
Die Geburtshelfer. Auszug aus Kapitel 41
Mit Pepsi, Eiskaffe und Krabbenchips lagen sie am „Europa Platz“ auf dem Boden der Holzhütten. Patricia erzählte ihrer Familie von den Anfängen in Kampang Rou und woher der „Europa Platz“ seinen Namen hat. Annabell, Maurice und Claude hörten ihr aufmerksam und gebannt zu
Hannes hatte seine Augen geschlossen und dachte an die wahrlich turbulente Zeit. Sylvie grinste hin und wieder, denn sie kannte vieles schon von Patricia oder Hannes. Sylvie lag in der Holzhütte, wo Clodette, Hannes und Franziska auf Strohmatten lagen. Sylvie setzte sich wie von einer Tarantel gestochen auf und schlug Hannes gegen den Oberarm „Hast du dies eben auch gehört?“ Hannes nickte „Ja, eine Kuh hat gemuht.“ Sylvie schüttelte den Kopf „Nein! Sie hat geschrien.“ Hannes setzte sich auf und lauschte. Er hörte nichts. „Jetzt. Hörst du?“ Frage Sylvie nach einiger Zeit und sah ihn an. „Ja. Komm, wir gehen schauen was los ist.“ Im nächste Moment war es kein muhen mehr, sondern ein brüllen. Sylvie rannte zum Ausgang vom „Europa Platz“, um an die Weide zu kommen. Hannes rannte ihr hinterher. Als er bei Kannitha um die Ecke lief, sah er, dass die anderen ihnen folgten. An der Kreuzung zur Weide hatte Hannes Sylvie eingeholt und beide rannten die 200 Meter die Piste hoch zur Weide. Eine Kuh schrie fürchterlich und Hannes dachte an einen Unfall.
Er riss das Gatter zur Weide auf und sah oberhalb vom Stall an dem zweiten Baum eine Kuh stehen, die fürchterliche Schmerzen haben musste.
„Die Kuh hält ihren Schwanz waagerecht, Hannes, sie kalbt. Dies ist ein sicheres Zeichen für den Beginn der Geburt. Irgendetwas stimmt nicht, sonst würde die Kuh nicht so schreien.“
Sylvie lief auf die Kuh zu und wenige Meter vor der Kuh ging sie langsam und redete ruhig. Sie gab mit ihrer rechten Hand Zeichen, dass Hannes sich ruhig bewegen sollte. „Schnelle Bewegungen sind in dieser Phase Stress für die Kühe. Geh langsam und rede ruhig mit ihr. Hannes sagte der Kuh auf khmer, dass alles gut sei, sie ruhig bleiben sollte und sie Hilfe bekommen würde. „Stell dich vor sie. Sie kennt dich. Sie soll dich sehen. Rede weiter.“ Hannes tat was Sylvie ihm auftrug.
Sylvie ging langsam um die Kuh herum. Sie streichelte die Kuh und fühlte mit ihren Händen an ihrem Bauch. „Hannes, das Kalb liegt falsch im Mutterbauch.“
„Was?!“
Mittlerweile waren die anderen auch auf der Weide und Sylvie sagte auch ihnen, dass sie sich langsam bewegen sollten, oder auf Abstand bleiben.
„Bei einer Geburt ist die Stellung der Wirbelsäule bei der Mutter ein guter Bezugspunkt. Eine obere Stellung bedeutet, dass der Rücken des Kalbes zum Rücken der Mutter liegt. Hier sehe ich dies nicht. Dieses Kalb liegt mit den Beinen nach oben. Hannes, dass Kalb kann so nicht geboren werden. Wir müssen das Kalb drehen.“ „Was immer du sagst.“
Sylvie schaute sich die Scheide, den Rücken und Bauch der Mutterkuh an „Verdammt. Dies wird heikel. Wir brauchen Wasser – lauwarm am besten. Tücher und Seile.“ „Im Stall sind Eimer, für das Futter. Seile habe ich keine.“ „Okay. Bringt die Eimer aus dem Stall – schnell. Patricia, ich brauche Tücher, Seile, Margarine oder irgendetwas was ich als Gleitmittel benutzen kann. Seife reichte auch und davon mehr als eine.“ Patricia nickte und rannte zu Kannitha.
Claude und Maurice brachten die 4 Eimer, die im Stall an einer Wand hingen. „Sind das alle?“ Hannes nickte. „Wir brauchen mehr. Die Kuh sollte Fressen und Wasser bekommen. Hannes, wie lange waren wir spazieren gewesen?“ „Keine Ahnung. Wir sind hier gegen 11 Uhr weg. Nun haben wir nach 16 Uhr.“ „Okay. Dann muss der Geburtsvorgang in der Zeit begonnen haben, wo wir weg waren. Mir ist vorhin nicht aufgefallen, dass die Kuh kurz vorm kalben steht.“ Clodette sagte, dass sie wüsste, dass dies eine Mutterkuh sei, aber mehr auch nicht. „Weißt du wie alt die Kuh ist?“ „Nein. Leider nicht.“
Patricia kam mit dem Motorroller von Kannitha auf die Weide gefahren. Sie hatte bis auf Seile alles dabei, was Sylvie sagte.
„Danke, Tricia. Bringt das Wasser. Ich muss die Scheide eincremen.“
Hannes sprach ein Stoßgebet gen Himmel. Zum Glück hatte er vor Jahren die Furche mit den Wasserbremsen gebaut, so hatten Claude und Maurice kurze Wege. Das Wasser aus der Quelle war frisch – und eben auch kühl. Woher sollten sie nun lauwarmes Wasser bekommen?
Mittlerweile kamen einige Bewohner aus Kampang Rou auf die Weide und wollten schauen, was los war. Hannes schickte sie weg, denn zu viel Leute wäre Stress und Aufregung für die Kuh. Er sah Sophearith, der Besitzer der Herde. „Sophearith, wie alt ist die Kuh?“ Fragte Hannes. „Äh, ich schätze 1 Jahr.“ Hannes sagte Sylvie diese Zahl. „Was?! Du liebe Güte! Das ist viel zu früh! Nun siehst du, welche Probleme die Kuh hat“ brüllte Sylvie. Hannes übersetzte ihre Worte und Sophearith stand bewegungslos neben der Kuh und wusste nicht, was er tun sollte.
Die Kuh schrie vor Schmerzen und Hannes streichelte sie sofort und sprach mit ihr.
„Sylvie, ich fahre einen Gaskocher und Topf besorgen, damit wir das Wasser warm bekommen“ sagte Patricia und lief zum Motorroller.
Sylvie sah Sophearith an und erklärte ihm „Wenn Jungrinder zu früh gedeckten werden, hat man sehr oft das Problem, dass das Kalb nicht durch das Becken der Mutter passt. Hörst du nicht, wie deine Kuh schreit? Das Tier hat unglaubliche Schmerzen! Was ich sehe ist schon schlimm genug. Kannst du das Kalb aus dem Geburtskanal hohlen?“ „Nein, ich habe so etwas noch nie gemacht.“ „Na bravo! Nun liegt das Kalb noch falsch im Mutterbauch. Die Beine von dem Kalb müssen unten sein und der Kopf muss in Richtung dem Geburtskanal liegen. Ich hoffe, dass dies zumindest so ist. Hannes, ich muss einen Kontrollgriff in den Geburtskanal vornehmen. Dazu bräuchte ich lauwarmes Wasser. Ich muss mit meinem Hand oder den Finger zwischen den Kopf und Kreuzdarmbein und zwischen Ellenbogen und Schambein des Beckens kommen. Falls nicht, haben wir ein Problem. Ich kann hier keinen Kaiserschnitt machen.“ „Sylvie, was immer du sagst. Ich tue was ich kann“ sagte Hannes und übersetzte die Worte von Sylvie. Sophearith zog die Schultern hoch. Sylvie nickte und was sie sagte war nicht gerade freundlich „Für Kühe zu halten, braucht es etwas mehr als nur eine Weide und Futter zu geben. Man! Wenn man keine Ahnung hat, sollte man sich keine Tiere anschaffen! Nun muss ich schauen, wie ich beide Tiere retten kann.“ Hannes übersetzte nur einen Teil von Sylvie’s Worte. Sophearith hatte schon genügend Prügel bekommen.
Annabell heulte und alle anderen standen da und wussten nicht, was sie helfen konnten.
„Lasst Sangkhum, Sraleanh oder welche Kühe und Kälber auch immer zu der Kuh, sie soll sehen, dass sie nicht alleine ist.“
Clodette hatte Tränen in den Augen und führte Sraleanh nah an die Kuh heran.
Patricia kam mit einem Gaskocher zwischen ihren Beinen und einem Topf in ihrer linken Hand auf die Weide gefahren. Claude lief sofort zu ihr und schleppte den Gaskocher. „Sylvie, wohin mit dem Ding?“ „10 Meter hinter die Kuh. Wir brauchen Platz.“
Patricia stelle den Topf auf den Gaskocher und Maurice schüttete sofort den Eimer Wasser in den Topf. „Reicht ein Gaskocher?“ Fragte Patricia. „Noch einen wäre super. Das Wasser braucht ewig, bis es warm ist.“ „Sophearith, hast du einen Gaskocher und Topf zu Hause?“ Sophearith nickte Patricia zu. „Los! Beeil dich!“
Jeder auf der Weide schaute auf den Topf und hoffte, dass das Wasser endlich warm werden würde. Sylvie griff immer wieder mit der Hand in den Topf „Wir bräuchten noch Eimer.“ Patricia nickte ihr zu und rannte wieder zum Motorroller.
Sylvie fühlte immer wieder den Bauch der Kuh ab. Sie schaute auf die Scharm von der Kuh und biss sich auf die Lippen.
„Sylvie, was ist los?“ „Hannes, es wird echt knifflig und kompliziert. Traust du dir zu mir zu helfen? Sei ehrlich.“ „Ja. Ich bin da und werde das tun, was du von mir verlangst.“ „Okay. So wie es aussieht, ist das Kalb verkehrt im Mutterbauch. Die Kuh ist zu jung für die Geburt. Wir müssen ihr Becken weiten. Dafür brauche ich dich. Hast du dies verstanden?“ „Ja, ja. Habe ich verstanden und kann mir denken, was ich tun muss.“ „Gut.“
Sylvie fühlte wieder mit ihrer Hand in den Topf „Muss reichen. Schüttet das Wasser in einen Eimer und stellt den nächsten Topf auf.“ Claude schüttete das Wasser in einen Eimer und Sylvie warf ein Stück Seife hinein „Haben wir ein Messer?“ Hannes nickte „Im Stall.“ Und lief sofort das Messer holen.
Mit dem Messer schnitt er kleiner Stücke von der Seife ab und rührte mit seiner Hand das Wasser, bis er merkte, dass sich die Seife auflöste.
Patricia kam mit dem Motorroller und hatte den Gaskocher von Sophearith zwischen ihren Beinen. An ihrem linken Arm hatte sie mehrere Eimer hängen.
Sophearith kam mit seinem Motorrad und hatte den Topf dabei. Maurice füllte sofort den Topf mit Wasser und ging auch gleich nochmal den Eimer füllen. Sylvie tränkte ein Tuch in das Seifenwasser und wisch mit dem Tuch der Kuh an der Scheide vorbei. Dies machte sie mehrmals.
„Sobald das Wasser warm ist, bitte wieder auffüllen. Hannes, ich denke, es könnte reichen. Ich werde jetzt meine Hand in den Geburtskanal stecken und schauen, wie das Kalb liegt. Ich hoffe die Kuh tritt nicht aus. Claude, hilf Hannes die Kuh am Kopf festzuhalten.“
Da Hannes wusste welche Kraft eine Kuh hatte, sagte er Claude, dass er einen festen Stand bräuche. „Okay, fertig?“ Claude und Hannes nickten. Hannes sprach weiter auf die Kuh ein. Die Kuh schrie vor Schmerzen. Sylvie wartete einen Moment „Es können auch ihre Wehen gewesen sein. Okay Jungs, es geht los. Gott im Himmel steh mir bei.“ Was Sylvie in diesem Moment tat war für sie lebensgefährlich. Wenn die Kuh austreten sollte, könnte sie Sylvie töten.
„Ruhig, ruhig, ganz ruhig. Ich schaue nur nach deinem Kind. Ruhig.“
Alle die um die Kuh im sicheren Abstand standen, schauten auf die Kuh. Sylvie’s Sinne waren bis aufs äußere angespannt. „Ich bin im Geburtskanal. Fühle die Füße. Ich kann nicht sagen, ob es sie Vorderfüße oder Hinterfüße sind. Ruhig, ganz ruhig. Ich schaue nach deinem Kind.“ Die Kuh bewegte ihr Hinterteil und Sylvie ging sofort zur Seite. Die Kuh trat nicht aus. „Großer Gott im Himmel, ich brauche noch etwas Zeit.“ Die Kuh schrie erneut. „Ja, es sind deine Wehen. Alles gut. Ruhig, ganz ruhig. Verdammt, ich fühle die Hinterbeine.“
Sylvie zog ihren rechten Arm aus dem Geburtskanal und ging ein paar Schritte von der Kuh weg. „Hast du gemacht. Danke, dass du mich nicht getreten hast“ Sylvie streichelte die Kuh und gab ihr einen Kuss. „Hannes, es wird bald dunkel. Ich brauche Licht.“ „Ja, ist gut. Mein Auto hat genügend Licht.“ „Die Geburt kann Stunden dauern.“ „Okay.“ Hannes wählte die Nummer von Asger. „Asger…? Ich brauche dich und Cees in Kampang Rou auf der Weide. Fahrt an den Baucontainer und bringt das Stromaggregat. 200 Meter Kabel, alles an Licht was ihr findet und bringt Seile mit. Auf der Weide ist eine Kuh, die kalbt. Das Kalb liegt verkehrt herum im Mutterbauch. Sylvie tut was sie kann. Beeilt euch.“
Alle saßen in der Nähe der Kuh und hörten Sylvie zu, was sie sagte „Bei einer normalen Geburt kommt das Kalb in der Vorderendlage, also mit den Vorderbeinen zuerst und in gestreckter Haltung zur Welt. Diese Kalb liegt mit den Beinen nach oben und noch gedreht im Mutterbauch. Also wird es mit den Hinterbliebenen zuerst kommen. Da die Mutterkuh das Kalb aber nicht raus pressen kann, weil es dem Kalb dann wahrscheinlich das Genick brechen würde, müssen wir das Kalb raus ziehen. Was ich bis jetzt bei der Mutterkuh von außen gesehen und an ihren Bauch gefühlt habe, ist das Kalb immerhin gestreckt – also muss ich es nur etwas drehen. Es kann auch sein, dass sich während der weiteren Geburt das Kalb dreht und ich müsste es wieder zurück drücken, um es in die richtige Lage zu bringen. Selbst dies ist nicht so einfach, denn ich könnte mit den Klauen von dem Kalb die Gebärmutter verletzen.“
Sylvie stand auf und wischte wieder mit lauwarmen Wasser um die Scheide, Becken und Rücken der Kuh. „Dies mache ich, weil die Scheide und Becken zu eng sind. Kühe sind zwar zwischen 7 und 10 Monaten geschlechtsreif, aber man sollte mindestens eineinhalb Jahre oder gar noch länger warten, bis man eine Kuh decken lässt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Kuh künstlich besamt wurde.“ „Bist du Tierärztin?“ Fragte Annabell. „Nein. Ich bin Agraringenieurin und arbeite für eine Hilfsorganisation in Paris. Ich bin in Kambodscha, weil ich das Dossier von Hannes las und ich ihm bei seinem Trockenfeldanbau Projekt helfen möchte. Darüber schreibe ich auch meine Dissertation.“ „Wow! Und woher weißt du, warum die Kuh diese Probleme hat?“ „Ich bin auf einen Bauernhof aufgewachsen. Meine Brüder führen den Hof weiter. Wir haben über 200 Rinder verschiedener Rassen. Ich war schon als Kind bei Geburten dabei. Als Jugendliche musste ich oder einer meiner Brüder unserem Vater helfen, wenn es Komplikationen bei der Kalbung gab.“ Annabell sah zu der Kuh. Sie wollte etwas sagen, traute sich aber nicht. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Annabell, mach dir keine Sorgen, ich bin da und Hannes wird mir helfen. Wir bekommen dieses kleine Lebewesen gesund und munter auf die Welt.“
Annabell wischte sich erneut die Tränen weg „Darf ich etwas helfen?“ Sylvie nickte „Ja. Darfst du. Wir müssen ständig das Fleisch um ihre Scheide, ihr Becken und Rücken mit warmen Wasser einreiben. Dies merkt die Kuh und es tut ihr gut. Die Kuh wird zum einen ruhiger, weil sie weniger Schmerzen hat und zum andern werden mit dem Wasser die Muskeln und Haut weicher. Wenn wir sie streicheln und mit ihr reden, beruhigt dies auch.
Asger kam mit einem Affentempo an die Weide gefahren. Cees und er kamen sofort auf sie zugelaufen.
„Danke Jungs. Wir brauchen Licht für die Geburt. Lasst das Stromaggregat auf dem Auto stehen. Ich komme später mit deinem Auto nach Svay Rieng. Wir legen nun das Kabel und verteilen das Licht.“
Claude, Maurice, Franziska und Patricia packten mit an. Sie verteilten im Umkreis von 5 Meter die Lampen und Leuchtstoffröhren. Hannes lief auf den „Europa Platz“ sein Auto holen. Zum einen hatte er auch noch genügend Licht vor dem Auto und auf dem Dach. Zum anderen brauchte sie etwas, um die Kuh mit Seilen festzubinden. Es wäre für die weitere Geburt für Sylvie und Hannes lebensgefährlich, wenn sie hinter der Kuh standen und diese austreten würde.
Am Gatter und Stall standen viele Bewohner aus Kampang Rou und schauten die Weide hoch, was dort vor sich ging. Sophearith ging zu den Männern und Frauen und sagte, dass die Europäer ein Kalb retten würden, welches verkehrt herum im Bauch der Kuh liege und er sehr dankbar für deren Hilfe sei. „Immerhin“ sagte Sylvie, als Hannes ihr dies übersetzt hatte.
Mittlerweile war es 18.30 Uhr und auf der Weide schrie immer wieder die Kuh.
Annabell machte ihre Arbeit sehr zaghaft – aber gewissenhaft. Maurice brachte ihr immer wieder neue Eimer mit lauwarmen Wasser.
„Wenn wir später das Kalb herausziehen, wäre eine Kette besser als ein Seil. Auch wenn sich dies nun brutal anhört, aber eine Kette zieht sich nicht zu. Mit dem Seil könnte ich dem Kalb die Beine abschnüren. Bei der Lage von dem Kalb, wäre es gut, wenn die Kuh liegen würde. Ich müsste aber vorher in den Geburtskanal, um dem Kalb die Seile um die Beine zu legen.“ „Sylvie, welchen Knoten brauchst du?“ Frage Asger. „Einen der hält und sich aber beim ziehen nicht zuzieht.“
Asger nahm ein Seil und legte das Ende über das Seil, legte eine Schlaufe und zog das Seil durch die Öffnung. „So?“ Und reichte Sylvie das Seil. „Ich war Seemann. Ich werde wohl noch ein paar Knoten hinbekommen. Sylvie lächelte und gab Asger einen Kuss „Danke du Seebär.“ „Gerne, Frau Agraringenieurin. Okay, wie willst du die Kuh zum liegen bringen, wenn sie es nicht selbst tut?“ „Mit Seilen lässt sich da schon etwas machen. Es gibt bestimmte Schnürtechniken für die Beine, womit sich die Kuh zum Hinlegen bewegen lässt.“ „Okay. Wir sind da.“ „Danke. Aber ihr alle müsst nicht hier bleiben. Eine Erstgeburt kann mehrere Stunden dauern.“ „Wir bleiben und helfen. Stell dir mal vor, nachher fehlte nur eine helfende Hand“ sagte Claude. „Okay. Danke. Wenn später die Geburt beginnt, und wir das Kalb herausziehen, ziehe nur ich. Ich muss die Wehen abwarten. Wenn die Kuh ihre Wehenpause hat, höre auch ich auf zu ziehen. Einfach mal ziehen und flutsch, das Kalb ist draußen, gibt es nur im Fernsehen. Hannes ist als Geburtshelfer bereit und wird den Geburtsweg mit beiden Händen weiten, während ich versuche das Kalb zu drehe. Ich hätte niemals gedacht, dass ich im dunklen in Kambodscha ein Kalb auf die Welt bringen werde.“ Cees klopfte Sylvie auf die Schulter „Das Leben ist ein Abenteuer.“
Kannitha kam zu ihnen auf die Weide und hatte ein Dutzend Wasserflaschen dabei und erkundigte sich über den Stand bei der Geburt. Patricia sagte ihr, was zuvor Sylvie gesagt hatte. „Soll ich euch Essen vorbeibringen? Ihr könnt nicht über Stunden hier auf der Weide sitzen.“ Bevor jemand antworten konnte, sagte Kannitha, dass sie Klebereis und Papayasalat machen würde.
„Mal eine Frage: packst du das Kalb aus der Kuh zu ziehen?“ Dabei sah Asger die schmale Sylvie an. Sylvie zog die Schultern hoch „Wir werden das Seil um den einen Baum legen und du könntest dann mit mir ziehen. Zum einen ziehen wir dann nicht mit voller Kraft, denn wir könnten das Kalb und die Gebärmutter verletzen. Und zum anderen hätte ich die Gewissheit, dass noch jemand da ist, wenn ich keine Kraft mehr habe.“
Patricia und Hannes standen am Kopf von der Kuh und gaben ihr einen Eimer mit frischem Wasser. Die Kuh hatte Durst und trank auch aus dem gerechten Eimer.
Sylvie legte Seile um die Hinterbeine der Kuh und sagte Asger, er solle diese richtig gut festbinden. Ein Seil legte er um einen Baum, der links von der Kuh stand und das andere Seil befestigte er an der Seilwinde am Auto von Hannes. „Sylvie, würde es auch mit der Seilwinde gehen?“ „Nein, Asger. So schnell kann man die Seilwinde nicht anhalten und wir haben kein Gefühl, wann wir stoppen müssen.“
Es war schon weit nach 22 Uhr, und immer mehr Wehen setzten bei der Kuh ein.
„Okay Jungs und Mädels, versuchen wir es. Ich werde nochmal in den Geburtskanal greifen und schauen, wo das Kalb jetzt ist.“
Sylvie schmierte sich die rechte Hand und Arm mit Naturseife ein und ging auf die Kuh zu. Mit der linken Hand fühlte sie den Bauch der Kuh ab „Bist ein tapferes Mädchen. Ich schaue nochmal nach deinem Kind. Du hast es bald geschafft.“ Sylvie klopfte der Kuh auf ihr Hinterteil und wartet auf die nächste Wehe. „Ruhig, ganz ruhig. Alles ist gut“ dabei klopfte sie immer wieder leicht auf das Hinterteil. „Okay, die Wehe kommt. Es geht los.“
Mit welcher ruhe und Selbstsicherheit Sylvie dies tat, war beachtlich. Sie war wahrlich Profi genug, um zu wissen was sie tat. Sie hatte dies in den vergangenen Stunden mehr als bewiesen.
Levi war auch schon seit über eineinhalb Stunden bei ihnen, denn er machte sich bereits um 19 Uhr Gedanken über den Verbleib seiner Frau.
„Hannes, ich muss das Kalb drehen. Du musst mir jetzt helfen, denn ich brauche beide Arme dafür. Du musst das Becken auseinander drücken. Stellt dich dicht hinter mich. Annabell, wenn du willst, rede mit der Kuh, streichel sie.“
Als alle dies taten, was Sylvie sagte, fragte sie, ob Hannes bereit sei. „Bin ich. Fangen wir an.“ Hannes drückte mit aller Kraft das Becken von der Kuh auseinander und Sylvie glitt mit ihren beiden Arme in die Scheide der Kuh. Hannes musste den Kopf zur Seite halten, denn der Geruch war nicht besonders angenehm.
„Okay. Ich bin am Kalb. Ich habe einem Huf. Wo verdammt ist der andere? Hab ihn.“ Sylvie drehte sich unter Hannes nach rechts weg. Hannes fingen bereits die Arme an zu zittern. „Ich muss nochmal nach greifen“ Sylvie stellte sich wieder, packte das Kalb und drehte sich noch einmal unter Hannes nach rechts weg. Sie zog ihre Arme aus der Kuh und klopfte ihr auf das Hinterteil „Braves Mädchen. Wir haben es bald geschafft. Danke Hannes. So, nun legen wir die Kuh auf ihre linke Seite. Ich habe das Kalb gedreht. Es müsste passen. Asger, gibt mir bitte die zwei Seile.“
Sylvie cremte sich wieder ihren rechten Arm ein und führte nun die Seile in den Geburtskanal. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Sylvie ihren Arm aus dem Geburtskanal zog.
Dann nahm sie mehrere Seile und band diese an die Vorderfüße der Kuh.
„Nun wird es haarig. Wir müssen die Kuh quasi auf die Knie zwingen und darauf achten, dass sie sich nicht nach rechts Ablegt. Claude, du nimmt dir das Seil an ihrem linken Vorderbein. Cees, du das rechte. Ihr zieht langsam nach hinten, wenn ich es sage. Patricia, Clodette, redet mit der Kuh und drückt sie an ihrer Blesse nach unten. Wenn ihr es nicht schafft, muss Hannes es machen. Alle anderen kommen auf die rechte Seite. Wenn die Kuh in die Knie geht, müsst ihr sie nach links drücken. Bitte nicht am Bauch. Drückt oben unterhalb der Wirbelsäule, am Becken und Hals. Asger, du bis der größte. Du drückst in der Mitte der Wirbelsäule – hier. Okay? Jeder alles verstanden?“ Alle nickten. „Los!‘
Unter muhen, brüllen und mit dem Kopf schlagend, ging die Kuh langsam auf die Knie. „Weiter ziehen, weiter ziehen. Hannes, drück ihr den Kopf nach unten. Weiter ziehen. Drücken und nun alle an der Seite. Weiter, weiter, weiter.“ Langsam ging die Kuh auf die Knie und legt sich ab.
„Halleluja! Danke, Leute. Die Kuh liegt. Lasst sie nun mal etwas ausruhen.“
Annabell machte wieder ihre Arbeit mit dem lauwarmen Wasser weiter. Die anderen saßen auf dem Boden. 20 Meter von ihnen entfernt stand ein Pulk an Menschen und beobachten alles sehr genau. Die Menschen sprachen leise miteinander.
Nach 23 Uhr setzte immer mehr Wehen ein und etwas an Flüssigkeit lief aus der Scheide der Kuh.
„Okay, es geht los. Ich habe je ein Seil an den Beinen von dem Kalb befestigt. Ich muss abwechselnd ziehen, sonst wird das nichts.“ Asger nickte und packte sich die Seile. Sylvie setzte sich auf den Boden und drückte ihre Füßen gegen die Oberschenkel von der Kuh. Ihr Oberkörper war nach vorne gebeugt. Sie legte sich das Seil einmal um die rechte Hand und hielt das Seil mit beiden Händen fest – aber noch nicht auf zug. Die Kuh bekam eine weite Wehe und Sylvie zog mit aller Kraft. Ihr Oberkörper ging immer weiter zurück. „Stopp.“ Asger lies sofort das Seil locker – aber auf zug. „Sehr gut Asger. Wenn die nächste Wehe kommt, machen wir weiter.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die nächste Wehe kam. Sylvie war hochkonzentriert. „Los.“ Und wieder machte Sylvie die gleichen Bewegungen wie zuvor. Die nächste Wehe kam. „Los. Annabell, schütte immer wieder lauwarmes Wasser über die Scheide. Du braucht kein Tuch mehr.“
Maurice und Franziska füllten die Eimer voll für Annabell. Claude brachte ständig neues Wasser an die Gaskocher.
Die nächste Wehe kam. „Los.“ Hannes sah den ersten Huf von dem Kalb. Ihm lief der Schweiß nur so über das Gesicht. Er musste ja irgendwie das Becken der Kuh zu sich hoch ziehen.
„Okay, Asger. Nun das andere Seil.“ Sylvie legte sich auch dieses Seil einmal um die Hand und wartete auf die nächste Wehe. „Los.“ Zweimal zog sie und man sah den zweiten Huf. „Asger, wir ziehen noch einmal mit diesen Seil.“ „Okay Chefin.“ „Los.“ Bei diesem zug kam das eine Hinterbein gute 20 Zentimeter zum Vorschein.
Die nächste Wehe kam und auch hier kam das Bein immer weiter raus. „Nochmals dieses Seil.“ Die Wehe kam. „Los.“ Bei diesem zug sah man das Knie von dem Kalb. „Anderes Seil.“ Die Wehen kamen in immer kürzeren Abständen. Auch hier kam das Knie von dem Kalb zum Vorschein.
Nach über einer drei Viertel Stunde war endlich das Becken von dem Kalb zu sehen.
„Hannes, kannst du noch?“ „Eigentlich nicht mehr. Ich habe kaum noch Kraft in den Armen. Aber wir bekommen dieses Kalb auf die Welt.“
„Okay. Wir haben es bald geschafft. Asger, wir müssen jetzt das Kalb in Richtung Euter ziehen.“ Sylvie suchte sich einen anderen Platz auf dem Boden. In dieser Stellung konnte sie aber nicht gegen die Hinterbeine der Kuh drücken, denn dies würde ihr Schmerzen zufügen. Patricia und Franziska setzen sich hinter einander links neben die Kuh, Clodette und Levi taten dies rechts. So konnte Sylvie ihre Füße gegen ihr drücken und hatte etwas mehr halt. Asger hatte nun keinen Baum mehr, den er benutzen konnte. „Versuchen wir es. Zieh nicht zu fest.“ „Alles klar, Chefin.“
Die nächste Wehe kam. „Los. Ziehen, ziehen.“ Das Becken von dem Kalb war frei.
„Braves Mädchen. Wir haben es bald geschafft. Anderes Seil.“ Nach 10 Minuten kam eine weitere Wehe. „Los.“ Bei diesem zug kam der Rücken von dem Kalb zum Vorschein. Sylvie wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Okay. Machen wir eine kurze Pause, die Kuh ist auch erschöpft.“
Hannes verteilte erneut Wasserflaschen. Sylvie lief der Schweiß, als ob sie einen Marathon gelaufen wäre. „Danke, Hannes“ und trank den Halben Liter Wasser fast mit einem zug leer.
„Okay, es geht weiter. Die Wehe wird gleich kommen.“ Jeder sah der Kuh an, dass die nächste Wege bevor stand. „Okay.Los.“ Die Kuh schnaufte, muhte und brüllte. „Los. Weiter, weiter, weiter. Sehr gut. Das andere Seil. Wir haben es gleich geschafft. Los. Ziehen, ziehen, ziehen.“ Man sah den Nacken von dem Kalb.
„Okay. Leute, wir haben es gleich geschafft. Die Kuh erholt sich jetzt. Es geht gleich weiter. Die Zeit schien still zu stehen. Annabell schüttet langsam immer wieder Wasser über das Hinterteil.
Die nächste Wehe kündigte sich an. „Asger, nun ziehen wir mit beiden Seilen. Warte, warte. … Es geht los. … Moment… Los. Ziehen, ziehen, weiter, weiter. Stopp.“ Sylvie ging nochmals mit ihrem Oberkörper nach vorne „Okay, wenn gleich die Wehe kommt, ziehen wir das Kalb heraus.“
Sylvie wischte sich mit ihrem T-Shirt erneut den Schweiß aus dem Gesicht. Sie hielt das Seil auf zug, damit das Kalb nicht vielleicht nochmal ein Stück in den Geburtskanal zurück rutschen konnte.
Die Uhr war schon weit nach Mitternacht.
„Okay, es geht wieder los.“ Die Kuh fing an zu schreien. „Los. Ziehen, ziehen, ziehen.“ Das Kalb rutschte aus dem Geburtskanal auf den Boden. Sofort ließ Sylvie die Seile fallen und rutschte auf ihren Knien zu dem Kalb, um zu schaute, ob es atmete. „Großer Gott im Himmel. Es lebt. Es lebt.“ Sylvie kamen die Tränen. Alle, die auf der Weide standen fingen an zu jubeln oder zu weinen.
Asger nahm Sylvie in die Arme und streichel ihr über den Rücken „Du bist ein gutes Mädchen.“
Jeder umarmte Sylvie und drückte sie fest an sich.
„Kommt, legen wir das Kalb an den Euter“ sagte Sylvie. Asger und Hannes trugen das circa 40 Kilo schwerer Kalb an den Euter der Mutter und sofort fing das Kalb an zu saugen.
„Gutes Mädchen. Du hast ein Kind auf die Welt gebracht“ sagte Sylvie und streichelte der Kuh den Kopf.
Annabell streichelte das Kalb und wischte sie ihre Tränen weg. Mit den Tüchern wischte sie das Fell von dem Kalb sauber.
Hannes entfernte die Seile an den Beinen der Kuh und brachte einen großen Packen Heu aus dem Stall. Patricia hielt den Eimer mit Wasser schräg, damit die Kuh trinken konnte.
Sophearith traute sich näher und stand wie ein geprügelter Hund neben der Kuh.
„Du hättest heute zwei Lebewesen getötet! Denk mal über deine Fehler nach. Ich hoffe, die anderen Kühe sind nicht trächtig“ sagte Sylvie zurecht sehr böse zu Sophearith.
