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Kapitel 40 Billard am 10. Breitengrad

Billard am 10. Breitengrad

Nach einem langen Tag in Staub und Hitze, war Hannes froh im Hotel zu sein, um diesen furchtbaren Sand von der Haut zu bekommen.
Unter der Dusche fiel ihm ein, dass er nach nur einem Tag von Claude schon sehr viel verlangte. Hannes konnte sich nach all den Jahren in Südostasien nicht an diesen Sandstaub gewöhnen und er war mit Claude über 7 Stunden in dieser Hitze und Staub.
Patricia stürmte ins Zimmer und rief nach ihm. „Ich bin im Bad.“ „Très bon. J’arrive.“ Und im gleichen Augenblick stand sie im Bad.
Das duschen mit seiner schönen Frau war definitiv das Highlight an diesem Tag. Patricia küsste ihm lange und hielt Hannes fest „Chérie, was bist du wieder so nachdenklich?“ Hannes erzählte ihr von den neusten Problemen mit der Bestimmung der Bodenklassen, der Suche nach einem vernünftigen Areal und die Frage, ob auf den Landwirtschaftlichen Maschinen ein Embargo sei. „Prinzessin, ich werde heute Abend dies mit dem Vorstand von dem Agrarkollektiv auch mal ansprechen. Ich kann und will nicht immer alles alleine machen und denken. Und bei euch so? Was habt ihr heute gemacht?“ „Wir haben eine kleine Bootstour auf dem Tonle Bassac gemacht und wir waren in Bavet an der Grenze auf einem Markt gewesen. Hier in der Provinz gibt es ja nicht all zu viel zu sehen. Lass uns mal schauen, ob wir nicht mal für ein Wochenende nach Kâmpóng Trâbêk kommen. In Phnom Penh oder Siem Reap gibt es ja doch bedeutend mehr zu sehen.“ „Ja, mein Engel. Mal schauen, ob wir dies fürs nächste Wochenende schaffen. Dann könnte ich vielleicht am Montag im Verteidigungsministerium oder bei UNTAC mal fragen, wie ich an die Liegenschaft komme. Und wenn du mit deiner Familie wieder für ein paar Tage nach Koh Rong Sanloem fährst?“ „Könnte ich machen, aber warum willst du nicht mit?“ Hannes gab ihr keine Antwort auf die Frage und küsste sie lange. Patricia streichelte ihn zart und knabberte an seinem Ohr. Das Wasser lief ihnen über ihre Körper und sie lieben sich unter dem lauwarmen Wasser.
„Prinzessin, lass uns fertig werden, sonst kommen wir als letztes ins Restaurant.“ „Chérie, dies ist mir jetzt auch egal. Ich liebe dich und ich brauche dich“ mit diesem Worten zog sie Hannes aus der Dusche in dem kleinem Badezimmer auf das Doppelbett.


Patricia gab ihm einen Kuss „So, nun können wir duschen gehen. Danke für deine Liebe und den schönen Sex.“
Wieder lief das lauwarme Wasser über sie und Hannes wollte sich gar nicht mehr von seiner Frau lösen. „Komm, mon chérie, lass uns fertig werden, sonst kommen wir als letztes ins Restaurant.“ Hannes sah fragend zu Patricia. „Nun habe ich das bekommen, was ich brauchte. Jetzt können wir fahren. Je t’aime, mon chérie.“

Um 18.30 Uhr klopfte Hannes an der Zimmertür von Claude „Salut Claude, wir fahren gleich. Ich möchte mich aber zuerst bei dir entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich dich heute über Stunden mit in den Staub und Hitze geschleppt habe.“ „Meine Deutsche Kartoffel. Es ist okay. Das wir nicht in Höhlen sein werde wusste ich. Aber du hattest mich auf den Staub, Sand und Hitze vorbereitet. Ich muss und werde mich an dieses Klima gewöhnen. Andere mussten dies ja auch.“

Als Hannes mit Claude in die Lobby kam, saßen seine Freude bereits in den billigen Sessel und warteten auf sie.
„Hey Chef, wer fährt mit welchem Auto?“ Fragte Asger. Hannes schüttelte den Kopf „Niemand. Ich habe für uns einen Mini-Bus bestellt. Immerhin sind wir 9 Personen und so können wir auch etwas trinken.“ Patricia sah Hannes böse an und boxte ihm fest gegen den Oberarm. „Prinzessin, ich habe wir und nicht ich gesagt.“ Patricia verzog den Mund. Ihr Blick sprach Bände.

Das „Sach ang phoumi yeung“ heißt übersetzt „unser Dorfgrill“. Es ist kein Restaurant der gehobenen Klasse, aber trotzdem sehr schön. Man hat von der großen Terrasse einen wunderschönen Blick auf den Toni Waikou. Dieser See wird von dem Waikou Fluss, welcher schon grandios ist, aber gegen den Mekong nur ein Büchlein darstellt. Der Waikou geht nach dem großen Staudamm in den Bassac über, dort wo am Nachmittag Patricia mit ihrer Familie war.
Im „Sach ang phoumi yeung“ gab es drei Billardtische, die auch in einem vernünftigen Zustand waren. Der große Gastraum waren typisch asiatisch eingerichtet – also mit Teakholz Stühle und Tische, wie auch die Terrasse.

Zu Hannes seinem Erstaunen sah er auf dem Parkplatz vom „Sach ang phoumi yeung“ das Auto von Bourey stehen. Als Major musste er durchaus die Uhr kenne.
Hannes bedankte sich bei Soknea, der Inhaberin von dem Restaurant, dass sie seinem Wunsch nachkommen war. „Borsa mneak del mean ko, für dich immer wieder gerne. Es hat bestimmt seinen Grund, warum du das Restaurant für euch alleine haben möchtet.“ Hannes nickte, lächelte und verbeugte sich vor ihr „Danke Soknea, schreib heute alles auf eine Rechnung.“

Hannes begrüßte Maona, Yupa, Samnang und Bourey herzlich und stellte ihnen Claude vor. Maona verbeugte sich leicht vor Claude „Bonjour Claude, vous êtes le géologue que nous attendons tous avec impatience“ sagte Maona zu Claude. „Merci beaucoup. Es ist schön, dass ich von so vielen Leuten erwarte werde, aber ich bin nur Geologe und kein Zauberer“ sagte er zu Maona und sah fragend zu Hannes. „Maona kann französisch und englisch. Ja Claude, mich hatte sie auch schon überrascht. Maona, die Wahlplakate gefallen mir sehr gut. Ich finde das Plakat, wo man dich vollständig sieht echt klasse. Du gehst mit deiner Behinderung offen um und zeigst deine Kraft und Willen.“ „Findest du? Es gab für dieses Foto so einige Diskussionen.“ Hannes schüttelte den Kopf „Gerade weil du so – leider, bist, ist dieses Foto eine Botschaft an alle Menschen, die eine körperliche Behinderung haben. Du willst für alle Menschen in dieser Provinz die Gouverneurin sein und zeigst denen, dass es egal ist wie man aussieht.“ Bourey nickte Hannes wild zu „Dies habe ich Maona auch gesagt. Wenn wir von Anfang an etwas verstecken, werden wir unglaubwürdig. Nicht jeder in der Provinz kennt Maona und die Umstände ihrer Behinderung.“ Hannes klopfte dem Major auf die Schulter „So sieht es aus.“ „Mit oder ohne Behinderung muss ich diese Wahl erst mal gewinnen.“ Hannes nickte Maona zu „Lass dich an den Felder blicken, wo die Bauern am arbeiten sind. Rede mit ihnen. Zeig ihnen, dass es voran geht und du für diese Reformen stehst. Geh an die Universität und werbe für Lehrer, Kaufleute und Ingenieure. Stelle das Trockenfeld Projekt vor und sag den Studenten um was es geht. Lade sie auf die Baustellen ein oder zu Patricia in die Schule. Wir können Menschen nur erreichen, wenn sie alle diese Veränderungen sehen. Maona, es geht hier mehr als nur um Wahlkampf. Wir von ODHI brauchen fähig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir können mehr verändern, je mehr Menschen dies wissen und anpacken. Wenn Studenten, die Lehrerin und Lehrer werden wollen, sollen sie wissen, dass wir bereit sind Schulen zu bauen. Mir nützt es wenig, wenn ich für die UN die Infrastruktur aufbauen soll, wenn ich keine Lehrer oder Ingenieure habe. Die jungen Leute wandern nach Phnom Penh ab, und hier stirbt die Provinz aus. Ich weiß von dir, dass es hier in der Provinz mehr als genügend verwaiste Schulen gibt. Warum ist dies so? Weil Suoth die Provinz an die Wand gefahren hat.“ „Ich gebe dir in allem recht. Aber ich kann nicht über Nacht die Fehler und Korruption von South umdrehen. Und warum gehst du nicht mit mir an die Universität?“ Hannes nickte Maona zu „Das du die Fehler von South nicht von heute auf morgen ausbügeln kannst, weiß jeder hier im Raum. Warum ich nicht mit dir gehe? Dies ist ganz einfach, weil ich mal wieder – oder immer noch, einen Berg Probleme habe und mir schlichtweg die Zeit davon läuft. Ich hatte es auch schon zu Samnang gesagt, ihr habt den Vorteil, dass wir Europäer mit unserem Wissen und Equipment hier sind. Wir bleiben im Hintergrund – sind aber da wenn wir gebraucht werden.“


„Na, mein Freund, schon wieder am Arbeiten?“ Hannes drehe sich um und grinste Levi an „Hallo Levi, hallo Clodette, schön, dass ihr da seid. Wie war es in Phnom Penh?“
Am Tisch erklärt Levi den Zuhörer die vergangene Tage im Ministerium. Patricia, Clodette, Hannes, Franziska, Maona, Adelina, Leatitia und Samnang hörten ihm gespannt zu. Am Nebentisch saßen Claude, Maurice und Annabell.
„Über die UN, beziehungsweise UNICEF wurde ich zu der Debatte für die Bildungsreform eingeladen. Es waren circa 250 Delegierten im Ministerium – also keine große Sache. Am Mittwoch wurde von Seiten der UN, UNTAC, UNICEF, UNHCR, sowie Vertreter des Nationalrat und der Interimsverwaltung eine Agenda vorgestellt, welche 74 Punkte umfasst und die in den nächsten 2 Jahren greifen soll. Die komplette Ausfertigung habe ich zu Hause liegen. Und muss sagen, drei Viertel der Kapitel sind das Papier nicht wert, auf welches sie gedruckt wurden. Da ich bei der Delegation der UNICEF saß, lernte ich auch einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen, die für UNICEF in Kambodscha sind. Am Abend war ich mit gut zwei Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UNICEF essen gewesen. Eine Vanessa Lemaire und ein Milan Vandenberghe aus Belgien, sowie eine Romina Ponte aus Italien saßen mit mir an einem Tisch. Hattie auch. Ich soll euch beide herzlich von ihr grüßen. Patricia, kennst du diese Personen?“ Patricia schüttelte den Kopf. „Komisch. Jene Personen wussten sehr genau über dich Bescheid. Ich sprach am Anfang kaum über deine Schulen, trotzdem scheint jeder deinen Name zu kennen. Ich sprach später konkret deine Schule in Kampang Rou, Khsaetr und Chong Kal an. Die Personen waren bestens im Bild. Da du diese Personen nicht kennst, frage ich mich, woher sie so gut informiert waren und sind.“ „Vermutlich von Hattie oder Laureen. Ich weiß es nicht.“ Levi nickte „Ist auch egal. Jedenfalls stellte ich ihnen unsere Ideen und Gedanken für eine neue Bildungsreform vor. Es war unglaublich, wie positiv sie dem zustimmten. Am Donnerstag wurden konkrete Punkte seitens der UNICEF durch die Leiterin in Kambodscha, Frau Laureen Thompson, angesprochen und ausführlich dargestellt. Hannes und Patricia werden diese Projekte bestens bekannt sein. Am Nachmittag wurde die Agenda für die Finanzierung von einem Herrn Anthony Robinson vorgestellt. Die UN würde 32 Millionen US-Dollar dafür ausgeben. Es folgte eine Diskussion von Vertreter der ASEAN Staaten und der UN, woher dieses Geld kommen sollte.“ Hannes nickte „Kommt mir irgendwie bekannt vor. 32 Millionen US-Dollar! Der UNTAC Einsatz ist auf 500 Millionen US-Dollar geplant. So viel zum Thema Bildung.“ Und zu Patricia sagte er „So viel zu meinem Jobangebot bei der UN.“
Levi sprach weiter „Nach dieser schier endlosen Debatte wurden die bis jetzt umgesetzten Bildungs-Projekte angesprochen und dargestellt. Ich bekam Redezeit und habe die Bildungsreform von Patricia und mir vorgestellt. Auch habe ich die neuen Schulprojekte mit dem Anbau von Gemüse, eure Idee mit den kleinen Tafeln für die ärmeren Provinzen den Delegierten vorgestellt. Ein Stab von UNTAC aus Belgier, Italiener, Deutsche und Norweger begrüßten jeden meiner Punkte und stimmte auch sofort dafür. Am Abend war ich mit den Belgier Alice Pierand, Juliette Ulens, Vince Kesteloot und Hugo De Jonghe essen gewesen. Auch sie kannten die Schulen von Patricia in den Provinzen Prey Veng und Oddar Meanchey. Patricia, diese Leute sehen dich als Koryphäe für die Bildung in Kambodscha. Sie alle sind nicht für UNICEF im Einsatz, sondern für UNTAC.“
Franziska‘ s Augen strahlen und sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange.
„Am Freitagmorgen hatte ich Gespräche mit einer Delegation aus Italien, welche für UNTAC in der Provinz Takeo im Einsatz sind. Auch sie waren für unsere Ideen sehr offen, gleiches vom dem Kontingent aus Belgien in den Provinzen Banteay und Battambang. Thailand in der Provinz Meancheay. Und andere Staaten, die in den Provinzen Mondulkiri, Kampong Speu, Sihanoukville und Siem Reap im Einsatz sind. Am Freitag hatte die Interimsverwaltung für Kambodscha unserer Bildungsreform Einstimmig zugestimmt! Zu den abstimmenden Staaten gehörten unter anderem: Pakistan, Polen, Senegal, Thailand, Tunesien und Uruguay. Patricia, ist dir bewusst, wie viele Menschen hinter dir stehen? An den beiden Abende und am Freitagmorgen lud ich die Delegierten nach Kampang Rou ein. Sie sollen und können gerne sehen, was wir leisten.“ Hannes nickte Maona zu „Was ich dir vorhin gesagt habe.“
Patricia saßen für den Augenblick regungslos am Tisch. Diese Nachricht von Levi musste erst mal sacken. Franziska drückte schon eine Weile ihre Tochter fest an sich und streichel ihr über den Kopf und Rücken.
„Natürlich fragten die Delegierten nach dir. Ich sagte, dass du zur Zeit in Thailand seist, weil deine Eltern auf Urlaub hier seien. Im Oktober sind die nächsten Debatten geplant und ich sagte, dass du dann dabei sein wirst.“ „Danke Levi, wir kamen am Freitagnachmittag erst in Kampang Rou an. Da scheinen die Gespräche mit Jean-Luc Dehaene in Paris doch etwas gebracht zu haben. Belgien war im Juni schon sehr gut über meine Arbeit informiert.“ Levi nickte ihr zu „Mit Belgien hast du definitiv einen starken Verbündeten an deiner Seite. Mit Italien, Deutschland und Norwegen auch.“ Patricia schüttelte den Kopf „Levi, du auch. Wir sind Freunde und Kollegen. Du und ihr“ dabei sah Patricia ihre Kolleginnen an „steht für die neue Bildungsreform genau so wie ich.“

Nach dem vorzüglichen Abendessen wurde es im „Sach ang phoumi yeung“ entspannter und jeder kam mit jedem ins Gespräch. Selbst die sonst sehr zurückhaltende Annabell sprach mit Adelina und Leatitia.
Hannes spielte mit Claude Billard. Auch Asger und Cees machten mehrere Spiele. Patricia spielte zusammen mit Leatitia gegen ihre Mutter und Clodette.
Man trank Bier, Cola, Cola-Whisky oder Cocktails. Bei den Spielen kamen immer mal wieder Gespräch über das Agrarkollektiv, das Trockenfeld Projekt oder sonstige politische Themen.
Selbst Maona spielte Billard. Sie stellte sich auf ihre linke Seite einen Stuhl, um sich mit ihrem Oberschenkel darauf zu stürzen, so konnte sie sogar Billard spielen. Hannes sah, dass Rithisak eine Kamera in der Hand hatte. Sehr gut, dachte er. Sehr gut. Und lächelte Rithisak an. Asger und Cees waren so galant, und rückten den Stuhl von Maona mal etwas weiter nach links, rechts oder auf die andere Seite vom Billardtisch.

Annabell stand mit ihrem Freund am Geländer der Terrasse und schauten auf den Toni Waikou See. Hannes hatte 3 Bierflaschen dabei und wollte an diesem Abend auch mal mit ihnen reden.
„Na ihr? Welchen Eindruck habt ihr nach der ersten Wochen von Südostasien?“ „Es ist alles anders, als das was ich kenne. Ich habe mit meinen Eltern nur Urlaub in Europa gemacht. Mal in England und Irland, dann man in Deutschland oder Italien. Was ihr uns in Thailand gezeigt habe, war schon beeindruckend. Kambodscha ist eine völlig andere Welt – aber auch aufregend. Heute waren wir mit Patricia an der Grenze zu Vietnam auf einem Straßenmarkt.“ „Ich weiß. Und eine Bootstour hattet ihr auch gemacht. Wir wollen schon schauen, dass es euch nicht langweilig wird. Wir haben keinen Urlaub.“ Annabell schüttelte den Kopf „Maurice und mir ist durchaus bewusst, dass ihr arbeiten müsst. Auch dies finde ich interessant. Ich hatte gestern in der Schule von Patricia geweint. Hannes, ich konnte mir niemals vorstellen, dass sich Kinder so auf die Schule und vor allem auf ihre Lehrerin freuen. Ich würde sehr gerne einen Tag mit Patricia an ihrer Schule erleben. Auch würde ich mal deine Arbeit sehen wollen.“ Maurice nickte seiner Freundin zu „Ich auch. Ich kenne all dies nur durch Erzählungen von Papa oder auch von dir. Ich würde sehr gerne dein Projekt sehen. Was du uns in Frankreich erzählst hattest, fand ich mega.“ Hannes lächelte beide an „Dankeschön. Euer Wunsch zu erfüllen, ist das wohl kleinste Problem.“ „Hannes?“ Dabei sah Annabell ihn fragend an „Darf ich dir mal eine Frage stellen?“ „Natürlich.“ „Die Frau mit dem einen Bein, ist sie Politikerin? Ich sah heute Plakate von ihr.“ „Ja. Das ist Maona Sokthat. Sie wird die neue Gouverneurin für diese Provinz – was ich und viele andere hoffen. In 3 Wochen wird hier in der Provinz der Gouverneur – oder zum ersten Mal in der Geschichte, eine Gouverneurin gewählt. Die ältere Frau, die bei Franziska sitzt ist die Frau von dem Major in dieser Provinz. Ich gründete für Samnang vor gar nicht all zu langer Zeit eine Partei. Der Major hätte mich gerne in der Politik gesehen. Ich bleibe lieber mit ihm im Hintergrund. Seine politischen Züge in dieser Provinz könnte ihn in Lebensgefahr bringen, wenn es der noch amtierende Gouverneur oder seine korrupten Helfershelfer erfahren. Meine Freundschaft zum Major ist auch für mich eine Gratwanderung. Daher bleiben wir beide im Hintergrund und setzen unsere Schachfiguren ein. Ja, Annabell, wir haben unser Schachspiel aufgebaut und die Uhr tickt. Der Gouverneur von dieser Provinz hat seine Geschütze gegen mich aufgefahren. Und ich habe meine Figuren aufgestellt. Maona ist in diesem Spiel mein König und Samnang der Turm. Sie werden Gouverneur Suoth Schachmatt setzen – was ich hoffe. Major Bourey Duong ist der große Unbekannte in diesem Spiel. South weiß dies nicht und so bin ich seine Zielscheibe. Meine Lebensversicherung ist der Rückhalt vom Militär. Auch wenn wir heute in diesem Restaurant eine geschlossen Gesellschaft sind, werden wir beobachtet – zu unserem Schutz.“ „Wahnsinn! Ich kann dies nicht glauben. Es wird geredet, gelacht und gespielt. Was ist daran zu schützen?“ „Hmmm. In diesem Gebäude sind die führenden Köpfe dieser Provinz und für die Zukunft Kambodschas. Patricia und Levi sind für die Bildungsreform in diesem Land. Genau so wie ihre Kolleginnen. Du hast vor dem Essen gehört was Levi gesagt hat. Maona und Samnang sind eine neue und starke Opposition gegen die Politik und Korruption von Phirun Suoth. Meine Mitarbeiter und ich stehen für einen Aufbau in diesem Land. Yupa, Rithisak, Sylvie und Claude stehen für Veränderungen in diesem Land.. Besser und einfacher kann man uns alle nicht auf dem Silbertablett präsentieren.“ Annabell sah Hannes geschockt an „Und du sagst, du verlegst Wasserrohre.“ „Dies mache ich ja auch und trotzdem wird diese Arbeit nicht gerne gesehen. Die Korruption ist in ihrer Macht und Gier gefährlich.“
Hannes erzählte Annabell und Maurice die komplizierten Zusammenhänge zwischen Korruption, Politik und humanitäre Hilfe.

„Chef! Was ist? Komm, wir spielen noch eine Runde Billard“ rief Asger durch das Halbe Restaurant. „Ihr habt es gehört. Ich weder gebraucht. Und macht euch bitte keine Sorgen. Alles ist gut.“

Hannes ging von der Terrasse ins Restaurant und suchte sich einen optimalen Queue aus und ging an den mittleren Tisch zu Asger.
„Asger, bei deiner Körpergröße musst du aber eineinhalb Meter vom Tisch zurück gehen. Du kommt ja von der Kopfseite vom Tisch an die Taschen auf der gegenüber liegenden Seite, ohne den Queue zu benutzen.“ Alle die um den Tisch oder in der Nähe waren lachten bei den Worten von Hannes. „Cees hatte sich auch nicht beschwert.“ „Der Käseroller kann ja auch kein Billard spielen.“ Cees gab Hannes einen Klaps gegen den Hinterkopf.
Soknea brachte ein typisches asiatisches Holzstäbchen, welches man zum essen benutzt. „Hier, für die Chancengleichheit.“ Yupa kam sofort mit einem zweiten Stäbchen und gab es Hannes „Nun zeigt mal was ihr könnt.“ Das Gelächter war groß und alle riefen: hopp, hopp, hopp.

Asger machte den Anstoß. Der Anstoß der weißen Kugel auf die 15 Objektkugeln war doch etwas dürftig. Die Kugel machte ein leichtes klock. Sonst nichts. „Bravo. Asger, wie soll ich nun mit dem Stäbchen da ran kommen?“ „Wer hat sich über die Körpergröße beschwert? Dann sieh mal zu.“
Cees und Rithisak hoben Hannes in die horizontale und alle Freunde brüllten vor lachen. Mit einem beherzten Stoß mit seinem Stäbchen kullerten ein paar Kugeln immerhin mehrere Zentimeter auseinander. „Super, Chef. Und nun?“ Asger sah zu Cees und Rithisak und alle brüllten vor lachen. Es dauerte sehr lange, bis einer der beiden eine Kugel in einer Tasche hatte. Alle Freunde hatten Tränen in den Augen bei diesem Spiel. Cees und Rithisak hoben bei jedem Stoß von Hannes ihn in die horizontale – selbst wenn die Anstoßkugel an der Bande lag. Hannes hatte endlich die 4 in der linken Tasche eingelocht und Asger meinte, dass Hannes somit das Spiel gewonnen hätte und er nun etwas zu trinken bräuchte.
„Lokalrunde für alle!“ Rief der über 2 Meter große Seebär.

Sonntag, 1. August

Das Display im Wecker zeigte 8:07 und der Kopf von Hannes drehte sich immer noch. Patricia lag nicht im Bett und er hörte sie auch nicht im Bad. Der Anschiss von ihr würde er wohl noch bekommen.
Hannes ging leicht torkelnd ins Bad und brauchte erst mal Wasser. Duschen war eine gute Idee und langsam hörte auch der Kopf auf sich zu drehen.

Im Speisesaal waren zu seinem Erstaunen nur Patricia mit ihrer Familie und Sylvie. „Na, ist Monsieur wieder unter den lebenden?“ Kam es sehr bissig und gereizt von Patricia. Franziska grinste und sagte zu ihrer Tochter „Jetzt lass doch gut sein.“ „Danke Franziska, du verstehst mich. Aspirin hast du nicht zufällig dabei?“ Die Frage nach dem Verbleib von Claude und seinen Kollegen ersparte sich Hannes.

Aneang, eine der Köchinnen vom Hotel, kam an den Tisch und fragte Hannes, was er frühstücken möchte. Hannes wollte seinen geliebten Reisbrei, Spiegeleier mit Toast und Kaffee.
„Was hat Monsieur heute geplant? Oder musst du im Bett bleiben?“ „Meine Güte! Ich habe halt mal etwas getrunken und für dich ist dies der Weltuntergang. Ich werde heute mit Sangkhum spazieren gehen und mir Gedanken machen.“ Patricia legte ihren Kopf zu Seite „Gedanken?“ Hannes nahm tief Luft und musste sich zurück halten „Ja, Gedanken. Gedanken über einen Standort für das Agrarkollektiv, Gedanken über Staudämme, Bodenklassen, Motorräder, Pickup’s, Transport für den Mähdrescher von Sihanoukville nach Svay Rieng und wie ich mein Trockenfeld Projekt auch realisieren kann, um die Kosten so gering wie möglich zu halten. Aber sehr gerne kann sich auch Frau Lefèvre darüber ihren sehr klugen Kopf zerbrechen.“
Jeder am Tisch merkte, dass Hannes sauer war – auch Patricia. Sylvie sagte sofort, dass er die Bodenklassen nicht so überbewertet solle, denn vorher sei ja schließlich auch Getreide auf dem Boden gewachsen. „Hannes, wir ziehen dein Projekt durch. Was bis jetzt schon erreicht wurde, ist eine ganze Menge. Wir haben auf vier Felder bereits Papaya Samen eingesät. Das die Stauden nicht morgen aus dem Boden sprießen, sollte dir bewusst sein.“ Hannes sah wortlos zu Sylvie. „Dein Blick sagt mir, wann man die Papaya ernten kann. Auch auf die Gefahr hin, dass du einen Kollaps bekommst, musst zu zwischen 10 und 14 Monate rechnen, bis die Stauden ausgewachsen sind. Dann braucht es nochmals 5 Monate, bis man die Früchte ernten kann. Es – geht – nicht – schneller!“ Vorrangig ist der Anbau von Gemüse. Da habe ich dir gesagt, dass wir Pak Choi Kohl, Luffa und Goabohnen anpflanzen – was wir auch schon getan haben. Ich weiß, dass du am liebsten nächste Woche ernten möchtest. Ist nur blöd, dass die Saat noch auf einem Schiff ist.“ Hannes schloss seine Augen und nickte Sylvie zu. Sie hatte mit allem recht. Er wollte mal wieder zu viel und dies am besten gleich.
„Chérie, du hast Levi gestern Abend gehört. Wenn die Ernährungskunde in anderen Schulen aufgenommen wird, haben wir hunderte weitere Felder für den Gemüseanbau. Ich weder mich für dieses Schulfach stark machen. Ich rufe Hattie an, dass sie mit den anderen Mitarbeitern von UNICEF sich diese Projekte ansehen und genau so auch umsetzen sollen.“ Patricia streichelte ihm den Arm „Es tut mir leid, dass ich vorhin so grantig zu dir war. Ich vergesse zu oft, welche Probleme du mit all der Arbeit hast.“

Besuch bei Ahtchu in Sama

Um kurz nach 10 Uhr fuhren Patricia und Hannes mit ihren Autos nach Kampang Rou. Da bei ODHI am Sonntag nicht gearbeitet wurde, hatte er Zeit sich um Sangkhum zu kümmern. Patricia fuhr bei Clodette vorbei und nahm sie mit nach Kampang Rou. Sie wollte auch mit Sraleanh spazieren gehen.
Hannes war mit Claude bereits am Stall und entfernten den Mist vom den Rinder. „Wenn ich alles bis jetzt gedacht habe, aber das ich mal Mist schaufeln würde, kam mir nie in den Sinn.“ Hannes lachte „Mir auch nicht.“ „Weißt du, dieser Stall sieht besser aus als viele Häuser die ich hier in dem Ort gesehen habe.“ Hannes nickte Claude zu und erzählte ihm, wie es im Januar 1990 in dem Ort aussah. Mittlerweile waren weit über die Hälfte der Hütten in einem recht vernünftig Zustand.

Die kleine Gruppe kaufte bei Kannitha noch Obst und Trinkwasser für den Spaziergang. Kannitha gab ihnen mehrere ihrer Flechtkörbe mit. So konnte man das Gewicht von dem Wasser, Papaya, Bananen und Mangos aufteilen. Patricia erzählte ihrer Mutter, Bruder, Annabell und Claude wie es zu diesen Flechtkörbe kam und bis wohin diese mittlerweile verkauft wurden.
„Asger scheint ein guter Mensch zu sein“ sagte Annabell. Patricia und Hannes nickten gleichzeitig. „Asger hat auch seine Macken und wir – vor allem ich, hatten vor Jahren keinen guten Start. Dies ist nun schon alles so lange her und auch vergessen. Asger war aber auch damals für uns beide der Halt, den wir junge Vögel brauchten. Er hatte von seinem Geld vieles für die Schule von Patricia gekauft und alle meine Ideen angepackt.“
Hannes erzählte ihnen den Lebenslauf von Asger.
„Er war Seemann?“ Fragte Annabell sehr erstaunt. „Jep. Kaum zu glauben. Ist aber so. Frag mal Sylvie wie es war, als wir mit Eimer das erste Feld mit Gerste eingesät hatten.“
Nach dem Sylvie den anderen diese Aktion sehr bildlich und lustig erzählt hatte, erzählte Hannes noch den Lebenslauf von Cees de Groot.
Maurice nickte nach dem Hannes dies erzählt hatte „Ich habe gestern Abend gesehen, dass er sehr lustig ist.“ „Ja. Der Käseroller hat mich auch schon so einige schlaflose Nächte gekostet. Er ist ein unglaublich guter Handwerker und hat geologisch einiges drauf. Daher ist er auch hier im Team. Cees leitet ein Bauprojekt 500 Kilometer westlich von hier. Ich zeige euch später sein Wasserrad. Das zweite, welches er und Luan gebaut haben, steht an der Schule in Khsaetr. Da kommen wir heute nicht hin, weil ich mit euch nach Sama gehen möchte.“

Auf dem Weg nach Sama gingen nach einiger Zeit Patricia und ihr Bruder etwas hinter der Gruppe und Hannes, wie auch Franziska, sahen, dass beide offensichtlich ernste Gespräche führten.
Ein paar Motorräder und Pickup’s kamen ihnen entgegen oder fuhren an der kleinen Gruppe vorbei. Jeder winkte ihnen zu oder grüßen laut. „Was bedeutet: Borsa mneak?“ Fragte Annabell. „Borsa mneak del mean ko, heißt: der Mann mit der Kuh. Unter diesem Namen bin ich hier in der Region bekannt.“ „Oh! Ich dachte dies heißt: Guten Tag – oder so etwas.“ Hannes grinste Annabell an und schüttelte den Kopf.

„Leute, wir gehen in dem nächsten Ort eine Frau besuchen, der durch eine Mine beide Beine abgerissen wurden. Wenn ihr nicht mit wollte, kann ich dies verstehen“ dabei sah Hannes zu Annabell. „Ist schon in Ordnung.“
Hannes erzählte den anderen wie er im März 1990 Ahtchu getroffen hatte und gab Sangkhum einen Kuss. „Gell, meine Maus, du hast Ahtchu das Leben gerettet“ und gab ihr nochmals einen Kuss. Franziska streichelte Sangkhum „Gutes Mädchen.“

In Sama war es das gleiche Bild wie in Kampang Rou. Die Leute, die an ihren Hütten saßen grüßen die Europäer freundlich oder riefen sie zu sich. Hannes musste immer wieder sagen oder rufen, dass sie Obst und Wasser dabei hatten.

Hannes sah Ahtchu vor ihrer Hütte im Schatten in einem Rollstuhl sitzen. Sie hatte mehrere farbige Stoffballen neben sich auf der Holzbank liegen.
„Suostei tae anak sokh sabbay te, Ahtchu?“ Sagte Hannes und verbeugte sich nach asiatischer Art vor ihr. „Guten Tag Borsa mneak del mean ko, danke, mir geht es gut. Es ist schön, dich wieder zu sehen.“ Hannes verbeugte sich nochmals vor ihr. „Setzt euch doch bitte.“ Ahtchu rief ihre Tochter, dass sie bitte noch die Stühle aus dem Haus bringen sollte. Da Ahtchu nicht über so viele Stühle verfügt – was eigentlich kaum jemand in der armen Region von Kambodscha hat, ging Hannes an zwei andere Hütten und brachte noch 4 Plastikstühle. Pheary kam ihm entgegen gelaufen und trug 2 Stühle. Sie war mittlerweile 13 Jahre und ein recht hübsches Mädchen. An der Hütte verteilten sie die Stühle, so hatten alle 8 Personen Platz, um im Schatten zu sitzen.

Pheary begrüßte Clodette und Patricia. Patricia drücke Pheary an sich. „Thngai la cheatisrleanh robsakhnhom – guten Tag mein Schatz“ sagte Patricia. „Das Mädchen ist bei mir in der Schule‘ sagte Patricia zu den anderen.
„Borsa mneak del mean ko, ich möchte mich für alles bedanken, was du und deine Kollegen für mich getan habt. Das Leben ist um vieles leichter geworden.“ „Ahtchu, dies haben wir alle sehr gerne gemacht. Dürfte ich dein Haus mal sehen?“ Pheary sprang sofort auf und bat Hannes in die Hütte. Diese Hütte hat nicht mehr mit dem Bild zu vergleichen, welches er vor 3 Jahren sah. Das Bett von Ahtchu war gute 50 Zentimeter vom Boden erhöht. So konnte sie besser vom Rollstuhl ins Bett oder auch umgekehrt.
Draußen hörte er, wie Ahtchu mit Patricia sprach und was Asger, Cees und Hannes für sie getan hatten. Clodette übersetzt dies ins französische. Dies war Hannes nicht recht gewesen. Nun wussten sie es eben.
Die typische Hocktoulette gab es in der Hütte auch nicht mehr. Es war eine vernünftige Toilette, wie man diese aus Deutschland kennt. Auch gab es an der Toilette und Dusche verchromte Stangen – wobei Dusche eher ein gemauertes Rechteck mit Fliesen war. In diesem Becken stand das Wasser, welches man sich mit einer Schüssel über den Körper schüttete.
Das bisschen an Möbel in der Hütte war Behindertengerecht gebaut oder stand etwas erhöht. Respekt an Cees und Asger dachte er bei sich und lächelte, als er Pheary ansah.

Als Hannes aus der Hütte kam, hatten Sangkhum und Sraleanh je einen Seidenschal in blau, rot, blau mit weißen Bummeln um den Hals. „Wow! Sangkhum und Sraleanh sehen ja richtig chic aus.“ „Ja. Finde ich auch. Ich schenke euch die Schals.“ Sofort schüttelten Clodette und Hannes die Köpfe. „Ahtchu, die ist sehr lieb gemeint, aber ich werde dir Geld dafür geben“ sagte Clodette. Ahtchu wollte anfangen zu protestieren, da legte Patricia bereits 25.000 Riel auf die Bank. Clodette tat es ihr sofort gleich „Und nun keine Diskussion über das Geld.“
25.000 Riel waren ungefähr 10 Mark. Von diesem Geld konnte Ahtchu und Pheary locker 2 Wochen leben. Ahtchu sah hilfesuchend zu Hannes. „Ahtchu, es ist in Ordnung. Nimm dieses Geld. Ihr braucht es mehr als wir.“ Ahtchu faltete ihre Hände und bedanke sich bei allen.
Da sie bei Kannitha mehr als genügend Obst gekauft hatten, ließ Patricia noch einen Korb bei ihnen, als sie sich von Ahtchu und Pheary verabschiedeten.
„Ich bin so stolz auf meine Kinder“ sagte Franziska als sie aufbrachen und umarmte Patricia und Hannes.

Auf dem „Europa Platz“ zeigte Hannes ihnen das Wasserrad von Cees und Luan und sagte ihnen auch, bis wohin das Wasserrad jenes Wasser in den Leitungen pumpte. Claude sah ihn mit großen Augen an. „Ja, Claude, so ist es. Die Leute in Sama beziehen ihr Wasser von diesem Wasserrad. Kommt, wir kaufen noch etwas bei Kannitha und setzen uns an einer der Hütten in den Schatten. Wollte ihr Schokolade, Chips oder Obst haben?“ Claude, Annabell und Maurice sahen fragend zu Hannes. „Dann kommt mal mit in den Laden von Kannitha und sucht euch etwas aus.“

„Wow!“ Kam es unisono von Annabell und Claude, als sie in dem kleinen Laden von Kannitha standen. „Die Ladeneinrichtung haben meine Jungs gebaut. Das Haus ihr Freund. Er ist zur Zeit in Oddar Meanchey, fast 600 Kilometer entfernt, und baut für Patricia eine weitere Schule. Die Schule in Chong Kal wurde im Frühjahr dieses Jahres fertig. Dhani hatte früher in der Schweiz eine Baufirma. Durch die Insolvenz von einer großen Baufirma, hatte er alles verloren und war Obdachlos. Ich traf in zufällig in Dietikon. Nun ist er hier und leitet mehrere Hochbau Projekte für mich und ODHI. Für Patricia’s Schule wurde auch er vom Französischen Präsidenten ausgezeichnet. Kannitha fragte mich 1990, als der „Europa Platz“ entstand, ob sie ein kleines Geschäft eröffnen dürfte. Patricia kaufte ihr täglich Obst und Gemüse in Svay Rieng. So musste Kannitha nicht erst nach Svay Rieng fahren. Nun hat Kannitha mit Dhani das schönste Haus in Kampang Rou und in der Gegend sowieso. Wenn ihr in den Ortschaften durch die Straßen geht, seht ihr die Häuser oder Hütten der Mitarbeitern von ODHI. Sie alle bekommen ein sehr gutes Gehalt und so hat sich die Infrastruktur in den umliegenden Ortschaften verändert. All dies ist humanitäre Hilfe. Annabell, Maurice, was ich euch gestern Abend über die Sicherheit gesagt habe, trifft hier auf dem Land nicht zu! Alle Menschen sehen und profitieren von der Veränderung. Ihr habe es beim Spaziergang erlebt, wie die Menschen und grüßen oder einladen.“

Die Geburtshelfer

Mit Pepsi, Eiskaffe und Krabbenchips lagen sie am „Europa Platz“ auf dem Boden der Holzhütten. Patricia erzählte ihrer Familie von den Anfängen in Kampang Rou und woher der „Europa Platz“ seinen Namen hat. Annabell, Maurice und Claude hörten ihr aufmerksam und gebannt zu
Hannes hatte seine Augen geschlossen und dachte an die wahrlich turbulente Zeit. Sylvie grinste hin und wieder, denn sie kannte vieles schon von Patricia oder Hannes. Sylvie lag in der Holzhütte, wo Clodette, Hannes und Franziska auf Strohmatten lagen. Sylvie setzte sich wie von einer Tarantel gestochen auf und schlug Hannes gegen den Oberarm „Hast du dies eben auch gehört?“ Hannes nickte „Ja, eine Kuh hat gemuht.“ Sylvie schüttelte den Kopf „Nein! Sie hat geschrien.“ Hannes setzte sich auf und lauschte. Er hörte nichts. „Jetzt. Hörst du?“ Frage Sylvie nach einiger Zeit und sah ihn an. „Ja. Komm, wir gehen schauen was los ist.“ Im nächste Moment war es kein muhen mehr, sondern ein brüllen. Sylvie rannte zum Ausgang vom „Europa Platz“, um an die Weide zu kommen. Hannes rannte ihr hinterher. Als er bei Kannitha um die Ecke lief, sah er, dass die anderen ihnen folgten. An der Kreuzung zur Weide hatte Hannes Sylvie eingeholt und beide rannten die 200 Meter die Piste hoch zur Weide. Eine Kuh schrie fürchterlich und Hannes dachte an einen Unfall.

Er riss das Gatter zur Weide auf und sah oberhalb vom Stall an dem zweiten Baum eine Kuh stehen, die fürchterliche Schmerzen haben musste.
„Die Kuh hält ihren Schwanz waagrecht, Hannes, sie kalbt. Dies ist ein sicheres Zeichen für den Beginn der Geburt. Irgendetwas stimmt nicht, sonst würde die Kuh nicht so schreien.“
Sylvie lief auf die Kuh zu und wenige Meter vor der Kuh ging sie langsam und redete ruhig. Sie gab mit ihrer rechten Hand Zeichen, dass Hannes sich ruhig bewegen sollte. „Schnelle Bewegungen sind in dieser Phase Stress für die Kühe. Geh langsam und rede ruhig mit ihr. Hannes sagte der Kuh auf khmer, dass alles gut sei, sie ruhig bleiben sollte und sie Hilfe bekommen würde. „Stell dich vor sie. Sie kennt dich. Sie soll dich sehen. Rede weiter.“ Hannes tat was Sylvie ihm auftrug.
Sylvie ging langsam um die Kuh herum. Sie streichelte die Kuh und fühlte mit ihren Händen an ihrem Bauch „Hannes, das Kalb liegt falsch im Mutterbauch.“ „Was?!“

Mittlerweile waren die anderen auch auf der Weide und Sylvie sagte auch ihnen, dass sie sich langsam bewegen sollten, oder auf Abstand bleiben.
„Bei einer Geburt ist die Stellung der Wirbelsäule bei der Mutter ein guter Bezugspunkt. Eine obere Stellung bedeutet, dass der Rücken des Kalbes zum Rücken der Mutter liegt. Hier sehe ich dies nicht. Dieses Kalb liegt mit den Beinen nach oben. Hannes, dass Kalb kann so nicht geboren werden. Wir müssen das Kalb drehen.“ „Was immer du sagst.“
Sylvie schaute sich die Scheide, den Rücken und Bauch der Mutterkuh an „Verdammt. Dies wird heikel. Wir brauchen Wasser – lauwarm am besten. Tücher und Seile.“ „Im Stall sind Eimer, für das Futter. Seile habe ich keine.“ „Okay. Bringt die Eimer aus dem Stall – schnell. Patricia, ich brauche Tücher, Seile, Margarine oder irgendetwas was ich als Gleitmittel benutzen kann. Seife reichte auch und davon mehr als eine.“ Patricia nickte und rannte zu Kannitha.

Claude und Maurice brachten die 4 Eimer, die im Stall an einer Wand hingen. „Sind das alle?“ Hannes nickte. „Wir brauchen mehr. Die Kuh sollte Fressen und Wasser bekommen. Hannes, wie lange waren wir spazieren gewesen?“ „Keine Ahnung. Wir sind hier gegen 11 Uhr weg. Nun haben wir nach 16 Uhr.“ „Okay. Dann muss der Geburtsvorgang in der Zeit begonnen haben, wo wir weg waren. Mir ist vorhin nicht aufgefallen, dass die Kuh kurz vorm kalben steht.“ Clodette sagte, dass sie wüsste, dass dies eine Mutterkuh sei, aber mehr auch nicht. „Weißt du wie alt die Kuh ist?“ „Nein. Leider nicht.“
Patricia kam mit dem Motorroller von Kannitha auf die Weide gefahren. Sie hatte bis auf Seile alles dabei, was Sylvie sagte.
„Danke, Tricia. Bringt das Wasser. Ich muss die Scheide eincremen.“

Hannes sprach ein Stoßgebet gen Himmel. Zum Glück hatte er vor Jahren die Furche mit den Wasserbremsen gebaut, so hatten Claude und Maurice kurze Wege. Das Wasser aus der Quelle war frisch – und eben auch kühl. Woher sollten sie nun lauwarmes Wasser bekommen?

Mittlerweile kamen einige Bewohner aus Kampang Rou auf die Weide und wollten schauen, was los war. Hannes schickte sie weg, denn zu viel Leute wäre Stress und Aufregung für die Kuh. Er sah Sophearith, der Besitzer der Herde. „Sophearith, wie alt ist die Kuh?“ Fragte Hannes. „Äh, ich schätze 1 Jahr.“ Hannes sagte Sylvie diese Zahl. „Was?! Du liebe Güte! Das ist viel zu früh! Nun siehst du, welche Probleme die Kuh hat“ brüllte Sylvie. Hannes übersetzte ihre Worte und Sophearith stand bewegungslos neben der Kuh und wusste nicht, was er tun sollte.
Die Kuh schrie vor Schmerzen und Hannes streichelte sie sofort und sprach mit ihr.
„Sylvie, ich fahre einen Gaskocher und Topf besorgen, damit wir das Wasser warm bekommen“ sagte Patricia und lief zum Motorroller.
Sylvie sah Sophearith an und erklärte ihm „Wenn Jungrinder zu früh gedeckten werden, hat man sehr oft das Problem, dass das Kalb nicht durch das Becken der Mutter passt. Hörst du nicht, wie deine Kuh schreit? Das Tier hat unglaubliche Schmerzen! Was ich sehe ist schon schlimm genug. Kannst du das Kalb aus dem Geburtskanal hohlen?“ „Nein, ich habe so etwas noch nie gemacht.“ „Na bravo! Nun liegt das Kalb noch falsch im Mutterbauch. Die Beine von dem Kalb müssen unten sein und der Kopf muss in Richtung dem Geburtskanal liegen. Ich hoffe, dass dies zumindest so ist. Hannes, ich muss einen Kontrollgriff in den Geburtskanal vornehmen. Dazu bräuchte ich lauwarmes Wasser. Ich muss mit meinem Hand oder den Finger zwischen den Kopf und Kreuzdarmbein und zwischen Ellenbogen und Schambein des Beckens kommen. Falls nicht, haben wir ein Problem. Ich kann hier keinen Kaiserschnitt machen.“ „Sylvie, was immer du sagst. Ich tue was ich kann“ sagte Hannes und übersetzte die Worte von Sylvie. Sophearith zog die Schultern hoch. Sylvie nickte und was sie sagte war nicht gerade freundlich „Für Kühe zu halten, braucht es etwas mehr als nur eine Weide und Futter zu geben. Man! Wenn man keine Ahnung hat, sollte man sich keine Tiere anschaffen! Nun muss ich schauen, wie ich beide Tiere retten kann.“ Hannes übersetzte nur einen Teil von Sylvie’s Worte. Sophearith hatte schon genügend Prügel bekommen.
Annabell heulte und alle anderen standen da und wussten nicht, was sie helfen konnten.
„Lasst Sangkhum, Sraleanh oder welche Kühe und Kälber auch immer zu der Kuh, sie soll sehen, dass sie nicht alleine ist.“
Clodette hatte Tränen in den Augen und führte Sraleanh nah an die Kuh heran.

Patricia kam mit einem Gaskocher zwischen ihren Beinen und einem Topf in ihrer linken Hand auf die Weide gefahren. Claude lief sofort zu ihr und schleppte den Gaskocher. „Sylvie, wohin mit dem Ding?“ „10 Meter hinter die Kuh. Wir brauchen Platz.“
Patricia stelle den Topf auf den Gaskocher und Maurice schüttete sofort den Eimer Wasser in den Topf. „Reicht ein Gaskocher?“ Fragte Patricia. „Noch einen wäre super. Das Wasser braucht ewig, bis es warm ist.“ „Sophearith, hast du einen Gaskocher und Topf zu Hause?“ Sophearith nickte Patricia zu. „Los! Beeil dich!“

Jeder auf der Weide schaute auf den Topf und hoffte, dass das Wasser endlich warm werden würde. Sylvie griff immer wieder mit der Hand in den Topf „Wir bräuchten noch Eimer.“ Patricia nickte ihr zu und rannte wieder zum Motorroller.
Sylvie fühlte immer wieder den Bauch der Kuh ab. Sie schaute auf die Scharm von der Kuh und biss sich auf die Lippen.
„Sylvie, was ist los?“ „Hannes, es wird echt knifflig und kompliziert. Traust du dir zu mir zu helfen? Sei ehrlich.“ „Ja. Ich bin da und werde das tun, was du von mir verlangst.“ „Okay. So wie es aussieht, ist das Kalb verkehrt im Mutterbauch. Die Kuh ist zu jung für die Geburt. Wir müssen ihr Becken weiten. Dafür brauche ich dich. Hast du dies verstanden?“ „Ja, ja. Habe ich verstanden und kann mir denken, was ich tun muss.“ „Gut.“
Sylvie fühlte wieder mit ihrer Hand in den Topf „Muss reichen. Schüttet das Wasser in einen Eimer und stellt den nächsten Topf auf.“ Claude schüttete das Wasser in einen Eimer und Sylvie warf ein Stück Seife hinein „Haben wir ein Messer?“ Hannes nickte „Im Stall.“ Und lief sofort das Messer holen.
Mit dem Messer schnitt er kleiner Stücke von der Seife ab und rührte mit seiner Hand das Wasser, bis er merkte, dass sich die Seife auflöste.
Patricia kam mit dem Motorroller und hatte den Gaskocher von Sophearith zwischen ihren Beinen. An ihrem linken Arm hatte sie mehrere Eimer hängen.
Sophearith kam mit seinem Motorrad und hatte den Topf dabei. Maurice füllte sofort den Topf mit Wasser und ging auch gleich nochmal den Eimer füllen. Sylvie tränkte ein Tuch in das Seifenwasser und wisch mit dem Tuch der Kuh an der Scheide vorbei. Dies machte sie mehrmals.
„Sobald das Wasser warm ist, bitte wieder auffüllen. Hannes, ich denke, es könnte reichen. Ich werde jetzt meine Hand in den Geburtskanal stecken und schauen, wie das Kalb liegt. Ich hoffe die Kuh tritt nicht aus. Claude, hilf Hannes die Kuh am Kopf festzuhalten.“

Da Hannes wusste welche Kraft eine Kuh hatte, sagte er Claude, dass er einen festen Stand bräuche. „Okay, fertig?“ Claude und Hannes nickten. Hannes sprach weiter auf die Kuh ein. Die Kuh schrie vor Schmerzen. Sylvie wartete einen Moment „Es können auch ihre Wehen gewesen sein. Okay Jungs, es geht los. Gott im Himmel steh mir bei.“ Was Sylvie in diesem Moment tat war für sie lebensgefährlich. Wenn die Kuh austreten sollte, könnte sie Sylvie töten.
„Ruhig, ruhig, ganz ruhig. Ich schaue nur nach deinem Kind. Ruhig.“

Alle die um die Kuh im sicheren Abstand standen, schauten auf die Kuh. Sylvie’s Sinne waren bis aufs äußere angespannt. „Ich bin im Geburtskanal. Fühle die Füße. Ich kann nicht sagen, ob es sie Vorderfüße oder Hinterfüße sind. Ruhig, ganz ruhig. Ich schaue nach deinem Kind.“ Die Kuh bewegte ihr Hinterteil und Sylvie ging sofort zur Seite. Die Kuh trat nicht aus. „Großer Gott im Himmel, ich brauche noch etwas Zeit.“ Die Kuh schrie erneut. „Ja, es sind deine Wehen. Alles gut. Ruhig, ganz ruhig. Verdammt, ich fühle die Hinterbeine.“

Sylvie zog ihren rechten Arm aus dem Geburtskanal und ging ein paar Schritte von der Kuh weg. „Hast du gut gemacht. Danke, dass du mich nicht getreten hast“ Sylvie streichelte die Kuh und gab ihr einen Kuss. „Hannes, es wird bald dunkel. Ich brauche Licht.“ „Ja, ist gut. Mein Auto hat genügend Licht.“ „Die Geburt kann Stunden dauern.“ „Okay.“ Hannes wählte die Nummer von Asger. „Asger…? Ich brauche dich und Cees in Kampang Rou auf der Weide. Fahrt an den Baucontainer und bringt das Stromaggregat. 200 Meter Kabel, alles an Licht was ihr findet und bringt Seile mit. Auf der Weide ist eine Kuh, die kalbt. Das Kalb liegt verkehrt herum im Mutterbauch. Sylvie tut was sie kann. Beeilt euch.“

Alle saßen in der Nähe der Kuh und hörten Sylvie zu, was sie sagte „Bei einer normalen Geburt kommt das Kalb in der Vorderendlage, also mit den Vorderbeinen zuerst und in gestreckter Haltung zur Welt. Diese Kalb liegt mit den Beinen nach oben und noch gedreht im Mutterbauch. Also wird es mit den Hinterbliebenen zuerst kommen. Da die Mutterkuh das Kalb aber nicht raus pressen kann, weil es dem Kalb dann wahrscheinlich das Genick brechen würde, müssen wir das Kalb raus ziehen. Was ich bis jetzt bei der Mutterkuh von außen gesehen und an ihren Bauch gefühlt habe, ist das Kalb immerhin gestreckt – also muss ich es nur etwas drehen. Es kann auch sein, dass sich während der weiteren Geburt das Kalb dreht und ich müsste es wieder zurück drücken, um es in die richtige Lage zu bringen. Selbst dies ist nicht so einfach, denn ich könnte mit den Klauen von dem Kalb die Gebärmutter verletzen.“

Sylvie stand auf und wischte wieder mit lauwarmen Wasser um die Scheide, Becken und Rücken der Kuh. „Dies mache ich, weil die Scheide und Becken zu eng sind. Kühe sind zwar zwischen 7 und 10 Monaten geschlechtsreif, aber man sollte mindestens eineinhalb Jahre oder gar noch länger warten, bis man eine Kuh decken lässt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Kuh künstlich besamt wurde.“ „Bist du Tierärztin?“ Fragte Annabell. „Nein. Ich bin Agraringenieurin und arbeite für eine Hilfsorganisation in Paris. Ich bin in Kambodscha, weil ich das Dossier von Hannes las und ich ihm bei seinem Trockenfeldanbau Projekt helfen möchte. Darüber schreibe ich auch meine Dissertation.“ „Wow! Und woher weißt du, warum die Kuh diese Probleme hat?“ „Ich bin auf einen Bauernhof aufgewachsen. Meine Brüder führen den Hof weiter. Wir haben über 200 Rinder verschiedener Rassen. Ich war schon als Kind bei Geburten dabei. Als Jugendliche musste ich oder einer meiner Brüder unserem Vater helfen, wenn es Komplikationen bei der Kalbung gab.“ Annabell sah zu der Kuh. Sie wollte etwas sagen, traute sich aber nicht. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Annabell, mach dir keine Sorgen, ich bin da und Hannes wird mir helfen. Wir bekommen dieses kleine Lebewesen gesund und munter auf die Welt.“
Annabell wischte sich erneut die Tränen weg „Darf ich etwas helfen?“ Sylvie nickte „Ja. Darfst du. Wir müssen ständig das Fleisch um ihre Scheide, ihr Becken und Rücken mit warmen Wasser einreiben. Dies merkt die Kuh und es tut ihr gut. Die Kuh wird zum einen ruhiger, weil sie weniger Schmerzen hat und zum andern werden mit dem Wasser die Muskeln und Haut weicher. Wenn wir sie streicheln und mit ihr reden, beruhigt dies auch.

Asger kam mit einem Affentempo an die Weide gefahren. Cees und er kamen sofort auf sie zugelaufen.
„Danke Jungs. Wir brauchen Licht für die Geburt. Lasst das Stromaggregat auf dem Auto stehen. Ich komme später mit deinem Auto nach Svay Rieng. Wir legen nun das Kabel und verteilen das Licht.“
Claude, Maurice, Franziska und Patricia packten mit an. Sie verteilten im Umkreis von 5 Meter die Lampen und Leuchtstoffröhren. Hannes lief auf den „Europa Platz“ sein Auto holen. Zum einen hatte er auch noch genügend Licht vor dem Auto und auf dem Dach. Zum anderen brauchte sie etwas, um die Kuh mit Seilen festzubinden. Es wäre für die weitere Geburt für Sylvie und Hannes lebensgefährlich, wenn sie hinter der Kuh standen und diese austreten würde.

Am Gatter und Stall standen viele Bewohner aus Kampang Rou und schauten die Weide hoch, was dort vor sich ging. Sophearith ging zu den Männern und Frauen und sagte, dass die Europäer ein Kalb retten würden, welches verkehrt herum im Bauch der Kuh liege und er sehr dankbar für deren Hilfe sei. „Immerhin“ sagte Sylvie, als Hannes ihr dies übersetzt hatte.

Mittlerweile war es 18.30 Uhr und auf der Weide schrie immer wieder die Kuh.
Annabell machte ihre Arbeit sehr zaghaft – aber gewissenhaft. Maurice brachte ihr immer wieder neue Eimer mit lauwarmen Wasser.

„Wenn wir später das Kalb herausziehen, wäre eine Kette besser als ein Seil. Auch wenn sich dies nun brutal anhört, aber eine Kette zieht sich nicht zu. Mit dem Seil könnte ich dem Kalb die Beine abschnüren. Bei der Lage von dem Kalb, wäre es gut, wenn die Kuh liegen würde. Ich müsste aber vorher in den Geburtskanal, um dem Kalb die Seile um die Beine zu legen.“ „Sylvie, welchen Knoten brauchst du?“ Frage Asger. „Einen der hält und sich aber beim ziehen nicht zuzieht.“
Asger nahm ein Seil und legte das Ende über das Seil, legte eine Schlaufe und zog das Seil durch die Öffnung. „So?“ Und reichte Sylvie das Seil. „Ich war Seemann. Ich werde wohl noch ein paar Knoten hinbekommen. Sylvie lächelte und gab Asger einen Kuss „Danke du Seebär.“ „Gerne, Frau Agraringenieurin. Okay, wie willst du die Kuh zum liegen bringen, wenn sie es nicht selbst tut?“ „Mit Seilen lässt sich da schon etwas machen. Es gibt bestimmte Schnürtechniken für die Beine, womit sich die Kuh zum Hinlegen bewegen lässt.“ „Okay. Wir sind da.“ „Danke. Aber ihr alle müsst nicht hier bleiben. Eine Erstgeburt kann mehrere Stunden dauern.“ „Wir bleiben und helfen. Stell dir mal vor, nachher fehlte nur eine helfende Hand“ sagte Claude. „Okay. Danke. Wenn später die Geburt beginnt, und wir das Kalb herausziehen, ziehe nur ich. Ich muss die Wehen abwarten. Wenn die Kuh ihre Wehenpause hat, höre auch ich auf zu ziehen. Einfach mal ziehen und flutsch, das Kalb ist draußen, gibt es nur im Fernsehen. Hannes ist als Geburtshelfer bereit und wird den Geburtsweg mit beiden Händen weiten, während ich versuche das Kalb zu drehe. Ich hätte niemals gedacht, dass ich im dunklen in Kambodscha ein Kalb auf die Welt bringen werde.“ Cees klopfte Sylvie auf die Schulter „Das Leben ist ein Abenteuer.“

Kannitha kam zu ihnen auf die Weide und hatte ein Dutzend Wasserflaschen dabei und erkundigte sich über den Stand bei der Geburt. Patricia sagte ihr, was zuvor Sylvie gesagt hatte. „Soll ich euch Essen vorbeibringen? Ihr könnt nicht über Stunden hier auf der Weide sitzen.“ Bevor jemand antworten konnte, sagte Kannitha, dass sie Klebereis und Papayasalat machen würde.

„Mal eine Frage: packst du das Kalb aus der Kuh zu ziehen?“ Dabei sah Asger die schmale Sylvie an. Sylvie zog die Schultern hoch „Wir werden das Seil um den einen Baum legen und du könntest dann mit mir ziehen. Zum einen ziehen wir dann nicht mit voller Kraft, denn wir könnten das Kalb und die Gebärmutter verletzen. Und zum anderen hätte ich die Gewissheit, dass noch jemand da ist, wenn ich keine Kraft mehr habe.“

Patricia und Hannes standen am Kopf von der Kuh und gaben ihr einen Eimer mit frischem Wasser. Die Kuh hatte Durst und trank auch aus dem gereichten Eimer.

Sylvie legte Seile um die Hinterbeine der Kuh und sagte Asger, er solle diese richtig gut festbinden. Ein Seil legte er um einen Baum, der links von der Kuh stand und das andere Seil befestigte er an der Seilwinde am Auto von Hannes. „Sylvie, würde es auch mit der Seilwinde gehen?“ „Nein, Asger. So schnell kann man die Seilwinde nicht anhalten und wir haben kein Gefühl, wann wir stoppen müssen.“

Es war schon weit nach 22 Uhr, und immer mehr Wehen setzten bei der Kuh ein.
„Okay Jungs und Mädels, versuchen wir es. Ich werde nochmal in den Geburtskanal greifen und schauen, wo das Kalb jetzt ist.“
Sylvie schmierte sich die rechte Hand und Arm mit Naturseife ein und ging auf die Kuh zu. Mit der linken Hand fühlte sie den Bauch der Kuh ab „Bist ein tapferes Mädchen. Ich schaue nochmal nach deinem Kind. Du hast es bald geschafft.“ Sylvie klopfte der Kuh auf ihr Hinterteil und wartet auf die nächste Wehe. „Ruhig, ganz ruhig. Alles ist gut“ dabei klopfte sie immer wieder leicht auf das Hinterteil. „Okay, die Wehe kommt. Es geht los.“
Mit welcher ruhe und Selbstsicherheit Sylvie dies tat, war beachtlich. Sie war wahrlich Profi genug, um zu wissen was sie tat. Sie hatte dies in den vergangenen Stunden mehr als bewiesen.
Levi war auch schon seit über eineinhalb Stunden bei ihnen, denn er machte sich bereits um 19 Uhr Gedanken über den Verbleib seiner Frau.

„Hannes, ich muss das Kalb drehen. Du musst mir jetzt helfen, denn ich brauche beide Arme dafür. Du musst das Becken auseinander drücken. Stellt dich dicht hinter mich. Annabell, wenn du willst, rede mit der Kuh, streichel sie.“
Als alle dies taten, was Sylvie sagte, fragte sie, ob Hannes bereit sei. „Bin ich. Fangen wir an.“ Hannes drückte mit aller Kraft das Becken von der Kuh auseinander und Sylvie glitt mit ihren beiden Arme in die Scheide der Kuh. Hannes musste den Kopf zur Seite halten, denn der Geruch war nicht besonders angenehm.
„Okay. Ich bin am Kalb. Ich habe einem Huf. Wo verdammt ist der andere? Hab ihn.“ Sylvie drehte sich unter Hannes nach rechts weg. Hannes fingen bereits die Arme an zu zittern. „Ich muss nochmal nach greifen“ Sylvie stellte sich wieder, packte das Kalb und drehte sich noch einmal unter Hannes nach rechts weg. Sie zog ihre Arme aus der Kuh und klopfte ihr auf das Hinterteil „Braves Mädchen. Wir haben es bald geschafft. Danke Hannes. So, nun legen wir die Kuh auf ihre linke Seite. Ich habe das Kalb gedreht. Es müsste passen. Asger, gibt mir bitte die zwei Seile.“
Sylvie cremte sich wieder ihren rechten Arm ein und führte nun die Seile in den Geburtskanal. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Sylvie ihren Arm aus dem Geburtskanal zog.
Dann nahm sie mehrere Seile und band diese an die Vorderfüße der Kuh.
„Nun wird es haarig. Wir müssen die Kuh quasi auf die Knie zwingen und darauf achten, dass sie sich nicht nach rechts Ablegt. Claude, du nimmt dir das Seil an ihrem linken Vorderbein. Cees, du das rechte. Ihr zieht langsam nach hinten, wenn ich es sage. Patricia, Clodette, redet mit der Kuh und drückt sie an ihrer Blesse nach unten. Wenn ihr es nicht schafft, muss Hannes es machen. Alle anderen kommen auf die rechte Seite. Wenn die Kuh in die Knie geht, müsst ihr sie nach links drücken. Bitte nicht am Bauch. Drückt oben unterhalb der Wirbelsäule, am Becken und Hals. Asger, du bis der größte. Du drückst in der Mitte der Wirbelsäule – hier. Okay? Jeder alles verstanden?“ Alle nickten. „Los!‘
Unter muhen, brüllen und mit dem Kopf schlagend, ging die Kuh langsam auf die Knie. „Weiter ziehen, weiter ziehen. Hannes, drück ihr den Kopf nach unten. Weiter ziehen. Drücken und nun alle an der Seite. Weiter, weiter, weiter.“ Langsam ging die Kuh auf die Knie und legt sich ab.
„Halleluja! Danke, Leute. Die Kuh liegt. Lasst sie nun mal etwas ausruhen.“

Annabell machte wieder ihre Arbeit mit dem lauwarmen Wasser weiter. Die anderen saßen auf dem Boden. 20 Meter von ihnen entfernt stand ein Pulk an Menschen und beobachten alles sehr genau. Die Menschen sprachen leise miteinander.

Nach 23 Uhr setzten immer mehr Wehen ein und etwas an Flüssigkeit lief aus der Scheide der Kuh.
„Okay, es geht los. Ich habe je ein Seil an den Beinen von dem Kalb befestigt. Ich muss abwechselnd ziehen, sonst wird das nichts.“ Asger nickte und packte sich die Seile. Sylvie setzte sich auf den Boden und drückte ihre Füßen gegen die Oberschenkel von der Kuh. Ihr Oberkörper war nach vorne gebeugt. Sie legte sich das Seil einmal um die rechte Hand und hielt das Seil mit beiden Händen fest – aber noch nicht auf zug. Die Kuh bekam eine weite Wehe und Sylvie zog mit aller Kraft. Ihr Oberkörper ging immer weiter zurück. „Stopp.“ Asger lies sofort das Seil locker – aber auf zug. „Sehr gut Asger. Wenn die nächste Wehe kommt, machen wir weiter.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die nächste Wehe kam. Sylvie war hochkonzentriert. „Los.“ Und wieder machte Sylvie die gleichen Bewegungen wie zuvor. Die nächste Wehe kam. „Los. Annabell, schütte immer wieder lauwarmes Wasser über die Scheide. Du braucht kein Tuch mehr.“
Maurice und Franziska füllten die Eimer voll für Annabell. Claude brachte ständig neues Wasser an die Gaskocher.
Die nächste Wehe kam. „Los.“ Hannes sah den ersten Huf von dem Kalb. Ihm lief der Schweiß nur so über das Gesicht. Er musste ja irgendwie das Becken der Kuh zu sich hoch ziehen.

„Okay, Asger. Nun das andere Seil.“ Sylvie legte sich auch dieses Seil einmal um die Hand und wartete auf die nächste Wehe. „Los.“ Zweimal zog sie und man sah den zweiten Huf. „Asger, wir ziehen noch einmal mit diesen Seil.“ „Okay Chefin.“ „Los.“ Bei diesem zug kam das eine Hinterbein gute 20 Zentimeter zum Vorschein.
Die nächste Wehe kam und auch hier kam das Bein immer weiter raus. „Nochmals dieses Seil.“ Die Wehe kam. „Los.“ Bei diesem zug sah man das Knie von dem Kalb. „Anderes Seil.“ Die Wehen kamen in immer kürzeren Abständen. Auch hier kam das Knie von dem Kalb zum Vorschein.

Nach über einer drei Viertel Stunde war endlich das Becken von dem Kalb zu sehen.
„Hannes, kannst du noch?“ „Eigentlich nicht mehr. Ich habe kaum noch Kraft in den Armen. Aber wir bekommen dieses Kalb auf die Welt.“
„Okay. Wir haben es bald geschafft. Asger, wir müssen jetzt das Kalb in Richtung Euter ziehen.“ Sylvie suchte sich einen anderen Platz auf dem Boden. In dieser Stellung konnte sie aber nicht gegen die Hinterbeine der Kuh drücken, denn dies würde ihr Schmerzen zufügen. Patricia und Franziska setzen sich hinter einander links neben die Kuh, Clodette und Levi taten dies rechts. So konnte Sylvie ihre Füße gegen ihr drücken und hatte etwas mehr halt. Asger hatte nun keinen Baum mehr, den er benutzen konnte. „Versuchen wir es. Zieh nicht zu fest.“ „Alles klar, Chefin.“

Die nächste Wehe kam. „Los. Ziehen, ziehen.“ Das Becken von dem Kalb war frei.
„Braves Mädchen. Wir haben es bald geschafft. Anderes Seil.“ Nach 10 Minuten kam eine weitere Wehe. „Los.“ Bei diesem zug kam der Rücken von dem Kalb zum Vorschein. Sylvie wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Okay. Machen wir eine kurze Pause, die Kuh ist auch erschöpft.“

Hannes verteilte erneut Wasserflaschen. Sylvie lief der Schweiß, als ob sie einen Marathon gelaufen wäre. „Danke, Hannes“ und trank den Halben Liter Wasser fast mit einem zug leer.

„Okay, es geht weiter. Die Wehe wird gleich kommen.“ Jeder sah der Kuh an, dass die nächste Wege bevor stand. „Okay.Los.“ Die Kuh schnaufte, muhte und brüllte. „Los. Weiter, weiter, weiter. Sehr gut. Das andere Seil. Wir haben es gleich geschafft. Los. Ziehen, ziehen, ziehen.“ Man sah den Nacken von dem Kalb.

„Okay. Leute, wir haben es gleich geschafft. Die Kuh erholt sich jetzt. Es geht gleich weiter. Die Zeit schien still zu stehen. Annabell schüttet langsam immer wieder Wasser über das Hinterteil.

Die nächste Wehe kündigte sich an. „Asger, nun ziehen wir mit beiden Seilen. Warte, warte. … Es geht los. … Moment… Los. Ziehen, ziehen, weiter, weiter. Stopp.“ Sylvie ging nochmals mit ihrem Oberkörper nach vorne „Okay, wenn gleich die Wehe kommt, ziehen wir das Kalb heraus.“

Sylvie wischte sich mit ihrem T-Shirt erneut den Schweiß aus dem Gesicht. Sie hielt das Seil auf zug, damit das Kalb nicht vielleicht nochmal ein Stück in den Geburtskanal zurück rutschen konnte.

Die Uhr war schon weit nach Mitternacht.
„Okay, es geht wieder los.“ Die Kuh fing an zu schreien. „Los. Ziehen, ziehen, ziehen.“ Das Kalb rutschte aus dem Geburtskanal auf den Boden. Sofort ließ Sylvie die Seile fallen und rutschte auf ihren Knien zu dem Kalb, um zu schaute, ob es atmete. „Großer Gott im Himmel. Es lebt. Es lebt.“ Sylvie kamen die Tränen. Alle, die auf der Weide standen fingen an zu jubeln oder zu weinen.
Asger nahm Sylvie in die Arme und streichel ihr über den Rücken „Du bist ein gutes Mädchen.“
Jeder umarmte Sylvie und drückte sie fest an sich.
„Kommt, legen wir das Kalb an den Euter“ sagte Sylvie. Asger und Hannes trugen das circa 40 Kilo schwerer Kalb an den Euter der Mutter und sofort fing das Kalb an zu saugen.
„Gutes Mädchen. Du hast ein Kind auf die Welt gebracht“ sagte Sylvie und streichelte der Kuh den Kopf.
Annabell streichelte das Kalb und wischte sie ihre Tränen weg. Mit den Tüchern wischte sie das Fell von dem Kalb sauber.

Hannes entfernte die Seile an den Beinen der Kuh und brachte einen großen Packen Heu aus dem Stall. Patricia hielt den Eimer mit Wasser schräg, damit die Kuh trinken konnte.

Sophearith traute sich näher und stand wie ein geprügelter Hund neben der Kuh.
„Du hättest heute zwei Lebewesen getötet! Denk mal über deine Fehler nach. Ich hoffe, die anderen Kühe sind nicht trächtig“ sagte Sylvie zurecht sehr böse zu Sophearith.

Teil II Im Zombie Land

Irgendwo im Dongrek-Gebirge zwischen Kambodscha und Vietnam

Im Zombie Land

Montag, 15. Januar 1990
Irgendwo im nirgendwo

Am Montagmorgen rief Hattie an, sie wollte sich mit Patricia in Phnom Penh treffen. Passte ganz gut, am Mittwoch müssten, Cees de Groot und Luan Bernasconi, die beiden anderen aus dem Team, am Flughafen abgeholt werden. So konnten sie die 140 Kilometer wunderbar verbinden.

Hannes fuhr auf die Baustelle, er wollte endlich an der Abgemessenen und Abgesteckten Strecke weiter kommen.
Auf der Baustelle waren die 5 Männer beschäftigt die Schalung für das Pumpenhaus weiter zu bauen. Der Baggerfahrer baggerte an dem Graben, den sie gestern Abgesteckt hatten. Wie zu erwarten, war seine Arbeit nicht gerade das, was man vernünftig nennen konnte. Hannes zeigte es ihm wieder auf 10 Meter Grabenlänge. Irgendwie schien der Fahrer nicht zu begreifen, was ein Bagger alles kann.

Stephane Dilbert rief am Vortag im Hotel an und sagte, dass heute ein größerer Bagger auf die Baustelle kommen werde.
Vor Wochen sei in Thailand eben jener Bagger gekauft worden.
Der Bagger vor Ort war mit seinen 16 Tonnen Einsatzgewicht für den Bau der Wasserleitung und den dafür vorgesehenen Graben etwas zu klein.
Wenn die Wasserleitungen von der Hauptleitung nach rechts abgehend verlegt werden mussten, brauchte man für diese Topografie ordentliches Gerät. Von der Baustelle waren es oft noch keine 15 Kilometer bis zur Grenze zu Vietnam. Das Geländeprofil war zum Teil sehr hügelig und felsig.

Mit dem Toyota Pickup fuhr Hannes zu dem Vereinbarten Treffpunkt an der Straße 334, um dort den Lkw mit dem Bagger in Empfang zu nehmen. Eigentlich machte es keinen Sinn, eine Uhrzeit zu vereinbaren, denn dies war in Asien etwas, um was sich die Menschen am wenigsten Gedanken machten. Man ist ja schließlich irgendwann da – oder auch nicht. Also blieb nur das warten und hoffen.

Die Klimaanlage in dem Toyota Pickup gab ihr bestes. Eine Stunde wartete er schon. Es wurde draußen immer wärmer und die Klimaanlage kam langsam an ihre Grenze. Hannes wollte die Pläne für die nächste Abschnitte studierten und die Länge der benötigten Wasserleitungen berechnen damit Eliane die Bestellung machen konnte.
Im Auto war kein Platz um diese riesigen Pläne auszubreiten. So stieg er aus dem Wagen und fixierte mit Magneten den Plan auf der Motorhaube. Trotz der weißen Farbe von dem Auto, glühte die Motorhaube wie eine Kochplatte. Die Schwüle war unerträglich.

Keine 5 Minuten, die Hannes aus dem Auto war, klebte sein T-Shirt am Körper.
Mit einer Maßstabschablone errechnete er die gebrauchten Materialien für,…. für welchen Zeitraum? Ihm war auch klar, dass bei dieser Hitze niemals das Tempo erreicht wurde und wird, wie in Deutschland. Er bräuchte eine Motivation für die Arbeiter, dass sie wenigstens regelmäßig zur Arbeit kommen würde um auch etwas leisten zu können.


Ein neuer Bagger kommt

Eine Staubwolke kam auf ihn zu. Hurra, könnte der Bagger sein. Tatsächlich, Hannes sah einen Bagger hinter dem Fahrerhaus. Mit Spannung sah er dem Fahrzeug entgegen. Was wir nun für ein Spielzeug kommen? Auf den letzten 200 Meter sah er in einer riesigen Staubwolke ein Sattelzug mit Tieflader. Es stand ein Bagger auf dem Tieflader. Ein richtiger Bagger! Ein Caterpillar Kettenbagger 225LC. Die Maschine hatte ein Einsatzgewicht von fast 26 Tonnen. Mit diesem Teil konnte man vernünftig arbeiten. Sogar zwei verschiedene Tieflöffel mit, 0,88 m3 und 1,68 m3 waren dabei. Yes, that’s right!
Die Freude war nur von kurzer Dauer. Wie kann der Lkw mit dem Tieflader zur Baustelle fahren? Sein Pickup hatte bei der Folterstrecke schon seine Probleme. Der Tieflader würde auf dieser Piste stecken bleiben. Die Fahrbahn war für diesen Sattelzug definitiv nicht geeignet.
In Asien ist es normal, dass ein Bagger auf einem Dreiachs- Lkw transportiert wurde – sofern er keine Reifen hatte. Dies wäre bei dem Gewicht und Größe von diesem Bagger gar nicht möglich gewesen.

Hannes fuhr mit dem Lkw Fahrer die Strecke ab, bis wo hin er auf jeden Fall fahren könnte.
Hannes fuhr den Fahrer zu seinem Lkw und dann weiter zum Hotel. Patricia musste mit. Sie sollte den Pickup zur Baustelle bringen, er müsste den Bagger fahren. An der Tankstelle in Svay Rieng kaufte er ein 200 Liter Fass Diesel. Pickup’s sind für alles gut.

Der Lkw war an der vereinbarten Stelle angekommen. Der Fahrer fragte, wer denn nun den Bagger abladen würde. Mit der Antwort von Hannes hatte der Fahrer nicht gerechnet.

Der neue Bagger hatte eine Dieselpumpe in der Nähe vom Tank, so konnten ohne Probleme die 200 Liter Diesel schnell und zügig umgepumpt werden und musste nicht mühsam mit 20 Liter Kanister getankt werden.

Per Kette fuhr Hannes über die Folterpiste zur Baustelle. Mit dem großen Baggerlöffel machte Hannes während der Fahrt diese Folterpiste zu einer doch erheblich besseren Straße. Er hätte es gerne ordentlicher gemacht, durch den zweiten Baggerlöffel, der in dem größeren lag, konnte er nicht so arbeiten, wie gewünscht. Ein Baggerlöffel von fast einer Tonne, konnte er schlecht nicht auf den Pickup legen.

Endlich war die Baustelle erreicht. Hannes taten von dem gequietsche der Ketten schon die Ohren weh.
Patricia kam gleich zum Bagger „Lass mich bitte mal baggern.“
Wäre ja nicht das Problem gewesen, nur wie sollte die kleine Patricia das Fahrwerk hoch in die Fahrerkabine kommen?
Hannes stellte den Oberwagen leicht nach rechts „Geh jetzt vorne die Kette hoch, dies ist für dich einfacher als seitlich über das Fahrwerk.“

Patricia saß auf seinem Schoß und Hannes erklärte ihr nun die zwei Hebel links und rechts am Sitz, die Pedale um die Kette vorwärts oder rückwärts laufen zu lassen und die Schwenkbremse vom Oberwagen. Sie nahm die beiden Hebel in die Hand und machte, was Hannes ihr sagte.
Der Bagger schaukelte wie ein Schiff, bei Seestärke 8.
„Langsam, Patricia langsam und mit Gefühl. Hydraulik ist sehr empfindlich und reagiert sofort.“
Beim dritten Versuch war es nur noch Seestärke 4. Nach 10 Minuten Schiffschaukel, hatte Patricia den Bogen raus. Diese Frau hatte vor nichts Angst. Gleich aufgeben kam für sie nicht in Frage. Sie drückte die beide Pedale nach vorne und der Bagger fuhr in die gewünschte Richtung. Sie drehte den Oberwagen um 180°, drückte die zwei Pedale nach vorne und der Bagger fuhr rückwärts. Ohne das Hannes etwas sagen musste, kam von ihr gleich die Antwort „Ist logisch. Der Bagger steht in die andere Richtung als die Kette.“ „Einfach ausgedrückt – aber richtig. Du musst immer wissen, in welche Fahrtrichtung das Fahrwerk steht. Nun kennst du die Grundbegriffe von dem Bagger, dann buddel doch mal ein Loch.“

Gleichzeitig den linken Hebel nach rechts, der rechte Hebel nach vorne, der linke zurück und der rechte nach rechts. Die war für den Anfang doch etwas viel. Als sie begriffen hatte, was der Bagger bei welcher Hebelbewegung machte, konnte sie auch ein Loch graben. Zwar war der große Baggerlöffel mit einem Teelöffel Erde gefüllt – aber immerhin klappte es.

Nach einer Viertelstunde baggern war der Löffel immerhin dreiviertel voll. Patricia lernte wirklich unglaublich schnell.
Die Handvoll Männer auf der Baustelle standen im Halbkreis um den großen Bagger und sahen der kleinen Patricia zu.
„Tsssss, tsssss, tsssss“ kam es immer wieder im Kanon von den Männer.

„Du kannst besser mit dem Bagger arbeiten, als der Baggerfahrer, der den anderen da vorne fährt. Nun kannst du seine Arbeit weiter machen. Nun müssen wir im Plan schauen, wie tief die Wasserleitung weitergeht und wo wir mit welcher Tiefe am letzten Punkt sein müssen.“ „Das ist aber sehr kompliziert.“
„Liebes, nicht komplizierter als lernen. Lass mich arbeiten, fahre du zurück nach Svay Rieng. Dein Vater kann mich gegen Abend abholen kommen. Ich brauch nur noch die Pläne aus dem Auto.“ „Sind dies alle Arbeiter?“ Fragte Patricia und zeigte auf die 5 Männer.
„Ja, ich frage mich, wie wir mit einer Handvoll Bauarbeiter eine Wasserleitung vom 170 Kilometer, die Nebenleitungen und Pumpenhäuser bauen sollen? Entweder die Männer arbeiten an dem Graben oder an dem Bau für die Pumpen. Ich weiß nicht wie ich die Arbeiter motiviert bekomme und wo ich nochmal so viele Arbeiter her bekomme. Ich kann ja schließlich nicht alles alleine machen.“ „Ich bin nun hier in der Gegend, ich fahre mal in die Dörfer um zu schauen, wie ich dort weiter komme und wie viele Kinder es überhaupt gibt und welches Alter.“

Hannes bat einen Arbeiter die Grabentiefe zu messen, damit er nicht irgendwann zu tief oder zu hoch kam. Er war ja nur Hobby-Baggerfahrer.
Mit dem großen Baggerlöffel ging es sehr zügig voran. Da eigentlich nur 1,50 Breite gebraucht würde, der Baggerlöffel aber 1,80 Meter breit war, war so auch etwas mehr Sicherheit für die Arbeiter im Graben gewährleistet. In Deutschland dürfte er ohne Verbau so etwas gar nicht machen. Daher zog er den letzten halben Meter der Wand nach links und rechts weg. Immer noch ein Alptraum für die Berufsgenossenschaft, aber besser als nichts. Unvorstellbar, wenn der Graben zusammen fällt und ein Mensch lebendig begraben werden würde.

Er korrigierte die Sohle von dem anderen Baggerfahrer wieder. Am liebsten hätte er ihm gesagt, er soll sich zum Teufel scheren. Er brauchte aber die wenigen Arbeiter um überhaupt etwas tun zu können.

Hannes baggerte schneller, als die Männer dieses Tempo gewöhnt waren. Zum einen hat ein so großer Bagger unglaublich viel Kraft und zum anderen konnte er es, trotz das er wenig Bagger gefahren war, dies besser als der Mann, der meinte Baggerfahrer sein zu wollen.
Nicht übertreiben. Nicht übertreiben, sagte er sich.
Hannes fing an zu singen
„Wer baggert da so spät noch am Baggerloch?
Das ist Bodo mit dem Bagger und der baggert noch.
Ja, wer baggert da so spät noch am Baggerloch?
Das ist Hannes mit dem Bagger und der baggert noch.“

Er kam schneller voran, als er dachte. Wollte auch nicht zu weit den Graben auf baggern, dieser musste später auch wieder verfüllt werden.
Patricia kündigte sich mit einer großen Staubwolke an. 4 Meter neben dem Bagger hielt sie an. Hannes drehte das Fahrwerk nach links und ging über die Kette – mit Schuhen vom Bagger, zu ihr. Wie der Kollege Barfuss über die Kette gehen konnte, blieb ihm ein Rätsel.
Patricia’s Gesicht sah versteinert aus. „Prinzessin, was ist los?“
Sie schüttelte den Kopf „Glaubst du nicht! Vergiss alles, was wir bis jetzt in Kambodscha gesehen haben!“
Ihr kamen die Tränen.
„Fahr mit mir. Schau es dir an. Hannes, … Mittelalter… es ist wie im Mittelalter!“

Patricia fuhr von der Baustelle die Piste Richtung Osten, dann die nächste Kreuzung recht. Nach ca. 4 Kilometer kam die erste Ortschaft. Patricia fuhr langsam über die Sandpiste an den… den was… vorbei? Hütten, Baracken, Kaluppen, Katen? Es gibt kein Wort für etwas das schief, kaputt und irgendwie zusammen genagelten einen umbauten Raum auch nur im Ansatz beschreiben kann.
Müll und Fäkalien wo er hinsah. Patricia hatte recht, so etwas hatten sie noch nie gesehen. Die Ortschaft war eine Müllhalde.
Unbegreiflich wie so wenig Menschen in dieser Ortschaft so viel Müll haben konnten! Im Umkreis von bestimmt 30 Meter um diesem Ort lagen Plastikfolien, Flaschen, Bleche, Reifen, Ölfässer und Kanister. In den Bäumen hing Plastik das vom Wind weggeweht wurde.

„Was schätzt du, wie viel Menschen leben hier?“ „Patricia, wie soll ich dies beurteilen? Von dieser Piste gehen links und rechts insgesamt sieben Wege ab. Was ich hier an Baracken sehr, würde ich diese Zahl mal vier nehmen, könnte auch nur mal drei sein.“ „60 Hütten. Mal drei oder vier Personen pro Hütte. Spekulationen bringen uns nicht weiter. Jemand fragen, wir wenig Sinn machen, da wird keiner hier sein, der vernünftig rechnen kann. Du musst auch nicht mehr weiter fahren, ich kann mir ein Bild von den anderen Ortschaften machen.“ „Sind auf deinen Plänen diese Ortschaften eingezeichnet?“
„Ja. Kampang Rou, Khum Nhour und Khsaetr liegen laut Plan an dieser Piste. Zwischen Kampang Rou und Khum Nhour geht es ab nach Sama. Hier sind die Ortschaften Samlei, Thmei und Tnaot. Hannes zeigte ihr mit dem Finger auf der Karte, wo die Ortschaft eingezeichnet waren.
„Ob die Angaben von der Entfernung stimmten, bezweifle ich auch. Fahr zurück, wir messen jetzt. Der Maßstab auf den Karten wird ja bestimmt richtig sein. Ich hatte heute morgen die Länge für die Wasserleitungen berechnet.“


Irgendwo im Dongrek-Gebirge

Patricia fuhr zurück an die Kreuzung zur Baustelle und stellte den Kilometerzähler auf Null. Auf dem Plan markierte Hannes den Nullpunkt.
„Dann mal los.“ „Bis Kampang Rou sind es jetzt 5,6 Kilometer. Was sagt dein Plan?“ „3,2 Kilometer. Welchen Faktor soll ich da annehmen? Fahr bitte weiter zur nächsten Ortschaft. Dies müsste Khum Nhour sein.“ „8,2 Kilometer“ sagte sie in der Mitte der Ortschaft. „Fahr weiter. Laut Maßstab habe ich 5 Kilometer.“ Patricia fuhr weiter bis nach Khsaetr.
„Was sagt der Kilometerzähler?“„Knapp 13 Kilometer. Wo ist die Grenze zu Vietnam?“ „Nach meinem Plan bin ich jetzt bei 7,5 Kilometer. Folglich müsste nach dem Maßstab in circa 7 Kilometer die Grenze kommen.“

Patricia fuhr weiter und Hannes schaute mit einem Auge auf seine Karte und mit dem anderen auf den Kilometerzähler. 19 Zeigte dieser an. Die Piste wurde steiler und nach eine scharfe links Kurve wurde die Piste enger. Patricia stoppte den Pickup und stieg aus. Hannes blickte noch auf den Kilometerzähler, bevor auch er ausstieg.
„Chérie, schau. Da hinten ist eine Siedlung.“ Patricia zeigte mit dem rechten Arm in die Richtung, wo sie Hütten gesehen hatte.
„Patricia, hier ist nur Wald. Wie soll man an diese Siedlung kommen? Ich habe keine Piste von rechts kommen gesehen. Ist diese Siedlung überhaupt noch in Kambodscha?“
Patricia sah ihn fragend an „Wo soll diese Siedlung sonst sein?“ „Na ja, auf dem Kilometerzähler steht 22. Sind wir noch in Kambodscha?“ „Du hast doch die Karte.“ „Klasse. Ja, ich habe die Karte. Aber nichts passt auf dieser verfluchten Karte zusammen. Die Siedlung ist hier nicht eingezeichnet.“
Patricia schaute auf die Karte und zeigte mit ihrem Finger auf Samlei „Und was ist dies bitteschön für eine Ortschaft oder Siedlung?“ „Samlei. Korrekt. Nun erklärte mir bitte mit deinem exzellenten Abi, wie wir von Khsaetr im Kreis gefahren sein müssten um eine Ortschaft zu sehen, die zwischen Kampang Rou und Khum Nhour links liegt und die wir jetzt rechts von uns sehen.“
Patricia boxte ihn gegen den Oberarm „Boeuf stupide.“

Patricia fuhr langsam weiter, in der Hoffnung einen Weg zu finden, um an die Unbekannte Siedlung zu kommen.
Hannes hatte ein ungutes Gefühl im Bauch „Patricia, es macht keinen weiter zu fahren. Bitte dreh um.“
Er zeigte ihr den Plan, wo sie in diesem Augenblick sein könnten und wo nach seiner Karte die Grenze zu Vietnam war. „Wir sind hier wie in einem Quadrat. Nach Süden ist von dem Ausgangspunkt, wo du den Kilometerstand auf Null gedrückt hast, ist die Entfernung zur Grenze zu Vietnam zwischen 14 und 22 Kilometer. Dann sind es von dem Punkt, wo die Straße 334 aufhört, 25 Kilometer bis zur Grenze nach Osten. Ich kann dir in diesem Augenblick noch nicht einmal sagen, in welchem Land wir sind!“ „Wie?“ „Nix, wie? Nach diesem Plan und das was du an Kilometer gefahren bist, kann ich dir nicht sagen in welchem Land wir uns in diesem Augenblick befinden. Die Piste geht laut Plan nicht bis an die Grenze und die Siedlung, die wir gesehen haben, ist hier nicht eingezeichnet. Du bist nun über 30 Kilometer gefahren. Auch wenn ich großzügig die Serpentinen und Kurven abziehe, sind wir nach diesem Plan jetzt in Vietnam.“ „Meinst du? Ich habe nichts gesehen was irgendwie auf eine Grenze hindeutet.“ „Patricia, ich weiß es nicht. Kann sein, dass wir noch in Kambodscha sind und noch eine oder zwei unbekannte Siedlungen hinter der nächsten Kurve oder Hügel kommen. Es kann aber auch sein, dass der nächste Ort von Vietnamesen bewohnt ist.“ „Und nun?“ „Du fährst. Du entscheidest.“

Patricia fuhr weiter bis der Kilometerzähler 40 anzeigte.
„Noch eine Kurve. Okay?“
Hannes nickte stumm. Innerlich war er angespannt, versuchte dies aber vor Patricia zu verbergen.
Die Piste ging weiter den Berg hoch. In 300 Meter sah er eine links Kurve. Patricia fuhr noch zwei Kilometer weiter bis sie stoppte. Die Aussicht nach Süden und Südosten war grandios. Sie standen irgendwo in Südostasien im Dongrek-Gebirge und waren von Wäldern und Hügel umgeben.
„Mon chérie, ist dieser Anblick nicht überwältigend?“ „Doch. Ist er. Ich habe solche massiv bewaldeten Hügel und Täler noch nie gesehen. Prinzessin, bitte lass uns zurückfahren. Ich habe kein gutes Gefühl. Ich weiß, dass du Menschen suchst und diese auch erreichen möchtest, aber ohne vernünftige Karten machte dies keinen Sinn. Unsere entdeckte Siedlung kann auch ein Lager von versprengten Kämpfer der Roten Khmer sein.“
Patricia nickte „Du hast recht. Ich sehe deine Sorgen in deinen Augen.“ „Danke. Ich habe keine Lust, wegen einem illegalen Grenzübertritt Ärger zu bekommen. Patricia, nichts passt zusammen. Laut diesem Plan sind zwischen Kampang Rou und Khum Nhour die drei Ortschaften Samlei links, sowie Thmei und Tnaot rechts auf den Hügeln – wenn die Höhenangaben auf dem Plan auch nur annähernd stimmen. Lass uns zurückfahren. Wir haben irgendwo zwischen Kampang Rou und Khum Nhour
die Abfahrten übersehen. “

Patricia wendete den Pickup auf der Piste und fuhr in entgegengesetzte Richtung zurück. Der Puls von Hannes war schon leicht erhöht. Hinter jeder Kurve vermutete er eine Straßesperre oder eine Horde Kämpfer mit Gewehren im Anschlag.

Endlich sah er die ersten Hütten von Khsaetr in Sicht kommen. Hannes atmete tief aus.
Nach den letzten Hütten von Khum Nhour fuhr Patricia langsamer.
„Ist das hier eine Einfahrt? Was meinst du?“
Hannes schaute auf seinen Plan und rechnete mit der Maßstabsschablone die Kilometer von Kampang Rou bis nach Khum Nhour.
„Ich weiß es nicht. Könnte passen. Könnte aber auch nur ein Weg ins Zuckerrohrfeld sein. Fahr den Weg hoch, dann wissen wir es. Irgendwo werden wird schon rauskommen.“

Diese Piste verlangte von dem Auto, wie auch von Patricia alles ab. Es ging gute 20 % den Berg hoch. Schlagloch auf der linken Seite, einen Buckel rechts, dann eine Bodenwellen von über 40 Zentimeter und danach ging es 50 Zentimeter runter. Der Pickup stand oft so schräg, dass nur 3 Reifen auf dem Boden gripp fanden.
„Du musst die Buckel schräg anfahren und die Löcher versuchen zu meiden. Fahre mit der Piste und nicht gegen sie. Wenn es sein muss fahr mit einer Seite vom Auto durch den Zuckerrohr. Nimm die Wellen nicht frontal. Immer etwas versetzt. Soll ich weiter fahren?“ „Non, ich habe doch einen guten Co-Piloten.“
Hannes lachte „Wir beide würde auch ein gutes Rallye Team abgeben.“

Das Auto kam den Berg immer schlechter voran. Da diese Piste auch nur aus Sand und Lehm bestand, drehten die Reifen immer mehr durch.
„Bleib stehen. Zieh die Handbremse an und mach den Gang raus. Mach die Getriebeunterstützung rein. Das ist der Knopf rechts vor dem Schalthebel. Dann rechts von dir den Knopf drücken, dass ist die Sperrdifferentialsperre. Nun wird die Kraft von den durchdrehenden Reifen auf die, die stehen übertragen. Nun löse die Handbremse und lenke nach links. Es kann sein, dass jetzt das Auto nach rechts zieht, dann fahr trotzdem weiter, wenn du merkst das du im Lenkrad Kontakt spürst lenke gerade. Das Auto wird sich dann in Richtung zu dem Feld bewegen. Wenn ich sage nach links lenken, machst du dies auch. Okay?“ „Oui Monsieur.“ „Dann Attacke. Gibt Vollgas.“

Die zierliche Patricia machte es genau so, wie Hannes es ihr sagte. Sie steuerte das Auto mit dem ihm zu Verfügung stehender Kraft, diese Hindernisse hoch. Immer wieder schlug eine Seite vom Auto auf der Piste auf. Es knirschte und schrubbte der Sand, Erde und Steinbrocken an der Karosserie.
„Weiter. Nicht stehen bleiben. Immer weiter mit Vollgas. Die Kiste fällt nicht um.“

Nach weiteren 300 Meter Folterpiste wurde das Gelände flacher und die Piste führte in einem leichten Bogen nach rechts noch gute 250 Metern durch den Wald, bis die ersten Hütten von Samlei zu sehen waren. Dieser Ort war wesentlich kleiner als die 3 Ortschaften im Tal.
„Geschafft. Wir sind da. Bist du sicher, dass du nicht mit Michèle Mouton verwandt bist?“
Patricia grinste und gab ihm einen Kuss.


Gottes vergessenen Menschen

Nach den ersten Hütten im Ort blieb Patricia stehen „Auf geht’s. Dann lass uns die Expedition beginnen.“
Hannes nickte „Oui Madame.“
Sie stiegen aus dem Pickup und schauten sich um. Hunde bellten sie an, Hühner liefen umher oder pickten im Sand nach Körner. 12 Hütten sahen sie und auch hier im Ort lag überall Müll. Zwar nicht so viel wie sie zuvor gesehen haben, aber dennoch Müll. Nach 20 Metern ging ein kleiner Pfad nach rechst. Hannes zählte 5 Hütten „Wo sind die Menschen?“
Patricia sah ihn wortlos an und zuckte mit den Schultern. Sie gingen zurück zur Mitte der Siedlung. Ein Kind huschte ein Haus weiter in ein anderes Haus. Patricia rief auf khmer und sagte wer sie seien und auch der Grund für den Besuch. Nichts! Kein Mensch zu sehen. Es war unheimlich. Patricia rief nochmal.
Eine ältere Frau mit wettergegerbter Haut und schwarzen faulen Zähne kam langsam aus einer Behausung und blieb im Abstand von 5 Meter von ihnen stehen. Hannes vermochte das Alter dieser Frau nicht zu schätzen. 50, 60 oder 80 Jahre konnte diese Frau sein.
Aus einer Hütte links von ihnen kam ein Mann mit einem 2 Meter langen Knüppel heraus.
„Die Menschen haben Angst.“ „Warum? Ich habe doch gerufen wer wir sind.“ „Patricia! Wir könnten auch von der Miliz sein.“ Patricia sah Hannes mit einem versteinerten Blick an und reagiere sofort „Suostei! Yeung chea vechchobandet mk pi eurob. kroupety!“
Hannes riss die Augen auf „Hallo, wir sind Ärzte aus Europa?“ „Fällt dir etwas besseres ein? Soll ich rufen wir sind Baggerfahrer? Boeuf stupide!“

Patricia rief noch drei mal diesen Satz in die andere Richtung der Siedlung. Langsam kamen die Menschen aus ihren Hütten auf die Straße. Alle waren zerlumpt, dreckig und krank. Beiden stockte der Atem beim Anblick solcher Menschen.
„Mon dieu, wo sind wir hier?“ „Bei Gottes vergessenen Menschen! Patricia, ich habe in meinem Leben noch nie solche Menschen gesehen!“
Die Menschen kamen langsam näher, blieben aber in gebürtigem Abstand im Halbkreis stehen. Immer wieder sagte Patricia, dass sie Ärzte seien und die Menschen zählen wollten. Es dauerte unglaublich lange, bis die Zahl der Einwohner ermittelt war. 32 Personen. Davon 14 Kinder. Nach dem Alter fragen? Schätzen? Es ging nur über Schätzen. Patricia schätzte die Kinder zwischen 4 und 13 Jahren. Diese Kinder, wie Eltern und Großeltern kannten gar keine Zivilisation – Müll schon!
Patricia machte sich Notizen von den Leute, Anzahl an Jungen und Mädchen, wie auch Frauen und Männer. Alter konnte auch bei ihnen nur geschätzt werden. Plus minus 10 oder 15 Jahre. Durch mangelnde Hygiene, Versorgung und wahrscheinlich auch einseitiger Ernährung, sahen diese Menschen aus, wie aus einem Gruselfilm. Viele hatten Pusteln auf der Haut. Effloreszenzen teilweise oder am ganzen Körper. Faule oder gar keine Zähne mehr.
Patricia ging langsam auf einzelne Menschen zu, bei denen sie starke Pusteln im Gesicht oder Oberkörper sah, um diese besser dokumentieren zu können. Immer wieder sagte sie „Vechchobandet mk pi eurob“ zu den Leuten. Patricia hatte mehrer Seiten vollgeschrieben und schüttelte immer wieder den Kopf.

„Komm, sag denen, dass wir wieder kommen – denke ich doch. Wir müssen irgendwie Hilfe organisieren. Diese Menschen sind alle krank und brauchen dringend ärztliche Versorgung.“

Patricia fuhr zurück durch den Wald und dann die Höllenpiste herunter. Die Piste im Tal kam in Sichtweite. Statt nach rechts Richtung Svay Rieng zu fahren, fuhr sie links in die Ortschaft Khum Nhour.
Sie fuhr bis ziemlich in die Mitte von dem Ort und rief wieder ihren „Doktor aus Europa“ Spruch.
Auch in diesem Ort zeigte sich das gleiche Bild. Hannes notiere 50 Personen. Davon 21 Kinder. Alle waren krank, ausgemergelt und verlebt.
Auf dem Rückweg wurden in der ersten und größere Ortschaft, im Kampang Rou, die Personen gezählt. Die Anzahl der Person passte nicht zu der Anzahl der Hütten.
„Wo sind all die Menschen von den Hütten?“
Hannes sah sie mit schrägem Blick an „Tod, Verschleppt oder auf der Suche nach Arbeit in anderen Provinzen.“ „Mon Dieu! Du machst mir Angst.“ „Prinzessin, es ist wahrscheinlich die Realität.“
Die Piste bis auf die Straße 334 fuhr Patricia nun auch in einer anderen Fahrweise.
„Siehst du, nun fährt sich das Auto viel besser. Du musst die Fahrweise von Europa hier vergessen. Du musst mit der Strecke fahren und wenn du die ganze Straße brauchst, dann ist das eben so. Du kannst nicht nur rechts fahren. Hier kommt doch sowieso nichts entgegen. So ist es auch, wenn du mit einem Motorrad fährst, immer schräg über die Wellen oder Buckel fahren.“ „Was du alles weißt. Und dann sagst du immer, du bist dumm. Mon chérie, ich mag nicht, dass du dies immer sagst. Du hattest vorhin schneller den Faktor vom Maßstab ausgerechnet als ich.“ „Lass mich auch hin und wieder ein paar Glücksmomente haben.“
Sie boxte ihm gegen den linken Oberarm.

Im Büro in Svay Rieng

In Svay Rieng gingen beide zu Asger und Bernhard in das kleine Büro im zweiten Stock, und brachten ihre Erlebnisse vor.
„Wo wart ihr gewesen? Im Zombie Land?“ Asger sah beide ungläubig an.
Hannes legte die Karte mit seinen Notizen auf den großen Tisch „Hier“ und zeigte er mit dem Finger auf die Karte. „Asger, hier waren wir gewesen. Von diesem Punkt an, den ich als Nullpunkt markiere, passt nichts auch nur annähernd zu diesem Plan. Ist euch dies noch nicht aufgefallen? Alle Berechnungen sind völlig für die Füße. Wir müssen aufpassen, dass die Pumpen in der richtigen Entfernung stehen, es könnte sein, dass am Ende kein Wasser kommt. Ich bin kein Ingenieur, aber geradeaus denken kann ich.“
Bernhard und Asger schauten sich fragend an. Hannes gab seinen Worten Zeit zu wirken, bevor er weiter sprach.
„Wir haben ein etwas größeres Problem zu lösen. Es sollen Wasserleitungen verlegt werden, dass ist immerhin etwas gutes. Blöd nur, dass wir keine Arbeiter haben die regelmäßig auch ihren Aufgaben nach kommen oder können. Fahrt in die Ortschaften, schaut euch diese Menschen an! Ja, Asger, es war Zombie Land! Wir müssen und sollten umdenken. So wie wir jetzt arbeiten ist es falsch.“ „Was willst du umdenken? Wasser kommt von der Hauptleitung zu den Ortschaften die links und rechts liegen. Wir sind ja am arbeiten. Nur geht es nicht so schnell wie du dir dies vorstellst.“ Hannes nickte ruhig, innerlich war er am kochen „Entschuldigt bitte, wenn ich mich hier so einbringe und eure Arbeit in Frage stelle, wir müssen und sollten von hinten anfangen“ wiederholte er.
Asger sah Bernhard an und schüttelte den Kopf „Hannes, was soll das? Hier ist der Plan. Von da nach da arbeiten wir“ dabei fuhr er mit dem Zeigefinger über die bunten Linien.
Hannes konnte und wollte sich jetzt nicht den Gegenwind von den beiden Männer antun. Er setzte sich auf den freien Stuhl neben dem großen Kopierer ohne noch ein Wort zu sagen.
Patricia stand noch am Tisch, sie schüttelte den Kopf und fuhr mit ihren Fingern immer wieder von den Nebenleitungen zur Hauptleitung hin „So! Und nicht andersrum! Papa, Asger, ich bin nur 6 Kilometer von dieser Linie nach rechts gefahren. Müll und Fäkalien wo ich auch hin sahen. Ich fuhr zurück zu Hannes an den Bagger und war nur am heulen. Ich hatte bis zum Bagger noch den Gestank in der Nase gehabt. Ich habe Menschen gesehen, die Krank sind! Papa, du weißt, dass ich viele medizinische Bücher zu Hause habe, was ich live gesehen, ist ein Dreck gegen mich.“
Asger sah Bernhard und Hannes irritiert an. Hannes schüttelte wortlos den Kopf um ihm zu signalisieren – ist alles gut.
„Wie stellt ihr euch dies vor? Bernhard!“

Bernhard sah zu Asger, dann zu seine Tochter und schließen zu Hannes „Asger, jetzt lass doch mal Hannes sagen was er vor hat.“ „Danke, Bernhard. Die Menschen sind krank durch Bakterien, durch den Müll und wahrscheinlich auch durch Mangelernährung. Ich bin kein Fachmann für solche Fragen. Nur weiß jeder, dass Bakterien, insbesondere Hepatitis-E durch Kot übertragen wird. Der Müll und die Fäkalien müssen weg!“
Asger lachte laut auf „Willst du ein Müllauto dort hinschicken?“ Sagte er spitz an Hannes gerichtet.
„Asger!“ Sagte Bernhard streng.
Hannes nickte „Ja! Ja, Asger, dass will ich!“ „Junge, bekommt dir die Hitze nicht?“ Bernhard sah streng zu Asger.
Hannes nahm leicht Luft und sah die beiden Männer an „Heute kam der neue Bagger. Ein 26 Tonnen Bagger. Mit dem Bagger kann man ein 5 Meter tiefes Loch graben. Müll rein und anzünden. Ist nicht die Umweltfreundlichste Methode, aber besser als nichts. Zur Zeit liegt der Müll links und rechst der Hütten, also auch nicht gerade Umweltfreundlich. Im Mittelalter gab es Latrinen. Wir verwenden die größeren Wasserleitungen als Kanal zu einer Latrine oder auch mehreren. Diese graben wir tief genug, damit beim Monsunregen genügend Wasser zur Verdünnung da ist. Die Fäkalien versickern in den Boden. Bei mir im Hunsrück gibt es heute noch Ortschaften mit Sickergruben. Ich weiß nicht ob hier in der Gegend überhaupt so etwas wie Klärwerke sind oder wo das Abwasser hingeht.“

Schweigen in der Runde.
Bernhard sprach als erstes „Wenn dies die Umstände für all diese kranken Menschen sind, bleiben wenig Alternativen. Wer soll diese Arbeiten bezahlen?“ „Du hast doch die Kontakte zur Weltbank.“ „Ja, Hannes, die habe ich. Nur ist die Weltbank nicht für humanitäre Hilfe ausgelegt. Wir tun zwar etwas für diese Humanität, aber wie Asger schon sagte: eben den anderen Weg. Dies ist unsere Aufgabe und keine Klärgruben zu graben.“

Patricia stand vom zweiten Schreibtisch auf und ging zur Tür. Die Männer sahen sie fragend an. „Ich geh mal telefonieren. Noch etwas: Hannes hat mit allem recht was er sagt, wir müssen an der Basis anfangen und nicht am Ende.“ Sie gab ihm einen Kuss „Du bist nicht dumm!“

Die nächste halbe Stunde verlief schweigend im Büro. Asger sah durch das Fenster nach draußen und Bernhard immer wieder auf die Karte auf dem Schreibtisch. Hannes verabschiedete sich und ging zu Patricia. Sie telefonierte auf englisch. Er wusste wer am anderen Ende der Leitung war. Da dieses Gespräch mit aller Wahrscheinlichkeit länger dauerte, ging er duschen.

Die Klimaanlage schaffte eine angenehme frische in dem Raum. Er lag auf dem Bett und dachte an Zombie Land. Es klopfte an der Tür. Durch leichtes nicken des Kopfes signalisierte Patricia, dass er zur Tür gehen sollte. Es konnten ja nur zwei Bekannte Personen sein, dafür reichte als Kleidung ein T-Shirt und Boxershorts.

Es war Asger, der vor der Tür stand „Tut mir leid was ich vorhin gesagt hatte“ und reichte Hannes seine rechte Bratpfanne. Hannes schlug ein. Diese Entschuldigung hatte Hannes ihm gar nicht zugetraut „Asger, ich weiß was du denkst, da kommt ein Grünschnabel die ersten paar Tage nach Kambodscha und macht eure Arbeit schlecht“ „Könnt ihr bitte vor der Tür weiter reden? Danke!“ „Ich hab nur Unterhosen an.“ „Wird dir schon niemand etwas wegschauen und jetzt raus!“

Asger verzog die Mundwinkel, als Hannes die Tür zu zog „Dicke Luft?“ „Nein! Patricia redet gerade mit jemand von der UN.“ Asger zog die Augenbrauen hoch.
„Jep.“ „Hannes, es macht durchaus Sinn, was du vorhin gesagt hast. Ich teile auch deine Meinung, nur sei doch ehrlich, es ist nicht unsere Aufgabe. Wir buddeln, vermessen und verlegen Rohre.“
Hannes legte den Kopf schief und schaute diesen Bär von Mann an „Würden wir dies im anderen Fall nicht auch machen?“
Asger schlug ihm seine Pranke gegen die rechte Schulter „Du gibst nie auf. Komm mit auf mein Zimmer, ich hab noch etwas Bier da. Erzähl mal von dem Bagger und was ihr in den Ortschaften erlebt habt.“

Nach zwei Bier und allen beantworteten Fragen von Asger ging Hannes zurück zu Patricia. Sie legte in dem Moment das Mobiltelefon auf den Tisch, als er die Tür öffnete.
„Und?“ „Morgen fahren wir nach Phnom Penh und holen Hattie ab. Sie muss das sehen. Sie wird auch eine Kamera mitbringen um Fotos zu machen.“ „Ich dachte, wir fahren am Mittwoch. Dann müssten wir doch sowieso zum Flughafen.“ „Asger und Papa sind auch noch da. Einer von denen kann doch fahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Büro in Kâmpóng Trâbêk keiner ein Auto hat, um eventuell zum Flugplatz zu fahren um die beiden abzuholen. Hattie kann auch eine Nacht hier bleiben und wir fahren am Mittwoch nach Phnom Penh zurück. Où est le problème?“„Okay. Kein Problem, Madame, kein Problem. Lass uns morgen früh losfahren, dann sind wir zügig in Phnom Penh. Ich habe kein Bock auf dreieinhalb Stunden Fahrt für 180 Kilometer.“ „Ich geh zu meinem Vater und sage ihm, was ich mit Hattie besprochen habe. Kommst du mit?“ „Nee, ich leg mich ins Bett. Was ich heute gesehen habe, war ein realer Alptraum.“

Patricia kam spät von ihrem Vater zurück. „Mon chérie, wann möchtest du losfahren?“ „Zwischen 5.30 und 6 Uhr.“
„Okay, gute Nacht mein Schatz.“

Im dunkel in Südostasien zu fahren, kann mitunter Lebensgefährlich sein. Die Straßen sind nicht immer in einem guten Zustand. Hinzu kommen die Vehikel, die wenig oder gar kein Licht haben. Es kann ein Lkw mit Vollgas und dem Schein einer Funzel entgegen kommen oder ein Mofa welches wie ein Kirmesplatz beleuchtet ist und gerade mal 25 km/h fährt.
Der Straßenverkehr ist wie ein Lotteriespiel, dass aber leider sehr viele Tote fordert.
Hannes hatte all seine Sinne zusammen um die gewünschte Geschwindigkeit auch ohne Schaden fahren zu können.

Teil II Kapitel 1 Willkommen im Mittelalter

Der reale Wahnsinn

Willkommen im Mittelalter

„Du redest über Anthropologie wie andere über das Wetter“

Phnom Penh, Pochentong International Airport
Dienstag, 9. Januar 1990, 16.23 Uhr

Am Flughafen wurde die kleine Gruppe bereits von einem Mitarbeiter von Bernhard erwartet.
Bernhard ging auf einen Hünen von Mann zu und begrüßt ihn herzlich. Der Hüne stellt sich als Asger Joergensen vor. Asger kam aus Dänemark und war Anfang 50. Er war der Inbegriff eines echten Wikingers: groß und kräftig – aber nicht dick. Schwarze halblange Haare, kurzgeschnittener Vollbart, Hände wie eine Bratpfanne und eine Schuhgröße die einem Ruderboot gleichkamen.
Asger war in einer khakibraunen langen Baumwollhose und weißen T-Shirt gekleidet.
„Du bist also die Tochter von unserem Chef“ sagte Asger und beugte sich mit seinen über 2 Meter zu Patricia „Schön dich in Natura zu sehen.“ Patricia schaute nach oben und bedankte sich bei ihm. Asger war gute 40 Zentimeter größer als sie. Patricia konnte locker in seinem Schatten laufen.
Der Bär von Mann reichte Hannes seine rechte Bratpfanne. Der Händedruck war erstaunlich sanft „Dann bist du Hannes, über den schon so vieles erzählt wird.“ „Der bin ich. Hallo Asger, ich hoffe, es wird nicht all zu viel schlechtes über mich erzählt.“ „Im Gegenteil, nur gutes. Nur gutes! Männer mit deiner Einstellung brauchen wir. Kommt, lasst uns fahren.“

Direkt am Eingang zum Terminal hatte Asger einen weißen Toyota Pickup geparkt und verstaute das Gepäck auf der Ladefläche.
Hannes klebte bereits sein T-Shirt von den paar Minuten ihrer Ankunft auf der Haut. Die Schwüle machte das atmen nicht leicht.

Vom Flughafen fuhr Asger über die N3 Richtung Phnom Penh Zentrum. Links und rechts der Straße wurde alles verkauft oder repariert was man sich nur vorstellen konnte. Stände aus Wellblech, Plastikplanen oder Stroh säumten den Weg. Dahinter standen Häuser aus oft gleichem Material oder aus Steinen gemauert. Das Bild der Häuser links und rechts der Straße war ein großes Durcheinander. Hütte, zweistöckiges Haus, Hütte, dreistöckiges Haus, dann mal wieder Hütten und ein Haus, ein Geschäft oder Bank und so weiter. Es gab gar keinerlei Richtung in Form, Höhe und Beschaffenheit der Häuser. Es wurde gebaut wie wahrscheinlich das Geld vorhanden war: mal einfach, protzig oder gewaltig. Ein sehr surreales Bild. Ein Luxusgebäude stand neben einer Wellblechhütte.

In der Ferne sah man Hochhäuser im Plattenbau Stil oder modern mit Glasfassade. Der erste Eindruck von Kambodscha konnten Hannes und Patricia in zwei Wörter zusammenfassen: Unorganisiertes Chaos

Der Verkehr durch Phnom Penh war ein Alptraum. Alles was irgendwie beweglich war, tummelte sich auf dem Asphalt. Nach über eineinhalb Stunden kamen die letzten Außenbezirke von Phnom Penh in Sicht.
„Noch knapp 90 Kilometer bis nach Kâmpóng Trâbêk. Könnten wir in eineinhalb Stunden schaffen“ auf den fragenden Blick von Hannes, sprach Asger weiter „Wir sind in Asien, da ist alles langsamer.“

Die N1 von Phnom Penh nach Neak Loeung führte am Mekong vorbei. Es war grandios wie einer der längsten Flüsse der Welt sich seinen Weg von Tibet bis zum Südchinesischen Meer bahnte. Oft sah man von dem einen Ufer nicht das andere. Niemand kennt die Quelle von dieser gewaltige Lebensader für Südostasien. Die Wassermassen konnten bei Hochwasser schon mal 15 Meter über dem normalen Pegel liegen. Die Kraft vom Mekong ist so gewaltig, dass sogar einer seiner Nebenflüsse, bei Hochwasser, die Fließrichtung ändern. Dieses Phänomen ist einzigartig auf der Welt. Hannes konnte sich an diesem Fluss gar nicht satt sehen.


Im Büro in Kâmpóng Trâbêk

In Kâmpóng Trâbêk fuhr Asger von der N1 rechts ab und nach drei Straßenblocks links rein. Auf der rechten Seite war ein großes dreistöckiges Gebäude, welches von einer Mauer umgeben war und eine Fläche aus Beton in der Größe von einem Fußballfeld hatte.
„Herzlich willkommen im der Zentrale von ODHI in Kambodscha“ sagte Asger als er vor das Gebäude fuhr.
„Wow“ sagte Patricia „damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“ „Es war früher ein Hotel gewesen. Das Gebäude stand durch die Rote Khmer lange leer. Jean hatte vor Jahren das Gebäude günstig gekauft und seitdem ist es unser Büro“ sagte Bernhard.
Hannes und Patricia folgen Asger und Bernhard in das Gebäude. Trotz dem kurzen Weg vom Auto in die klimatisierten Räume, klebte erneut das T-Shirt auf der Haut.

Nach der Eingangstür stand eine halbrunde Theke in dem Raum und da hinter waren drei Frauen mit Büroarbeiten beschäftigt. Eine Frau die an der Theke stand begrüßte die Gäste auf französisch und verbeugte sich nach asiatischer Art leicht nach vorne.

Eine der anderen Frauen kam auf Bernhard zu und überreichte ihn einen Ordner. Auf französisch sagte sie „Hallo Bernhard, hier sind die neuesten Bauprotokolle der letzten drei Wochen. Schön, dass du wieder da bist. Ist dies deine Tochter?“ Ohne auf die Antwort von Bernhard zu warten, reichte sie Patricia die Hand „Hallo, ich bin Ah Leang Mëy.“ Patricia reichte Ah Leang Mëy die Hand „Hallo Ah Leang Mëy. Ich bin Patricia.“ „Mëy ist ausreichend. Ihr Europäer habt mit unseren Namen so manche Probleme bei der Aussprache. Es ist schön dich endlich persönlich zu treffen. Dein Vater hat so viel von dir erzählt.“
Ah Leang Mëy drehte sich etwas und sah zu Hannes „Du bist dann der neue Mitarbeiter für Bauabschnitt 3. Schön dich persönlich zu treffen. Stephane hat schon einiges über dich berichtet.“ Hannes nickte „Bonjour Mëy. Je suis Hannes.“

Nach der Begrüßung ging Bernhard nach links den Gang herunter. An der zweiten Tür klopfte er an und trat einen Augenblick später in das Büro. Asger kam als letztes in den Raum und schloss die Tür. Eine Frau, die im gleichen Alter wie Bernhard sein konnte, kam um einen übergroßen Schreibtisch auf die Gruppe zu.
„Moien Bernhard, Moien Asger. Schéin Iech all erëm ze gesinn.“
Die Frau reichte Patricia die Hand „Moien Patricia, ech sinn d’Eliane Mayers, de Büro Managerin. Schéin dech ze gesinn.
Moien Hanes, schéi Iech ze gesinn. Et freet mech. Wëllkomm zu Kambodscha.“
Eliane musste nicht sagen, dass die aus Luxemburg kam, man hörte es sofort.
„Braucht ihr noch etwas an Hygieneartikel oder sonstigen Dingen? In Phnom Penh bekommt man vieles besser zu kaufen als in den anderen Städten.“
Patricia und Hannes zogen bei der Frage von Eliane gleichzeitig die Schultern hoch. „Ich verstehe. Kommt erst einmal an. Es muss nicht am ersten Tag an alles gedacht werden.“
Bernhard und Eliane besprachen die letzten Bauprotokolle. Da Hannes noch gar nicht wusste um was es überhaupt ging, hörte er nur mit einem Ohr zu.

„Kommt mit, ich zeige euch das Gebäude. Was die beiden besprechen, ist für dich jetzt noch nicht so wichtig“ sagte Asger zu Hannes und Patricia.
Mit Asger gingen sie den Flur weiter runter und er sagte in welchem Raum wer arbeitet oder für was welcher Raum war.
Am Ende von dem Flur war eine Glastür die in einen weiten Anbau von dem Gebäude führte.
„Hier sind 16 kleinere Appartement für die Mitarbeiter. Wenn wir die rechte Treppe hoch gehen, kommen noch weitere Appartements. Noch sind nicht alle Bauarbeiten abgeschlossen. Geplant sind in den oberen Stockwerke größere Apartments. Aus ursprünglich 18 Zimmern wurden 6 Apartments. Das gleiche ist auch im dritten Stockwerk.“ „Das hier ist ein recht großes Gebäude für so wenig Leute“ sagte Hannes und Asger nickte.
„Stimmt. Im Erdgeschoss sind die Büros. Noch ist viel Platz im Haus, wird aber über längere Zeit voll werden. ODHI wird wachsen und dann könnte es eng werden. Phnom Penh ist sehr zentral und daher ist es auch sinnvoll das Büro hier in Kâmpóng Trâbêk zu haben. Für uns ist es blöd, da wir mit unserem Bauabschnitt am weitesten weg seid.“ „Du willst mir jetzt doch nicht sagen, dass du alle paar Tage nach Phnom Penh ins Büro fährst?“ „Gott bewahre! Nein! Wir habe bei uns im Hotel im Svay Rieng ein kleines Büro.“

Im Neak Loeang Commune Market

Nach dem Rundgang und dem Gespräch mit Eliane ging die Fahrt endlich weiter in Richtung Svay Rieng. In Phumi Banam fuhr Asger zum Neak Loeang Commune Market.
„Falls ihr noch etwas braucht, hier können wir noch einiges einkaufen. Hier ist es billiger als in den großen Mals in Phnom Penh oder den anderen Städten.“

DerNeak Loeang Commune Market war im Grunde ein große Lagerhalle mit drei Rolltoren und Blechregale. Hygieneartikel, Lebensmittel und Getränke konnte man für wenig Geld kaufen. Auf alle Waren war ein leichter Staubfilm zu sehen. Asger und Bernhard kaufen was sie brauchen oder in Svay Rieng fehlte. Patricia und Hannes sahen sich die Ware an und kaufen einiges an Hygieneartikel. Der Rest würde entweder fehlen oder man kaufte es in Svay Rieng.

Nach gut 20 Minuten war der Einkauf vollbracht und die Fahrt ging auf der N1 weiter Richtung Osten. Es waren noch knappe 80 Kilometer bis Svay Rieng.
Von Ochsenkarren, knatterten Mopeds, über völlig veraltete Traktoren aus der UdSSR bis hin zu alten Lkw aus Korea und Ostdeutschland oder Japan fuhr alles auf der N1.
Die Bilder die Hannes sah, konnte er mit nichts vergleichen, was er bis dahin gesehen hatte. Alles war alt, irgendwie zusammen gebastelt, geflickt oder geschweißt.


Ein Hotel mit Amboss Flair

Asger fuhr in Svay Rieng von der N1 links ab. Die Straße war nur noch halb so breit. Nach einem halben Kilometer fuhrt er rechts auf eine Betonpiste und nach 300 Meter war das Hotel auf der rechten Seite. Es war ein dreistöckiger grauer Plattenbau. Überall sah man den Kommunistischen Eingriff von China und der UdSSR.

Das Hotel hatte innen den gleichen Flair wie außen – kalt, grau und spartanisch. Mit Landschaftsfotos von 40×60 Zentimeter wurde in der Halle versucht, etwas Pepp in dieses Gebäude zu bekommen. Auch standen große Palmen in Plastikkübel in der Halle. Die 10 Sitzecken in der Halle erinnerten mehr an einen Bahnhof als ein Hotel. Die Rezeption war eine lange Theke in funierten Holz. So ähnlich muss es im SED Parteibüro ausgesehen habe, dachte Hannes.

Als Patricia und Hannes ihr Zimmer betreten, mussten sie erst einmal tief Luft holen. Es war ein dumpfer, modriger Geruch im Raum. Ein hellbraunes Bett, zwei Stühle, Tisch, Schrank und Kommode in gleicher Farbe war das Interieur von dem Zimmer. Ein vergilbtes Bild mit einer Landschaft aus Kanada hing an der Wand.

Patricia drehte sich zu Hannes und nahm ihn in die Arme „Mit etwas Aufwand bekommen wir das schon in den Griff“ sagte sie und gab ihm einen Kuss. „Mon chérie. Es ist nicht das was wir kennen, aber wir machen das beste daraus. Du bist bei mir und dass ist wichtig. Den Rest schaffen wir auch noch.“
Hannes nickte „Ich hatte dich vor sechs Monaten nie so eingeschätzt. Ich dachte immer, du bist Luxus gewöhnt und kennst nichts anderes.“ „Luxus? Was ist Luxus? Luxus ist, dass ich noch Lebe! Luxus ist, ein Mann an der Seite zu haben der mir Liebe schenkt. Alles andere sind nur materielle Dinge. Ich wage einen Blick ins Bad. Ich möchte duschen und dann schlafen.“

Das Bad war wie zu erwarten: trist, klein und geputzt. Sauber war etwas anderes. Es sollte für diesen Tag völlig ausreichend sein.
Auf dem Bett hielt Hannes Patricia fest im Arm. Die Klimaanlage ermöglichte eine angenehme Raumtemperatur und so schliefen beide kurze Zeit später ein.

Der erste Tag in Kambodscha hatte so viele krasse Eindrücke hinterlassen, dass es Hannes schwer fiel diese Bilder einzuordnen. Es war eine Mischung aus Chaos, Zerfall, Aufbau und Mittelalter. Ja, er hatte sich in der Schule für Außenpolitik interessiert und wie wichtig und nützlich diese sei. Nun war er in einem Land, welches sehr vom Kommunismus und Maoismus geprägt war und von vielen Staaten Hilfe verweigert bekam.


Mittwoch 10. Januar 1990

Beim Frühstück fragte Bernhard wie sie denn geschlafen hätten und ob das Zimmer in Ordnung gewesen sei? Nach dem Trip von Paris über Bangkok nach Phnom Penh und weiter nach Svay Rieng war schlafen in der Horizontale schon die reinste Erholung. Das Zimmer könnte man mit etwas Arbeit herrichten, sagte Patricia ihrem Vater.

Hannes fragte, ob er einen der drei Pickup’s bekommen könnte, Patricia möchte das Zimmer richtig sauber machen und bräuchte verschiedene Reinigungsmittel.
Mit dem Auto fuhren sie durch die Straßen von Svay Rieng. Zwar wurde links und rechts der Straße alles mögliche verkauft, aber nicht das, was Patricia suchte. Auf der linken Seite der N1 sah Hannes nach einigen hundert Meter ein Commune Markt. Ähnlich wie der in Neak Loeang.

„Djųmriab-sua“ sagten Patricia und Hannes beim betreten des Marktes. Wie beschreibt man Durcheinander und Chaos gepaart mit Staub und Dreck in einem Haus, welches aus Wellblech, Steinen und Plastikfolie bestand? Wenigstens gab es dort die Ware die Patricia suchte zu kaufen.


In der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule in Svay Rieng

Beim zurück fahren ins Hotel sah Patricia eine Schule, die Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule.
„Schatz, fahr hier bitte rein. Ich denke, dass ich hier Arbeit bekommen könnte.“

Hannes fuhr auf den Sandplatz von dem flachen grauen Plattenbau. Es dauerte einige Zeit, bis Patricia jemand fand, der Auskunft über ihr Anliegen geben konnte. Im verstaubten, mit Blechinterieur eingerichteten Büro vom Schulleiter, erklärte Patricia auf französisch und khmer, was sie vor hatte und wie sie helfen möchte.
„Lehrer werden immer gebraucht“ sagte ihr der kleine schmale Schulleiter, den Hannes auf etwas über 50 Jahre schätzte.
„Auf dem Land ist die Situation sehr dramatischer, da oft nur ein Lehrer für 40 Kinder an eine Schule ist. In manchen Regionen ist die Situation so schlecht, dass es gar keine Schulen mehr gibt. Ich bin dankbar für die Unterstützung von dir. Du bist jung und offensichtlich auch sehr motiviert. Trotzdem sollte du dir überlegen, ob du nicht besser auf dem Land deine Hilfe eingesetzt könntest.“ „Wie? Ich bin erst seit einem Tag in Kambodscha.“ „Fahr nach Phnom Penh. Dort ist das Documentation Center of Cambodia. Stell dich dort vor. Dies ist ein privat geführtes Center und setzte sich seit einigen Jahren für die Aufarbeitung des Bürgerkriegs ein und hat auch einen Schwerpunkt auf der Bildung. Die können dir bestimmt weiterhelfen.“
Patricia sah den Schulleiter resigniert an. „Sei nicht mutlos. Wir brauchen Lehrer und davon viele und am besten schon seit gestern. Du bist eine kluge junge Frau und ich sehe deinen Ehrgeiz in deinen schönen Augen. Komm morgen früh vorbei und ich gebe dir ein Empfehlungsschreiben mit. Ist dies ein Wort?“
Patricia nickte und bedankte sich für dieses Gespräch und Informationen.
Hannes und Patricia verabschiedeten sich von dem Schulleiter.

„Sag mal, woher kannst du so viel khmer?“ „In der Zeit die du mit Claude Billard spielen und Bier trinken warst, habe ich gelernt“ sie knuffte ihn gegen den Arm.

Zurück im Hotel, saß Asger und Bernhard in dem kleinen Büro im ersten Stock und hatten einen Berg an Unterlagen vor sich. Vermessungspläne mit Querschnitten vom Gelände in Höhenangaben, geographische Pläne und Baupläne von kleinen Gebäude. Hannes schaute kurz auf diese Pläne und fragte, wie den die Höhenunterschiede der Wasserleitungen ausgeglichen würden. „Du kannst solche Pläne lesen?“ Fragte Bernhard erstaunt.
„Natürlich, ich hatte dies in der Berufsschule gelernt. Sollte ich als Spezial-Tiefbau-Facharbeiter schon können.“ „Macht nun einiges leichter“ sagte Asger und lächelte.
Hannes erzählte den beiden, dass sein Vater Baumaschinenschlosser und Mechaniker sei, und er in dieser Baufirma gelernt hatte, in der sein Vater arbeitet. Es wurde von seinem Chef vorausgesetzt, dass er, als Sohn, all diese Geräte fahren und bedienen konnte.
„Sehr gut, macht einiges leichter“ kam es nochmal von Asger. „Was kannst du fahren?“ „Bagger, Raupe, Walze, Radlader, Straßenfertiger… Eigentlich alles was ein Motor hat.“ „Perfekt! Nun können wir endlich schneller arbeiten“ sagte Asger zu Bernhard. Hannes sah etwas verwirrt zwischen beiden hin und her.

Patricia wollte nun auch endlich zu Wort kommen und erzählte von dem Treffen mit dem Schulleiter der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule und den Vorschlag das Documentation Center of Cambodia in Phnom Penh zu kontaktieren. „So ist meine Tochter, immer gleich und sofort. Ich wäre morgen sowieso mit dir nach Phnom Penh zum MoSAY, dem kambodschanischen Sozialministerium, gefahren um abzuklären, in wieweit Hilfe Koordiniert und bezahlt wird. Auch haben wir morgen noch einen Termin im Büro der UN. UNICEF ist an eurem Engagement interessiert.“
Patricia schaute ihren Vater mit großen Augen an „Warum sagst du mir das erst jetzt?“ „Zum einen bist du heute früh gleich abgedampft um Reinigungsmittel zu kaufen, zum anderen weiß ich über die Zusage von der UN auch erst seit zweieinhalb Stunde. Das Fax kam nicht nach Frankreich, sondern lag hier im Hotel in meiner Ablage. Mit dem MoSAY tu‘ ich mit etwas schwer, da die Korruption in Kambodscha sehr hoch ist, weiß ich nicht, in wieweit dies ein guter Arbeitgeber für dich sein könnte. Von dem Documentation Center of Cambodia habe ich kein Kenntnis.“
Hannes meldete sich zu Wort „Bernhard, du sagtest eben „eurem“ Engagement, mich betrifft dies nicht. Patricia will Kinder unterrich…“ „Was ist dein Traum? Was hast du mir im Garten über Bildung gesagt? Wer hat in Reims vom durchbrechen der Spirale gegen Armut gesprochen? Hannes, wenn ich euch sage, dann meine ich dies auch so!“ „Bernhard…“ Hannes sah hilfesuchend zu Patricia „Ich kann dies nicht. Ich bin kein Lehrer. Ich bin nicht klug und habe schon gar…“ „Kein Abitur. Ja, wissen wir mittlerweile alle. Mon chérie, ich sagte dir schon einmal, eine Zahl auf einem Stück Papier beurteilt keinen Menschen nach dem was er kann und fähig ist zu leisten. Gut, dann geh‘ ich jetzt unser Zimmer putzen.“
Patricia gab ihm einen Kuss, wuschelte seine Haare und marschierte mit Waschmittel bepackt aus dem kleinen Büro.


Die Anthropologie sitzt im Schatten mit einer Wollmütze

Die drei Männer fuhren zu der Baustelle, um den Fortbestand der Arbeit zu begutachten. Hannes saß auf der Rückbank und genoss die kühle Luft der Klimaanlage im Auto. Sein Hirn machte mal wieder eine Achterbahnfahrt. Für Bernhard schienen die vorhin gesprochene Worte selbstverständlich zu sein. Er wollte jetzt dazu nicht sagen oder traute sich nicht es noch einmal anzusprechen.

Asger fuhr aus Svay Rieng in Richtung Süden raus. Nach ca. 10 Kilometer endete der Asphalt der Straße 334 und der Pickup fuhr über Lehmpisten ins nirgendwo. Vorbei an Mais- und Zuckerrohrfelder bog Asger irgendwann rechts ab. Die Piste war so schlecht, dass der Allrad angetriebene Toyota oft mit dem Bodenblech aufsetzte. Nach 15 Minuten fahrt auf dieser Folterpiste war der Pickup am Ziel.

Als Hannes aus dem Auto stieg, kam ihm diese wahnsinnige Schwüle wie ein Hammerschlag ins Gesicht.
Eine Handvoll Arbeiter waren mit langärmligen Hemden und Wollmütze an dem kleinen Pumpenhaus am arbeiten. Ein sechs Jahre alter 16 Tonnen Caterpillar 215 Kettenbagger war auf der Baustelle vorhanden. Der Baggerfahrer hob einen Graben von etwa 2 Meter Tiefe und 1,50 Meter Breite, auf einer Länge von 20 Meter aus.
Hannes sah die Sohle von dem Graben und verdrehte die Augen „Schaut euch mal diese Sohle an. Das ist eine Berg- und Talbahn – aber kein Graben. Da sollen zwei Hauptwasserleitungen vernünftig verlegt werden?“ „Die können es nicht besser“ sagte Asger.
Hannes schüttelte den Kopf „Mit dem 60 Zentimeter breiten Löffel dauert dies ja ewig, bis der Graben ausgehoben ist.“ „Bestellt ist das schon lange. Leider sind zuviele Schreibtische dazwischen.“ sagte Bernhard und zog die Schultern hoch.
„Okay. Auch mit einem 60 Zentimeter breiten Baggerlöffel kann man eine vernünftige Sohle baggern.“ „Die können es nicht besser“ wiederholte Asger.
„Asger, dies sagtest du bereits. Dann sollte man es dem Baggerfahrer doch sagen oder zeigen.“ „Dann mach. Du sagtest, du kannst Bagger fahren. Dann fahr du.“
Hannes sah den Bär von Mann an und wusste nicht was er sagen sollte.
„Dann zeig dein Können, oder hast du es nur gesagt?“ Forderte Asger ihn heraus.
Hannes ging zu dem Baggerfahrer und sagte ihm, dass er den Bagger fahren möchte. Der Fahrer kam Barfuss über die Kette herunter und war etwas irritiert, dass ein Europäer seinen Bagger fahren wollte.

Hannes musste sich erst mit den Hebel der Hydraulik vertraut machen. Es gibt bei den Herrsteller von Baumaschinen keine verbindliche Steuerung der Hydraulik. In Deutschland fuhr er öfter einen Liebherr Bagger, dieser hatte die Steuerung fast gleich wie der Caterpillar, lediglich das öffnen und schließen vom Baggerlöffel war ein anderer Hebel. Nach ein paar Minuten wusste er, wie die Steuerung funktionierte. Mit dem Kettenfahrwerk fuhr er über den Graben bis zum Pumpenhaus. Asger nivellierte die Tiefe vom Pumpenhaus zum Graben.
„Passt fast. Der Graben muss 10 Zentimeter tiefer. Das Fundament von dem Pumpenhaus ist bei 2,30 Meter Tiefe. Der Ausgang bei 2 Meter. Da müssten auch die zwei Wasserleitungen hin. Bei einem Wassersruck von fast 4 Bar am Ausgang der Pumpe, sollten die Rohre schon dort liegen.“

Hannes fing an zu baggern und zog eine vernüntige Sohle. Natürlich war er sich vom Augenmaß unsicher und bat Asger, vielleicht etwas zu oft, die Tiefe zu messen. In dem fast 30 Meter lagen Graben lag nun eine ordentliche Sohle.
Hannes zeigte dem Baggerfahrer nun, wie er die Baumaschine bedienen sollte und wie die Tiefe von dem Graben in regelmäßigem Abstand gemessen wurde. Wenn beim baggern große Steine kämen, sollte er diese weiter von dem anderen Grund legen.
Mit drei Helfer rollte Asger nun die je 8 Meter langen 24 Zoll PVC Wasserrohre in den Graben.
Bernhard wollte die Rohre einen Meter in das Bauwerk haben „So haben wir immer genügend Spielraum für die Pumpen. Lieber 20 Zentimeter vom Rohr abschneiden, als 2 Zentimeter zu kurz.“ „Ich habe für die nächsten Rohre zu verlegen keinen Widerstand. Ich mache auf die Rohre nun Sand und Erde drauf“ sagte Hannes.
Auf einer Länge von 5 Meter schaufelte er die Rohre zu.
Die Arbeiter brachten die nächsten beide Rohre. Hannes zeigte den Bauarbeiter, wie diese Rohre mit einer Spezialpaste an der Muffe richtig eingerieben wurden, dann kamen die anderen PVC Rohr an die Muffe, mit einer langen Eisenstange drückten sie mit 2 Männer die Rohre zusammen. Gleiches mit den anderen Rohr rechts daneben. Mit dem Baggerlöffel ließ er drei Mal Erde auf die Rohre fallen und verteilte diese während er den Baggerlöffel leerte. Auf einer Länge von 3 Meter lag nun Sand und Erde damit die Wasserleitungen beim zuschütten nicht verrutschen konnen. Immer hörte er von den Bauarbeiter
„Tsssss, tsssss, tsssss.“
Was die Männer ihm damit sagen wollten, wollte er nicht fragen. Könnte heißen: Oh,- so haben wir dies noch nie gemacht. Ist ja wunderbar, geht so viel einfacher, oder sieh mal an, so ist die Wasserleitung auch dicht.
Tsssss, tsssss, tsssss, war im doch etwas unsicher, also den Graben um weitere 25 Meter ausheben. Die Bauarbeiter rollen wieder PVC Rohre in den Graben. Gleiche Arbeit wie zuvor auch. Die nächsten beiden Rohre kamen in den Graben. Nun sollte Asger ein Kantholz hochkant an die Rohre stellen. Hannes drückte mit dem Baggerlöffel leicht dagegen. Nun hatte er die Sicherheit, dass die Rohre fest mit einander verbunden waren.
„Tsssss, tsssss, tsssss.“ „So wird es richtig gemacht. Ich möchte nicht wissen, wie die schon verlegten Leitungen in der Erde liegen. Was ist mit, tsssss, tsssss, tsssss gemeint?“ „Irgendwie alles. Die Kambodschaner benutzen dies ständig. Siehst du Hannes, dies ist Asien, wir könnten mit allem viel schneller sein, wenn bei den Arbeiter eine Motivation dahinter stehen würde und sie auch wüssten, was sie arbeiten.“ „Dann müsst ihr denen dies zeigen.“ „Ich kann kein Bagger fahren – du schon.“ „Ich bin ja jetzt da. Wie kann man bei dieser Hitze eine Wollmütze tragen?“
„Soll angeblich vor der Hitze schützen. Ich werde definitiv bei dieser Hitze keine Wollmütze aufsetzen“ gab Asger als Antwort.


Ein Wasserbau Projekt von über 180 Kilometer Hauptwasserleitung

„Wie groß ist der Abschnitt überhaupt, der hier gemacht werden soll?“
Bernhard zeigte auf den Plan „Der Beginn ist in Cău Strung Melch. Dort ist ein Nebenfluss vom Mekong und wir haben das erste große Pumpenhaus fertig. Ab da geht die Wasserleitung bis zur Stadt Bavet Leu, an die Grenze zu Vietnam. Die Hauptstrecke sind fast 170 Kilometer lang. Dann kommen noch die ganzen Pumpen dazwischen und von dort links und rechts der Hauptleitung noch mal 20 bis 30 Kilometer in die Dörfer. Unser Projekt ist das komplette Gebiet südöstlich von der N1, vom Mekong bis nach Vietnam ist dies sehr trocken. Landwirtschaft ist nur mit Pflanzen möglich, die kaum Wasser brauchen und der Mensch braucht schließlich auch Wasser. Also ein Projekt das noch lange braucht. Du siehst die Geschwindigkeit der Arbeiter. Eigentlich wollten wir in drei Monaten die Ortschaft südlich von hier verbinden. Ich bin am Abschnitt 1, bei dem großen Pumpenhaus mit 20 Bauarbeiter und 4 Leute von unserer Firma. Eliane Mayers ist die Chefin für das ganze Projekt. Roman Welter ist Hochbauarchitekt und kümmert sich zur Zeit um den Tiefbau in meinem Bauabschnitt. Beide kommen aus Luxemburg. Ferdinand Gerber und Jonathan Pilcher kommen aus Österreich. Beide sind Hochbauer. Sie kamen drei Tage vor uns an. Bei Kor An Doeuk beginnt Abschnitt 2. Da ist der Leiter ein Belgier, Arthur Vermeulen – auch Architekt. Er hat 15 Bauarbeiter aus Kambodscha, zwei Belgische Tiefbauer und einen Engländer in seinem Team. Asger ist Abschnitt 3. Cees de Groot kommt aus den Niederlanden und Luan Bernasconi aus der Schweiz. Sie kommt erst in den nächsten Tagen in Phnom Penh an. Cees und Luan sind gute Handwerker für Hoch- und Tiefbau. Das ist unser kleines Team. Du kannst hier bei Asger bleiben. Ihr habt ja immerhin das größte Gebiet, oder willst du mit zu mir an Abschnitt 1 kommen?“ „Nee, Hannes ist cool, der bleibt bei mir“ wurde von Asger beschlossen.
„Lasst und noch von dem Pumpenhaus die nächsten 500 Meter Graben vermessen. Mit drei Mann sind wir schnell durch damit. Weißt du wie das geht?“
Hannes nickte Bernhard zu „Ja, ich hab dies in der Ausbildung gelernt. Wer macht den Vorblick? Wo kommt der Wechselpunkt hin und wer ist der Rückblick? Wo ist der erste Punkt und wo willst du hin?“
Asger nickte anerkennend „Dein Schwiegersohn weiß wie es geht!“

Asger entfaltete den Plan für diesen Abschnitt und erklärt, wo die Wasserleitungen verlegt werden. Bernhard ging zu der eben verlegten Wasserleitung um den Ausgangspunkt zu markieren. Asger machte sich mit dem Nivelliergerät und Hannes auf den Weg nach Osten. Nach guten 250 Meter baute er das Nivelliergerät auf. Hannes ging in die ihm gesagte Richtung nochmals 250 Meter nach Osten. Nun musste er 50 Meter nach links gehen, damit Asger den Schlusspunkt für diese 500 Meter setzten konnte. In der Messklatte wurden die Höhen von den Punkt dokumentieren. Da nun die Höhenmeter bekannt waren, fing Hannes an den Weg zurück in Richtung Asger mit Holzpfosten zu markieren und alle 50 Meter wurde eine neue Höhenangabe auf die Messklatte und Holzpfosten geschrieben. In Richtung Bernhard wurde das gleiche gemacht. Nur mit der Vermerkung „Rückblick“. Schnell war die Strecke vermessen und abgesteckt. So hatten die paar Bauarbeiter für die nächste Zeit ihre Arbeit.


Von Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht

Der Pickup holperte den Pfad zurück in Richtung der 334. Hannes saß auf der Rückbank. Ihn beschäftigten einige Gedanken „Ich verstehe die Arbeiter nicht. Es ist doch zu ihrem Wohl das Wasser verlegt wird. Es ist doch ihr Lebensstandard der dadurch erhöht wird.“
„So denkst du, Bernhard und ich. Nur was willst du tun, wenn bei denen die Motivation fehlt? Mit der Peitsche sie antreiben? Es ist eine andere Kultur! Hannes, was waren wir in Mitteleuropa für eine Kultur vor – ich sag mal, 3000 Jahren?“
„Asger, wenn du so weit zurück gehst, würde ich sagen, unsere Kultur hat sich, bis zu deiner genannten Zahl, vom Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht gewandelt. Wir wurden sesshaft und haben die Gebiete erschlossen, in denen wir lebten. So hatte Europa schon in der Antike angefangen sich zu entwickeln. Brücken, Staudämme, Straßen, Burgen und Festungen wurden gebaut. Auch die Kraft von Wasser und Wind wurde schon sehr früh genutzt. Ist das so in etwa was du hören wolltest?“
Asger nickte nach rechts über die Schulter und sah Hannes kurz an, bevor er wieder den Blick auf die Piste richtete.
„Ist es! Mit deinen 20 Jahren, hast du eine sehr gute geschichtliche Kenntnis. Ich denke dann muss ich dir auch die Kultur in Südostasien nicht erklären – du weißt es.“ „Danke. Jäger und Sammler, würde ich sagen. Sie jagen heute und haben für die nächste Zeit ausgesorgt. Sammeln das was sie heute und morgen brauchen und setzten sich dann mit Wollmützen in den Schatten. Die kontinuierliche Arbeit und Fürsorge für Tiere fehlt hier. So ist es auch mit der Landwirtschaft. Es müssen Vorbereitungen gemacht werden um etwas zu Ernten. Ich sehe links und rechts doch Felder, auch sie haben Vieh. Also wissen sie doch wie es geht. Ganz verstehen kann ich es immer noch nicht. Sie haben doch Häuser und eine Infrastruktur über Jahrhunderte aufgebaut. Immerhin war Angkor vor tausend Jahren die größte Stadt der Welt. Da hat es New York noch nicht gegeben. Die Khmer hatten eine Hochkultur welche in Südostasien ziemlich einmalig war.“
Bernhard drehte sich vom Beifahrersitz zu ihm um „Bis du sicher das du nicht besser Anthropologie und Ethnologie studieren würdest?“„Entschuldigung, ich wollte euch nicht mit meinen Gedanken zutexten.“ „Ist alles gut! Du hast einen wirklich brillanten Verstand. Du machst dich nur selbst immer so klein. Ich erinnere mich, als wir nach Reims gefahren sind und du so vieles über die Maginot-Linie und Verdun wusstest. Die Gespräche mit dir sind eine Wohltat für jede Unterhaltung.“ „Merci beaucoup.“

Ein Hotelzimmer wird wohnlich

Am Spätnachmittag waren die drei Männer im Hotel angekommen. Patricia hatte das Zimmer geputzt wie es wahrscheinlich noch nie geputzt wurde. Es roch viel besser und alles sah sehr ordentlich aus.
Auch das Bad hatte eine komplette Grundreinigung erhalten.
„Salut Prinzessin, das Zimmer ist gar nicht mehr wieder zu erkennen! Sieht sehr gut aus. Wo kommen die neuen Decken und Fotos her?“ „Merci. Ich hab mir ein Motorrad geborgt und bin in der Stadt herum gefahren. Ich habe sogar ein großes Kaufhaus gefunden. Groß das Gebäude und – na ja, der Warenbestand zeigt die sehr große Not in dem Land. Ich wollte neue Bettwäsche haben. Ich weiß nicht wer vor uns in dem Bett geschlafen hatte. War gar nicht so einfach die hier zu kaufen. Was bei uns ein ganz normaler Zustand ist, ist hier eine Herausforderung.“

Es klopfte an der Zimmertür. Bernhard trat ein und bedankte sich für das überaus saubere und geputzte Zimmer von ihm. „Gerne doch. Mon cher père. Ich wollte bei Asger nicht einfach so ins Zimmer gehen. Ich kann ihn aber gerne mal fragen.“ Bernhard setzte sich an den kleinen Tisch, er wollte etwas sagen. Hannes rechnete schon mit dem Schlimmsten.
„Ich habe mir vorhin deine Gedanken, die du auf dem Rückweg sagtest, mal durch den Kopf gehen lassen. Du hast unglaublich viele und gute Ansätze gesagt“ Patricia saß auf dem Bett und hörte zu, was ihr Vater zu ihm sagte. „Gerade was die Anthropologie betrifft könntet ihr beide mit euren Ideen neue Wege finden für eben die fehlende Motivation der Menschen hier.“
Patricia sah Hannes mit großen Augen an „Papa, hab ich irgendwas verpasst?“
Bernhard nickte seiner Tochter zu „Vielleicht. Auch wenn Hannes oft sagt, er sei der Klassenkasper gewesen, hat er ein großes Allgemeinwissen und macht sich über Anthropologie und Ethnologie sehr viele Gedanken. Wir können und wollen anderen Kulturen nicht mit Gewalt unsere Kultur aufzwingen. Dies hat bei den Kreuzzügen schon nicht funktioniert. Wir könnten aber einen kleinen Motivationsschub erreichen.“ „Bernhard, wie soll dies geschehen? Es sind doch nur meine Gedanken gewesen. Hätte ich eine Lösung, wäre mir ein Nobelpreis sicher.“ „Dafür bin ich jetzt hier. Patricia möchte deinen Traum von Bildung an Kinder umsetzen, dies gepaart mit Motivation, Kontinuität und Verantwortung der Menschen in diesem Gebiet, wäre Kambodscha – vielleicht auch Südostasien, nicht mehr zu abhängig von Ausländischer Hilfe. Mir ist bewusst, dass so etwas nicht in einem viertel Jahr geschehen kann, aber auf längere Sicht“ er sah Hannes und Patricia an „macht euch mal Gedanken darüber.“

Patricia lag rechts von ihm im Bett und kraulte seine Haare „Anthropologie und Ethnologie? Sag mal, über was redest du wenn ich nicht dabei bin? Ich weiß, dass du permanent am denken bist. Bin nicht ich es oder unser Haus, ist es offenbar die Anthropologie. Dein Hirn muss doch permanent Dauerbelastung laufen. Wir kennen uns nun über sechs Monat, bald sind es sieben, ich habe selten erlebt, dass du einfach mal an nichts gedacht, oder dir über etwas Sorgen gemacht hast.“
Hannes sah sie traurig an „Du hast ja recht. Mir ist vieles zu schnell. In den letzten sechs Monaten hab‘ ich mit dir mehr erlebt, als manche in ihrem Leben nie erreichen oder erleben werden.“
Patricia schüttelte den Kopf „Chérie, es war kein Vorwurf gegen dich. Im Gegenteil. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so viel am denken ist wie du. Selbst beim schlafen kannst du nicht abschalten.“ „Ist dies so?“
Patricia nickte „Ja. Wie ich schon am Flugplatz gesagt habe, wünschte ich mir, in dein Gehirn zu schauen.“ „Naja, was ich jetzt denke, kann ich dir sagen. Niemals dachte ich nach Kambodscha zu gehen. Da bin ich nun. Ich dachte, ich mache hier den Handlanger. Nun bekomme ich Pläne von Bauabschnitten gezeigt und erklärt. Ich werde gefragt und gebe Antworten, bei denen andere Leute sich darüber Gedanken machen. Mein Traum an Bildung für Kinder wurde ganz offensichtlich an die UN weitergetragen. Patricia, diese Geschwindigkeit ist atemberaubend und ich habe Angst das ich falle.“
Patricia gab ihm einen Kuss „Du fällst nicht. Du nicht! Dein ganzes Handeln ist so aufgebaut. Selbst wenn du fällst, stehst du sofort wieder auf. Du bleibst nicht liegen. Ich bewundere dich sehr dafür. Du sagst, du bist nicht schön, nicht klug und nicht reich. Dies ist völliger Unsinn! Du redest über Anthropologie wie andere über das Wetter und du sprichst tagelang mit Peter über Themen, die ich in der Schule auf auf ein paar Seiten gelesen habe. Ich liebe dich, so wie du bist und Reichtum an materiellen Dingen, kann morgen schon vorbei sein. Reich an Liebe, Charakter und Verstand bleiben immer. Ich mag deine Grübchen beim lachen, deine blauen Augen wenn sie strahlen, die Fürsorge mir gegenüber und deinen Charakter. All dies hebt dich von 5 Milliarden Menschen ab.“


Außenpolitik in einer Hotellobby

Am Abend saß die kleine Gruppe bei Wasser, Softdrinks und Bier in der kleinen Halle vom Hotel und hatten endlich mal die Zeit, sich richtig kennen zu lernen.
Asger erzählte viel von sich. Er sei 20 Jahre auf einem Frachter auf großer Fahrt gewesen und hatte irgendwann das Seeleben satt. Hannes war seit einigen Jahre von den Legendären P-Flyer, der Hamburger Reederei F. Laeisz fasziniert, so waren sehr schöne Gespräch über die Peking, Padua, Pamir und natürlich der Preussen entstanden. Patricia und Bernhard wussten nicht im Ansatz um was es ging. Asger war ein sehr angenehmer Mann. Von seiner Art, die Ruhe wie er etwas erklärte und seine Ausstrahlung erinnerte er ihn an seinen Vater. Hier in Kambodscha hatte Hannes einen Vaterersatz gefunden und die nächsten Monate würden dann nicht ganz so schlimm werden.

Später am Abend wurde Asger dann doch sehr persönlich „Ich hatte vor Jahren eine Thailänderin kennengelernt. Wir haben geheiratet und ein paar Jahre später einen Sohn bekommen. Es war alles super. Urlaub in Thailand gemacht und zwei Jahre nach der Hochzeit hatte ich ihr ein Haus in Thailand gebaut. Es sollte mal als Alterssitz gedacht sein. Dann gab es immer mehr Konflikte in der Ehe und irgendwann konnte und wollte ich nicht mehr. Mein Verdienst war ihr auf einmal nicht mehr genug, obwohl sie alles an Wünschen von mir bekommen hatte. Ich sagte nie Nein und trotzdem war es nicht genug. Dann begann ein Scheidungskrieg und ich ging weg. Ich flog nach Thailand in mein Haus und suchte mir Arbeit. Über viele Umwege kam ich dann zu ODHI und so bin ich in Asien geblieben. Zwei Jahre später schenkte ich meiner Frau unser Haus und ich kaufte mir ein eigenes Haus in einem Village in Chon Buri. Die Stadt ist nicht weit von Bangkok weg, liegt am Meer und das Village ist abgesichert. Wenn ich zwei oder drei Monate hier in Kambodscha bin, weiß ich, dass mein Haus bewacht und gesichert ist.“ „Du gehst gar nicht mehr nach Europa?“ Fragte Patricia erstaunt.
„Was soll ich dort? Patricia, ich bin nun seit sieben Jahren in Thailand, bzw. Kambodscha. Was fehlt mir den hier? Ich arbeite seit vier Jahren in Kambodscha. Ich helfe dieses Land aufzubauen, dies ist durch die politische Lage nicht ganz einfach. Hilfe ist wichtig um dem Land eine neue Chance zu geben. Das Geld was ich hier verdiene, ist in Asien ein fürstliches Gehalt. In Dänemark besser als der Durchschnitt. Schaut euch doch an! Wie fertig, kaputt und übermüdet ihr in Phnom Penh angekommen seid. Dies wollt ihr euch alle drei Monate antun? Bei deinem Vater kann ich es erstehen. Er hat Familie in Frankreich. Ihr beide habt euch und könnt doch machen was ihr wollt“

Patricia sah Hannes mit diesem „er hat recht“ Blick an.
„Es ist euer erster Einsatz, vielleicht kommt in zwei oder drei Wochen die Erkenntnis das dies nicht eure Welt ist und ihr zurück nach Europa wollt. Ihr werdet nicht die ersten und letzten sein. Was du und Hannes vor habt, glaube ich fest daran, dass ihr es auch durchzieht.“ „Asger, nun mach mal langsam. Wir sind jetzt den dritten Tag in Südostasien. Wir haben Freunde, Familie in Deutschland und Frankreich“
Asger sah Hannes fordernd an „Welche Freunde, Hannes? Die die sagen sie kommen dich besuchen und immer kommt etwas dazwischen oder die Freunde, die du einmal im Jahr beim Geburtstag siehst?“
Konnte Asger gerade seine Gedanken lesen?
„Freunde oder Menschen mit den ihr gerne zusammen kommt, findet ihr auch hier. Ihr beide seit offen, freundlich und gebildet, da habt ihr doch keine Probleme andere Menschen zu treffen und kennenzulernen.“ Patricia nahm die Hand von Hannes und nickte.
„Schaut, Kambodscha hat durch den Genozid ein viertel seines Volkes umgebracht. In 3 Jahre, 8 Monate und 20 Tage hat die Rote Khmer 2,2 Millionen Menschen ermordet. Es gibt auch Schätzungen die auf 3 Millionen kommen. Niemand weiß es genau. Kann sein, dass wir beim graben für ein Pumpenhaus auf ein Massengrab stoßen. Kambodscha war vor dem Bürgerkrieg ein Land mit dem höchsten Lebensstandard in Südostasien! Heute kann es sich nicht einmal selbst Ernähren. Das Land ist bettelarm und der Analphabetismus ist mit der höchste auf der Welt. Patricia, so viele Lehrer gibt es gar nicht um diesem Volk wieder Bildung beizubringen. Ich habe vor euch den allergrößten Respekt! Dein Vater und ich verlegen nur Wasserleitungen, dies kommt nicht annähernd an euer Vorhaben ran.“
Hannes beschwichtigte Asger „Komm, Asger, nun ist aber gut! Durch euch sind wir überhaupt in der Lage hier zu sein und Wasser ist ein Grundrecht für jeden Mensch auf der Welt. Wissen alleine ernährt keine Menschen, er braucht auch das Wasser zum leben. Natürlich ist es mein Traum, die Bildung für Kinder zu verbessern. Kinder sind unsere Zukunft. Sie können mit Bildung mehr erreichen als deren Eltern es heute tun. Dazu gehört aber mehr als Bücher. Nachhaltige Perspektiven sind wichtig. Da zählt dein, Ich-verlege nur-Wasserleitungen, ganz oben dazu. Wir alle sind hier um diese Welt zu verbessern.“
Patricia gab Hannes einen Kuss, Asger schlug ihm seine rechte Bratpfanne gegen den Oberarm „Hannes, du bist schon cool! Bernhard kann mit recht stolz auf einen solchen zukünftigen Schwiegersohn sein.“
Bernhard sprach in die Runde „Die Außenpolitische Probleme von Kambodscha, führten zu einer Ablehnung der meisten Staaten in Europa, sowie der ASEAN-Staaten um diesem bis auf den Grund gebeutelten Land Entwicklungshilfe zu geben. Einzig Frankreich und Irland enthielten sich der damaligen UN Abstimmung. Darum ist Frankreich heute hier. Dies hat auch etwas mit der früheren Kolonialzeit zu tun. Die Europäische Gemeinschaft, die UN, USA und die ASEAN-Staaten bestimmten mit ihrer Haltung und Politik zu einem Abwärtstrend in diesem Land. Lediglich China und die UdSSR beteiligten sich an dem Aufbau. Die Infrastruktur ist sehr östlich geprägt. Erst vor vier Jahren, Asger war somit einer der Pioniere in diesem Land, wurde ein Entwicklungshilfe Kommissar von der EG eingesetzt. Dadurch wurde eine Flüchtlings Übereinkunft mit Staaten in Europa geschaffen. Auch gibt es insgesamt 11 Aufbauprojekte in Kambodscha. Wir sind eines davon. Direkte bilaterale Unterstützung gibt es zu wenig. Hannes, du sagtest mir am Geburtstag von Patricia, dass Außenpolitik viel bewirken kann. Kann sie – positiv wie auch negativ. Wir erleben die Außenpolitik der Welt an der Basis. Wir sind nur ein kleines Rad in der großen Weltpolitik, die über Hilfe oder Sanktionen bestimmt. Wer meint, dass Entwicklungshilfe einfach mal so gemacht werden kann, täuscht sich sehr. Ihr beide habt dies von Anfang an begriffen.“
Patricia gab Hannes einen Kuss, schaute ihren Vater und Asger an „Wir sind nur ein kleines Rädchen, ein kleiner Teil in einer mächtigen und riesigen weltumspannenden Maschinerie und geben uns alle Mühe, anderen Menschen zu helfen.“
Alle nickten bei den Worten von Patricia.


Das erste Treffen mit der UN

Es war eine Wohltat in einem nun sauberen und geruchsfreiem Zimmer zu schlafen. Das Bett fühlte sich viel besser an. Patricia fühlte sich besser an. Sie saß im Reitersitz auf ihm. Küsste und wuschelte sein Haare. Diese kleine quirlige Person war schon etwas ganz besonderes! Diese Kraft, Ausdauer und Hartnäckigkeit, gepaart mit Schönheit und Intelligenz war nicht nur beim Sex Einmalig.

Morgens vor dem Frühstück schon die Schweißperlen auf der Haut zu haben, war auch nicht ein guter Start in den Tag. Hannes kam aus der Dusche und hätte sich beim abtrocknen sofort wieder unter das lauwarme Wasser stellen können.

Das Frühstück im Hotel mit frischem Obst, Eier, Marmelade und Wurst war gut, wobei er zum ersten Mal Reisbrei aß und sich in diese Mahlzeit verliebte.
Was in Kambodscha als Brot bezeichnet wurde, musste Hannes erst einmal neu definieren. Auch der Kaffee hatte außer der Farbe nichts mit dem zu tun, was er kannte. Die Softdrinks aus China, Thailand oder Kambodscha waren dermaßen süß, dass es fast schon widerlich war diese zu trinken. So blieb Wasser als bestes Alternative. Dieses mit Mango, Melonen oder anderen Früchten angesetzte Wasser, war bei dieser schwüle und Hitze das richtige Getränk.

Hannes machte im Hof von dem Hotel den Toyota Pickup klar. Er Checkte das Öl, Wasser und Reifen an dem, was nun sein Auto war.
Eine ältere Frau mit Handtuch um die Schultern kam an ihm vorbei. Er grüßte sie freundlich. Sie grüßte zurück mit den Worten „Chomngu phta say.“ Ihr sei kalt – oder es ist frisch heute. Kaum zu glauben! Ihm lief der Schweiß ins Gesicht und dieser Frau war es kalt.
The people in this world are crazy.

Auf dem Weg nach Phnom Penh fuhr Bernhard zu seiner Baustelle in Cău Strung Melch vorbei. Dann fuhren sie ins Büro nach Kâmpóng Trâbêk. Ah Leang Mëy grüßte die drei wieder auf ihre freundliche Art.

Im Büro von Bernhard hingen riesige Pläne, die die Größe von Tischtennisplatten hatten. Dort sah Hannes erst einmal die Dimensionen von diesem Projekt. Geländeprofile, Querschnittspläne, Höhenmaßstäbe mit Überhöhungsfaktoren von Hügel oder Berge, waren darauf zu sehen. Punkte mit Kreise signalisierten die Pumpen. Große Kreise für die Hauptpumpen, kleine Kreise für die Verteilerpumpen. Welcher Abschnitt fertig war, signalisierten blaue Linien. Die Strecken in Arbeit waren blau gestrichelt. Rot vermessen, gelb geplant.
„Ich lasse dir alle Pläne noch kopieren, dann hast du auch alles zusammen und musst die Pläne nicht mit Asger teilen. Wie der Teufel will, braucht man dann den gleichen Plan, wie der Kollege“ sagte Bernhard.

Eliane kam ins Büro und grüßte freundlich „Moien Hannes, bass du schon am Hotel néiergelooss?“ „Hallo, Eliane. So irgendwie. Es ist etwas anders als Europa.“ Eliane nickte „Richtig. Man gewöhnt sich aber auch an den Rhythmus in Südostasien. Bernhard, hier ist die neue Beschaffungslisten für die nächsten zwei Monate. Ich gab das Material vor drei Wochen schon in Auftrag. Heute kam die Bestätigung für die Lieferung in den nächsten Tagen. Ich hoffe es bleibt auch dabei.“ „Danke, Eliane. Ich wollte dies mit Hannes auch noch besprechen. Du bist ja nun da. Dann kannst du es auch tun.“ Eliane nickte.
„Also gut. Hier in Kambodscha braucht alles etwas länger. Wenn du nun einen Bauabschnitt leitest und eine gewisse Anzahl an Wasserleitungen brauchst, sag mir so früh wie möglich bescheid. Du musst dies alles nicht auf den Meter genau rechnen. Es kommt oftmals nicht die georderte Bestellung an. Lieber 100 Meter mehr als 5 Meter zu wenig. Wir bemühen uns schon, dass ihr Material bekommt. Es ist immer blöd, wenn die Baustelle steht.“
Hannes nickte „Verstehe ich. Zeit ist Geld. Dies gilt auch in Kambodscha.“ „Exakt. Es reißt dir aber auch niemand den Kopf ab, wenn das Material erst ein paar Tage später kommt. Wir sind schon froh, dass wir überhaupt verlässliche Zulieferer gefunden haben. Wenn du mit irgendwas nicht klar kommst, kannst du jederzeit anrufen. Hast du überhaupt eine Telefon.“ Hannes schüttelte den Kopf.
„Gut, ihr fahrt heute nach Phnom Penh. Dort kannst du dir ein Mobiltelefon kaufen. Die Dinger kosten hier kein Geld. Bring die Rechnung mit und du bekommst dein Geld zurück.“

Eine junge Frau kam mit einer großen Karaffe Wasser und einem Tablett mit Wassermelonen Stücke ins Büro von Bernhard.
„Hallo, ich bin Nita Suvath und arbeite im Büro in der Buchhaltung.“
Hannes und Patricia stellen sich ihr vor.

In der kleinen Sitzecken im Büro von Bernhard tranken sie das kühle Wasser und aßen die Wassermelonen Stücke.
„Du hast Eliane gehört, wenn etwas sein sollte, einfach anrufen. Ich komme nicht immer nach Svay Rieng. Ich bin oft bei meinem Team in Preaek Khsay Kha. Ich habe hier im Büro ein kleines Apartment.
Da ich für das ganze Projekt zuständig bin, muss ich hin und wieder nach Phnom Penh zum Ministerium damit Material kommt. Die Pumpen kommen endlich aus Deutschland. Die Pumpen aus China sind zu anfällig und haben nicht die Leistung die gebraucht wird. Aus dem Grund bin ich schon das ein oder anderen Mal im Büro von der Weltbank. Humanitäre Hilfe hat auch viel mit betteln zu tun. Werdet ihr alles noch erfahren. Kommt, ich stell euch noch Roman Welter vor.“

Zwei Türen weiter war das Büro von Roman Welter. Es war ein Raum mit vielen Tischen und eine komplette Wand mit Schränke, die voll mit Ordner waren. An einer Wand hingen zig Baupläne von den Hochbau Projekten.
„Wëllkomm op organiséiert Chaos“ sagte Roman lachend in einem lëtzebuergischen Akzent. Roman ging auf die 50 zu. Hatte die Größe von Hannes, kaum noch Haare auf dem Kopf und war etwas Übergewichtig.
„Wenn ihr die beiden Almjodler noch kennen lernen wollt, müsst ihr ans Bauwerk fahren.“ „Heute nicht. Meine Tochter hat später noch einen Termin bei der UN und MoSAY in Phnom Penh. Nun lasst uns fahren, damit Patricia auch weiterkommt.“

Bernhard lotste Hannes mit einer Straßenkarte, die auch ein Schnittmusterplan aus einer Burda Modezeitschrift sein konnte, durch Phnom Penh. Hannes sah noch nie eine so unprofessionelle Straßenkarte. Wie gut, dass Bernhard sich recht gut in dem Gewirr von Chaos auskannte.
Das Büro der UN war im Süden des Zentrums von Phnom Penh. Im Distrikt Sangkat Tuek L’ak Ti Muoy. Dort waren mehrere Ministerien, ein großes Krankenhaus, die Universität und andere Verwaltungsbehörden. So auch die Kaserne der UN Blauhelm Soldaten und kleinerer UN Unterorganisationen.
Bernhard musste sich auf dem Areal zweimal durchfragen bis er den Absender von dem Fax gefundenen hatte. Ein braunes dreistöckiges Betongebäude war also die Adresse von UNICEF in Kambodscha. Ein Blauhelm Soldat aus den USA, erklärte den Weg ins Büro im dritte Stockwerk.
Patricia war die Ruhe selbst, während der Puls von Hannes an der Belastungsgrenze angekommen war. Der Klassenkasper von Nahetal stand vor der Bürotür der UN!

Laureen Thompson
Chief Director UNICEF Cambodia
Department of Education and Health

Stand auf dem Schild rechst neben der dunkelbraunen Tür zu lesen.
Bernhard klopfte an die Tür. „Come in.“ Hörten sie durch die Tür rufen.

Das Büro war ein großer Raum von 40 Quadratmeter mit 4 großen Schreibtische, Konferenzecke, Schränke und Regale aus hellem Holz. Die Stühle waren mit dunkelblauen Stoff bezogen. Es war ein ganz anderes Bild als im Hotel und erst recht in der Grundschule in Svay Rieng.

Zwei Frauen saßen an zwei großen
Schreibtischen. Eine Mittfünfzige etwas kräftige weiße Frau und eine junge hübsche Asiatin. Die ältere Frau stellte sich als Laureen Thompson vor. Die junge Asiatin, die im gleichen Alter wie Patricia und Hannes sein konnte, stellte sich als Hattie Walker vor.

Frau Thompson bat den Gästen in der Konferenzecke platz zu nehmen. Sie ging zu einem der Schreibtische und kam mit einem roten Ordner in der Hand zurück und setzte sich Patricia gegenüber. Frau Walker nahm gegenüber von Hannes platz.

„Ich habe ihr Dossier gelesen und bin schwer beeindruckt von dem was Sie geschrieben haben“ begann Frau Thompson das Gespräch „wir suchen Lehrer auf der ganzen Welt, die die Situation hier in Kambodscha verändern wollen und können. Eigentlich suchen wir Studierte und Ausgebildete Lehrkräfte. In Anbetracht der fehlenden Zahl von gut Hunderttausend Lehrer in Kambodscha, sind wir froh, überhaupt jemand zu finden der eine solche Aufgabe übernehmen möchte. Ihre Noten – wie auch Ihre Abiturnote sind erstklassig. Erzählen Sie bitte in Ihren Worten, was und wie Sie sich Ihr Engagement vorstellen.“

Patricia hatte ein ganz klare Vorstellung, wie sie die mangelnde Bildung auf dieser Welt sah und was sie dagegen unternehmen möchte. Hannes kannte die Schilderung von Patricia – denn es waren seine Worte, die er in Fréjus zu Peter sagte.

Frau Walker fügte nun noch einige Umstände an, die eben viele Projekte nicht so einfach realisieren lassen „Die humanitäre Hilfe für die Völker in Not, die Kambodscha von den Vereinten Nationen erhielt, gab lediglich UNICEF, dem World Food Programm und UNHCR die Möglichkeit in dem Land zu helfen und zu arbeiten. Die Word Health Organisation, UNESCO und andere UN Organisationen verweigerten ihre Unterstützung. So wurde die vereinbarte Zusage an Hilfe mal eben um 50% halbiert. Das Volk leidet nun schon seit 10 Jahren unter dieser Haltung der Weltgemeinschaft. Nach dem Bürgerkrieg war für 3 Jahre nur noch die UN Food and Agriculture Organisation in Kambodscha. Diese stellte aber vor 8 Jahren ihre Entwicklungshilfe fast ganz ein.“
Hannes sah Bernhard an „Da sind wir wieder beim gleichen Thema wie gestern Abend.“

Patricia zeigte Frau Thompson noch das Empfehlungsschreiben vom Schulleiter der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule für das Documentation Center of Cambodia.
Als Frau Thompson dies gelesen hatte, nickte sie Patricia anerkennend zu „Für die kurze Zeit, die Sie in Kambodscha sind, geben Sie mächtig Gas. In Anbetracht der immensen Zahl an fehlenden Lehrer können Sie sich Ihren Arbeitgeber aussuchen. Der Schulleiter hat es treffend formuliert. Auf dem Land ist eine katastrophale Lage an Lehrermangel. UNICEF ist in der Provinz Svay Rieng nicht vertreten. Wir sind in den Provinzen Phnom Penh, Siem Reap und Battambang.“
„Nun Frau Thompson, da mein Freund in der Provinz Svay Rieng ist, möchte ich schon in seiner Nähe sei. Wie Sie dem Schreiben entnehmen können, gibt es um die Stadt Svay Rieng mehr als genügend leerstehende Schulen.“
Hannes sah mit leichtem Blick zu Bernhard und lächelte. Patricia ließ sich von Frau Thompson nicht einschüchtern.
„Ich hatte gestern mit dem Documentation Center of Cambodia telefoniert, denn ihnen liegt dieses Schreiben auch vor. Theng Sokchea, der Leiter für Schulwesen in diesem Center, würde es begrüßen, wenn ich eine Schule in Biên Phòng Khốt übernehmen würde. Dieser Ort ist circa 20 Kilometer nördlich von Svay Rieng entfernt. Ich werde mich heute Nachmittag noch mit ihm treffen.“ „Wenn dies so ist. Lassen Sie mich bitte wissen, wie Sie sich entschieden haben. Wenn ich Sie noch zum Mittagessen in unserer Kantine einladen dürfte, würde ich mich sehr freuen.“

Gemeinsam gingen sie in die Kantine auf dem Kasernenareal essen. Die Mahlzeit war sehr nordamerikanisch geprägt.
Beim Essen wurde das Projekt erklärt, welches Bernhard betreute und in welchen zwei Provinzen dies sei. Die Haltung von Frankreich zu Kambodscha wurde angesprochen und das sich Bernhard mehr bilaterale Verträge von Industriestaaten für dieses Land wünschen würde.

Patricia und Frau Walker hatten gleich eine gute Ebene gefunden. Hannes sah und hörte, dass deren Gespräche oft persönlicher Natur waren. Bei der Unterhaltung von Patricia und Frau Walker wollte er sich nicht beteiligen. Er wollte diese anscheinend guten Gespräche nicht stören. Bei Bernhard und Frau Thompson waren es ihm zu viele und zu große weltpolitische Themen. Er, der kleine Junge, der aus einem kleinen Dorf an der Nahe kam, sollte ein Teil dieser weltumspannenden Maschinerie von Staaten, Politik, Macht und Wirtschaft sein? Dies alles war für ihn dann doch zu groß.

Er sah sich in der Kantine um und entdeckte einen Kaffeevollautomaten. Kaffee! Hannes entschuldigte sich und machte sich auf den Weg zu diesem Lebenselixier spendeten Automaten. Hoffentlich kein Muckefuck, dachte er.
Die erste Tasse füllte er nur mit einen Schluck. Sicher war sicher. Er probierte den Kaffee. Kaffee!
Er füllte gleich fünf große Tassen und brachte diese an den Tisch.
Beim letzten Schluck kam ihm eine Idee. Er entschuldigte sich nochmals und verschwand in der Küche. Dem Küchenchef anbettelnd und flehend, ihm doch in Gottes Namen zwei Päckchen Kaffee zu verkaufen, kam er mit einem großen Karton Kaffee an den Tisch zurück. Auf die Fragenden Blicke aller am Tisch, sagte er zu Bernhard „Humanitäre Hilfe hat viel mit betteln zu tun. Bei dir ist es die Weltbank, bei mir der Küchenchef.“

Bernhard sagte in die Runde, dass es Zeit zum Aufbrechen sei, denn er wollte schließlich mit Patricia zum MoSAY und anschließend zum Documentation Center of Cambodia fahren.
Patricia schüttelte den Kopf „Non. J’ai un travail avec l’UNICEF.“
Hannes war bei diesen Worten wie vor den Kopf geschlagen. Bernhard war mittlerweile die schnellen Entscheidungen seiner Tochter gewöhnt und zog die Schultern hoch.

„Mon chérie, ich habe mit Hattie auch schon über dich gesprochen und das es eben dein Traum ist. Du bist immerhin maßgeblich daran beteiligt, dass wir heute hier sind.“ „Äh… Prinzessin, darf ich dich daran erinnern, dass ich kein Abi habe!“
„Wer baggern kann, kann auch Kinder unterrichten“ Patricia gab ihm einen Kuss und wuschelte seine Haare.

Zurück im Büro von Laureen und Hattie, mittlerweile war man beim du, wurden noch einige Details besprochen. Laureen war sichtlich erleichtert, dass Patricia ihr die Zusage gegeben hatte und nicht dem
Documentation Center of Cambodia.
Patricia hatte einen Vertrag über die Anstellung als Lehrerin in Kambodscha durch UNICEF vor sich liegen.


Kmean banhhea te – Kein Problem, kein Problem

Nach dem dies alles so schnell ging, fuhren sie in ein großes Einkaufszentrum in der Stadtmitte von Phnom Penh.
Diese Mall hatte nichts mit verstaubter Ware und Rolltoren zu tun! Hier gab es alles zu kaufen. Waschmaschinen, Kühlschränke, Kleidung, Klimaanlagen,
Lebensmittel und sogar dem Klassenfeind seine Brause aus USA. Marktwirtschaft ist doch stärker als Kommunismus, dachte Hannes.

Irgendwann fanden sie in diesem riesigen Einkaufszentrum einen Telekommunikations Laden. Dort alles gab es alles rund um Telekommunikation zu kaufen. Computer, Mobiltelefone, Drucker,
Funkverstärker, Antennen von einem halben bis zu 3 Meter Länge – wobei Hannes sich die Frage nach der Mobilität eines Telefons bei einer solch langen Antenne nicht erschließen konnte.

Patricia fummelte gleich an zwei Mobiltelefone herum, die ihr gefielen. Hannes versuchte dem Verkäufer auf einer Landkarte klar zu machen, wo sie wohnten und ob dort überhaupt ein Mobilfunk Empfang möglich war.
„Kmean banhhea te“ Kein Problem, kein Problem, sagte der kleine Verkäufer ständig.
„Wenn es doch ein Problem ist, hänge ich dich an der Telefonschnur auf.“
Der Verkäufer schaute Hannes bei den nicht verstandenen Worte irritiert an. „Kmean banhhea te“ sagte Hannes dem kleinen Verkäufer und lächelte.

Patricia fand ein Mobiltelefon in pink. Na, wenn es sie glücklich machte. Hannes wollte den gleichen Typ wie Bernhard hatte. Robust, einfach in der Bedienung und Handhabung. Nachteil, es war in einem „Hello Kitty“ Design und dummerweise das letzte dieses Typs. Nun fing eine Diskussion über jenes Telefon an. Patricia wollte, dass Hannes dies kaufen sollte. Er lehnte es kategorisch ab.
„Qu’en est-il du téléphone?“
„Was mit dem Telefon ist? Süße, hast du dir die Farbe und Design angeschaut! Ich kann doch nicht mit einem Katzentelefon in rosa, pink, irgendwas Farbe in der Gegend herum laufen!“ „Oh mon Dieu. Du bist ja schlimmer als ein Mädchen“ sagte sie und verdrehte die Augen.

Auf dem Weg zum Auto sagte Hannes etwas gefrustet „Ist dir aufgefallen, dass Laureen mich mit keinem Wort erwähnt hatte? Soviel mal zu deiner Zahl auf einem Stück Papier.“ „Hannes, dies tat mir auch sehr leid. Daher hatte ich beim Mittagessen auch mit Hattie gesprochen und ihr gesagt, dass es dein Traum ist, Kinder zu unterrichten. Aber tröste dich, wenn nicht eine solch automatisch hohe Zahl an Lehrer in diesem Land fehlen würde, häte ich auch keine Chance gehabt. Die UN oder UNICEF möchten ausgebildete Lehrer haben. Da nützt mein Abi dann auch nichts.“
Bernhard klopfte Hannes auf die Schulter „Hannes, lass den Kopf nicht hängen. Du hast einen Vertrag von ODHI in der Tasche. Bei uns ist eine Zahl auf einem Stück Papier nicht von Bedeutung.“

Mit ihrem Einkauf an Mobiltelefonen und den dazugehörigen Provider SIM Karten fuhr Bernhard das Auto zurück nach Svay Rieng. Hannes war es gerade recht, dieses Chaos musste er sich nicht freiwillig antun. Er machte es sich auf der Rückbank bequem und sah, wie die neue UNICEF Mitarbeiterin ihr Telefon installierte. Sofort musste sie die Neuigkeit über ihr gekauftes Telefone Hattie mitteilen.
„Das diese junge Asiatin so gut englisch kann, ist schon erstaunlich.“
Patricia drehte sich vom Beifahrersitz um und sah Hannes mit großen Augen an „Sie ist US-Amerikanerin.“ „Hä…?“ „Ihre Mutter kommt von den Philippinen, daher dieses asiatische Aussehen.“