Teil I Kapitel 1 Die Fahrt ans Meer

Es begann im Sommer 89
Anfang Juli 89 am Bostalsee

Die Fahrt ans Meer

Im Sommer 89 war Hannes mit seiner Clique von 8 Freunden im Alter zwischen 17 und 19 Jahren am saarländischen Bostalsee zelten. Die Clique war gleich der Zahl an Jungen und Mädchen.
In dem Alter war man unbeschwert, wild, verrückt und frei. Die Welt stand ihnen offen und das Abenteuer Leben begann.
Auf einer Kuhweide im Saarland, war man „weit weg“ von dem Elternhaus. Lagerfeuer, Kartoffeln auf dem Feuer und Ravioli aus der Dose standen für Freiheit. Das ein oder andere Bier gab es natürlich auch. Fahrschule wurde gemacht und dabei ein Auto im Wald kaputt gefahren. Es war nur ein Blechschaden, den man in der heimischen Garage reparieren konnte.
Es war eine gesellige Runde mit Freunden und so war es auch nicht verwunderlich, dass eine Gruppe von 6 Mädchen, die in unmittelbarer Nähe zelteten, zu der Clique von Hannes kamen. Nathalie, Yvonne, Laura, Jasmin, Cosima und Patricia kamen aus der Nähe von und aus Thionville. Da in Lothringen auch deutsch gesprochen wurde, gab es so gut wie keine sprachliche Hindernisse.
Am Abend bei Lagerfeuer kam die Romantik und die sehr spontane Idee von Hannes, doch mal am Stand ein Lagerfeuer zu machen.
Hannes war mit seinen 19 Jahren immer schon sehr spontan.
„Morgen Abend könnten wir doch an einem Strand ein Lagerfeuer.“
Anfangs fand jeder die Idee super. Dann doch wieder nicht, weil der Stand am Bostalsee auf der anderen Seite von dem Zeltplatz sei und man nicht wüsste, ob es erlaubt sei dort Feuer zu machen.
„Ich habe mit Strand nicht den Bostalsee gemeint!“
Fragende Blicke aus der Runde.
„Sondern?“ Fragte Martin, einer der Kumpels von Hannes.
„Saint Tropez!“
Große Verwunderung in der Runde.
„Wir haben Ferien, sind nicht gebunden und können doch auch mal etwas verrücktes tun. Frühstücken in Paris direkt an der Seine. Morgens um 7 Uhr mit Cappuccino und Croissant am Ufer der Seine sitzen und bei Port Neuf dem rauschen der Seine lauschen. Im Park von Notre Dame unter den Bäumen sitzen und den Glocken zuhören oder am Strand von Saint Tropez den Sonnenuntergang bei einem Feuer und Gitarre genießen wenn, die Sonne im Meer versinkt und die Abenddämmerung wunderschön das Meer und Himmel in Farben taucht.“ „Hannes, du bist verrückt! Wir können doch nicht spontan nach Südfrankreich fahren und uns dort an den Strand setzen“ sagte Mirko und suchte Beifall in der Gruppe.
„Warum nicht? Muss den immer alles geplant und organisiert sein? Ihr wollt euch frei fühlen und grenzt euch selbst ein.“

Hannes merkte, dass es wenig Sinn machte, seine Idee noch weiter  zu diskutieren und ging er in den angrenzenden Wald, um noch nach Holz für das Lagerfeuer auf einer saarländischen Kuhweide zu suchen. Kurze Zeit später hörte er Schritte hinter sich. Es war Patricia.
„Sag mal, war dies vorhin dein ernst gewesen, was du vorgeschlagen hast?“ „Natürlich. Immer wird nur geredet, wir könnten…, wir sollten…, wir müssten…. Am Ende wird nichts daraus – oder wenn doch,  dann nur halbherzig. Die Jungs und Mädels sind alle super nett und wir sind seit Jahren schon eine Clique. Nur fühle ich mich bei ihnen eingeengt. Eingeengt in mir. In meinem Leben. Die Welt ist riesengroß und wir sitzen am Bostalsee auf einer Kuhweide. Was ist mit Momenten genießen? Dies kann ein Bachlauf sein, in dem sich gurgelnd das Wasser um Steine dreht. Wind der durch Bäume weht, wenn man auf einer Lichtung in den Abendhimmel schaut und die Sterne am Firmament zählt. Momente kosten kein Geld. Natürlich haben wir alle nicht so viel Geld. Die Hälfte von uns ist in der Lehre oder steht vor dem Abitur. Die Welt zu entdecken muss doch nicht teuer sein. Wenn wir uns den Sprit und Maut teilen ist für jeden von uns die Fahrt an die  
Côte d’Azur doch erschwinglich.“ „Wow, ich bin von deinen Worten fasziniert. Die meisten Jungs in deinem alter haben nur Autos, Motorräder oder Mädchen im Kopf. Du redest von Kirchenglocken, Sonnenuntergänge und hast klare Vorstellungen. Was du vorhin gesagt hast, mit dem Feuer am Strand oder Croissant an der Seine zu essen, da sah ich Bilder vor meinen Augen.“ „Patricia, ich weiß nicht ob du dies verstehst, ich will weg. Weg aus mir. Weg aus allen Zwängen und die Welt erleben.“
Patricia nickte ihm zu „Doch Hannes, ich verstehe dies.“
Hannes schaute diese zierliche Französin mit ihren langen hellbraunen Haare und braunen Augen fragend an.
Sie kam drei Schritte auf ihn zu und stand nah vor ihm.„Wenn du wirklich fahren willst, fahre ich mit dir. Raus aus allen Zwängen und die Welt erleben.“
Hannes sah dieser Schönheit in die Augen und wusste nicht, wie er reagieren sollte.
„Lass uns zurück gehen, die anderen warten auf das Brennholz.“
Mit diesem Satz hatte er soeben die Romantik und den Moment zerstört.

„Allons à la mer.“

Der Sonnenaufgang am Bostalsee hatte nun wirklich nichts mit Romantik zu tun. Die Kleider waren klamm, rochen nach kaltem Rauch und das Gras war vom Morgentau feucht und kühl.
Hannes machte Feuer an. Zum Frühstück wollte er sich Rührei mit Speck machen. Er saß auf einem Holzklotz und schaut in die kleinen Flammen, die sich mühsam an dem feuchten Holz zu schaffen machten. Er fühlte sich in diesem Moment so falsch an diesem Ort.
Ein paar Meter weiter hörte er wie ein Reißverschluss von einem Zelt sich öffnete und schaute in die Richtung von wo das Geräusch kam. Er sah 20 Meter weiter die zierliche Figur von Patricia. Als sie ihn sah, winkte sie ihm zu und kam an die Feuerstelle.
„Bonjour, Hannes.“
„Bonjour Patricia.“
Patricia setze sich neben ihn auf einen Holzklotz „Dies hier hat nicht viel gemeinsam, was du gestern Abend gesagt hast. Die Kleider sind klamm und das Gras ist feucht.“ „Habe ich laut gedacht?“
Patricia sah in fragend an „Désolé. Je ne pas comprend. Ich verstehe nicht.“
Hannes sagte ihr, dass er genau diese Worte vor ein paar Minuten dachte.
Patricia lachte und fuhr sich mit den Finger durch ihr leicht gewelltes hellbraunes Haar. Sie war eine sehr attraktive junge Frau mit einem unglaublich schönen Lächeln. „Willst du immer noch zum Strand nach Saint Tropez?“ Fragte sie ihn, als er die Eier zu dem bratenden Speck in die Pfanne gab.
Hannes nickte „Ich will schon, hier will aber keiner mit. Siehst ja selbst, alle schlafen noch. Alleine fahre ich keine tausend Kilometer an die Côte d’Azur. Wofür? Um nackte Füße in den Sand zu stecken, Rotwein mit Sandkörner trinken und dabei dem rauschen des Meeres zuzuhören?“
Patricia nickte bei seinen Worten „Oui, juste pour ça! Genau dafür. Du erzählst so schön, ich habe schon wieder Bilder vor mir. Ich höre das Wasser und schmecke den Wein. Lass uns fahren! Allons à la mer.“ „Patricia, gerne. Sehr gerne. Nur möchte ich nicht das du mit deinen Freundinnen ärger bekommst oder gar von deinen Eltern.“ „Meine Freundinnen sind zu eingegrenzt. Ich bin volljährig. Gerne zeige ich dir meinen Ausweis.“
Hannes nahm die Eier mit Speck aus der Pfanne und gab Patricia einen Plastikteller mit der Hälfte von seinem Frühstück.
„Merci beaucoup“ sagte Patricia und lächelte Hannes an.
Beide saßen auf Holzklötze und schauten beim essen ins Feuer. Patricia lachte auf einmal. Er sah sie an und sie fingerte etwas Gras aus ihrem Mund.
„Immerhin besser als Sand im Rotwein“ sagte er.
„Je ne sais pas. Ich weiß nicht“ sagte sie und lächelte erneut.
„Dann sollten wir es heraus finden.“

Um kurz nach 8 Uhr fuhren Patricia und Hannes mit seinem Auto von der Kuhweide. Sie hatten mit ihren Freunden nochmals über die Idee von Hannes gesprochen und die Diskussion war nicht zielführend. Es war Hannes nach wenigen Minuten schon klar, dass außer hin und her und unsinnigen Argumente niemand seine Idee teilte.
„Weißt du den Weg nach Saint Tropez?“ Fragte Patricia.
Hannes nickte „Immer nach Süden. Richtung Saarbrücken, Metz, an Nancy vorbei und immer geradeaus. Dijon, Lyon und bei Avignon links ab.“ „Très bien. Wenn du über Saarlouis fährst, könnte wir bei mir zu Hause vorbei fahren, andere Kleider mitnehmen und duschen.“ „Volontiers. Mache ich doch gerne.“ „Merci beaucoup, Hannes.“

Das war es also. Patricia wollte auf dem Campingplatz nicht mehr bleiben und fand einen blöden, der sie nun nach Hause fuhr.
Die Fahrt über sprachen sie über dies und das. Wie sie ihre Zukunft sahen oder in welche Länder sie gerne einmal reisen würden.
Sie passierten die Grenze ohne Probleme. Ein Zöllner wollte lediglich die Ausweise sehen und fragte Hannes nach dem Grund des Aufenthaltes in Frankreich. Er würde die junge Frau nach Hause fahren, sagte er dem Zöllner.
Schweigsam fuhr er über die schmale Landstraße Richtung Thionville.
„Ich dachte wir wollten ans Meer fahren,  Lagerfeuer machen und Rotwein trinken“ sagte Patricia und sah ihn vom Beifahrersitz aus an.
„Wollen wir dies wirklich?“ Hannes schaute Patricia an und sah in ihre wunderschöne braunen Augen.
„Oui. So hatte ich es bis eben noch in Erinnerung.“
Hannes nickte stumm. Sehen wir dann, dachte Hannes.

„Wir sind gleich da. Fahr am nächsten Ortsschild rechts rein.“ Patricia lotste ihn durch die Vororte von Thionville. „Nächste Straße links, über den Kreisverkehr dann rechts in die Seitenstraße.“
Dieses Wohngebiet sah anders aus, als jene die bis jetzt rechts und links an den Straßen zu sehen war: ordentlich und sehr gepflegt. Es schien so, als ob hier nur reiche Leute wohnten. Große Häuser und Villen aus der Gründerzeit mit riesigen Gärten und alten Bäumen, Steinmauern mit sehr schönen Eisentore.
„Das nächste Haus auf der rechten Seite“ sagte Patricia.
Hannes sah eine dreistöckige große Villa mit Erker, Winkel und Fachwerk in safrangelb. Drei kleine Türmchen sah er auf dem Dach. Die Hofeinfahrt war mit Basalt Steinen gepflastert und nach zehn Metern wurde es zu einer sehr großen Fläche die fast so breit war wie das Haus. Links und recht der Steinfläche lag ein unglaublich gepflegter Rasen auf dem ein paar große Ahornbäume standen.
„Mein Pilum ist solider als euer Sternum“ sagte Hannes lauter, als er es wollte.
Patricia sah in fragend an „Was?“ „Nichts. Ich habe nur an das Comic von Asterix gedacht.“ „Okay. Du kannst hier rechts parken.“

Hannes war von dieser Villa fasziniert. Er liebte solch alten Häuser mit Bruchsteinen und Fachwerk. Sie gingen die breite Steintreppe hinauf und Patricia klingelte an eine Tür aus Eichenholz, die bestimmt einhundert Jahre alt war und mit Schnitzereien aus dem vergangenen Jahrhundert verziert war. Nach den filigranen Schnitzereien zu urteilen, verdiene der Hausbesitzer sein Geld in der lothringischen Stahlindustrie.
Aus dem Inneren des Hauses kamen Schritte auf die Tür zu. Hannes sah eine Frau, die Mitte vierzig sein konnte. Sie war groß, schlank und mit ihren langen blonden Haaren sah sie sehr attraktiv aus. Unverkennbar war es die Mutter von Patricia.
„Bonjour Madame Lefèvre, je m’appelle Hannes.“ „Bonjour Hannes. Sie können deutsch mit mir reden. Bitte kommen Sie herein.“

Nach einem kleinen Flur trat er in eine Halle, mit einer Wendeltreppe die gute 3 Meter breit war. Die Decke von der Halle war bestimmt 7 Meter hoch. Die dunkelbraune Holztreppe und die eisenoxidrote Tapete gaben der Halle eine unglaubliche Größe.
Patricia erzählt ihrer Mutter, was sie die letzten vier Tage beim campen erlebt hatte, dass sie die coole Clique von Hannes kennengelernt hatten und sonst alles doch sehr langweilig war.
Hannes hörte gar nicht richtig zu. Er konnte gar nicht alles erfassen, was an diesem Haus den Flair ausmachte. War es das  weinrote Chaiselongue neben der Treppe, die Tapete mit den weißen Ornamente, das kunstvolle Holzgeländer mit gleichen filigranen Schnitzereien wie die Eingangstür, der runde Kamin auf der linken Seite der Halle oder von allem etwas.

Frau Lefèvre schob links von der Halle eine weiße Doppeltür mit nordamerikanischen oder kanadischen Ornamente auf und Hannes sah in einen Raum, wie aus dem 18. Jahrhundert. Im Erker stand ein  Chaiselongue mit Streifen in vanille und orange. Die weiße Wand in dem Erker gab dem Ambiente eine unglaubliche Noblesse. Rechts davon stand eine Holztruhe in gebeiztem Eichenholz. Auch hier waren wieder Ornamente aus Nordamerika zu sehen. Ein Tisch von bestimmt 6 Meter Länge und aus gleichem Eichenholz, wie die Truhe stand mittig im Raum. Die Zimmerdecke war gut dreieinhalb Meter hoch. Auch hier waren in den Ecken Ornamente zu sehen. Hannes sah ein Deckengemälde mit dem Bildnis von Kopernikus, wie er in den Sternenhimmel schaute. Die Decke war sehr schönes Kunstwerk, wie Hannes es bis dato nur in Kirchen, Schlösser oder Barocken Gebäude gesehen hatte.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“
„Hannes?“ Er schaute Patricia fragen an. „Meine Mutter fragte, ob sie dir etwas anbieten kann?“ „Excusez moi s’il vous plait. Non. Merci Madame.“
Patricia sagte dass sie jetzt gerne duschen gehen würde.
Frau Lefèvre bot Hannes einen Stuhl an und setzte sich ihm gegenüber an den großen Eichenholz Tisch.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich eben etwas abwesend war. Ich bin von der Architektur dieses Hauses fasziniert. Das Deckengemälde ist der Hammer.“
„Dankeschön. Das Haus ist von 1850. Der Urgroßvater von meinem Mann baute dieses Haus. Ihr wollt nach Saint Tropez an den Strand fahren und ein Lagerfeuer machen?“
Hannes war wie vor den Kopf geschlagen. Er hätte jetzt mit allem gerechnet, aber nicht damit. Dann meinte Patricia es wirklich ernst.
„Ja, Frau Lefèvre. Beim zelten kam mir spontan diese Idee. Erst fanden alle in der Clique es toll und heute sind wir alleine. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden?“ „Sie machen einen guten und netten Eindruck auf mich. Patricia ist alt genug. Sie kann entscheiden was sie möchte.“
„Darf ich fragen, warum Sie und auch Patricia, ein so gutes deutsch sprechen?“
„Es ist meine Muttersprache. Ich komme aus der Pfalz, henn des pälzich awwer abgeläht un schwätze ehjetzed Hochdeutsch. Ich bin in Annweiler aufgewachsen. Die Liebe hat mich nach Lothringen verschlagen.“ „Annweiler am Trifels. Schön dort. Die Burg ist bekannt durch die Sage der Gefangenschaft von Richard Löwenherz.“
Frau Lefèvre sah respektvoll zu Hannes und nickte leicht mit dem Kopf und auf einmal hatten beide ein Gesprächsthema über die Pfalz, die Blondelsage, der Pfälzer Wald und Wein und natürlich das Hambacher Schloss mit seiner Geschichte zur Gründung der deutschen Demokratie.

Patricia stand in der Tür und unterbrach die angenehme Unterhaltung „Möchtest du dich weiter über Geschichte unterhalten oder vielleicht doch lieber duschen? Immerhin sind es tausend Kilometer bis nach Saint Tropez.“ „Duschen wäre toll. Ich gehe schnell ans Auto meine Tasche holen.“

Roadtrip an die Côte d’Azur

„Mein lieber Mann, du hast meine Mutter schwer beeindruckt“ sagte Patricia, als sie das Auto von Hannes durch die Vororte von Thionville in Richtung Autobahn lenkte.
„Warum denn das? Ich war nur höflich gewesen.“
Patricia sah in kurz an und nickte „Exactement, c’est ça. Genau, das ist es. Du bist irgendwie anders als die Jungs, die ich kenne. Du bist reserviert Frauen gegenüber und hast Contenance. Dies habe ich gestern Abend im Wald schon gemerkt. Du spricht von Romantik, möchtest diese auch und trotzdem baggerst du mich nicht an – noch nicht einmal der Versuch! Bin ich nicht dein Typ?“
Patricia war sehr direkt und Hannes wusste nicht so recht was er ihr antworten sollte.
„Patricia, ich nenne es Anstand. Und doch – du gefällst mir. Sehr sogar! Deine unglaublich schönen Augen, diese Top Figur und dein Lächeln ist zauberhaft. Es ist aber noch so vieles mehr. Was ich denke – sprichst du aus. Was für mich eine Idee war – setzt du um. Und ganz ehrlich, ich dachte vorhin, dass du nur einen blöden gefunden hast, der dich nach Hause fährt.“ „Wow, merci beaucoup. Du hast schöne blau Augen, ich mag deinen Blick. Du gefällst mir und bis noch klug dabei. Schade das du so von mir denkst. Du siehst, ich halte mein Wort und fahre mit dir an die Côte d’Azur. Ich verstehe dich aber auch. Du bist jemand der bedingungslos gibt und am Ende mit Enttäuschungen da steht.“
Die Worte von Patricia brannten ihm in Herz. Genau das war es! „Exactement“ sagte er und schaute aus dem Seitenfenster, damit sie seine Tränen nicht sah.

Die Strecke von Dijon bis nach Lyon hörte nicht auf kürzer zu werden. Patricia schlief nun schon seit eineinhalb Stunden und diese monotone Autobahn hörte und hörte nicht auf. Die Geschwindigkeit zwischen 100 und 140 km/ h reichte völlig aus. Bis sie in Saint Tropez ankämen, wäre es sowieso schon spät am Abend und somit war an Lagerfeuer am Strand nicht mehr zu denken.

Endlich kam die Abfahrt nach Avignon. Nun waren es noch gute 200 Kilometer bis nach Saint Tropez.
Patricia wurde wach und fragte, wo sie den schon wären. Auf dem nächsten Rasthof machten sie eine Pause. Patricia rief zu Hause an und sagte das alles gut sei.
Das Essen auf dem Routier bei Avignon war wirklich das Sprichwort: Essen wie Gott in Frankreich, wert. Eine Vorspeise, Menü mit Salat, Nachtisch, Espresso und eine Karaffe Rosèwein. Zum Abschluss gab es ein Käsebuffet mit mehr als ein Dutzend verschiedenen Sorten.
„Ich möchte hier gar nicht mehr weg. Der Wein ist super lecker und so viele Sorten Käse habe ich noch nicht gegessen.“ „Convenu. Stimmt, lass uns doch für die Nacht hier bleiben. Ich habe unweit vom Routier ein Motel gesehen. Bis wir in Saint Tropez ankommen, ist es schon viel zu spät, um dort noch Feuer zu machen.“
Patricia überrasche Hannes immer mehr. Er macht nur ein Vorschlag und sie setzt diesen sofort in die Tat um.

Das kleine Motel „Aire de Morières“ an der A7 war sehr schön und liebevoll eingerichtet. Hannes wollte gerne zwei Zimmer haben – Patricia nur eins.
Das kleine Zimmer hatte die gleiche Handschrift wie das Motel: Leichte helle Farben, Blumen auf dem Tisch und eine Einrichtung zwischen Moderne und Tradition. Von allem etwas und trotzdem nie zu viel oder kitschig. Sogar ein winzig kleiner Balkon hatte ihr Zimmer.
Hannes stand auf dem Balkon und schaute in die Ferne. Er sah und roch die Provence im Juli.
Es klopfte an der Zimmertür und Patricia öffnete die Tür. Ein untersetzter Mann ende fünfzig, brachte eine Käseplatte und zwei Flaschen Rosèwein auf ihr Zimmer.

Der Mini Balkon reichte gerade für zwei Stühle. Der Käse musste auf den Boden, denn der Beistelltisch vom Bett passte nicht mehr auf den Balkon.
Sie saßen auf diesem Miniatur Balkon und hörten den Grillen zu. Die warme Luft am Abend war angenehm. Die Sterne leuchteten hell und der Mond war abnehmend.
„Ist dies ein solcher Moment wie du ihn dir vorstellst?“ Fagte Patricia.
„Oui, ist es. Vom Bostalsee nach Avignon, um mit einer klugen, schönen und interessanten Frau Wein zu trinken, ist ein Moment der immer bleibt.“ „Ich dachte mehr so an die Grillen, Sterne und Mond.“ „Entschuldigung. Natürlich diese auch.“ Patricia boxte ihn „Hannes du musst dich nicht entschuldigen. Danke für dein Kompliment. Es ist auch für mich ein schöner Moment. Und ja, ich genieße auch den Käse und Wein mit einem klugen, schönen und interessanten Mann.“

An diesem Abend wurde über vieles geredet, gelacht und nachgedacht. Patricia war eine  Frau, wie Hannes es sich wünschte: klug, schön und taff. Ihr langes hellbraunes Haar bewegte sich mit dem Wind. Im Halbschatten der Straßenlaternen, die vom Parkplatz her schienen, sah sie sehr erotisch aus. Alles an ihr war Exotik pur. Ihre Bewegungen, ihre Haltung, ja sogar wie sie in ein Stück Höhlengereiften Käse biss.
Seit Stunden hatte er Gedanken im Kopf, traute sich aber nicht zu fragen. Patricia sah ihn an und irgendwie sagte ihr Blick, dass sie auf seine Fragen wartete.
Jetzt oder nie, sagte er zu sich selbst „Darf ich dich etwas fragen?“ „Oui. Bien sûr. Natürlich.“
Hannes schlug das Herz bis zum Hals „Du bist wunderschön, taff, unglaublich intelligent, vermutlich auch reich. Warum hast du keinen Freund? Die müssten bei euch an der Tür doch Schlange stehen.“
Patricia stellte ihr Weinglas an und sah ihn an „Ich warte auf den richtigen. Ja, ich weiß das ich attraktiv, etwas klug und auch etwas reich bin. Aber all jene die ich kennengelernt hatte, wollten nach kurzer Zeit nur mit mir schlafen oder mit meinem Reichtum angeben. Sie hatten gebalzt wie blöd, mich aber nicht berührt – geistig nicht berührt. Wenn du erzählst, kann ich es sehen sehen und sogar riechen. Du hast mich noch nicht berührt und trotzdem tust du es ständig. Als ich vorhin im Auto etwas geschlafen habe, bekam ich mit wie besorgt du um mich warst. Du hattest das Radio auf ganz leise gestellt und irgendwann auch ausgeschaltet. An der ein oder andere Mautstadion sprachst du sehr leise. Du bist um Menschen besorgt. Du bist ein interessanter und kluger Mann, dies hat auch meine Mutter gesagt. Natürlich macht sich meine Mutter Gedanken, dass ich Sex mit einem mir fremden Mann haben könnte, oder du mir etwas antust. Ich weiß, dass es nicht so ist. Du bist hochanständig, reserviert und zuvorkommend. Ich würde mal sagen, in deinen Beziehungen hatten die Frauen den ersten Schritte getan.“ „Oui. C’est vrai. Du scheinst mich nach den knapp 30 Stunden schon gut zu kennen.“
Patricia zwinkerte ihm zu und grinste.

Von Lavendel- und Pinienduft geweckt

Am nächsten Morgen war Hannes bereits um 6 Uhr wach. Er schaute nach rechts und sah eine wunderschöne Frau im Bett liegen. Leise und mit langsamen Bewegungen stieg er aus dem Bett. Auf Zehenspitzen ging in das kleine Bad und stellte sich unter die Dusche.
Leise ging er durch das Zimmer und öffnete die Tür zu dem Miniatur Balkon. Hannes sah vom dritten Stock des kleinen Motels in die Ferne. Südfrankreich war wunderschön. Die Palmen, die schönen Häuser, die vielen Pinien und die riesigen Felder mit Lavendel gaben ein anderes Panorama als eine Kuhweide im Saarland.
Dies hier war um Welten besser als am Bostalsee auf einer feuchten Wiese zu sitzen. Seine Freunde wussten gar nicht was sie verpassten. Der Duft von Lavendel, Pinien und die Frische vom Morgen kam mit dem Wind von Süden. Mit geschlossenen Augen genoss er jede Sekunde von diesem Moment. Er atmete tief ein und fühlte sich frei.
„Bonjour, Hannes“ sagte Patricia leise zu ihm, als sie hinter ihm stand „Dies ist etwas anderes als am Bostalsee. Keine feuchten Kleider und auch kein Geruch von Rauch. Pinien riechen doch angenehmer.“ Er drehte sich zu ihr um und sah sie in ihrem roten Long Shirt mit zerzausten Haaren. „Ich geh schnell duschen und dann können wir frühstücken.“

Auf der Terrasse von dem Motel saßen sie bei Kaffee, Croissant und Marmelade. Der Wetterbericht im Radio sagte, es würde heute sehr heiß werden. Das Thermometer links an der Wand zeigte um 8.30 Uhr bereits über 20° Celsius an.
„Ich möchte gerne noch ein paar Kleider kaufen. Die die ich dabei habe, war zum zelten gedacht und nicht für Saint Tropez.“ Patricia nickte „Natürlich. Kann ich verstehen.“

Die Welt ist Riesengroß und wunderschön.

Avignon ist eine wunderschöne mittelalterliche Stadt. Die alten Gebäude und Brücken geben der Stadt sehr viel Charme. Der Papstpalast ist alleine durch seine gewaltigen Größe schon sehr imposant. Es ist eines der größten und wichtigsten mittelalterlichen gotischen Gebäude in Europa mit einer faszinierenden Architektur.
Die berühmte Ruinenbrücke Pont Saint-Bénézet, so wie die romanische Cathédrale Notre-Dame des Doms d’Avinnon sind Zeitzeugen einer fast tausend jährigen Baukunst. Das Landei aus dem Hunsrück hatte solche Städte und Gebäude nur in Bücher oder im Fernsehen gesehen. Vor der wunderschöne Kathedrale von Avignon zu stehen und dieses Bauwerk auf sich wirken lassen, war etwas anderes als ein Foto in einem Buch zu betrachten.
„Die Welt ist Riesengroß und wunderschön“ sagte er zu Patricia als sie vor dem Hauptportal der Cathédrale standen.
Durch die Gassen mit ihrem mittelalterlichen Flair ging beide in einige Boutiquen. Patricia suchte Kleider für Hannes aus, die ihr an ihm gefielen. Als seine Garderobe für Saint Tropez gekauft war, schlenderten sie durch malerischen Gassen von Avignon.
Gegenüber vom Papstpalast tranken sie einen Cappuccino vor einem kleinen gemütlichen Café. Patricia saß ihm an dem kleinen quadratischen Tisch gegenüber und Hannes nahm zaghaft die Hand von Patricia.
„Endlich! Wurde auch langsam Zeit“ sie schaute ihn mit ihren schönen braunen Augen an „Hannes, ich weiß das du Angst vor Enttäuschung, Zurückweisung oder Ablehnung hast. Du bist ein Mensch mit einem sehr großen Herz. Diese Menschen werden am meisten enttäuscht. Lass uns nach Saint Tropez fahren. Ich möchte mit dir die Füße in den Sand stecken. Deine schönen blauen Augen haben jetzt ein ganz anderen Glanz.“
Sie gab ihm einen Kuss und streichelte seinen rechten Arm.

Die Fahrt nach Saint Tropez war eine andere, als der Weg von Thionville nach Avignon. Patricia hielt während der Fahrt seine rechte Hand fest und immer wieder legte sie ihren Kopf auf seine Schulter oder streichelte ihn.
„Du bist ein wunderbarer Mensch. Ich kann mich mit dir über so vieles unterhalten. Meine Mutter sieht es genau so. Ich soll dich von ihr Grüßen. Ich hatte vorhin kurz angerufen und gesagt, dass wir bald auf dem Weg nach Saint Tropez sind. Du hast vorgestern gesagt, dass du die Welt erleben willst. Dabei hast du bestimmt nicht an Gebäude und Reisen gedacht.“
„Oui, ich möchte die Welt erleben an der Basis, kein Urlaub auf den Seychellen. Viele Menschen leben in Armut, ohne Bildung, ohne Perspektiven. Die Welt verbessern, verändern und Gutes tun – das ist mein Traum.“ „Oh, là là. Da solltest du doch mal mit meinem Vater reden.“ „Dein Vater?“ Hannes sah erstaunt zu Patricia. „Oui, er ist bei einer Hilfsorganisation und weltweit unterwegs. Er macht das, von dem du träumst.“

Patricia erzählte von der Arbeit ihres Vaters und Hannes kam aus dem staunen nicht mehr heraus. Jedes Wort was sie sagte, zog er in sich auf. Sie erzählte von dem neuesten Einsatz in Kambodscha.
Hannes konnte dies alles gar nicht glauben. Sollte er über Patricia diese Möglichkeit für seinen Traum bekommen?

Ab Font Mourier konnte man schon das azurblaue Meer sehen. Die Fahrt verging wie ihm Flug. Patricia erzählte so viel, dass er nun noch locker tausend Kilometer hätte fahren könnte.
Ab Maleribes führte die Straße oberhalb am Meer vorbei. Links war das Meer und rechts die zerklüfteten Felsen. Eine grandiose Landschaft glitt an seinen Augen vorbei.

Saint Tropez war um diese Jahreszeit mit Touristen überflutet. Am Jachthafen waren alle Parkplätze belegt. Gleiches auch an der Uferpromenade. Etwas außerhalb an einem Coop Markt fand er endlich einen Parkplatz.
Hand in Hand gingen sie durch die Straßen von Saint Tropez zum Strand.
An der Uferpromenade waren die
Straßenkünstler, die für teuer Geld Portraits von den Touristen malten. Sie gingen an den vielen Eisstände und Souvenirläden vorbei.
„Genau wie noch vor Jahren. Es hat sich nichts geändert“ sagte Hannes.
„Du warst schon mal hier?“ „Oui, zweimal. Im Urlaub mit meinen Eltern. Das letzte Mal 1987. Daher kenne ich auch die Strecke. Wir wohnten damals in Saint-Maxime in einer Bungalow Ferienanlage und waren immer am „La Tomata“ Strand“ „Dann lass uns doch dort hinfahren.“

Die dreißig Kilometer nach Saint-Maxime waren schnell gefahren. Durch Saint-Maxime durch und dann noch ca. zehn Minuten bis zum Strand. Als Hannes den Turm von der Rettungswache sah, erzählte er, wie 1984 seine beiden Schwestern mit dem Schlauchboot in Seenot gerieten „An diesem Tag war ein Mistral und das Schlauchboot wurde immer weiter auf das offene Meer getrieben. Ein Eisverkäufer hatte dies bemerkt. Er stelle seine rote Coca-Cola Kühlbox ab und schwamm dem Gummiboot entgegen. Mein Vater war in der Zwischenzeit am Auto und hat das Fernglas geholt. Irgendwann ist dann auch die Seerettung ausgerückt und hat den Eisverkäufer, meine beiden Schwestern und das Gummiboot gerettet.“

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