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Teil II Kapitel 1 Willkommen im Mittelalter

Der reale Wahnsinn

Willkommen im Mittelalter

„Du redest über Anthropologie wie andere über das Wetter“

Phnom Penh, Pochentong International Airport
Dienstag, 9. Januar 1990, 16.23 Uhr

Am Flughafen wurde die kleine Gruppe bereits von einem Mitarbeiter von Bernhard erwartet.
Bernhard ging auf einen Hünen von Mann zu und begrüßt ihn herzlich. Der Hüne stellt sich als Asger Joergensen vor. Asger kam aus Dänemark und war Anfang 50. Er war der Inbegriff eines echten Wikingers: groß und kräftig – aber nicht dick. Schwarze halblange Haare, kurzgeschnittener Vollbart, Hände wie eine Bratpfanne und eine Schuhgröße die einem Ruderboot gleichkamen.
Asger war in einer khakibraunen langen Baumwollhose und weißen T-Shirt gekleidet.
„Du bist also die Tochter von unserem Chef“ sagte Asger und beugte sich mit seinen über 2 Meter zu Patricia „Schön dich in Natura zu sehen.“ Patricia schaute nach oben und bedankte sich bei ihm. Asger war gute 40 Zentimeter größer als sie. Patricia konnte locker in seinem Schatten laufen.
Der Bär von Mann reichte Hannes seine rechte Bratpfanne. Der Händedruck war erstaunlich sanft „Dann bist du Hannes, über den schon so vieles erzählt wird.“ „Der bin ich. Hallo Asger, ich hoffe, es wird nicht all zu viel schlechtes über mich erzählt.“ „Im Gegenteil, nur gutes. Nur gutes! Männer mit deiner Einstellung brauchen wir. Kommt, lasst uns fahren.“

Direkt am Eingang zum Terminal hatte Asger einen weißen Toyota Pickup geparkt und verstaute das Gepäck auf der Ladefläche.
Hannes klebte bereits sein T-Shirt von den paar Minuten ihrer Ankunft auf der Haut. Die Schwüle machte das atmen nicht leicht.

Vom Flughafen fuhr Asger über die N3 Richtung Phnom Penh Zentrum. Links und rechts der Straße wurde alles verkauft oder repariert was man sich nur vorstellen konnte. Stände aus Wellblech, Plastikplanen oder Stroh säumten den Weg. Dahinter standen Häuser aus oft gleichem Material oder aus Steinen gemauert. Das Bild der Häuser links und rechts der Straße war ein großes Durcheinander. Hütte, zweistöckiges Haus, Hütte, dreistöckiges Haus, dann mal wieder Hütten und ein Haus, ein Geschäft oder Bank und so weiter. Es gab gar keinerlei Richtung in Form, Höhe und Beschaffenheit der Häuser. Es wurde gebaut wie wahrscheinlich das Geld vorhanden war: mal einfach, protzig oder gewaltig. Ein sehr surreales Bild. Ein Luxusgebäude stand neben einer Wellblechhütte.

In der Ferne sah man Hochhäuser im Plattenbau Stil oder modern mit Glasfassade. Der erste Eindruck von Kambodscha konnten Hannes und Patricia in zwei Wörter zusammenfassen: Unorganisiertes Chaos

Der Verkehr durch Phnom Penh war ein Alptraum. Alles was irgendwie beweglich war, tummelte sich auf dem Asphalt. Nach über eineinhalb Stunden kamen die letzten Außenbezirke von Phnom Penh in Sicht.
„Noch knapp 90 Kilometer bis nach Kâmpóng Trâbêk. Könnten wir in eineinhalb Stunden schaffen“ auf den fragenden Blick von Hannes, sprach Asger weiter „Wir sind in Asien, da ist alles langsamer.“

Die N1 von Phnom Penh nach Neak Loeung führte am Mekong vorbei. Es war grandios wie einer der längsten Flüsse der Welt sich seinen Weg von Tibet bis zum Südchinesischen Meer bahnte. Oft sah man von dem einen Ufer nicht das andere. Niemand kennt die Quelle von dieser gewaltige Lebensader für Südostasien. Die Wassermassen konnten bei Hochwasser schon mal 15 Meter über dem normalen Pegel liegen. Die Kraft vom Mekong ist so gewaltig, dass sogar einer seiner Nebenflüsse, bei Hochwasser, die Fließrichtung ändern. Dieses Phänomen ist einzigartig auf der Welt. Hannes konnte sich an diesem Fluss gar nicht satt sehen.


Im Büro in Kâmpóng Trâbêk

In Kâmpóng Trâbêk fuhr Asger von der N1 rechts ab und nach drei Straßenblocks links rein. Auf der rechten Seite war ein großes dreistöckiges Gebäude, welches von einer Mauer umgeben war und eine Fläche aus Beton in der Größe von einem Fußballfeld hatte.
„Herzlich willkommen im der Zentrale von ODHI in Kambodscha“ sagte Asger als er vor das Gebäude fuhr.
„Wow“ sagte Patricia „damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“ „Es war früher ein Hotel gewesen. Das Gebäude stand durch die Rote Khmer lange leer. Jean hatte vor Jahren das Gebäude günstig gekauft und seitdem ist es unser Büro“ sagte Bernhard.
Hannes und Patricia folgen Asger und Bernhard in das Gebäude. Trotz dem kurzen Weg vom Auto in die klimatisierten Räume, klebte erneut das T-Shirt auf der Haut.

Nach der Eingangstür stand eine halbrunde Theke in dem Raum und da hinter waren drei Frauen mit Büroarbeiten beschäftigt. Eine Frau die an der Theke stand begrüßte die Gäste auf französisch und verbeugte sich nach asiatischer Art leicht nach vorne.

Eine der anderen Frauen kam auf Bernhard zu und überreichte ihn einen Ordner. Auf französisch sagte sie „Hallo Bernhard, hier sind die neuesten Bauprotokolle der letzten drei Wochen. Schön, dass du wieder da bist. Ist dies deine Tochter?“ Ohne auf die Antwort von Bernhard zu warten, reichte sie Patricia die Hand „Hallo, ich bin Ah Leang Mëy.“ Patricia reichte Ah Leang Mëy die Hand „Hallo Ah Leang Mëy. Ich bin Patricia.“ „Mëy ist ausreichend. Ihr Europäer habt mit unseren Namen so manche Probleme bei der Aussprache. Es ist schön dich endlich persönlich zu treffen. Dein Vater hat so viel von dir erzählt.“
Ah Leang Mëy drehte sich etwas und sah zu Hannes „Du bist dann der neue Mitarbeiter für Bauabschnitt 3. Schön dich persönlich zu treffen. Stephane hat schon einiges über dich berichtet.“ Hannes nickte „Bonjour Mëy. Je suis Hannes.“

Nach der Begrüßung ging Bernhard nach links den Gang herunter. An der zweiten Tür klopfte er an und trat einen Augenblick später in das Büro. Asger kam als letztes in den Raum und schloss die Tür. Eine Frau, die im gleichen Alter wie Bernhard sein konnte, kam um einen übergroßen Schreibtisch auf die Gruppe zu.
„Moien Bernhard, Moien Asger. Schéin Iech all erëm ze gesinn.“
Die Frau reichte Patricia die Hand „Moien Patricia, ech sinn d’Eliane Mayers, de Büro Managerin. Schéin dech ze gesinn.
Moien Hanes, schéi Iech ze gesinn. Et freet mech. Wëllkomm zu Kambodscha.“
Eliane musste nicht sagen, dass die aus Luxemburg kam, man hörte es sofort.
„Braucht ihr noch etwas an Hygieneartikel oder sonstigen Dingen? In Phnom Penh bekommt man vieles besser zu kaufen als in den anderen Städten.“
Patricia und Hannes zogen bei der Frage von Eliane gleichzeitig die Schultern hoch. „Ich verstehe. Kommt erst einmal an. Es muss nicht am ersten Tag an alles gedacht werden.“
Bernhard und Eliane besprachen die letzten Bauprotokolle. Da Hannes noch gar nicht wusste um was es überhaupt ging, hörte er nur mit einem Ohr zu.

„Kommt mit, ich zeige euch das Gebäude. Was die beiden besprechen, ist für dich jetzt noch nicht so wichtig“ sagte Asger zu Hannes und Patricia.
Mit Asger gingen sie den Flur weiter runter und er sagte in welchem Raum wer arbeitet oder für was welcher Raum war.
Am Ende von dem Flur war eine Glastür die in einen weiten Anbau von dem Gebäude führte.
„Hier sind 16 kleinere Appartement für die Mitarbeiter. Wenn wir die rechte Treppe hoch gehen, kommen noch weitere Appartements. Noch sind nicht alle Bauarbeiten abgeschlossen. Geplant sind in den oberen Stockwerke größere Apartments. Aus ursprünglich 18 Zimmern wurden 6 Apartments. Das gleiche ist auch im dritten Stockwerk.“ „Das hier ist ein recht großes Gebäude für so wenig Leute“ sagte Hannes und Asger nickte.
„Stimmt. Im Erdgeschoss sind die Büros. Noch ist viel Platz im Haus, wird aber über längere Zeit voll werden. ODHI wird wachsen und dann könnte es eng werden. Phnom Penh ist sehr zentral und daher ist es auch sinnvoll das Büro hier in Kâmpóng Trâbêk zu haben. Für uns ist es blöd, da wir mit unserem Bauabschnitt am weitesten weg seid.“ „Du willst mir jetzt doch nicht sagen, dass du alle paar Tage nach Phnom Penh ins Büro fährst?“ „Gott bewahre! Nein! Wir habe bei uns im Hotel im Svay Rieng ein kleines Büro.“

Im Neak Loeang Commune Market

Nach dem Rundgang und dem Gespräch mit Eliane ging die Fahrt endlich weiter in Richtung Svay Rieng. In Phumi Banam fuhr Asger zum Neak Loeang Commune Market.
„Falls ihr noch etwas braucht, hier können wir noch einiges einkaufen. Hier ist es billiger als in den großen Mals in Phnom Penh oder den anderen Städten.“

DerNeak Loeang Commune Market war im Grunde ein große Lagerhalle mit drei Rolltoren und Blechregale. Hygieneartikel, Lebensmittel und Getränke konnte man für wenig Geld kaufen. Auf alle Waren war ein leichter Staubfilm zu sehen. Asger und Bernhard kaufen was sie brauchen oder in Svay Rieng fehlte. Patricia und Hannes sahen sich die Ware an und kaufen einiges an Hygieneartikel. Der Rest würde entweder fehlen oder man kaufte es in Svay Rieng.

Nach gut 20 Minuten war der Einkauf vollbracht und die Fahrt ging auf der N1 weiter Richtung Osten. Es waren noch knappe 80 Kilometer bis Svay Rieng.
Von Ochsenkarren, knatterten Mopeds, über völlig veraltete Traktoren aus der UdSSR bis hin zu alten Lkw aus Korea und Ostdeutschland oder Japan fuhr alles auf der N1.
Die Bilder die Hannes sah, konnte er mit nichts vergleichen, was er bis dahin gesehen hatte. Alles war alt, irgendwie zusammen gebastelt, geflickt oder geschweißt.


Ein Hotel mit Amboss Flair

Asger fuhr in Svay Rieng von der N1 links ab. Die Straße war nur noch halb so breit. Nach einem halben Kilometer fuhrt er rechts auf eine Betonpiste und nach 300 Meter war das Hotel auf der rechten Seite. Es war ein dreistöckiger grauer Plattenbau. Überall sah man den Kommunistischen Eingriff von China und der UdSSR.

Das Hotel hatte innen den gleichen Flair wie außen – kalt, grau und spartanisch. Mit Landschaftsfotos von 40×60 Zentimeter wurde in der Halle versucht, etwas Pepp in dieses Gebäude zu bekommen. Auch standen große Palmen in Plastikkübel in der Halle. Die 10 Sitzecken in der Halle erinnerten mehr an einen Bahnhof als ein Hotel. Die Rezeption war eine lange Theke in funierten Holz. So ähnlich muss es im SED Parteibüro ausgesehen habe, dachte Hannes.

Als Patricia und Hannes ihr Zimmer betreten, mussten sie erst einmal tief Luft holen. Es war ein dumpfer, modriger Geruch im Raum. Ein hellbraunes Bett, zwei Stühle, Tisch, Schrank und Kommode in gleicher Farbe war das Interieur von dem Zimmer. Ein vergilbtes Bild mit einer Landschaft aus Kanada hing an der Wand.

Patricia drehte sich zu Hannes und nahm ihn in die Arme „Mit etwas Aufwand bekommen wir das schon in den Griff“ sagte sie und gab ihm einen Kuss. „Mon chérie. Es ist nicht das was wir kennen, aber wir machen das beste daraus. Du bist bei mir und dass ist wichtig. Den Rest schaffen wir auch noch.“
Hannes nickte „Ich hatte dich vor sechs Monaten nie so eingeschätzt. Ich dachte immer, du bist Luxus gewöhnt und kennst nichts anderes.“ „Luxus? Was ist Luxus? Luxus ist, dass ich noch Lebe! Luxus ist, ein Mann an der Seite zu haben der mir Liebe schenkt. Alles andere sind nur materielle Dinge. Ich wage einen Blick ins Bad. Ich möchte duschen und dann schlafen.“

Das Bad war wie zu erwarten: trist, klein und geputzt. Sauber war etwas anderes. Es sollte für diesen Tag völlig ausreichend sein.
Auf dem Bett hielt Hannes Patricia fest im Arm. Die Klimaanlage ermöglichte eine angenehme Raumtemperatur und so schliefen beide kurze Zeit später ein.

Der erste Tag in Kambodscha hatte so viele krasse Eindrücke hinterlassen, dass es Hannes schwer fiel diese Bilder einzuordnen. Es war eine Mischung aus Chaos, Zerfall, Aufbau und Mittelalter. Ja, er hatte sich in der Schule für Außenpolitik interessiert und wie wichtig und nützlich diese sei. Nun war er in einem Land, welches sehr vom Kommunismus und Maoismus geprägt war und von vielen Staaten Hilfe verweigert bekam.


Mittwoch 10. Januar 1990

Beim Frühstück fragte Bernhard wie sie denn geschlafen hätten und ob das Zimmer in Ordnung gewesen sei? Nach dem Trip von Paris über Bangkok nach Phnom Penh und weiter nach Svay Rieng war schlafen in der Horizontale schon die reinste Erholung. Das Zimmer könnte man mit etwas Arbeit herrichten, sagte Patricia ihrem Vater.

Hannes fragte, ob er einen der drei Pickup’s bekommen könnte, Patricia möchte das Zimmer richtig sauber machen und bräuchte verschiedene Reinigungsmittel.
Mit dem Auto fuhren sie durch die Straßen von Svay Rieng. Zwar wurde links und rechts der Straße alles mögliche verkauft, aber nicht das, was Patricia suchte. Auf der linken Seite der N1 sah Hannes nach einigen hundert Meter ein Commune Markt. Ähnlich wie der in Neak Loeang.

„Djųmriab-sua“ sagten Patricia und Hannes beim betreten des Marktes. Wie beschreibt man Durcheinander und Chaos gepaart mit Staub und Dreck in einem Haus, welches aus Wellblech, Steinen und Plastikfolie bestand? Wenigstens gab es dort die Ware die Patricia suchte zu kaufen.


In der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule in Svay Rieng

Beim zurück fahren ins Hotel sah Patricia eine Schule, die Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule.
„Schatz, fahr hier bitte rein. Ich denke, dass ich hier Arbeit bekommen könnte.“

Hannes fuhr auf den Sandplatz von dem flachen grauen Plattenbau. Es dauerte einige Zeit, bis Patricia jemand fand, der Auskunft über ihr Anliegen geben konnte. Im verstaubten, mit Blechinterieur eingerichteten Büro vom Schulleiter, erklärte Patricia auf französisch und khmer, was sie vor hatte und wie sie helfen möchte.
„Lehrer werden immer gebraucht“ sagte ihr der kleine schmale Schulleiter, den Hannes auf etwas über 50 Jahre schätzte.
„Auf dem Land ist die Situation sehr dramatischer, da oft nur ein Lehrer für 40 Kinder an eine Schule ist. In manchen Regionen ist die Situation so schlecht, dass es gar keine Schulen mehr gibt. Ich bin dankbar für die Unterstützung von dir. Du bist jung und offensichtlich auch sehr motiviert. Trotzdem sollte du dir überlegen, ob du nicht besser auf dem Land deine Hilfe eingesetzt könntest.“ „Wie? Ich bin erst seit einem Tag in Kambodscha.“ „Fahr nach Phnom Penh. Dort ist das Documentation Center of Cambodia. Stell dich dort vor. Dies ist ein privat geführtes Center und setzte sich seit einigen Jahren für die Aufarbeitung des Bürgerkriegs ein und hat auch einen Schwerpunkt auf der Bildung. Die können dir bestimmt weiterhelfen.“
Patricia sah den Schulleiter resigniert an. „Sei nicht mutlos. Wir brauchen Lehrer und davon viele und am besten schon seit gestern. Du bist eine kluge junge Frau und ich sehe deinen Ehrgeiz in deinen schönen Augen. Komm morgen früh vorbei und ich gebe dir ein Empfehlungsschreiben mit. Ist dies ein Wort?“
Patricia nickte und bedankte sich für dieses Gespräch und Informationen.
Hannes und Patricia verabschiedeten sich von dem Schulleiter.

„Sag mal, woher kannst du so viel khmer?“ „In der Zeit die du mit Claude Billard spielen und Bier trinken warst, habe ich gelernt“ sie knuffte ihn gegen den Arm.

Zurück im Hotel, saß Asger und Bernhard in dem kleinen Büro im ersten Stock und hatten einen Berg an Unterlagen vor sich. Vermessungspläne mit Querschnitten vom Gelände in Höhenangaben, geographische Pläne und Baupläne von kleinen Gebäude. Hannes schaute kurz auf diese Pläne und fragte, wie den die Höhenunterschiede der Wasserleitungen ausgeglichen würden. „Du kannst solche Pläne lesen?“ Fragte Bernhard erstaunt.
„Natürlich, ich hatte dies in der Berufsschule gelernt. Sollte ich als Spezial-Tiefbau-Facharbeiter schon können.“ „Macht nun einiges leichter“ sagte Asger und lächelte.
Hannes erzählte den beiden, dass sein Vater Baumaschinenschlosser und Mechaniker sei, und er in dieser Baufirma gelernt hatte, in der sein Vater arbeitet. Es wurde von seinem Chef vorausgesetzt, dass er, als Sohn, all diese Geräte fahren und bedienen konnte.
„Sehr gut, macht einiges leichter“ kam es nochmal von Asger. „Was kannst du fahren?“ „Bagger, Raupe, Walze, Radlader, Straßenfertiger… Eigentlich alles was ein Motor hat.“ „Perfekt! Nun können wir endlich schneller arbeiten“ sagte Asger zu Bernhard. Hannes sah etwas verwirrt zwischen beiden hin und her.

Patricia wollte nun auch endlich zu Wort kommen und erzählte von dem Treffen mit dem Schulleiter der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule und den Vorschlag das Documentation Center of Cambodia in Phnom Penh zu kontaktieren. „So ist meine Tochter, immer gleich und sofort. Ich wäre morgen sowieso mit dir nach Phnom Penh zum MoSAY, dem kambodschanischen Sozialministerium, gefahren um abzuklären, in wieweit Hilfe Koordiniert und bezahlt wird. Auch haben wir morgen noch einen Termin im Büro der UN. UNICEF ist an eurem Engagement interessiert.“
Patricia schaute ihren Vater mit großen Augen an „Warum sagst du mir das erst jetzt?“ „Zum einen bist du heute früh gleich abgedampft um Reinigungsmittel zu kaufen, zum anderen weiß ich über die Zusage von der UN auch erst seit zweieinhalb Stunde. Das Fax kam nicht nach Frankreich, sondern lag hier im Hotel in meiner Ablage. Mit dem MoSAY tu‘ ich mit etwas schwer, da die Korruption in Kambodscha sehr hoch ist, weiß ich nicht, in wieweit dies ein guter Arbeitgeber für dich sein könnte. Von dem Documentation Center of Cambodia habe ich kein Kenntnis.“
Hannes meldete sich zu Wort „Bernhard, du sagtest eben „eurem“ Engagement, mich betrifft dies nicht. Patricia will Kinder unterrich…“ „Was ist dein Traum? Was hast du mir im Garten über Bildung gesagt? Wer hat in Reims vom durchbrechen der Spirale gegen Armut gesprochen? Hannes, wenn ich euch sage, dann meine ich dies auch so!“ „Bernhard…“ Hannes sah hilfesuchend zu Patricia „Ich kann dies nicht. Ich bin kein Lehrer. Ich bin nicht klug und habe schon gar…“ „Kein Abitur. Ja, wissen wir mittlerweile alle. Mon chérie, ich sagte dir schon einmal, eine Zahl auf einem Stück Papier beurteilt keinen Menschen nach dem was er kann und fähig ist zu leisten. Gut, dann geh‘ ich jetzt unser Zimmer putzen.“
Patricia gab ihm einen Kuss, wuschelte seine Haare und marschierte mit Waschmittel bepackt aus dem kleinen Büro.


Die Anthropologie sitzt im Schatten mit einer Wollmütze

Die drei Männer fuhren zu der Baustelle, um den Fortbestand der Arbeit zu begutachten. Hannes saß auf der Rückbank und genoss die kühle Luft der Klimaanlage im Auto. Sein Hirn machte mal wieder eine Achterbahnfahrt. Für Bernhard schienen die vorhin gesprochene Worte selbstverständlich zu sein. Er wollte jetzt dazu nicht sagen oder traute sich nicht es noch einmal anzusprechen.

Asger fuhr aus Svay Rieng in Richtung Süden raus. Nach ca. 10 Kilometer endete der Asphalt der Straße 334 und der Pickup fuhr über Lehmpisten ins nirgendwo. Vorbei an Mais- und Zuckerrohrfelder bog Asger irgendwann rechts ab. Die Piste war so schlecht, dass der Allrad angetriebene Toyota oft mit dem Bodenblech aufsetzte. Nach 15 Minuten fahrt auf dieser Folterpiste war der Pickup am Ziel.

Als Hannes aus dem Auto stieg, kam ihm diese wahnsinnige Schwüle wie ein Hammerschlag ins Gesicht.
Eine Handvoll Arbeiter waren mit langärmligen Hemden und Wollmütze an dem kleinen Pumpenhaus am arbeiten. Ein sechs Jahre alter 16 Tonnen Caterpillar 215 Kettenbagger war auf der Baustelle vorhanden. Der Baggerfahrer hob einen Graben von etwa 2 Meter Tiefe und 1,50 Meter Breite, auf einer Länge von 20 Meter aus.
Hannes sah die Sohle von dem Graben und verdrehte die Augen „Schaut euch mal diese Sohle an. Das ist eine Berg- und Talbahn – aber kein Graben. Da sollen zwei Hauptwasserleitungen vernünftig verlegt werden?“ „Die können es nicht besser“ sagte Asger.
Hannes schüttelte den Kopf „Mit dem 60 Zentimeter breiten Löffel dauert dies ja ewig, bis der Graben ausgehoben ist.“ „Bestellt ist das schon lange. Leider sind zuviele Schreibtische dazwischen.“ sagte Bernhard und zog die Schultern hoch.
„Okay. Auch mit einem 60 Zentimeter breiten Baggerlöffel kann man eine vernünftige Sohle baggern.“ „Die können es nicht besser“ wiederholte Asger.
„Asger, dies sagtest du bereits. Dann sollte man es dem Baggerfahrer doch sagen oder zeigen.“ „Dann mach. Du sagtest, du kannst Bagger fahren. Dann fahr du.“
Hannes sah den Bär von Mann an und wusste nicht was er sagen sollte.
„Dann zeig dein Können, oder hast du es nur gesagt?“ Forderte Asger ihn heraus.
Hannes ging zu dem Baggerfahrer und sagte ihm, dass er den Bagger fahren möchte. Der Fahrer kam Barfuss über die Kette herunter und war etwas irritiert, dass ein Europäer seinen Bagger fahren wollte.

Hannes musste sich erst mit den Hebel der Hydraulik vertraut machen. Es gibt bei den Herrsteller von Baumaschinen keine verbindliche Steuerung der Hydraulik. In Deutschland fuhr er öfter einen Liebherr Bagger, dieser hatte die Steuerung fast gleich wie der Caterpillar, lediglich das öffnen und schließen vom Baggerlöffel war ein anderer Hebel. Nach ein paar Minuten wusste er, wie die Steuerung funktionierte. Mit dem Kettenfahrwerk fuhr er über den Graben bis zum Pumpenhaus. Asger nivellierte die Tiefe vom Pumpenhaus zum Graben.
„Passt fast. Der Graben muss 10 Zentimeter tiefer. Das Fundament von dem Pumpenhaus ist bei 2,30 Meter Tiefe. Der Ausgang bei 2 Meter. Da müssten auch die zwei Wasserleitungen hin. Bei einem Wassersruck von fast 4 Bar am Ausgang der Pumpe, sollten die Rohre schon dort liegen.“

Hannes fing an zu baggern und zog eine vernüntige Sohle. Natürlich war er sich vom Augenmaß unsicher und bat Asger, vielleicht etwas zu oft, die Tiefe zu messen. In dem fast 30 Meter lagen Graben lag nun eine ordentliche Sohle.
Hannes zeigte dem Baggerfahrer nun, wie er die Baumaschine bedienen sollte und wie die Tiefe von dem Graben in regelmäßigem Abstand gemessen wurde. Wenn beim baggern große Steine kämen, sollte er diese weiter von dem anderen Grund legen.
Mit drei Helfer rollte Asger nun die je 8 Meter langen 24 Zoll PVC Wasserrohre in den Graben.
Bernhard wollte die Rohre einen Meter in das Bauwerk haben „So haben wir immer genügend Spielraum für die Pumpen. Lieber 20 Zentimeter vom Rohr abschneiden, als 2 Zentimeter zu kurz.“ „Ich habe für die nächsten Rohre zu verlegen keinen Widerstand. Ich mache auf die Rohre nun Sand und Erde drauf“ sagte Hannes.
Auf einer Länge von 5 Meter schaufelte er die Rohre zu.
Die Arbeiter brachten die nächsten beide Rohre. Hannes zeigte den Bauarbeiter, wie diese Rohre mit einer Spezialpaste an der Muffe richtig eingerieben wurden, dann kamen die anderen PVC Rohr an die Muffe, mit einer langen Eisenstange drückten sie mit 2 Männer die Rohre zusammen. Gleiches mit den anderen Rohr rechts daneben. Mit dem Baggerlöffel ließ er drei Mal Erde auf die Rohre fallen und verteilte diese während er den Baggerlöffel leerte. Auf einer Länge von 3 Meter lag nun Sand und Erde damit die Wasserleitungen beim zuschütten nicht verrutschen konnen. Immer hörte er von den Bauarbeiter
„Tsssss, tsssss, tsssss.“
Was die Männer ihm damit sagen wollten, wollte er nicht fragen. Könnte heißen: Oh,- so haben wir dies noch nie gemacht. Ist ja wunderbar, geht so viel einfacher, oder sieh mal an, so ist die Wasserleitung auch dicht.
Tsssss, tsssss, tsssss, war im doch etwas unsicher, also den Graben um weitere 25 Meter ausheben. Die Bauarbeiter rollen wieder PVC Rohre in den Graben. Gleiche Arbeit wie zuvor auch. Die nächsten beiden Rohre kamen in den Graben. Nun sollte Asger ein Kantholz hochkant an die Rohre stellen. Hannes drückte mit dem Baggerlöffel leicht dagegen. Nun hatte er die Sicherheit, dass die Rohre fest mit einander verbunden waren.
„Tsssss, tsssss, tsssss.“ „So wird es richtig gemacht. Ich möchte nicht wissen, wie die schon verlegten Leitungen in der Erde liegen. Was ist mit, tsssss, tsssss, tsssss gemeint?“ „Irgendwie alles. Die Kambodschaner benutzen dies ständig. Siehst du Hannes, dies ist Asien, wir könnten mit allem viel schneller sein, wenn bei den Arbeiter eine Motivation dahinter stehen würde und sie auch wüssten, was sie arbeiten.“ „Dann müsst ihr denen dies zeigen.“ „Ich kann kein Bagger fahren – du schon.“ „Ich bin ja jetzt da. Wie kann man bei dieser Hitze eine Wollmütze tragen?“
„Soll angeblich vor der Hitze schützen. Ich werde definitiv bei dieser Hitze keine Wollmütze aufsetzen“ gab Asger als Antwort.


Ein Wasserbau Projekt von über 180 Kilometer Hauptwasserleitung

„Wie groß ist der Abschnitt überhaupt, der hier gemacht werden soll?“
Bernhard zeigte auf den Plan „Der Beginn ist in Cău Strung Melch. Dort ist ein Nebenfluss vom Mekong und wir haben das erste große Pumpenhaus fertig. Ab da geht die Wasserleitung bis zur Stadt Bavet Leu, an die Grenze zu Vietnam. Die Hauptstrecke sind fast 170 Kilometer lang. Dann kommen noch die ganzen Pumpen dazwischen und von dort links und rechts der Hauptleitung noch mal 20 bis 30 Kilometer in die Dörfer. Unser Projekt ist das komplette Gebiet südöstlich von der N1, vom Mekong bis nach Vietnam ist dies sehr trocken. Landwirtschaft ist nur mit Pflanzen möglich, die kaum Wasser brauchen und der Mensch braucht schließlich auch Wasser. Also ein Projekt das noch lange braucht. Du siehst die Geschwindigkeit der Arbeiter. Eigentlich wollten wir in drei Monaten die Ortschaft südlich von hier verbinden. Ich bin am Abschnitt 1, bei dem großen Pumpenhaus mit 20 Bauarbeiter und 4 Leute von unserer Firma. Eliane Mayers ist die Chefin für das ganze Projekt. Roman Welter ist Hochbauarchitekt und kümmert sich zur Zeit um den Tiefbau in meinem Bauabschnitt. Beide kommen aus Luxemburg. Ferdinand Gerber und Jonathan Pilcher kommen aus Österreich. Beide sind Hochbauer. Sie kamen drei Tage vor uns an. Bei Kor An Doeuk beginnt Abschnitt 2. Da ist der Leiter ein Belgier, Arthur Vermeulen – auch Architekt. Er hat 15 Bauarbeiter aus Kambodscha, zwei Belgische Tiefbauer und einen Engländer in seinem Team. Asger ist Abschnitt 3. Cees de Groot kommt aus den Niederlanden und Luan Bernasconi aus der Schweiz. Sie kommt erst in den nächsten Tagen in Phnom Penh an. Cees und Luan sind gute Handwerker für Hoch- und Tiefbau. Das ist unser kleines Team. Du kannst hier bei Asger bleiben. Ihr habt ja immerhin das größte Gebiet, oder willst du mit zu mir an Abschnitt 1 kommen?“ „Nee, Hannes ist cool, der bleibt bei mir“ wurde von Asger beschlossen.
„Lasst und noch von dem Pumpenhaus die nächsten 500 Meter Graben vermessen. Mit drei Mann sind wir schnell durch damit. Weißt du wie das geht?“
Hannes nickte Bernhard zu „Ja, ich hab dies in der Ausbildung gelernt. Wer macht den Vorblick? Wo kommt der Wechselpunkt hin und wer ist der Rückblick? Wo ist der erste Punkt und wo willst du hin?“
Asger nickte anerkennend „Dein Schwiegersohn weiß wie es geht!“

Asger entfaltete den Plan für diesen Abschnitt und erklärt, wo die Wasserleitungen verlegt werden. Bernhard ging zu der eben verlegten Wasserleitung um den Ausgangspunkt zu markieren. Asger machte sich mit dem Nivelliergerät und Hannes auf den Weg nach Osten. Nach guten 250 Meter baute er das Nivelliergerät auf. Hannes ging in die ihm gesagte Richtung nochmals 250 Meter nach Osten. Nun musste er 50 Meter nach links gehen, damit Asger den Schlusspunkt für diese 500 Meter setzten konnte. In der Messklatte wurden die Höhen von den Punkt dokumentieren. Da nun die Höhenmeter bekannt waren, fing Hannes an den Weg zurück in Richtung Asger mit Holzpfosten zu markieren und alle 50 Meter wurde eine neue Höhenangabe auf die Messklatte und Holzpfosten geschrieben. In Richtung Bernhard wurde das gleiche gemacht. Nur mit der Vermerkung „Rückblick“. Schnell war die Strecke vermessen und abgesteckt. So hatten die paar Bauarbeiter für die nächste Zeit ihre Arbeit.


Von Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht

Der Pickup holperte den Pfad zurück in Richtung der 334. Hannes saß auf der Rückbank. Ihn beschäftigten einige Gedanken „Ich verstehe die Arbeiter nicht. Es ist doch zu ihrem Wohl das Wasser verlegt wird. Es ist doch ihr Lebensstandard der dadurch erhöht wird.“
„So denkst du, Bernhard und ich. Nur was willst du tun, wenn bei denen die Motivation fehlt? Mit der Peitsche sie antreiben? Es ist eine andere Kultur! Hannes, was waren wir in Mitteleuropa für eine Kultur vor – ich sag mal, 3000 Jahren?“
„Asger, wenn du so weit zurück gehst, würde ich sagen, unsere Kultur hat sich, bis zu deiner genannten Zahl, vom Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht gewandelt. Wir wurden sesshaft und haben die Gebiete erschlossen, in denen wir lebten. So hatte Europa schon in der Antike angefangen sich zu entwickeln. Brücken, Staudämme, Straßen, Burgen und Festungen wurden gebaut. Auch die Kraft von Wasser und Wind wurde schon sehr früh genutzt. Ist das so in etwa was du hören wolltest?“
Asger nickte nach rechts über die Schulter und sah Hannes kurz an, bevor er wieder den Blick auf die Piste richtete.
„Ist es! Mit deinen 20 Jahren, hast du eine sehr gute geschichtliche Kenntnis. Ich denke dann muss ich dir auch die Kultur in Südostasien nicht erklären – du weißt es.“ „Danke. Jäger und Sammler, würde ich sagen. Sie jagen heute und haben für die nächste Zeit ausgesorgt. Sammeln das was sie heute und morgen brauchen und setzten sich dann mit Wollmützen in den Schatten. Die kontinuierliche Arbeit und Fürsorge für Tiere fehlt hier. So ist es auch mit der Landwirtschaft. Es müssen Vorbereitungen gemacht werden um etwas zu Ernten. Ich sehe links und rechts doch Felder, auch sie haben Vieh. Also wissen sie doch wie es geht. Ganz verstehen kann ich es immer noch nicht. Sie haben doch Häuser und eine Infrastruktur über Jahrhunderte aufgebaut. Immerhin war Angkor vor tausend Jahren die größte Stadt der Welt. Da hat es New York noch nicht gegeben. Die Khmer hatten eine Hochkultur welche in Südostasien ziemlich einmalig war.“
Bernhard drehte sich vom Beifahrersitz zu ihm um „Bis du sicher das du nicht besser Anthropologie und Ethnologie studieren würdest?“„Entschuldigung, ich wollte euch nicht mit meinen Gedanken zutexten.“ „Ist alles gut! Du hast einen wirklich brillanten Verstand. Du machst dich nur selbst immer so klein. Ich erinnere mich, als wir nach Reims gefahren sind und du so vieles über die Maginot-Linie und Verdun wusstest. Die Gespräche mit dir sind eine Wohltat für jede Unterhaltung.“ „Merci beaucoup.“

Ein Hotelzimmer wird wohnlich

Am Spätnachmittag waren die drei Männer im Hotel angekommen. Patricia hatte das Zimmer geputzt wie es wahrscheinlich noch nie geputzt wurde. Es roch viel besser und alles sah sehr ordentlich aus.
Auch das Bad hatte eine komplette Grundreinigung erhalten.
„Salut Prinzessin, das Zimmer ist gar nicht mehr wieder zu erkennen! Sieht sehr gut aus. Wo kommen die neuen Decken und Fotos her?“ „Merci. Ich hab mir ein Motorrad geborgt und bin in der Stadt herum gefahren. Ich habe sogar ein großes Kaufhaus gefunden. Groß das Gebäude und – na ja, der Warenbestand zeigt die sehr große Not in dem Land. Ich wollte neue Bettwäsche haben. Ich weiß nicht wer vor uns in dem Bett geschlafen hatte. War gar nicht so einfach die hier zu kaufen. Was bei uns ein ganz normaler Zustand ist, ist hier eine Herausforderung.“

Es klopfte an der Zimmertür. Bernhard trat ein und bedankte sich für das überaus saubere und geputzte Zimmer von ihm. „Gerne doch. Mon cher père. Ich wollte bei Asger nicht einfach so ins Zimmer gehen. Ich kann ihn aber gerne mal fragen.“ Bernhard setzte sich an den kleinen Tisch, er wollte etwas sagen. Hannes rechnete schon mit dem Schlimmsten.
„Ich habe mir vorhin deine Gedanken, die du auf dem Rückweg sagtest, mal durch den Kopf gehen lassen. Du hast unglaublich viele und gute Ansätze gesagt“ Patricia saß auf dem Bett und hörte zu, was ihr Vater zu ihm sagte. „Gerade was die Anthropologie betrifft könntet ihr beide mit euren Ideen neue Wege finden für eben die fehlende Motivation der Menschen hier.“
Patricia sah Hannes mit großen Augen an „Papa, hab ich irgendwas verpasst?“
Bernhard nickte seiner Tochter zu „Vielleicht. Auch wenn Hannes oft sagt, er sei der Klassenkasper gewesen, hat er ein großes Allgemeinwissen und macht sich über Anthropologie und Ethnologie sehr viele Gedanken. Wir können und wollen anderen Kulturen nicht mit Gewalt unsere Kultur aufzwingen. Dies hat bei den Kreuzzügen schon nicht funktioniert. Wir könnten aber einen kleinen Motivationsschub erreichen.“ „Bernhard, wie soll dies geschehen? Es sind doch nur meine Gedanken gewesen. Hätte ich eine Lösung, wäre mir ein Nobelpreis sicher.“ „Dafür bin ich jetzt hier. Patricia möchte deinen Traum von Bildung an Kinder umsetzen, dies gepaart mit Motivation, Kontinuität und Verantwortung der Menschen in diesem Gebiet, wäre Kambodscha – vielleicht auch Südostasien, nicht mehr zu abhängig von Ausländischer Hilfe. Mir ist bewusst, dass so etwas nicht in einem viertel Jahr geschehen kann, aber auf längere Sicht“ er sah Hannes und Patricia an „macht euch mal Gedanken darüber.“

Patricia lag rechts von ihm im Bett und kraulte seine Haare „Anthropologie und Ethnologie? Sag mal, über was redest du wenn ich nicht dabei bin? Ich weiß, dass du permanent am denken bist. Bin nicht ich es oder unser Haus, ist es offenbar die Anthropologie. Dein Hirn muss doch permanent Dauerbelastung laufen. Wir kennen uns nun über sechs Monat, bald sind es sieben, ich habe selten erlebt, dass du einfach mal an nichts gedacht, oder dir über etwas Sorgen gemacht hast.“
Hannes sah sie traurig an „Du hast ja recht. Mir ist vieles zu schnell. In den letzten sechs Monaten hab‘ ich mit dir mehr erlebt, als manche in ihrem Leben nie erreichen oder erleben werden.“
Patricia schüttelte den Kopf „Chérie, es war kein Vorwurf gegen dich. Im Gegenteil. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so viel am denken ist wie du. Selbst beim schlafen kannst du nicht abschalten.“ „Ist dies so?“
Patricia nickte „Ja. Wie ich schon am Flugplatz gesagt habe, wünschte ich mir, in dein Gehirn zu schauen.“ „Naja, was ich jetzt denke, kann ich dir sagen. Niemals dachte ich nach Kambodscha zu gehen. Da bin ich nun. Ich dachte, ich mache hier den Handlanger. Nun bekomme ich Pläne von Bauabschnitten gezeigt und erklärt. Ich werde gefragt und gebe Antworten, bei denen andere Leute sich darüber Gedanken machen. Mein Traum an Bildung für Kinder wurde ganz offensichtlich an die UN weitergetragen. Patricia, diese Geschwindigkeit ist atemberaubend und ich habe Angst das ich falle.“
Patricia gab ihm einen Kuss „Du fällst nicht. Du nicht! Dein ganzes Handeln ist so aufgebaut. Selbst wenn du fällst, stehst du sofort wieder auf. Du bleibst nicht liegen. Ich bewundere dich sehr dafür. Du sagst, du bist nicht schön, nicht klug und nicht reich. Dies ist völliger Unsinn! Du redest über Anthropologie wie andere über das Wetter und du sprichst tagelang mit Peter über Themen, die ich in der Schule auf auf ein paar Seiten gelesen habe. Ich liebe dich, so wie du bist und Reichtum an materiellen Dingen, kann morgen schon vorbei sein. Reich an Liebe, Charakter und Verstand bleiben immer. Ich mag deine Grübchen beim lachen, deine blauen Augen wenn sie strahlen, die Fürsorge mir gegenüber und deinen Charakter. All dies hebt dich von 5 Milliarden Menschen ab.“


Außenpolitik in einer Hotellobby

Am Abend saß die kleine Gruppe bei Wasser, Softdrinks und Bier in der kleinen Halle vom Hotel und hatten endlich mal die Zeit, sich richtig kennen zu lernen.
Asger erzählte viel von sich. Er sei 20 Jahre auf einem Frachter auf großer Fahrt gewesen und hatte irgendwann das Seeleben satt. Hannes war seit einigen Jahre von den Legendären P-Flyer, der Hamburger Reederei F. Laeisz fasziniert, so waren sehr schöne Gespräch über die Peking, Padua, Pamir und natürlich der Preussen entstanden. Patricia und Bernhard wussten nicht im Ansatz um was es ging. Asger war ein sehr angenehmer Mann. Von seiner Art, die Ruhe wie er etwas erklärte und seine Ausstrahlung erinnerte er ihn an seinen Vater. Hier in Kambodscha hatte Hannes einen Vaterersatz gefunden und die nächsten Monate würden dann nicht ganz so schlimm werden.

Später am Abend wurde Asger dann doch sehr persönlich „Ich hatte vor Jahren eine Thailänderin kennengelernt. Wir haben geheiratet und ein paar Jahre später einen Sohn bekommen. Es war alles super. Urlaub in Thailand gemacht und zwei Jahre nach der Hochzeit hatte ich ihr ein Haus in Thailand gebaut. Es sollte mal als Alterssitz gedacht sein. Dann gab es immer mehr Konflikte in der Ehe und irgendwann konnte und wollte ich nicht mehr. Mein Verdienst war ihr auf einmal nicht mehr genug, obwohl sie alles an Wünschen von mir bekommen hatte. Ich sagte nie Nein und trotzdem war es nicht genug. Dann begann ein Scheidungskrieg und ich ging weg. Ich flog nach Thailand in mein Haus und suchte mir Arbeit. Über viele Umwege kam ich dann zu ODHI und so bin ich in Asien geblieben. Zwei Jahre später schenkte ich meiner Frau unser Haus und ich kaufte mir ein eigenes Haus in einem Village in Chon Buri. Die Stadt ist nicht weit von Bangkok weg, liegt am Meer und das Village ist abgesichert. Wenn ich zwei oder drei Monate hier in Kambodscha bin, weiß ich, dass mein Haus bewacht und gesichert ist.“ „Du gehst gar nicht mehr nach Europa?“ Fragte Patricia erstaunt.
„Was soll ich dort? Patricia, ich bin nun seit sieben Jahren in Thailand, bzw. Kambodscha. Was fehlt mir den hier? Ich arbeite seit vier Jahren in Kambodscha. Ich helfe dieses Land aufzubauen, dies ist durch die politische Lage nicht ganz einfach. Hilfe ist wichtig um dem Land eine neue Chance zu geben. Das Geld was ich hier verdiene, ist in Asien ein fürstliches Gehalt. In Dänemark besser als der Durchschnitt. Schaut euch doch an! Wie fertig, kaputt und übermüdet ihr in Phnom Penh angekommen seid. Dies wollt ihr euch alle drei Monate antun? Bei deinem Vater kann ich es erstehen. Er hat Familie in Frankreich. Ihr beide habt euch und könnt doch machen was ihr wollt“

Patricia sah Hannes mit diesem „er hat recht“ Blick an.
„Es ist euer erster Einsatz, vielleicht kommt in zwei oder drei Wochen die Erkenntnis das dies nicht eure Welt ist und ihr zurück nach Europa wollt. Ihr werdet nicht die ersten und letzten sein. Was du und Hannes vor habt, glaube ich fest daran, dass ihr es auch durchzieht.“ „Asger, nun mach mal langsam. Wir sind jetzt den dritten Tag in Südostasien. Wir haben Freunde, Familie in Deutschland und Frankreich“
Asger sah Hannes fordernd an „Welche Freunde, Hannes? Die die sagen sie kommen dich besuchen und immer kommt etwas dazwischen oder die Freunde, die du einmal im Jahr beim Geburtstag siehst?“
Konnte Asger gerade seine Gedanken lesen?
„Freunde oder Menschen mit den ihr gerne zusammen kommt, findet ihr auch hier. Ihr beide seit offen, freundlich und gebildet, da habt ihr doch keine Probleme andere Menschen zu treffen und kennenzulernen.“ Patricia nahm die Hand von Hannes und nickte.
„Schaut, Kambodscha hat durch den Genozid ein viertel seines Volkes umgebracht. In 3 Jahre, 8 Monate und 20 Tage hat die Rote Khmer 2,2 Millionen Menschen ermordet. Es gibt auch Schätzungen die auf 3 Millionen kommen. Niemand weiß es genau. Kann sein, dass wir beim graben für ein Pumpenhaus auf ein Massengrab stoßen. Kambodscha war vor dem Bürgerkrieg ein Land mit dem höchsten Lebensstandard in Südostasien! Heute kann es sich nicht einmal selbst Ernähren. Das Land ist bettelarm und der Analphabetismus ist mit der höchste auf der Welt. Patricia, so viele Lehrer gibt es gar nicht um diesem Volk wieder Bildung beizubringen. Ich habe vor euch den allergrößten Respekt! Dein Vater und ich verlegen nur Wasserleitungen, dies kommt nicht annähernd an euer Vorhaben ran.“
Hannes beschwichtigte Asger „Komm, Asger, nun ist aber gut! Durch euch sind wir überhaupt in der Lage hier zu sein und Wasser ist ein Grundrecht für jeden Mensch auf der Welt. Wissen alleine ernährt keine Menschen, er braucht auch das Wasser zum leben. Natürlich ist es mein Traum, die Bildung für Kinder zu verbessern. Kinder sind unsere Zukunft. Sie können mit Bildung mehr erreichen als deren Eltern es heute tun. Dazu gehört aber mehr als Bücher. Nachhaltige Perspektiven sind wichtig. Da zählt dein, Ich-verlege nur-Wasserleitungen, ganz oben dazu. Wir alle sind hier um diese Welt zu verbessern.“
Patricia gab Hannes einen Kuss, Asger schlug ihm seine rechte Bratpfanne gegen den Oberarm „Hannes, du bist schon cool! Bernhard kann mit recht stolz auf einen solchen zukünftigen Schwiegersohn sein.“
Bernhard sprach in die Runde „Die Außenpolitische Probleme von Kambodscha, führten zu einer Ablehnung der meisten Staaten in Europa, sowie der ASEAN-Staaten um diesem bis auf den Grund gebeutelten Land Entwicklungshilfe zu geben. Einzig Frankreich und Irland enthielten sich der damaligen UN Abstimmung. Darum ist Frankreich heute hier. Dies hat auch etwas mit der früheren Kolonialzeit zu tun. Die Europäische Gemeinschaft, die UN, USA und die ASEAN-Staaten bestimmten mit ihrer Haltung und Politik zu einem Abwärtstrend in diesem Land. Lediglich China und die UdSSR beteiligten sich an dem Aufbau. Die Infrastruktur ist sehr östlich geprägt. Erst vor vier Jahren, Asger war somit einer der Pioniere in diesem Land, wurde ein Entwicklungshilfe Kommissar von der EG eingesetzt. Dadurch wurde eine Flüchtlings Übereinkunft mit Staaten in Europa geschaffen. Auch gibt es insgesamt 11 Aufbauprojekte in Kambodscha. Wir sind eines davon. Direkte bilaterale Unterstützung gibt es zu wenig. Hannes, du sagtest mir am Geburtstag von Patricia, dass Außenpolitik viel bewirken kann. Kann sie – positiv wie auch negativ. Wir erleben die Außenpolitik der Welt an der Basis. Wir sind nur ein kleines Rad in der großen Weltpolitik, die über Hilfe oder Sanktionen bestimmt. Wer meint, dass Entwicklungshilfe einfach mal so gemacht werden kann, täuscht sich sehr. Ihr beide habt dies von Anfang an begriffen.“
Patricia gab Hannes einen Kuss, schaute ihren Vater und Asger an „Wir sind nur ein kleines Rädchen, ein kleiner Teil in einer mächtigen und riesigen weltumspannenden Maschinerie und geben uns alle Mühe, anderen Menschen zu helfen.“
Alle nickten bei den Worten von Patricia.


Das erste Treffen mit der UN

Es war eine Wohltat in einem nun sauberen und geruchsfreiem Zimmer zu schlafen. Das Bett fühlte sich viel besser an. Patricia fühlte sich besser an. Sie saß im Reitersitz auf ihm. Küsste und wuschelte sein Haare. Diese kleine quirlige Person war schon etwas ganz besonderes! Diese Kraft, Ausdauer und Hartnäckigkeit, gepaart mit Schönheit und Intelligenz war nicht nur beim Sex Einmalig.

Morgens vor dem Frühstück schon die Schweißperlen auf der Haut zu haben, war auch nicht ein guter Start in den Tag. Hannes kam aus der Dusche und hätte sich beim abtrocknen sofort wieder unter das lauwarme Wasser stellen können.

Das Frühstück im Hotel mit frischem Obst, Eier, Marmelade und Wurst war gut, wobei er zum ersten Mal Reisbrei aß und sich in diese Mahlzeit verliebte.
Was in Kambodscha als Brot bezeichnet wurde, musste Hannes erst einmal neu definieren. Auch der Kaffee hatte außer der Farbe nichts mit dem zu tun, was er kannte. Die Softdrinks aus China, Thailand oder Kambodscha waren dermaßen süß, dass es fast schon widerlich war diese zu trinken. So blieb Wasser als bestes Alternative. Dieses mit Mango, Melonen oder anderen Früchten angesetzte Wasser, war bei dieser schwüle und Hitze das richtige Getränk.

Hannes machte im Hof von dem Hotel den Toyota Pickup klar. Er Checkte das Öl, Wasser und Reifen an dem, was nun sein Auto war.
Eine ältere Frau mit Handtuch um die Schultern kam an ihm vorbei. Er grüßte sie freundlich. Sie grüßte zurück mit den Worten „Chomngu phta say.“ Ihr sei kalt – oder es ist frisch heute. Kaum zu glauben! Ihm lief der Schweiß ins Gesicht und dieser Frau war es kalt.
The people in this world are crazy.

Auf dem Weg nach Phnom Penh fuhr Bernhard zu seiner Baustelle in Cău Strung Melch vorbei. Dann fuhren sie ins Büro nach Kâmpóng Trâbêk. Ah Leang Mëy grüßte die drei wieder auf ihre freundliche Art.

Im Büro von Bernhard hingen riesige Pläne, die die Größe von Tischtennisplatten hatten. Dort sah Hannes erst einmal die Dimensionen von diesem Projekt. Geländeprofile, Querschnittspläne, Höhenmaßstäbe mit Überhöhungsfaktoren von Hügel oder Berge, waren darauf zu sehen. Punkte mit Kreise signalisierten die Pumpen. Große Kreise für die Hauptpumpen, kleine Kreise für die Verteilerpumpen. Welcher Abschnitt fertig war, signalisierten blaue Linien. Die Strecken in Arbeit waren blau gestrichelt. Rot vermessen, gelb geplant.
„Ich lasse dir alle Pläne noch kopieren, dann hast du auch alles zusammen und musst die Pläne nicht mit Asger teilen. Wie der Teufel will, braucht man dann den gleichen Plan, wie der Kollege“ sagte Bernhard.

Eliane kam ins Büro und grüßte freundlich „Moien Hannes, bass du schon am Hotel néiergelooss?“ „Hallo, Eliane. So irgendwie. Es ist etwas anders als Europa.“ Eliane nickte „Richtig. Man gewöhnt sich aber auch an den Rhythmus in Südostasien. Bernhard, hier ist die neue Beschaffungslisten für die nächsten zwei Monate. Ich gab das Material vor drei Wochen schon in Auftrag. Heute kam die Bestätigung für die Lieferung in den nächsten Tagen. Ich hoffe es bleibt auch dabei.“ „Danke, Eliane. Ich wollte dies mit Hannes auch noch besprechen. Du bist ja nun da. Dann kannst du es auch tun.“ Eliane nickte.
„Also gut. Hier in Kambodscha braucht alles etwas länger. Wenn du nun einen Bauabschnitt leitest und eine gewisse Anzahl an Wasserleitungen brauchst, sag mir so früh wie möglich bescheid. Du musst dies alles nicht auf den Meter genau rechnen. Es kommt oftmals nicht die georderte Bestellung an. Lieber 100 Meter mehr als 5 Meter zu wenig. Wir bemühen uns schon, dass ihr Material bekommt. Es ist immer blöd, wenn die Baustelle steht.“
Hannes nickte „Verstehe ich. Zeit ist Geld. Dies gilt auch in Kambodscha.“ „Exakt. Es reißt dir aber auch niemand den Kopf ab, wenn das Material erst ein paar Tage später kommt. Wir sind schon froh, dass wir überhaupt verlässliche Zulieferer gefunden haben. Wenn du mit irgendwas nicht klar kommst, kannst du jederzeit anrufen. Hast du überhaupt eine Telefon.“ Hannes schüttelte den Kopf.
„Gut, ihr fahrt heute nach Phnom Penh. Dort kannst du dir ein Mobiltelefon kaufen. Die Dinger kosten hier kein Geld. Bring die Rechnung mit und du bekommst dein Geld zurück.“

Eine junge Frau kam mit einer großen Karaffe Wasser und einem Tablett mit Wassermelonen Stücke ins Büro von Bernhard.
„Hallo, ich bin Nita Suvath und arbeite im Büro in der Buchhaltung.“
Hannes und Patricia stellen sich ihr vor.

In der kleinen Sitzecken im Büro von Bernhard tranken sie das kühle Wasser und aßen die Wassermelonen Stücke.
„Du hast Eliane gehört, wenn etwas sein sollte, einfach anrufen. Ich komme nicht immer nach Svay Rieng. Ich bin oft bei meinem Team in Preaek Khsay Kha. Ich habe hier im Büro ein kleines Apartment.
Da ich für das ganze Projekt zuständig bin, muss ich hin und wieder nach Phnom Penh zum Ministerium damit Material kommt. Die Pumpen kommen endlich aus Deutschland. Die Pumpen aus China sind zu anfällig und haben nicht die Leistung die gebraucht wird. Aus dem Grund bin ich schon das ein oder anderen Mal im Büro von der Weltbank. Humanitäre Hilfe hat auch viel mit betteln zu tun. Werdet ihr alles noch erfahren. Kommt, ich stell euch noch Roman Welter vor.“

Zwei Türen weiter war das Büro von Roman Welter. Es war ein Raum mit vielen Tischen und eine komplette Wand mit Schränke, die voll mit Ordner waren. An einer Wand hingen zig Baupläne von den Hochbau Projekten.
„Wëllkomm op organiséiert Chaos“ sagte Roman lachend in einem lëtzebuergischen Akzent. Roman ging auf die 50 zu. Hatte die Größe von Hannes, kaum noch Haare auf dem Kopf und war etwas Übergewichtig.
„Wenn ihr die beiden Almjodler noch kennen lernen wollt, müsst ihr ans Bauwerk fahren.“ „Heute nicht. Meine Tochter hat später noch einen Termin bei der UN und MoSAY in Phnom Penh. Nun lasst uns fahren, damit Patricia auch weiterkommt.“

Bernhard lotste Hannes mit einer Straßenkarte, die auch ein Schnittmusterplan aus einer Burda Modezeitschrift sein konnte, durch Phnom Penh. Hannes sah noch nie eine so unprofessionelle Straßenkarte. Wie gut, dass Bernhard sich recht gut in dem Gewirr von Chaos auskannte.
Das Büro der UN war im Süden des Zentrums von Phnom Penh. Im Distrikt Sangkat Tuek L’ak Ti Muoy. Dort waren mehrere Ministerien, ein großes Krankenhaus, die Universität und andere Verwaltungsbehörden. So auch die Kaserne der UN Blauhelm Soldaten und kleinerer UN Unterorganisationen.
Bernhard musste sich auf dem Areal zweimal durchfragen bis er den Absender von dem Fax gefundenen hatte. Ein braunes dreistöckiges Betongebäude war also die Adresse von UNICEF in Kambodscha. Ein Blauhelm Soldat aus den USA, erklärte den Weg ins Büro im dritte Stockwerk.
Patricia war die Ruhe selbst, während der Puls von Hannes an der Belastungsgrenze angekommen war. Der Klassenkasper von Nahetal stand vor der Bürotür der UN!

Laureen Thompson
Chief Director UNICEF Cambodia
Department of Education and Health

Stand auf dem Schild rechst neben der dunkelbraunen Tür zu lesen.
Bernhard klopfte an die Tür. „Come in.“ Hörten sie durch die Tür rufen.

Das Büro war ein großer Raum von 40 Quadratmeter mit 4 großen Schreibtische, Konferenzecke, Schränke und Regale aus hellem Holz. Die Stühle waren mit dunkelblauen Stoff bezogen. Es war ein ganz anderes Bild als im Hotel und erst recht in der Grundschule in Svay Rieng.

Zwei Frauen saßen an zwei großen
Schreibtischen. Eine Mittfünfzige etwas kräftige weiße Frau und eine junge hübsche Asiatin. Die ältere Frau stellte sich als Laureen Thompson vor. Die junge Asiatin, die im gleichen Alter wie Patricia und Hannes sein konnte, stellte sich als Hattie Walker vor.

Frau Thompson bat den Gästen in der Konferenzecke platz zu nehmen. Sie ging zu einem der Schreibtische und kam mit einem roten Ordner in der Hand zurück und setzte sich Patricia gegenüber. Frau Walker nahm gegenüber von Hannes platz.

„Ich habe ihr Dossier gelesen und bin schwer beeindruckt von dem was Sie geschrieben haben“ begann Frau Thompson das Gespräch „wir suchen Lehrer auf der ganzen Welt, die die Situation hier in Kambodscha verändern wollen und können. Eigentlich suchen wir Studierte und Ausgebildete Lehrkräfte. In Anbetracht der fehlenden Zahl von gut Hunderttausend Lehrer in Kambodscha, sind wir froh, überhaupt jemand zu finden der eine solche Aufgabe übernehmen möchte. Ihre Noten – wie auch Ihre Abiturnote sind erstklassig. Erzählen Sie bitte in Ihren Worten, was und wie Sie sich Ihr Engagement vorstellen.“

Patricia hatte ein ganz klare Vorstellung, wie sie die mangelnde Bildung auf dieser Welt sah und was sie dagegen unternehmen möchte. Hannes kannte die Schilderung von Patricia – denn es waren seine Worte, die er in Fréjus zu Peter sagte.

Frau Walker fügte nun noch einige Umstände an, die eben viele Projekte nicht so einfach realisieren lassen „Die humanitäre Hilfe für die Völker in Not, die Kambodscha von den Vereinten Nationen erhielt, gab lediglich UNICEF, dem World Food Programm und UNHCR die Möglichkeit in dem Land zu helfen und zu arbeiten. Die Word Health Organisation, UNESCO und andere UN Organisationen verweigerten ihre Unterstützung. So wurde die vereinbarte Zusage an Hilfe mal eben um 50% halbiert. Das Volk leidet nun schon seit 10 Jahren unter dieser Haltung der Weltgemeinschaft. Nach dem Bürgerkrieg war für 3 Jahre nur noch die UN Food and Agriculture Organisation in Kambodscha. Diese stellte aber vor 8 Jahren ihre Entwicklungshilfe fast ganz ein.“
Hannes sah Bernhard an „Da sind wir wieder beim gleichen Thema wie gestern Abend.“

Patricia zeigte Frau Thompson noch das Empfehlungsschreiben vom Schulleiter der Krol Kor Salarien Bathamseksaea Grundschule für das Documentation Center of Cambodia.
Als Frau Thompson dies gelesen hatte, nickte sie Patricia anerkennend zu „Für die kurze Zeit, die Sie in Kambodscha sind, geben Sie mächtig Gas. In Anbetracht der immensen Zahl an fehlenden Lehrer können Sie sich Ihren Arbeitgeber aussuchen. Der Schulleiter hat es treffend formuliert. Auf dem Land ist eine katastrophale Lage an Lehrermangel. UNICEF ist in der Provinz Svay Rieng nicht vertreten. Wir sind in den Provinzen Phnom Penh, Siem Reap und Battambang.“
„Nun Frau Thompson, da mein Freund in der Provinz Svay Rieng ist, möchte ich schon in seiner Nähe sei. Wie Sie dem Schreiben entnehmen können, gibt es um die Stadt Svay Rieng mehr als genügend leerstehende Schulen.“
Hannes sah mit leichtem Blick zu Bernhard und lächelte. Patricia ließ sich von Frau Thompson nicht einschüchtern.
„Ich hatte gestern mit dem Documentation Center of Cambodia telefoniert, denn ihnen liegt dieses Schreiben auch vor. Theng Sokchea, der Leiter für Schulwesen in diesem Center, würde es begrüßen, wenn ich eine Schule in Biên Phòng Khốt übernehmen würde. Dieser Ort ist circa 20 Kilometer nördlich von Svay Rieng entfernt. Ich werde mich heute Nachmittag noch mit ihm treffen.“ „Wenn dies so ist. Lassen Sie mich bitte wissen, wie Sie sich entschieden haben. Wenn ich Sie noch zum Mittagessen in unserer Kantine einladen dürfte, würde ich mich sehr freuen.“

Gemeinsam gingen sie in die Kantine auf dem Kasernenareal essen. Die Mahlzeit war sehr nordamerikanisch geprägt.
Beim Essen wurde das Projekt erklärt, welches Bernhard betreute und in welchen zwei Provinzen dies sei. Die Haltung von Frankreich zu Kambodscha wurde angesprochen und das sich Bernhard mehr bilaterale Verträge von Industriestaaten für dieses Land wünschen würde.

Patricia und Frau Walker hatten gleich eine gute Ebene gefunden. Hannes sah und hörte, dass deren Gespräche oft persönlicher Natur waren. Bei der Unterhaltung von Patricia und Frau Walker wollte er sich nicht beteiligen. Er wollte diese anscheinend guten Gespräche nicht stören. Bei Bernhard und Frau Thompson waren es ihm zu viele und zu große weltpolitische Themen. Er, der kleine Junge, der aus einem kleinen Dorf an der Nahe kam, sollte ein Teil dieser weltumspannenden Maschinerie von Staaten, Politik, Macht und Wirtschaft sein? Dies alles war für ihn dann doch zu groß.

Er sah sich in der Kantine um und entdeckte einen Kaffeevollautomaten. Kaffee! Hannes entschuldigte sich und machte sich auf den Weg zu diesem Lebenselixier spendeten Automaten. Hoffentlich kein Muckefuck, dachte er.
Die erste Tasse füllte er nur mit einen Schluck. Sicher war sicher. Er probierte den Kaffee. Kaffee!
Er füllte gleich fünf große Tassen und brachte diese an den Tisch.
Beim letzten Schluck kam ihm eine Idee. Er entschuldigte sich nochmals und verschwand in der Küche. Dem Küchenchef anbettelnd und flehend, ihm doch in Gottes Namen zwei Päckchen Kaffee zu verkaufen, kam er mit einem großen Karton Kaffee an den Tisch zurück. Auf die Fragenden Blicke aller am Tisch, sagte er zu Bernhard „Humanitäre Hilfe hat viel mit betteln zu tun. Bei dir ist es die Weltbank, bei mir der Küchenchef.“

Bernhard sagte in die Runde, dass es Zeit zum Aufbrechen sei, denn er wollte schließlich mit Patricia zum MoSAY und anschließend zum Documentation Center of Cambodia fahren.
Patricia schüttelte den Kopf „Non. J’ai un travail avec l’UNICEF.“
Hannes war bei diesen Worten wie vor den Kopf geschlagen. Bernhard war mittlerweile die schnellen Entscheidungen seiner Tochter gewöhnt und zog die Schultern hoch.

„Mon chérie, ich habe mit Hattie auch schon über dich gesprochen und das es eben dein Traum ist. Du bist immerhin maßgeblich daran beteiligt, dass wir heute hier sind.“ „Äh… Prinzessin, darf ich dich daran erinnern, dass ich kein Abi habe!“
„Wer baggern kann, kann auch Kinder unterrichten“ Patricia gab ihm einen Kuss und wuschelte seine Haare.

Zurück im Büro von Laureen und Hattie, mittlerweile war man beim du, wurden noch einige Details besprochen. Laureen war sichtlich erleichtert, dass Patricia ihr die Zusage gegeben hatte und nicht dem
Documentation Center of Cambodia.
Patricia hatte einen Vertrag über die Anstellung als Lehrerin in Kambodscha durch UNICEF vor sich liegen.


Kmean banhhea te – Kein Problem, kein Problem

Nach dem dies alles so schnell ging, fuhren sie in ein großes Einkaufszentrum in der Stadtmitte von Phnom Penh.
Diese Mall hatte nichts mit verstaubter Ware und Rolltoren zu tun! Hier gab es alles zu kaufen. Waschmaschinen, Kühlschränke, Kleidung, Klimaanlagen,
Lebensmittel und sogar dem Klassenfeind seine Brause aus USA. Marktwirtschaft ist doch stärker als Kommunismus, dachte Hannes.

Irgendwann fanden sie in diesem riesigen Einkaufszentrum einen Telekommunikations Laden. Dort alles gab es alles rund um Telekommunikation zu kaufen. Computer, Mobiltelefone, Drucker,
Funkverstärker, Antennen von einem halben bis zu 3 Meter Länge – wobei Hannes sich die Frage nach der Mobilität eines Telefons bei einer solch langen Antenne nicht erschließen konnte.

Patricia fummelte gleich an zwei Mobiltelefone herum, die ihr gefielen. Hannes versuchte dem Verkäufer auf einer Landkarte klar zu machen, wo sie wohnten und ob dort überhaupt ein Mobilfunk Empfang möglich war.
„Kmean banhhea te“ Kein Problem, kein Problem, sagte der kleine Verkäufer ständig.
„Wenn es doch ein Problem ist, hänge ich dich an der Telefonschnur auf.“
Der Verkäufer schaute Hannes bei den nicht verstandenen Worte irritiert an. „Kmean banhhea te“ sagte Hannes dem kleinen Verkäufer und lächelte.

Patricia fand ein Mobiltelefon in pink. Na, wenn es sie glücklich machte. Hannes wollte den gleichen Typ wie Bernhard hatte. Robust, einfach in der Bedienung und Handhabung. Nachteil, es war in einem „Hello Kitty“ Design und dummerweise das letzte dieses Typs. Nun fing eine Diskussion über jenes Telefon an. Patricia wollte, dass Hannes dies kaufen sollte. Er lehnte es kategorisch ab.
„Qu’en est-il du téléphone?“
„Was mit dem Telefon ist? Süße, hast du dir die Farbe und Design angeschaut! Ich kann doch nicht mit einem Katzentelefon in rosa, pink, irgendwas Farbe in der Gegend herum laufen!“ „Oh mon Dieu. Du bist ja schlimmer als ein Mädchen“ sagte sie und verdrehte die Augen.

Auf dem Weg zum Auto sagte Hannes etwas gefrustet „Ist dir aufgefallen, dass Laureen mich mit keinem Wort erwähnt hatte? Soviel mal zu deiner Zahl auf einem Stück Papier.“ „Hannes, dies tat mir auch sehr leid. Daher hatte ich beim Mittagessen auch mit Hattie gesprochen und ihr gesagt, dass es dein Traum ist, Kinder zu unterrichten. Aber tröste dich, wenn nicht eine solch automatisch hohe Zahl an Lehrer in diesem Land fehlen würde, häte ich auch keine Chance gehabt. Die UN oder UNICEF möchten ausgebildete Lehrer haben. Da nützt mein Abi dann auch nichts.“
Bernhard klopfte Hannes auf die Schulter „Hannes, lass den Kopf nicht hängen. Du hast einen Vertrag von ODHI in der Tasche. Bei uns ist eine Zahl auf einem Stück Papier nicht von Bedeutung.“

Mit ihrem Einkauf an Mobiltelefonen und den dazugehörigen Provider SIM Karten fuhr Bernhard das Auto zurück nach Svay Rieng. Hannes war es gerade recht, dieses Chaos musste er sich nicht freiwillig antun. Er machte es sich auf der Rückbank bequem und sah, wie die neue UNICEF Mitarbeiterin ihr Telefon installierte. Sofort musste sie die Neuigkeit über ihr gekauftes Telefone Hattie mitteilen.
„Das diese junge Asiatin so gut englisch kann, ist schon erstaunlich.“
Patricia drehte sich vom Beifahrersitz um und sah Hannes mit großen Augen an „Sie ist US-Amerikanerin.“ „Hä…?“ „Ihre Mutter kommt von den Philippinen, daher dieses asiatische Aussehen.“