auch er für die Reportage ins Bild gesetzt werden sollte, sollten die Sattelzüge vor das Rathaus von Sibiu. Die Adresse jenes Gebäude ist dummerweise auf dem Marktplatz, wo auch ein Weihnachtsmarkt stattfand.

Nach dem Frühstück standen wieder Filmaufnahmen an. Mit unseren zwei Sattelzüge ging es um und durch die sehr schöne Altstadt von Sibiu. Gegen 10 Uhr war der offiziellen Pressetermin mit Herr Johannis. Also mussten nun irgendwie zwischen Straßenbahn, Tannenbäume und Holzbuden die Lkw noch irgendwie auf den Marktplatz. Lediglich zwei größere geschmückte Tannenbäume standen etwas im Weg. Bei einem vorhandenen Platz von wenigen Millimeter fuhr ich die beiden Sattelzüge an den Glaskugeln vorbei. Es musste fürs Fernsehen ja spektakulär aussehen. Spektakulär war definitiv das Wenden der beiden Sattelzüge auf dem Marktplatz. Was tut man aber njcht alles fürs Fernsehen.

Abladen bei AMEC

Gegen Mittag erreicht ich meine Abladestelle bei der AMEC Kirche im Westen von Sibiu. Auch dort wurde wieder gefilmt, als ich einen 2,50 Meter breiten Lkw durch ein 2,60 Meter breites Tor rückwärts fuhr.

Herr Johannis kam im Gefolge von Brigitte an die Abladestelle und bedankte sich bei mir für die Sprichwörtliche Millimeterarbeit auf dem Marktplatz. Mit ihm hatte ich noch ein sehr angenehmes Gespräch.

Da meine Ladung an Weihnachtspäckchen in Sibiu komplett abgeladen wurde und ich durch das selbstständige Laden in Idar-Oberstein und den PLZ Nummern auf den Umkartons wusste, wann meine Umkartons aus der Sammelstelle kamen, suchte ich nach meinen beiden Weihnachtspäckchen. Leider fand ich bei dieser großen Anzahl an Päckchen meins nicht. Das von meiner Mutter fand ich. So konnte ich dieses Weihnachtspäckchen selbst einem Kind überreichen.

Geschichte bei Glühwein

Da nun meine Tour zu Ende war und ich nicht sofort nach Hause fahren wollte, traf ich im Büro der AMEC eine junge Frau, die mich zu ihren Freunden, Olimpia und Lica einlud. Ein Zimmer für die Nacht wurde mir im Haus von AMEC bereitgestellt. Mit Lenush, Lica und Olimpia traf ich mich am Freitagabend in der sehr schöne Altstadt von Sibiu, welche ich mit einem Sattelzug bereits am Vormittag schon erkunden konnte. Die kleine Stadtführung mit ihnen war sehr interessant.
Auf dem sehr schön geschmückten Marktplatz, welcher am Abend erst richtig zur Geltung kam, kaufte ich mir eine Handgefertigte Wollmütze, denn es war doch sehr kalt. Der Standbetreiber erkannte mich, denn ich musste Stunden zuvor bis auf wenige Zentimeter mit der Zugmaschinen an seine Bude heran fahren, um überhaupt auf dem Marktplatz drehen zu können.
Lenush erklärte dem netten Herrn, wofür dieser Aufwand war und warum ich in Rumänien sei. Darauf schenkte er mir ein Paar Handschuhe aus Schurwolle.

Mit Glühwein in der Hand stand ich auf diesem wunderschönen Marktplatz, welcher bereits im 12. Jahrhundert errichtet wurde, und lies die Geschichte vom Mongolensturm, im Jahr 1214, über die Belagerung der Türken, ab 1438, bis zum politischen Ping-Pong zwischen Ungarn, Österreich und auch Deutschland, auf mich wirken.
Sibiu, oder auch als Hermannstadt bekannt, hat eine sehr interessante Geschichte und hat mit seiner Festungsähnlicher Altstadt einen Flair, bei dem man sich in die Zeit zurück versetzt kann
Als es immer kälter wurde, lud ich Lenush, Lica und Olimpia zum Essen ein. In einem wunderschönen Burgkeller nahe des Rathauses genoss ich die bürgerliche Küche aus Siebenbürgen.

Am Samstag Früh holte mich Lenush in meiner Herberge bei AMEC ab und wir fuhren zu einem Haus, wo sich um Kinder gekümmert wurde, welche noch eine Stufe unterhalb der sowieso weitverbreitete Armut lebten. Die Familie lies es sich nicht nehmen, dass ich ein Frühstück bei ihnen ausschlug. So frühstückten wir gemeinsam in einer schäbigen Küche in der ein Holzofen für Wärme sorgte.
Auf der Eckbank stand ein Karton, welcher ein Weihnachtsgeschenk vom vergangenen Jahr für die Tocher war. Da ich das Geschenk von meiner Mutter gefunden hatte, und ihr Geschenk in die Altersgruppen vom dem Jungen der Familie passte, schenkte ich ihm diesen Karton.

Nach dem Frühstück ging Lenush mit mir durch den Ort. Wir informierten die Kinder, dass es heute Nachmittag Weihnachtsgeschenk geben würde. Ich hatte alles, was ich in Berlin gesammelt hatte, aus dem Lkw und Auflieger geholt und in Lenush ihren alten VW Golf eingeladen. Mitunter kann auch aus einem Golf ein Kombi werden.

Um bei der Geschenkeübergabe kein Chaos anzurichten, packen wir den Berg an Schokolade, Fussbälle, Stofftiere und Schulmaterial in Tüten ein. Lenush wusste wieviel Kinder es sein weden und auch deren Alter.

Am Abend fuhren wir zu Claudiu und Elena Macovei zum Essen. Claudiu war junger Pfarrer und war für die Verteilung der Geschenke in seiner Gemeinde verantwortlich. Beide konnten sehr gut deutsch, denn sie waren auf dem Deutschen Gymnasium im Sibiu gewesen.

Die Vermieter von Lenush wollten mich unbedingt kennenlernen und dass ich auch in ihrem Haus schlafen sollte. Also zurück zur AMEC und meine Tasche holen. Die beiden älteren Herrschaften, Johanna und Gustav Radou, erzählen mir von der Flucht im Krieg aus Rumänien nach Deutschland. Sie lebten lange in München und erlebten viele Anfeindungen. Mitte der 70er Jahren zogen sie wieder zurück in ihre Heimat zurück.

Nach einer kurzen Nacht, mit emotionalen Gespräche und Eindrücke, sollte ich an einem Gottesdienst in dem etwa 20 Kilometer entfernten Slimnic teilnehmen.
Der Pfarrer jener Gemeinde war der ältestes Sohn von Johanna und Gustav.

Im Gottesdienst in Slimnic

Erstaunt stelle ich fest, wieviele Leute in Siebenbürgen deutsch sprachen. Da aber nicht alle Gottesdienstbesucher:innen deutsch konnten, wurde ich auf rumänisch vorgestellt.
Nach dem Gottesdienst luden mich die Radou’s zum Mittagessen in ihr kleines Haus ein. Auch wenn die Bewegungen für die Zubereitung und kochen für das Mittagessen Johanna schwerfielen, ließ sie sich nicht davon abhalten. Ich schälte derweil die Kartoffeln.

Am Nachmittag machte ich mich schweren Herzens auf den Heimweg. Ich hatte noch 1.600 Kilometer vor mir. Da der Transport als Hilfstransport deklariert war, konnte ich trotz Sonntagsfahrverbot mit dem Lkw fahren.

Am 18. Dezember fuhr ich um kurz nach 10 Uhr am Ortsschild meines Heimatorts an der Nahe vorbei. Eine Tour von 7770 Kilometer war vorerst zu Ende.
Am 19. Dezember nahm ich meinen Sohn auf den letzen 900 Kilometer mit. Der Auflieger musste zurück ins Krone Werk nach Werlte. Am späten Abend des gleichen Tages kam ich wieder zu Hause an. Nach Weihnachten fuhr ich die IVECO Zugmaschine zurück nach Wien.

Naike Juchem, 4. November 2022

Big, bigger, even bigger

Die Grenze der Giga-Schiffe ist offensichtlich noch nicht erreicht – die Grenze der Logistik schon lange.
Wir alle bekommen mit, dass vielerorts Waren fehlen, Autos und Maschinen nicht fertig gebaut werden können, weil Bauteile fehlen. Man fragt sich woran dies liegt.

Ich stellte die Frage gestern einem Geschäftsführer dessen Firma Ware aus Asien und Südostasien bekommt. Er sagte mir, dass er seit zwei Jahren überhaupt nichts mehr planen kann. Container werden in den Häfen in Asien verschifft und in Europa kommen die Container mit Verspätungen von über einem viertel Jahr an. Vor Helgoland ankern Schiffe, weil sie in Hamburg nicht gelöscht werden können.
Es fehlt an Mitarbeiter in den Häfen und beim Zoll.
Ist der Container endlich gelöscht, gibt es keinen Spediteur der die Kiste bringen kann, weil er keine Fahrer hat.
Durch den Stau der riesigen Containerschiffe verschiebt sich alles weiter nach hinten.

Das Gespräch mit Herrn Elzer war sehr informativ, denn diese Probleme in der Lieferkette kannte ich nicht. Als die „Ever Given“ im März 2021 den Suezkanal blockierte, sah man in allen europäischen Häfen die Auswirkungen dieser Havarie. Wo zuvor noch zig tausende Container standen spielten die Hafenmitarbeiter Fußball.
Die Übersee Containerschiffe sind 400 Meter lang und erreichen mittlerweile Höhen von einem 12-stöckingen Haus. Wenn dann mal etwas Wind kommt, drückt dieser mal eben ein Schiff gegen das Ufer.
Übersee Schiffe fahren in einem exakten Zeittakt. Wenn in Hongkong ein Schiff ablegt, weiß man wann dieses in Rotterdam oder Hamburg ankommt.
Auch nimmt durch solche Giga-Schiffe der Verlust von Container zu. Es wird geschätzt, dass alleine in der Nordsee um die 1000 Container umhertreiben. Diese Container stellen für die Umwelt und für die Schifffahrt sehr viele Risiken dar.

Wer schon einmal Übersee Containerschiffe in Rotterdam, Antwerpen, Hamburg, Valencia, Piräus oder Bremerhaven gesehen hat, kennt die Ausmaße von 15.000 bis 20.000 TEU – also 20“ Seecontainer. Der Wahn nach immer mehr Ware scheint kein Ende zu finden.

Vor 15 Jahren sah ich zum ersten Mal die Emma-Maersk. Diese Schiffsklasse waren die ersten Ultra Large Container Ship’s der Welt. Mit einer Kapazität von 14.770 Container war ein Meilenstein im Bau von Containerschiffen gesetzt – sollte man meinen.

In der Daeiwo Werft in Südkorea wurden kurze Zeit später die ersten Schiffe der sogenannten Opympic-Klasse ausgeliefert. Diese Schiffe, zu der auch die MCS Zoe gehört, können beachtliche 19.224 TEU laden.

Die chinesische Hudong-Zhonghua Werft ließ im Junli diesen Jahres die  „Ever Ace“ vom Stapel. Dieses Schiff hat eine Kapazität von 24.004 TEU.
Nun legte die gleichen Werft noch einen nach und so wurde letzte Woche die erste Giga-Schiffe der Welt vorgestellt. Diese Schiffsklasse stellt den absoluten Rekord im weltweiten Bau von Containerschiffen dar. Mit einer Kapazität von jeweils 24.346 TEU gibt es auf der Welt – zurzeit, nichts vergleichbares.

Diese Giga-Schiffe haben eine Länge von 399,99 Metern (wie fast alle Übersee Containerschiffe) und eine Breite von 61,3 Metern. Und somit 5 Meter breiter als die Emma-Maersk ist und eine Decksfläche von 24.000 Quadratmetern, was einer Fläche von 3,5 Standardfußballfeldern entspricht.
Zwar wurde die Emma-Maersk 2016 umgebaut, womit sie 17.816 TEU transportieren kann.

Die beiden neuen Schiffe, welche für die Schweizer Reederei MSC aus Genf, gechartert werden, sollen im Februar 2023 in Dienst gestellt werden. Im gleichen Jahr sollen noch vier Baugleiche Schiffe ausgeliefert werden.

Chinas Schiffbauindustrie war in den ersten drei Quartalen dieses Jahres weiterhin führend bei den internationalen Marktanteilen, wobei die Containerschiffe mit mehr als 10.000 TEU 51,7 Prozent des Weltmarktes ausmachten.

Naike Juchem, 3. November 2022

Die HMS Victory

Heute stehe ich in Sinsheim. Vor vier Jahren war ich mit einem Übersee Container aus Hamburg bei der Firma Sea-Club. Ich hatte die Schachtel voll mit Kartons aus Südostasien. Die Firma Sea-Club ist ein Großhändler für alles was irgendwie mit Maritim zu tun hat.

In der Zeit, wo die Männer den Container leer geräumt hatten, ging ich mich duschen. Auf dem Weg zur Dusche sah ich im Flur zum Büro einige Segelschiffmodelle in einem recht großen Maßstab stehen. Die Rickmer Rickmers, welche in Hamburg an den Landungsbrücken liegt, fiel mir sofort ins Auge.

Nach dem duschen sprach ich mit dem Inhaber, Herr Elzer, über jenes Schiff. Auch stand ein Modell der Flying-P Liner, die Passat, im Flur auf einem Sidebord. Ich quatschte Herr Elzer über jenes Schiff dermaßen zu, dass er meinte, ich käme aus Hamburg. Ich stellte ihm meine Passion zu Segelschiffen klar und das ich aus dem Hunsrück komme.

Damals schenkte er mir die USS Constitution. Sie ist das älteste noch seetüchtige Kriegsschiff der Welt und nach der HMS Victory das zweitälteste, welches noch in Dienst steht.

Wie schon geschrieben, bin ich heute in Sinsheim und schaute bei der Firma Sea-Club vorbei. Ich sagte Herrn Elzer, dass ich bereits vor 4 Jahren bei ihm abgeladen hatte und wollte mal fragen, ob er mir ein Schiff verkaufen würde.

Die HMS Victory

Gemeinsam gingen wir ins Lager und er schaute, welche Muster er hat. Einsam und verlassen stand der Dreidecker, Dreimast Vollschiff HMS (His Majesty’s Ship) Victory im Regal.
„Dies könnte ich Ihnen anbieten. Das Schiff ist im Einkauf zu teuer und wir haben es daher nicht ins Programm genommen.“ Meine Augen mussten wie bei einem Kind an Weihnachten geleuchter haben. Für 5 € kaufte ich dieses Schiff, welches seinen Stapellauf 1765 hatte.
Die HMS Victory ist circa 70 Meter lang, knapp 16 Meter breit und hat einen Tiefgang von maximal 8,76 Meter. Mit ihren bis zu 31 Segel konnte sie um die 10 Knoten ( circa 19 Km/h) segeln. Zum Vergleich: Das jemals größte gebaute Fünfmast Vollschiff der Welt, die Preußen – eines der legendären Flying-P Liner der Reederei Laeisz aus Hamburg, schaffte eine doppelt so hohe Geschwindigkeit und hält heute noch diesen Segelrekord von Hamburg bis nach Chile. Die Bewaffnung der HMS Victory war und ist mit 104 Kanone beachtlich. Auch die Zahl der bis zu 800 Matrosen spricht für eine Superlative im ausgehenden 17. Jahrhundert.

Dieses über 260 Jahre alte Dreimast Vollschiff, war an vielen und wichtigen Seeschlachten der Royal Navy ab Juli 1778 bis 1903 beteiligt. Durch die Dreidecker Bauweise konnte quasi gleichzeitig aus „allen Rohren“ gefeuert werden.

Die HMS Victory segelte im Kriegseinsatz gegen Frankreich und Spanien im Mittelmeer und war auch an den Koalitionskriegen, bei den Westindischen Inseln (Kuba, Jamaika, Puerto Rico, Bahamas…) beteiligt. Mal als Transportschiff, mal als Geleitschutz im Ärmelkanal und Nordsee und dann wieder
als Flaggschiff für Seeschlachten.

Die wohl wichtigste und entscheidenste Seeschlacht der Royal Navy war die 1805 am Südspanischen Kap Trafalgar geführt Schlacht. Wodurch die britische Vorherrschaft in Lateinamerika, Südlicher Pazifik, Südafrika und Indien begann.
Und indirekt wurde mit jener Schlacht die Niederlage Napoleon auf dem europäischen Festland besiegelt.

Heute kann man das einzige Seetaugliche
Dreidecker Kriegsschiff der Welt in der Südenglichen Hafenstadt Portsmouth, auch im inneren, besichtigen.

Naike Juchem, 2. November 2022

Teelichtofen

Solche „Dekorationen“ sind im Internet zu finden.

Ein Teelicht kommt selten alleine

Von Naike Juchem

Seit ein paar Wochen kursieren im Netz „Heizkosten-Tipps“ mit Teelichter.

Ein Teelicht sagt eigentlich schon der Name für was dieses kleine Schälchen mit brennbaren Stoffen ist – um Tee in einer Kanne über einem Stövchen warm zu halten. Auch sind Teelichte keine Erfindung von IKEA, denn bereits im 16. Jahrhundert wurden Teelichte in den Niederlanden erfunden. Dies resultiert aus einer langen Seefahrtsgeschichte der Niederländer.

Solche „Tipps“ auf Facebook sind im wahrsten Sinn des Wortes brandgefährlich

Nun komme ich zu jenem Punkt, der im wahrsten Sinn des Wortes brandgefährlich ist – der Teelichtofen
Zum Einstieg schon mal das kleine Teelicht Einmaleins.

Die angepriesenen „Bauanleitungen“ sind an Verblödung kaum noch zu überbieten.

Die meisten Teelichte im Handel sind für wenig Geld in einer Stückzahl von 50 bis 250 zu erwerben. Wer meint, dass in den kleinen Aluminium Schälchen Wachs ist, wird enttäuscht sein. Meinst bestehen diese Kerzen aus Paraffin oder Stearin.

  • Paraffin ist ein Kohlenwasserstoff, welcher aus Erdöl gewonnen oder synthetisch hergestellt wird. Der Schmelzpunkt liegt bei etwas über 50° C.
  • Stearin ist ein Gemisch aus Stearin- und Palmitinsäure, welches aus Triglyceriden (pflanzliche und tierische Fette) hergestellt wird und unter anderem in Kerzen und Seiten Verwendung findet. Der Schmelzpunkt liegt bei ungefähr 70° C.
  • Talgwachs wird aus Tierfett hergestellt und hat einen Schmelzpunkt von um die 40° C.
  • Bienenwachs sagst schon der Name, wo dieses Naturprodukt herkommt. Dieser Wachs hat einen Schmelzpunkt von über 60° C.

Während die Temperatur in einem Teelicht am Anfang noch 60 Grad beträgt, steigt sie innerhalb weniger Sekunden auf 250° C an.

Teelichtofen

Die seit einiger Zeit als „alternative zu den hohen Energiekosten“ angepriesenen Teelichtofen sind brandgefährlich. In einem Tontopf mit 12-14 cm Umfang entsteht eine unglaubliche Hitze, die selbst Ton nicht aushält – und heizen kann man damit die Bude schon gar nicht!
Die angepriesene „Bauanleitungen“ sind an Verblödung kaum noch zu überbieten.
Wenn man also mit einer Gewindestange den oder die (meist zwei) Tontöpfe verbindet, fehlt logischerweise der Abzug/Kamin, um die aufsteigende Wärme abführen zu können.
Unter der kleinen Miniatur-Glocke gibt es einen unglaublichen Wärmestau, wodurch die nach oben drückende Wärme die thermischen Rückführung automatisch einleitet und somit mit aller Kraft auf die brennbare Flüssigkeit drückt.

Aus einem Video der Feuerwehr Braunschweig zum Thema Teelichtofen

Ein Brand mit Paraffin, Stearin u.ä. kann man NICHT mit Wasser löschen. Diese ist das gleiche wie bei einem Fettbrand in einer Fritteuse.

Also, wer meint, sich einen Teelichtofen bauen oder in Betrieb nehmen zu müssen, sollte sich über die Gefahren bewusst sein.

Naike Juchem, 8. Oktober 2022

Der Rhein von Albert Knapp

Der Rhein bei Kehl

Was mir so alles einfällt, wenn ich nur Fotos vom Rhein posten möchte.

Autorin Naike Juchem

Ich habe einen sehr alten Text von Albert Knapp gewählt, denn kaum ein Fluß in Europa stand so im Mittelpunkt zwischen Krieg und Frieden als der Rhein. Insbesondere die Kriege zwischen Deutschland und Frankreich waren in der Geschichte von Europa bezeichnend.

Mira am Rhein

Der Text von Albert Knapp wird nicht leicht zu verstehen sein, denn er ist aus dem frühen 18. Jahrhundert. Im späten 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts wurden viele Wörter so geschrieben, wie man diese sprach, es diese Buchstaben nicht gab oder schlichtweg in der Schreibung von Mundarten man zahlreiche Buchstabenvarianten oder auch weitere Buchstaben aus dem französischen gebrauchte.
In der damaligen Zeit des Klassizismus war es von nöten, chic oder populär in französisch zu sprechen und schreiben.  So entstanden mächtige Werke der Literatur nicht umbedingt in Paris oder Lyon, sondern wurden in Leipzig, Nürnberg, Jena, Halle oder Frankfurt am Main publiziert. Bis zu der Orthographischen Konferenz von 1901 in Berlin, schrieb man daher viele Texte in einer Mischung aus deutsch und französisch.

Blick auf die französische Seite

Der Rhein

Dieß is der Rhein.‘ — du sollst ihn mir nicht nennen;
Ein einz’ger Blick: ich weiß es schon!
Altdeutscher Strom! dich sollte nicht erkennen
Des deutschen Landes Sohn? —

Seyd mir gegrüßt, ihr königlichen Wogen!
Ach wärt ihr unser allenthalb.
Eins seyd ihr ganz durch Teutschlands Flur gezogen,
Nun netzt ihr sie nur halb:

Ich sah euch nie; doch hab‘ ich wohl vernommen,
Welch‘ Großes eure Ufer sahn; In eurem
Spiegel ist manch Heer geschwommen
Und mancher Schlachtenplan.

Dort, wo der alten Brücke Trümmer ragen,
Zog Gallien gen Teutschland her;
Drum ist die Zucht wie in vergang’nen Tagen
Im teutschen Land nicht mehr!

Dort lauerte sonst Louvois Blick herüber,
Und seine Königs-Creatur;
Dann ward der Blick des treuen Pfälzers trüber,
Und öde seine Flur.

Dann stieg der Rauch aus abgebrannten Städten
Empor zum düstern Himmelsrund;
Dann lag der Säugling unterm Huf zertreten
Und färbte roth den Grund.

Dann fiel die Deutsche Stadt am teutschen Strome
In Frankenhand, und ach zu spät
Betrauern wir den König aller Dome,
Des Münsters Majestät:

Daß wir als Fremde nun ihn schauen müssen,
Den uns die Väter anvertraut;
Der Franke hat ihn nur an sich gerissen,
Ein Deutscher ihn erbaut!

Wie blickt er hoch und feierlich herüber,
Als zürnt‘ er Teutschland geisterhaft:
„Eu’r Bürger war ich; doch ich rage lieber
In einem Land der Kraft!

Die Eintracht war’s, die mich emporgethürmet,
Und Eintracht war’s, die mich geweiht.
Ein dauernd Mal, daß Zwietracht nichts beschirmet,
Bin ich in dieser Zeit.

D’rum zogen hier die wilden Heeresmassen
Des Korstkaners über’n Strom,
Und eure Länder mußtet ihr ihm lassen,
Wie eins den hohen Dom.

Drum mußten Brüder gegen Brüder fechten,
Von wälschen Lügnern aufgehetzt,
Um blutend einen Lorbeerkranz zu flechten,
Den Er sich aufgesetzt.

D’rum dürft‘ er euch nachschleppen seinen Fahnen,
Am Kriegeswagen angejocht;
Was warst du, Teutschland, dort vor deinen Ahnen? —
Ein ausgebrannter Docht!

D’rum dürft‘ er euch zertreten, geisseln, höhnen,
Bis, schmerzlich zum Gebet erwacht,
Die Brudervölker mit vereinten Sehnen
Zersprengten seine Macht.

Viel ist gescheh’n, den Hohn zurückzuschwellen;
Doch bleibet sich der Franke gleich ;
Er theilet noch des teutschen Stromes Wellen
In stolzem Trotz mit euch.

Er lauert nur voll Arglist, bis ihr wieder
Von leisem Stoß der Zwietracht wankt —
Und seine Geyer stoßen auf euch nieder,
Wenn euer Friede schwankt!

Und schrecklicher, denn alle «ist der Franken,
Ist jener Geist, von Stolz gebläht,
Der, nachtumhüllt, in eurer Länder Schranken
Durch Städt‘ und Dörfer geht.

Er brauset auf in dumpfen Ungewittern,
Im Dunkeln fährt sein «Keulenschlag;
Die Völker murren, und die Throne zittern: —
Ist dies der Freiheit Tag?

Vom Baum des Haders wollt ihr Lebensblüthen
Euch pflücken mit befleckter Hand?
Keimt Gottes Friede nun aus blindem Wochen
Und frechem Unverstand?

O schaut mich an! — Zum ewigstillen Himmel
Heb‘ ich mein Haupt, und wanke nicht.
Um meinen Fuß wohl gähret das Getümmel,
Doch oben ist es Licht.

Wer nur, was unter Wolken bleibt, errungen,
Den trifft des Wetters flücht’ger Blitz;
Wer über das Gewölk sich aufgeschwungen,
Hat göttlich festen Sitz.‘

Nicht Einheit wird, nicht Freiheit euch erblühen,
Als, die von Christi Himmel stammt.
Jahrhunderte schon sahen euer Mühen,
Sah’n fruchtlos euch entflammt.

Jahrhunderte noch werden eure Trümmer
Im Fluch dahingeschleudert schau’n,
Denn Faustgemeng‘ und luft’ger Freiheit
Schimmer Hann euer Haus nicht bau’n.

Das Himmelslicht, es gab eins eure Geister
Zuerst vom Drängerjoche frei;
Nur Himmelslicht, — so will’s der große Meister,
Macht eure Länder neu!

Ja, Teutschland soll nicht anders auferstehen,
Als durch verklärten Christensinn, —
Strebt es, wie meiner Pfeiler heitre Höhen,
Vereint zum Himmel hin!“

Mimi am Rhein bei Kehl

Albert Knapp war ein deutscher Pfarrer, Dichter und Begründer des ersten Tierschutzvereins in Deutschland.
Geboren: 25. Juli 1798, Tübingen
Verstorben: 18. Juni 1864, Stuttgart

Diversity Day

Und schon wieder ein Tag an dem man irgend etwas gedenken soll.
Was wird diese wohl sein?

Autorin Naike Juchem

Den internationalen Frauentag oder Internationaler Aidstag ist mittlerweile fast jedem bewusst.
Der 17. Mai steht für – International Day Against Homophobia und ist seit 2005 auch so gelistet.
Kaum zu glauben, dass kaum jemand diesen Tag kennt, aber all zu oft seine „Meinung“ zu Homosexuelle, Trans- oder Intergeschlechtliche Menschen raushaut.

Braucht man einen solchen Tag ?

Braucht man überhaupt einen solchen Tag, an dem bewusst an „Anderen“ gedacht wird?
Eine einfache Antwort: Ja!
Leider braucht es diesen Tag, denn auch im 21. Jahrhundert hat sich der ein oder andere Zeitgenossen ab dem Homo rudolfensis (vor 2,5 bis 1,9 Mio Jahren) nicht besonders weiter entwickelt.
Immer noch gibt es Angriffe auf LGBT- Menschen – die hin bis zu einem gezielten Mord gehen.
Noch immer werden LGBT-Menchen diskriminiert.
Wir alle sind nur eine beschränkte Zeit auf diesem Planeten und wir alle sind Bewohner von eben diesem. Also, sollte man den „Anderen“ Menschen so respektieren wie dieser ist.

Viele Prominente Schauspieler, Musiker oder Sportler trauen sich oft nicht zu ihrer sexuellen Orientierung oder Identität zu stehen. Es ändert nichts an dem Charakter der Person, wenn er / sie sich outet.
All zu oft bricht ein Shitstome über jene Personen herein die sehr Menschenverachtend sind.

Warum wird sich plötzlich über etwas aufgeregt, was einen gar nicht selbst betrifft? Warum muss Hass verbreitet werden über Personen die man gar nicht kennt?
Weil man Anders ist? Wer setzt den Maßstab für das „Anders“?

Die BILD titelelte nach dem BGH Urteil  über den Eintrag „divers“, „NUN SIND WIR ALLE DIVERS“ – was für ein Schwachsinn! Der allgemeinen BILD Leserschaft ist aber eines völlig entgangen – es betriftt diese Leseschaft in 99,9% der Fälle noch nicht einmal!

Personen mit einer lediglich empfundenen Intersexualität können aber entsprechend nach § 8 Abs. 1 TSG erreichen, dass ihre auf „weiblich“ oder „männlich“ lautende
Geschlechtsangabe im Geburtenregister gestrichen oder durch „divers“ ersetzt wird.
So steht es in dem Beschluss vom 22. April 2020.

Also wen betrifft dies wohl?
Es wird Zeit, dass auch der letzte unterbelichtete begreift, dass eine sexuelle Orientierung oder Transidentität nicht ansteckend ist und kein Mensch seine Biologie selbst bestimmen kann. Auch nicht jene, die welches Fachblatt für Medizin, Fussball, Wetterbericht, Hass und Hetze – BILD lesen.

Es gibt Schwule, Lesben, Bi-, Inter- und Transsexuelle, die sich in Vereinen oder politischen Gremien engagieren – und dies mitunter auch sehr erfolgreich.
Der Mensch zählt in seinem Charakter und Können und nicht wen er / sie liebt.

Zeichen setzen

In vielen Städten dieser Welt werden Zeichen für die Vielfalt gesetzt. Ob nun als Fahnen, Banner oder Fußgängerüberwege.
Jeder Mensch ist individuell – und dies ist auch gut so.
Wenn man die Akzeptanz des „Anderen“ begreift und sich mit diesen Menschen unterhält – wird man feststellen, wie gleich man doch im Denken, Hobby, Sport oder wo auch immer ist.

Naike Juchem 17. Mai 2020

Was ist Trans*

Eine kleine Einordnung was Transgender oder Transsexualität ist.

Autorin Naike Juchem

Trans* , Transident, Transsexuelle, Intergeschlechtlich was tun?
Diese oder andere Begriffe sind den meisten schon einmal begegnet. Die genaue Bedeutung, und was diese geschlechtliche Identität mit sich bringt oder was diese bedeutet wissen Trans* Personen selbst am Besten. Den nur der Mensch selbst hat die Hoheit über die Definition seiner/ihrer geschlechtlichen Identität.

Alleine bei der Schreibweise kann man schon den Überblick verlieren. Mit *, mit _, mit -. Ich schreibe in diesem Artikel Transidentität, denn es wird anderen Trans* Menschen sowieso falsch sein.

In unserer Gesellschaft gibt es leider immer noch eine klare und sehr fundamentale Vorstellung von Mann und Frau. Ganz nach dem Motto „Bist du als Mädchen geboren, bist du dein Leben lang eine Frau!“
Jedoch stimmt die eigene Geschlechtsidentität, wie man sich fühlt, nicht immer mit dem biologischen Geschlecht überein. Es gibt innerhalb von Männlichkeit und Weiblichkeit sehr viel dazwischen.
Manche Menschen bezeichnen sich als „nicht-binär“, da sie sich weder in Mann noch Frau wiederfinden. Andere definieren sich als „agender“, da sie generell die Kategorisierung von Männlichkeit und Weiblichkeit als Geschlecht in Frage stellen. Wiederum gibt es andere, die sich als „gender-fluid“ bezeichnen, das bedeutet das die Geschlechtsidentität nicht festgelegt ist und sich aufgrund von Situation oder Empfinden verschieben kann. Um diese kleine Einordnung nicht in eine Enzyklopädie von hunderten an Seiten ausufern zu lassen, belasse ich es dabei. Die Welt von Menschen mit einer Transidentität ist schon schwierig genug und wird in Zeiten von “Genderwahn“ noch verstärkt.

Depressionen oder Leben

Sehr viele Menschen mit einer Transidentität trauen sich nicht an die Öffentlichkeit und leben ihre Gefühle im geheimen aus. Angst vor den Nachbarn, Angst vor der Gesellschaft, Angst vor dem Verlust der Arbeit oder der Existenz lässt diese Menschen in eine Welt abtauchen, in der sie sich selbst sein können. Dadurch kommt die Sozialevereinsammung und sehr schnell geht es in Depressionen bis hin zum Suizid.
Es gibt zum Glück in Deutschland viele Selbsthilfegruppen und Therapeuten für jene Menschen mit einer Transidentität. Nur braucht es auch den Mut diesen ersten Schritt zu gehen. Wer von selbst die Kraft für den ersten Schritt hat, steht am Anfang oft vor vielen verwunderten Blicken oder auch Fragen des Umfeld. Durch erklären, dass man bis zu diesem Zeitpunkt nur eine Rolle gespielt hat und um eben nicht in jene Depressionen hinein zu fallen, nun jener Schritt notwendig ist oder war. Nach dem Outig tritt ein völlig neues Lebensgefühl ein und ab dann fängt die eigentliche “Arbeit“ erst an.
Die Suche nach Therapeuten und Ärzten beginnt. Dies sind rechtliche Grundlagen um überhaupt mit einer Hormontherapie beginnen zu können. Menschen mit einer Transidentität müssen sich vor Krankenkassen, Therapeuten und Gutachter offenbaren um den nächsten Schritt gehen zu können. Personenstandsänderung oder auch geschlechtsangleichende Operationen dauern oft Jahre. Viele Kosten für all dies kommen dann auch noch hinzu und müssen selbst bezahlt werden.

Diskriminierung  durch Gesetze

Das deutsche Transsexuellengesetz (TSG) wurde im Jahre 1980 mit Wirkung ab 1. Januar 1981 unter dem Titel: Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen, verabschiedet und in den letzten Jahren auch immer wieder überarbeitet und angeglichen. Trotzdem sind in dem TSG sehr viele Defizite erkennbar.
Im August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, in dem es zum Ziel ist, Diskriminierungen aus ethnischen Gründen, Gründen der Religion oder Weltanschauung, aufgrund einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern und zu beseitigen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes arbeitet nach dem „horizontalen Ansatz“, das heißt, jeder Diskriminierungsgrund ist gleich wichtig. Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetz steht: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Soweit die Theorie. Die Praxis ist eine andere. Transgender sind der Willkür von Endokrinologen, Gutachter, Behörden und Krankenkassen ausgeliefert, obwohl es dafür die Gesetzliche Grundlagen gibt, diese aber in fast allen Fällen außer acht gelassen werden.

Viel besser sieht es in Dänemark, Malta, Irland und Norwegen aus, dort ist keine psychologische Begutachtung notwendig, wenn es um die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität in Form von Personenstands- und Namensänderungen geht.

Heute ist jeder Transgender

„Das Aufkommen von immer mehr Transgender ist eine Neuzeitliche Mode.“ Dieser Satz ist schon völlig falsch. In der Antike wird schon über Transgender berichtet. In der Bibel steht bei Paulus an die Korinther in 5,17 oder Galater 3,28 wie auch Epheser 4,23-24 schon etwas über Transgender.
Die Kirche war mit einer der Hauptgründe, warum Menschen mit einer Transidentität verpönt, geächtet und verfolgt wurden. Die Gesellschaft hat dies aufgegriffen und weiter geführt. Menschen mit einer Transidentität werden im 21. Jahrhundert immer noch verfolgt, beleidigt, bedroht und sogar ermordet. Schätzungen zufolge wurden in den letzten 11 Jahren weltweit über 3500 Menschen mit einer Transidentität ermordet. Menschen die nicht Gewalttätig, Krank oder Verrückt sind. Die Wissenschaft geht von 1% der Weltbevölkerung aus, die eine Transidentität haben und das Verhältnis von Frau zu Mann, wie auch umgekehrt ist 1:1.

Transgender sind krank

„Transgender sind krank.“ Nein!
Nach dieser Schlussfolgerung wären Linkshänder, Kurz- oder Weitsichtige, oder gar Gehörlose krank.
Kein Mensch kann seine eigene Biologie beeinflussen. Das es zu ungleichmäßigen Geschlechtschromosomen kommt, ist eine Laune der Natur. Es gibt auch Große, Kleine, Dicke, Dünne Menschen und eben auch welche die Transidentitär sind. Es ist kein Verbrechen, keine Phase und erst recht keine Modeerscheinung.

„Trans* sein ist eine sexuelle Orientierung.“ Auch dies ist einer der Vorurteile der Gesellschaft. Es geht um Identität und nicht darum was man liebt.

„Transgener leben am Rand der Gesellschaft.“ Diese Aussage stimmt auch nicht. Menschen mit einer Transidentität leben IN der Gesellschaft, nur fallen diese Menschen nicht auf, oder wollen auch gar nicht auffallen. Transgender spielen keine Rolle wie zum Beispiel Olivia Jones – sie ist eine Travestiekünstlerin.
Transidentitäre Menschen sind in der Politik, bei der Bundeswehr, Lehrer, Selbständige Handwerker, Ingenieure, Models, bei Film und Radio. Also, ganz normale Menschen die ihren Alltag gestalten.
Vielleicht war der nette Mann am Bankschalter vorher eine Frau, oder die freundliche Bedienung im Restaurant ein Mann? Wer weiß es? Es zählt der Mensch einem gegenüber und nicht das Geschlecht.

Viel Fragen und kaum eine richtige Antwort

Viele Menschen mit einer Transidentität haben bereits aus ihrer Kindheit oder Jugend Erinnerungen daran, dass sie sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können. Dies kann zum Beispiel ein Mädchen sein, das nie mit „typischen“ Mädchendingen spielte oder Mädchenkleidung tragen wollte. Andere Menschen wiederum fühlen sich als etwas „Andersartiges“ oder „Falsches“, da das persönliche Empfinden von Geschlecht nicht mit dem körperlichen Empfinden übereinstimmt.
Ist das persönliche Umfeld nicht auf dieses Thema vorbereitet oder sanktioniert das Ausbrechen aus der vorgesehenen Geschlechterrolle, sprechen transidentitäre
Personen oft jahrelang nicht darüber oder schämen sich dafür. Der Mensch kann solche Gedanken und Gefühle bis zu einem gewissen Grad verdrängen. Erst wenn der Innere Druck so stark wird und es kaum noch ein zurück gibt und die Selbsterkenntnis eine Trans*Person zu sein, erfolgt dies meist über Schlüsselerlebnisse wie zum Beispiel der Kontakt mit geouteten Transgender, einem Film oder Dokumentation aus dem Fernsehen oder der Lektüre eines Buches zum Thema.
Der erste Schritt ist das innere outing, was bedeutet für sich persönlich festzustellen: „Ich bin trans*“ oder „Ich bin eine Frau, ein Mann oder definiere mich dazwischen“. Darauf folgt das äußere Outing, welches die öffentliche Mitteilung der Selbstdefinition im sozialen Umfeld, Schule oder Arbeitsplatz bedeutet sowie Veränderungen im Aussehen und/oder der Kleidung. Hierbei ist es hilfreich mit anderen Transgender ein solches Outing vorzubereiten oder Fachpersonal aus Beratungsstellen als Unterstützung einzubeziehen.

Das soziale Outen ist schließlich das „Ankommen“ und der komplette Wechsel in die gewünschte Identität. Je nachdem wie das soziale Umfeld auf das Thema reagiert oder bereits sensibel ist kann dieser Weg einfach oder auch mit kleinen Stolpersteinen verlaufen. Diese sind jedoch durch eine Vertrauensperson zu meistern und es lohnt sich diesen Weg zu gehen.
Beratungen für dieses Thema gibt es mittlerweile genügend. Queernet, dgti e.V., Bundesverband Trans*. In den ersten Gesprächen merken Betroffene schon, dass sie NICHT alleine sind und oft andere Transgender in der Nähe wohnen.

Naike Juchem, 20. Januar 2019

Foto: privat

Träume

Träume

Wir träumen von einer schönen Welt
Wir träumen von der Liebe
Wir träumen von den schönen Dingen der Welt
Wir träumen
Wir träumen von den Sorgen
Wir träumen von der Angst vom morgen
Wir träumen von den schlimmen Dingen der Welt

Wir träumen
Wir träumen von einem besseren Leben
Wir träumen von einer unbeschwerten Zukunft
Wir träumen von der Geborgenheit
Wir träumen von der Zeit die war
Wir träumen

© Naike Juchem

Du entscheidest eines Tages

„Du entscheidest eines Tages oder Tag Eins.“

Autorin Naike Juchem

Mit diesem Satz hat sich am 29. August 2017 mein Leben gravierend geändert.Ich möchte gerne Einiges erklären, um mich nicht ständig zu wiederholen oder zu rechtfertigen.

Ich wurde 1970 äußerlich als Junge geboren, innerlich hat die Biologie aber etwas durcheinander gebracht mit meinen Chromosomen. Heute weiß ich anhand von Blut,- und Gentests, dass es so ist. Es kommt halt nicht so oft vor, aber mich hat es erwischt. Ich habe eine Transidentität.Das ist nichts Schlimmes, es ist keine Krankheit – in welchem Sinne auch immer – das hat es schon immer gegeben. Selbst in der Bibel steht bei Paulus an die Korinther in 5,17 oder Galater 3,28 wie auch Epheser 4,23-24 schon etwas über Transgender.

In Deutschland gibt es ungefähr 1 Mio. Menschen, denen es genauso geht wie mir. Die Natur geht manchmal kreative Wege und bringt unterschiedliche Menschen hervor: Männer, Frauen, welche, die homosexuell sind, welche, die beide Geschlechter in sich tragen (Intergeschlechtliche), Linkshänder, Rechtshänder, und eben auch welche, die transidentitär sind. Ich habe mir dies nicht ausgesucht, ich bin auf keinem „Trip“, oder laufe einem neuzeitlichen „Genderwahn“ hinterher.

Bei einer Transidentität ist man im falschen Körper geboren worden, d.h. das äußere Geschlecht entspricht nicht dem selbst empfundenen Geschlecht – wobei sich dies nicht ausschließlich auf die Sexualität beschränkt, sondern eher dem sozialen Geschlecht und dessen Wahrnehmung entspricht. Wenn man im falschen Körper steckt und es nicht ändern kann, weil man es nicht weiß oder weil es nicht geht, fühlt man sich nicht nur falsch und unglücklich, es führt auch zu tiefen Depressionen, bei nicht wenigen Transidentitären sogar zum Suizid.

Das ganze Leben stimmt einfach nicht. Deshalb konnte ich die letzten Jahrzehnte auch nicht verstehen und einordnen, was mit mir los war, weshalb ich mich nicht richtig gefühlt habe: Ich wusste es nicht. Und in meiner Umgebung wusste auch keiner, dass ich eine Transidentität habe.Nicht nur die Bibel erwähnt transidentitäre Menschen, auch antike Geschichtsschreiber haben von der Existenz solcher Menschen berichtet. Aber erst mit der christlichen Kirche wurden transidentitäre Menschen mit einem absoluten Tabu belegt.

Dies ist auch bis in die 70er/80er Jahre des letzten Jahrhunderts weitgehend gesellschaftlich so geblieben und hat die Betroffenen gezwungen, ihre tatsächliche Identität zu verbergen und die Rolle des geborenen Geschlechts anzunehmen. Nun mögen Viele meinen „Ja und? Dann macht man das eben, ist ja auch einfacher so!“. Ich habe über 40 Jahre eine Rolle gespielt, die ich nie war, und es war irgendwann nicht mehr auszuhalten.

Ein Schauspieler kann das, solange die Kamera läuft, aber sobald der Film abgedreht ist, geht der Schauspieler nach Hause und ist wieder er selbst. Im echten Leben kann man nicht die ganze Zeit schauspielern, ohne daran zugrunde zu gehen. Es ist auch ein Betrug, ein Betrug an der Familie, an Freunde, an Kollegen … und ganz besonders an sich selbst.Ich bin erst einmal den Weg der Rolle gegangen und hatte 1998 geheiratet, wurde nach einigen Jahren auch Vater und dachte, dass nun alles gut würde. Wurde es aber nicht.

Im Gegenteil: Die Ehe wurde ab 2007 für mich zur Hölle, die 2012 in einer Scheidung endete und mich an den Rand der Existenz brachte. Da stand ich nun, wie man so sagt, vor den Trümmern meines Lebens. Die Ehe kaputt, das Kind weg, die berufliche Existenz im Eimer, Schulden und Probleme und wenig bis gar keine Unterstützung. Also was blieb mir noch? Mein Leben!

Da ich von Natur aus eine Kämpferin bin, packte ich 2014 es endlich an, Antworten auf meine Fragen zu suchen. Ich fing an mich zu informieren, um herauszufinden, was mit mir nicht stimmt. Ich habe in dieser Zeit Fachtagungen und Freizeiten, sogar in Luxemburg im Ministerium eine Debatte für und mit Transgender besucht und stellte plötzlich fest, dass ich nicht alleine bin. Das war eine so unglaubliche Befreiung!

Am 29. August 2017 wagte ich ein Outing im kleinen Rahmen, um endlich zu wissen, wie meine Freunde auf mich reagieren würden. Zu meiner großen Überraschung und unglaublicher Freude standen diese Menschen positiv zu mir und unterstützen mich bis heute, wie und wo es nur geht.

Am 1. Oktober 2017 gab es dann kein Zurück mehr: es war der Tag, die Wahrheit zu sagen, bei meiner Familie und auch öffentlich. Natürlich hatte ich an diesem Tag unglaubliche Angst. Würde ich ab diesem Zeitpunkt nur noch alleine sein? Würde ich Zweifel, Fragen, Ablehnung, Verlust der Arbeit und noch mehr Probleme erfahren? Tausende Gedanken, Pro und Contra, all dies zerrte an meinem Verstand und meiner Seele.Mit diesem Tag wich ein unglaublicher Druck von mir. Meine Seele kam endlich zur Ruhe – ich hatte zu mir gefunden. Ich bin nun viel, viel ausgeglichener und aus heutiger Sicht betrachtet ist nichts von dem eingetroffen, worüber ich mir so viele Gedanken gemacht und befürchtet hatte.

Ich ändere meinen Körper und meine äußere Erscheinung, aber nicht meinen Charakter.Mein Leben zur Frau verlief anschließend in Schallgeschwindigkeit: Auf Grund von rechtlichen Vorgaben habe ich eine Therapeutin aufgesucht, die mich in meiner Transidentität begleitet. Für die gerichtliche Entscheidung einer Personenstandsänderung waren zusätzlich zwei unabhängige, psychologische Gutachten notwendig, die beide meine Transidentität bestätigt haben.

Nach den endokrinologischen Voruntersuchungen in einer Fachklinik habe ich seit Kurzem meine Hormontherapie begonnen. Es geht in Riesenschritten voran!2003 habe ich den Namen „Naike“ zum ersten Mal gelesen und mir war irgendwie klar: Das wird MEIN Name sein! Wenn auch 15 Jahre später.

Am 16. August 2018 habe ich nach dem Urteil vom Amtsgericht Frankenthal dies als Naike verlassen. Dies ist nun mein rechtlicher Name, der in das Geburtenregister, Pass, Führerschein, Rentenbescheinigung usw. eingetragen ist.

Und nicht nur äußerlich und rechtlich ist unglaublich viel passiert: Menschen stehen zu mir, von denen ich nie zuvor etwas gewusst hatte. Ich hatte bereits zwei öffentliche Unterhaltungen mit der Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Es ist mir ebenfalls ein Anliegen über die Situation von transidentitären Menschen zu informieren, denn Menschen sind vielfältig, unterschiedlich, aber wir alle sind gleich viel wert respektiert zu werden.

Ich bedanke mich für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit

Naike Juchem, im August 2018

Was ist Zeit?

Photo by Pinterest

Was ist Zeit?

Was ist Zeit?
Ein Augenblick
Ein Stundenschlag
Tausend Jahre
Sind ein Tag.
Nun, so weit will ich gar nicht ausholen, die letzten 48 Jahre sollen auch reichen.

Was ist Zeit?
Durch einen völlig neuen Lebensabschnitt kommen mir in den letzten Wochen immer wieder Bilder aus längst vergangenen Tagen in den Sinn.
Die unbeschwerte Kindheit mit Freunden aus der Nachbarschaft. Hütten bauen im Wald, das klettern in einer Felswand in einem längst verlassenen Steinbruch in Schwindelerregender Höhe. Fussball spielen bis es dunkel wurde.

Was ist Zeit?
Erinnerungen an so viele Momente im Leben sind auf einmal wieder da. Klare Bilder zum greifen nah. Das Leben war so unbeschwert. Keine Gedanken über das was morgen kommt. Keine Gedanken über die Steuererklärung.

Was ist Zeit?
Der ernst des Lebens begann und man sah die Chancen auf Freiheit, auf Führerschein und den Beruf den man nun erlernte.
Die große Liebe trat ins Leben und ging mit einer noch größeren Enttäuschung.

Was ist Zeit?
Man stolperte ins Leben und ins Erwachsen sein. Die Welt war im Umbruch und die Mauer fiel.
Von nun an ging es mit großen Schritten in ein neues Jahrtausend. Die unbeschwerte Kindheit lag noch gar nicht so lange zurück und trotzdem war sie nicht mehr da.

Was ist Zeit?
Die Heirat rückte immer näher und irgendwann war auch der Kinderwunsch immer größer ein Thema. Das Leben ging mit Volldampf ins Glück. Pläne für ein Eigenheim wurden auf einmal sehr real und man musste Dinge lernen die einem keiner beigebracht hatte.

Was ist Zeit?
Das Leben war wunderbar und man dachte gar nicht an Hürden, Rückschläge, Probleme und Schulden. Alles war bunt und heller Sonnenschein. Ein paar dunkle Wolken machten nichts.
Fotos wurden sortiert und Erinnerungen an die Wand gehängt in teuren Rahmen.

Was ist Zeit?
Der dritte runde Geburtstag ist lange vorbei und man hört das ein Schulfreund im Sterben liegt. Trennungen und Scheidungen sind auf einmal ein Thema und nicht mehr die Schlittenfahrt mit Taschenlampen in Eiskalter Winternacht.

Was ist Zeit?
Man hört immer mehr von schlechten Nachrichten. Die Welt verändern sich und die Freunde auch. Dem Glück von einst hat nun die Tristess voll ausgefüllt.
Dann geht es auf einmal Schlag auf Schlag. Die eigene Ehe kommt ins wanken. Die Probleme nehmen zu die Auswege immer verschwommener.

Was ist Zeit?
Am Abgrund vom Leben sind Erinnerungen an der Wand nur noch lästig und störend. Wo sind die Momente von Glück, als das Kind geboren wurde? Wo sind die Momente bei Sonnenuntergang am weißen Strand in fernen Ländern?

Was ist Zeit?
Ist man als erwachsener Mensch frei von Fehlern oder der eigenen Verwirklichung? Tausend Fragen und keine Antworten. Zweifel kommen am eigenen Versagen.

Wo ist die Zeit?
Das Leben schlägt auf einmal knallhart zu und nichts ist plötzlich wie es war. Man sehnt sich zurück auf Camping mit den Freunden von einst. Man sehnt sich zurück auf die erste Zigarette im Wald.

Was ist Zeit?
Trümmern des Lebens liegen vor einem und keinen Plan wo man anfangen soll zu schaufeln oder wieder aufzubauen. Man ist am Limit von aller Kraft. Leer, ausgebrannt, traurig und nur noch existent. Nach einem Tief kommt ein Hoch. Verdammt, niemand sagt dir wie tief es überhaupt geht.

Was ist denn nun mit der Zeit?
Freunde sind gestorben. Die eigene Familie nicht mehr vorhanden und das Glück hat sich um Lichtjahre entfernt.
Fotos von dem Leben im Schuhkarton. Die ersten Schritte. Weihnachten und mit der Schultüte im Arm auf vergilbten Papier.

Wo ist die Zeit geblieben?
Menschen treten ins Leben und Liebe wächst und plötzlich ist Krebs im Bewusstsein. Atemnot und Hilflosigkeit brennen ins Herz. Warum ist dieses verdammte Knochenmark nicht das gleiche? Was sind ein paar Trümmer gegen Morphium, Metastasen und Krebszellen?

Was ist Zeit?
Das Leben, die Gesundheit, Vergilbte Fotos oder die Erinnerung?
Die Zukunft kann man ändern, die Vergangenheit nicht.

Das ist die Zeit.
Die Zeit zum aufstehen, zum anpacken und los zu gehen hat jeder von uns. Die Zeit für neue Ideen und Wege ist da. Zeit für neue Fotos in teuren Rahmen ist aktueller als je zuvor.
Kämpfen muss man lernen und sich gegen den Wind stellen. Es bleibt nur noch die Zeit.
Atemnot und Hilflosigkeit brennen wieder ins Herz für die Liebe die so kompliziert sein kann.
Was ist Zeit?

Naike Juchem 26. September 2018

Die Tränen eines Clown

Der Clown sitzt vor dem Spiegel in der Garderobe. Die Miene nachdenklich, der Blick ist leer und die Sorgenfalten tief.

Er fingert eine Zigarette aus der Schachtel auf der steht: Rauchen tötet. Was für ein Scheiß.
Sein Gegenüber sieht im Licht vom Spiegel so unwirklich aus. Komm, lach doch mal. Tief zieht er den Rauch der Zigarette ein um ihn dann seinem Spiegelbild ins Gesicht zu blasen.
Komm, lach doch mal.

Sein ganzes Leben war er der Clown. In der Schule hatte er schon die Mitschüler zum lachen gebracht. Man sagte ihm als Kind, dass er nicht sehr klug sei. Der Klassenclown ist dumm und seine Mutter ging nie wieder zu einem Elternabend. „Der ernst des Lebens ist nicht lustig “ sagte sein Vater streng zu ihm.

Die Tränen eines Clown sieht man nicht. Immer lustig, immer gut gelaunt und nur Blödsinn im Kopf. So ist das Bild von einem Clown. Tollpatschig und für alles andere zu blöd. Der ernst des Lebens ist nicht lustig, waren immer die Worte des Vaters. Oh, wie recht er doch hatte.

Der letzte Zug an der Zigarette. Er atmet tief ein und schaut seinem Gegenüber tief in die Augen. „Alt geworden bist du“, sagt er zu seinem ich. Alt geworden bist du.
Der Rauch der Zigarette wabert wie Nebel vor den Augen. Nebel vor den Augen und irgendwie auch Nebel im Gehirn. Rauchen tötet, steht auf dem Päckchen. Was für ein Scheiß.

Die glorreichen Jahre sind so verblasst, wie die Tapete in seiner Garderobe. Die Bühne ist sein Leben. Menschen aus ihrem grauen Alltag entfliehen zu lassen, das sie Lachen wie Kinder. Der Phantasie wieder Raum lassen. Tränen vor lachen in den Augen haben; und nicht aus Sorge.
Mama, ein Clown ist nicht dumm. Ein Clown muss schnell denken können um das Zeitgeschehen in Kunst und Humor zu verpacken. Ein Clown muss Gespür haben wie und wann er Menschen zum lachen oder nachdenken bringen kann, mit wenig oder gar keinen Worten.

Der Clown hat über die Jahre viele Sketche, Slapsticks und Gesten geübt, ausgedacht und immer weiter perfektioniert. Das Programm ist im Kopf und läuft automatisch ab. Wie lange wird es noch so sein? Die Bühne ist sein Leben, seine Welt. Wie lange noch?

Neurofibromatose sagte ihm sein Arzt bei der letzten Untersuchung. Im Leben hatte er noch nichts von Neurofibromatose gehört. Hirntumor. Komm, lach doch mal.

Die Zeit vergeht. Die Zeit vergeht, bis zu seinem Auftritt ist es noch eine Stunde. Sein Gegenüber wirkt eingefallen, leer und traurig.

Noch ne Zigarette. Scheiß drauf an was man stirbt. Tabak oder Neurofibromatose.

Die Tränen eines Clown sieht man nicht. Das Ritual mit dem schminken beginnt. Seit Jahren der gleiche Ablauf und doch so anderst. Die Bühne ist sein Leben. The Show must go on.
Heute wird sein Programm nicht das gleiche sein. Wird es dies überhaupt noch?
Die Tränen eines Clown sieht man nicht.

© Naike Juchem