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Ich fühle immer zu viel

Ich fühle immer zu viel und am Ende tut es nur noch weh.
Ich lache immer zu viel und bekomme gesagt, du bist peinlich und albern.
Ich liebe immer zu viel und bekomme trotzdem die Schläge ab.
Ich vermisse immer zu viel und spüre die Traurigkeit zu oft.
Ich leide immer zu viel und keiner sieht die Einsamkeit im Herz.
Ich lebe.
Ich fühle immer zu viel und sehe das Menschen meine Gefühle teilen.
Ich lache immer zu viel und bekomme Momente des Lächelns zurück.
Ich liebe immer zu viel und bekomme Geborgenheit zurück.
Ich vermisse immer zu viel und merke das mir an Güte nichts fehlt.
Ich leide immer zu viel und weiß das ich getragen werden.
Ich lebe.
Ich lebe immer zu viel.
Ich lebe immer fröhlich.
Ich lebe immer liebevoll.
Ich lebe immer geborgen.
Ich lebe immer begeistert.
Ich lebe.

Naike Juchem 30. Oktober 2018

Seine Träume sollte man aber nie aus den Augen verlieren.

Ich würde keine Seiten aus dem Buch meines Lebens reißen.
Die Seiten, die ich umgeblättert habe, sind Lektionen, die ich gelernt habe.

Jeder von uns hat sein eigenes Buch des Lebens und jeder sollte damit umgehen können. Das Leben ist nicht immer Sonnenschein. Man selbst denkt, das Leben ist nur durchwachsen, trüb und trist. Warum denkt man so? Die Welt kann die eigenen Probleme nicht lösen. Man muss selbst anfangen etwas zu ändern.

Mein Leben glich und gleicht  einer Achterbahnfahrt. Von ganz oben ging es mit einem Affentempo auch schon mehrmals steil nach unten – sogar bis haarscharf in die Obdachlosigkeit.

47 Jahre war ich auf der Suche nach mir.
Wenn man Jahrzehnte einen Seelenschmerz und tausende Fragen hat, ist es eine Befreiung von unglaublich vielen Ängsten einen neuen Schritt in ein neues Leben zu machen. Als mir 2012 alles genommen wurde, was ich liebte, zerbrach mein Leben – und kostete dies fast auch. In einer völligen Verzweiflung kam nach Jahrzehnten auch wieder die Frage auf: Wer bin ich? Fast fünf Jahre war ich intensiv auf der Suche nach dieser Antwort.
Wer bin ich? Diese Frage stellte einst Robert Lembke in einer Raterunde im Fernsehen und steckte bei jeder falschen Antwort 5 Mark in ein Sparschwein.
Who I am? Ist der Titel von einem Buch, welches ich vor zig Jahren gelesen habe und ich auch dort keine Antworten für mich fand. Es wurden von einer US Studie staubtrockene wissenschaftliche Abhandlungen rezitiert, welche ich im weitläufigen auf mich beziehen konnt – es aber auch genau so gut eine Anleitung zum bau eines Bügeleisen sein konnt.

Wer bin ich – oder besser gefragt: Was bin ich? Nun, zum ersten bin ich Mensch. Ein Mensch, der irgendwann „anders“ ist und trotzdem normal. Ich weiß noch genau, als ich mich 2017 öffentlich geoutet hatte und eine Freundin schrieb: „Endlich hast du dein Äußeres deinem Inneren angepasst.“ Nette Worte die eigentlich alles aussagen.
In meinem inneren war ich schon immer Frau. Nach außen konnte ich es nie zeigen.

Die Flucht vor mir

In all den Jahrzehnten meines Lebens bin ich vor mir selbst geflohen und hatte trotzdem immer den Kopf voller Ideen gehabt. Dies Ideen und Gedanken brauchte ich wohl, um nicht an das zu denken was in mir ist – oder wer ich bin. Es war nicht die Angst nach der Ungewissheit die mich als „Hansdampf in allen Gassen“ (sagte mal ein ehemaliger Chef zu mir) umhertrieb, sondern das nicht verstehen meiner Gefühle. Ich konnte mitunter schon sehr jähzonig sein.
Erst 2016 habe ich begriffen, dass ich eine Transidentität habe und somit zu jenem 1% der Weltbevölkerung gehöre, bei denen die Chromosomen Mikado spielten.
Nun stand ich dummer Junge da und wusste keinen Rat mehr. Wen hätte ich fragen sollen? Welche Fragen solte ich den überhaupt stellen? Diese Entscheidung nahm mir eine Frau ab, die gleiches Leben hat wie ich. Petra erzählte mir damals in Saarbrücken von ihrem Leben. Als sie geendet hatte, sagte ich ihr dass sie gerade mein Leben erzählte. Ich war an diesem Abend einen Schritt weiter gekommen.

Die Schritte in ein neues Leben oder einen Alptraum

Mit der Erkenntnis, dass ich eine Transidentität habe, wurde das Leben nicht besser. Nun kamen Fragen und Ängste hinzu, die mich in eine Depression führten – einen  weiteren Suizidversuch hatte ich bereits hinter mir. Bei dem letzten Versuch mein Leben zu beenden war mein Hund war maßgeblich an dem Abbruch meines Vorhabens beteiligt. Mira bellte an jenem Augusttag wie blöd und lies nicht locker, bis im Flur meines Hauses auf dem Boden lag und bitterlich weinte.
„Jesus, zu dir kann ich kommen wie ich bin“ kam mir in den Sinn als eine unglaubliche Kraft auf meine Brust drückte und ich kaum noch atmen konnte. Wenn Jesus zu diesen Worten steht, werden meine nächsten Schritte wohl nicht so schlimm werden.
Die Angst vor der Ächtung der Gesellschaft war natürlich sehr groß und so existiert ich tagein tagaus ohne zu leben. Natürlich hätte ich in eine andere Stadt unziehen können, um dort meinen ersten Schritt in ein neues Leben zu beginnen. Dann wäre ich aber mal wieder vor mir selbst weggelaufen.
Ich begann heimlich als Naike zu leben. Die wenigen Momente sich als Naike frei zu fühlen, waren schön – aber nicht die Erfüllung meines Lebens. Um nicht in ein weiteres tiefes schwarzen Loch der Depression zu fallen, setzte ich mir selbst eine Grenze und nahm all meinen Mut und stellte mich der Realität draußen vor der Haustür.
Der Alptraum des Verlust von Freunden, Bekannten,  Familie, Job und Existenz war sehr groß und ließ mich zweifeln, ob ich wohl diesen Schritt gehen soll – oder muss. Mein Herz sagte mir, dass ich diesen Weg gehen muss – egal welche Konsequenzen kommen werden.

„Du entscheidest eines Tages oder Tag eins“

Dieser banale Spruch las ich bei scrollen auf Facebook. Dieser Satz brannte sich mir so ein, dass der 26. August 2017 mein Tag eins wurde. Ab diesem Tag gab es für mich kein zurück mehr. Naike wurde lebendig und stellte sich dem Strum entgegen – na ja, es war am Ende nur ein laues Lüftchen. Natürlich gab – und gibt es Menschen die mein Leben nicht verstehen wollen oder können und somit viel dummes Zeug über mich in der Welt verbreiten.
Was ich in alle meinen Jahren erlebt und durchlebt habe, sollten jene Personen erstmal durchleben. Geht doch mal meinen Weg, bevor ihr über mich urteilt – ohne jemals persönlich mit mir gesprochen zu haben.
Jene wenigen nicht gerade intelligente Menschen sehe ich als Nebengeräusche.
In nur acht Monaten zog ich meine neue Identität durch. Von der gesetzlichen Vorlage eines Therapeuten und zwei Gutachter, beginn der Hormontherapie und bis zum Gerichtstermin für die Personenstandsänderung gab ich Vollgas – Hansdampf in allen Gassen.
Am 16. August 2018 wurde der Beschluss bezüglich meiner Personenstandsänderung vom Amtsgericht Frankenthal
rechtskräftig und mein Leben begann offiziell als Naike.
Nach 47 Jahren konnte mein innerlicher Druck endlich weichen und ich merkte täglich, dass ich ruhiger wurde.

Ohne Dampf kein Vorankommen

Ich war an einem Punkt, wo das Leben die Weichen stellt und es ging von der Tingelbahn auf die TGV Strecke – ICE kann jeder.
Ich habe viele Jahre meines Lebens am absoluten Limit gelebt und gearbeitet. Ich war wohl schon immer ein „Hansdampf in allen Gassen“ und erlebte meine zweite Pubertät in einer Schallgeschwindigkeit von gerade mal vier Monaten.
In meinem Buch des Lebens gibt es auch ein paar Menschen, die täglich der Meinung sind, mir in irgendeiner Weise schaden zu müssen. Offensichtlich haben jene Person nicht begriffen, welches Rückgrat ich habe. Nebengeräusche sind auf die Dauer schon blöd und äußerst nervig.

In den vergangenen Jahren als Naike habe ich vieles erlebt, was ich nie zu träumen gewagt hätte. Gespräche und Treffen mit den unterschiedlichsten Menschen haben mein Leben sehr bereichert. Auch wenn ich mein äußeres geändert habe, bleibt mein Charakter gleich. Dies haben viele dieser Menschen gesehen und schätzen mich wohl auch dafür. Meine Gedanken, Meinung und die Sicht der Dinge schreibe ich in vielen Texten. Ob nun Gedichte, Prosatexte, Fach- oder Sachartikel, bis hin zu einem Roman in dem ich u.a. mein früheres Leben verarbeite. Was anfänglich nur in Social Media war, wurde im Juni 2021 auf meinem Blog auf WordPress nochmals gefestigt. Ich habe in den vergangenen Jahren weit über 600 Artikel, Texte und Gedanken geschrieben – und ein Ende ist nicht in Sicht. Am Jahresende von 2021 wurden meine Texte auf meinem Blog in 68 Ländern gelesen. Mittlerweile sind es 76 Länder.
Mein Wunsch ist es, dass ich irgendwann einmal von dem leben kann, was ich schreibe. Ob mir dies gelingt, kann ich nicht sagen. Seine Träume sollte man aber nie aus den Augen verlieren.

Ich danke für die Aufmerksamkeit

Mit freundlichen Grüßen

Naike