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Teil I Kapitel 4 Die Erdrotation

Thionville, Frankreich

Die Erdrotation

Abschied für 7500 Minuten

Am Sonntagnachmittag gingen sie mit Cleo an der Mosel spazieren. Es war sehr schwül und ihnen klebten die Kleider wie Frischhaltefolie auf der Haut.
Hannes hielt Cleo mit der linken Hand an der Leine und mit seiner rechten hielt er die kleine zarte Hand von Patricia.
„Ich könnte jetzt mit dir richtig lange duschen.“ „Mon dieu! So ein Satz von dir? Was ist los? Scheint die Sonne zu stark?“
„Patricia, ich mag nicht nach Hause fahren. Die letzte Woche mit dir war wunderschön. Ich hatte tausende Moment erlebt und jeder war schöner als der andere. Eigentlich könnte man diese Woche verfilmen. Wäre doch ein tolles Roadmovie. Von einer Kuhweide an einem saarländischen Stausee an die Côte d’Azur um dort Wein für 1000 France zu trinken und dann von unzähligen Farben geweckt zu werden.“
Patricia sah ihn an und er sah in ihre schöne Augen „Ich habe eine unglaublich tolle Frau ins Herz geschlossen.“
Patricia stellte sich vor ihn und küsste ihn lange „Sei nicht immer so nachdenklich, mon chérie. Alles ist gut. Ich bin bei dir. Ich sehe deine nachdenklichen Augen und frage mich warum.“
Hannes sah zu boden.
„Was ist mit dir los? Ich verstehe dich nicht!“ „Patricia, was gibt es denn da nicht zu verstehen? Du bist überaus attraktiv, klug und hast ein Leben, bei dem ich nicht im Ansatz mithalten kann.“ „Kommt nun wieder diese Leier. Wie ich für dich fühle scheinst du irgendwie ständig zu vergessen. Hannes, was haben deine dumme Argumenten mit meiner Liebe zu tun?“
Hannes sah sie schweigend an.
„Deine Argumente sind dumm und überhaupt nicht gerechtfertigt. Ich habe mich in dich verliebt und es spielt für mich keine Rolle, dass du kein Abitur hast. Ich hatte vor dir einen Freund der, man mag es kaum glauben, Abitur hatte und trotzdem nicht an dich heran kam. Nun lass uns doch nicht ständig darüber diskutieren. Ich liebe dich und Punkt.“ Patricia umarmte ihn fest und gab ihm einen Kuss „Auf immer und ewig. Bœuf stupide.“

In der Ferne hörte er die Kirchenglocken schlagen. Es war 14 Uhr. Könnte er doch nur die Zeit anhalten.
„Man müsste die Zeit jetzt anhalten“ sagte Patricia, die ihren Kopf auf seiner rechten Schulter liegen hatte
„Hab ich schon wieder laut gedacht?“ Patricia sah ihn mit ihren wunderschönen braunen Augen an „Auch wenn ich mich wiederhole, du berührst mich geistig und körperlich.“
Er nahm sie fest in die Arme und fing an zu weinen.
„No chérie, du musst nicht weinen. Es ist heute nur ein Abschied auf Zeit. Allerhöchstens 125 Stunden. 7500 Minuten oder. ..“ „Ja, ist gut. Ich weiß das du Abitur hast.“
Sie boxte ihn gegen den Arm.

Franziska hatte noch Erdbeerkuchen gebacken. Gemeinsam saßen sie im Garten und tranken Kaffee. Es war ein merkwürdiger Moment für Hannes. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen, Herzrasen und trotzdem kalte Hände.
Cleo lag dich bei Hannes. Auch er spürte, dass etwas anders war.
Gegen 16.30 Uhr war es soweit, der Abschied von einer Woche die nie vergessen gehen sollte war da. Patricia umarmte ihn ganz fest und sagte immer wieder: ich liebe dich.
„Nun mach es uns nicht noch schwerer als es ohnehin schon ist. In 7500 Minuten bin ich wieder da.“ „Ruf an, wenn du zu Hause bist. Fahr vorsichtig, mon chérie.“


Die Woche schleppt sich hin

Als Hannes in seinem Ort im Nahetal ankam, rief er sofort Patricia an. Das Telefon gab nur ein Freizeichen. „Oui, mon chérie.“ „Hast du neben dem Telefon gesessen?“ „Oui, seit 17.20 Uhr.“ „Mein Auto ist keine Rakete! Ich möchte noch mit meinen Eltern reden. Ich ruf dich später wieder an. Bitte gib mir zwei Stunden; okay?“

Hannes wollte auch endlich seine Erlebnisse der letzten sieben Tage seinen Eltern erzähle.
Nach fast genau zwei Stunden rief er Patricia an. Das Gespräch wollte und wollte nicht enden. Keiner brachte es fertig den Hörer aufzulegen. Um kurz nach Mitternacht siegte die Vernunft über Schmetterlinge im Bauch und Patricia meinte, es wäre Zeit ins Bett zu gehen. Hannes müsste schließlich um 5.30 Uhr aufstehen um auf die Arbeit zu gehen.

Der Montag schien kein Ende zu nehmen und Hannes war froh als er nach Feierabend mit Patricia telefonieren konnte.
Der Dienstag eierte mit der Zeit nur so dahin und der Tag schien kein Ende zu nehmen.
Endlich war Mittwoch und beide hatten wieder bis kurz nach Mitternacht telefoniert.
Der Donnerstag verging wie im Flug und Patricia rechnete ständig bei dem Telefongespräch wie lange sie noch getrennt sind, bis sie ihn in die Arme nehmen konnte.

Thank God, it is Friday.
Er rief nach Thionville an und sagte, dass er gleich losfahren werde. Patricia rechnete schon in Sekunden „Du fährt 115 Kilometer. Bei einer Durchschnitteschwindigkeit von 75 km/h, kommt doch hin – oder? Bei der Berechnung brauchst du eine Stunde und siebenunddreißig Minuten. Dann sind das 5820 Sekunden. Wir sehen uns gleich. Pass auf dich auf. Au revoir. Je t’aime, mon chérie.“

Die 115 Kilometer fuhren sich erstaunlich gut. Hannes raste nicht – fuhr aber zügig.
5 KM Thionville
Stand auf dem Wegweiser an der Landstraße. Noch ein paar Minuten, dann war er da. Oh, wie er sich nach dieser Frau sehnte.
Er sah den Kreisverkehr und bog nach rechts ab. Nach wenigen hundert Metern sah er das Haus. Hannes fuhr die Einfahrt rein und über den Rasen von rechts kam Cleo mit einer Geschwindigkeit von einem Geparden auf das Auto zu gerannt. Hannes öffnete die Fahrertür und binnen Sekunden sah nur noch schwarz.
Ein ausgewachsener Labrador saß ihm auf dem Schoß. Bellte, wedelte mit der Rute und leckte ihm quer übers Gesicht. Cleo sprang auf den Beifahrersitz und während er sich drehte, schug er Hannes seine Rute ins Gesicht. Sofort war der riesige Kopf von Cleo nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, als dieser meinte mit seiner Zunge nochmals quer über das Gesicht von Hannes zu lecken.

Patricia schimpfe mit Cleo, was dieser völlig ignorierte. Hannes konnte vor so viel Hund sich noch nicht einmal bewegen.
Patricia zerrte Cleo am Halsband aus dem Auto. Also – der Versuch war im Ansatz schon mal da. Einen 34 Kilo schwerer Labrador zieht man nicht eben so aus einem Auto. Schon gar nicht, wenn dieser nicht will. Patricia schimpfe und schimpfe mit Cleo, brachte aber keinen nennenswerte Erfolg.
Hannes streichelte mit der linken Hand den Kopf von Cleo und sprach ruhig mit ihm. Endlich hatte sich der Hund beruhigt, drehte sich auf dem Schoß von Hannes um und klatsche ihm nochmals seine Rute ins Gesicht und sprang auf dem Beifahrersitz. „Cleo, sitz und warte bis ich ausgestiegen bin.“ Cleo machte wieder Anstalten um auf den Schoß von Hannes zu springen.
„Sitz! Asseyez-vous! Cleo.“ Das Machtwort von Hannes wirkte.

Patricia umarmte ihn und gab ihm einen langen Kuss „Mon chérie, ich habe dich so vermisst. Endlich bist du da.“
Hannes ging wie selbstverständlich ins Haus Lefèvre. Franziska kam aus dem Wohnzimmer und strahlte. Sie nahm Hannes in den Arm „Schön das du da bist. Herzlich willkommen. Heute Abend wollen wir Grillen, das Wetter ist super dafür. Ich fahre noch schnell zum Leclerc nach Metz einkaufen.“ „Fleisch braucht du nicht zu kaufen. Ich habe Idar-Obersteiner Schwenkbraten dabei.“
Patricia schaute ihn nun etwas enttäuscht an „Es sollte doch eine Überraschung für dich werden.“ „Patricia, auch du erfüllst mich geistig. Oder du musst dir in Zukunft einen Aluhut aussetzen.“
In wenigen als einer Sekunde gab Patricia ihm einen Boxhieb.
„Während du hier verprügelt wirst, geh ich mal die Holzkohle in den Schuppen holen.“ „Franziska, auch wenn ich hier weit weg von der Heimat bin, Schwenkbraten auf Holzkohle ist eine Todsünde im Hunsrück. Wenn dies raus kommt, werde ich aus der Heimat ausgewiesen.“ „Très bien. Maman, bring die Holzkohle!“ „Du Biest.“
Und schon wieder wurde er von Patricia geboxt.

Hannes machte das Feuer mit richtigem Buchenholz an und nicht mit so einem Firlefanz von Holzkohle.
Patricia brachte Getränke in den Garten und Franziska bereitete den Salat und die Kartoffeln in der Küche vor.
„Mon chérie, ich möchte heute Bier trinken, möchtest du auch eins haben?“ „Gerne.“
Das Bier kam aus dem Elsass. Es war süßer als deutsches Bier – aber lecker.

Der Abend am Feuer war wunderschön. Patricia saß ihm gegenüber und hatte ihre Beine auf seinen Oberschenkel liegen. Er massiert ihr die Füße.
„Am Feuer auf Stühlen zu sitzen, ist schon um vieles angenehmer als auf einem Holzklotz.“ „Oui, das ist es. Mon chérie, was wäre gewesen, wenn wir uns am Bostalsee nicht getroffen hätten? Hätte ich dich jemals getroffen? Ich stelle mir diese Frage seit wir in Avignon waren. Es gibt Zufälle und es gibt bestimmt auch Gottes Fügung, Schicksal oder wie immer man es auch nennen mag. Für mich war es das größte Glück. Deine Verrücktheit mag ich sehr.“ „Ich und verrückt? Wer will einen Banner an ein Flugzeug hängen und über Lothringen fliegen lassen?“
Schon wurde Hannes wieder geboxt. „Siehst du, Franziska, so ist deine Tochter. Sie sagt sie liebt mich und werde ständig von ihr geschlagen.“ „Ich schlage nicht, ich boxe. Da, die haste wieder.“ „Ach, ist schlagen und boxen dann so ähnlich wie angenehm und gut?“
Franziska grinste breit „Ihr Lieben, es war ein angenehmer Abend, mir wird es langsam etwas frisch. Ich geh schlafen. Gute Nacht, ihr beide.“ „Bonne nuit, Maman.“ „Gute Nacht. Hast du gehört, heute hat sie „gute Nacht“ gesagt.“
Patricia verdrehte die Augen, boxe ihn einmal links und rechts und gab ihm einen langen Kuss.

Die Erdrotation

Es war eine sehr schöne Nacht und Patricia
hatte mal wieder bekommen was sie wollte. Der Sex mit ihr war mehr als fantastisch.

Der Morgen erwacht langsam und über den Felder von Thionville und es kamen die ersten Sonnenstrahlen. Hannes sand am Fenster und schaute der Sonne entgegen. Dieses Licht hatte keine tausend Farben, dieses Licht war mit Fréjus nicht im Ansatz zu vergleichen. Trotzdem schaute er der Sonne entgegen wie sie langsam Stück für Stück immer heller wurde.
Die Erdrotation nach Osten war schon beachtlich schnell, wenn man diese sich konzentriert anschaute.
Was ist ein Augenblick? Was ist eine Minute? Warum verging ein Tag an dem man Freude hatte schneller, als ein Tag den man eigentlich aus dem Kalender streichen konnte?

Hannes erschrak als Patricia ihm von hinten die Arme um seinen Taille legte „Mon chérie, an was denkst du schon wieder?“ Sagte sie mit verschlafener Stimme.
„An die Erdrotation.“ „Morgens um halb sechs! Wie wäre es, wenn du an, volo enim vos mode et sexus, denken würdest? Da hätten wir beide etwas davon. Vielleicht bring deine Erdrotation mir noch einen schönen Orgasmus. Komm ins Bett. Allez. Ich will dich.“
Patricia zog Hannes an der Hand ins Bett zurück und fing auch gleich an ihn zu küssen.

Cleo bellte an der Zimmertür. Hannes war nach dem Sex tatsächlich wieder eingeschlafen. So eine Erdrotation ist schon cool, dachte er.
Hannes öffnete die Augen und Patricia war nicht da. Er drehte sich nach rechte und auch dort war sie nicht. Verschlafen ging er zur Tür um zu schauen, warum Cleo so bellte. Hannes drückte die Türklinke nach unten und schon im gleichen Moment flog die Tür auf. Das Holz der Tür knallte ihm mit voller Wucht gegen Kopf und Knie und in Bruchteilen von Sekunden sah er einem ausgewachsenen Labrador auf sich zu springen. Rückwärts taumelnd und noch irgendwie nach Halt suchend, kamen 34 Kilo lebendige Masse auf ihn zu gesprungen. Im fallen dachte er noch an die Erdrotation.

Nach Minuten der stürmischen Begrüßung, konnte er sich endlich unter Cleo befreien und ging ins Bad.
Was war nur los mit ihm? Er schlief sonst nie so lange. Selbst in Anbetracht der Zeit, die er und Patricia nicht geschlafen hatten, geteilt durch die Geschwindigkeit der Erdrotation, diese multiplizieren mit den Küssen von Patricia und subtrahieren von dem gelecke von Cleo, wusste er in diesem Moment nicht, wie viel Uhr es war.

Er brauchte zuerst heißes Wasser um mal wieder klar denken zu können; und wo zum Teufel war Patricia?


Der Fremde in der Küche

Hannes ging in die Küche und muss feststellen, dass dort eine Person am Tisch saß, die er nicht kannte. Ein junger schmaler Mann mit schulterlangen Haaren und leichtem Bartansatz saß am Küchentisch.
„Bon jour, je suis Hannes d’Allemagne“ und reicht dem jungen Mann die Hand über den Tisch.
„Salut, Maurice. Der Bruder.“ „Entschuldigung, wenn ich frage, warum habe ich dich hier noch nicht gesehen?“ „Ich könnte auch gleiche Frage stellen.“ „Très bien! Bevor wir uns im Kreis drehen, nehme ich mir erst mal einen Kaffee. Du auch?“ „Ich bin sechzehn!“ „Stimmt, da trinkt man lieber Alkohol“ sagte Hannes trocken mit einem Augenzwinkern.
Maurice schaute den fremden Mann in T-Shirt und Boxershorts etwas irritiert an. Hannes setzt sich Maurice gegenüber an den Tisch „Wenn du nicht möchtest, dass deine Mutter den Alkohol riecht, wäre es ratsam und angebracht duschen zu gehen und ein gutes Mundwasser zu benutzen. Geht aber auch mit Knoblauch kauen. Kannst du mir bitte sagen, wo Patricia oder deine Mutter ist?“ „Maman ist einkaufen. Tricia, weis ich nicht.“ „Merci beaucoup.“ Maurice ging aus der Küche und drehte sich in der Tür zu Hannes um „Danke für den Tipp.“ „Gerne.“

Hannes war mit Cleo im Garten und lag auf dem Liegestuhl unter dem großen Sonnenschirm.
Maurice kam auf ihn zu „Nochmals danke für den Tipp von vorhin.“ „Nicht dafür.“
Hannes sagte ihm warum er hier sei, wie er seine Schwester getroffen hatte und wie die vorletzte Woche war.
„Cool. Du bist ein cooler Typ.“
Maurice war drei Wochen in einem Ferienlager bei Ostende in Belgien und gestern Abend hätte er mit ein paar Kumpels noch etwas „abgehangen“.

Patricia kam von links um die Hausecke auf die kleine Sitzgruppe im Garten zu. Sie setzte sich im Reitersitz auf den Schoß von Hannes und gab ihm einen dicken Kuss „Na, hat uns die Erdrotation wieder zum Leben erweckt?“ Sie drehte den Kopf nach links zu Maurice „Salut Maurice.“ Maurice grüße seine Schwester, in dem er wortlos die Hand hob.
„Hattest du auch Probleme mit der Erdrotation?“ Fragte sie ihren Bruder. Maurice sah verwirrt zu Patricia und dann zu Hannes.
„Ne, bei ihm war es der Alkohol. Kannst du mir bitte sagen, wo du warst?“ „Oui, beim Bäcker.“ „In Paris?“
Hannes hatte den Satz noch nicht ausgesprochen und wurde schon wieder geboxt.

Hannes kam mit Cleo vom spazieren zurück. Maurice war in der Garage an seiner Yamaha RS 80 am schrauben. Das Moped wollte nicht starten. Hannes schaute sich das Moped an. Er schraubte am Vergaser und reinigte den Kraftstofffilter. Das Moped lief wieder.


Patricia verheimlicht etwas

In der Küche saßen Franziska und Patricia. Es schien dicke Luft zu sein „Weiß er es?“ Waren die letzten Worte von Franziska und zeigte mit dem Kopf auf Hannes, als er über die Terrasse in die Küche ging. Franziska stand auf und verließ die Küche. Hannes wusste nicht was der Grund an dem Verhalten von Franziska war. Wortlos nahm er eine Tasse aus dem Schrank und machte sich einen Kaffee. Mit der Tasse in der Hand stand er an der Anrichte der Küche und sah zu Patricia. Sie sah ihn an und dann aus dem Küchenfenster. Dieses Verhalten an ihr kannte er nicht. Er wartetet auf das was sie ihm bis jetzt offensichtlich verschwiegen hatte. Die Minuten vergingen ohne ein Wort zu sagen. Patricia nahm tief Luft und sah ihn an „Komm, wir müssen reden.“
„Offensichtlich!“

In ihrem Zimmer saßen beide auf der Couch. Patricia hatte ihren Kopf auf seiner rechten Schulter liegen. Mit der linken Hand hielt sie seine Hand fest. Hannes merkte, dass ihr es unglaublich schwer fiel etwas zu sagen.
„Ich hatte dich vor zwei Wochen gefragt, ob du mit mir nach Kambodscha gehen möchtest. Seit ich dich kenne, hat sich bei mir so vieles verändert. Ich spüre, dass ich wieder lebe. Ich bin glücklich. Du machst mich glücklich. Ich möchte nach den Ferien nicht studieren. Ich will Gutes tun und anderen Menschen helfen. So wie du es gerne machen würdest.“ „Patricia, ich kann dir nicht im Ansatz folgen. Was hat studieren mit helfen zu tun? Du kannst nach dem Studium immer noch alles machen was du willst. Verbau dir doch jetzt nicht die Chance für dein Leben. Hilfe wird nach deinem Studium auch noch gebraucht.“ „Je t’aime, mon chérie“ Patricia gab ihm einen langen Kuss.
Hannes sah sie an und sein Blick suchte in ihrem Gesicht nach etwas was noch nicht ausgesprochen war.
Ihre Blicke trafen sich „Du willst mir doch jetzt nicht sagen, dass dies alles war? Auch ohne Abi merke ich, dass da mehr ist.“
Sie schaute zu Boden und verzog den Mund.
„Hast du einen neuen Freund?“
Sofort sah sie ihn mit zusammen gezogenen Augenbrauen böse an und boxte ihn.
„Also war diese Frage schon mal falsch.“

Patricia zog ihn von der Couch in Richtung Bett. Eng umschlungen lag sie neben ihm „Liebst du mich?“ „Was ist das für eine blöde Frage! Natürlich. Ich vermisse dich jetzt schon, wenn ich morgen dieses Haus verlasse. Du bist eine unglaubliche Frau. Ich bin voller Stolz, ein Teil von dir sein zu dürfen. Natürlich habe ich Angst dich zu verlieren. Was ich mit dir und in diesem Haus erlebe, ist eine andere Liga. Du hast bessere, gebildete und vielleicht auch reichere Freunde als ich.“
Patricia setzte sich auf und schaut ihm böse in die Augen „Ist Geld für dich so wichtig?“ „Für mich nicht! Aber wie sehen dies deine Eltern oder deine Freunde? Das hier ist eine Villa! Glaubst du das ich dir diesen Luxus irgendwie, irgendwann bieten kann? Liebe ist toll. Liebe ist schön. Nur die Realität ist auch da! Mein Zimmer in meinem Elternhaus ist kleiner als dein Bad. Du hast Abitur, ich nicht. Du hast eine Figur von einem Model, schau mich an. Über all dies mache ich mir Gedanken. Ich kann kaum schlafen, weil mein Hirn sich ständig damit beschäftigt. Als ich das erstemal dieses Haus sah, wusste ich, dass du eine andere Liga bist. Was meinst du warum ich dich in Avignon nicht berührt habe? Weil deine Welt nicht die meine ist. Ich baute eine Mauer um mich und ich wollte mich nicht in dich verlieben.“ „Oh, mon chérie, dass ist doch alles nicht so! Nur weil wir im Haus von meinen Großeltern wohnen? Nur weil ich Abi habe?“ „Nein, Patricia. Dies ist es nicht alleine. Es ist viel mehr. Ich wollte dich in dem kleinen Motelzimmer berühren und einfach nur festhalten. Ich hatte nie den Gedanken mit dir schlafen zu wollen. Einfach nur festhalten und dich spüren. Ich hatte aber Angst dir zu nahe trete oder Angst vor einer Zurückweisung. Wobei ich nicht weiß, welche Angst größer wäre. Ich wollte diese Momente nicht zerstören und habe dich beim schlafen beobachten. Dies war reinste Erotik für mich. Ich überlegte über Stunden, was diese unglaublich schöne Frau von mir will. Nur ein kurzes Abenteuer mit einem dummen Jungen aus dem Hunsrück an der Côte d’Azur? Ich überlege und kam zu keinem Ergebnis.“
Patricia kamen die Tränen und streichelte seine Wangen „Diese Gedanken quälen dich seit zwei Wochen? Das ist doch alles Unsinn! Ich liebe dich! Dich! Keine Güter oder Schulabschlüsse. Dein Herz, dein Verstand und Charakter sind es, was dich ausmachen. Hannes, ich bin glücklich mit dir und dies nicht nur für ein kleines Abenteuer. Warum willst du dies nicht endlich begreifen? Lass doch dieses Haus und meine Schulbildung aus dem Spiel. Hast du eine solche Angst vor mir?“ „Ich weiß es nicht. Ich glaube es ist mehr die Angst vor Erwartungen die ich nicht erfüllen kann.“ „Welche Erfahrungen? Spinnst du?! Meinst du meine Eltern hätten eine Verfügung über mich erlassen, in der steht, dass ich nur einen Mann mit Studium und mindestens einer viertel Million France auf dem Konto lieben darf?“
Hannes schüttelte den Kopf. Er wollte irgendwie diese Diskussion beenden. Es war schon blöd genug, seine Gedanken auszusprechen.
„Nein. Es tut mir leid. Ich möchte dich nicht verlieren.“
Patricia küsste ihn „Warum solltest du dies? Ich liebe dich! Haben wir dies nun endlich geklärt? Und hoffentlich auch für die Zukunft. Bœuf stupide.“

Teil I Kapitel 1 Die Fahrt ans Meer

Es begann im Sommer 89
Anfang Juli 89 am Bostalsee

Die Fahrt ans Meer

Im Sommer 89 war Hannes mit seiner Clique von 8 Freunden im Alter zwischen 17 und 19 Jahren am saarländischen Bostalsee zelten. Die Clique war gleich der Zahl an Jungen und Mädchen.
In dem Alter war man unbeschwert, wild, verrückt und frei. Die Welt stand ihnen offen und das Abenteuer Leben begann.
Auf einer Kuhweide im Saarland, war man „weit weg“ von dem Elternhaus. Lagerfeuer, Kartoffeln auf dem Feuer und Ravioli aus der Dose standen für Freiheit. Das ein oder andere Bier gab es natürlich auch. Fahrschule wurde gemacht und dabei ein Auto im Wald kaputt gefahren. Es war nur ein Blechschaden, den man in der heimischen Garage reparieren konnte.
Es war eine gesellige Runde mit Freunden und so war es auch nicht verwunderlich, dass eine Gruppe von 6 Mädchen, die in unmittelbarer Nähe zelteten, zu der Clique von Hannes kamen. Nathalie, Yvonne, Laura, Jasmin, Cosima und Patricia kamen aus der Nähe von und aus Thionville. Da in Lothringen auch deutsch gesprochen wurde, gab es so gut wie keine sprachliche Hindernisse.
Am Abend bei Lagerfeuer kam die Romantik und die sehr spontane Idee von Hannes, doch mal am Stand ein Lagerfeuer zu machen.
Hannes war mit seinen 19 Jahren immer schon sehr spontan.
„Morgen Abend könnten wir doch an einem Strand ein Lagerfeuer.“
Anfangs fand jeder die Idee super. Dann doch wieder nicht, weil der Stand am Bostalsee auf der anderen Seite von dem Zeltplatz sei und man nicht wüsste, ob es erlaubt sei dort Feuer zu machen.
„Ich habe mit Strand nicht den Bostalsee gemeint!“
Fragende Blicke aus der Runde.
„Sondern?“ Fragte Martin, einer der Kumpels von Hannes.
„Saint Tropez!“
Große Verwunderung in der Runde.
„Wir haben Ferien, sind nicht gebunden und können doch auch mal etwas verrücktes tun. Frühstücken in Paris direkt an der Seine. Morgens um 7 Uhr mit Cappuccino und Croissant am Ufer der Seine sitzen und bei Port Neuf dem rauschen der Seine lauschen. Im Park von Notre Dame unter den Bäumen sitzen und den Glocken zuhören oder am Strand von Saint Tropez den Sonnenuntergang bei einem Feuer und Gitarre genießen wenn, die Sonne im Meer versinkt und die Abenddämmerung wunderschön das Meer und Himmel in Farben taucht.“ „Hannes, du bist verrückt! Wir können doch nicht spontan nach Südfrankreich fahren und uns dort an den Strand setzen“ sagte Mirko und suchte Beifall in der Gruppe.
„Warum nicht? Muss den immer alles geplant und organisiert sein? Ihr wollt euch frei fühlen und grenzt euch selbst ein.“

Hannes merkte, dass es wenig Sinn machte, seine Idee noch weiter  zu diskutieren und ging er in den angrenzenden Wald, um noch nach Holz für das Lagerfeuer auf einer saarländischen Kuhweide zu suchen. Kurze Zeit später hörte er Schritte hinter sich. Es war Patricia.
„Sag mal, war dies vorhin dein ernst gewesen, was du vorgeschlagen hast?“ „Natürlich. Immer wird nur geredet, wir könnten…, wir sollten…, wir müssten…. Am Ende wird nichts daraus – oder wenn doch,  dann nur halbherzig. Die Jungs und Mädels sind alle super nett und wir sind seit Jahren schon eine Clique. Nur fühle ich mich bei ihnen eingeengt. Eingeengt in mir. In meinem Leben. Die Welt ist riesengroß und wir sitzen am Bostalsee auf einer Kuhweide. Was ist mit Momenten genießen? Dies kann ein Bachlauf sein, in dem sich gurgelnd das Wasser um Steine dreht. Wind der durch Bäume weht, wenn man auf einer Lichtung in den Abendhimmel schaut und die Sterne am Firmament zählt. Momente kosten kein Geld. Natürlich haben wir alle nicht so viel Geld. Die Hälfte von uns ist in der Lehre oder steht vor dem Abitur. Die Welt zu entdecken muss doch nicht teuer sein. Wenn wir uns den Sprit und Maut teilen ist für jeden von uns die Fahrt an die  
Côte d’Azur doch erschwinglich.“ „Wow, ich bin von deinen Worten fasziniert. Die meisten Jungs in deinem alter haben nur Autos, Motorräder oder Mädchen im Kopf. Du redest von Kirchenglocken, Sonnenuntergänge und hast klare Vorstellungen. Was du vorhin gesagt hast, mit dem Feuer am Strand oder Croissant an der Seine zu essen, da sah ich Bilder vor meinen Augen.“ „Patricia, ich weiß nicht ob du dies verstehst, ich will weg. Weg aus mir. Weg aus allen Zwängen und die Welt erleben.“
Patricia nickte ihm zu „Doch Hannes, ich verstehe dies.“
Hannes schaute diese zierliche Französin mit ihren langen hellbraunen Haare und braunen Augen fragend an.
Sie kam drei Schritte auf ihn zu und stand nah vor ihm.„Wenn du wirklich fahren willst, fahre ich mit dir. Raus aus allen Zwängen und die Welt erleben.“
Hannes sah dieser Schönheit in die Augen und wusste nicht, wie er reagieren sollte.
„Lass uns zurück gehen, die anderen warten auf das Brennholz.“
Mit diesem Satz hatte er soeben die Romantik und den Moment zerstört.

„Allons à la mer.“

Der Sonnenaufgang am Bostalsee hatte nun wirklich nichts mit Romantik zu tun. Die Kleider waren klamm, rochen nach kaltem Rauch und das Gras war vom Morgentau feucht und kühl.
Hannes machte Feuer an. Zum Frühstück wollte er sich Rührei mit Speck machen. Er saß auf einem Holzklotz und schaut in die kleinen Flammen, die sich mühsam an dem feuchten Holz zu schaffen machten. Er fühlte sich in diesem Moment so falsch an diesem Ort.
Ein paar Meter weiter hörte er wie ein Reißverschluss von einem Zelt sich öffnete und schaute in die Richtung von wo das Geräusch kam. Er sah 20 Meter weiter die zierliche Figur von Patricia. Als sie ihn sah, winkte sie ihm zu und kam an die Feuerstelle.
„Bonjour, Hannes.“
„Bonjour Patricia.“
Patricia setze sich neben ihn auf einen Holzklotz „Dies hier hat nicht viel gemeinsam, was du gestern Abend gesagt hast. Die Kleider sind klamm und das Gras ist feucht.“ „Habe ich laut gedacht?“
Patricia sah in fragend an „Désolé. Je ne pas comprend. Ich verstehe nicht.“
Hannes sagte ihr, dass er genau diese Worte vor ein paar Minuten dachte.
Patricia lachte und fuhr sich mit den Finger durch ihr leicht gewelltes hellbraunes Haar. Sie war eine sehr attraktive junge Frau mit einem unglaublich schönen Lächeln. „Willst du immer noch zum Strand nach Saint Tropez?“ Fragte sie ihn, als er die Eier zu dem bratenden Speck in die Pfanne gab.
Hannes nickte „Ich will schon, hier will aber keiner mit. Siehst ja selbst, alle schlafen noch. Alleine fahre ich keine tausend Kilometer an die Côte d’Azur. Wofür? Um nackte Füße in den Sand zu stecken, Rotwein mit Sandkörner trinken und dabei dem rauschen des Meeres zuzuhören?“
Patricia nickte bei seinen Worten „Oui, juste pour ça! Genau dafür. Du erzählst so schön, ich habe schon wieder Bilder vor mir. Ich höre das Wasser und schmecke den Wein. Lass uns fahren! Allons à la mer.“ „Patricia, gerne. Sehr gerne. Nur möchte ich nicht das du mit deinen Freundinnen ärger bekommst oder gar von deinen Eltern.“ „Meine Freundinnen sind zu eingegrenzt. Ich bin volljährig. Gerne zeige ich dir meinen Ausweis.“
Hannes nahm die Eier mit Speck aus der Pfanne und gab Patricia einen Plastikteller mit der Hälfte von seinem Frühstück.
„Merci beaucoup“ sagte Patricia und lächelte Hannes an.
Beide saßen auf Holzklötze und schauten beim essen ins Feuer. Patricia lachte auf einmal. Er sah sie an und sie fingerte etwas Gras aus ihrem Mund.
„Immerhin besser als Sand im Rotwein“ sagte er.
„Je ne sais pas. Ich weiß nicht“ sagte sie und lächelte erneut.
„Dann sollten wir es heraus finden.“

Um kurz nach 8 Uhr fuhren Patricia und Hannes mit seinem Auto von der Kuhweide. Sie hatten mit ihren Freunden nochmals über die Idee von Hannes gesprochen und die Diskussion war nicht zielführend. Es war Hannes nach wenigen Minuten schon klar, dass außer hin und her und unsinnigen Argumente niemand seine Idee teilte.
„Weißt du den Weg nach Saint Tropez?“ Fragte Patricia.
Hannes nickte „Immer nach Süden. Richtung Saarbrücken, Metz, an Nancy vorbei und immer geradeaus. Dijon, Lyon und bei Avignon links ab.“ „Très bien. Wenn du über Saarlouis fährst, könnte wir bei mir zu Hause vorbei fahren, andere Kleider mitnehmen und duschen.“ „Volontiers. Mache ich doch gerne.“ „Merci beaucoup, Hannes.“

Das war es also. Patricia wollte auf dem Campingplatz nicht mehr bleiben und fand einen blöden, der sie nun nach Hause fuhr.
Die Fahrt über sprachen sie über dies und das. Wie sie ihre Zukunft sahen oder in welche Länder sie gerne einmal reisen würden.
Sie passierten die Grenze ohne Probleme. Ein Zöllner wollte lediglich die Ausweise sehen und fragte Hannes nach dem Grund des Aufenthaltes in Frankreich. Er würde die junge Frau nach Hause fahren, sagte er dem Zöllner.
Schweigsam fuhr er über die schmale Landstraße Richtung Thionville.
„Ich dachte wir wollten ans Meer fahren,  Lagerfeuer machen und Rotwein trinken“ sagte Patricia und sah ihn vom Beifahrersitz aus an.
„Wollen wir dies wirklich?“ Hannes schaute Patricia an und sah in ihre wunderschöne braunen Augen.
„Oui. So hatte ich es bis eben noch in Erinnerung.“
Hannes nickte stumm. Sehen wir dann, dachte Hannes.

„Wir sind gleich da. Fahr am nächsten Ortsschild rechts rein.“ Patricia lotste ihn durch die Vororte von Thionville. „Nächste Straße links, über den Kreisverkehr dann rechts in die Seitenstraße.“
Dieses Wohngebiet sah anders aus, als jene die bis jetzt rechts und links an den Straßen zu sehen war: ordentlich und sehr gepflegt. Es schien so, als ob hier nur reiche Leute wohnten. Große Häuser und Villen aus der Gründerzeit mit riesigen Gärten und alten Bäumen, Steinmauern mit sehr schönen Eisentore.
„Das nächste Haus auf der rechten Seite“ sagte Patricia.
Hannes sah eine dreistöckige große Villa mit Erker, Winkel und Fachwerk in safrangelb. Drei kleine Türmchen sah er auf dem Dach. Die Hofeinfahrt war mit Basalt Steinen gepflastert und nach zehn Metern wurde es zu einer sehr großen Fläche die fast so breit war wie das Haus. Links und recht der Steinfläche lag ein unglaublich gepflegter Rasen auf dem ein paar große Ahornbäume standen.
„Mein Pilum ist solider als euer Sternum“ sagte Hannes lauter, als er es wollte.
Patricia sah in fragend an „Was?“ „Nichts. Ich habe nur an das Comic von Asterix gedacht.“ „Okay. Du kannst hier rechts parken.“

Hannes war von dieser Villa fasziniert. Er liebte solch alten Häuser mit Bruchsteinen und Fachwerk. Sie gingen die breite Steintreppe hinauf und Patricia klingelte an eine Tür aus Eichenholz, die bestimmt einhundert Jahre alt war und mit Schnitzereien aus dem vergangenen Jahrhundert verziert war. Nach den filigranen Schnitzereien zu urteilen, verdiene der Hausbesitzer sein Geld in der lothringischen Stahlindustrie.
Aus dem Inneren des Hauses kamen Schritte auf die Tür zu. Hannes sah eine Frau, die Mitte vierzig sein konnte. Sie war groß, schlank und mit ihren langen blonden Haaren sah sie sehr attraktiv aus. Unverkennbar war es die Mutter von Patricia.
„Bonjour Madame Lefèvre, je m’appelle Hannes.“ „Bonjour Hannes. Sie können deutsch mit mir reden. Bitte kommen Sie herein.“

Nach einem kleinen Flur trat er in eine Halle, mit einer Wendeltreppe die gute 3 Meter breit war. Die Decke von der Halle war bestimmt 7 Meter hoch. Die dunkelbraune Holztreppe und die eisenoxidrote Tapete gaben der Halle eine unglaubliche Größe.
Patricia erzählt ihrer Mutter, was sie die letzten vier Tage beim campen erlebt hatte, dass sie die coole Clique von Hannes kennengelernt hatten und sonst alles doch sehr langweilig war.
Hannes hörte gar nicht richtig zu. Er konnte gar nicht alles erfassen, was an diesem Haus den Flair ausmachte. War es das  weinrote Chaiselongue neben der Treppe, die Tapete mit den weißen Ornamente, das kunstvolle Holzgeländer mit gleichen filigranen Schnitzereien wie die Eingangstür, der runde Kamin auf der linken Seite der Halle oder von allem etwas.

Frau Lefèvre schob links von der Halle eine weiße Doppeltür mit nordamerikanischen oder kanadischen Ornamente auf und Hannes sah in einen Raum, wie aus dem 18. Jahrhundert. Im Erker stand ein  Chaiselongue mit Streifen in vanille und orange. Die weiße Wand in dem Erker gab dem Ambiente eine unglaubliche Noblesse. Rechts davon stand eine Holztruhe in gebeiztem Eichenholz. Auch hier waren wieder Ornamente aus Nordamerika zu sehen. Ein Tisch von bestimmt 6 Meter Länge und aus gleichem Eichenholz, wie die Truhe stand mittig im Raum. Die Zimmerdecke war gut dreieinhalb Meter hoch. Auch hier waren in den Ecken Ornamente zu sehen. Hannes sah ein Deckengemälde mit dem Bildnis von Kopernikus, wie er in den Sternenhimmel schaute. Die Decke war sehr schönes Kunstwerk, wie Hannes es bis dato nur in Kirchen, Schlösser oder Barocken Gebäude gesehen hatte.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“
„Hannes?“ Er schaute Patricia fragen an. „Meine Mutter fragte, ob sie dir etwas anbieten kann?“ „Excusez moi s’il vous plait. Non. Merci Madame.“
Patricia sagte dass sie jetzt gerne duschen gehen würde.
Frau Lefèvre bot Hannes einen Stuhl an und setzte sich ihm gegenüber an den großen Eichenholz Tisch.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich eben etwas abwesend war. Ich bin von der Architektur dieses Hauses fasziniert. Das Deckengemälde ist der Hammer.“
„Dankeschön. Das Haus ist von 1850. Der Urgroßvater von meinem Mann baute dieses Haus. Ihr wollt nach Saint Tropez an den Strand fahren und ein Lagerfeuer machen?“
Hannes war wie vor den Kopf geschlagen. Er hätte jetzt mit allem gerechnet, aber nicht damit. Dann meinte Patricia es wirklich ernst.
„Ja, Frau Lefèvre. Beim zelten kam mir spontan diese Idee. Erst fanden alle in der Clique es toll und heute sind wir alleine. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden?“ „Sie machen einen guten und netten Eindruck auf mich. Patricia ist alt genug. Sie kann entscheiden was sie möchte.“
„Darf ich fragen, warum Sie und auch Patricia, ein so gutes deutsch sprechen?“
„Es ist meine Muttersprache. Ich komme aus der Pfalz, henn des pälzich awwer abgeläht un schwätze ehjetzed Hochdeutsch. Ich bin in Annweiler aufgewachsen. Die Liebe hat mich nach Lothringen verschlagen.“ „Annweiler am Trifels. Schön dort. Die Burg ist bekannt durch die Sage der Gefangenschaft von Richard Löwenherz.“
Frau Lefèvre sah respektvoll zu Hannes und nickte leicht mit dem Kopf und auf einmal hatten beide ein Gesprächsthema über die Pfalz, die Blondelsage, der Pfälzer Wald und Wein und natürlich das Hambacher Schloss mit seiner Geschichte zur Gründung der deutschen Demokratie.

Patricia stand in der Tür und unterbrach die angenehme Unterhaltung „Möchtest du dich weiter über Geschichte unterhalten oder vielleicht doch lieber duschen? Immerhin sind es tausend Kilometer bis nach Saint Tropez.“ „Duschen wäre toll. Ich gehe schnell ans Auto meine Tasche holen.“

Roadtrip an die Côte d’Azur

„Mein lieber Mann, du hast meine Mutter schwer beeindruckt“ sagte Patricia, als sie das Auto von Hannes durch die Vororte von Thionville in Richtung Autobahn lenkte.
„Warum denn das? Ich war nur höflich gewesen.“
Patricia sah in kurz an und nickte „Exactement, c’est ça. Genau, das ist es. Du bist irgendwie anders als die Jungs, die ich kenne. Du bist reserviert Frauen gegenüber und hast Contenance. Dies habe ich gestern Abend im Wald schon gemerkt. Du spricht von Romantik, möchtest diese auch und trotzdem baggerst du mich nicht an – noch nicht einmal der Versuch! Bin ich nicht dein Typ?“
Patricia war sehr direkt und Hannes wusste nicht so recht was er ihr antworten sollte.
„Patricia, ich nenne es Anstand. Und doch – du gefällst mir. Sehr sogar! Deine unglaublich schönen Augen, diese Top Figur und dein Lächeln ist zauberhaft. Es ist aber noch so vieles mehr. Was ich denke – sprichst du aus. Was für mich eine Idee war – setzt du um. Und ganz ehrlich, ich dachte vorhin, dass du nur einen blöden gefunden hast, der dich nach Hause fährt.“ „Wow, merci beaucoup. Du hast schöne blau Augen, ich mag deinen Blick. Du gefällst mir und bis noch klug dabei. Schade das du so von mir denkst. Du siehst, ich halte mein Wort und fahre mit dir an die Côte d’Azur. Ich verstehe dich aber auch. Du bist jemand der bedingungslos gibt und am Ende mit Enttäuschungen da steht.“
Die Worte von Patricia brannten ihm in Herz. Genau das war es! „Exactement“ sagte er und schaute aus dem Seitenfenster, damit sie seine Tränen nicht sah.

Die Strecke von Dijon bis nach Lyon hörte nicht auf kürzer zu werden. Patricia schlief nun schon seit eineinhalb Stunden und diese monotone Autobahn hörte und hörte nicht auf. Die Geschwindigkeit zwischen 100 und 140 km/ h reichte völlig aus. Bis sie in Saint Tropez ankämen, wäre es sowieso schon spät am Abend und somit war an Lagerfeuer am Strand nicht mehr zu denken.

Endlich kam die Abfahrt nach Avignon. Nun waren es noch gute 200 Kilometer bis nach Saint Tropez.
Patricia wurde wach und fragte, wo sie den schon wären. Auf dem nächsten Rasthof machten sie eine Pause. Patricia rief zu Hause an und sagte das alles gut sei.
Das Essen auf dem Routier bei Avignon war wirklich das Sprichwort: Essen wie Gott in Frankreich, wert. Eine Vorspeise, Menü mit Salat, Nachtisch, Espresso und eine Karaffe Rosèwein. Zum Abschluss gab es ein Käsebuffet mit mehr als ein Dutzend verschiedenen Sorten.
„Ich möchte hier gar nicht mehr weg. Der Wein ist super lecker und so viele Sorten Käse habe ich noch nicht gegessen.“ „Convenu. Stimmt, lass uns doch für die Nacht hier bleiben. Ich habe unweit vom Routier ein Motel gesehen. Bis wir in Saint Tropez ankommen, ist es schon viel zu spät, um dort noch Feuer zu machen.“
Patricia überrasche Hannes immer mehr. Er macht nur ein Vorschlag und sie setzt diesen sofort in die Tat um.

Das kleine Motel „Aire de Morières“ an der A7 war sehr schön und liebevoll eingerichtet. Hannes wollte gerne zwei Zimmer haben – Patricia nur eins.
Das kleine Zimmer hatte die gleiche Handschrift wie das Motel: Leichte helle Farben, Blumen auf dem Tisch und eine Einrichtung zwischen Moderne und Tradition. Von allem etwas und trotzdem nie zu viel oder kitschig. Sogar ein winzig kleiner Balkon hatte ihr Zimmer.
Hannes stand auf dem Balkon und schaute in die Ferne. Er sah und roch die Provence im Juli.
Es klopfte an der Zimmertür und Patricia öffnete die Tür. Ein untersetzter Mann ende fünfzig, brachte eine Käseplatte und zwei Flaschen Rosèwein auf ihr Zimmer.

Der Mini Balkon reichte gerade für zwei Stühle. Der Käse musste auf den Boden, denn der Beistelltisch vom Bett passte nicht mehr auf den Balkon.
Sie saßen auf diesem Miniatur Balkon und hörten den Grillen zu. Die warme Luft am Abend war angenehm. Die Sterne leuchteten hell und der Mond war abnehmend.
„Ist dies ein solcher Moment wie du ihn dir vorstellst?“ Fagte Patricia.
„Oui, ist es. Vom Bostalsee nach Avignon, um mit einer klugen, schönen und interessanten Frau Wein zu trinken, ist ein Moment der immer bleibt.“ „Ich dachte mehr so an die Grillen, Sterne und Mond.“ „Entschuldigung. Natürlich diese auch.“ Patricia boxte ihn „Hannes du musst dich nicht entschuldigen. Danke für dein Kompliment. Es ist auch für mich ein schöner Moment. Und ja, ich genieße auch den Käse und Wein mit einem klugen, schönen und interessanten Mann.“

An diesem Abend wurde über vieles geredet, gelacht und nachgedacht. Patricia war eine  Frau, wie Hannes es sich wünschte: klug, schön und taff. Ihr langes hellbraunes Haar bewegte sich mit dem Wind. Im Halbschatten der Straßenlaternen, die vom Parkplatz her schienen, sah sie sehr erotisch aus. Alles an ihr war Exotik pur. Ihre Bewegungen, ihre Haltung, ja sogar wie sie in ein Stück Höhlengereiften Käse biss.
Seit Stunden hatte er Gedanken im Kopf, traute sich aber nicht zu fragen. Patricia sah ihn an und irgendwie sagte ihr Blick, dass sie auf seine Fragen wartete.
Jetzt oder nie, sagte er zu sich selbst „Darf ich dich etwas fragen?“ „Oui. Bien sûr. Natürlich.“
Hannes schlug das Herz bis zum Hals „Du bist wunderschön, taff, unglaublich intelligent, vermutlich auch reich. Warum hast du keinen Freund? Die müssten bei euch an der Tür doch Schlange stehen.“
Patricia stellte ihr Weinglas an und sah ihn an „Ich warte auf den richtigen. Ja, ich weiß das ich attraktiv, etwas klug und auch etwas reich bin. Aber all jene die ich kennengelernt hatte, wollten nach kurzer Zeit nur mit mir schlafen oder mit meinem Reichtum angeben. Sie hatten gebalzt wie blöd, mich aber nicht berührt – geistig nicht berührt. Wenn du erzählst, kann ich es sehen sehen und sogar riechen. Du hast mich noch nicht berührt und trotzdem tust du es ständig. Als ich vorhin im Auto etwas geschlafen habe, bekam ich mit wie besorgt du um mich warst. Du hattest das Radio auf ganz leise gestellt und irgendwann auch ausgeschaltet. An der ein oder andere Mautstadion sprachst du sehr leise. Du bist um Menschen besorgt. Du bist ein interessanter und kluger Mann, dies hat auch meine Mutter gesagt. Natürlich macht sich meine Mutter Gedanken, dass ich Sex mit einem mir fremden Mann haben könnte, oder du mir etwas antust. Ich weiß, dass es nicht so ist. Du bist hochanständig, reserviert und zuvorkommend. Ich würde mal sagen, in deinen Beziehungen hatten die Frauen den ersten Schritte getan.“ „Oui. C’est vrai. Du scheinst mich nach den knapp 30 Stunden schon gut zu kennen.“
Patricia zwinkerte ihm zu und grinste.

Von Lavendel- und Pinienduft geweckt

Am nächsten Morgen war Hannes bereits um 6 Uhr wach. Er schaute nach rechts und sah eine wunderschöne Frau im Bett liegen. Leise und mit langsamen Bewegungen stieg er aus dem Bett. Auf Zehenspitzen ging in das kleine Bad und stellte sich unter die Dusche.
Leise ging er durch das Zimmer und öffnete die Tür zu dem Miniatur Balkon. Hannes sah vom dritten Stock des kleinen Motels in die Ferne. Südfrankreich war wunderschön. Die Palmen, die schönen Häuser, die vielen Pinien und die riesigen Felder mit Lavendel gaben ein anderes Panorama als eine Kuhweide im Saarland.
Dies hier war um Welten besser als am Bostalsee auf einer feuchten Wiese zu sitzen. Seine Freunde wussten gar nicht was sie verpassten. Der Duft von Lavendel, Pinien und die Frische vom Morgen kam mit dem Wind von Süden. Mit geschlossenen Augen genoss er jede Sekunde von diesem Moment. Er atmete tief ein und fühlte sich frei.
„Bonjour, Hannes“ sagte Patricia leise zu ihm, als sie hinter ihm stand „Dies ist etwas anderes als am Bostalsee. Keine feuchten Kleider und auch kein Geruch von Rauch. Pinien riechen doch angenehmer.“ Er drehte sich zu ihr um und sah sie in ihrem roten Long Shirt mit zerzausten Haaren. „Ich geh schnell duschen und dann können wir frühstücken.“

Auf der Terrasse von dem Motel saßen sie bei Kaffee, Croissant und Marmelade. Der Wetterbericht im Radio sagte, es würde heute sehr heiß werden. Das Thermometer links an der Wand zeigte um 8.30 Uhr bereits über 20° Celsius an.
„Ich möchte gerne noch ein paar Kleider kaufen. Die die ich dabei habe, war zum zelten gedacht und nicht für Saint Tropez.“ Patricia nickte „Natürlich. Kann ich verstehen.“

Die Welt ist Riesengroß und wunderschön.

Avignon ist eine wunderschöne mittelalterliche Stadt. Die alten Gebäude und Brücken geben der Stadt sehr viel Charme. Der Papstpalast ist alleine durch seine gewaltigen Größe schon sehr imposant. Es ist eines der größten und wichtigsten mittelalterlichen gotischen Gebäude in Europa mit einer faszinierenden Architektur.
Die berühmte Ruinenbrücke Pont Saint-Bénézet, so wie die romanische Cathédrale Notre-Dame des Doms d’Avinnon sind Zeitzeugen einer fast tausend jährigen Baukunst. Das Landei aus dem Hunsrück hatte solche Städte und Gebäude nur in Bücher oder im Fernsehen gesehen. Vor der wunderschöne Kathedrale von Avignon zu stehen und dieses Bauwerk auf sich wirken lassen, war etwas anderes als ein Foto in einem Buch zu betrachten.
„Die Welt ist Riesengroß und wunderschön“ sagte er zu Patricia als sie vor dem Hauptportal der Cathédrale standen.
Durch die Gassen mit ihrem mittelalterlichen Flair ging beide in einige Boutiquen. Patricia suchte Kleider für Hannes aus, die ihr an ihm gefielen. Als seine Garderobe für Saint Tropez gekauft war, schlenderten sie durch malerischen Gassen von Avignon.
Gegenüber vom Papstpalast tranken sie einen Cappuccino vor einem kleinen gemütlichen Café. Patricia saß ihm an dem kleinen quadratischen Tisch gegenüber und Hannes nahm zaghaft die Hand von Patricia.
„Endlich! Wurde auch langsam Zeit“ sie schaute ihn mit ihren schönen braunen Augen an „Hannes, ich weiß das du Angst vor Enttäuschung, Zurückweisung oder Ablehnung hast. Du bist ein Mensch mit einem sehr großen Herz. Diese Menschen werden am meisten enttäuscht. Lass uns nach Saint Tropez fahren. Ich möchte mit dir die Füße in den Sand stecken. Deine schönen blauen Augen haben jetzt ein ganz anderen Glanz.“
Sie gab ihm einen Kuss und streichelte seinen rechten Arm.

Die Fahrt nach Saint Tropez war eine andere, als der Weg von Thionville nach Avignon. Patricia hielt während der Fahrt seine rechte Hand fest und immer wieder legte sie ihren Kopf auf seine Schulter oder streichelte ihn.
„Du bist ein wunderbarer Mensch. Ich kann mich mit dir über so vieles unterhalten. Meine Mutter sieht es genau so. Ich soll dich von ihr Grüßen. Ich hatte vorhin kurz angerufen und gesagt, dass wir bald auf dem Weg nach Saint Tropez sind. Du hast vorgestern gesagt, dass du die Welt erleben willst. Dabei hast du bestimmt nicht an Gebäude und Reisen gedacht.“
„Oui, ich möchte die Welt erleben an der Basis, kein Urlaub auf den Seychellen. Viele Menschen leben in Armut, ohne Bildung, ohne Perspektiven. Die Welt verbessern, verändern und Gutes tun – das ist mein Traum.“ „Oh, là là. Da solltest du doch mal mit meinem Vater reden.“ „Dein Vater?“ Hannes sah erstaunt zu Patricia. „Oui, er ist bei einer Hilfsorganisation und weltweit unterwegs. Er macht das, von dem du träumst.“

Patricia erzählte von der Arbeit ihres Vaters und Hannes kam aus dem staunen nicht mehr heraus. Jedes Wort was sie sagte, zog er in sich auf. Sie erzählte von dem neuesten Einsatz in Kambodscha.
Hannes konnte dies alles gar nicht glauben. Sollte er über Patricia diese Möglichkeit für seinen Traum bekommen?

Ab Font Mourier konnte man schon das azurblaue Meer sehen. Die Fahrt verging wie ihm Flug. Patricia erzählte so viel, dass er nun noch locker tausend Kilometer hätte fahren könnte.
Ab Maleribes führte die Straße oberhalb am Meer vorbei. Links war das Meer und rechts die zerklüfteten Felsen. Eine grandiose Landschaft glitt an seinen Augen vorbei.

Saint Tropez war um diese Jahreszeit mit Touristen überflutet. Am Jachthafen waren alle Parkplätze belegt. Gleiches auch an der Uferpromenade. Etwas außerhalb an einem Coop Markt fand er endlich einen Parkplatz.
Hand in Hand gingen sie durch die Straßen von Saint Tropez zum Strand.
An der Uferpromenade waren die
Straßenkünstler, die für teuer Geld Portraits von den Touristen malten. Sie gingen an den vielen Eisstände und Souvenirläden vorbei.
„Genau wie noch vor Jahren. Es hat sich nichts geändert“ sagte Hannes.
„Du warst schon mal hier?“ „Oui, zweimal. Im Urlaub mit meinen Eltern. Das letzte Mal 1987. Daher kenne ich auch die Strecke. Wir wohnten damals in Saint-Maxime in einer Bungalow Ferienanlage und waren immer am „La Tomata“ Strand“ „Dann lass uns doch dort hinfahren.“

Die dreißig Kilometer nach Saint-Maxime waren schnell gefahren. Durch Saint-Maxime durch und dann noch ca. zehn Minuten bis zum Strand. Als Hannes den Turm von der Rettungswache sah, erzählte er, wie 1984 seine beiden Schwestern mit dem Schlauchboot in Seenot gerieten „An diesem Tag war ein Mistral und das Schlauchboot wurde immer weiter auf das offene Meer getrieben. Ein Eisverkäufer hatte dies bemerkt. Er stelle seine rote Coca-Cola Kühlbox ab und schwamm dem Gummiboot entgegen. Mein Vater war in der Zwischenzeit am Auto und hat das Fernglas geholt. Irgendwann ist dann auch die Seerettung ausgerückt und hat den Eisverkäufer, meine beiden Schwestern und das Gummiboot gerettet.“

Teil I Kapitel 2 Tausend Farben sind auch ein rot

Fréjus. Die Momente vergehen zu schnell

Tausend Farben sind auch ein rot.
„Ich habe von einer wunderschönen Nacht, nicht von Sex, gesprochen.“

Patricia lag eng neben ihm am Strand. Bei einem älteren Franzosen der einen Sonnenschirmverleih am Parkplatz zum Strand betrieb, mietete Patricia einen quietschtgelben Sonnenschirm und eine große Strandmatte.
Sie hatte sich sein großes Badetuch umgelegt und ihr T-Shirt und Minirock gegen einen Bikini getauscht. Als sie ihm sein Handtuch zu warf, sah er ihren fast nackten Körper. Patricia hätte mit ihrer sehr schmalen Figur locker ihr Geld als Model verdienen können.
Sie legte sich auf ihrer linken Seite und stürzte sich mit ihrem Arm auf der Strandmatte ab. Mit ihrer rechten Hand streichelte sie seine Brust.
„Einen Menschen wie dich zu kennen, ist ein großes Geschenk. Du bist aufmerksam, gebildet und sehr nett. Du passt nicht in diese Clique. Die sind alle nicht so reif wie du. Die sehen ihn dir den Clown – den Spaßmacher der mit seinen Slapsticks alle unterhält und zum lachen bringt. Ja, Hannes, du verbreitets Spaß. Deine Freunde sehen aber nicht deine Gedanken.“
Hannes schaute sie mit fragenden Blick an.
„Oui, ich sehe etwas ist in dir. Etwas was du und offensichtlich deine Freunde nicht kennen und vor dem du Angst hast – und dies wahrscheinlich schon dein Leben lang. Du bist bei mir ein völlig anderer Mensch als in der Clique. Ich merkte dies schon, als ich dir in den Wald folgte. Es waren andere Gespräche, ein anderes Verhalten und ein anderer Mensch.“ Patricia hatte recht, mit dem was sie sagte. Hannes suchte Antworten und wusste noch nicht einmal die Fragen.

„Allez Monsieur, baignons-nous dans la mer“ sie zog Hannes hoch und gemeinsam liefen sie ins Meer. Der heiße Sand brannte ihnen an den Fußsohlen.
Das Wasser hatte fast Badewannen Temperatur, trotzdem tat das Wasser bei dieser Hitze gut. Sie schwammen soweit ins Meer, wie Patricia noch stehen konnte. Umgeben vom Mittelmeer umarmte sie Hannes und küsste ihn lange.
Nach einer halben Stunde im Wasser war es Zeit in den Schatten zu gehen. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel.
Unter dem quietschtgelben Sonnenschirm cremte er Patricia den Rücken ein und küsste sie auf ihr rechtes Schulterblatt. Hand in Hand lagen sie auf dem Bauch und genossen diesen Augenblick.
Patricia küsste ihn links in den Nacken und Hanner wurde wach „Habe ich geschlafen?“ „Ja. Hast du. Allez Monsieur, lass uns für die Nacht ein Zimmer suchen.“ „In der Hauptsaison in Saint-Maxime? Du bist mutig. Ich denke, außer die Sitze im Auto bei Backofentemperatur wird uns nicht viel übrig bleiben. Dafür hätten wir aber auch Meerblick gratis.“ „Ich bin Französin und keine Touristin. Ich werde schon etwas für uns finden. Wenn nicht, bleibt immer noch das Auto oder der Strand.

Vom Strand fuhr Hannes zurück nach Saint-Maxime. Langsam und immer schauend, wo eine Pension oder Ferienwohnung sein könnte.
Sie hatten über zwanzig mal angehalten und nach einer Unterkunft für die Nacht gefragt. Überall bekamen sie eine Absage. Hannes wollte nicht den ganzen Nachmittag mit der Suche nach einer Unterkunft verbringen. Die Zeit mit Patricia war ihm zu wertvoll. Nach eineinhalb Stunden fragen und suchen wollten beide die Suche aufgeben.
„Noch einen Versuch. Okay? Wenn wir dann nichts finden bleibt dein Auto für diese Nacht unsere Herberge.“
Hannes nickte stumm. Er hatte bei Pension Nummer 15 bereits aufgegeben.
„Fahr bitte hier rechts in die Straße. Ich habe eben einen kleinen Wegweiser zu einer Pension gesehen.“
Hannes fuhr so, wie Patricia es ihm sagte. Langsam fuhr er durch Saut du Loup und schaute auch nach einem Schild, Wegweiser oder was auch immer die Menschen benutzten um auf ihre Herberge aufmerksam zu machen.
„Hannes, rechts rein. Da hinten sehe ich ein Schild.“
Bei dieser minimalen Geschwindigkeit in dem Gassen von Saut du Loup stand die Hitze in dem Wagen. Trotz den geöffneten Scheiben an allen vier Türen war es eine unerträgliche Hitze.
„Arrêtez. Attendez. C’est ici.“
Hannes stoppte den Wagen und Patricia stieg aus. Sie ging die schmale Sandsteintreppe hoch und klopfte an der Tür. Hannes sprach ein Stoßgebet zu Himmel, denn bei dieser Hitze würden sie diese Nacht im Auto oder am Strand kaum schlafen können.
Eine ältere Frau mit blauem Kleid und einem Kopftuch in der gleicher Farbe, sprach mit Patricia. Je länger das Gespräch wurde umso weniger Chancen rechnete sich Hannes aus.
Endlich kam sie die Treppe herunter und wedelte mit einem Stück Papier „Wir haben Glück. Hannes, wir haben Glück! Die Frau gab mir die Adresse von ihrem Schwager. Er hätte Platz in seinem Haus, sei aber in Fréjus.“ „Wow! Wie weit ist Fréjus entfernt?“
Patricia zog die Schultern hoch „Keine Ahnung. Ich denke etwas über 20 Kilometer. Wir müssen Richtung Nizza fahren. Also in die Richtung wo der „La Tomata“ Strand ist.“ Patricia hörte wie Hannes die Luft ausblies. „Was?“ Fragte sie gereizt.
„Wie was? Bist du dir sicher, dass wir dort schlafen können?“ „Mon Dieu, sie hatten es mir doch gesagt. Okay, ich frage sie nochmals. Ist Monsieur dann zufrieden?“ Eine Antwort brauche Hannes nicht zu geben, denn Patricia war bereits aus dem Auto gestiegen.
Sie lief erneut die Treppe hoch und klingelte wieder bei der älteren Dame. Patricia fragte die nette Dame, ob diese ihren Schwager anrufen könnte. Denn sie seien nun schon fast zwei Stunden auf der Suche nach einer Unterkunft für die Nacht.
Beide gingen ins Haus und Hannes stieg aus dem Backofen auf vier Reifen. Es setzte sich auf die Sandsteintreppe und spürte die kühle von der Hauswand – was für eine Wohltat!

Patricia kam aus dem Haus und bedankte sich nochmals bei der Frau für ihre Mühe.
„Allons à Fréjus. Monsieur Hannes. Oder braucht der Herr noch eine schriftliche Bestätigung mit Unterschrift von einem Notar?“

Nun fuhr Patricia den Wagen und Hannes konnte diese grandiose Landschaft der Côte d’Azur genießen.
Patricia musste in Fréjus zweimal nach dem Weg fragen.

Fréjus, Rue Jean Bacchi

An der Adresse angekommen, saß ein älterer Mann mit Baskenmütze vor dem kleinen Steinhaus. Das Haus war übersät mit Blumen in lila, rot, blau und gelb. Die hellblaue Bank war das I-Tüpfelchen vor dem Haus. Patricia stelle sich und Hannes vor. Der alte Mann erhob sich mühsam und sagte „Herzlich willkommen in Fréjus“ – auf deutsch. „Setzt euch bitte. Kommt erst einmal an und dann könnt ihr euer Zimmer sehen.“ Der alte Mann nahm mit seiner Art die Geschwindigkeit aus dem Tag. Es schien, als ob die Zeit still stand.
„Ich habe schon lange kein deutsch gesprochen, verzeiht mir, wenn ich nicht mehr alle Wörter weiß.“
Er erzählte ihnen, dass er aus Königswinter bei Bonn stammte. Nach dem Krieg hatte er hier seine große Liebe gefunden und seit dieser Zeit lebt er in Fréjus.

Diese Umgebung, die Ruhe, das Haus und die Geschichten von dem Mann, waren so angenehm, dass beide sich in die Vergangenheit versetzt fühlten.
Nach über einer Stunde erhob sich der Mann und bat, ihm zu folgen. Es ging die Sandsteintreppe hoch ins Haus. Dort war es angenehm kühl. Ein wunderschöner Steinboden wie in einer Kathedrale lag hinter der Eingangstür. Links sah Hannes einen kleine Raum, der das Wohnzimmer zu sein schien. Rechts fiel der Blick in eine Küche, wie Hannes es noch nie gesehen hatte. Alles war mit unglaublich viel Liebe eingerichtet. Es war Nostalgie pur. Ölbilder hingen an den Wänden. Sie zeigten Landschaften, Personen oder Häuser, die sehr filigran gearbeitet waren und beim betrachten jeden sofort zur Ruhe kommen ließen. Im Haus ging es eine Steintreppe hoch in den ersten Stock, selbst das Geländer war aus Steinen gemauert. Vorbei an zwei Türen aus dunkelbraunem Holz, Vasen auf dem Boden und weiteren Ölbilder, öffnete der Mann eine Tür. Licht fiel durch Buntglasfenster und gab dem Raum das Gefühl, als ob man in einer anderen Zeit sei. Ein dunkelbraunes Holzbett mit Stoffdecke und seitlichem Vorhang, ein kleiner Tisch in der Farbe wie das Bett und zwei Rundsessel mit rotem Polster passten hervorragend zu dem Interior.
„Wow!“ Mehr konnten beide nicht sagen. „Dies wäre euer Zimmer. Seid ihr damit einverstanden?“ „Monsieur, bien sûr. C’est beau! Natürlich, es ist wunderschön!“ „Je sais. Kommt, ich zeige euch das Bad.“
Es überraschte nicht, dass das Bad in Architektur und Interior, wie das gesamte Haus und Zimmer war.
„Wenn ihr nun alleine sein wollt, ich bin unten in der Küche.“

In ihrem Zimmer standen beide wie unter Hypnose und ließen jeden Quadratzentimeter auf sich wirken. Patricia gab Hannes einen Kuss „Solche Momente bleiben immer.“ „Oui, Madame. Solche Momente bleiben für immer“ wiederhole Hannes. „Patricia, ich habe so etwas schönes noch nie gesehen.“
Sie gab ihm einen Kuss „Nicht nur du. Nicht nur du.“

Beide gingen hinunter in die Küche. Der Mann saß am Küchentisch und trank Kaffee „Setzt euch zu mir. Wenn ihr Kaffee wollt, nehmt euch Tassen aus dem rechten Schrank am Herd. Entschuldigt, wenn ich mich nicht so gut bewegen kann.“

Patricia suchte zwei Tassen und setzte sich an den Küchentisch. Der Mann erzählte vom Krieg, von dem Leid und dem Tod seiner Frau. Er lebe alleine in dem Haus, die Kinder seien weit weg und Besuch bekommt er sehr selten. Er fragte nach dem Grund der Reise an die Côte d’Azur. Patricia erzählte ihm von der Idee mit dem Lagerfeuer und Wein am Strand. Der Mann schaute Hannes und Patricia mit seinen wasserblauen Augen an und ein lächeln von ihm machte sein Gesicht noch gütiger und liebenswürdiger als es ohnehin schon war.
„Nun, Feuer um diese Jahreszeit ist verboten – Wein trinken nicht.“ „Jetzt sind wir an der Côte d’Azur und bräuchten noch eine Flasche Wein. Wissen Sie wo wir eine Flasche kaufen können?“ Fagte Patricia. „Mein Kind“ sagte der Alte und nahm die Hand von Patricia „in meinem Keller liegt Wein. Ich war auch so frisch verliebt wie ihr. Wenn es nur an einer Flasche Wein liegen sollte, helfe ich doch gerne. Schau, im Flur ist eine Tür, geh in den Keller und such‘ dir eine Flasche aus. Das Licht ist rechts an der Wand.“
Patricia schaute den Mann fragend an. „Ich bin zu alt für die Stufen. Geh. Du bist ein gutes Kind.“

„Ein Saint-Émilion von 1943! Mein Kind, du weißt was du willst!“

Es dauerte lange bis Patricia aus dem Keller wieder in die Küche war.
„Monsieur? Im Keller liegen Weine aus Bordeaux und dem Piemont die mehr als 50 Jahre alt sind! Ich kann doch keine Flasche nehmen die 1000 Franc kostet! Non! Je ne peux pas faire ça! Non, Monsieur.“ „Deine Schönheit steht deiner Klugheit in nichts nach und du weißt was eine Flasche guter Wein kostet. Ich trinke so viel Wein nicht mehr. Für meine Beerdigung brauche ich den Wein nicht zu lagern. Also geh und nimm, was du heute Abend mit deinem Freund am Strand trinken möchtest – bitte. Hannes, erzähle mir von Deutschland. Wie hat sich Deutschland verändert oder verbessert?“
Hannes erzählte, wie zur Zeit die politische Lage sei und sich vieles in Richtung Osten bewegt. Der kalte Krieg scheint dem Ende zuzugehen. Die Brücken für Frieden seien in alle Richtungen offen und er hoffe, dass alles auch friedlich bleibt. Indem Hannes am erzählte war, sah er, wie der Blick von dem alten Mann an ihm vorbei ging. Hannes drehte sich um und sah Patricia am Türrahmen gelehnt mit einer Flasche Rotwein in der Hand. Was für eine wunderschöne Frau, dachte er. „Monsieur?“ Patricia kam mit der Flasche an den Tisch und zeigte sie dem Mann.
„Ein Saint-Émilion von 1943! Mein Kind, du weißt was du willst. Wenn ich dich um einen weiteren gefallen bitte dürfte. Könntest du für uns kochen? Meine Knochen sind zu alt.“ „Monsieur, j’aimerais beaucoup ça!“ „Merci beaucoup, ihr könnt Peter zu mir sagen. Hannes, würdest du mich nach draußen begleiten, ich möchte noch den Tag vor dem Haus genießen“ an Patricia gerichtet sagte er „Es müsste genügend im Haus sein um ein Abendmahl für einen solch schönen Anlass zuzubereiten.“

Hannes saß mit Peter vor diesem wunderschönen kleinen Haus und genoss die Wärme an diesem späten Nachmittag. Die Luft war vom Meerwasser erfüllt und in der Ferne hörte man die Brandung.
„Halte sie fest. Für immer! Sie liebt dich aus tiefstem Herzen. Ich sah es vorhin, als sie mit der Weinflasche in der Tür stand. Ein solcher Blick ist mehr als Liebe! Meine Louise schaute mich 1951 genau so an. Ich kam aus der Gefangenschaft und wusste nicht mehr wo meine Heimat war. Deutschland war zerbombt. Frankreich lag in Schutt und ganz Europa war zerstört. Zerstört durch Irrsinn und Wahn! Ich sah zu viele Menschen sterben um überhaupt noch weinen zu können. Meine Familie hatte den Krieg nicht überlebt, so war ich ohne Heimat und Halt. Ich wusste nicht wohin ich gehen sollte und bin einfach nur gelaufen. Gelaufen durch Gebiete in denen der Krieg immer noch zu sehen war. Wir hatten ganze Arbeit geleistet! Da drin sind wir Deutsche unschlagbar. Wochenlang bin ich gelaufen. Weg von dem Krieg. Weg von den vielen Toten die ich sah. Weg von der brutalen Zerstörung. Hier in dem Ort saß ich, einige Meter weiter unter einem Baum und heulte. Ich wusste nicht warum. Heimatlos zu sein? Keine Identität zu haben? Das alleine sein oder weil ich die Bilder aus meinem Kopf löschen wollte?“ Hannes hörte Peter aufmerksam und regungslos zu.
„Louise fand mich am Abend und wir hatten die ganze Nacht geredet. Ihr Mann ist im Krieg durch eine deutsche Granate gefallen. Sie hatte keinen Hass auf mich. Als die Sonne langsam aufging, schaute sie mich mit dem gleichen Blick an, wie deine Patricia. Bis zu ihrem Tod vor vier Jahren waren wir zusammen. Wir hatten schlimme Zeiten und auch gute Zeiten in unserer Ehe. Immer hoch und runter, trotzdem bestand unsere Liebe.“
Peter erzählte dies alles, als ob Hannes sein Sohn sei. Einfühlsam, mit Ruhe und im Vertrauen.

Patricia hatte Schmorbraten vom Rind mit Klöße und Rotkraut gemacht und rief die Männer zum essen. Peter bat Patricia noch einmal in den Keller zu gehen um einen Wein auszusuchen. Sie kam mit einer Flasche Pomerol aus dem Jahr 1951 in die Küche.
Der Pomerol passte mit seiner sanften und vollen Frucht, hervorragend zum Schmorbraten. Sie tranken beim Essen einen Wein, der 38 Jahre alt war.
Die Gespräche am Tisch waren sehr angenehm. Peter bedankte sich bei Patricia für ihre Arbeit und sagte, dass sie sich bald auf dem Weg zum Stand machen sollten. Hannes spülte mit Patricia noch das Geschirr. Peter gab ihnen den Haustürschlüssel. Er wäre vermutlich schon im Bett, wenn sie zurück kommen würden.

Moment die immer bleiben werden

Beide ging Hand in Hand die zwanzig Minuten bis zum Strand. Sie gingen durch enge Kopfsteingepflasterte Gassen. Vorbei an Steinhäuser vor denen Leute an Tischen saßen und Wein tranken. Sie sahen in den Altstadtgassen von Fréjus Männer und Frauen sitzen, die das Leben genossen. Es wurde gelacht, geredet und hier und da hörte man Mandoline spielen.

Sie gingen den Boulevard de le Mer entlang und sahen das Mittelmeer vor ihnen liegen. Der Wind vom Meer wehte in den Haaren von Patricia. Er roch ihr Parfüm und war noch nie so verliebt, wie in diesem Augenblick. Was er in den letzten Tagen erlebt hatte, konnte er immer noch nicht glauben. Patricia schaute ihn mit ihren braunen Augen an und er sah, dass sie glücklich war – er war es auch. Diese unglaublich schöne und kluge Frau an seiner Seite machte ihn zum glücklichsten Menschen auf der Welt.

Am Strand rechts vom Jachthafen waren ein paar Gruppen von Jugendlichen. Auch einige Liebespaare saßen im Sand oder hatten die Füße im azurblauen Wasser. Patricia drehte sich nach links und gab ihm einen langen Kuss „Hier. Hier ist unser Platz“ und zog ihn an der Hand in den Sand.
Patricia saß rechts von ihm und gab ihm einen Kuss. Sie streichelte liebevoll seine rechte Wange „Hannes, ich weiß nicht mehr was ich denken soll! Noch nie habe ich jemand getroffen, der so ist wie du. Du hörst zu, du weißt so viel und hast sehr viel Anstand. Ich liebe dich. Ja, ich liebe dich! Meine Mutter ging von Deutschland nach Frankreich und ich mache es umgekehrt. Ist schon verrückt. Wir sitzen an der Côte d’Azur und trinken gleich einen Wein, der mehr als 1000 Franc kostet. Ein solcher Moment wird so schnell nie wieder kommen. Wenn du nicht so empfindest, ldann lasse ich die Flasche zu.“
Hannes griff in den kleinen Rucksack von ihr und holte die zwei Kristallgläser von Peter heraus. Ohne ein Wort zu sagen, entkorkte Patricia den Saint-Émilion von 1943.
Der Wein war trotz seines Alters immer noch fruchtig, leicht süß, nicht zu trocken und hinterließ auf der Zunge und Gaumen ein Feuerwerk an Geschmacksnuancen.

Hannes zog Patricia zu sich und umarmte sie „Ich hoffe das dies kein Traum ist und ich nicht irgendwann erwache und keine Farben mehr sehe. Eine solch schöne und kluge Frau wünscht sich jeder Mann auf dieser Welt. Du kannst sie dir aussuchen. Schöne Männer, reiche und kluge Mä…“
Patricia löste sich aus seinen Armen und sah ihn böse an „Arrêter! Qu’est-ce que ce sera? Stopp! Was wird dies? Ich weiß was ich kann. Oh ja! Ich sitze mit dir nun 1000 Kilometer von dem Ort entfernt, wo du diesem Vorschlag gemacht hast. Ich bin mit dir gefahren, obwohl du dachtest ich suche nur ein Taxi dass mich nach Hause fährt. Ich trinke mit dir einen Wein, den sich andere in ihrem Leben nicht leisten können! Ich sage dir das ich dich liebe und nun kommst du und redest davon, dass ich mir Männer aussuchen kann!“
Patricia war merklich sauer und Hannes tat es leid, dass er ihr seine Gedanken sagte. Er hatte mal wieder ein Rendezvous voll gegen die Wand gefahren.
„Hannes, vielleicht habe ich schon ausgesucht“ Patricia war bei ihren Worten leise und liebevoll. Sie gab ihm einen Kuss „Ein Gespür für ein Rendezvous hast du ganz bestimmt nicht. Monsieur, Monsieur, da müssen wir noch dran arbeiten.“

Sie lagen im Sand an der Côte d’Azur, tranken sündhaft teuren Wein und genossen die Augenblicke. Patricia lag mit ihren Kopf auf seine Brust und schaute in den immer dunkel werdenden Abendhimmel.
„Die Sterne leuchten für uns.“ „Oui, Madame. Je t’aime.“ „Solche Momente werden nie wieder kommen. Hannes, ich liebe dich. Ist noch Wein da?“
Hannes nahm die Flasche aus dem Sand und füllte die Gläser auf.
„Merci beaucoup.“

Tausend Farben sind auch ein rot

Das Licht am Morgen brach sich im Buntglas des Fensters und der Raum schien in unzähligen Farben zu leuchten. Hannes beugte sich zu Patricia und gab ihr einen Kuss. Verschlafen öffnet sie ihre Augen. „Schau.“
Patricia sah dieses einmalige Licht im Raum „Mon dieu, c’est sympa!“ Sie zog Hannes an sich und drückte ihn fest und gab ihm einen Kuss „Merci beaucoup, für die wunderschöne Nacht mit dir.“ Mit diesem Worten stand sie auf und ging ins Bad. Als er das Wasser von der Dusche hörte, klopfte er an und fragte ob er eintreten dürfte.
„Entree. La douche est assez grande.“

Das Wasser lief ihnen vom Kopf an über den Körper und hatte eine angenehme Wärme. Die Sonnenstrahlen zauberten auch im Bad ein Meer aus Farben.
„Lass mich los, ich möchte Frühstück für uns machen. Ich möchte Peter eine Freude bereiten.“ Sie gab Hannes einen Kuss und ging aus der Dusche.

Patricia eilte in großen Schritten die Treppe hinunter und in einem schwungvollen Bogen in die Küche hinein. Sie sah Peter am Tisch sitzen und ihr Elan war auf einen Schlag weg.
„Kind, ich bin alt, da braucht man nicht mehr so viel Schlaf. Komm, setzt dich doch. Der Kaffee ist gleich fertig.“
Es klingelte an der Tür. Der Bäcker brachte ein Korb voll Brot, Brötchen und Croissant. „Mon dieu! Wer soll dies den alles essen?“ „Der Tag ist noch lang, mein Kind. War der Wein gestern Abend gut gewesen?“ „Exzellent. Ich werde Ihnen die Flasche selbstverständlich bezahlen.“
Peter schüttelte langsam den Kopf „Mein Kind, dass letzte Hemd hat keine Taschen. Ich bin durch die Flasche Wein nicht ärmer – sondern reicher geworden. Leben in diesem Haus war schon lange nicht mehr. Du bist Leben. Dein Freund ist Leben. Teilt bitte eure Zeit mit einem alten Mann bei einem guten Frühstück. Mein Kind, wenn ich doch noch um deinen Schwung bitten dürfte, könntest du vor dem Haus das Frühstück herrichten?“

Das Paradies in der Rue Jean Bacchi

Vor dem Haus war es um diese Uhrzeit sehr angenehm. Das Meer brachte frische durch die kleinen Gassen und so schmeckte das Frühstück noch viel besser.
„Ich möchte hier nie wieder weg“ bei diesen Worten sah Patricia Hannes an und hielt seine Hand.
„Warum sind Menschen immer so getrieben? Bleibt doch noch ein paar Tage hier und baut eure junge Liebe auf.“ „Okay Peter, Sie haben gewonnen. Heute ist Donnerstag. Da ist viel Reiseverkehr zurück nach Deutschland, Belgien und Niederlande. Da würden wir wahrscheinlich von Avignon bis Dijon im Stau stehen. Dann bleiben wir bis zum Wochenende.“ Als Patricia geendet hatte, strahlten die Augen von Peter und er nickte ihr zu.
„Ich müsste nur heute nach Hause telefonieren, damit meine Mutter Bescheid weiß.“
Mit einem lächeln nickte Peter ihr zu „Natürlich, mein Kind. Ich habe ein Telefon im Wohnzimmer stehen. Es ist der Raum gegenüber der Küche. Geh – und rufe deine Mutter an.“

Die Männer blieben vor dem Haus sitzen und hörten wie Patricia telefonierte.
„Sie erzählt von dir“ sagte Peter leise und klopfte ihm auf den Oberschenkel und hatte dabei ein sehr verschmitztes lächeln. „Würdest du bitte noch zwei Espresso machen?“ Hannes erhob sich und ging in die Küche. Er schaute noch kurz ins Wohnzimmer und winkte Patricia zu „Sag deiner Mutter liebe Grüße von mir.“

Mit Espresso und zwei Gläser Wasser kam er aus dem Haus und setzte sich auf die wunderschöne Holzbank.
„Peter, ich weiß gar nicht wie ich Ihnen danken kann. Sie sind so großzügig und liebevoll zu uns.“ „Hannes, sag du zu mir. Du bist auch großzügig und liebevoll. Du weißt es nur noch nicht. Glaubst du an Gott?“ Hannes zog die Schultern hoch und verneinte die Frage.
„Schade. Solltest du aber. Ich weiß wir mühen uns ab, kämpfen täglich und erleben Rückschläge. Da verliert man schnell den Glauben. Warum lässt Gott so viel Elend und Unheil zu? Warum ist es kein lieber Gott? Die Bibel ist voll von Schmerz, Trauer und Verzweiflung. Aber auch von Liebe, Sanftmut und Hoffnung. Ihr beide habt euer Leben noch vor euch. Macht etwas daraus.“
Hannes erzählt ihm von seinem Traum „Ich möchte Bildung für Kinder. Bildung ist wichtig für eine bessere Welt. Nur so kann es irgendwann einmal Frieden geben und die Armut bekämpft werde. Ich kenne keinen Krieg, trotzdem lese oder sehe ich täglich so viel darüber. Du hast den Krieg und auch die Folgen erlebt. Nie wieder darf es so etwas in Europa geben! Ich sitze heute in Frankreich. In dem Land, wo auf beiden Seiten der Hass sehr groß war. Ich liebe eine Französin. Wir müssen den Frieden bewahren!“

Ich habe von einer wunderschönen Nacht, nicht von Sex gesprochen

Patricia kam um die Ecke und fragte was sie später kochen sollte und ob es Ziele gäbe, die man heute besuchen könnte.

Hand in Hand gingen sie durch die wunderschöne Altstadt von Fréjus. Mittelalterliche und sogar noch Antike Bauten zeugen von einer langen Geschichte.
In der Rue Candolle saßen sie unweit von einem kleinen Springbrunnen unter der Markisen von einem schönen gemütlichen Café und aßen Pistazieneis mit Pignole. Patricia saß links von ihm und hielt die Hand von Hannes „Ich habe eure Unterhaltung mitgehört. Ich saß auf der Treppe. Hannes, egal was dein Traum ist, ich bin bei dir!“
Hannes sah diese wunderschöne Frau an. Er streichelte ihre Wange und gab ihr einen Kuss „Lass uns jetzt die Zeit genießen und nicht an das denken was in der Zukunft mal sein wird, oder kann.“ „Mon dieu! Wovor hast du Angst? Ich laufe dir nicht weg. Ich habe meiner Mutter erzählt, wie sehr ich mich in dich verliebt habe und das wir Wein von 1943 getrunken haben und ich mit dir eine wunderschöne Nacht erlebt habe!“ „Du… hast… was?!“ „Ich habe von einer wunderschönen Nacht und nicht von Sex gesprochen. Mon dieu!“ Sie verdrehte die Augen und zog ihn unsanft an der Hand zu sich, um ihm einen Kuss zu geben „Mon chérie, je t’aime“ sagte Patricia und umarmte ihn. „Allez, lass uns kaufen gehen. Ich möchte heute Abend richtig toll kochen. Fisch und ganz viel Gemüse. Ist das okay für dich, mon chérie?“

Peter saß mit einer Pfeife im Mund auf der Bank vor seinem Haus. Als er die vielen Tüten mit Obst, Gemüse, Käse und Fisch sah, sagte er „Wer soll dies den alles essen?“ „Der Abend ist noch lang, Monsieur“ und gab Peter einen Kuss auf die Wange.
„Hannes, für Wein ist es noch zu früh. Geh bitte ins Wohnzimmer. Im Schrank steht Pernod.“ Hannes nickte Peter zu und tat was ihm geheißen wurde.
Patricia bereitete in der Küche das Essen zu. Sie hüpfte in der Küche umher, sang und tanzte – oder irgendwie alles zusammen. So genau konnte Hannes es vom Flur aus nicht sehen.
Hannes brauchte noch Wasser und Gläser für den Pernod, so ging er zu ihr in die Küche. Patricia sprang auf ihn zu, küsste ihn links, rechts, umarmte ihn und küsste ihn wieder.
„Wenn du Zeit hast, komm doch bitte mit nach draußen einen Pernod trinken.“ „Oui, Monsieur, Commander“ salutierte sie vor ihm und gab ihm ein klapps auf den Po.

Patricia hatte unglaublich gut gekocht und nach dem Abendessen saßen sie vor dem Haus. Aus der Stadt hörte man die Klänge von einem Akkordeon. Immer wieder hörte man auch Beifall. Wahrscheinlich saß in einer der kleinen Gassen ein Straßenmusikant und eine kleine Traube von Touristen und Einheimischen standen und saßen um ihn.
Auf dem kleinen Holztisch neben der Band standen zwei Flaschen Rosèwein vom Chateau de Cabran aus dem Jahr 1950.
Patricia hatte eine große Platte an verschiedenen Sorten Ziegenkäse und Oliven vorbereitet.
Peter erzählte von seiner großen Liebe und was Louise für ein guter Mensch war.
Die Glocken der Kathedrale Saint-Léonce läuten einen neuen Tag ein und es wurde Zeit ins Bett zu gehen.

Die leichten Sonnenstrahlen des morgens erfüllten den Raum mit einem Spektrum an unzähligen Farben. Patricia lag mit ihrem Kopf auf seiner Brust und schlief noch. Hannes konnte und wollte nicht aufstehen. Sanft streichelte er das wunderschöne Gesicht von Patricia. Seine linke Hand lag auf ihrer Brust und er fühlte ihren Herzschlag. Er sah wie sie im schlaf ruhig atmete.
„Je t’aime ma belle princesse“ sagte er leise und streichelte dabei ihr Haar.
„Je sais“ sagte sie verschlafen und öffnete ihre braunen Augen.

Teil I Kapitel 3 „Chérie, Geographie ist nicht unsere Stärke“

Von Fréjus nach Thionville

„Chérie, Geographie ist nicht unsere Stärke“

Abschied aus Fréjus

Die Zeit in Fréjus ging viel zu schnell vorbei. Momente voller Liebe, Gespräche und Bilder blieben im Herzen.
Peter hatte sich geweigert, auch nur einen Franc anzunehmen. Er war froh, für die Zeit der Gesellschaft und der Abschied fiel ihm schwer.
Hannes musste nächste Woche auch wieder arbeiten gehen, so mussten sie am Samstagvormitag der Rückweg angetreten – wenn es auch jedem sehr weh tat. Patricia wollte die erste hälfte der Strecke fahren. So konnte Hannes die letzten Tage im Kopf noch genießen und musste sich nicht auf den Verkehr konzentrieren. Er schloss die Augen und hing seinen Gedanken und Erinnerungen nach.
Patricia war eine gute Fahrerin, sie fuhr zügig – aber sicher.
„Mon chérie, würdest du mit mir weg gehen?“ „Oui, wohin du willst“ sagte Hannes mit geschlossenen Augen.
„Auch nach Kambodscha?“
Wie vom Blitz getroffen drehte Hannes den Kopf und sah sie mit aufgerissenen Augen fragend an.
„Ich hatte dir doch gesagt, dass mein Vater für eine Hilfsorganisation arbeitet. Er ist in vielen Länder dieser Welt unterwegs und betreut, plant und organisiert Projekte für Wasserbau. Mit dir zusammen würde ich dies machen wollen. Mein Abi habe ich im Frühjahr gemacht und mich an der Uni in Metz eingeschrieben. Ich möchte Eéconomie et administration und Sciences humaines studieren, in Deutschland ist es Volkswirtschaft und Humanwissenschaften. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich nicht erstmal eine Pause von der Schule machen sollte um etwas nützliches zu tun. Was du gesagt hast, hat mich sehr zum nachdenken gebracht. Du möchtest Kinder und Menschen helfen und Gutes für sie tun!“ „Patricia, ich muss dir etwas erklären. Ich habe kein Abitur und kann demzufolge auch nicht studieren. Ich war der Klassenkasper in der Schule. Ich hatte viel Unsinn gemacht und mich um Schule und lernen nie sonderlich gekümmert. Ich bin nicht so klug wie du.“
Patricia schüttelte den Kopf und sah ihn kurz an, um dann wieder den Blick auf die Autobahn zu richten „Chérie, du bist nicht dumm. Du hast einen brillanten Verstand und kannst unglaublich schnell denken, was spielten da Noten in der Schule noch eine Rolle? Du hast ein großes Wissen über Geschichte, du kannst dich über Themen unterhalten die ich noch nicht einmal weiß – und ich habe Abitur!“ „Ein Zeugnis ist es aber, wie ein Mensch in seinem Leben bewertet wird. Ich habe mir vieles selbst verbockt und das bisschen Wissen, welches ich habe zählt nicht überall.“
Sie sah ihn kurz an „Sehe ich nicht so! Das Herz und Charakter bewertet einen Menschen, nicht eine Zahl auf einem Blatt Papier. Mon chérie, du bist ein ganz besonderer Mensch und ich möchte mein Leben mit dir teilen. Du bist kein Kaspar! Eine Frage: hattest du in der Schule französisch?“ „No, Madame.“ „Und warum sprichst du es dann?“
Treffer! Das hat gesessen. Patricia sah ihn an und nahm seine linke Hand.

Bei Valence fuhr sie auf eine Raststätte. Es war Zeit etwas essen zu gehen.
Das Routier hatte eine große Terrasse mit Sonnenschirmen und einem großen Springbrunnen in der Mitte. Beide setzten sich links neben den Springbrunnen. Der leichten Wind von Süden brachte die Hitze vom Mittelmeer und durch den Springbrunnen kam ein leichter Schleier an kühle durch das Wasser auf sie.
Patricia bestellte für beide Aioli und eine Karaffe Rosèwein.
Hannes fragte Patricia was Aioli sei.
„Aioli sind Fisch-, Fleisch- und Gemüsegerichte aus der Provence, die mit der Knoblauchsoße, der aioli, serviert werden. Ich habe für uns Stockfisch mit Gemüsen bestellt.“ „Klingt lecker. Ich esse gerne Stockfisch.“

Eine junge Kellnerin brachte den Wein und zusätzlich eine Karaffe Wasser. In Frankreich ist es üblich, dass man beim Mittagessen Eau et Vin trinkt. Der kühle fruchtige Wein mit Wasser war bei diesen Temperaturen eine Wohltat.
Patricia saß ihm gegenüber und hielt seine Hände fest „Chérie, mach dir nicht immer so viele Gedanken. Du hast selbst gesagt: lass uns die Zeit jetzt erleben. Wir waren für drei Tage im Paradies und alles was dort passierte war kein Traum!“

Patricia war eine absolute Traumfrau mit Bildung und offensichtlich auch vermögend. Was hatte er den entgegen zu stellen? Ein Junge aus einem Dorf, mit normalen Schulabschluss und einem Beruf im Tiefbau. Er wollte ihr seine Gedanken nicht sagen.
„An was denkst du?“
Hannes schüttelte den Kopf „An nichts. Wir fahren nun aus dem Paradies über die Autobahn zurück in den Alltag.“ „Oui. Die Autobahn brachte mir die große Liebe und die Autobahn ist wie die Liebe, sie geht hoch und runter, über Brücken und nach links und rechts. Sie führt aber immer dem Ziel entgegen. Hannes, ich bin angekommen! Du berührst mich nun auf zweifache Art. Deine körperliche Nähe tut mir gut und der Sex tut mir gut. Geistig erfüllst du mich vom Sonnenaufgang bis die Sterne am Firmament funkeln.“ „Merci beaucoup, für diese Liebeserklärung.“ 

Die junge Kellnerin servierte den gegrillten Stockfisch auf einer großen länglichen Platte. Auf der oberen Seite der Platte war ein Gemüsebouquet von grünen Bohnen, Karotten, Blumenkohl und Rübchen angerichtet.
Nach der Pause mit diesem vorzüglichen Mittagessen fuhr Hannes weiter. Patricia hatte recht, was sie sagte: Die Autobahn geht hoch und runter, über Brücken und nach links und rechts. Ihr linker Arm lag auf seinem Oberschenkel und sie erzählte ihm von der Arbeit ihrers Vaters.

Bei Dijon war ein Wegweiser nach Auxerre und Paris.
„Mon chérie, Croissants morgen um 7 Uhr an der Seine essen, machen wir auch noch“ sagte Patricia, als sie den Wegweiser sah. Hannes nickte stumm. „Ich möchte mir dir noch so vieles erleben. Deine Freunde sprachen immer nur davon. Wir beide hatten in den letzten Tagen solch wunderbare Momente erlebt. Ich danke dir für deine Idee mit dem Lagerfeuer am Strand.“ „Aus dem Lagerfeuer wurde leider nichts.“ „Oui, daraus wurde nichts. C’est vrai. Aber die Zeit bei Peter, den Saint-Émilion, der sehr schöne Sex und dass tausend Farben auch ein rot sein können, kann ich mit dem Umstand leben, dass wir kein Lagerfeuer machen konnten.“ „Ja Patricia, du hast recht. Was wir erlebt hatten, konnten wir uns nicht vorstellen.“ „Oui, mon chérie. Je t’aime.“


Zurück im Alltag

Die ersten Autobahnschilder auf denen Metz stand waren zu sehen. Die Monotonie der A6 war anstrengend und Hannes hatte das Gefühl, sie würden nicht mehr in Thionville ankommen. Er wollte in seinem Herz auch nicht ankommen. Wie sollte eine Liebe auf 120 Kilometer Entfernung bestehen? Er wollte auch diese Gedanken ihr jetzt nicht sagen – noch nicht.
„Chérie, wir sind auf der Autobahn!“ Patricia merkte, dass er immer langsamer fuhr „Mir geht es genau so. Ich möchte auch nicht ankommen!“ „Habe ich schon wieder laut gedacht? “ „Nein. Ich spüre es. Wie ich schon sagte, du berührst mich geistig. Mach dir nicht so viele Gedanken, es wird alles gut. Mon chérie.“

Er fuhr die Straßen durch Thionville, als ob er schon immer dort lebte. Der Kreisverkehr kam. Gleich müsste er abbiegen und dann kam auch schon das Haus. Er fuhr den Weg ans Haus und parkte wie vor Tagen an gleicher Stelle.

Die Mutter von Patricia kam ihnen auf der Steintreppe entgegen und umarmte ihre Tochter. Hannes gab sie die Hand und lächelte. Ihr Gesicht strahlte eine Freundlichkeit aus, wie es auch ihre Tochter hat.
„Bonjour Madame Lefèvre.“„Bonjour Hannes. Sag Franziska zu mir. Kommt rein. Ich habe Kuchen gebacken.“
Franziska ging nach dem eintreten in der Halle nach rechts in die Küche. Auch dieser Raum war mit viel Liebe eingerichtet. Der Tisch war mit buntem Porzellan gedeckt. Der Duft vom Käsekuchen erfüllte den ganzen Raum. „Setzt euch. Der Kuchen braucht noch einem Moment. Ich hatte viel später mit euch gerechnet. Wie war es an der Côte d’Azur?“
Patricia fing bei dem Routier in der Nähe von Avignon an zu erzählen. Hannes hörte nun die Erlebnisse aus ihrer Sicht. Franziska fragte und fragte. Natürlich antwortete Patricia auch sehr detailliert – was Hannes schon sehr peinlich war. Franziska sah ihn oft an und wusste das die Ausführungen ihrer Tochter ihm peinlich waren. Sie nahm seine Hand und sah ihn lächelnd an „Du machst Patricia glücklich!“
Hannes musste raus aus dieser Situation. Er fühlte sich am Küchentisch bei dem Gespräch der Frauen sehr deplatziert. Zumal Franziska und Patricia offensichtlich sehr offen über eben jene Frauenthemen sprachen, die ihm peinlich waren.

Ein schwarzer Labrador kam vom Garten durch die Terrassentür in die Küche. Der Hund begrüßte Patricia und kam dann neugierig zu Hannes.
„Sei vorsichtig, er beißt schon mal: sagte Patricia.
Der schwarze Labrador sah Hannes an und wedelte mit der Rute, er setzte sich und legte seine riesigen Pfoten auf sein linkes Bein.
„Cleo, no! Étre un bon chien“ schimpfte Franziska den Hund.
„Tout va bien – ist alles gut. Ich bin mit einem Schäferhund aufgewachsen.“
Cleo legte den Kopf auf das Bein von Hannes und wollte gestreichelt werden. Hannes kam dieser Aufforderung sehr gerne nach.
„Voulez-vous sortir?“ Bei diesen Worte von Hannes sprang der Hund auf und rannte durch die Terrassetür wieder in den Garten. Hannes folgte Cleo. Gott sei dank kam der Hund, sagte Hannes zu sich selbst als er auf der Wiese war. Cleo wollte spielen und brachte ständig sein Hundespielzeug. Hannes spielte und knuddelte mit Cleo auf dem Rasen.

Patricia kam mit Geschirr für den Kaffee und Kuchen in den Garten. Franziska brachte den Käsekuchen und eine große Thermoskanne. Nun war der Fluchtweg für Peinlichkeiten vollends abgeschnitten.
Zum Glück wurde bei Tisch der Roadtrip nicht mehr angesprochen.


Hammerwerfen mit einem Baum

„Allez, wir gehen mit dem Hund spazieren“ sagte Patricia nach dem sie Kaffee getrunken hatten.
Über den großen Rasen gingen sie rechts am Haus vorbei um auf die Einfahrt zu gelangen.
Als beide um die Hausecke waren, nahm Patricia seine Hand und hielt ihn fest „War es dir vorhin peinlich, was ist zu meiner .
Mutter sagte?“ „Oui! War es. Es ist ja gut, dass du den Sex unter der Dusche nicht erwähnt hast.“ „Oh, hatte ich vergessen“ und knuffte ihm gegen den Arm.
Cleo zog an der Leine wie eine Lokomotive. Als sie die letzten Häuser der nächsten Querstraße erreicht hatten und die Felder und Flure nur noch wenige Meter entfernt waren, machte Hannes die Leine ab und Cleo stürtmte wie eine Rakete los. Er rannte nach links und rechts über die Wiesen. Patricia hakte sich bei Hannes unter und legte ihren Kopf an seine Schulter. Es war ein schöner Moment mit ihr.
„Ich bin glücklich mit dir. Hannes, ich bin so glückliche.“
Er streichelte ihr über den Rücken und gab ihr einen Kuss „Ich auch.“

Cleo brachte ein Stock zu Hannes, wobei Stock etwas untertrieben war. Es war ein zweieinhalb Meter langer Ast von einer Birke. Cleo wollte das Hannes den halben Baum warf, damit er ihn apportieren konnte.
„Nun wirf doch endlich. Cleo hört sonst nicht mehr auf zu nerven.“ „Was meinst du, wie weit ich einen halben Baum werfen kann?“ „Mon dieu! Du stellt dich aber auch an! Mach es wie die Hammerwerfer. Drehen, drehen, drehen und dann weg damit. Du wirst hier auf der Wiese nix kaputt werfen.“ „Na gut.“ Hannes packte den bestimmt 15 Kilo schweren Ast mit beiden Händen und drehte sich zweimal um die eigene Achse und ließ dann in der Drehung das Monstrum los. Die geworfene Entfernung gab doch sehr zu wünschen übrig.
„Va encore! Reicht zwar nicht für Olympia – ist aber ausbaufähig.“
„Dankeschön. Ein Hammer bei Olympia wiegt auch nur die Hälfte.“ „Hab ich nicht gewusst. Siehste – trotz Abitur“
Patricia legte beide Arme um ihn und küsste ihn lange „Bleib bis morgen bei mir. Ich brauche dich.“

Völlig durchgeschwitzt kamen Patricia und Hannes zuhause an. Cleo wollte nicht ins Haus und legte sich im Garten unter einen der Ahornbäume. Franziska lag im Liegestuhl unter einem riesigen Sonnenschirm. Sie winkte ihnen zu „Ich möchte bald das Abendessen machen. Ich dachte an gefüllte Paprika.“ „Maman, attend une minute. Nous voulons prendre une douche rapide.“ „Wir?“ Fagte Hannes leise an Patricia gewandt.
„Wir!“ Mit diesen Worten zog Patricia ihn über die Terrasse in die Küche und dann die Treppe hoch in den zweiten Stock.


Sternbild der Cassiopeia

Patricia öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Ihr Zimmer war so groß wie manche Leute kein Wohnung haben. Ein riesiges halbrundes Bett stand nah dem große Panoramafenster. Der Blick aus dem Fenster war grandios, man sah die Felder und den Wald in der Ferne. Ein Schreibtisch stand links neben dem Fenster, der locker eineinhalb Meter breit und 2 Meter lang war. Ein riesiger Computerbildschirm fiel bei der Dimension von dem Schreibtisch kaum auf. Ein sechstüriger Kleiderschrank, eine Sitzecke mit Couch, ovalen Holztisch und zwei Sessel. Ein Fernseher und Stereoanlage stand in unmittelbarer Nähe der Sitzecke. Regale an zwei Wänden, die voll mit Bücher waren. Die Wände waren in weiß und eisenoxidrot tapeziert. Feinste Eichenholzdielen lagen auf dem Boden. Die Decke war unglaublich hoch und von Stuck, wie der Raum im Erdgeschoss, in diesem er am ersten Tag gesessen hatte.
Das Deckengemälde zeigte den Sternenhimmel der Cassiopaia.
Hannes betrachtet dieses Gemälde lange und sah dann zu Patricia „Das Sternbild der Cassiopeia? Die Königin, die den Zorn der Götter auf sich zog?“
Patricia schüttelte den Kopf „Nein! Also doch. Aber trotzdem nein.“ „Häää?“ „Meine Interpretation ist das Sternbild als sich. Cassiopaia rotiert um den Polarstern, welcher im Zentrum der Sternbewegungen steht und ist ein zirkumpolares Sternenbild. Was so viel heißt, dass ihre Sterne nie untergehen. Cassiopeia ist somit immer irgendwo am Himmel zu finden.“ „Aha. Wow.“ „Ja. Nun ist es gut mit an die Decke schauen, ich möchte mit dir duschen gehen.“

Patricia kramte in einem Sidebord rechts der Wand von ihrem Bett und zog aus zwei Schubladen neue Unterwäsche hervor.
„Nun komm ins Bad. Ich klebe und bin verschwitzt.“ „Auf einmal ist dir dies unangenehm?“ „Mon chérie, hatten wir Sex? No! Kommt aber noch!“ „Bist du immer so direkt?“ „Oui, chérie. Allez, la douche!“ Sagte sie befehlerisch.

Neben dem Sidebord war eine Tür die in das angrenzenden Badezimmer führte, in dem Hannes sich vor Tagen duschte, bevor sie an die Côte d’Azur aufbrachen.
Badezimmer war hierfür auch das falsche Wort – Baderaum oder eineinhalb Zimmerwohnung kam dem schon eher nah. Zwei große halbrunde Panoramafenster, eine Eckbadewanne, ein Spiegelschrank der fast 2 Meter lang war und natürlich zwei Waschbecken. Die Fliesen in diesem Raum waren an zwei Wänden dunkelblau und grau. Dazwischen immer wieder gebeiztes Eichenholz vom Fachwerk. Die beiden anderen Wänden waren in weiß gestrichen und das Fachwerk setzte sich mit seiner dunklen Farbe im Kontrast zum Putz ab.
Die Bodengleiche Dusche war rechteckig und trennte die Dusche mit einer circa zweieinhalb Meter langen Glasplatte vom Rest des Badezimmer ab. So brauchte man keine Tür für die Dusche. Die beiden anderen Duschwände waren mit gleichen Fliesen wie an den beiden anderen Wänden gefliest. Das Fachwerk an der einen Wand der Dusche war durch Glasscheiben geschützt.

Patricia war schon nackt und flutschte in die Duschkabine. Man konnte das Wasser so einstellen, dass es von oben oder von zwei Seite heraus kam. Hannes sah beim ersten mal die ganzen Knöpfe und hatte Mühe, diese so einzustellen, dass überhaupt Wasser kam.

Aus dem, komm-lass-uns-schnell-duschen-gehen, wurde es doch erheblich länger.
Patricia wollte Sex mit ihm in der Dusche und hatte mal wieder ihren Willen durchsetzen können.


Wegbeschreibung in den Keller

In der Küche half Patricia ihrer Mutter den Tisch decken.
„Hannes, würdest du bitte einen Weißwein in den Keller aussuchen gehen?“ Fagte Franziska „An der Treppe vorbei ist links eine Tür, dann rechts durch den Flur, wieder rechts und dann links.“
Mein Gott, war dies nun eine Wegbeschreibung durch einen Ort oder nur zum Keller, dachte er bei sich „Oui, Madame.“
„Findest du den Keller?“ Rief Patricia als er durch die Halle auf besagte Tür zuging. „Wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin, kannst du mich suchen kommen. Ich könnte ja noch Mehl auf den Boden streuen, dann wird der Rückweg leichter – oder die Suchaktion.“ „Oui, mon chérie.“

Hannes traute seinen Augen nicht, als er durch die Tür neben der Haupttreppe ging.
In diesem Flur war noch eine Treppe im Haus, die man von der Halle überhaupt nicht sah. Dieser Flur und Treppe war nicht so prunkvoll wie die Treppe in der Halle – aber immerhin chic. Diese weitaus schmälere Treppe führte nach oben.
Vor dieser Treppe sah er links eine Tür, dies musste die Tür zum Keller sein. Er trat ein und sah seine Vermutung bestätigt. Vom einem Keller, wie er es kannte, war dieser Raum weit entfernt.
Regale mit Lebensmittel und Getränke standen links der Tür an der Wand. In diesem Raum war eine komplette Küche eingebaut. Hannes schätze das Baujahr von dem Mobiliar der Küche auf Mitte der 60er Jahre. Diese Küche war um einiges größer als jene aus der er eben losgeschickt wurde. Die Türen der Schränke waren in blassrosa und türkis pastell lackiert. Er fühlte sich in die Zeit der Liselotte Pulver Filme zurück versetzt. Bis aus einen riesigen modernen Gefrierschrank glich dieser Raum einem Museum. Selbst die Kücheutensilien waren im Stil dieser Jahre.
Das Regal mit dem Wein war weitaus moderner und stand von der Küche aus gesehen, links an der Wand. Auf sieben Etagen konnten je12 Flaschen Wein gelagert werden. Das Weinregal war über dreiviertel mit den verschiedensten Sorten gefüllt. Er sollte Weißwein bringen. Selbst da blieb die Frage offen nach welchem Wein? Lieblich oder Trocken. Frankreich, Italien oder Deutschland?
„Ene mene muh und getrunken wirst du.“ Er zog einen 84er Riesling-Kabinett aus der Pfalz aus dem Regal. „Yes, that’s right, sagte er beim Anblick von dem Etikett. Es war ein Wein von einem Winzer aus der Nähe von Landau.

Zurück in der Küche zeigte er Franziska das Etikett und fragte, ob dies ihrem Wunsch entspreche.
„Excellent. Guter Wein. Lieblich mit einer leichten Süße. Passt super zum Essen. Ich denke in fünf Minuten ist der Paprika auch fertig.“

Er stand am Küchenfenster und schaute in den Garten, wo Cleo auf dem Rasen lag. Patricia kam in die Küche und stellte sich hinter ihn. Sie legte ihre Arme um seine Taille und ihr Kinn auf seine rechte Schulter. Patricia gab ihm einen Kuss an den Hals und sagte leise „Je t’aime, mon chérie“
Er streichelte mit der linken Hand ihre Wange „Je sais. Je sais.“

Nach dem Abendessen saßen sie zu dritt im Wohnzimmer. Dieser Raum war links neben dem mit der Schiebetür. Auch im Wohnzimmer waren Eichenholzdielen verlegt. Die Wände waren in einem pastellfarbenen mint, weiß und grau
tapeziert. Große Fotos von der Familie, Landschaften und Kunst hingen an den Wänden. Eine große orangefarbene L-Couch mit zwei Sessel und Glastisch stand einer großen modernen Wohnwand gegenüber. Links von dem Sofa war eine circa vier Quadratmeter große Kakteenlandschaft im Stil von Wild West Filmen aufgebaut. Die Landschaft sah aus wie eine Modelleisenbahn Anlage – nur eben ohne Eisenbahn.

Hannes saß mit Patricia auf der Couch. Sie lag der Länge nach auf der Couch und hatte ihren Kopf auf seinem Schoß. Franziska saß beiden im Sessel gegenüber und Cleo lag bei Hannes an den Füßen.
Beim Wein und Snacks hatten sie Gespräche über viele Themen.
„Cleo mag dich. Es wundert mich sehr, dass er bei dir liegt. Er braucht lange bis er zu Fremden kommt“ sagte Franziska.
„Ich bin mit einem Schäferhund aufgewachsen. Wir hatten schon alles mögliche an Tiere im Elternhaus. Nun ist es nur noch eine Volière mit Kanarienvögel und Wellensittiche. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir im Haus keine Tiere hatten.“ „Erzähle uns von deinem Elternhaus“ sagte Patricia.

Hannes erzählte von seinem Elternhaus. Das sein Vater bis vor einigen Jahren immer auswärts gearbeitet hatte und nun bei einer Firma in Idar-Oberstein sei. Zu seinen beiden älteren Schwestern habe er guten Kontakt und trotz deren Partner, das Elternhaus noch groß genug sei.

Es war kurz vor Mitternacht als Franziska sich für die Nacht verabschiedete „Ihr lieben, ich gehe ins Bett. Ich wünsche euch eine angenehme Nacht.“ „Gute Nacht, Franziska.“ „Bonne nuit maman.“


Angenehme oder Gute Nacht

Hannes lag mit dem Rücken auf dem riesigen halbrunden Bett und schaute an die Decke. Es schaute sich das Sternenbild von Cassiopaia an und fragte sich, ob dies ein Foto oder Malerei sei. Die nächtlichen Farben von diesem Himmelsbild waren faszinierend. Von antikblau über blauschwarz, blauanthrazit bis schwarz war so ziemlich alles dabei. Die Sterne hatten unterschiedliche weißtöne oder lichtgelb, blasgelb bis hin zu orange.

Patricia kam in einem roten Negligee aus dem Bad und trug ein Parfüm das ihm die Sinne nahm. Sie setzte sich im Reitersitz auf ihn, beugte sich zu ihm und küsste ihn lange und innig.
„Oh chérie, an was denkst du schon wieder?“ „Zu vieles. Mein Kopf dreht sich seit Tagen um tausend Dinge.“ „Hör doch auf über tausend Dinge zu denken. Es gibt nur zwei Dinge: dich und mich!“ „Oui, du hast recht. Trotzdem kann ich mein Hirn nicht ausschalten wie das Licht.“
Sie küsste und streichelte ihn wieder sehr innig und ihre Berührungen waren erotik pur. Mit einem Ruck setzte sich auf und boxte ihn in die rechte Seite „Du sollst aufhören zu denken!“ „Was meinte deine Mutter vorhin, als sie sagte, sie wünscht uns eine angenehme Nacht?“
Völlig irritiert sah sie ihn an „Was? So sagt man, wenn man ins Bett geht oder sich am Abend verabschiedet.“ „Es ist ein Unterschied, ob ich eine „Angenehme“ oder „Gute“ Nacht wünsche.“
Patricia boxte ihn wieder „Mon dieu! Du hast Probleme! Ich will jetzt mit dir schlafen und dies angenehm und auch gut. Compris?“


Gedanken an Erwartungen

Am Sonntagmorgen um 8 Uhr saß Hannes mit Cleo und einer Tasse Kaffee im Garten. Franziska kam vom Joggen und fragte wo Patricia sei.
„Sie wollte mit dem Fahrrad zum Bäcker fahren.“ „Très bien.“
Franziska setzte sich zu ihm an den Gartentisch und sah ihm in die Augen „Hannes, was ist los mit dir? Seit eurer Ankunft bist du immer so nachdenklich. Jungs in deinem Alter sind nicht so. Schau, wie glücklich meine Tochter mit dir ist.“
„Ich weiß. Seit Avignon hat sie sich verändert. Am Bostalsee war sie ruhig und reserviert – dies ist jetzt nicht negativ gemeint. Seit Avignon ist sie ganz anders, sie ist quirliger, lacht und springt umher. Ich habe Angst dass ich sie enttäusche oder ihre Erwartungen nicht erfülle kann. Ich hatte gestern Abend von mir und meinem Elternhaus erzählt. Dies hier, ist eine ganz andere Liga. Patricia ist eine andere Liga.“
Franziska nahm seine Hand „Das Haus ist schön, da gibt es keinen Zweifel. Es war das Haus von meinen Schwiegereltern. Wir haben es geerbt. Die Unterhaltung ist teuer und für uns auch nicht leicht. Ich bin Lehrerin am Gymnasium in Thionville und verdiene keine Millionen Franc. Es ist doch nur ein Haus, welches auch für uns kleine Familie sehr viel Arbeit macht. Wir haben keine Bediensteten, wie dies noch bei meinen Schwiegereltern war.“ „Daher die andere Treppe und die Küche. Dann waren oben unter dem Dach bestimmt die Zimmer oder Wohnung für das Gesinde.“ Franziska nickte anerkennend „Ich merke, du bist nicht dumm.“ „Merci beaucoup. Ich hab mich schon gewundert, dass es im zweiten Stock nicht weiter geht und von hier sehe ich drei Stockwerke.“ „Ja, du bist nicht dumm. Den einzigen Luxus den wir uns gönnen, ist eine Gartenpflege Firma und zwei Mal die Woche kommt eine Haushaltshilfe. Ich würde dies alleine nicht schaffen. Bernhard ist monatelang in Asien oder Westafrika unterwegs. Hannes, Patricia liebt dich, mehr zählt doch nicht. Du machst auf mich einen klugen, freundlich und sehr netten Eindruck. Ich unterrichte die Oberstufe und glaub mir, denen bist du in deinem Verhalten um Lichtjahre voraus.“

Patricia kam mit einer großen Tüte Croissants und Baguette aus der Küchentür in den Garten „Très bien, wir frühstücken heute im Garten.“ Sie kam um den Tisch, umarmte Hannes von hinten, küsste ihn an den Hals und sagte leise „Danke für die angenehme und gute Nacht.“
Franziska grinste, erhob sich und wollte vor dem Frühstück noch duschen.

„Machst du dies extra?“ Fagte er lauter und genervter als es eigentlich sein sollte. „Was ist denn nun schon wieder, oh Monsieur?“ „Musst du mich so vor deiner Mutter hinstellen?“
In Windeseile kam sie um den Stuhl, sprang ihm auf den Schoß und boxte ihn. Links, rechts, links, rechts, gab ihm einen Kuss und boxte weiter „Ich bin glücklich. Ich liebe dich. Bin verrückt nach dir. Darf ich nicht glücklich sein? Darf ich dich nicht lieben?“ Sie boxte nochmals.
„Doch. Natürlich. Aber musst du der ganzen Welt sagen, dass wir Sex hatten?“
„Oui, mon chérie. Ich würde sogar einen Banner an ein Flugzeug hängen und über Lothringen fliegen lassen: Ich-hatte-eine-angenehme-und-gute-Nacht.“ „Für einen solchen Banner ist Lothringen zu klein.“
Sie küsste ihn „Chérie, Geographie ist nicht unsere Stärke“ sie gab ihm noch einen Kuss, wuschelte seine Haare und ging in die Küche.

Teil I Kapitel 9 Aufbruch nach Kambodscha

„Manchmal wünschte ich, ich könnte in dein Hirn schauen!“


„Same procedures as last night, Miss Patricia?“

Nach Weihnachten fuhren Hannes und Patricia noch nach Deutschland zu seinen Eltern. Die Verabschiedung war, wie zu erwarten, sehr Emotional und Hannes war hin und her gerissen. Zum einen war es ein Abschied für zunächst drei Monate und zum anderen war es eine Ungewissheit in ein völlig neues Leben. Er wollte diesen Schritt gehen und wusste nicht was auf ihn und Patricia in Kambodscha zu kommen wird.

Vom Hunsrück fuhren sie noch in die Pfalz nach Annweiler, um sich auch von Patricia’s Großeltern zu verabschieden. Wie zu erwarten war, hatte die Oma viel geweint und immer wieder gesagt, Patricia sollte sich diesen Schritt doch noch einmal überlegen. Patricia war sichtlich genervt von dem ständig gleichen Thema und so wurde der Aufenthalt in der Pfalz doch erheblich kürzer als sie es eigentlich geplant hatten.

An Silvester wollte Patricia nichts unternehmen. Sie wollte auch auf keine Feier von ihren Freunden gehen. Hannes war es egal, denn es begann nur ein neues Jahr im Kalender. So saßen sie alleine in dem riesigen Haus im Zimmer von Patricia und schauten Fernsehen. Sie lachten Tränen bei „Dinner for one“. „Same procedures as last year, Miss Sophie?“ Patricia kuschelte bei ihm auf der Couch und hatte ihren Kopf auf seinen Beinen liegen.
„Chérie, ich bin die glücklichste Frau auf der Welt! Du bist seit vier Wochen täglich bei mir und kein Tag war wie der andere. Je t’aime pour toujours. Ich will jetzt mir dir schlafen.“ „Same procedures as last night, Miss Patricia?“
Sie boxte ihn.

Am 2. Januar 1990 kamen Franziska und Bernhard aus Fréjus zurück. Sie sahen anders aus – erholter und verliebter. Nun kannten auch sie die Magie von diesem wunderschönen Haus in der Rue Jean Bacchi. Dieses Haus hatte Magie auf eine besondere Weise, die man nicht erklären und schon gar nicht begreifen konnte. Eigentlich waren es nur aufeinander gesetzte Steine und trotzdem etwas ganz Besonderes. In einem solchen Haus zu leben, wäre sehr schön. Kinder sehen, wie sie in einer solchen Umgebung aufwachsen und morgens von den schönsten Farben dieser Welt geweckt würden. Kinder. Wird Hannes jemals Kinder haben? Wird er jemals das Glück spüren, wie es ist Vater zu sein? Ist die Leukämie von der Mutter genetisch übertragbar? Könnte er so etwas für sein Kind verantworten? Er wusste es nicht. Diese Fragen war schon seit einiger Zeit in seinen Gedanken. Wird die Forschung und Medizin in ein paar Jahren so weit sein, um Leukämie einzudämmen? Wie viele Silvester wird er mit Patricia noch zusammen erleben können? Diese Gedanken in seinem Kopf waren eine tägliche Achterbahnfahrt und er wusste nicht mit wem er darüber reden könnte.


Die Abschiedsparty

Für den 6. Januar organisierte Hannes eine kleine Abschiedsfeier mit den Freunden von Patricia. Er lud Claude, Cosima und Yvonne ein. Mit ihnen hatte er in den letzten Monaten gerne zu tun. Seit der Entschuldigung von Cosima sah er sie in einem völlig anderen Licht. Ohne Frage war Cosima die schönsten Frau die er jemals getroffen hatte, aber eingebildet oder gar arrogant war sie nicht. Auch Yvonne zeigte sich seit dem Geburtstag von Patricia ihm gegenüber ganz anders. Sie hatte begriffen, dass ein Abitur nicht für den Charakter von einem Menschen steht. Claude wurde seit dem Geburtstag von Patricia zu einem der besten Freunde von Hannes. Claude war Claude: bodenständig, offen und geradeaus. Auch er war über die Freundschaft von Hannes sehr froh und beide konnten sich so einigen Kummer von der Seele reden oder auch schon mal trinken.
Franziska kannte Claude von der Schule und auch die Umstände in seinem Elternhaus. Sie war froh, dass Claude so oft zu ihnen kam und er und Hannes so gute Freunde wurden.

Da sich die Abschiedsparty bei den ehemaligen Schulfreunde herumgesprochen hatte, kamen auch noch Laura, Jasmin, Marco, Benjamin und noch ein halbes Dutzend andere Schulfreund vorbei.
Im Zimmer von Patricia wurde es mit 15 Personen recht eng. Mit Claude schleppe Hannes noch Tische und Stühle vom Gesindestock ins Zimmer.
Die Freunde bewunderten den Weihnachtsbaum und natürlich auch das Bild von Peter. Laura musste natürlich ihren Kommentar zu dem nicht fertigen Bild von sich geben, was Hannes ignorierte. Patricia lies dies nicht so stehen und sagte Laura, dass dieses Bild vollkommen und somit ein einmaliges Kunstwerk sei.
Claude brachte vier Flaschen von dem guten Rosè mit, den beide vor Weihnachten ausgiebig in der Cafeteria im Super Marché getestet hatten.
Claude erzählte den Freunden die Geschichte von der Cafeteria und alle brüllten vor lachen, nur Patricia war not amused. Yvonne nahm Patricia in den Arm „Tricia, nun nimm dies doch nicht so ernst! Die beiden verstehen sich super und wenn sie mal besoffen sind, dann ist das eben so. Wir alle in diesem Raum kennen uns schon seit Jahren und seien wir auch mal ehrlich, wer von uns hatte in diesen Jahren eine solche Freundschaft zu Claude wie es Hannes hat?“
Hannes hielt die Luft an. Wo wird diese Aussage von Yvonne hinführen? Schweigen im Raum.
Yvonne traf es schließlich auf dem Punkt „Muss ein Deutscher uns zeigen, wie Freundschaft sein kann? Ich bin ehrlich zu euch. Ich hatte Hannes im Sommer beim campen getroffen und ein völlig falsches Bild von ihm gehabt. In den letzten Monaten habe ich mich viel mit ihm unterhalten und bin dankbar für diese Zeit. Viele in diesem Raum hatten über Hannes und Patricia geredet – aber nicht mit ihnen.“
Hannes sah an den Gesichter der Gäste wer sich angesprochen fühlte.
Cosima und Claude waren die ersten die nickten.
„Ich stimme Yvonne voll und ganz zu“ sagte Cosima „Ich hatten einen großen Fehler gemacht und dabei fast die Freundschaft zu Patricia aufs Spiel gesetzt. Hannes hätte den wohl größten Grund mich nicht auf diese Party einzuladen und trotzdem tat er es.“ Cosima hatte Tränen in den Augen „Ich wünschte, ich könnte diesen Fehler rückgängig machen.“
Hannes stand vom der Couch auf und ging zu Cosima, die auf einem Küchenstuhl saß und nahm sie in die Arme „Es ist vergessen. Cosima, lass uns nicht an das Vergangene denken.“
Yvonne saß links von Cosima und streichelte Hannes den Arm.

Die Stimmung war nun nicht die von einer Party und Hannes wollte nicht, dass dies so bleibt.
„Leute, ihr seid hier um mit uns eine Party zu feiern und nicht um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Ich habe in Frankreich neue Freunde gefunden und bin dankbar dafür. Was war, können wir nicht ändern – was kommt schon. In wenigen Tagen werde ich mit Patricia einen Weg gehen, den wir beide nicht kennen. Was uns in Südostasien erwartet wissen wir nicht. Lasst uns nun diese gemeinsame Zeit genießen. Im April sind wir wieder zu Hause und dann haben wir entweder viel gutes oder schlechtes zu erzählen. Claude, ich habe durst.“ „Sofort mein Freund“ und Claude schenkte zwei Gläser Wein ein.

Es wurde ein schöner Nachmittag und Hannes war froh in dieser Runde, dass er nicht mehr als „DER Deutsche“, „DER Andere“ angesehen wurde. Mit Yvonne und Claude saß er lange zusammen und hatte schöne Gespräch mit ihnen. Patricia sprach sehr viel mit Cosima. Hannes wie auch Yvonne merkten dies und Yvonne streichelte das Bein von Hannes und lächelte ihn an „Fehler sind da um zu verzeihen.“
Hannes nickte ihr zu „Ich weiß. Cosima war die Tage hier gewesen und wir haben es geklärt.“

Cosima setzte sich zu der kleinen Gruppe von Claude, Hannes und Yvonne dazu. „Hannes, ich möchte mich noch einmal bei dir bedanken. Yvonne kennt deine Reaktion
mir gegenüber aus dem Super Marché und bin auch ihr dankbar für ihr verzeihen. Du hast eben wieder deinen Charakter gezeigt. Danke dafür.“ „Cosima, du Engel aus dem Orient, Charakter hin oder her, ich möchte keinen Streit haben. Wir sind doch gebildete Menschen, ihr natürlich mehr als ich, und so sollten wir uns auch verzeihen können. Ich bin froh, dass du und Patricia euch ausgesprochen habt. Eine Freundschaft sollte an so etwas nicht kaputt gehen.“
Yvonne nickte ihm zu und Cosima hielt seine Hand „Du sagst immer so kluge Worte. Ich verstehe gar nicht, dass du dich immer so klein machst.“
Claude schenkte Cosima und Yvonne ein Glas Wein ein.
„Schaut euch Claude an. Er passte nicht in eure Klasse, von reichen Eltern, Ärzte, Rechtsanwälte oder Unternehmer. Yvonne hatte es vorhin treffend gesagt, Claude und ich sind Freunde und darauf bin ich sehr stolz. Nicht die Güter bestimmen über einen Menschen, sondern das Herz und Charakter.“ „Ich mag dich auch, du Deutsche Kartoffel. Ich werde dich vermissen! Du warst von Anfang an freundlich, nett und ehrlich zu mir. Auch wenn ich in Frankreich lebe, habe ich wenig Freunde hier. Nun geht einer der besten auch noch weg.“
Hannes sah zu Cosima und Yvonne bei diesen Worten von ihm „Claude, ich bin nicht aus der Welt! Ich komme doch wieder zurück.“ „Mit wem soll ich denn nun Billard spielen oder ein Bier trinken gehen?“
So hatte Hannes die Freundschaft zu Claude noch nie gesehen. Jetzt erst redete er darüber.
„Claude, ich weiß wie es ist, nicht dazuzugehören, nicht so zu sein, wie andere es sind. Du hast dir deine Eltern nicht ausgesucht. Du hast trotzdem dein Abitur gemacht und hast angefangen Geologie zu studieren. Ich habe dies alles nicht. Ich war immer nur der Klassenkasper. Heute würde ich auch vieles anders machen. Ich habe mir vieles selbst verbaut. Nun habe ich eine Chance dies nachzuholen. Ich weiß nicht, was mich in Kambodscha erwartet. Ich werde es sehen. Vielleicht mache ich nur den Handlanger und bin unglücklich über diese Arbeit. Was dann? Komme ich nach drei Monate zurück und gehe wieder nach Deutschland in meinen alten Beruf? Ich gehe nach Kambodscha, weil Patricia nicht studieren möchte und mit ihrem Vater nach Kambodscha geht. Ich sehe dies als eine Chance für mich und gehe mit.“ „Ich dachte immer du möchtest unbedingt nach Kambodscha“ sagte Cosima verwundert.
„Ja, dies ist auch so. Ich will oder möchte Bildung für Kinder. Ja, dies ist mein Traum. Ich kann kein Lehrer werde, dafür müsste ich zum einen Abitur haben und zum anderen studieren. In Länder wo die Bildung nicht all zu hoch ist, bin ich der König unter den Blinden.“
Cosima schüttelte den Kopf „Sag so etwas nicht! Auch wenn wir uns selten gesehen haben, weiß ich, dass du kein Kasper bist und es nie warst. Du redest schon sehr gut französisch und dein Umgang mit Menschen hat Größe!“
Claude und Yvonne nickte anerkennend den Worten von Cosima zu.
„Dankeschön. Ich mag euch alle sehr. Ihr seid gekommen um euch von Patricia und mir zu verabschieden. Von meinen Freunden aus Deutschland kam niemand. Ich habe alles aufgegeben für meine Liebe. Meine Familie, meine Freunde und sogar meine Heimat. Wobei ich meinen Freunden offensichtlich ziemlich egal zu sein scheine.“
Yvonne nahm seine Hand „Du hast Freunde denen du nicht egal bist.“
Cosima und Claude nickten.
„Komm nach Frankreich und lass die Kartoffelesser zurück“ „Claude, habe ich dies nicht schon längst?“
Alle sahen sich wortlos an.
„Ich wurde von euch, den Freunden und Klassenkameraden von Patricia, akzeptiert und trotz ein bisschen geholper sind wir nun Freunde. Ich fand in euch neue Freunde. Mir fällt der Abschied genau so schwer wie euch.“


Die Eifersucht von Patricia

Am späten Abend gingen die Freunde nach Hause. Es war nicht die typischen Verabschiedung von einer Party: Ciao, Tschüss, Au revoir, wir sehen uns Morgen auf ein Bier oder Cappuccino.
Man würde sich längere Zeit nicht sehen. Wenn Hannes nicht mit Patricia nach Kambodscha gehen könnte, wüsste er nicht wie er damit umgehen sollte. Eine Woche waren schon 168 Stunden. Dies mal Monate! Wie wird dieses fremde Land für beide sein? Sie laßen über Kambodscha nur in Bücher oder das was Bernhard oder Stephane erzählten. In vier Tagen würden sie es wissen.

„Braucht der Herr noch eine Aspirin oder ist der Kopf noch klar?“ Patricia lag mit einem atemberaubenden weißen Negligee links neben ihm im Bett.
„Alles gut, Prinzessin.Wir hatten den Wein diesmal nicht alleine getrunken. Du bist eine wunderschöne Frau. Ich kann mich gar nicht satt sehen an dir.“ „Oh, da hab ich ja noch Glück, dass du noch Hunger hast“ sagte sie spitz.
„Was soll dies nun? Nur weil Cosima sich bei mir bedankte? Nur weil ich mit ihr geredet habe? Ja, Herr Gott, sie ist verdammt schön. Ich behaupte, sie ist die schönste Frau in Frankreich – kann auch nicht so sein! Patricia, was nützt ihr diese unglaubliche Schönheit, wenn sie in ihrem Herzen einsam ist?“ Sagte Hannes gereizt.
„Tut mir leid! Ich wollte dich nicht verärgern“ und legte ihren Kopf auf seine Brust und streichelte seinen Bauch.
„Ich wusste nie, dass Claude in mir einen so guten Freund sieht. Was er vorhin sagte, hat mir schon sehr weh getan.“ Patricia sah ihn fragend an.
„Er sagte, dass er mich vermissen würde und das ich für ihn ein guter Kumpel sei. Nun wüsste er nicht mit wem er Billard spielen sollte. Ich werde dies aber noch vor unserem Abflug machen. Ich mag ihn sehr.“ „Tu dies. Er ist dein Freund. Dies ist es was dich von allen anderen Menschen auszeichnet, du kümmerst dich um andere. Dafür liebe ich dich jeden Tag mehr.“


Eine Geschichte über das Leben

Patricia packte die Koffer. Was nimmt man mit? Was braucht man nicht? Es ist gar nicht so leicht einen Koffer für drei Monate zu packen. Natürlich kann man in jedem Land dieser Welt Kleider und Schuhe kaufen, man hat aber auch seine eigene Garderobe – seine Lieblingskleider und Schuhe.
In einem Entwicklungsland erübrigt sich vieles an dem sonst oft schwierigen Fragen. Welche Schuhe zu welchem Oberteil? Welches Hose oder Rock zu diesem oder jenen Oberteil? Hannes fand dies ganz praktisch. Schrank auf, Hose und T-Shirt raus, Schrank zu. Fertig! Frauen denken da anders. In der Zeit wo Patricia ihre Garderobe ausgesucht hatte, hätte er locker 2000 Quadratmetern Rasen mähen können. Sagte er dann etwas von wegen Zeitplan oder man könnte doch endlich mal…, wurde er öfter von ihr geboxt. Ja, so sind die Frauen. Aber wehe man trinkt in der Cafeteria mal Wein. Trotz allem liebte er diese kleine quirlige Person.

Hannes traf sich mit Claude zum Billard spielen in Zentrum von Thionville. Es machte mal wieder sehr viel Spaß, bei Bier, guten Gespräche und einige Partien Billard, die Zeit zu genießen.
„Warum hast du angefangen Geologie zu studieren, hat dies einen bestimmten Grund?“ Fragte Hannes beim Spiel.
„Oui, mein Freund, hat es. Steine reden nicht! Steine ist es egal wer oder was du bist.“
Hannes legte den Queue auf den Billardtisch und schaute Claude fassungslos an „Wer oder was du bist? Claude, was soll das? Du bist ein toller Mensch. Du musstest zu viel alleine machen und hast dein Ziel erreicht. Jetzt erzähle ich dir einen Geschichte. Lass uns setzten, denn es wird etwas länger werden.“

Beide setzten sich an den kleinen Bistrotisch in der Nähe von ihrem Billardtisch.
„Es war im Oktober letzten Jahr“ begann Hannes „Ich traf Cosima in Yutz im Super Marché. Wir kamen ins Gespräch – nichts besonderes allgemeine Dinge eben. Sie ging mit mir durch die Regalreihen und machte mit mir den Einkauf. Danach sind wird in die Cafeteria gegangen. Irgendwann fing sie an über mich und Patricia zu reden. Als sie dann sagte, ich sollte es mir mit Particia überlegen, da sie schließlich Leukämie hat, hätte ich fast in ihr schönes Gesicht hinein geschlagen.“
Claude riss die Augen auf.
„Sie hatte Yvonne am gleichen Abend ein völlig falsches Bild von mir gegeben und diese Unterhaltung mit einer Lüge verbreitet, um mich und Patricia auseinander zu bringen. Als ich dies mitbekommen hatte, war ich böse und auch enttäuscht von ihr. Vor Weihnachten traf ich sie wieder. Ich wollte es klären, geraderücken und aus der Welt schaffen – dies ist mir auch gelungen. Cosima ist mit Abstand die schönste Frau die ich je gesehen habe. In ihrem Herzen ist sie sehr einsam. Natürlich möchte jeder Mann dieser Welt mit ihr schlafen. Nur ist der Sex nicht die Liebe. Ihre unglaubliche Schönheit ist der Preis, weswegen sie einsam ist. Die Männer die Cosima an der Hand halten, geben mit ihr an. Sie prahlen mit einer solchen Schönheit Sex zu haben – oder wünschen es sich. Claude – schau bei all dieser Schönheit von Cosima ihr in die Augen. Beim ersten Blick in diese wunderschönen Augen könntest du auf die Knien fallen. Beim zweiten Blick siehst du es. Auch ihr habt alle ein falsches Bild von ihr. Sie liegt nicht mit jedem Mann im Bett oder lässt sich aushalten wie eine Laura Poyet.“
Claude stand der Mund offen, bei dem was Hannes sagte „Soll dies wahr sein?“ Hannes nickte „Cosima hat iranische Wurzeln, auch wenn sie in Frankreich geboren ist, kann sie nicht dieses freizügige Leben führen, wie viele glauben. Ihr Vater würde sie in den Iran schicken. Und was dort für Sitten sind, muss ich dir nicht erklären.“ „Woher weißt du dies alles?“ „Sie hat es mir gesagt.“
Claude sah ihn immer noch fassungslos an „Dies glaube ich jetzt nicht! Und ich dachte immer sie wickelt jeden Mann um den Finger und bekommt alle Wünsche erfüllt.“
Hannes nickte langsam „So dachte ich auch. Du siehst, es ist nicht so.“ „Jetzt verstehe ich, was sie meintet, als sie sagte, du hättest allen Grund sie zu hassen und jetzt verstehe ich auch die Worte von Yvonne.“ „Genau. Nun mach du dein Ding und studiere die Steine dieser Welt. Und noch etwas – Steine können auch reden.“ Claudes irritierter Blick sprach Bände. „Schau dir Steine genau an. Ihre Form, Farbgebung und Beschaffenheit. Sie sprechen mit dir. Wo ich herkomme gibt es sehr viele Drusen. Jede ist aus dem gleichen Quarz und trotzdem ist jede ein Unikat. Du, ich, Patricia, Cosima wir alle sind gleich und trotzdem Unikate.“ „Danke mein Freund. Danke für deine Worte und Freundschaft.“ „Lass uns noch ein Bier trinken.“


Paris, Charles de Gaulle am 9. Januar 1990

Franziska fuhr mit nach Paris zum Flughafen. Der Flughafen von Luxemburg ist von Thionville nur einen Steinwurf entfernt, machte aber wenig Sinn, denn der Flug von Luxemburg nach Bangkok führte über Paris und man hätte auf dem Charles de Gaulle 7 Stunden Aufenthalt. Von Frankfurt gab es auch Nonstop Flüge nach Bangkok. Es bleibt sich also gleich in welche Richtung man fuhr.

Der Charles de Gaulle ist ein sehr großer Flughafen. Hannes war noch nie geflogen und von daher war für ihn jeder Flughafen groß.
Der Abschied fiel Franziska sichtlich schwer. Wie wird es für sie sein, wenn ihr Mann mal wieder drei Monate weg ist? Ist die Liebe nach so vielen Jahren eine andere? Er wollte dies nie fragen, obwohl es ihn interessierte. Ist die Liebe die gleiche wie bei ihm und Patricia? Er dachte an die Sonntage wenn er nur von Lothringen zurück ins Nahetal fuhr. Wie schlimm die ersten Kilometer für ihn waren. Der Weg nach Hause war irgendwie immer länger, als der Weg zu ihr. Das Raum-Zeit-Kontinuum sollte er doch mal erforschen. Oder das Liebe-Zeit-Kontinuum. Vielleicht wird so etwas ja mal nach ihm benannt? Der Halley’sche Komet wurde ja schließlich auch nach seinem Entdeckter benannt.

Patricia wedelte mit ihrem Pass und Ticket vor ihm herum „Erde an Hannes.Hallo? Wir sollten mal zum Gate gehen. An was hast du mal wieder gedacht.“ „Nix besonderes. An das Raum-Zeit-Kontinuum und den Halley’schen Kometen.“
Sie blieb abrupt stehen und schaute ihn Kopfschüttelnd an „Manchmal wünschte ich, ich könnte in dein Hirn schauen.“
Er gab ihr einen Kuss, legte seinen Arm um ihr Hüfte und ging mit ihr zum Gate.


Auf nach Südostasien

Mit der Thai Air ging es von Paris nach Bangkok in über 11 Stunden.
Hannes konnte noch nie im sitzen schlafen. Was macht man also? Die Magazine die vor ihm im Sitz steckten konnte er schon rückwärts lesen. Das Fernseheprogramm im Flugzeug war nicht das, was einen hohen Stellenwert der Unterhaltung bot. Interessant war eine Dokumentation über die Herstellung von Champagner.
Patricia schief neben ihm. Sie hielt seine Hand fest und sah friedlich und zufrieden aus. Auch Bernhard hatte die Augen geschlossen und schlief.

Die Stewardess fuhr mit einem Wägelchen durch die Reihen. Sie fragte, ob er etwas trinken möchte. Gerne. Eine große Auswahl an Getränke zählte sie auf. Beim Wein sagte er stopp.
Der Rosè war durchaus sehr lecker.
Die nette Dame kam noch öfters mit ihrem Wägelchen vorbei. Irgendwann fragte sie gar nicht mehr nach seinem Wunsch und griff gleich zur Flasche. Sie hätte diese auch eigentlich bei ihm stehen lassen können. Wie gut das Patricia schlief. Irgendwann wurde das Abendessen serviert. Patricia wurde wach. Die überaus nette Stewardess schenkte Hannes Rosè ein, ohne zu fragen. Der Blick von Patricia sprach Bände!


Bangkok, Don Mueang International Airport. Mittwoch, 10. Januar 1990. 6.20 Uhr Ortszeit

Der Don Mueang Airport in Bangkok war ein in die Jahre gekommener Flughafen. Hannes schätze das der Flughafen in den 60er oder frühen 70er Jahren gebaut wurde. Die Plastikstühle in dem Gebäude waren hellrosa und auch sonst wurde viel Plastik in der Flughafenhalle verbaut. Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihn alles in diesem Gebäude an die Käse-Igel aus roten und weißen Hartplastik erinnert, welche in den 70er Jahren überaus modern und beliebt waren.
Nachdem sie ihr Gepäck hatten, setzten sich die drei auf eben jene hellrosa Plastikstühle. Nicht nur das die Dinger komisch aussahen – sie waren auch noch unbequem dazu.
Der Weiterflug nach Phnom Penh würde erst in einigen Stunden sein. Mehrere Stunden auf diesem Plastik zu sitzen kam jeder Folter gleich.
„Chérie, lass und doch etwas laufen. Ich kann in einem solchen Folterstuhl nicht sitzen“ sagte Patricia.
Bernhard wollte nicht mit gehen. Er blieb beim Gepäck und las in einen Buch.

Dies also war Asien: rosa Plastikstühle.
In dem riesigen Terminal war es angenehm kühl und Hannes dachte, ist ja gar nicht so schwülheiß wie erwartet – bis die Schiebetür vom Terminal aufging! Sofort schlug ihm eine Schwüle entgegen, die einem die Luft zum atmen nahm. Er sah mit erschrockenen Augen Patricia an, auch ihr blieb für den Moment die Luft weg. Sie zog ihn an der Hand wieder zurück ins Terminal.
„Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen. Lass uns noch die kühle Luft hier drinnen genießen.“
Hand in Hand gingen beide durch das Flughafengebäude.
„Prinzessin, dies hier ist alles unglaublich. Vom Stausee im Saarland nach Fréjus und nun Südostasien. Wir haben in unsere kurzen Liebe schon mehr erlebt, als manche in ihrem ganzen Leben nicht!“ „Oui nous avons. Je ne regrette pas un jour“ sie gab ihm einen Kuss.
„Ich bereue auch keinen einzigen Tag, meine Prinzessin.“

Im Flughafen gab es hier und da kleine Shops wo man essen konnte. Blöd, wenn man kein thai lesen kann. Sie suchten sich etwas aus, was auf dem Foto über der Theke ganz gut aussah und brachten dies dem Koch hinter dem Tresen auch irgendwie bei.
Das Essen war super lecker. Gemüse mit Bambus und Sojasprossen. Dazu Hähnchenfleisch mit Kokosmilch.
Das Landei aus dem Hunsrück in der großen weiten Welt. Er hat es so gewollt. Mit Patricia würde es an jeden Punkt dieser Welt gehen.
Patricia hat ihm mit ihrem Ellbogen an den Arm gestupst und sah Hannes fragen an „Denkst du schon wieder an den Halley’schen Kometen?“ „Non, Prinzessin. Ich denke an dich. An jeden Ort dieser Welt würde ich mit dir gehen. Ich liebe dich mit jeder einzelnen Phase meines Körpers. Komm, lass uns zu deinem Vater gehen. Er muss nicht alleine bleiben“ Hannes gab ihr über den kleinen runden Tisch von dem Bistro einen Kuss.

Sie setzten sich zu Bernhard auf die unbequemen Plastikstühle und schaute den Menschen nach. Urlauber aus Europa die hektisch oder fluchend an ihnen vorbei liefen. Hannes schüttelte den Kopf. Was erwarteten Touristen von einem anderen Land? Jägerschnitzel mit Pommes und das jeder die Sprache, in diesem Fall deutsch, könnte? Ein schon stark genervte Paar setzte sich unmittelbar neben sie und war der Verzweiflung nah. Beide beschimpfen sich gegenseitig.
„Wenn so denen ihr Urlaub weiter geht, ist die Trennung nicht weit“ sagte Hannes auf französisch zu Bernhard und Patricia.


Weiterflug nach Kambodscha

Mit der Air Asia ging es von Bangkok nach Phnom Penh weiter. Der Flug dauerte etwas über eine Stunde. Das Flugzeug war schon in die Jahre gekommen und roch etwas muffig. Das Flugzeug war nur zur hälfte besetzt, so konnten die drei es sich bequem machen und nicht wie Presswurst in der Sitzreihe eingedrückt sitzen.

Der Internationaler Flughafen von Phnom Penh war irgendwie eine Mischung aus Lagerhalle und Plattenbau. Das Terminal war sehr kühl eingerichtet und hatte einen Charme von einer Bahnhofstoilette. Herzlich willkommen in Kambodscha.

Teil 1 Kapitel 8 Weihnachten in Lothringen

Weihnachten in Lothringen. Der Weihnachtsbaum

„Für immer. Mon chérie. Pour toujours!“

Als sie wieder in Thionville ankamen., war die Begrüßung sehr herzlich. Franziska hatte eine zweistöckige Torte gebacken. Natürlich zeigte Patricia sofort das nicht fertige Bild von Peter. Gerade weil es nicht fertig war, war es ein Kunstwerk wie es ein Claude Monet, Gustav Klimt oder Egon Schiele nicht hätten besser malen können. Franziska weinte beim Anblick von diesem Bild.

Im Esszimmer wurde die Verlobung gefeiert. Patricia erzählte wieder von diesem unglaublich schönen kleinen Haus in der 6 Rue Jean Bacchi. Von einem Menü das allen Vorstellungen übertroffen hatte und natürlich von dem Heiratsantrag am Strand mit einer sündhaft teuren Flasche Rotwein vom Chateau Ferriere.

„Wie kamst du auf die Idee mir in Fréjus einen Heiratsantrag zu machen?“ Fragte Patricia.
„Es war mal wieder reiner Zufall. Ich überlege schon lange, wie und wo ich dir einen Antrag machen könnte. Paris unter dem Eiffelturm? Machen viele. Mit der Drehleiter konnte ich auch nicht mehr punkten. Weihnachten oder Silvester auf einer Skihütte in den Alpen kann auch jeder. So fiel mir beim sortieren meiner Unterlagen der kleine Zettel in die Hände, der damals die Schwägerin von Peter dir in Saint-Maxime gegeben hatte. Da wusste ich sofort wo wir wieder hinfahren müssen. Ich hatte zuerst mit deiner Mutter gesprochen. Denn ich hatte Angst oder Bedenken, dass sie uns für zu jung halten würde. Beim Tischtennis sagte mir dein Vater, dass er es auch gut findet und bot mir sein Auto an. Irgendwie mussten wir es so hinbekommen, dass du im Glauben bleibst, ich will nur nach Fréjus fahren, um mit dir Wein zu trinken. Ich rief Peter an und erklärte ihm was ich vor habe. Er kümmerte sich um das Essen. Von dem Bild hatte ich keine Kenntnis.“
Patricia kam um den Tisch, setzte sich auf seinen Schoß, legte ihre Arme um seinen Oberkörper und gab ihm einen Kuss „Für immer. Mon chérie. Pour toujours!“

Hannes rief nach Hause an. Er wollte, dass seine Eltern an oder um Weihnachten nach Thionville kommen sollten. Wie erwartend wurde das Gespräch mit seiner Mutter sehr lange. Ständig erklären zu müssen, dass sie ein völlig falsches Bild von den Lefévre’s hatte, war für Hannes anstrengend und nervend.
Am Abend rief er nochmals an und bat doch bitte um einen Besuch. Sie sagte endlich zu. Der 20. Dezember wäre ein Mittwoch. Da dies vor Weihnachten sei und somit nicht das „Heilige Fest“ stören würde, wäre es ein guter Tag. Für Hannes war es völlig egal – Hauptsache sie kamen.

In dem Moment als er den Hörer auflegte, klingelte das Telefon „Bonjour. Bonne journée à Lefévre, Hannes est au téléphone.“
Es war Cosima. Sie wolle mit Patricia reden.
„Natürlich. Ich verbinde dich. Patricia müsste in ihrem Zimmer sein.“

Hannes ging vom Arbeitszimmer die Treppe hoch zu Patricia. Sie war noch am Telefon als er zu ihr ins Zimmer kam. Das Gespräch war sehr einseitig. Patricia antworte entweder mit einem Wort oder kurzem Satz. Dicke Luft!
Hannes signalisierte ihr, dass er ins Wohnzimmer gehen würde.
Nach gut einer halben Stunde kam sie ins Wohnzimmer und erzählte von dem Gespräch und auch von der letzten Begegnung zwischen Cosima und Hannes im Super Marché.
„Warum hast du mir nichts von eurem Treffen erzählt? Cosima sagte mir wie galant du dich ihr gegenüber verhalten hast und sie lange nachgedacht hatte, wie sie sich bei mir entschuldigen kann.“ „Ich hielt es für nicht so wichtig. Entweder sie weiß was sie falsch gemacht hat oder nicht.“ „Sie möchte heute Abend vorbei kommen.“
Hannes blies die Luft aus „Musst du wissen.“ „Sie kommt gegen 20 Uhr.“

Cosima sah das Bild von Peter über der Couch hängen und war sichtlich gerührt. Das personifizierte Super Model hatte Jeans, einen schwarzen Pullover und High Heels an. Da saß eine der schönsten Frauen aus Frankreich auf der Couch von Patricia und trank mit ihnen einen Weißwein aus der Pfalz. Hannes saß beiden im Sessel gegenüber. Es zeigte irgendwie schon Größe, dass Cosima sich persönlich entschuldigen kam. Als das Gespräch endlich nicht mehr so holperte, wurde sich anderen Themen zugewandt und auch wieder gelacht. So sollte es sein. Streit war nicht gut. Beim Abschied wünschte Cosima ihnen alles gute für die Zukunft.

„So viel Rückgrat hätte ich Cosima nie zugetraut“ sagte Patricia als sie im Bett lagen.
„Ich auch nicht. Ich habe mich in ihr getäuscht. Respekt für ihre Haltung.“ „Sexy ist sie schon – oder?“ Fragte Patricia.
„Oui Mademoiselle. Nur ist Schönheit nicht alles was zählt. Sie ist im Herzen einsam, auch wenn jeder Mann von ihrem Anblick erblasst.“ „Oh, dass hast du aber schön gesagt. Ich erblasse auch gleich. Mon chérie, ich will dich jetzt, hier und sofort.“

Besuch der Eltern in Thionville

Am Morgen des 20.Dezember war Hannes beim Frühstück sehr aufgeregt. Heute würden seine Eltern kommen. Wie wird dieses Treffen der beiden Elternpaare werden? Wie lange werden sie bleiben? Viele Fragen gingen ihm durch den Kopf. Um 14 Uhr wollten sie in Thionville sein. Seinem Vater hat er genau erklärt wie er fahren sollte. Der Zeiger der Uhr ging auf 12 Uhr zu.
Hannes wusste nicht wie er sich beschäftigen sollte. Er lag im Wohnzimmer auf dem Chaiselongue und lernte khmer Vokabeln.
Khgnom = ich
Kon-srey = Frau
Kon-proh = Mann
Peet-srey = Ärztin
Er versuchte die Schrift irgendwie, wenn auch nur annähernd, lesen zu können. Dieses gekrakel sah alles irgendwie gleich aus.
Franziska kam ins Wohnzimmer.
„Hannes, du kannst nicht mit Gewalt alles in den Kopf bekommen! Du hast in der letzten Zeit so viel französisch gelernt, dein Hirn braucht auch mal eine Pause. Hier, trink mit mir ein Latte Macchiato“ sie reichte ihm ein großes Glas Milchkaffee. „Hör auf immer daran zu denken, dass du dumm bist. Das ist Unsinn! Du lernst schneller eine Sprache, die du vor einem halben Jahr noch nicht einmal konntest, als meine Schüler die ab der 5. Klasse anfingen eine Fremdsprache zu lernen.“

Kurz nach 14 Uhr sah er das Auto von seinem Vater in die Einfahrt einbiegen. Dann mal los.
Mit Cleo ging er die große Steintreppe herunter und begrüßte seine Eltern. Natürlich war das Haus sofort ein Blickfang – ging ihm vor sechs Monaten genau so. Durch Cleo war die Begrüßung von seinen Eltern und den Lefèvre’s entspannter. Guter Hund.
Franziska und Bernhard verzichteten gleich auf die Förmlichkeit.
Die Küche ist oft ein neutraler Ort, so nahmen alle erst einmal dort platz.
Bei Espresso, Kaffee und Cappuccino lernte man sich näher kennen. Franziska schaute immer wieder in den Backofen, nicht das der Käsekuchen ein Brikettkuchen wurde. Langsam wurde die Atmosphäre etwas lockerer.
Hannes zeigte seinen Eltern ein Teil von dem Haus. Als sie im Zimmer von Patricia das Bild von Peter sahen, blieb auch ihnen die Luft weg. Patricia erzählte wie es zu diesem Bild gekommen war. In dem Moment kam Franziska die Tür herein und die Eltern von Hannes fingen an zu erzählen, dass sie zweimal in Saint-Maxime im Urlaub waren. Bernhard kam mit Rosèwein in der Hand ins Zimmer und so saß die Gruppe schließlich dort auf der Couch und Sessel. Hannes brachte noch Wasser für seine Mutter, sie trank kaum Alkohol. In dem Gespräch erzählte seine Mutter, dass sie damals in Monaco am Hafen die Treppe herunter gefallen sei und der Souvenirs Teller für die Nachbarn kaputt ging.

Kaffee und Kuchen gab es im Esszimmer. Dort stand noch der riesige Zeitungsartikel über Hannes auf der Staffelei. Voller Stolz erklärte Franziska von dieser Aktion mit dem Feuerwehrauto. Bernhard legte mit dem Bewerbungsgespräch in Reims nach und wie angetan der Direktor, die Personalchefin und auch der Projektleiter für Südostasien von Hannes waren.
Die Eltern von Hannes wussten so vieles noch nicht.

Sein Vater fragte in die Runde, warum ausgerechnet Kambodscha für einen Auslandseinsatz gewählt wurde.
Bernhard beantwortete diese Frage „Kambodscha war fast 100 Jahre französische Kolonie. In dieser Zeit und auch noch heute, ist in der Verwaltung und im Bildungsbereich französisch eine offizielle Sprache. Da die Rote Khmer ein Genozid an über zweieinhalb Millionen Menschen verübte und somit das Land ins Mittelalter katapultierte, wird Hilfe für dieses Land dringend gebraucht. Auf das Embargo der UN hin, kommt dieses Land alleine kaum noch auf die Füße.“

Das erste Treffen war bis jetzt super gelaufen. Es wurde ein doch längerer Tag als eigentlich gedacht. Man war sich sympathisch. Die Eltern von Hannes sahen, wie natürlich, unkompliziert und freundlich Franziska und Bernhard waren. Auch sahen sie, wie Hannes in dieser Familie aufgenommen wurde. Seine Mutter hatte schon ihre Probleme damit, dass der Sohn für so lange weg sei und ob dies auch alles reiflich überlegt wäre.

„Ich weiß wie du denkst“ sagte Bernhard zur Mutter von Hannes „als Patricia mir unterbreitete, dass sie nach Kambodscha gehen möchte, war ich auch nicht gerade erfreut. Ich hätte schon gerne gesehen, dass sie Volkswirtschaft studiert. Ich kann es ihr nicht vorschreiben. Sie ist alt genug. Hannes hat mir vor zweieinhalb Monaten seine Gedanken über die Welt, über Bildung und seine Träume erzählt. Ich war sehr überrascht so etwas von einem jungen Mann zu hören. Gleich am Montag hatte ich seine Worte in unserer Organisation vorgestellt und es war an diesem Montag schon klar, dass er auf jeden Fall diese Chance bei uns bekommen wird“ dabei sah Bernhard zu Hannes „er wusste noch nicht davon – tut mir leid. Ich bin auch in Kambodscha und ein gutes Team von mir ist auch vor Ort. Patricia und Hannes gehen ihren Weg. Wenn wir sie als Eltern begleiten und unterstützen, als zu verbieten oder blockieren, können wir sehr stolz auf sie sein.“
Wow! Was für eine Laudatio, dachte Hannes.
Es kamen nochmals Einwände oder Sorgen von seiner Mutter, wegen der Sprache. Da griff Franziska sofort ein.
„Ich bin Lehrerin am Gymnasium in Thionville und unterrichte die Oberstufe. Ich kenne Hannes nun seit einem halben Jahr und er hat sich unglaublich entwickelt. Am Anfang war er nur in Begleitung von Patricia einkaufen gefahren und hatte sehr oft deutsch gesprochen oder sich kaum ohne Begleitung von ihr aus dem Haus getraut. Seit dem Geburtstag von Patricia hat er sich sehr verändert. Er geht für mich einkaufen, hat Freunde gefunden, ab und an ist er mit unserem Sohn bei der Feuerwehr, und fährt mit dem Rad zum Bäcker. Hannes hat vieles an Sprache gelernt. Ich gab ihm viele Tipps, wie er sich Gedächtnisbrücken baut. Da kann ihm Patricia wenig helfen, denn ihre Muttersprache ist nicht deutsch. Seit Tagen lernt er khmer und ich muss ihn auch schon mal bremsen. Hannes versucht zu viel auf einmal mit Gewalt zu lernen. Ich weiß von seiner Schule und das du als Mutter nicht mehr zu den Elternabende gegangen bist. Du hast dich geschämt, weil er der Klassenkasper war.“
Seine Mutter sah ihn entrüstet, traurig und böse zugleich an. Es war ihr peinlich, dass Franziska dies alles wusste. Dies war auch Franziska in diesem Moment aufgefallen und hatte sofort reagiert.
„Hannes hat mir dies alles erzählt. Er machte sich ständig Gedanken darüber, dass er nicht zu uns und zu Patricia passt. Er hat immer nur gedacht, er ist dumm. Nein! Ist er nicht. Mag sein, dass er immer etwas überspielt hatte. Mag sein, dass er in oder für die Schule faul war, aber dumm ist er ganz bestimmt nicht!“

Nun waren seine Eltern auf eine ungewollte Weise von Franziska kompromittiert worden. Patricia fand sofort die Worte „Am Bostalsee hatte ich in der Clique von ihm einen anderen Hannes gesehen, als einen Tag später. Ja, dass Bild von einem Clown hat er allen gezeigt – mir auch. Als wir an die Côte d’Azur gefahren sind, lernte ich einen Menschen kennen, der Anstand, Bildung und Niveau hat. In Fréjus hatte er ein Gespräch – nein, es waren drei Tage fast nur Gespräche mit Peter geführt, bei denen selbst ich mit Abitur nicht folgen konnte. Hannes braucht kein latein zu können, oder ein mathematisches Genie zu sein“ „Dafür hab ich ja dich“ unterbrach er sie. „Oui“ Patricia gab ihm eine Kuss auf die Wange und sprach weiter „Er hat ein unglaubliches Wissen über Politik und Geschichte. Warum er sich immer so klein macht, versteht niemand hier im Haus.“ „Ja, kommt. Ist jetzt langsam gut. Ihr müsst mich nicht in den Himmel heben und heiliger machen als der Papst. Meine Eltern haben es begriffen, dass es mir zu spät eingefallen ist mehr zu lernen – mir übrigens auch. Lasst uns lieber Abendbrot essen, als über mich zu reden.“

Patricia und Hannes deckten den Tisch im Esszimmer. So hatten beide Elternpaare auch Zeit für sich, um über andere Dinge als Hannes zu sprechen.

Es war schon spät am Abend, als die Eltern von Hannes nach Hause fuhren. Seine Mutter hatte ihn beim Abschied umarmt, dies hat sie die letzten Jahre nicht mehr getan. Sein Vater sagte „Ich bin stolz auf dich.“

Beim abräumen vom Esszimmertisch wurde noch kurz über den Tag gesprochen und alle gingen anschließend zu Bett.

Patricia lag auf ihrer linken Seite und streichelte ihn „Du bist ein guter Mensch. Als Mädchen träumt man immer von der großen Liebe, dem perfekten Mann und einer sorgenfreien Zukunft. Zwei dieser Träume haben sich erfüllt.“ „Patricia, hör auf! Wir wissen nicht was der Morgen bringt. Sich nun Gedanken zu machen, wie was wann wird, kann niemand sagen. Ich weiß nur, dass ich immer für dich da bin. Dieses Versprechen gebe ich dir auch ohne Trauring.“

Der Weihnachtsbaumbegutachter

Am Donnerstag fuhren sie nach Rombas einen Weihnachtsbaum kaufen, auf den 16 Kilometer von Thionville nach Rombas gab es eine wüste Diskussion zwischen Franziska und Patricia, wie denn der Baum aussehen sollte.
„Mach dir nichts daraus, ist jedes Jahr das gleiche“ sagte Bernhard zu Hannes und grinste.

Das Areal von dem Weihnachtsbaum Verkäufer war sehr groß. Auf dem Parkplatz standen viele Pkw und Kleintransporter.
Die kleine Gruppe ging durch die Reihen und suchte den passenden Baum aus. Auf dem Gelände gab es eine unglaubliche Auswahl an Bäumen: Kleine, große und ganz große. Die Sorten der Bäume deckte auch alle Wünsche der Käufer ab.
Nordmanntanne, Blaufichte, Rotfichte, Edeltanne oder Douglasie. Für jeden war etwas dabei – sollte man meinen. Die Diskussion über größte und Art ging bei Franziska und Patricia weiter. Hannes bemerkte, dass es anderen Männer auch so erging.

Zwischen all den Bäumen gab es einen schönen zentralen Platz mit Stehtischen, Lampions und Schwedenfeuer. Eine kleine Holzbube stand am Rand von diesem Plaz, an der es Glühwein, Kaffee und Würstchen zu kaufen gab.
Bernhard und Hannes zogen es vor, bei Glühwein dort auf die beiden Frauen zu warten. Auffällig war, dass gleicher Gedanke mehrere Männer hatten.
Hannes blickte in die Runde und sah Guisberth, den Zugführer von der Feuerwehr. Er winkte ihm zu. Die drei Männer in seiner Gruppe, schauten nach dem, den er eben gegrüßt hatte. Es dauerte nicht lange und die vier Männer kamen zu dem Stehtisch an dem er mit Bernhard stand.

Guisberth reichte beiden die Hand und stellte die drei anderen Männer vor. Seine Kumpels wollten den Mann sehen, über den in ganz Lothringen gesprochen wurde. Hannes gab eine Runde Glühwein aus. Guisberth erzählte am Tisch, wie er Hannes kennengelernt hatte und wie einzigartig diese Aktion war. Er hätte gerne gesehen, dass Hannes in die Feuerwehr gekommen wäre, denn er war öfters bei den sonntäglichen Übungen dabei.
„Guisberth, dieses Thema hatten wir schon. Ich kam gerne zu euch und würde euch auch sehr gerne unterstützen. Aber Kambodscha ist für einen Feuerwehreinsatz doch etwas weit weg.“

Patricia kam an die Holzbube und war am schimpfen, warum ihr Vater und er sich nicht bei der Suche nach einem Weihnachtsbaum beteiligen. Bernhard zog die Schultern hoch und zeigte auf die Tasse Glühwein. Sie schimpfte wieder mit ihrem Vater und mit Hannes sowieso. Guisberth sagte seinen Kumpels, dass dies jene Frau sei, für die es die 20 Meter lange Liebeserklärung gab.
Patricia hatte kurz keinen Plan um was es ging. Sie stellte sich vor und gab den vier Männer die Hand. An Hannes gewendet, fing sie wieder an zu schimpfen, er soll doch endlich mitkommen und einen passenden Baum aussuchen, denn ihr wäre es langsam kalt. Sofort bekam sie von Guisberth eine Tasse Glühwein gereicht. Franziska kam auch noch zu der Gruppe und auch sie bekam einen Glühwein gereicht. Mit Glühwein und Wurst kam man ins Gespräch. Da es sich in Thionville und offensichtlich auch in der Umgebung herum gesprochen hatte, dass Patricia und Hannes mit Bernhard nach Kambodscha gehen würden, war dies eines der zentralen Themen in der Runde.

So gerne Patricia sich auch mit Guisbert und seinen Kumpels unterhielt, es würde doch nun endlich Zeit werden einen Baum auszuwählen, denn nach Weihnachten bräuchte man diesen schließlich nicht mehr.
Franziska hatte ihren Baum, eine Nordmanntanne, schon ausgesucht und blieb mit Bernhard, Guisbert und dessen Freunde am Stehtisch mit Glühwein und Waffeln zurück. Hannes verabschiedete sich von der Gruppe, er müsse jetzt seine Pflichten als Weihnachtsbaumbegutachter nachkommen.

Die Lefèvre Villa hatten sehr hohe Zimmerdecken und von daher brauchte es schon einen Baum der in dem Haus auch wirken. Patricia wollte dieses Jahr ihren eigenen Baum in ihrem Zimmer haben. Also wurden alle Bäume ab 1,80 Meter Höhe begutachtet. Da Franziska eine Nordmanntanne gekauft hatte, wollte Patricia eine andere Sorte haben. Von dem zentralen Platz nach rechts waren alle größeren Bäume zu finden. Blaufichten, Rotfichten, Nordmanntannen und auch Korktannen.
Die Korktannen haben einen sehr intensiven Geruch nach Zitrone. Hannes sah in den Reihen der Korktannen einen Baum herausstechen.
„Prinzessin schau, was hälst du von diesem Baum?“
Patricia sah sich den kugelförmigen Bewuchs und auch die Größe von dem Baum an. Sie ging links um den Baum, rechts um den Baum, dann zwei Meter zurück und schaute wieder von beiden Seiten. Hannes verdrehte bei diesem Gehabe die Augen. Er behielt seine Gedanken, dass es nur eine Baum sei, für sich. Frau Weihnachtsbaum-Oberinspekteurin nickte endlich zustimmend „Très agréable. Sehr schön. Ja, gefällt mir.“
Endlich war der Baum gekauft und am Nachmittag würden die beide Bäume geliefert werden.

Der Baum war das eine, der Schmuck das andere. Im Gesindestock war ein Zimmer mit allerlei Weihnachtsschmuck, Lichterkette und was man noch alles zum dekorieren brauchte. Nun standen die beiden Frauen vor dem nächsten Problem  – die Farbe der Glaskugeln und Baumschmuck. Franziska hatte sich für Terracotta entschieden. Bei Patricia blieb die Frage zwischen rot, silber oder blau. „Schatz, warum nimmst du nicht die Farben von Fréjus?“ Es war ein großer Fehler, dass Hannes dies sagte.
„Oui, c’est ça! Accrochons les couleurs de Fréjus à l’arbre.“ „War zwar nur ein Scherz, aber warum nicht?“

In der Vorweihnachtszeit einkaufen zu gehen fand Hannes nicht lustig. Er konnte Patricia davon überzeugen, dass es besser wäre, sie würden alleine die gewünschten Farben der Glaskugeln kaufen gehen.

Am Nachmittag wurden ihre beide Bäume geliefert und mit tatkräftiger Unterstützung von Maurice schleppte man die Bäume ins Haus. Gemeinsam wurde der Baum von Bernhard und Franziska im Wohnzimmer und der Baum von Hannes und Patricia in ihrem Zimmer aufgestellt. Unter gleichzeitiger Zuhilfenahme von zwei Aluleitern installierte Hannes und Maurice die Lichterketten.

Da Franziska ihren Baumschmuck bereits ausgesucht hatte, konnte der Baum in einem Durchgang gemeinsam geschmückt werden.
Nachdem die Nordmanntanne geschmückt war und von allen Anwesenden für gut befunden wurde, saß man im Wohnzimmer bei Kaffee und schaute sich das Kunstwerk an. Der fast drei Meter hohe Baum machte einen gewaltigen Eindruck im Wohnzimmer.

Die Prinzessin im Türrahmen

Patricia kam mit ihrem Auto in die Einfahrt gebügelt und rief Hannes zu sich.
Im Kofferraum hatte sie eine riesige Kiste mit Glaskugeln, elektrischen Kerzen und sogar Glaskugeln mit Beleuchtung.
„Willst du einen Baum oder den ganzen Wald schmücken?“ Wie zu erwarten wurde er für seine Frage von ihr geboxt.
„Allons au travail. Auf geht’s an die Arbeit“ „Oui Madame.“

Wie nicht anders zu erwarten musste sie bei den Lichterketten noch selbst Hand anlegen. Hannes sah nun keinen Sinn darin ob die Lichterkette zwei Zweige tiefer hing oder nicht. Er ließ Patricia aber in ihrem Tatendrang. Bei einem Baum von 2.50 Höhe, der Körpergröße von Patricia, der Höhe der Leiter und die dann doch zu kurze Arme von Frau Lefèvre, musste Hannes die Lichterkette nach ihren Vorstellungen installieren. Patricia reichte ihm die gekauften Glaskugeln und ging bei jeder dritten Kugel einige Schritte zurück. Kugel höher, weiter nach links, runter, gut. Nächste Kugel nach rechts, tiefer, höher, gut. Bei Kugel Nummer drei was  es das gleiche: links, höher gut. Bei den nächsten Kugeln waren die Kommandos von Patricia gleich: tiefer, höher, links, rechts, gut.
„Hmmm. Hmmm, weiß nicht. Etwas fehlt. Hmmm.“
Hannes traute sich nicht zu fragen was in ihrem klugen Kopf mal wieder für Gedanken waren. Er fand den Baum sehr hübsch geschmückt.
Patricia nahm die Kiste mit dem Dutzend Glaskugeln, die eine Beleuchtung hatten
und verschwand aus ihrem Zimmer.

Im Hobbyraum im Gesindestock nahm sie Ölfarben von ihrer Mutter und bemalte die zwölf Kugeln selbst. Nach fast einer Stunde kam sie in ihr Zimmer zurück und hing die Glaskugeln auf – also Hannes. Mal wieder war es ihr nicht recht und so gab sie wieder ihre Kommandos.
Als der Baum endlich fertig geschmückt war, musste noch einiges an Mobiliar umgestellt werden, denn dies störte das Gesamtbild von dem Baum. Ob die Couch nun 1 oder 1,20 Meter von dem Baum entfernt stand, sah Hannes als etwas übertrieben an, behielt seine Gedanken aber für sich. Natürlich musste das Monstrum an Schreibtisch auch weiter aus dem Wirkungskreis vom Weihnachtsbaum verschoben werden.

Beide standen 4 Meter von dem Baum entfernt und betrachteten ihre Arbeit.
„Wow! Was aus einem einfachen grünen Baum so alles werden kann! Es sind wirklich fast die Farben von Fréjus.“ Patricia nickte „Natürlich hat ein 5 Watt Birnchen nicht die Leuchtkraft wie die Sonne, aber es kommt doch ganz gut.“ Hannes gab ihr einen Kuss „Hast du sehr schön gemacht. Es ist ein sehr schöner Baum.“ „Mon chérie, es ist unser Baum. Unser erstes gemeinsames Weihnachten. Je t’aime, mon coeur.“

Nach dem Abendessen wollte Patricia ihren Eltern die Beleuchtung von dem Weihnachtsbaum zeigen. Hannes ging in den Keller und brachte zwei Flaschen Wein mit auf ihr Zimmer.
Bernhard und Franziska waren überwältigend von ihrer Arbeit. Hannes dimmte das Licht im Raum und die zwölf 5 Watt Birnchen der handgemalte Glaskugeln leuchteten in violett, leicht rot, gelb, indigo und blau.

Bei Wein saßen sie auf der Couch und Sessel und schauten sich dieses Kunstwerk an. Erinnerungen an so vieles kamen hoch. Wie liebevoll Peter sie behandelt hatte und wie froh er war, wieder Menschen in seinem Haus zu haben. Peter war es auch völlig egal, welchen Preis ein Wein aus seinem Keller hatte und wie schön die tiefgründigen Gespräche mit ihm waren. Patricia würden ihm morgen einen Brief schreiben. Seine Gastfreundlichkeit, Güte und Liebe konnte man nicht in Geld bezahlen. Es tat ihr im Herz weh, wenn sie wusste, dass er an Weihnachten alleine in seinem wunderschönen Haus in der 6 Rue Jean Bacchi saß. Als sie geendet hatte, schaute jeder automatisch auf das nicht fertige Bild von Peter. Trotz diesen Farben in ihrem Zimmer kam auf einmal eine Melancholie hoch.
„Die Prinzessin im Türrahmen“ sagte Hannes leise und strich ihr übers Haar.

Beide lagen im Bett und Patricia lag mit ihrem Kopf auf seiner Brust und streichelte sein Gesicht „Mon chérie, an was denkst du immer unermüdlich?“ „An zu vieles Prinzessin, an zu vieles.“ „Rede mit mir.“ „Wie wird Peter wohl Weihnachten verbringen? Alleine am Küchentisch? Wird er an seine Louise denken? Viele Familien auf dieser Welt feiern Weihnachten zusammen und singen

Süßer die Glocken nie klingen,
als zu der Weihnachtszeit,
wie sie gesungen in seliger Nacht.
Glocken mit heiligem Klang,
klingen die Erde entlang…“

Sie sah ihn nachdenklich an.
„Glocken mit heiligem Klang, klingen die Erde entlang. Eine Erde auf der es Habgier, Zank, Folter und Kriege gibt. Schön heilig. Menschen denken in dieser Zeit besonders stark an Gott – oder an Suizid. Menschen sehnen sich nach Frieden und Geborgenheit und sitzen einsam in ihren Wohnungen.“ 
Tränen standen in seinen Augen.
„Warum geht dir dies alles so nah?“ Fragte sie.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich nicht möchte das Menschen einsam sind. Es kommt einfach so in mir hoch. Ich kann nichts dafür. Vielleicht bin ich zu sensibe für diese brutale Welt.“
Sie küsste ihn und streichelte seine Wange „Dies zeichnet dich aus. Dein Herz und Sorgen für andere Menschen ist groß. Denk doch auch mal an dich.“ „Dies ist dann egoistisch.“ „Non! Non mon chérie. Wenn man nur an sich denkt, dann schon. Dies tust du aber nicht. Komm, lass uns schlafen und hör auf zu denken. Du brauchst auch mal Ruhe.“
Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und streichelte ihn.

Am Freitagmorgen beim Frühstück, sagte Bernhard, er müsse heute noch in die Firma und würde spät nach Hause kommen.
Hannes saß bei Patricia im Zimmer und lernte khmer. Immer wieder sah er auf dem geschmückten Baum und hoffte, dass Patricia mit diesem hin und her Beschenke recht hatte und er am Sonntag nicht wie doof da stand und kein einziges Geschenk vorzeigen konnte. Sollte er doch mal nach etwas kleines für alle schauen gehen? Dann kam gleich die Frage: was? Für Franziska könnte er Leinwand und Farben kaufen. Da verließen ihn auch schon die Ideen.

Franziska war im Arbeitszimmer und korrigiert Leistungstests von ihren Schülern.
„Salut Franziska, ich hätte mal ne Frage. Wie ist es bei euch mit Weihnachtsgeschenke? Patricia sagte, dass ihr euch zu Weihnachten nichts schenkt.“
Franziska nickte „Stimmt. Du musst wirklich nichts kaufen. Patricia hat schon recht. Wir schenken uns über das Jahr immer mal eine Kleinigkeit. Weihnachten ist bei uns entspannt. Wir gehen in die Kirche und an Heiligabend koche ich und Patricia. Du hast uns mehr beschenkt als es überhaupt möglich ist. Ehrlich.“ Sie nahm ihn in den Arm „Ich bin froh, dass du hier bist.“

Mit seinem khmer Vokabeln kam er auch nicht viel weiter, denn er konnte sich nicht so recht auf die Sache konzentrieren.
– saamnang​ la thngai​ – guten Tag
– aroun​ suostei – guten Morgen
– suostei​ tae​ anak​ sokh​ sabbay​ te – hallo wie geht es dir?
Gab es auch das Wort Weihnachtsbaum in khmer?
– suostei​ tae​ anak​ sokh​ sabbay​ te – heute ist ein warmer Tag.
Was ist, wenn Patricia mir doch etwas zu Weihnachten schenkt? Wo ist sie überhaupt?
– tae khnhom ach rk kariyealy braisanei now tinea? – Wo finde ich eine Post?
War nun baulisa oder braisanei die Post oder Polizei? Gibt es überhaupt Briefkästen in Kambodscha?
Hannes merkte, dass er nicht mehr klar denken konnte und es auch keinen Sinn machten würde noch weiter zu lernen.
Wo zum Teufel war Patricia?

Weinprobe im Super Marché

Hannes beschloss noch Lebensmittel einkaufen zu fahren. Er sagte Franziska Bescheid, dass er nach Yutz zum Super Marché fahren würde.
„Weißt du wo Patricia ist?“ „Sie wolle zu Yvonne fahren.“ „Okay. Dann fahre ich schnell einkaufen. Bis später.“

Wie zu erwarten, war das Einkaufszentrum
an diesem Freitagnachmittag sehr voll. Hannes brauchte länger für den Einkauf als sonst. Gegenüber den Kassen waren verschiedene kleinere Geschäfte. Hannes sah die Werbung von einer Parfümerie. Sollte er für Patricia doch sicherheitshalber eine Kleinigkeit kaufen?
An der Kasse neben ihm stand Claude. Er kaufte für seine Eltern noch etwas für Weihnachten. Sie verabredeten sich in der Cafeteria.

Beim Kaffee hatten beide eine schöne Unterhaltung. Irgendwann meinte Claude, man könnte doch den Wein probieren den er für seinen Vater gekauft hatte. Gute Idee.
Der Rosé war wirklich gut und als Geschenk absolut zu empfehlen. Da man das Weihnachtsgeschenk leer getrunken hatte, kaufte Claude noch drei Flaschen. Eine wollten beide noch trinken. Da die Gespräche mit Claude immer sehr unterhaltsam waren, blieb es nicht bei der zweiten und letzten Flasche.
Aus Anstand zu dem Café bestelle Hannes zwei Latte Macchiato und zwei Stücke Käsekuchen.
Die vierte und definitiv letzte Flasche Wein wurde zu Himbeer-Sahnetorte getrunken.
Beide vergaßen die Zeit und den Trubel. Sie lachte viel und hatten eine schöne Zeit. Claude wurde in den letzten Monaten zu einem richtig guten Kumpel für Hannes. 
Der Rosé war äußerst zu empfehlen und ob nun eine Flasche mehr oder weniger getrunken wurde, war in dem Moment auch egal.

Irgendwann stand Patricia mit den Armen in der Hüfte an ihrem Tisch. Sie schimpfte, wer nun mehr besoffen sei. Keine leichte Frage. Beide gleich viel?
In Anbetracht des Alkoholspiegels der beiden Herren, fuhr Patricia sie nach Hause. Bei den Lefévre’s angekommenen, lachte Franziska über den alkoholisierten Zustand von Hannes. Patricia war irgendwie schlecht gelaunt.

Das Rundbett von Patricia eierte ganz schön. Hannes wollte und musste seinen Rausch ausschlafen. Die fürsorgliche Franziska brachte ihm zwei Aspirin.
Nach zweieinhalb Stunden Schlaf ging es Hannes etwas besser. Duschen und Aspirin wirkten, um einen etwas klaren Kopf zu bekommen.

In der Küche musste der Kaffeevollautomat einen doppelten Espresso zubereiten.
Franziska kam in die Küche und grinste „Na, geht wieder?“ „Noch nicht so richtig. Tut mir leid.“ „Quatscht, du bist jung und mein Gott, dann ist es mal so. Patricia soll sich nicht so anstellen. Claude ist ein guter Junge, er hat nur nicht so viel Halt im Elternhaus.“ „Ok. Ich habe ihn eingeladen. Er wollte am zweiten Weihnachtstag vorbei kommen.“ „Très bien. Bonne idée.“

Der Überraschungsbesuch

Es wurde bereits dunkel als Bernhard nach Hause kam. Die Zimmertür von Patricia stand offen, Hannes lag auf der Couch und versuchte seinen Kopf nicht all zu viel zu bewegen.
Patricia saß im Sessel und hatte ihre Beine auf den von Hannes liegen. Sie lernte khmer und fragte Hannes die Vokabeln ab. Mit immer noch genügend Restalkohol im Blut konnte er kaum seine Muttersprache in ganzen Sätzen sprechen und nun verlangte Patricia noch khmer Vokabel von ihm.
„Blau?“ „Äh, khiev.“
„Grün?“ „Beitong.“ „Beitang!“ Sagte sie streng. „Ja. Frau Lehrerin. Beitang.“
„Rothayon“ „Äh…..“
Patricia zog die Augenbrauen zusammen und verzog den Mund.
„Haus?“ „Äh… Maison“ „Auf khmer, Monsieur.“ „Weiß ich jetzt nicht. Muss du jetzt die Vokabeln abfragen? Ich kann kaum richtig denken.“ „Woran dies wohl liegen mag“ sagte eine gereizte Patricia.

In der Halle hörte er eine Stimme, die er kannte. Konnte nicht sein! Der Alkohol schien ihm doch sehr zugesetzt zu haben.
Im Gleichen Augenblick sah Patricia ihn fragend an „Hast du das auch gehört?“
„Oui., Madame.“
Hannes hörte immer noch die vertraue Stimme. Patricia sah ihn ungläubig an und erhob sich langsam aus dem Sessel. Sie ging zur Zimmertür und lauschte.
„Hannes, dass ist Peter!“ Sie rannte im Sprint die Treppe herunter und Peter genau in die Arme. „Was… wie… Peter… ich verstehe nicht…“ Patricia hatte Tränen in den Augen.
„Dein Vater rief heute Morgen an und lud mich ein. Ich wollte nicht kommen. Deine Mutter hat noch lange mit mir gesprochen. Es sei ihr größter Wunsch für Weihnachten.“ „Papa?… Wie…“ „Mit dem Flugzeug.“
Sie fiel ihrem Vater um den Hals und küsste ihn.
Hannes stand am Absatz der Treppe und war fassungslos. Mit Tränen in den Augen ging er auf Bernhard zu. Hannes konnte nichts sagen.
„Alles gut, mein Sohn. Auch wir Erwachsene können verrückt sein. Ist zwar keine Drehleiter…“ dabei nahm Bernhard ihn in den Arm.
Die Überraschung hatte wirklich eingeschlagen.

Im Wohnzimmer bei Wein und Käse erzählte Peter von den schönen drei Tage, die er im Sommer mit Patricia und Hannes erlebte. Aus der Sicht von Peter hat Hannes dies nie gesehen. Wie stolz er auf die Jugendlichen war. Ihre Höflichkeit ihm gegenüber und die vielen tiefgründigen Gespräche mit ihnen. Er erzählte von seiner großen Liebe und wie er Patricia sah, als sie mit dem Saint-Émilion in der Tür stand. Als Hannes ihn wegen der Verlobung anrief, sagte er sofort zu. Leider sei das Bild nicht fertig geworden.
„Doch Peter, es ist fertig. So wie es ist, ist es vollkommen. Nicht einmal die größten Künstler unsere Zeit hätten es besser malen könnten“ sagte Hannes und hielt die Hand von Peter fest.
„Kommt, lasst uns essen gehen. Ich möchte euch alle einladen.“ „Hannes, dies musst du nicht“ sagte Peter. „Ich weiß. Ich möchte es aber.“

Bernhard fuhr in die Innenstadt von Thionville zu einem griechischen Restaurant. Die Portionen waren riesig und alles war super lecker. Beim Essen fragte Peter, ob er einen Wunsch äußern dürfe. Jeden! Er schaute Patricia an und bat, um den wunderbaren Sauerbraten, den sie vor sechs Monaten bei ihm zu Hause gekocht hatte. Franziska sagte, dass dies kein Problem sei, sie müsste dann Morgen nur noch das Fleisch kaufen gehen. Dies würde Patricia übernehmen, mit Blick zu Hannes „Du trinkst beim Einkaufen zu viel Wein“ und  boxte ihn gegen den Oberarm.

Am Morgen nach dem Frühstück wollte Patricia Peter ihren Weihnachtsbaum zeigen. Mühsam ging Peter mit ihr die Treppe hoch. In ihrem Zimmer angekommen, war er zum einen über die größte des Zimmers beeindruckend und zum anderen über diesen sehr großen Weihnachtsbaum.
„Mein Kind, dass ist wirklich ein sehr schöner Baum. Ein Kunstwerk. Du hast Talent.“
Peter sah sein Bild in einem großen goldenen Holzrahmen und schaute es sich lange an „Schade, dass es nicht fertig wurde.“
Patricia hielt die Hand von Peter „Es ist fertig. Grand-père, c’est prêt. Dein Bild ist ein nicht vollkommenes Kunstwerk und trotzdem vollkommen. Kein Gemälde dieser Welt kann mit diesem Bild mithalten.“ Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange „Kein Gemälde dieser Welt“ wiederholte sie.

Ein Jahr geht zu Ende

Es waren die schönsten Weihnachten für Hannes. Peter feierte mit ihnen Weihnachten und auch ihm tat diese Zeit sehr gut. Es wurde sehr viel gelacht, geredet, gegessen und getrunken. Die drei Tage, die Peter bei ihnen verbrachte, vergingen viel zu schnell.
Auch Bernhard erzählte an Weihnachten von diesem wunderschönen Haus in der Rue Jean Bacchi, wenn er auch nur kurz in dem Haus war, hatte er die Magie von diesem Haus gefühlt.
Peter lud Franziska und Bernhard zu sich ein, was beide auch dankend annahmen, denn Bernhard würde bald für drei Monate wieder weg sein und so entschlossen sie sich über Silvester in Fréjus zu bleiben.

Teil I Kapitel 7 Fréjus

Fréjus im Dezember 89
10. Dezember, 2 Advent

„Prinzessin, der Moment wird nie besser als er jetzt ist.“

In diesem Zimmer, in diesem Bett, hatten sie sich das erste Mal geliebt. Sechs Monat waren vergangen und immer noch war die Liebe und der Sex etwas besonderes. Lange hat es in dieser Nacht gedauert, bis beide eingeschlafen waren.

Der Morgen kam über das Meer. Die Sonnenstrahlen waren nicht mehr so stark wie noch im Juni und trotzdem tauchte das winterliche Licht diesen Raum in Farben. Diesmal war es mehr Violett. Hannes lief ein Schauer über seinen Körper, als er das Spektrum an Farben sah.
Dieses Fenster war wie Magie. Keine noch so schöne Kathedrale auf dieser Welt, hatte ein solches Licht, wie dieses Fenster in der 6 Rue Jean Bacchi in Fréjus.

Er küsse Patricia auf die Stirn „Schatz, schau.“
Patricia öffnete verschlafen ihre schöne Augen „Mon Dieu, ist das schön.“
Lange lagen sie Arm in Arm im Bett und schauten, wie sich jeden Augenblick das Licht veränderte. In einem Moment waren es Farben wie ein Regenbogen, im nächsten Augenblick bläulich, dann indigo und ging dann in ein leichtes gelb über.

Es war Zeit zum Aufstehen. Heute war ein großer Tag. Als sie sich unter der Dusche bei tausend Farben geliebt hatten, gingen sie in die Küche. Peter hatte schon alles vorbereitet. Der große dunkelbraune Tisch war mit Backwaren und Blumen übersät. Feines und edles Porzellan welches bestimmt einhundert Jahre als sein mochte, stand zwischen getrocknetem Lavendel.
„Guten Morgen meine Kinder“ sagte Peter als beide in die Küche kamen. In dem Raum roch es nach frisch gemahlenen Bohnen, Baguette, Käse und Lavendel.
„Peter, du musst dir doch nicht so viel Mühe machen“ sagte Hannes.
„Seht es als einen kleinen Willkommensgruß. Ich wusste, dass ich euch wieder sehen werde. Nur so schnell hätte ich nicht gedacht.“

Das Frühstück an einem solch schönen Tisch war überwältigend. Bei Peter im Haus schien es, als ob die Zeit viel langsamer verging. All diese vielen wunderschöne Kleinigkeiten in dem Haus wirkten wie Balsam auf die Seele. Ob die Blumen am Fenster, der Steinboden, der alte Herd, das ticken der Wanduhr, die Bilder an den Wänden oder nur der alte Brotkorb. Jedes Detail war ein Hochgenuss für das Auge und die Sinne. Hannes konnte dieses Haus zu nichts einordnen, was er bis dahin gesehen hatte. Es war wie ein Museum, ein Schloss oder eine Kathedrale. Von allem etwas und ein Kunstwerk im Ganzen. Dieses Haus hatte eine Seele.

„Und nun wollt ihr zum Strand und Rotwein trinken?“ „Ja, Peter. Ich habe auf dem Weg zu dir, die schönste, klügste und wunderbarste Frau auf dieser Welt lieben gelernt. Was zwischen der Abfahrt von hier vor sechs Monaten und der gestrigen Ankunft passierte, möchte ich festigen. All diese Liebe begann hier. Der Himmel schickte uns zu dir. Peter, ich war noch nie in einem solchen Haus wie in diesem gewesen. Du hattest uns im Sommer ein Zimmer als Herberge gegeben, welches voll mit Magie ist.“
Patricia nahm seine Hand über den Tisch und streichelte sie „Oui, mon chérie. Du bist der Mensch auf den ich mein Leben lang gewartet habe und jedes Detail in diesem Haus ist ein Geschenk vom Himmel.“
Peter lächelte mit seinen wasserblauen Augen Patricia an „Mein Kind, wenn dies ein Geschenke vom Himmel ist, dann ist es für die Ewigkeit. Es ist noch etwas frisch am Meer, wartet noch eine Stunde. Kommt, wir setzen uns vor’s Haus. Dort ist es jetzt sehr angenehm.

Peter hatte recht, die Luft war kühl, aber die Sonne wärmte die Steinwand von seinem Haus, es war mehr als nur vor einem Haus zu sitzen – es war ein Moment voller Magie. Patricia hatte ein großes Kissen im Rücken. Sie lag an der Wand von der Steintreppe und hatte ihre Beine über die von Hannes gelegt. Peter saß ihnen in einem riesigen Flechtsessel gegenüber. Er wollte wissen, warum sie beide nach Kambodscha gehen wollten.
„Hannes hat den Wunsch, diese Welt etwas besser zu machen und Bildung für Kinder und nachhaltige Perspektive für Menschen schaffen, um ihnen eine bessere Zukunft zu geben. Mein Vater arbeitet seit Jahren für eine Hilfsorganisation, welche weltweit im Einsatz ist, um Wasserversorgungen herzustellen. Wasser ist ein Grundrecht der Menschheit. Ich möchte mit Hannes gehen, um ihm seinen Traum zu erfüllen.“
Peter nickte mit dem Kopf und sah beide immer wieder bewundernswert an.
„Bevor ich Hannes getroffen hatte, reifte in mir der Gedanke mit meinem Vater nach Kambodscha zu gehen. Nur, wie hätte ich mich bei dieser Arbeit einbringen können? Ich kann nicht graben – dafür lehren.“ „Du bist ein sehr kluges Kind und gehst deinen Weg und dies mit allen Konsequenzen. Hannes, du hast ein sehr großes Herz und bist liebevoll. Dies hatte ich dir schon im Sommer gesagt. Gott wohnt in dir, du erkennst es nur noch nicht.“

Es ging auf die Mittagszeit zu. Nun wurde es wärmer und beide beschlossen zum Strand zu gehen.
„Ich merke, dass diese Schönheit unruhig wird“ dabei schaute Peter zu Patricia „Geh in den Keller und nimm, was du möchtest.“

Patricia fand im Keller einen Rotwein vom Chateau Ferriere – einen Grand Cru Classé, aus Margaux aus der Region Bordeaux. Das Etikett zeigte die Jahreszahl 1940. Bei dieser Flasche Wein reichten 1000 France bei weitem nicht mehr aus. Patricia zeigte Peter das Etikett „Très bien, mon enfant. Un vin adapté à votre occasion.“
Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange „Merci, grand-père.“

Mit einem kleinen Bastkorb gingen sie Hand in Hand die schmalen Gassen durch die Altstadt von Fréjus hinunter zum Meer.
Es war ein anderes Fréjus als noch im Sommer. Es saßen keine Leute vor ihren Häusern, die sangen, lachten und musizierten. Einige Cafés hatten bereits seit Wochen geschlossen und die Straßen waren leer. Eine schöne antike Stadt lag im Winterschlaf

Am Strand waren nur ein paar ältere Leute, die offensichtlich Urlaub fernab vom großen Trubel machten.
Das Meer war azurblau und etwas unruhig. Vom Meer kam ein kühler Wind und brachte einen frischen salzigen Duft mit sich. Die Wellen brachen sich am Strand. Das Geräusch der Brandung ließ alle anderen Geräusche verklingen.

Auf einer kleinen Decke lagen sie an einem Dezembertag am Strand und hörten den Wellen zu. Beide schauten über das Meer zum Horizont. Dieser Augenblick war für die Ewigkeit.

Patricia entkorkte die Weinflasche. Langsam und behutsam schenkte sie den Wein in die Kristallgläser ein. Sie machte beide Gläser zu einem viertel voll. Der Wein roch leicht nach Boden aus Lehm und Kalk. Nach kurzer Zeit an der Luft und im Glas verändert sich der Geruch nach Wurzeln und Frucht. An der Nase roch man die Trauben und das Barrique. Die Farbe war ein tiefes purpurrot.
Hannes wollte den Wein gar nicht trinken, schon in Anbetracht dessen, dass dieser Wein ein Vermögen kostete.
Sie schauten sich lange in die Augen und hielten die Gläser gegeneinander.
„Für immer“ sagte Patricia und gab ihm einen Kuss.
„Für immer, Prinzessin.“ 
Sie beide hatten Tränen in den Augen als der Wein den Gaumen in einem Hochgenuss aus süße und frucht traf. „Prinzessin, der Moment wird nie besser als er jetzt ist“ Hannes gab ihr einen langen Kuss. Dabei griff er in seine Jeans und zog einen Ring aus der Tasche. Als sie den Ring sah, liefen ihr die Tränen über das Gesicht.
„Patricia Lefèvre, willst du mich heiraten?“ Sie heulte so sehr, dass sie gar nichts sagen konnte. Sie nickte und schluckte immer wieder die Tränen herunter „Oui. oui, je veux t’épouser. Oui, mon chérie. Oui.“


Das Verlobungsessen in der Rue Jean Bacchi

Der Wein war getrunken und viele Tränen waren geflossen. Peter saß mit seiner Pfeife in seinem großen Bastsessel vor dem Haus. Ein paar Meter, bevor beide bei ihm waren erhob sich der alte Mann langsam aus dem Sessel. Er breitete die Arme aus und Patricia ließ sich in seine Arme fallen und heulte.
Peter küsste sie auf die Stirn „Mein Kind, genieße diesen Moment. Bewahre ihn in deinem Herzen“ und streichelte ihr hellbraunes Haar. Peter war ein Fremder und doch wie ein Großvater zu ihnen. Seine Güte, Ruhe und Freundlichkeit waren einmalig.
„Kommt ins Haus. Ihr habt bestimmt Hunger“ sagte er.

In dem Paradies von Küche stand ein Menü, welches einer Tafel in einem Königshaus in nichts nachstand. Eine riesige Platte mit Fisch, Krabben, Muscheln und Gemüse, Rotwein in einem Kristall Dekanter und überall Lavendel und Kerzen, standen auf dem Tisch.

Der Frühstückstisch war schon besonders, was jetzt auf diesem alten Tisch stand, war das tausendfache mehr. Patricia beruhigte sich etwas und konnte wieder anfangen zu denken und fragte Peter „Du hast es gewusst?“ „Ja, mein Kind. Ich habe es gewusst. Hannes rief mich letzte Woche an und sagte mir, was er vor hat. Natürlich sagte ich zu. Es fiel mir heute morgen schwer, mir nichts anmerken zu lassen. Du wolltest zu früh zum Strand. Ich musste dich irgendwie bremsen. Das Essen wäre so früh nicht geliefert worden.“ „Merci, grand-père“ Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange, drehte sich zu Hannes und boxte in „Monsieur, kann es sein, dass meine Eltern es auch wissen?“ Mit einem fragenden und forderten Blick sah sie Hannes an.
„Oui, ma Princesse.“
Sie boxte und umarmte Hannes „Ich wollte meine Eltern anrufen und es ihnen freudig sagen, nun wissen sie es schon.“ „Mein Kind, sie wissen es. Aber doch nicht den Zeitpunkt. Geh und rufe deine Eltern an.“

Patricia ging ins Wohnzimmer und keine 10 Sekunden später schrie sie laut auf. Hannes erschrak sich und stieg sofort vom Stuhl auf und schaute Peter fragend an. „Geh, schau nach ihr.“
Im Wohnzimmer stand ein eineinhalb Quadratmeter großes Bild. Patricia lehnte an einem Türrahmen. Ihr verliebter Blick gab dem Bild eine unglaubliche Weite. Ihre Silhouette war die einer Königin. In der Hand hielt sie eine Flasche Rotwein. So stand Patricia vor sechs Monaten in der Küchentür. Genau so.

Das Bild war so filigran gezeichnet, dass selbst das Etikett von dem Saint-Émilion zu lesen war. Der Türrahmen, Patricia und ein viertel vom Hintergrund waren ausgemalt.
Peter kam ins Wohnzimmer „Ich wusste, dass ihr wieder kommt, nur so schnell habe ich euch nicht erwartet. Das Bild ist noch nicht fertig. Meine Knochen sind zu alt“ „Peter…“ mehr konnte Hannes mit seinen Tränen nicht sagen.
Patricia fiel Peter um den Hals und weinte.
Es dauerte lange bis sie in ganzen Sätzen sprechen konnte „Oh doch Peter. Das Bild ist fertig. Dieses Bild ist vollkommen. Ich weiß gar nicht wie ich dir danken kann.“
„Mein Kind, ich habe dir zu danken. Ich habe so viele Jahre nicht mehr gemalt. Du hast mir wieder Mut gegeben. Du hast mir wieder Leben gegeben.“ „Oh mon grand-père.“


 

Teil I Kapitel 6 Reims, Fréjus

„Mein Anstand verbietet es, dir jetzt eine Ohrfeige zu geben.“


Wofür Krieg?

In der Nacht von Sonntag auf Montag hatte Hannes kaum geschlafen. Zum einen war es wieder ein wunderbarer Sex mit Patricia und zum anderen war er sehr aufgeregt wegen dem bevorstehenden Vorstellungsgespräch in Reims. Wie sollte er für eine französische Firma arbeiten, wenn sein Wortschatz nur für eine kleine Unterhaltung oder zum Brot kaufen reichte? Selbst mit aller Anstrengung würde er in den nächsten zwei Monate nicht so viel französisch lernen, dass dieses für Gespräche und Diskussionen mit seinen Arbeitskollegen reichte. Franziska war für ihn eine gute Lehrerin und große Hilfe, sie half ihm Gedächtnisbrücken zu bauen wie etwas von deutsch auf französisch gesagt wurde oder wie es im Satzbau der Grammatik richtig war.
Hannes lag wach neben Patricia und konnte sich an ihrem Körper gar nicht satt sehen. Da er nun von den vielen Operationen wusste, sah er jetzt die noch schwachen Narben. Was dieser junge Mensch schon durchgemacht hatte, konnte er sich gar nicht vorstellen. Warum kann ein lieber Gott, so grausam sein? Gibt es überhaupt „Den lieben Gott“? Die Bibel zeigt oft ein anderes Bild. Das Leben zeigt oft ein anderes Bild. Er hatte sich nie Gedanken über Leukämie gemacht – davon gehört schon. Ihm kam nie in den Sinn, wie dieser Kampf geführt wird. Der Krebs oder Leukämie war für ihn weit weg, nun lag diese Krankheit einen halben Meter nackt neben ihm. Wie wird dieses Leben weiter gehen? Er hatte sich entscheiden diesen Weg mit ihr zu gehen. Er hatte es ihrem Vater versprochen und seine Liebeserklärung an eine zwanzig Meter hohe Drehleiter hängen lassen. Wann werden sich der linke und rechte Fahrstreifen von der Autobahn trennen? Hannes war gerade mal 19 Jahre alt und dachte über das Ende vom Leben nach. Kann man dies überhaupt? Darf man dies überhaupt? War man in diesem Alter überhaupt reif für solche Gedanken?
„Mon chérie, je t’aimerai toute ma vie“ sagte er leise und streichelte ihren nackten, zierlichen Körper.

Die Autobahn A4 von Thionville nach Reims fuhr sich gut. Als Hannes den Wegweiser nach Verdun sah, sagte er „Da war ich mit der Schulklasse. Die Soldatenfriedhöfe, das Beinhaus von Douaumont mit Überreste von hunderttausende Soldaten. Wir waren damals auch in den Bunkeranlagen gewesen. Diese Bilder sind heute immer noch im Kopf. Eine Sinnlose Schlacht wurde wegen Irrsinn und Größenwahn geführt. Mit Patricia habe ich schon viel über die Geschichte aus dem ersten Weltkrieg gelernt. Wir waren an vielen Orten der Maginot-Linie. Sahen Bunker, Wehranlagen und Friedhöfe. 1,3 Millionen Franzosen sind im Ersten Weltkrieg gefallen. Fast 10 Millionen in Europa. Wofür? Für Vaterland, Ruhm und Ehre?“ Bernhard und Patricia hörten ihm aufmerksam zu.
„Der Zweite Weltkrieg ist nun 41 Jahre vorbei. Ein Krieg der genau so irrsinnig war und das fünffache an Gefallenen Soldaten und Zivilisten mit sich brachte. Heute sitze ich bei einem Franzosen im Auto, liebe eine Französin und lernt diese Sprache. Krieg kenne ich nur aus Büchern oder Fahrten mit der Schulklasse. Was Peter uns in Fréjus erzählt hatte, tat mir weh – war aber wichtig für mich. Mein Opa hatte nie vom Krieg und der Gefangenschaft in Russland gesprochen. Ich hätte es gerne gehört um zu verstehen was Krieg an Tod, Leid und Flucht bringt. Peter war für drei Tage mein Großvater. Drei Tage um so vieles zu verstehen und begreifen. Nie wieder darf es Krieg geben! Trotzdem lese ich im STERN oder Spiegel über Krieg irgendwo in Südamerika oder Zentralafrika. In der Tagesschau kommen Beiträge aus dem Sudan, Somalia, Palästina oder Israel. Täglich sterben Menschen für einen Irrsinn.“
Bernhard und Patricia nickten bei seinem Worten.
„Vor etwas mehr als drei Jahren gab es in Tschernobyl einen radioaktiven Gau. Ich weiß es heute noch wo ich an diesem Tag war. Einen Tag nach dieser radioaktiven Kettenreaktion, am 27. April 86, es war ein Sonntag und mein Vater hatte gegrillt. Es war ein warmer, sonniger Tag. Meine Schwestern lagen auf der Wiese und hatten sich gesonnt. Das Radio am Grillhaus war eingeschaltet und ständig kamen Nachrichten über dieses Unglück irgendwo in Russland – die Ukraine war russisch, Punkt. Es gab Informationen von Fachleuten wie man sich in Westeuropa nun schützen sollte: Kein Salat von den Feldern essen, Obst und Gemüse gut waschen und so einiges mehr. Blöd nur, dass man einen radioaktiven Fallout nicht sieht und nicht spürt. Krieg? Wer braucht schon Krieg, es reicht wenn ein Atomreaktor explodiert. All diesen Tod mit Waffen, Panzer und Raketen braucht man doch gar nicht. Die Kühltürme von Cattenom sehe ich aus fast jeder Richtung, wenn ich hier her komme. Was ist, wenn dieses Ding auch mal explodiert? Jod Tabletten schlucken? Im Keller ein Loch graben und warten bis nach 30 Jahren die Halbwertzeit sich um was; verringert hat? Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24.000 Jahren, so viel Ravioli Dosen kann kein Mensch in den Keller schleppen, um einen atomaren Supergau zu überleben. Wer braucht schon Krieg?“
Bernhard sah ihn von der Fahrerseite aus an und nickte Hannes zu „Mein lieber Hannes, du machst dir viele Gedanken und diese natürlich zurecht. Wir hatten gegen Cattenom protestiert und trotzdem wurde der Reaktor gebaut.“ „Was bei euch Cattenom ist, ist bei uns der Hunsrück. Zwar haben wir kein AKW ums Eck stehen, dafür 96 Cruise-Missile’s. Wir leben in einer atomaren Aufrüstung von Ost und West und diese reicht aus um den Planeten zigfach zu zerstören. Mit der 8. und 9. Schulklasse waren wir damals im Kino den Film „The day after“ schauen. Was bleibt uns nach einem Atomkrieg?“
Patricia saß auf der Rückbank und legte ihre Hand auf seine Schulter.
„Frankreich ist auch eine Atommacht. Wo wollt ihr eure Atomraketen hin schießen? Als NATO Partner ist es sehr unwahrscheinlich auf Deutschland zu feuern. Bleibt nur der Osten. Der Feind kommt aus dem Osten. Warum? Nur weil die Weltpolitik dies so sagt? Ich wohne am Rand vom Hunsrück und noch keine 50 Kilometer weiter sind Mittelstreckenraketen stationiert. Ramstein ist die größte US-Air Base außerhalb der USA. Alleine in Rheinland-Pfalz gibt es 6 US Flugplätze. Bei Morbach ist das größte Munitionslager in Europa. Eine Bombe reicht und Rheinland-Pfalz ist nicht mehr! Es gibt tausende Atomraketen, wie oft wollen wir damit diese Welt zerstören?“
Schweigen und nachdenkliche Blicke von Bernhard und Patricia.
„Es passiert in der nächsten Zeit etwas. Ich weiß nur noch nicht was. Unser Außenminister Genscher fliegt nur noch nach Osten und Westen. Ist der Kalte Krieg vorbei oder stehen wir an einer neuen Stufe der Eskalation?“ „Schatz, du machst dir viele Gedanken über Dinge die du nicht ändern kannst.“ „Patricia, ich weiß. Ich möchte Bildung für Kinder und weiß das ich es nicht ändern kann, allen Menschen lesen und schreiben beizubringen. Ich glaube an das Gute im Menschen und für eine bessere Welt. Warum geht dein Vater in ferne Länder um dort eine Versorgung für Menschen zu verbessern? Warum fahren wir nach Reims? Weil wir an eine bessere Welt glauben.“ „Exactement, mon chérie.“


Das Vorstellungsgespräch bei ODHI in Reims

Bernhard steuerte das Auto durch Reims und Hannes wurde langsam nervöser. Was passiert wenn dies heute nicht klappt? Ist sein Traum dann vorbei?
„Wir sind da“ sagte Bernhard und parkte vor einem vierstöckigen Bürogebäude mit verglaster Front. Am Eingang war eine ganze Armada an Briefkästen mit bestimmt zwanzig Firmenlogos und Namen zu sehen.
Ein Pförtner betätigte den Türöffner und durch ein summen entriegelte die Tür.
Sie grüßten den Mann hinter der halbrunden Theke.
Durch die in anthrazit geflieste Halle ging es nach links zu den Fahrstühlen. Hannes hielt die Hand von Patricia.
„Tout ira bien“ sagte sie zu ihm und gab ihm einen Kuss.
„Ich hoffe es.“
Im dritten Stockwerk öffnete der Fahrstuhl seine Tür. Bernhard ging nach rechts und beide folgten ihm. Am Ende vom Flur standen sie vor einer Milchglastür. Rechts neben der Tür stand auf einem Schild der Name der Organisation.

ODHI
Organisation de développement et de secours pour l’humanité et les infrastructures

Bernhard klingelte und ein Summer ertönte. Hannes schlug das Herz bis zu Hals.
Der Empfang war ein großer weißer Tresen, der dicke graue Teppich und die Holzvertäfelungen zeigen eine Eleganz in diesem Büro. Recht am Fenster stand ein Monstrum von Palme.
Bernhard grüßte die junge Frau am Empfang.
„Ah oui. Vous êtes déjà attendu“ sagte die Anfang dreißig jährige Frau. Wir werden erwartet. Na dann.
Bernhard ging nach links an drei dunkelbraunen Türen vorbei und klopft an der vierten Tür und öffnet diese auch sogleich. Hannes hatte das Gefühl, als ob Patricia ihn in den Raum zerrte.

Ein großer Raum mit einem rechteckigen Tisch von 10 Quadratmeter im gleichen Farbton wie die Türen, stand in der Mitte. Auch hier war der graue schöne Teppichboden verlegt. Am Tisch standen vierzehn Stühle, wovon drei besetzt waren. Zwei Männer und eine Frau erhoben sich. Der erste Mann war Ende fünfzig, untersetzt und hatte einen gepflegten kurzgeschnittenen Vollbart „Bonjour, je suis Jean Grizon. Je suis la directeur.“ „Salut, Nina Dupont. Ich bin für die Personalabteilung zuständig“ sagte sie in einen luxemburgischen Akzent. Nina konnte Mitte dreißig sein und war in Jeans und weißer Bluse gekleidet. Sie hatte fast gleiche Haarlänge und Farbe wie Patricia. Sie hatte eine normale Größe und war sportlich schlank.
Der andere Mann stellte sich als Stephane Dilbert vor. Er konnte im gleichen Alter wie Nina Dupont sein. Stephane war unglaublich groß und sehr schlank. Mit seinen kurzen schwarzen Haaren und Dreitragebart machte er einen sehr gepflegten Eindruck. Auf seinen Jeans trug er ein schwarzes Sakko.

Hannes bemühte sich so viel französisch zu reden wie er konnte. Nina sagte, dass er auch deutsch reden könnte. Sie und Stephane würden ihn verstehen. Bernhard übersetzte die Fragen und Antworten von Monsieur Grizon ins französische, beziehungsweise ins deutsche.

Da am letzten Montag Bernhard und Patricia schon Vorgesprochen hatten, wussten die drei Personen schon einiges über und von Hannes. So brauchte er nicht noch einmal alles zu wiederholen. Die Fragen waren oft persönlicher Natur und Interesse.
Stephane stellten die einzelnen Projekte vor, die ODHI auf zwei Kontinenten unterhielt und betreute. Da waren schon ganz schöne Projekte dabei. Kongo, Sudan, Nigeria und Kambodscha. Stephane zeigte Videos von einzelnen Projekte aus diesen Länder. Hannes war sprachlos bei solchen Bilder. Was für eine Armut und Elend es auf der Welt gab! 
„Du und Patricia wollt euch das wirklich antun?“ Fragte Stephane, als die Videos zu Ende waren.
„Oui Monsieur. Sie kennen meine Einstellung.“ „Deine Einstellung kennen alle hier im Raum. Solche Mitarbeiter brauchen wir.“ Der Puls und Herzschlag von Hannes war kurz vor der Belastungsgrenze. „Bernhard arbeitet schon einige Jahre bei uns, von daher wäre der erste und beste Schritt, dass du in seinem Team anfängst.“ Patricia fiel Hannes um den Hals und ihm kamen die Tränen.
„Ich sagte doch, alles wird gut, mon chérie.“

Im Büro von Nina wurde alles weitere besprochen, was Hannes noch besorgen sollte, welche Versicherung und bei welcher Krankenkasse er sich für die Auslandseinsätze versichern sollte. Die Policen sollte er dann einreichen, diese würde die Organisation bezahlen. Der Arbeitsvertrag war schon vorbereitet, wie auch der Personalbogen. Als Hannes den Personalbogen las, sah er zu Patricia „Du hast diese doch schon alles gewusst.“ Patricia nickte „Bien sûr! Hast dich aber sehr gut geschlagen, mon chérie.“ „Du Biest.“
Patricia gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Letzte Woche waren beide hier gewesen. Patricia und Bernhard haben so viel von dir erzählt, dass es für uns keine Frage war, dich einzustellen. Hannes, wenn alle unserer Mitarbeiter dieses Engagement wie deines hätten, könnten wir noch viel mehr bewegen. Deine Angst wegen der Sprache ist berechtigt. Da wir aber ein internationales Team sind, wird viel in englisch gesprochen. Was deine Schule anbelangt, ist doch erst mal zweitrangig. Wir haben sehr viele Mitarbeiter die auch kein Abitur haben. Nur weil man in der humanitären Hilfe arbeitet oder arbeiten möchte, braucht man kein Abitur oder Studium. Eine Krankenschwester bei Ärzte ohne Grenzen braucht dies doch auch nicht. Es zählt die Fachkompetenz und der Wille dieser Person. Patricia sagte mir, dass du in der Schule kein französisch hattest.“ „Oui. C’est vrai, Mademoiselle.“ „Respekt. Dafür hast du das Vorstellungsgespräch sehr gut hin bekommen. Alles andere kommt mit der Zeit. Du hast eine gute Lehrerin an deiner Seite.“
Patricia gab ihm erneut einen Kuss auf die Wange.
Es klopfte an der Tür von Nina. Bernhard und Jean Grizon kamen ins Büro „Na, alles geklärt?“
Nina nickte.
„Gut, dann können wir nun essen gehen“ sagte der Direktor von ODHI.

Das Restaurant war nur wenige hundert Meter vom Büro entfernt. Jean hatte vorab einen Tisch reservieren lassen. Die Gespräche am Tisch waren sehr gut. Stephane erzählte, wie er bei ODHI angefangen hatte, im welchen Ländern er schon war und er dies sehr vermisse. Seine Tochter sei nun vier Jahre alt und aus diesem Grund sei er in der Zentrale nach Reims gewechselt. Er wäre aber immer mal wieder in Westafrika oder Südostasien vor Ort. Es gäbe Mitarbeiter in der Firma, die ihre Familien in ihren Einsatzländer dabei hätten. Die Kinder seien dann auf einem Internat von Internationalen Schulen.
„Ihr werdet sehen, was für tolle Mitarbeiter wir haben. Ihr seid nicht alleine und werdet dies auch nie sein“ Stephane blickte Patricia und Hannes an „Niemand muss in einem Zelt schlafen oder Bohnensuppe aus einem Blecheimer vom Feuer essen. Es gibt Hotels, Appartements oder sogar Häuser für die Mitarbeiter. Wir haben Mitarbeiter, die alle Jahre in ein anderes Land wollen. Diese haben dann meist nur ein Appartement. Dann gibt es Mitarbeiter, die für Jahre in dem Land leben, wo sie im Einsatz sind und haben dort Häuser gekauft oder gemietet.“


Im Super Marché in Yutz

Am Dienstag war Hannes in Yutz im Super Marché einkaufen. Da er oft genug bei den Lefèvre’s war, kaufte er natürlich auch Getränke und Lebensmittel ein. Durch die Gänge schlendernd und mal hier und da etwas in den Einkaufswagen legend, hörte er auf einmal seinen Namen rufen. Durch die Aktion mit dem Feuerwehrauto am Geburtstag von Patricia wurde er in der Region zu einer kleinen Berühmtheit und so wurde er hier und da von völlig fremden Menschen gegrüßt. Hannes war mittlerweile beim Bäcker, Metzger oder auch im Super Marché bekannt. Er ging auch schon mal mit Maurice ins Feuerwehrhaus auf ein Bier oder zwei. Er lernen immer öfter neue Menschen kennen und fühlte sich immer mehr zu Hause. Mit Claude waren Patricia und er auch schon oft Billard spielen oder Bier trinken gewesen.
Die Stimme die er jetzt hörte kam ihm sehr bekannt vor. Er drehte sich um und sah am Anfang von dem Regalgang Cosima stehen. Mit ihren Hüftlangen pechschwarzen Haare, Stretch Jeans und weißer Bluse, war sie die personifizierte Frau für jedes Modelabel. Sie küsste ihn links und rechts auf die Wange und fragte, ob er mit ihr einen Kaffee trinken möchte? Ungern, dachte er bei sich. „Volontiers. Gerne doch“ sagte er aus Anstand zu ihr. „Ich mache noch schnell den Einkauf fertig, dann können wir einen Kaffee trinken gehen.“
Cosima begleitete ihn durch die Regale und sie sprachen über belangloses.

In der kleinen Cafeteria nahmen sie an einem runden Tisch platz.
„Dein Geschenk zu Patricia’s Geburtstag war der Knaller. Alle Welt hat deine Liebeserklärung gesehen.“ „Dankeschön. Beschränke es auf Lothringen.“ „Über dich wird hier sehr viel geredet – nur gutes! Ich hatte dich im Sommer am Bostalsee gar nicht so eingeschätzt.“ „Siehste mal. Der Clown den du gesehen hast, gibt es nicht mehr.“ „Non, du warst kein Clown. Du hattest nur eine verrückte Idee mit guten Gedanken. Du hattest auf einer Kuhweide von Romantik gesprochen. Ich bin ehrlich zu dir und dachte, es seien nur Texte. Heute weiß ich, dass es nichr so war.“ „Dankeschön. Jeder von euch hätte mitfahren können. Weißt du, Cosima, die Jungs und Mädels aus der Clique wollen so viel und scheitern schon bei dem ersten Schritt. Patricia war die einzige die sofort zugesagt hatte, natürlich dachte ich in dem Moment, als ich ihr Elternhaus sah, sie wollte nur ein billiges Taxi haben um von der Kuhweide zu kommen.“
Cosima nickte „Patricia hatte es dort überhaupt nicht gefallen. Sie wollte nach Hause.“ „Würde ich so nicht sagen. Sie wollte etwas erleben. Mal eine andere Frage: wie lange habt ihr dort noch gecampt?“ Cosima schüttelte den Kopf „Wir sind am Nachmittag abgereist.“ „War mir klar.“
Cosima sah ihn verwundert an.
„Was hattet ihr erwartet? Campen ist wie ein Hotel?“ „Ja und nein.“
Hannes verzog die Augen „soll heißen?“ „Ja – soll heißen: dass offensichtlich Laura und Jasmin das Wort campen und den daraus resultierenden Mangel an sanitäre und elektrische Versorgungseinrichtungen nicht bewusst war.“
Hannes nickte „Ich hatte am Rande so etwas mitbekommen. Und nun machst du die beiden dafür verantwortlich?“ Dabei sah er Cosima mit geneigtem Kopf fragend an.
„Deine Augen sagen mir, dass du mich auch zu dieser Kategorie zählst.“ Hannes nickte stumm.
„Hannes, auch wenn du mich als den Engel aus dem Orient bezeichnest, der Engel kennt auch ein Leben ohne Strom und mit Plumsklo. Meinst du bei unseren Verwandten im Iran gibt es überall Wasserhähne aus Gold?“
Hannes nahm tief Luft und wusste nicht was er jetzt sagen sollte.
„Wir sind jedes Jahr in den Iran in Urlaub geflogen und wie es sich für eine Familie gehört, haben wir natürlich auch bei den Verwandten geschlafen. Ich kenne durchgelegene Matratzen und muffige Räume. Somit ist nun auch das Nein beantwortet. Ich glaube Laura und Jasmin hatten eine völlig falsche Vorstellung von diesem Trip. Schöne Kerle am Lagerfeuer und jeden Abend mit einem anderen bumsen.“
Hannes zog die Augenbrauen hoch. „Glaubst du, dass Töcher von einem Bauunternehmer oder Professor für Medizin brav sind? Hannes, in welcher Welt lebst du? Wenn ich mich so benehmen würde, wie die beiden, hätte ich Hausarrest bis zum Ende meines Studiums und da spielt die Volljährigkeit keine Rolle oder schlimmer noch: mein Vater könnte mich in den Iran zu seiner Schwester schicken. Nathalie, Patricia, Yvonne und ich sind das krasse Gegenteil von denen. Kannst du mir jetzt glauben oder nicht. Auch dir es an Patricia’s Geburtstag nicht entgangen, wie peinlich Laura und Jasmin sind.“
Hannes verzog dem Mund. Was Cosima sagte stimmte schon. Mit Yvonne hatte er sich schon öfters unterhalten und fand sie auch sehr nett. Was Laura und Jasmin anging, naja – auf solche Menschen konnte er sehr gerne verzichten.
Hannes sah, dass Cosima am denken war und wartete auf das was sie sagen wollte.
„Du liebst Patricia sehr.“
Hannes nickte „Oui Mademoiselle. So sehr, dass es in den Zeitungen stand.“
Sie streichelte ihm am Arm „Hannes, du weißt schon das sie krank ist. Wie soll das mit euch weiter gehen? Der Krebs wird zurück kommen und dann hast du ein Pflegefall.“
Hannes fühlte sich in diesem Moment als ob ihm jemand den Boden unter den Füßen weg gezogen hatte. Er sah diese wunderschöne Frau an und musste sich beherrschen.
Er nahm tief Luft und bemühte sich, nicht zu schreien „Cosima, mein Anstand verbietet es, dir hier und jetzt eine Ohrfeige zu geben“ sagte er noch sehr gefasst. Hannes erhob sich wortlos und ging aus der Cafeteria.

Freitag, 10. November 89 im Nahetal

Der Tag war trotz der niedrigen Temperatur sehr schön. Patricia war dieses Wochenende bei Hannes im Nahetal. Eng umschlungen saßen sie auf einer Bank am Waldrand und schauten ins Tal. Der Herbst hatte die Blätter der Bäume in unzählige Farben verwandelt und die Sonne schien ihnen ins Gesicht. Patricia hatten ihren Kopf auf seiner linken Schulter liegen und hielt mit ihrer rechten Hand seine linke Hand fest.
„Mon chérie, ich bin Gott dankbar für jeden Tag mit dir. Deine Nähe tut mir so unendlich gut. Deine Liebe lässt so vieles vergessen. Bald sind wir täglich zusammen. Dann trennen uns keine 115 Kilometer mehr. Oh, chérie.“ „Oui, Madame. Je t’aime.“ „Dein französisch wird auch immer besser. Du warst und bist nicht dumm. Für mich warst du niemals ein Clown. Was du sagst, bringt andere zum Nachdenken. Deine Worte treffen immer auf den Punkt.“ „Wow! Merci beaucoup.“ „Dies meine ich. Du redest ohne darüber nachzudenken in französisch.“ „Komm Schatz, wir gehen noch einkaufen. Ich koche heute Abend für uns.“
Patricia setzte sich aufrecht hin und sah Hannes an „Apropos Einkauf: was war letzte Woche im Super Marché?“ „Wenn du die Unterhaltung mit Cosima meinst, hatte sie viel Glück das ich ihr keine gescheuert habe.“
Patricia zog die Augenbrauen hoch „Wie? Ich hörte das du sie beleidigt hast.“ Hannes drehte sich wie vom Blitz getroffen zu ihr um und sah Patricia ungläubig an „Sag … sag das noch einmal!“ „Yvonne rief mich gestern Abend an und sagte, du hättest Cosima im Super Marché getroffen und sie zu einem Kaffee eingeladen. Du hättest sie angebaggert und sie dir einen Korb gegeben. Darauf hättest du sie mit nicht schönen Worten beleidigt.“
Was er von Patricia hörte, war nicht im Ansatz wahr. Er erzählte ihr wie es wirklich war und das er bei dem letzten Satz von Cosima noch die Beherrschung über sich hatte, grenzte an ein Wunder.
„Cosima war schon immer eifersüchtig. Dies hätte ich ihr aber nie zugetraut. Ich dachte wir sind Freundinnen. Ich konnte auch nicht glauben, was Yvonne mir sagte.“ „Mir tut dies genauso weh wie dir. Ich hatte mich mit Cosima vernünftig unterhalten und gefragt wie lange sie noch auf dem Campingplatz waren. Cosima sagte, dass sie am gleichen Tag abgereist sind.“
Patricia nickte „Stimmt. Es gab schon zwei Tage zuvor Zoff mit Laura und Jasmin. Die beiden können extrem zickig sein. Hast du an meinem Geburtstag erlebt.“
„Dies hatte Cosima mir auch so gesagt und ich hatte dies auch bestätigt. Auch weiß ich von Claude so einiges über die Damen.“
Patricia schüttelte den Kopf „Bitte behalte dies für dich. Es wissen schon zu viele von deren Alkoholexzessen und Drogen auf Sexpartys.“ „Patricia, wenn ihr Freundinnen seid, solltet ihr es denen auch mal sagen und nicht schweigen. Und mal ganz ehrlich, ich möchte die beiden nicht auf meinem Geburtstag haben.“
Patricia verzog den Mund und zog die Schultern hoch „Was sollten Cosima, Yvonne oder ich denen sagen? Wenn wir etwas gesagt hatten, war der Zoff da. Beide sind alt genug um zu wissen was sie tun – oder auch nicht. Ich hatte im Zelt von Laura ein paar bunte Pillen gefunden – und dies waren keine Antibabypillen. Aus diesem Grund wollte ich auch weg. Zum Glück. Im Grunde ist Laura für unsere Liebe verantwortlich. Und um auch noch dir den Rest zu erzählen, was soll ich sagen? Wir kennen uns von der 5. Klasse an. Beide waren nicht so, wie sie heute sind. Gut, Laura war schon immer eine verzogene neureiche Göre. Wir sind die einzigen, die sie vielleicht noch auf den Boden bringen können. Jasmin ist auf Laura’s Zug aufgesprungen. Das Resultat hast du an meinem Geburtstag gesehen.“
Patricia sah ihn traurig an.
„Die typischen verlorenen Seelen.“ „Oui.“

Im Nachbarort gingen sie im Supermarkt einkaufen. Hannes wollte „Schlabberkappes“, ein Spitzkohlgericht aus dem Hunsrück, kochen. Patricia hatte bei dem Wort „Schlabberkappes“ ihre Probleme mit der Aussprache.

Im Elternhaus von Hannes war Patricia gerne gesehen. Diese kleine quirlige Person aus Lothringen hatte eine liebenswert Art an sich, die seinem Vater sehr gut gefiel. Im Wohnzimmer redete sein Vater mit ihr und sagte, dass jener Teil von Rheinland-Pfalz nach dem Krieg französisches Protektorat war. Er suchte sogar Fotos, auf denen man an den Autos französische Nummernschilder sah. Ja, auch französisch sprach sein Vater: Chaiselongue, Trottoir, Portmonee…. Hannes hätte brüllen können vor lachen, als er deren Unterhaltung im Wohnzimmer hörte.
Es war schön anzusehen, wie sein Vater Patricia ins Herz geschlossen hatte.
In der Anfangszeit ihrer Beziehung, erzählte Hannes von den Lefèvre’s und deren Haus. Es war schon anzumerken, dass seine Eltern – vielmehr seine Mutter, wie auch seine Schwestern der Meinung waren, dass dies nie gut gehen würde. Hannes dachte anfangs auch so. Das ein Haus oder Villa nichts über Menschen, deren Herz und Charakter aussagte, hatte sich längst bewiesen.
Nachdem Hannes den „Schlabberkappes“ gekocht und alle gegessen hatten, gingen er mit Patricia in das Highlight im Ort: „Die Grott“ – die Dorfdisco der 80er. Eigentlich hieß das Lokal „Blaue Grotte“ und war seit den 50er Jahren ein Ausflugs- und Tanzlokal. Die Eltern von Hannes waren früher auch dort gewesen.
„Die Grott“ war ein großer Saal der mit Pappmaché an Decke und Wänden verkleidet war, und wie die Blaue Grotte auf Capri aussehen sollte. Da auch Vorsprünge, Stalaktiten und Stalagmiten eingearbeitet waren, war dies eine Anlehnung an das Kupferbergwerk im Ort. Es war Kult am Wochenende in „Die Grott“ zu gehen. Ende der 70er kam der große Disco Boom auf und so wurden Lichtstrahler, Discokugel und DJ Pult eingebaut. Mitte der 80er Jahre war es in diesem Lokal so voll, dass man zeitweise hätte nicht umfallen können.
Wenn Patricia bei ihren Freunden von dieser Disco erzählte, hatte jeder große Augen gemacht. Natürlich war dies alles mal liebevoll eingebaut und hatte auch seinen Reiz – es blieb trotzdem eine Dorfdisco.

Da das Elternhaus von Hannes in einer Sackgasse stand und diese Straße auch noch etwas schmal war, mussten öfters Autos wie bei einem Bildschuppspuzzle hin und her gefahren werden. So war es völlig normal, dass im Esszimmer auf einer Ablage alle Schlüssel von den Autos lagen, die nicht in die zwei Garagen passten. Im Elternhaus von Hannes wohnten auch noch seine beiden Schwestern und deren Freund, bzw. Mann. Mit 5 Autos in einem Haus, wurde es auf der kleinen Straße mitunter recht eng. Wenn Patricia bei ihm war, kam ihr Auto noch hinzu.

Patricia weckte Hannes am frühen Sonntagmorgen und war völlig aufgelöst „Mein Auto wurde geklaut!“ „Ach Schatz, niemand klaut hier im Ort ein Auto.“ „Es steht nicht mehr auf der Straße!“ „Ja, dann ist es weg.“
Patricia hörte nicht auf sich Sorgen um ihr Auto zu machen, bis Hannes sich endlich anzog, um das Auto zu suchen.
In der Garage wurde er fündig.
Sein Vater hatte „mal eben“ nach dem Auto geschaut. Zündkerzen, Keilriemen, Ölwechsel, Handbremsseil und die Vorderachse neue Bremsbeläge eingebaut. Ach ja, Scheibenwischer auch erneuert.
So war sein Vater. Nicht lange reden – machen. Da er von Beruf Maschinenschlosser war und an allen möglichen Baumaschinen auf seiner Arbeit schraubte und reparierte, war natürlich auch zu Hause alles an Autozubehör und Werkzeug in der Garage.


Freitag, 24. November 89
Aufbruch in ein neues Leben

Hannes hatte seinen Job gekündigt und nahm noch seinem Resturlaub in Anspruch. Im neuen Jahr würde für ihn ein ganz neuer Lebensabschnitt beginnen. In diesem Jahr hatte er noch etwas besonderes vor. Nur wusste er noch nicht, wie er es anstellen sollte. Hannes sortierte alle seine Papiere die er im nächsten Jahr brauchte. In einem Ordner waren Vollmachten für sein Vater für die Bank und Versicherung. Ob er sein Auto verkaufen oder nur abmelden wollte, wusste er noch nicht. Vorsorglich ließ er alles weiterlaufen wie gehabt, denn er wusste nicht ob die humanitäre Hilfe nicht zu einem Alptraum werden würde und er in drei Monaten zurück kommen würde. Von seiner Firma hatte er die Zusage bekommen, dass er jederzeit dort wieder anfangen könnte. Der zweite Chef der Firma, und sein Vorgesetzter, bedauerte seine Kündigung und war auf der anderen Seite stolz auf die Entscheidung von Hannes.
Zwischen all seinem Chaos an Papiere und Ordner fiel ihm ein kleiner Zettel in die Hand. Handschriftlich stand eine Adresse darauf geschrieben. Lange schaute er dieses kleine Zettelchen an. Danke Gott!

Es wurde Zeit auf widerstehen zu sagen. Auf widerstehen von zu Hause, von Freunde und der Heimat. Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt. Hannes fühlte sich in Lothringen wohl. Seit fast einem halben Jahr war er fast jedes Wochenende in Thionville. Er hatte dort Freunde gefunden, seine große Liebe und eine Familie, die ihn wie einen Sohn aufgenommen hatte.
Die letzten Monate waren eine unglaubliche Zeit, wie er es sich niemals hätte vorstellen können. Aus einer spontane Idee oder Verrücktheit heraus, lernte er die unglaublichste Frau seines Lebens kennen.

In der kleinen Küche saß Hannes mit seiner Mutter beim Mittagessen. Er sah ihr an, dass sie traurig war. Er wollte nicht nochmals seinen Schritt erklären, es würde sich auch beim hundertsten mal an seiner Entscheidung nichts ändern.
Die Küchenuhr zeigte 13.37 Uhr.
„Mama, ich muss fahren. Ich soll vor 14 Uhr noch zu Jürgen in die Praxis kommen. Ich bekomme heute meine letzte Impfung.“

Hannes stellte seinen Koffer und eine Reisetasche in den Kofferraum von seinem Auto und wurde wehmütig.
Seine Mutter kam ans Auto „Hast du alles?“
Er sah sie an und zog die Schultern hoch „Materiell passt mein Leben in einen Koffer. Die Erinnerungen an so vieles könnte ich gar nicht alle einpacken. Mama, ich stehe vor einem großen Schritt in ein neues Leben. Ob es mir gelingt – weiß ich nicht. Vielleicht bringe ich in drei Monaten einen Koffer an schönen Erinnerung oder einen mit Alpträume zurück. Ich weiß es nicht.“
Seine Mutter sah ihn wortlos an.
„Egal wie es wird und was auf mich zukommt, ich habe mich für diesen Schritt entschlossen und ich bin bereit diesen auch zu gehen. Mit Patricia würde ich an jeden Punkt dieser Welt gehen. Ich liebte diese Frau so sehr, dass ich mein Leben für sie geben würde. Natürlich habe ich mich typisieren gelassen. Es wäre ein Wunder gewesen wenn meine Stammzellen gepasst hätten. Die Menschen spalten Atome, haben Physik neubestimmt und fliegen in den Weltraum. Leukämie bekommen sie nicht in den Griff. Ist die Menschheit wirklich so schlau oder waren die großen Errungenschaften nur Zufälle?“

Um 13.55 Uhr klingelte Hannes an der Haustür von seinem Hausarzt. Über die Gegensprechanlage hörte er die Stimme von Gabi, der Frau vom Doktor „Komm hoch.“
Jürgen war in seinem Arbeitszimmer und stand an einem Bücherregal. Ohne sich umzudrehen sagte er „Ich habe noch zwei gute Bücher von meiner Doktorarbeit gefunden, die schenke ich dir.“ Jürgen drehte sich um und nickte ihm zu „Bist du bereit?“ „Ja, bin ich.“ „Deine neusten Blutwerte sind da. Es ist alles in Ordnung. Cholesterin ist etwas erhöht, aber in Asien geht dieser Wert schnell runter. Wenn irgend etwas sein sollte und du dich nicht gut fühlst oder Fieber bekommen solltest – ruf mich an.“

Die Fahrt von seinem Ort an der Nahe, wo er nun neunzehn Jahre gelebt hatte, nach Thionville war eine andere. Es werden keine 125 Stunde oder 7500 Minuten bis zum Wochenende mehr sein. Ab heute würde er mit Patricia täglich zusammen sein.

Gegen 16 Uhr war er in Thionville angekommen. Franziska war im Arbeitszimmer und bügelte, als er ins Haus kam. Sie sah ihn glücklich an „Hannes, schön das du da bist.“ Sie nahm ihn in die Arme. Franziska wurde in den letzten Wochen wie eine Mutter für ihn. Er konnte mit ihr über sehr vieles reden, sie lernte mit ihm französisch, wäschte und bügelte seine Kleider.
Hannes erzählte ihr, was er dieses Jahr noch vor hatte und ob sie dies für eine gute Idee hielt.
„Hannes! Das freut mich so. Du weißt wie sehr ich dich mag.“ „Wo ist Patricia überhaupt?“ „Sie ist vor zehn Minuten nach Hayange gefahren um Maurice abzuholen. Sein Moped macht mal wieder Stress.“ „Ich schau‘ mir das Ding mal wieder an. Soll ich noch einkaufen fahren?“ „Wäre schön, dann kann ich in Ruhe bügeln und das Abendessen vorbereiten.“ „Ich räume mein Auto noch aus, dann hab ich Platz für den Einkauf.“ „Quatsch, fahr mit meinem Auto. Der Schlüssel liegt im Flur auf dem Sideboard. Bring noch bitte Mineralwasser mit.“


Begegnung mit dem personifizierten Supermodel

Hannes fuhr die paar Kilometer nach Yutz zum Super Marché. In der Obst und Gemüseabteilung sah er die Silhouette von Cosima – dem personifizierten Supermodel. Sollte er sie erfolgreich ignorieren oder ansprechen? Er beließ es bei erfolgreich ignorieren. Drei Regalgänge weiter konnte er sie nicht mehr mit ignorieren, denn Cosima kam von links und er von rechts. Als Cosima ihn sah, wusste sie nicht wie sie reagieren sollte.
„Salut Cosima“ „Salut Hannes“ „Cosima, wir sollten etwas klären!“
Sie schaute zu Boden, die Begegnung war ihr offensichtlich sehr peinlich.
„Cosima, ich möchte kein Streit oder Hass. Es war nicht schön, was du Yvonne über mich erzählt hattest. Warum du dies getan hast, erklärt sich mir nicht.“ „Es tut mir sehr leid“ sagte sie leise.
„Cosima, wir können über alles reden, nur mag ich nicht, wenn Lügen über mich verbreitet werden. Mittlerweile bin ich hier bekannt und habe auch Freunde aus der Umgebung.“ „Es tut mir leid.“ „Sagtest du bereits. Bringt uns aber nicht weiter.“
Sie sah ihn an und nahm tief Luft „Ich war eifersüchtig. Auf dich, auf Patricia, auf eigentlich alles. Du hast ihr eine Liebeserklärung gemacht, von der jede Frau nur träumen kann. Du kümmerst dich um sie und gehst sogar mit ihr nach Südostasien.“ „Soll vorkommen, wenn man sich liebt“ sagte er schnippisch.
„Mir hat noch kein Mann so seine Liebe erklärt wie du es geta…“ „Cosima, STOP! Was hat dies mit deinen Lügen über mich zu tun? Ich kann doch nichts dafür, dass du dich nicht geliebt fühlst. Du bist in meinen Augen die schönste Frau in Frankreich. Du kannst alle Männer dieser Welt haben.“
Cosima sah ihn aufrichtig an „Schönes Kompliment, dankeschön. Ich habe gelogen, weil ich wollte das ihr euch trennt.“
Hannes war wie vor den Kopf geschlagen als er dies hörte „Warum?“
„Weil ihr glücklich seid.“
Hannes riss die Augen auf „Weil, … weil wir glücklich sind? Sag mal geht’s noch?! Der einzige der uns trennen kann, ist der Tod. Sei froh, dass du gesund bist.“
Sie sah ihn erschrocken an.
„Wir wissen beide, dass Patricia krank ist und irgendwann … der … der Zeitpunkt kommt…, den wir versuchen täglich auszublenden. Glaub mir, leicht ist es nicht.“
„Hannes…“ hauchte sie und hatte Tränen in den Augen.
„Ich habe mich für Patricia entschieden, als ich von ihrer Krankheit noch nichts wusste. Nun weiß ich es und bleibe trotz – oder wegen dem bei ihr.“ „Du hast eine solche Stärke in dir.“ „Danke. Cosima, ich mag dich. Ich hatte dich auch falsch eingeschätzt, dies gebe ich zu. Bei unserer letzten Unterhaltung hattest du mir ein Bild von dir gezeigt, dass ich nicht kannte. Ich habe dich in die gleiche Schublade gesteckt wie Laura und Jasmin. Dies tut mir leid und dafür entschuldige ich mich auch. Patricia hatte mir bestätigt, dass du definitiv nicht so bist wie die beiden Schnäpfen. Wie schon gesagt, ich mag dich und ich schätze die Unterhaltungen mit dir. Nur hast du beim letzte viertel der Unterhaltung gelogen und du hast mich schlecht gemacht.“
Cosima senkte ihren Blick und nickte.
„Hannes, es tut mir leid. Bitte verzeih mir“
Cosima sah ihn an und hatte noch mehr Tränen in den Augen. Ihr tat es wirklich sehr leid und Hannes wollte nun auch nicht weiter auf diesem Fehler herum hacken.
„Cosima, auch du wirst einen Mann finden, der dich von Herzen liebt. Eifersucht bringt dich aber nicht weiter. Es tut dir im Herz genau so weh, wie du anderen weh tust. Lass uns Freunde bleiben und alles was war vergessen.“
Sie sah ihn an und nickte „Danke, danke für deine Worte.“
Hannes nahm sie in die Arme und drücke sie an sich „Ich verstehe dich auch ein Stück weit. Du bist wunderschön, begehrenswert und klug. Die Männer die dich lieben, lieben deine Schönheit. Sie zeigen sich gerne mit dir und führen deine Schönheit anderen vor – nicht aber die Person Cosima Schayani. Liebe, tiefe- oder wahre Liebe, ist dies nicht.“
Cosima nickte langsam „Oui. Tu as raison.“ „Ja, ich weiß, dass ich recht habe. Cosima, dies ist der Preis deiner Schönheit.“
Sie weinte und legten ihren Kopf an seinen. Hannes streichelte ihr über den Rücken und gab ihr einen Kuss.
„Lass uns Freunde bleiben.“ „Oui. Du bist ein wunderbarer Mensch. Patricia hat dich mehr als verdient.“ „Dankeschön. Komm, lass uns Kaffee trinken gehen. Ich lade dich ein. Engel aus dem Orient.“


Auf nach Fréjus

Nach dem Abendessen wollte Bernhard mit Hannes mal wieder Tischtennis spielen. Im dritten Stockwerk vom Haus war genügend Platz für so einiges an Freizeitaktivitäten. Bernhard war beim Tischtennis ein guter Gegner. Mit der Zeit wurde Hannes auch immer besser und so wurden die Partien der beiden immer länger und anstrengender.
Nach dem Spiel saßen sie bei einem Bier auf der Rundcouch in dem Freizeitraum.
„Franziska hat mir erzählt, was du vor hast, finde ich gut – sehr gut sogar. Du kannst mein Auto haben.“ „Dankeschön.“ „Du bist wie ein Sohn für uns. Als Franziska mir im Sommer von dir erzählte, konnte oder wollte ich vieles nicht glauben. In den letzten Wochen konnte ich mich jedes Wochenende davon überzeugen, was Franziska sagte. Mach dir mit Kambodscha nicht so viele Gedanken, es ist alles nicht so schlimm. Du lernst schnell und ich bin ja auch noch da. Mein Team wirst du noch kennenlernen. Sie sind alle in Ordnung – wirst du schon sehen. Wie Stephane schon gesagt hatte, ihr seid nie alleine. Wir lassen niemand im Regen stehen.“ „Im Oktober hatte ich mir in Idar-Oberstein in der Buchhandlung ein Wörterbuch und Reiseführer über Kambodscha gekauft. Ich möchte nicht ganz unvorbereitet nach Kambodscha gehen. Khgnom yul tedj,- ich verstehe nur ein wenig.“ „Très bien. Tu me surprend.“
„Merci beaucoup. Im überraschen bin ich gut.“

„Ach, kommt Monsieur auch mal wieder zu mir?“ Patricia lag auf der Couch in ihrem Zimmer und schaute Fernsehen.
„Salut, Prinzessin. Ich hatte mit deinem Vater Tischtennis gespielt. Du hättest ja auch hoch kommen können.“ „Nein. Ich wollte euch alleine lassen. Hast du Bier getrunken?“ „Oui Madame.“ „Ich hätte Lust auf einen guten Wein.“ „Gut, ich geh eine Flasche in den Keller holen. Rosè?“ „Oui, s’il vous plaît.“

Zusammen kuschelten sie auf der Couch, schauten einen französischen Spielfilm und tranken Wein.
„Bald ist Weihnachten. Ich habe keine Ahnung was ich euch schenken könnte. Immer diese Erwartungen von schenken. Ich schenke dir etwas und du mir, ist doch eigentlich völliger Unsinn.“ „Ich weiß. Wir haben dieses hin und her beschenke seit langem nicht mehr. Als Kinder war es natürlich super und auch schön. Nun feiern wir Weihnachten ganz ruhig. Mit Essen, Kerzen, Weihnachtsbaum und Gemütlichkeit. Also brauchst du dir über Geschenke keine Sorgen zu machen. Ich habe schon das größte Geschenk bekommen. Für mich ist täglich Weihnachten. Da du jetzt auch hier wohnst, noch viel viel mehr.“ „Ich wollte vor oder nach Weihnachten noch einmal nach Hause fahren. Oder sollen wir meine Eltern zu euch einladen?“ „Würden sie kommen?“
„Mein Vater sofort. Bei meiner Mutter bin ich mir nicht sicher. Sie meint ja immer noch, dass ihr etwas „besseres“ seid.“ „Oh mon chérie, nur weil ich Abi habe und in einer Villa wohne?“ „Ich weiß. Lass gut sein. Ich frage sie nochmal. Mehr kann ich nicht tun. Lass uns noch ein Glas Wein trinken.“

Zurück ans Meer

Hannes konnte sich an dieser Frau nicht satt sehen, Patricia lag mal wieder quer im Bett und hatte ein sehr verführerischen Negligee in traupe-rosé an. Behutsam streichelte er ihren zarten Körper. Er wollte sie schlafen lassen und trotzdem berühren.
„Es ist schön, deine Nähe zu spüren. Mach weiter“ sagte Patricia verschlafen.
„Ich wollte dich nicht wecken.“ „Ich weiß. Du bist so fürsorglich zu mir. Das tut der Seele gut. Du tust mir gut.“ „Patricia, ich würde mein Leben für dich geben.“
Sie drehte sich zu ihm um, gab ihm einen Kuss und sagte leise „Ich weiß.“
Patricia umarmte ihn ganz fest und fing an ihn mit ihren zarten Händen zu streicheln. Es war Erotik pur und der Beginn von einem wunderschönen Sex.

Langsam kam das Morgengrauen an diesem Dezembertag. Sie lagen eng und nackt im Bett.
„Patricia, bevor wir nach Kambodscha gehen, würde ich noch mit dir ans Meer fahren.“ „Ans Meer? Im Dezember? Welches Meer meinst du?“ „Du weißt genau welches Meer ich meine. Patricia, ich möchte nochmal zum Anfang zurück.“ „Oui. Lass uns ans Meer fahren“ sagte sie verträumt.

Bei Frühstück sagte Hannes, was sie vorhatten. Ganz überraschend tuend sagte Bernhard „Toll! Ihr könnt mit meinem Auto fahren. Eine so lange Strecke fährt sich mit einem guten Auto doch besser.“ „Papa, c’est très gentil de ta part“ sagte Patricia, sprang auf und umarmte ihren Vater. Er machte ein Augenzwinkern zu Hannes.

Patricia rannte aus der Küche in ihr Zimmer und packte in Rekordzeit eine Reisetasche. Hannes hatte seinen Cappuccino noch nicht getrunken, da stand sie wieder in der Küche.
„Allons-y. Venir. Komm. Los. Genug Kaffee getrunken. Auf ans Meer.“
Das war seine Patricia. Alles sofort, jetzt und gleich. Keine fünf Minuten später fuhr Patricia mit dem BMW von ihren Vater aus der Garage.

„Du musst nicht so rasen. Das Meer läuft nicht weg.“ „Ich möchte gleich nach Fréjus. Wenn ich schneller fahre, sind wir früher da.“ „Nach der Physik und Berechnungsgrundlage von Geschwindigkeit mal Strecke geteilt durch…“
Sie boxte ihm gegen seinen linken Arm.
„Du könntest aber noch schneller fahren, dann schaffen wir vielleicht das Raum-Zeit-Kontinuum zu überwinden und sind gestern schon da.“
Und wieder bekam er eine geboxt. Sie nahm seine Hand und küsste sie „Sind wir verrückt, mon chérie?“ „Nein. Wir sind verliebt, jung und nicht so wie andere.“ „Meinst du, Peter lässt uns wieder bei sich wohnen?“ „Warum nicht? Er hatte sich doch sehr gefreut, dass wir noch zwei Tage bei ihm blieben.“

In etwas über drei Stunden war Patricia bereits bei Màcon – die hälfte der Strecke. Essen wollten sie nichts. Patricia kauften an einer Tankstelle vier Croissants und zwei Dosen Coca-Cola.
Nach dem tanken fuhr Hannes weiter. Er fuhr eine etwas höhere Geschwindigkeit als sie. Patricia wollte so schnell wie möglich nach Fréjus. Diesmal schlief sie nicht. Sie hatte ihren Kopf auf seiner rechten Schulter liegen und redete über dies und das. Erinnerungen von der ersten Fahrt kamen immer wieder hoch. Die Wegweiser mit den Entfernungen nach Marseille und Aix-en-Provence wurden immer weniger. Bald kamen schon Schilder mit der Aufschrift: Fréjus, Cannes, Nizza. Fréjus 35 Kilometer.

In 6 Stunden und 11 Minuten waren sie fast 900 Kilometer „geflogen“.
Hannes lenkte das Auto in die Nachbarstraße von Peter’s Haus.
Patricia zog Hannes an der Hand um die zwei Häuserecken auf das Haus von Peter zu. Sie klingelte und wurde nach 5 Sekunden schon nervös und wollte wieder klingeln.
„Jetzt wartet doch mal. Er ist ein alter Mann.“ „Und wenn er nicht da ist?“
5 Sekunden später klingelte sie wieder. Im Haus hörte man geschimpfe auf französisch. Die Tür bewegte sich langsam und Patricia fiel Peter um den Hals.
„Natürlich. Ich kenne niemand der so viel Wind macht wie du. Hallo mein Kind, komm doch rein. Ach, du bist drin“ er gab ihr einen Kuss auf die Stirn
„Hannes, mein Sohn. Schön dich zu sehen.“
Beide umarmten sich.

In der Küche bei einem Rotwein, der diesmal “nur“ 26 Jahre alt war, unterhielten sich die drei über die Ereignisse der letzten sechs Monate.
„Ja, ich hatte die Liebeserklärung von Hannes gesehen“ sagte Peter.
Beide sahen Peter ungläubig an.
„Es kam im Fernsehen. Bei einem Boulevard Magazin auf France 1. Ihr beide seid Romeo und Julia aus Lothringen.“
Dies hatten beide nicht gewusst, dass seine Liebeserklärung in ganz Frankreich bekannt war.
Der Abend wurde mal wieder spät. Mit guten Gesprächen und noch einer Flasche Wein war es nach Mitternacht, bis alle im Bett waren.